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Am Lagerplatz angelangt, war der Doktor wieder so weit, daß er Schulze und Johann ihre Wunden auswaschen und kunstgerecht verbinden konnte; dann begaben sich alle drei durch die Höhle an den Strand, um zu erfahren, was Flitmore von ihnen wünschte.
Dieser hatte Hendrik inzwischen aufgefunden, der sich mit Fischfang beschäftigt hatte. Der Lord erschrak beim Anblick der Wundverbände des Professors und Johns; doch keine Muskel seines Gesichts verriet seine Besorgnis, als er sich nach dem Befinden der Patienten erkundigte.
»Nun,« sagte er, als ihm befriedigende Auskunft geworden war, »ich sehe mit Vergnügen, daß Sie reisefähig sind; nach dem Mahl müssen wir sofort aufbrechen!«
»Wie? – Wohin? – Warum?« fragten Schulze, Leusohn und Hendrik bestürzt; denn Flitmore hatte auch letzterem noch nichts gesagt.
»Wohin? Nach unserem vorläufigen Reiseziel, dem Djebel el Gumr. Warum? Weil es eilt und von unserer rechtzeitigen Ankunft viel, sehr viel abhängen kann. Das möge Ihnen für jetzt genügen.«
Mehr konnte niemand aus dem Lord herausbringen, und von Johann erfuhren die Neugierigen hernach nur, daß er eine Taube geschossen habe, daß sein Herr dadurch in eine Aufregung geraten sei, die auf einen ganz außerordentlichen Anlaß schließen lassen mußte, weil er auch in den Augenblicken höchster Gefahr sonst niemals so sehr die Herrschaft über seine Ruhe verloren habe.
Ganz unvermittelt habe ihn hierauf Lord Flitmore ausgesandt, die Herren zu suchen, während er selber auf den See hinausgesegelt sei, Hendrik zu holen.
Mit der Taube mußte irgend ein unerklärliches Geheimnis verbunden sein, und oft streifte in der Folge ein neugieriger Blick unserer Freunde das Federkleid des rätselhaften Vogels, das Lord Flitmore, nachdem er den Balg an der Tropensonne getrocknet hatte, fortan stets am Gürtel trug. Die Taube jedoch verriet ihr Geheimnis nicht.
Nachmittags stachen die Segelboote in See; es herrschte aber völlige Windstille, so daß die Schwarzen angestrengt rudern mußten. Segeln wäre ihnen bei weitem lieber gewesen; darum pfiffen sie auf Tod und Leben, um den Windgeist zu reizen, ebenfalls zu pfeifen. Als sich dann wirklich ein leichter Wind erhob und die Segel blähte, freuten sie sich des Erfolges ihrer Bemühungen und legten sich schlafen, bis auf diejenigen, die Segel und Steuer zu bedienen hatten. Gegen Abend bewirkte der auffrischende Wind hohen Wellengang; da warfen die Neger Glasperlen und Zeugfetzen ins Wasser, um den Seegeist milder zu stimmen; dieser ließ sich jedoch nicht bestechen.
Glücklicherweise war das Südende des Sees, Kabunda zu, erreicht, und es konnte gelandet werden, gerade noch zu rechter Zeit, denn in der Nacht erhob sich ein derartiger Orkan, daß die Schiffe gewiß untergegangen wären, wenn sie sich auf dem heimtückischen Gewässer befunden hätten.
Als Schulze und Leusohn in ihrem Zelte waren, bemerkte der Doktor: »Professor, es war doch eine schlimme Begegnung mit dem Soko gestern. Ich meinesteils verzichte darauf, mich mit solch wilden Vettern wieder einzulassen.«
»Ganz mein Fall,« lachte Schulze; »da sind mir die wildesten Neger, etwa die Watongwe, immer noch lieber.«
»Wenn wir bei Professor Garner Unterricht in der Affensprache genommen hätten, wäre es uns vielleicht möglich gewesen, uns mit dem Untier zu verständigen,« fuhr Leusohn, ebenfalls lachend, fort. »Wer weiß, er wäre uns dann vielleicht anständiger entgegengekommen.«
»Wohl möglich! Doch was halten Sie von Garners berühmter Entdeckung?«
»Was ich davon halte? Nun, ich glaube, es steckt etwas dahinter: alle Tiere besitzen gewisse Laute, um sich miteinander über das Wesentlichste zu verständigen.«
»Das ist es ja eben!« sagte der Professor. »Es ist mir rein unbegreiflich, wie Garners sogenannte Entdeckung überhaupt Aufsehen erregen und blöde Geister in Verwunderung setzen konnte; er hat ja nichts weiter entdeckt, als was alle Welt seit Jahrtausenden wußte.«
»Nun!« warf Leusohn ein. »Er konnte doch bestimmte Laute feststellen, durch welche die Affen ihre Freude oder aber ihre Angst bezeugen. Ja, er lernte diese Laute nachahmen und brachte damit die gleiche Wirkung bei den Affen hervor, wie er sie zuvor beobachtet hatte.«
»Gut! Und was weiter? Kennen wir nicht auch bei anderen Tieren Lock- und Warnungsrufe? Können nicht Jäger und Naturkinder diese Laute geschickt nachahmen und die betreffenden Tiere dadurch täuschen? Ich selber habe einmal einen Kuckuck durch täuschende Nachahmung seines Lockrufs so völlig betrogen, daß er mir nicht nur jedesmal antwortete, sondern auch immer näher kam.«
»Es ist wahr,« gab der Doktor zu. »Im Grunde handelt es sich um altbekannte Tatsachen; aber sind das nicht schon Ansätze zu einer richtigen Sprache?«
»Nein, mein Lieber! Wer sich durch Garner auf den Leim locken läßt, der übersieht das Wesentliche; sehen Sie, die Hühner in Europa, Afrika, Asien und Amerika, kurz, wo Sie wollen, haben alle die gleiche Sprache; genau so etwa die Schimpansen. Die Sprache des Pavians ist schon eine andere als die des Gorillas, und niemals wird der eine des anderen Sprache lernen, geschweige denn, daß ein Affe etwa lernen könnte, sich mit dem Rindvieh zu verständigen.
»Da gibt es keine Mundarten, keine geographischen Unterschiede. Durch die Jahrtausende behält jede Art ihre Sprache, und versetzen Sie eine Gluckhenne von Berlin nach Udschidschi, so wird sie ohne Schwierigkeit die afrikanischen Hähne verstehen.
»Von der menschlichen Sprache sagt nun zum Beispiel Stuhlmann: ›Die Sprache allein beweist nichts für die Zusammengehörigkeit von Völkern, sie kann wie ein Anzug an- und abgelegt werden.‹ Bei den Tieren aber beweist die Sprache mit ihren engbegrenzten Lauten, die sich im wesentlichen bei allen Arten auf ein paar Begriffe beschränken, als Lock- und Warnungsrufe, Freudenschreie und Äußerungen der Wut, Kampflust, Furcht oder Herausforderung, Schmerzensrufe und Zärtlichkeitsbezeugungen, also, bei den Tieren, sage ich, beweist die Gleichheit der Sprachlaute auch die Gleichheit der Art. Merken Sie nun etwas?«
»Ja!« gab Leusohn zu. »Es wird mir deutlich, daß eben die Sprache der Tiere von der menschlichen Sprache nicht nur dem Umfang nach, sondern ganz wesentlich verschieden ist.«
»Gut gebrüllt, Löwe – oder Löwensohn! Eine Sprache im Sinne der menschlichen Sprache sind die paar Verständigungslaute der Tiere niemals, wenn sie ihnen auch in beschränktem Maße die gleichen Dienste leisten; die menschliche Sprache ist geographisch bestimmt und angelernt, die sogenannte Tiersprache ist durch die Rasse bestimmt und angeboren, so daß die Tiere, auch wenn sie fern von ihresgleichen von Menschen aufgezogen werden, ihre Naturlaute gebrauchen, ohne sie je von anderen gehört zu haben. Gewiß lernen sie, ihnen fremde Laute zu verstehen, wenigstens in beschränkten Grenzen; begreift doch ein Haustier manchen Zuruf in der menschlichen Sprache. Aber eine fremde Sprache reden zu lernen, bleibt ihnen versagt, abgesehen von dem verständnislosen Nachsprechen des Papageis und einiger anderer Vögel. Somit jagt der ehrenwerte Herr Garner einem Hirngespinst nach aus Mangel an klarem Denken, und nur wer ebenso urteilslos ist, wird sich von ihm verblüffen lassen.«
»Ich denke jetzt klar!« lachte Leusohn, die nicht so bös gemeinte Spitze humorvoll auffassend.