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5. Kaschwalla, der Pechvogel.

Als am andern Nachmittag der Urwald erreicht wurde, machte sich der Nahrungsmangel bereits wieder fühlbar.

Da entdeckte Kaschwalla, der nicht, wie man hätte meinen können, genug an seinem eigenen Fett zu zehren hatte, sondern stets der Hungrigste von allen war, in einem hohlen Baum eine Menge Honig.

Allerdings kam ihn diese Entdeckung teuer zu stehen: wie einst Hassan von Wespen, so wurde Baba Pombe nun von den Bienen überfallen. Die Bienen schienen noch rasender als die Wespen: Kaschwalla konnte sich ihrer nicht erwehren, so wütend er um sich schlug, viele auf seiner Haut zerquetschend. Ach! sein armer Leib hatte Platz für so zahlreiche Stiche! Das war noch schlimmer als letzthin in den Dornen der Akazie, die sich wenigstens ruhig verhielten.

Aber nicht nur der Dicke, auch andere Neger sowie die Europäer wurden von den wütenden Insekten angegriffen.

Einige der überfallenen suchten ihr Heil in jäher Flucht: nichtiges Beginnen! Die Bienen folgten ihnen, soweit sie sprangen.

Hassan und Parker, die in ihren weiten Burnussen den besten Schutz besaßen und wenigstens nur ihr Gesicht und die Hände zu wahren hatten, taten das einzig Vernünftige, indem sie ein qualmendes Feuer entzündeten, das die Bienen allmählich teils betäubte, teils vertrieb.

Nun endlich konnte dieser »bittre« Honig geborgen werden. Die Neger verschlangen ihn mitsamt dem Wachs und den noch darinsteckenden Bienen. Sie lasen dazu noch die betäubten und getöteten Insekten auf, um sie mit Behagen zu verzehren.

Die Weißen beteiligten sich nicht an diesem Mahl, das auch nicht für alle ausgereicht hätte. Sie spähten nach anderen Genüssen aus.

Auf einmal ließ Schulze einen Ruf freudiger Überraschung vernehmen: »Da ist ja Strychnus edulis!« und er zeigte ein Bäumchen, das Früchte mit brüchig holzigen Schalen trug, wie Granatäpfel.

»Strychnus edulis? Der edle Strychnus?« witzelte Leusohn.

Der Professor ging auf den Leim und nahm den schlechten Witz für Ernst und mangelhafte Kenntnis des Lateinischen. »Ach was, Doktor! Edulis heißt natürlich ›eßbar‹. Es ist dies der sogenannte eßbare Strychnus, weil seine Früchte einen genießbaren Fruchtbrei enthalten.«

»Nun,« lachte Leusohn, »das ist ja eben das Edle an diesem Strychnus, daß er eßbar ist.«

Außer den wohlschmeckenden Früchten, die begierig verzehrt wurden, fand sich hier noch die wilde Melochia, die gekocht einen schleimigen Spinat liefert, außerdem eine Jutefaser erzeugt.

Das letztere war den Ausgehungerten Nebensache; aber der nahrhafte Spinat gab ihnen bald ein willkommenes Mittagessen. Allerdings, recht satt fühlten sie sich noch nicht nach diesem eingängigen Mahl; doch sollten sie auch einen Nachtisch bekommen.

Im Weitermarsch blähte nämlich Schulze plötzlich seine Nüstern weit auf.

»Ximenia, du verrätst dich durch deinen durchdringenden Wohlgeruch!« sagte er vergnügt lächelnd. Er sprang vom Reittier ab und schritt auf einen kleinen Strauch zu, dessen zarter Orangeduft auch der Gefährten Riechorgane umschmeichelte.

Der Strauch war bedeckt mit gelben Früchten, in Größe und Form von Kirschen.

Die saftigen Beeren, über die unsere Freunde alsbald herfielen, schmeckten nach Zitronen und wurden samt dem dünnschaligen, haselnußartigen Kern verzehrt.

Der Wald zog sich über einen Höhenrücken hin, der sich bis in die Landschaft Mpororo hinein erstreckte.

Als der Bergzug überschritten war und der Wald ein Ende nahm, trat die Karawane hinaus in eine Steppe, die ganz unvermittelt sich scharf vom Walde schied, um nach einer Stunde ebenso unvermittelt wieder in Urwald überzugehen

Im letzteren war der Boden mit Moos und niedlichen Farnen bedeckt. Bananen und Palmen erreichten riesenhafte Größenverhältnisse, die Raphiapalme trieb Blätter bis zu achtzehn Meter Länge, und Stämme, die erst in einer Höhe von vierzig Metern sich verzweigten, waren nichts Seltenes.

»Wir kommen ins Land der Riesen!« rief Helene bei diesem Anblick. »Sehen Sie, Herr Professor, ein neues botanisches Wunder: da wachsen ja Riesenleberwürste auf den Bäumen!«

»Das reinste Schlaraffenland!« lachte Leusohn.

»Das sind Kigelien,« erläuterte Schulze, »der Elefantenbaum, Kigelia pinnata

Die hellgrauen Früchte des sonderbaren Baumes sahen aber tatsächlich aus wie enorme Leberwürste, die an langen Schnüren herabhingen. Der Stamm des Baumes war stark, gleich der Eiche, das Laub glich dem des Nußbaumes. Leider sind die Früchte ganz und gar ungenießbar.

»Wir haben die Bäume schon früher angetroffen,« belehrte Schulze. »Damals standen sie aber erst in Blüte und zeigten uns nicht die merkwürdigen hängenden, halbmeterlangen Früchte. Sie erinnern sich wohl noch solcher Bäume, Fräulein Helene, die durch ihre leuchtenden purpurnen Blüten Ihre Aufmerksamkeit erregten.«

»Ja, ja! Jetzt erkenne ich wieder einen alten Bekannten,« bestätigte das Fräulein. »Wie Tulpen sahen die Blüten aus.«

Affen, grüne Papageien, Schopfadler und Palmengeier belebten den Wald und selbverständlich auch die unvermeidlichen Perlhühner.

Büffelfährten und die Riesenstapfen der Elefanten durchkreuzten den Busch; Grillen und Diamantenkäfer hüpften und krochen auf dem Boden umher, und wie Gespenster lauerten grüne und graue Fangheuschrecken auf unvorsichtige Insekten, geschützt durch ihre Farbe und ihre Gestalt, welche ihnen das Aussehen von Blättern und Zweigen verlieh.

Bartmoose und geisterhafte Flechten hingen von den Zweigen und Lianen herab. Erika und Strohblumen schmückten den Wiesenteppich der Lichtungen und zierliche Sonnenvögelchen und prachtvolle Riesenschmetterlinge umgaukelten Blumen und Blüten.

In den Schluchten ragten an den Wasserlachen verwitterte Senecio Johnstoni, fremdartige Pflanzengebilde, gleich lauter menschlichen Gestalten, in den grauen Mantel ihrer abgestorbenen Blätter gehüllt, wie in Pilgermäntel oder Mönchskutten.

Auf einmal ertönte ein lautes Gejohle und Gelächter, und die Weißen eilten herbei, zu sehen, was sich begeben hatte.

Die Schwarzen umdrängten eine sechs Meter tiefe Fanggrube, in die sie hineinschrien und lachten. Sie öffneten aber ihren Kreis den nahenden Herren, so daß diese an den Rand der Grube treten konnten.

Das Loch war für einen Elefanten bestimmt, aber ein »Nilpferd« hatte sich darin gefangen: es war Kaschwalla, der Pechvogel, der da hineingeraten war.

Von Glück konnte er sagen, daß kein gespitzter Pfahl auf dem Grunde der Falle stand, sonst wäre er gespießt worden und des Todes gewesen.

Die zahlreichen mit Zweigen, Farnkräutern und Moos bedeckten Elefantenfallen erforderten während des Waldmarsches die angestrengteste Aufmerksamkeit; denn damit sie ihren Zweck erfüllten, war ihre gebrechliche Decke dem Waldboden täuschend ähnlich gemacht.

Kaschwalla nun, der sich von seinem Weib Sangula sonst stets sein beliebtes Eleusinepombe bereiten ließ, hatte sich heute von ihr Honigbier brauen lassen und davon so reichlich genossen, daß er löwenmutig dem Zug voranschritt und die nötige Vorsicht vergaß.

Da lag sein dicker Leib gleich einem unförmlichen Klumpen in der unten zugespitzten Grube, und so wütend er mit Armen und Beinen fuchtelte, er war derart eingeklemmt, daß er sich nicht aufrichten konnte.

Bei der Tiefe des Loches hätte er auch so wie so nicht ohne Hilfe herauskommen können.

Nun war der Wald bevölkert mit allen Arten von Ameisen: von den Bäumen, die ihre Äste über die Fanggrube streckten, fielen fortwährend Ameisen der kleinsten Art hernieder. Überdies stürzte ein Regen weißer Ameisen, einer Art Baumtermiten, von oben herab.

Aber auch auf dem Waldboden krochen Ameisen aller Arten und Farben in wohlgeordneten Zügen dahin. Die schwarzen Treiberameisen, deren knisterndes Krabbeln die Neger für den Gesang der Ameisenlastträger halten, trugen ihre Puppen, zu beiden Seiten begleitet von ihren scharfzangigen Askaris, die keine Lasten tragen, aber wütend über jedes lebende Hindernis herfallen, um die Bahn frei zu machen.

Rote, graue, weiße und zweifarbige Ameisen kreuzten die Wege, und daß ganze Scharen von ihnen in das Loch stürzten, das sich unvermittelt mitten in ihrer Bahn abschüssig eröffnete, war selbstverständlich.

O, armer Kaschwalla! – Er schrie und jammerte: »Alles Böse fällt über den armen Kaschwalla her, der doch keinem Tier etwas zuleide tut; mich spicken die Dornen der Akazie mitten im Wasser, mich stechen die wütenden Bienen. Aber, o Mutter! was ist das gegen die Ameisen, die diese Grube sicher gegraben haben, um sich an Kaschwallas Leibe zu mästen. Habe ich dazu mein Fleisch gepflegt, daß es den wütenden Heerwürmern zur Speise diene? Sie zwicken mich mit glühenden Zangen: helft, helft, sonst könnt ihr nie mehr über mich lachen!«

So lächerlich die Sache aussah, so war die Gefahr doch groß. Die Bisse der schwarzen Ameisen brennen zwar bloß wie glühendes Eisen; die roten Beißameisen aber sind äußerst giftig, soll doch aus ihrem Safte tödliches Pfeilgift bereitet werden. Talergroße Blasen sind die Folgen ihrer Bisse.

Vier Träger wurden an Stricken in die Grube hinabgelassen, um Kaschwalla das stärkste der Taue um den Leib zu binden, da er in seiner hilflosen Lage dies nicht selber vermocht hätte. Dann wurde er mit großer Mühe und Anstrengung seiner peinlichen Lage entrissen.

Aber Kaschwalla hatte heute einen besonderen Unglückstag und seine schlimmen Abenteuer sollten noch lange nicht zu Ende sein.

Nach Überschreiten eines Steppenstreifens gelangten unsere Freunde in einen lichten Galeriewald; so nennt man die tunnelartigen Wälder, die in mehr oder weniger breiten Streifen die Ufer fließender Gewässer säumen und Bach- oder Flußläufe überwölben. Der Italiener Piaggia gab ihnen diesen bezeichnenden Namen, der durch Schweinfurth allgemein eingebürgert wurde.

Im Galeriewald, den unsere Freunde betraten, fanden sich zahlreiche Pisangpflanzen, die willkommenen Vorrat an Lebensmitteln boten. Die gewaltigen Stämme waren mit wildem Pfeffer bewachsen und hoch an den Zweigen sah man die tonnengroßen Bauten der Baumtermite. Umgestürzte, faulende Stämme waren mit den undurchdringlichen Gehängen der Mukuna behangen, die nachtschwarze Lauben bildete.

Auf den Ästen der Bäume fiel besonders das dort parasitisch wuchernde Farnkraut auf, das Schweinfurth »Elefantenrohr« benannte.

Laubengänge und Säulenhallen gaben dem Walde zum Teil das Ansehen eines verwilderten Parkes, zum Teil eines ägyptischen Riesentempels.

In diesen üppigen Waldschluchten hauste der Schimpanse, der aber der Karawane selten zu Gesicht kam, weil er in den Höhen der Zweige sich verborgen hielt.

Wilde Ananas boten eine köstliche Labe; vor allem aber wurden die zahlreichen Kolanußbäume jubelnd geplündert, die ein häufiger Galeriebaum sind. Es war zwar nur Lola cordifolia, aber ihre Frucht bot doch eine großartige Auffrischung und Anregung der Kräfte, und die von Rijn erhaltenen Vorräte echter Kolanüsse waren längst zu Ende gegangen, da Schulze freigebigst den Trägern die Nüsse austeilte, so oft sie besonderen Anstrengungen ausgesetzt waren.

Eine halbe Stunde, nachdem der Galeriewald durchquert war, stellte sich den Reisenden ein böses Hindernis entgegen: dschungelartig verwachsenes, baumhohes Mariankagras versperrte den Weg und es mußte durchschritten werden. Da galt es, sich durchzuwinden, zu bücken, die Halme zur Seite zu drücken und das Gesicht mit der Hand zu schützen, währenddem die geknickten, von allen Seiten einem entgegenstarrenden Rohre einem stets wieder schmerzhafte Stöße versetzten. Überdies ließ das reife Gras seine befiederten, höchst peinlich juckenden Samenstacheln herabregnen, sobald man es berührte.

Was da Kaschwalla auszustehen hatte, der überall anstreifte, wo selbst die Reitstiere sich durchwanden, ist nicht zu sagen!

Bald darauf wurde ein Papyrussumpf erreicht.

Die hohen mit ihren flaumigen Blüten gekrönten Stengel boten stets wieder einen genußreichen Anblick; doch wußten die Wanderer aus Erfahrung, daß ihnen ein beschwerliches Stück Weges bevorstand.

Von der Höhe gesehen, war eine Papyruslandschaft immer etwas ganz besonders Bezauberndes. Wenn so ein Tal von oft mehreren hundert Metern Breite nebst seinen Seitentälern von dem grünen Gewoge angefüllt war, so verweilte der Blick mit Entzücken auf dem reizvollen Meer, aus dem die Berge gleich Inseln emporragten.

Das Anziehendste an dem Bild war sein beständiger Wechsel und auch hierin glich es den Fluten des Mittelmeers, die nie langweilen, ob sie in glatter Ruhe den dunkelblauen Himmel widerspiegeln, ob sie im Morgenrot rosig erglühen, im Sonnengold flimmern oder im Silberschein des Mondes glitzern; ob sie grau, schwarz, braun, violett oder sonstwie gefärbt erscheinen oder die verschiedensten Farbenabstufungen gleichzeitig aufweisen; ob sie leicht gekräuselt, oder majestätisch bewegt sich zeigen; ob endlich gewaltige Wogen sich haushoch türmen und schaumgekrönt in wilder Pracht sich ans Ufer stürzen oder an den Felsen hinaufzischen und in weißem Sprühregen ihren Gischt zerstäuben.

So erschien auch das Papyrusmeer in immer neuer eigenartiger Schönheit, anders im Frühling als im Herbst oder Sommer, anders am Morgen als am Mittag oder Abend, je nach dem Einfallswinkel des Lichts oder der Sonnenstrahlen, verschieden gefärbt und beleuchtet. Bei trübem Wetter bot es einen wesentlich anderen Anblick als bei klarem Himmel, und je nachdem der Wind es bewegte und wellte, der Sturm es kräuselte und aufwogen ließ, erschien es wiederum ganz verschieden. Und wie großartig, wenn ein Orkan es durchfurchte und die klaffenden Spalten sich abwechselnd schlossen und wieder öffneten. Ja, nie konnte man sich sattsehen an diesem lieblichen oder erhabenen Anblick.

Stieg man aber hinab in dieses Meer, um es stundenlang mühsam zu durchbrechen, dann schwand gar bald die Begeisterung.

So ging es auch diesmal.

Der Sulu Parker und der starke Juku mußten mit dem Buschmesser voran einen Weg durch das Rohr bahnen.

Ihnen nach begab sich der ganze Zug ins Wasser.

So schön die Papyrusstauden in ihrem saftigen Grün und mit ihren fiebrigen Blüten auch waren, auf die Dauer wirkte der gleichmäßige Anblick der bis zu vier Meter hohen, armsdicken Stämme des fremdartig phantastischen Rohres mit seinen einen halben Meter breiten Blattrosetten doch langweilig; denn eine volle Stundelang währte der nasse Marsch, und nur einmal bot sich eine kleine Abwechslung in der Eintönigkeit des Bildes, die aber für die Nasen durchaus nicht angenehm war.

»O, Kaschwalla, dein Bruder ist tot!« rief der starke Juku auf einmal.

»Mein Bruder?« fragte Kaschwalla, der den Weißen voran, tapfer hinter den Bahnbrechern drein stapfte, um ihnen das Breitenmaß des zu bahnenden Weges anzugeben. »Wie willst du wissen, daß mein Bruder gestorben sei? Gesund verließ ich ihn in Sansibar.«

»Dort schwimmt seine Leiche!« erwiderte Juku mit wehmütiger Stimme: »Es muß dein Bruder sein, er hat ganz deine Gestalt und dein Antlitz, das ohne Hals auf dem Leibe thront.«

Dabei wies er auf ein verwesendes Flußpferd, das im Röhricht lag.

Ein wieherndes Gelächter stimmten die Schwarzen an, die in der Nähe waren, und gaben die Kunde von der Leiche des Bruders Baba Pombes den Nachfolgenden weiter, so daß sich das Lachen stets von neuem erhob, allemal wenn wieder eine Gruppe an die Stelle herankam und entdeckte, wer mit Kaschwallas Bruder gemeint war.

Endlich lichtete sich der Sumpf und erweiterte sich zu einer Lagune.

Hier galt es, zu eilen, denn gleich schwimmenden Baumstämmen sah man die Rücken mehrerer Krokodile auf dem Wasser treiben.

Die Riesenechsen schienen nicht abgeneigt, sich einen oder den andern Schwarzen zum Fraße zu holen.

Leusohn und Hendrik, die das Ufer erreicht hatten, gaben daher Schüsse auf sie ab.

Die Wirkung des ersten Schusses war eine überraschende: mit der Stille der Wasserwildnis war es mit einem Schlage zu Ende. Enten, Gänse, Pelikane, Reiher, Störche, Schnepfen und unzählige andere Arten von Sumpfvögeln erhoben sich in ganzen Wolken aus dem Röhricht mit einem ohrenbetäubenden Gepfeif, Geflöte, Geklapper und Gekreisch.

Einige der Schwarzen, die am Ufer standen, gaben inzwischen Schrotschüsse auf die Krokodile ab.

Durch einige verirrte Schrotkörner war ein Riesenreiher flügellahm geschossen worden und stand im seichten Wasser, als gerade Kaschwalla keuchend nahte, der längst nicht mehr beim Vortrab war, sondern die Nachhut bildete.

Kaschwalla gedachte den gelähmten Vogel zu packen und ans Ufer zu schleifen, um sich unsterblichen Jägerruhm zu erwerben, an dem es ihm bis jetzt fehlte.

Da kam er aber schlecht an. Der Reiher wehrte sich so heftig mit seinem spitzen Schnabel, daß Baba Pombe die Flucht ergriff, von dem Riesenvogel mit Schnabelhieben beständig verfolgt.

Das gab wieder ein großes Hallo und Gelächter der Zuschauer am Ufer.

Es sah aber auch gar zu köstlich aus, wie Kaschwallas schwabbelnde Fleischmasse in der höchsten ihr möglichen Eile durch das Wasser watschelte, sich duckend vor den Stößen des Reihers.

Nun stolperte der erschöpfte Flüchtling und strampelte hilflos in der seichten Flut, während sein grimmiger Feind ihm siegreich den Rücken bearbeitete.

Weder Leusohn noch Hendrik wagten es, auf den Vogel zu schießen, aus Furcht, den Schwarzen zu treffen, der immer wieder Anstrengungen machte, sich aufzurichten, ebenso oft aber wieder von dem wütenden Reiher mit einem wuchtigen Schnabelhieb niedergestreckt wurde.

Die Sache begann ernst zu werden und das Gelächter verstummte; aber keiner wagte es, dem dicken Genossen zu Hilfe zu kommen.

Da war es Kaschwallas getreues Weib Sangula, die dem Bedrohten als Retterin erschien.

Sie sprang ins Wasser und packte mit einem kühnen Griff den Reiher am Halse. Dann wandte sie rasch das Gesicht ab, so daß die Schnabelhiebe, die nun auf sie niederfielen, nur ihren Nacken trafen. Sie ließ aber den Hals des Vogels nicht los, so daß dieser bald nicht mehr imstande war sich zu wehren.

Inzwischen hatte sich Kaschwalla erhoben und war ans Ufer gekrochen.

Sangula aber brachte den halberstickten Reiher als ihre mutig erkämpfte Beute ans Land, wo ihr von allen Seiten Lobsprüche zuteil wurden, die sie mit merkwürdiger Bescheidenheit, aber nicht ohne Würde entgegennahm.

Kaschwalla dagegen wurde wieder das Ziel des Gespötts: »Wenn du Reiher fangen wollen,« sagte Hamissi, »du müssen hinter ihm herlaufen und nicht vor ihm drein, sonst er dich fangen.«

Und der starke Juku höhnte: »O, Baba Pombe, laß nur Sangula nicht von deiner Seite weichen, ohne ihren männlichen Schutz könnte dir noch Unheil zustoßen.«

»Was schmeckt jetzt besser,« fragte Hassan, »sage es uns, o Kaschwalla, denn du hast Erfahrung: Akaziendornen oder Bienenstiche, Ameisenbisse oder Schnabelhiebe?«

»O, Hassan,« erwiderte der Dicke gelassen, »man hat mir eine Geschichte von dir erzählt, daß du im Walde der Wambutti Honig gekostet habest, der sehr bitter geschmeckt haben soll; ich glaube, du hast noch größere Erfahrung als ich. Was aber den Reiher anbetrifft, so habe ich ihn im Vorbeigehen gebeten, mir die Blasen aufzustechen, die ich von den Ameisenbissen bekam. Er hat das sehr freundlich und gründlich besorgt, bis Sangula es für genug hielt und ihm Einhalt gebot, nachdem sie gesehen, daß kein Mann sich in die Nähe des Schnabeldoktors getraute.«

Diese Andeutung, daß keiner so viel Mut gezeigt habe, wie das Weib, ließ die Spötter beschämt verstummen.

In der Steppe, die sich an den Papyrussumpf anschloß, zeigten sich zahlreiche Antilopen, und Hendrik eilte der Karawane voraus, um womöglich den Weißen einen saftigen Braten zum Nachtimbiß zu schießen.

Es gelang ihm, sich unbemerkt an eine Gruppe äsender Gnus anzuschleichen. Diese Tiere waren braun mit schwarzer und weißer Mähne, einem Pferdeschweif und Hörnern, die erst nach auswärts und dann nach oben gebogen sind.

Auf den ersten Schuß erlegte der junge Bure eines der Tiere; sämtliche Antilopen nah und fern jagten in wilder Flucht davon, als der scharfe Knall ertönte.

Eine zweite Kugel, die Hendrik den flüchtigen Gnus nachsandte, traf eines derselben in den linken Hinterschenkel, worauf es auch nach einigen Sprüngen zusammenbrach.

Als Hendrik dem verwundeten Tiere nahte, richtete es sich plötzlich drohend auf, und nur ein rascher Seitensprung rettete ihn vor dem Stoß der scharfen Hörner.

Er mußte noch einen Schuß auf das Tier abgeben, um es zur Strecke zu bringen.

Der glückliche Jäger kehrte zur Karawane zurück und Leusohn begleitete ihn mit Juku zur Stelle, wo die Antilopen einige hundert Schritt voneinander entfernt lagen. Die Reitstiere waren mitgenommen worden und das Wild wurde ihnen aufgeladen und festgebunden.

Die Karawane hatte heute einen tüchtigen Marsch geleistet, doch wanderte man noch in die Nacht hinein, um einen fernen Akazienwald zu erreichen, da es dieser Grassteppe an Brennholz fehlte.

Durch das Kauen von Kolanüssen erhielten die Träger sich aufrecht, während sie im Halbschlaf weiterwandelten. Verstummt war ihr Gesang und Scherz, sie sehnten sich nach Rast und vor allem nach einem kräftigen Abendessen.

Kein Auge hatten sie für das prachtvolle Schauspiel des Abends, da die Berge von Ruanda in leuchtendem Dunkelrosa aufflammten und ein Alpenglühen sie überblühte, wie es sich entzückender nicht denken ließ, während die fernen Gebirgszüge in magisches Dunkelviolett sich tauchten.

Dicht über dem Gebirgskamm strahlte ein Stern auf, nachdem die wunderbaren Farben erblaßt waren. So groß erschien er dem geblendeten Auge, daß man ihn für ein Meteor hätte halten mögen. Er funkelte wie ein Fixstern, ja auf Augenblicke verschwand er ganz, wie das Blinkfeuer eines Leuchtturms. Das Merkwürdigste aber war, daß er einigemal wie mit einem Ruck seinen Platz wechselte.

»Diese unerhörte Erscheinung,« sagte Schulze, »wird sich dadurch erklären, daß die stark erhitzten Luftschichten auf den Gebirgswänden in zitternder Bewegung sind und je nachdem das Licht des Planeten weniger oder stärker brechen.«

Dem mochte so sein; denn als der Stern höher stieg, schien er an Größe abzunehmen und sein Licht wurde stetig; mit der stolzen Ruhe eines Planeten schwamm er im dunklen Tropenhimmel, der bald von unzähligen Gestirnen flimmerte.

Als der Wald erreicht war, hieben die Schwarzen Bäume und Büsche am Waldrand ab. In den dunklen Busch hätte sich keiner getraut, weniger aus Furcht vor den wilden Tieren als vor den Dornen, die in der Nacht einen solchen Wald unzugänglich machen, es sei denn, daß man sich mit Fackeln versehe.

Zunächst wurde, wie gewöhnlich, ein Dornenverhau um den Lagerplatz errichtet, da viele der gefährlichsten Raubtiers Afrikas zu frech sind, um sich durch Feuer allein von nächtlichem Eindringen ins Lager abhalten zu lassen.

Sannah übernahm in Abwesenheit des Lords das Lesen aus der Bibel bei der Abendandacht; denn von diesem erhebenden Abschluß des Tagewerks wollten die Weißen nicht mehr lassen.

Hendrik wurde in dieser Nacht in seinem Zelte von Wanderameisen überfallen und verfiel auf den Gedanken, sie dadurch von sich abzuhalten, daß er an verschiedenen Stellen, namentlich auch vor dem Zelte, Überreste von Lebensmitteln hinlegte.

Er erreichte auch vollkommen seinen Zweck, denn mit den Lockspeisen beschäftigt, behelligten ihn die Quälgeister nicht weiter.

Wie schon so oft lauschten die Europäer vor dem Einschlafen noch auf das unheimliche Konzert, das aus Wald und Steppe rings um sie her ertönte: Da erscholl das widerliche Lachen und klagende Geheul der Hyäne und das helle Gekläff des Schakals. Die Nachtaffen und die Nashornvögel verübten auf den Bäumen einen greulichen Spektakel. Dumpf grunzend brachen die Wildschweine durch krachendes Gestrüpp.

Dazwischen erscholl das heisere und unheimliche Stöhnen oder Bellen des Leopards mit seinen kurzen Stößen.

Dann und wann kreischten auch Meerkatzen von den Bäumen herab.

Am grauenerregendsten klang der donnergrollende Baß des jagenden Löwen, der freilich stets in der Ferne blieb, während die dreisten Hyänen und Schakale sich dem Lager ungescheut näherten und ein wahrhaft höllisches Konzert aufführten.


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