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Die Römer wurden im Kapitol belagert, und obwohl sie Hilfe von Veji durch Camillus erwarteten, gingen sie, vom Hunger getrieben, einen Vergleich mit den Galliern ein. Sie wollten sich durch eine Geldsumme loskaufen und wogen das Gold schon ab, als Camillus mit seinem Heere erschien. So fügte es das Geschick, sagt Livius, V, 49. ut Romani auro redempti non viverent (damit die Römer ihr Leben nicht mit Gold erkauften). Das ist nicht nur hier bemerkenswert, sondern im Verlauf der ganzen römischen Geschichte. Nie eroberten sie Städte durch Geld, niemals erkauften sie Frieden durch Geld, sondern stets durch die Tapferkeit ihrer Heere, was wohl nie einer andern Republik gelungen ist.
Die Macht eines Staates läßt sich unter anderm auch daraus erkennen, wie er mit seinen Nachbarn steht. Bezahlen ihm die Nachbarn Subsidien, um ihn zum Freunde zu haben, so ist das ein sichres Zeichen seiner Macht. Beziehen dagegen die Nachbarn Geld von ihm, obgleich sie kleiner sind als er, so ist das ein deutliches Merkmal seiner Schwäche. Man lese die ganze römische Geschichte, und man wird sehen, daß die Massilier, die Äduer, die Rhodier, Hiero von Syrakus, die Könige Eumenes und Masinissa, Rhodos hatte gegen Mazedonien zu Rom gehalten, wurde jedoch nach dessen Niederwerfung von Rom gedemütigt. – Hiero II. von Syrakus (König 269-216), seit 263 Bundesgenosse der Römer, hielt diesen im ersten und zweiten punischen Kriege die Treue. lauter Grenznachbarn des römischen Reiches, um mit ihm in Freundschaft zu stehen, zu seinen Bedürfnissen Geld und Tribut beitrugen und dafür keinen andern Lohn verlangten als seinen Schutz.
Das Gegenteil wird man bei schwachen Staaten finden. Um mit Florenz zu beginnen, gab es früher, zur Zeit seines höchsten Ansehens, kein Herrchen in der Romagna, das kein Gehalt von ihm bezog; außerdem zahlte es Jahresgelder an Perugia, Città di Castello und an alle seine andern Nachbarn. Wäre der Staat bewaffnet und kräftig gewesen, so wäre es umgekehrt gekommen; denn um seinen Schutz zu genießen, hätten alle ihm Geld gegeben, nicht um ihre Freundschaft zu verkaufen, sondern die seine zu erkaufen. Aber nicht nur Florenz ist so erbärmlich gewesen, sondern auch Venedig und der König von Frankreich, der mit einem so großen Reiche den Schweizern und dem König von England tributpflichtig ist. Das kommt aber nur daher, daß ihre Völker unbewaffnet sind und daß der König und die andern Genannten den augenblicklichen Vorteil vorzogen, das Volk auszuplündern, und daß sie lieber einer mehr eingebildeten als wirklichen Gefahr entfliehen wollten, als etwas zu tun, das ihnen Sicherheit verschaffen und ihre Staaten für immer glücklich machen könnte. Schafft aber dieser Übelstand auch für eine Weile Ruhe, so führt er in der Folge doch notwendig zu Bedrängnis, Verlusten und unabwendbarem Untergang.
Es würde zu weit führen, hier zu erzählen, wie oft Florenz, Venedig und der König von Frankreich sich vom Kriege losgekauft und wie oft sie sich einer Schmach unterworfen haben, der die Römer sich nur ein einziges Mal unterwerfen wollten. Es würde zu weit führen, hier zu erzählen, wieviel Städte Florenz und Venedig erkauft hat. Nachher hat man gesehen, welche Unordnung daraus entstand, und erkannt, daß man das, was man mit Gold erobert hatte, nicht mit Eisen zu behaupten vermochte. Solange die Römer frei waren, blieben sie ihrer hohen Gesinnung und ihren Grundsätzen treu. Als sie aber unter die Kaiser kamen und diese schlecht wurden und den Schatten mehr liebten als die Sonne, fingen auch sie an, bald von den Parthern, bald von den Germanen, bald von andern Nachbarn sich loszukaufen, und das war der Anfang des Verfalls dieses gewaltigen Reiches.
Diese Übelstände entstanden also daraus, daß die Völker wehrlos gemacht waren. Aber es entspringt daraus noch ein weit größerer, nämlich, daß du um so schwächer wirst, je näher dir der Feind kommt. Denn wer in der oben genannten Weise verfährt, behandelt die Untertanen seines Reiches zu schlecht, um sie zur Abwehr des Feindes geneigt zu machen. Er muß daher den Herren und Völkern, die an seinen Grenzen wohnen, Gehälter geben, um den Feind möglichst weit abzuhalten. Daher kommt es, daß solche Staaten an ihren Grenzen einigen Widerstand leisten, hat aber der Feind die Grenzen überschritten, so ist alles verloren. Die Herrscher sehen aber nicht ein, daß dies Verfahren aller guten Ordnung zuwiderläuft. Denn das Herz und die edlen Teile des Körpers müssen gewappnet sein, nicht die Gliedmaßen, weil er ohne diese leben kann; sind aber jene verletzt, so stirbt er. Solche Staaten haben also ein ungewappnetes Herz und gepanzerte Hände und Füße.
Was diese Verkehrtheit Florenz geschadet hat, sah und sieht man jeden Tag. Sobald ein Heer über seine Grenzen kommt und sich dem Herzen nähert, findet es keinen Widerstand mehr. Vor wenigen Jahren machte Venedig die gleiche Erfahrung, S. Lebenslauf, 1509. und läge die Stadt nicht mitten im Wasser, so hätte man ihr Ende gesehen. Nicht so häufig sah man dies in Frankreich, weil es ein sehr großes Reich ist, das wenige überlegene Feinde hat. Trotzdem zitterte das ganze Land, als es 1513 von England angegriffen wurde, und der König selbst wie jeder andre urteilte, daß eine einzige Niederlage ihm die Krone kosten könnte. S. Lebenslauf, 1513. Das Gegenteil war bei den Römern der Fall, denn je mehr sich der Feind Rom näherte, um so stärker wurde sein Widerstand. Beim Krieg gegen Hannibal, nach drei Niederlagen, nachdem so viele Feldherren und Soldaten gefallen waren, konnte Rom nicht nur dem Feinde standhalten, sondern den Krieg noch gewinnen. Das kam bloß daher, daß das Herz gewappnet war und daß auf die Gliedmaßen wenig Rücksicht genommen wurde. Die Grundlage des Staats war das Volk von Rom, die Völker Latiums, die übrigen Bundesgenossen in Italien und die Kolonien, die zusammen Soldaten genug lieferten, um die ganze Welt zu bekriegen und zu beherrschen. Wie sehr das zutrifft, ersieht man aus der Frage, die der Karthager Hanno nach der Schlacht bei Cannae an die Gesandten Hannibals richtete. Als diese Hannibals Taten rühmten, fragte Hanno, ob vom römischen Volke einer gekommen sei, um Frieden zu bitten, oder ob eine Stadt Latiums oder eine Kolonie sich gegen die Römer empört hätte. Als sie beides verneinten, entgegnete Hanno: »Der Krieg ist noch so wie vorher.«
Man sieht also aus dieser Erörterung wie aus dem, was wir sonst mehrfach gesagt haben, wie verschieden das Verfahren der heutigen Republiken von dem der alten ist. Darum sieht man auch täglich wunderbare Verluste und wunderbare Eroberungen. Denn wo die Menschen wenig taugen, da zeigt das Glück erst recht seine Macht, und da es veränderlich ist, wechseln die Republiken und Staaten oft und werden immer wechseln, bis sich jemand erhebt, der das Altertum so verehrt, daß er dem Glück Schranken zieht und ihm nicht erlaubt, bei jedem Sonnenumlauf zu zeigen, wieviel es vermag.