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Es galt nun, Abschied zu nehmen von dem reizendsten aller afrikanischen Seen.
Noch einmal standen unsre Freunde am Ufer und ließen ihre Blicke schweifen über die Wasserfläche, die sich hier von der Insel Kwidschwi begrenzt zeigte.
Der Kiwusee ist arm an Vögeln; am anziehendsten waren die ausfallenden, schneeweißen Gestalten der Silberreiher, die am Ufer einherstolzierten; Möwen und Kormorane flogen über das Wasser und auch vereinzelte Nilgänse und Enten waren zu schauen.
»Fissimaja, Bwana, – Herr, eine Fischotter!« rief Hamissi und wies in den See.
Hendrik zielte und hatte das Glück, den Fischräuber zu treffen, der im Kiwu häufig vorkommt.
Das war seine letzte Beute vom Seegestade; die Reise ging nun weiter nach Süden, dem Tanganjika zu.
Vorerst wanderte man am Russissi dahin, der ebenfalls südwärts strebte.
Flitmore machte jedoch den Professor darauf aufmerksam, daß die ganze geologische Bildung darauf hinwies, daß vielleicht vor nicht gar zu langer Zeit der Fluß von Süden nach Norden fließen mochte und so einen Abfluß des Tanganjika in den Kiwu gebildet hätte, als dieser noch in den Albert-Edward-See abfloß, dann wäre der Russissi ein Teil des Oberlaufes des Nilstromes gewesen.
Schulze und Leusohn mußten sogar dem Lord zugeben, daß ein Steigen des Tanganjika noch heute seinen Abfluß nach dem Kiwusee eröffnen könnte, und daß die eigentlichen Nilquellen dann in einem Zufluß zum Tanganjika zu suchen seien.
»Allerdings, eine ganz unerhörte geographische Seltsamkeit!« erklärte Schulze; »denn dann wäre der Quellfluß des Nils gleichzeitig der Quellfluß des Kongo, da der Tanganjika auch an diesen durch den Lukuga zeitweilig Wasser abgibt.«
»Und doch entspricht gerade dieses geographische Wunder den Angaben der alten Karten Afrikas,« fügte Flitmore hinzu. »Die Zweifelsucht neuzeitlicher Kartenzeichner erst hielt diese Eintragungen für Schwindel und merzte sie aus den Karten aus.«
In der Ebene südlich vom Kiwusee schien sich die Tier und Pflanzenwelt von Ost- und Westafrika zu vereinigen. So erblickte man unter den zahlreichen Büffelherden solche des schwarzen Büffels des Ostens und solche des kleineren roten westafrikanischen Büffels.
Leusohn und Hendrik brachten es nicht übers Herz, an all dem vielen Wilde ungejagt vorüber zu gehen und beschlossen, eine Büffeljagd zu unternehmen.
»Lassen Sie die Büffel in Ruhe,« warnte Schulze, »und sind Sie froh, wenn die Büffel Sie in Ruhe lassen. Der Büffel gehört zum stärksten Wilde Afrikas und bleibt oft Sieger im Kampfe mit dem Löwen. Greift er die Menschen auch nicht aus Raublust oder Händelsucht an, wie der Leopard, da er kein Fleischfresser ist, so ist er doch, angegriffen und gereizt, ein kampflustiger und furchtbarer Gegner, gleich dem Elefanten.
»Die Afrikareisenden Russell und Harnier und so mancher andre, haben ihr Leben unter den Hörnern eines Büffels ausgehaucht.«
Leusohn lachte: »Professor!« sagte er, »Sie sind geradezu köstlich! In Ihrem gelehrten Eifer, Belehrungen zu erteilen, vergessen Sie ganz, daß wir schon am Semliki Gelegenheit hatten, die Büffel gründlich kennen zu lernen.«
»Stimmt!« brummte Schulze. »Wenn Sie aber trotz solcher Erfahrungen in Ihr Verderben rennen wollen, ist es meine Pflicht, Sie zu warnen.«
Als jedoch gegen Abend Hendrik und Leusohn, vom starken Juku begleitet, in der Nähe des Flußufers einem Büffel aufzulauern gingen, erklärte der Professor, der kein Hasenfuß war und selber gerne jagte: »Allein kann ich Sie unmöglich auf diese lebensgefährliche Jagd ausziehen lassen: ich habe mich in Südamerika zum Wildtöter ausgebildet und werde Ihnen mit meiner niefehlenden Büchse beistehen.«
So schritten denn die drei Weißen mit dem Schwarzen der gewöhnlichen Tränkstelle des Wildes zu, die durch zahlreiche Fährten gekennzeichnet war; dort verbargen sie sich hinter hohen Termitenbauten und warteten auf ihr Opfer.
Antilopen und kleineres Wild, das sich zuerst an der Tränke einfand, blieb unbelästigt, damit nicht durch einen Schuß das größere Wild gewarnt würde.
Plötzlich aber gerieten die friedlich ihren Durst löschenden Tiere in Aufruhr und jagten davon. Die Jäger sahen einander erstaunt an: hatten die Antilopen Witterung von ihnen bekommen? Aber sie lagen in der Windrichtung.
Alles schien still und der Mond übersilberte die ausgedehnte Ebene.
»Der Löwe!« rief Juku. Sein scharfes Ohr hatte fernes Löwengebrüll vernommen.
Offenbar besaßen die Antilopen ein noch feineres Gehör als der Schwarze und hatten die Gefahr vor ihm bemerkt.
Nun vernahmen auch die Weißen die rauhen Töne, die stets einen gelinden Schauder erwecken. Sie wurden immer lauter und deutlicher, und zwar so rasch, daß es zweifellos war, der König der Steppe verfolgte ein flüchtiges Wild.
Schon hörte man ein donnerndes Stampfen und bald darauf erschien ein schwarzer Koloß in rasender Eile, aber ehe er noch das Flußufer erreicht hatte, saß ihm der Löwe im Nacken.
Der Büffel strauchelte, raffte sich aber alsbald wieder auf, da traf eine Kugel aus Hendriks Büchse den Löwen, der mit wütendem Gefauch von seinem Opfer abließ und mit wilden Sätzen auf die Termitenhügel zusetzte.
Leusohn und Schulze drückten gleichzeitig auf den Feind ab. Ersterer traf ihn in den Hals, während die Kugel aus des Professors niefehlender Büchse den Büffel in die Schwanzgegend traf.
Er behauptete zwar hernach, er habe auf den Bullen gezielt; doch fand dies wenig Glauben; denn wer wird auf ein entferntes Wild anlegen, wenn ein Löwe in nächster Nähe auf ihn einstürmt?
Der Löwe hatte genug: schon Hendriks Kugel hatte ihn tödlich getroffen, wie sich später erwies.
Der Büffel jedoch, statt sich bei seinen Lebensrettern höflich zu bedanken, raste nun seinerseits auf die verdächtigen Termitenbauten zu.
Allein auch er wurde getroffen, daß er niedersank, und Juku sprang trotz Hendriks Zuruf hinzu, um ihm mit dem Messer den Todesstoß zu versetzen.
Der Bulle kam aber noch einmal hoch und beugte den massigen Kopf, um den Neger auf seine furchtbaren Hörner zu spießen und in die Luft zu schleudern.
Ein Schuß war unmöglich, denn Jukus Leib deckte den Büffel: der Schwarze schien verloren.
Aber schon hatte er das Messer fortgeworfen und packte den Büffel bei den Hörnern, die er so fest hielt, daß der Bulle mit seinen gewaltigen Kopfstößen ihn nicht abzuschütteln vermochte, obgleich er ihn derart hin und her schleuderte, daß der Ausgang nicht zweifelhaft sein konnte.
Die Jäger waren inzwischen herbeigeeilt und nahmen den Büffel nun von der Seite. Schulze war so vernünftig, seine niefehlende Büchse in Ruhe zu lassen, da er unfehlbar Juku getroffen hätte, der einmal dahin, einmal dorthin flog.
Hendrik und Leusohn dagegen gelang es, den richtigen Augenblick zu benutzen, um zwei Schüsse abzugeben, die dem rasenden Tiere das Lebenslicht ausbliesen.
Auf die ersten Schüsse waren mehrere Neger aus dem Lager herbeigeeilt, die sich aber während des Kampfes in ehrerbietiger Entfernung hielten.
Nur Kaschwalla, der infolge eines tüchtigen Pombetrunkes voller Löwenmut war, stieß dem zusammenbrechenden Bullen seine Lanze in die Seite und rühmte sich hernach, Jukus Leben gerettet zu haben.
Ins Lager zurückgekehrt erzählte Kaschwalla: »O, Mutter! Hättet ihr doch alle den starken Juku gesehen! Das ist ein Tänzer, so habe ich noch keinen erblickt! Einmal flog er mit beiden Füßen nach rechts, dann wieder nach links, meistens aber waren seine Beine hoch in der Luft und der Kopf unten. Und das ging so schnell, daß sie überall zugleich zu sein schienen und nie den Boden berührten. Und der Büffel! Der drehte sich im Kreise umher und schwang den Kopf auf und ab, rechts und links: er war auch ein geübter Tänzer.
»Allein ich fürchtete, er möchte den armen Juku zu Tode tanzen und gab ihm mit meiner Lanze das Zeichen, einzuhalten. O, starker Juku, führe doch noch einmal diesen herrlichen Büffeltanz aus, daß die andern es auch sehen.«
»Wenn du mir einen Büffel holst, Baba Pombe,« sagte Juku trocken.
Kaschwalla war, wie gesagt, stark angeheitert und in der Stimmung, alles zu wagen.
»Gleich werde ich dir einen holen!« antwortete er und entfernte sich.
Die Neger lachten, denn sie glaubten natürlich, er scherze. Aber zwei Stunden vergingen und Kaschwalla kehrte nicht wieder.
Inzwischen war der erlegte Bulle ins Lager geschafft worden und der saftige Büffelbraten bereits gar.
Die Fleischstücke wurden auch unter die Neger verteilt; aber einige treue Seelen wollten nichts davon genießen, ehe sie über Kaschwallas Schicksal beruhigt waren, und beschlossen, mit Sangula, die jetzt erst von der Sache erfuhr, nach dem tollkühnen Dicken zu forschen.
Aber sieh! Da erschien dieser und schleppte ein Büffelkalb mit großer Anstrengung daher.
Ein wahrer Tumult brach aus. Rufe der Verwunderung und Bewunderung erschollen im Lager; solch eine Heldentat war ja ganz unerhört, und vollends von Kaschwalla – wer hätte das gedacht!
»Ich habe des Löwen Herz verzehrt,« erklärte Baba Pombe stolz, »jetzt habe ich den Mut und die Kraft des Löwen.«
Daran zweifelten die Schwarzen nicht, denn es herrscht bei ihnen allgemein der Glaube, daß die guten Eigenschaften eines Tieres auf denjenigen übergehen, der sein Herz verzehrt. Das gleiche glauben auch die Kannibalen, wenn sie Menschenfleisch genießen.
Nun erklärte es sich auch, warum der Löwe, als die Weißen ihn holen ließen, kunstgerecht geöffnet war: Kaschwalla hatte zunächst dem toten Raubtier das Herz herausgeschnitten, hatte es roh verspeist und war nun von dem eigenen Mute so felsenfest überzeugt, daß er tatsächlich mit unglaublicher Kaltblütigkeit und Furchtlosigkeit seinen tollkühnen Plan ausführte.
Zunächst durchwatete er den Fluß und schlich sich nach einer weiter abwärts gelegenen Tränkstelle des Wildes, da nicht zu erwarten war, daß der Schauplatz des letzten Kampfes heute Nacht noch besucht werde.
Nebst zahlreichen Antilopen erblickte er dort auch eine Büffelkuh und ein Büffelkalb. Letzteres entfernte sich mit seinen tollen Sprüngen öfters von der Mutter und kam bald auch zu der Stelle, wo sich Kaschwalla im hohen Grase verborgen hielt.
Blitzschnell sprang der Neger auf, trotz seiner Leibesfülle.
Eine so rasche Bewegung hatte er seit seinen schlanken Jünglingsjahren sich nicht mehr geleistet; aber es galt!
Ebenso schnell drückte er dem überrumpelten Tier Nüstern und Kehle zu, daß es keinen Laut von sich geben konnte und bald betäubt war. Während der Büffel schon anfing nach dem verschwundenen Kalb zu suchen, lud sich Kaschwalla dasselbe auf und schlich lautlos davon. Sowie er merkte, daß das Tier einen Laut von sich geben wollte, hielt er wieder an, um ihm die Luft abzuschneiden. Erst in der Nähe des Lagers ließ er es wieder ganz zur Besinnung kommen.
Da Juku erklärte, er tanze nur mit ausgewachsenen Büffeln und nicht mit einem elenden Kalb, wurde Kaschwallas Beute sogleich geschlachtet und zerlegt, und obgleich es darüber spät wurde, auch noch gebraten und verzehrt.
Die Neger wachen gern in die späte Nacht hinein, und die Tat des Kaschwalla Löwenherz mußte gefeiert werden, was durch Verzehren der Jagdbeute am besten geschah. Das Büffelfleisch ist zwar derber als Rindfleisch, liefert aber nicht minder wohlschmeckende und saftige Braten.
Unterdessen stritten sich Hendrik und Leusohn um das Fell des Löwen. Jeder sprach es nämlich dem andern zu, als demjenigen, der den tödlichen Schuß abgegeben habe.
»Wissen Sie was?« erklärte schließlich der Doktor: »Wir verehren es gemeinschaftlich Fräulein Sannah, dann hat der Streit ein Ende.«
Hendrik hätte es zwar lieber Fräulein Helene geschenkt, da er jedoch immer Leusohn das Verfügungsrecht zugesprochen hatte, nahm er den Vorschlag an, und Sannah erhielt das prächtige Fell, das fortan ihr Stolz und ihre Freude war.