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Vierunddreißigstes Kapitel

Welcher Ruf, welche Stimme oder Meinung das Volk bestimmt, seine Gunst einem Bürger zuzuwenden, und ob es die Ämter klüger verteilt als ein Fürst.

Wir haben früher erzählt, S. Buch I, Kap. 11. wie Titus Manlius, später Torquatus genannt, seinen Vater Lucius von einer Anklage befreite, die der Volkstribun Marcus Pomponius gegen ihn erhoben hatte. Obschon diese Art ziemlich gewalttätig und ungesetzlich war, so gefiel doch die kindliche Liebe zum Vater dem Volke so gut, daß er nicht nur nicht zur Rede gestellt wurde, sondern bei der nächsten Wahl der Kriegstribunen die zweite Stelle erhielt. Angesichts dieses Vorfalls scheint es mir der Untersuchung wert, wie das Volk die Menschen bei der Erteilung von Ämtern beurteilt und ob sich der obige Satz als wahr erweist, daß das Volk die Ämter besser verteilt als ein Fürst.

Das Volk richtet sich bei seiner Wahl nach der öffentlichen Meinung und dem Ruf eines Mannes, wenn es ihn nicht schon aus seinen Taten kennt oder eine Mutmaßung oder Meinung von ihm hat. Beides aber kommt entweder von den Vätern her, die bedeutende und einflußreiche Leute waren, weil man bis zum Beweis des Gegenteils glaubt, die Söhne würden den Vätern entsprechen. Oder es rührt von dem persönlichen Benehmen des Mannes her, um den es sich handelt. Das beste Benehmen ist der Umgang mit gesetzten, gesitteten und von jedermann für weise gehaltenen Männern. Und da es kein besseres Zeichen für die Sinnesart eines Menschen gibt als die Gesellschaft, mit der er verkehrt, so erwirbt sich ein Mann, der gute Gesellschaft hat, mit Recht einen guten Namen, weil er notwendig einige Ähnlichkeit mit ihr haben muß. Drittens erwirbt man sich diesen öffentlichen Ruf durch eine außerordentliche denkwürdige Handlung, auch eine Privathandlung, mit der man Ehre einlegt.

Von all diesen drei Dingen, die zu Anfang einen guten Ruf geben, ist das letzte das wirksamste. Das erste, Herkunft und Väter, ist so trügerisch, daß die Menschen sehr vorsichtig damit umgehen, und es verschwindet auch bald, wenn die eignen Verdienste des Betreffenden nicht hinzukommen. Das zweite, der Umgang, ist besser als das erste, allein weit unter dem dritten, denn solange du nicht selbst einen Beweis lieferst, beruht dein Ruf auf der schwankenden Meinung. Das dritte hingegen, deine eignen Taten, gibt dir von Anfang an einen solchen Namen, daß du später vieles dagegen tun mußt, um ihn zu verwischen. Wer daher in einer Republik geboren wird, muß diesen Weg einschlagen und danach streben, sich gleich zu Anfang durch eine außerordentliche Handlung hervorzutun. Viele Römer taten dies in ihrer Jugend, indem sie entweder ein Gesetz einbrachten, das zum allgemeinen Wohl diente, oder einen Mächtigen wegen Übertretung der Gesetze anklagten, oder etwas ähnlich Auffallendes und Neues taten, das von ihnen reden machte.

Aber dergleichen ist nicht nur nötig, um sich einen Ruf zu verschaffen, sondern auch, um ihn sich zu erhalten und zu vergrößern. Zu diesem Zweck muß man es wiederholen, wie es Titus Manlius sein Leben lang tat. Denn nachdem er seinen Vater in so tapfrer und außerordentlicher Weise verteidigt und mit dieser Handlung seinen Ruf begründet hatte, focht er ein paar Jahre danach mit dem Gallier und nahm dem Gefallenen die goldne Halskette ab, die ihm den Beinamen Torquatus verschaffte. 361 v. Chr. Vgl. Livius VII, 10 ff. Nicht genug damit, ließ er schon in reifen Jahren seinen Sohn hinrichten, weil er sich ohne Erlaubnis in einen wenn auch siegreichen Kampf eingelassen hatte. 340 v. Chr. Vor der Schlacht am Vesuv. Vgl. Livius VIII, 7. Diese drei Taten gaben ihm damals einen größeren Namen und machten ihn durch alle Jahrhunderte berühmter als je ein Triumph und ein Sieg, der ihn oder andre Römer zierte. Der Grund ist der: an Siegen waren dem Manlius viele gleich, in diesen besonderen Taten aber sehr wenige oder keiner.

Der ältere Scipio erwarb sich durch alle seine Triumphe nicht so viel Ruhm wie dadurch, daß er als Jüngling am Tessin seinen Vater verteidigte und nach der Niederlage bei Cannae kühn, mit entblößtem Schwert mehrere Jünglinge zu dem Schwur zwang, Italien nicht zu verlassen, was sie sich schon vorgenommen hatten. Diese beiden Taten waren der Anfang seines Ruhms und die ersten Stufen zu seinen Triumphen in Spanien und Afrika. Die hohe Meinung von ihm wuchs noch, als er in Spanien die Tochter dem Vater und die Gattin dem Manne unberührt zurücksandte.

Diese Handlungsweise ist aber nicht nur für Bürger nötig, die Ruf erwerben wollen, um dadurch die höchsten Würden in ihrer Republik zu erlangen, sondern auch für Fürsten, die sich ihr Ansehen in ihrem Staat erhalten wollen. Nichts erwirbt ihnen so viel Achtung als ein ungewöhnliches Werk oder Wort zum Besten der Allgemeinheit, das von ihrer Großmut, Freigebigkeit oder Gerechtigkeit zeugt und sozusagen zum Sprichwort bei ihren Untertanen wird.

Kehren wir jedoch zum Anfang unsrer Erörterung zurück. Gibt das Volk aus den drei genannten Gründen einem seiner Bürger das erste Amt, so tut es nicht übel daran. Wird dann aber ein Mann durch zahlreiche gute Handlungen bekannter, so fährt es besser dabei, denn in diesem Falle kann es sich fast niemals täuschen. Ich rede aber nur von den Ämtern, die man anfangs an Leute erteilt, die man noch nicht aus sicherer Erfahrung kennt, oder die von einer Tätigkeit zu einer ganz unähnlichen übergehen. Und da irrt das Volk in seiner Meinung seltner und läßt sich weit schwerer durch irgendein Mittel bestechen als ein Fürst. Immerhin ist es möglich, daß ein Volk den Ruf, die Gesinnung und die Taten eines Mannes überschätzt, was einem Fürsten nicht begegnen kann, da seine Ratgeber es ihm sagen und ihn davor warnen würden. Damit es nun auch dem Volke an einem solchen Rat nicht fehlt, haben kluge Gesetzgeber der Republiken bestimmt, daß es bei Vergebung der höchsten Staatsämter, deren Besetzung durch unfähige Leute gefährlich wäre, jedem Bürger freisteht, ja ihm zur Ehre angerechnet wird, auf die Fehler solcher Leute, wenn der Volkswille sich auf ihre Wahl richtet, in öffentlicher Versammlung hinzuweisen, damit das Volk sie kennenlernt und besser urteilen kann. Daß dies in Rom Brauch war, bezeugt die Rede, die Fabius Maximus im zweiten punischen Krieg an das Volk hielt, als sich bei der Wahl der Konsuln die Gunst dem Titus Otacilius Livius XXIV, 7 ff. zuwandte. Fabius hielt ihn für unfähig, in solchen Zeiten das Konsulat zu führen, sprach gegen ihn und wies seine Unfähigkeit nach, so daß er ihm das Amt entzog und die Volksgunst auf einen andern lenkte, der sie besser verdiente. Die Völker urteilen also bei der Wahl der Behörden nach den wahrscheinlichsten Merkmalen, die man von Menschen haben kann. Wenn sie wie die Fürsten beraten werden können, irren sie weniger als diese, und ein Bürger, der die Volksgunst erlangen will, muß dies durch eine bemerkenswerte Tat tun, wie Manlius.


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