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9. Der verlorene Burentreck.

Andern Tags ging die Reise zunächst nach Westen durch Wälder, denen mannshohe Adlerfarne einen prächtigen Schmuck verliehen.

Leider zeigte der Wald Spuren sinnloser Verwüstung; altersgraue Waldgreise fühlen sich bemüßigt, das bißchen Wald Ruandas vollends niederzubrennen, den Boden umzugraben und Erbsen zu pflanzen, worauf sie weiterziehen und die gleiche Verheerung an anderer Stelle fortsetzen, während die alten Erbsenfelder zwischen den verkohlten Baumstämmen von Farnkraut überwuchert werden. Diese unsinnig hausenden Waldgreise und Waldverwüster sind eine Geißel für das baumarme Land Ruanda.

Wo noch Wald stand, zeigten sich häufig schöne Ölbäume, namentlich Olea Hochstetteri. Diese Bäume stehen soweit auseinander, daß ihre Kronen einander nur selten berühren, daher die Bestände nicht mehr den Eindruck eines Waldes machen.

Von besonders interessanten Bäumen ließ sich Schulze durch Hendrik blühende Äste zur Bereicherung seiner botanischen Sammlung herabschießen. Anders war ihnen nicht beizukommen; mit zwei bis drei Kugeln aber holte der ausgezeichnete Schütze die Blütenbüschel mit größter Sicherheit herab.

Bald war der Oberlauf des Niawarongo erreicht. Dieser Quellfluß des Kagera floß hier nordwärts, um später in großem Bogen sich nach Südosten zu wenden.

Schulze drängte nun voran; es sollte in nördlicher Richtung marschiert werden, um so auf kürzestem Wege die Virungavulkane zu erreichen.

Obgleich Flitmore versichert hatte, er werde sich zu helfen wissen, so fürchteten unsere Freunde doch, der Mangel an Nahrungsmitteln möchte ihm und seiner kleinen Karawane verhängnisvoll geworden sein. Wenn sie nur noch zur rechten Zeit kamen, um ihn aus der Not zu retten! Hatten sie doch nunmehr Nahrungsmittel in Hülle und Fülle, namentlich eine großartige Ziegenherde, die sie der Freigebigkeit des großen Mami verdankten.

Sehr zustatten kam es der Karawane für die Beschleunigung ihres Marsches, daß sie nun aus dem Wald und von den Bergen herab in die freie Ebene kam.

Das Gebiet, das man jetzt durchwanderte, stand nicht mehr unter der strengsten Botmäßigkeit Msingas, obgleich es eigentlich noch zu Ruanda gehörte.

Uledi, der kleine Ziegenhirt, war stolz auf die große Herde, die er nun wieder unter sich hatte. Schulze dagegen hatte Böses im Sinne; er wollte die Lebensmittelvorräte möglichst sparen für den Fall der Not, denn das Land hier war wildarm und wenig angebaut. Er wollte sich daher vorzugsweise an Ziegenfleisch halten und wandte sich an Uledi mit den Worten: »Ich muß einige schöne, fette Ziegen auswählen, daß wir sie schlachten können. Laß einmal sehen! Die da, und die da fange einmal ein,« und er wies auf zwei stattliche Ziegen.

»Nichts da!« erwiderte der kleine Ziegenhirt unerschrocken. »Bwana, meine schönsten und kräftigsten Tiere lasse ich nicht schlachten; die geben die beste und reichlichste Milch.«

»Was!« rief Schulze, indem er eine drohende Miene aufsetzte, »du wagst, dich meinen Befehlen zu widersetzen? Bin ich nicht Herr der Karawane?«

»Ja, Bwana!« gab Uledi unentwegt zurück. »Aber der Häuptling der Ziegen bin ich. Ich kenne meine Tiere und werde selber auswählen, welche ich zum Schlachten opfern darf. Da sind einige fette, die wenig Milch geben und kaum mehr weitermarschieren können, von diesen will ich herausgeben, so viel ihr braucht, und so werde ich es auch fernerhin halten; was nicht mitkommt und mehr Fleisch als Milch gibt, wird geschlachtet, sonst kann ich zuletzt eine lahme Ziegenherde treiben, die keinen Wert hat.«

Schulze wunderte sich über die Klugheit und Festigkeit des kleinen Mannes, und da er ihm recht geben mußte, ließ er ihn fernerhin schalten und walten zum großen Vorteil der Verpflegung der Leute mit Milch und Fleisch.

Das vielgebrauchte Salz, das auch für die Unterhaltung der Ziegen wichtig war, wurde durch Auslaugen von Pflanzenasche gewonnen. Anderes Salz als Aschensalz gab es hierzulande nicht.

Bald sollte die Karawane merken, daß sie sich nicht mehr unter den friedliebenden Riesen von Ruanda befand, denn sie betrat das Gebiet eines räuberischen Negerstamms, der sich ihnen feindlich entgegenstellte.

Einige dieser frechen Leute kamen abends unter Speerschwingen und Drohungen ins Lager und stellten ganz unverschämte Forderungen: sämtliche Rinder und Ziegen, sowie die Hühner, dazu Perlen, Messingdraht und Zeuge sollten ihnen als Hongo für ihren mächtigen Häuptling ausgeliefert werden.

Mit solchem Ansinnen drangen sie in Schulzes Zelt, in dem sich auch Hendrik befand.

Letzterer entfernte sich und ließ einen Ballen öffnen, in dem, wie er wußte, sich einige Spieldosen befanden.

Unbemerkt stellte er drei der kleinen Instrumente in das Zelt des Professors und zog sie auf.

Schulze konnte sich der zudringlichen Neger, die sein Leben bedrohten, kaum mehr erwehren, als plötzlich die zarte Musik ertönte, erst an einer, dann an einer zweiten, endlich an einer dritten Stelle.

Verwundert schauten sich die Schwarzen um. Sie entdeckten wohl die kleinen Kästchen, aus denen die Töne kamen, aber wie konnten da drinnen Menschen stecken, die Musik machten?

Sie konnten sich nichts anderes denken, als daß da Geister hineingebannt seien, und fürchteten, der weiße Häuptling, der ein ganz gewaltiger Zauberer sein mußte, möchte den unheimlichen Spuk auf sie loslassen.

So verließen sie, vor Furcht zitternd, ganz kleinlaut das Zelt und das Lager, während Schulze sich halb krank lachte, daß der Spieldosenzauber die beute- und blutgierigen Feinde so rasch zu vertreiben vermochte.

»Das haben Sie gut gegeben, Hendrik,« sagte er. »An so etwas hätte ich gar nicht gedacht. Ja, Sie wissen es, wie man Wilde zähmt, das ist Ihnen ja schon bei der gefürchteten Zauberin von Ruanda so trefflich gelungen.«

Hendrik bat sich nun einiges Feuerwerk aus, da noch viele Feuerwerkskörper in den Lasten waren. Er fürchtete, die gierigen Räuber würden im Schutze der Nacht einen Angriff auf das Lager machen, und die Ereignisse gaben ihm recht.

Die Schwarzen kennen das lautlose, listige Anschleichen der Indianer im allgemeinen nicht: bei ihnen wird alles mit größtem Spektakel unternommen; sei es, daß sie durch möglichst großen Lärm die Feinde einzuschüchtern hoffen, sei es, daß das laute Wesen eben in ihrer Natur liegt, die sie nicht zu bändigen vermögen.

So kündete denn auch nach Einbruch der Dunkelheit ein vielstimmiges Gebrüll den bevorstehenden Angriff der Feinde an.

Nun entzündete Hendrik eine Anzahl Frösche und Schwärmer.

Als die Angreifer diese feurigen Teufel mit fürchterlichem Knallen auf sich zuspringen und zuzischen sahen, ergriffen sie sofort die Flucht unter schrecklichem Angstgeheul.

Als nun noch eine feuerspeiende Riesenschlange folgte, eine funkensprühende Rakete nämlich, die der junge Bure den Flüchtigen nachsandte und die das dürre Grasdach der nächsten Hütte in Brand setzte, da hatten die Wilden von dem höllischen Zauber der Weißen genug, und wagten sich nicht mehr aus ihrem Dorfe, bis die Karawane abgezogen war.

Die Steppe, die man nun durchwanderte, war von zahlreichen Elefanten belebt, doch kam es zu keinem Zusammentreffen mit den gewaltigen Dickhäutern.

Zwei Tage darauf hatten unsre Freunde einen Anblick, der nach all dem Überraschenden, das sie erlebt und geschaut hatten, ihnen doch das Wunderbarste schien, was ihnen bis jetzt vorgekommen war.

Von der Höhe eines Grashügels herab sahen sie auf eine ausgedehnte Stadt.

Diese bestand aber nicht aus den bekannten Negerhütten, sondern aus einstöckigen Häusern nach der Art, wie sie europäische Ansiedler in Afrika zu bauen pflegen.

Freilich waren es keine Steinbauten, sondern teils Blockhäuser, teils Lehmhäuser, aber große und freundliche Gebäude mit zahlreichen Fensteröffnungen und mit Veranden.

Jedes Haus stand in einem wohlgepflegten, sauber eingezäunten Garten, und breite Straßen zogen sich dazwischen hin und erstreckten sich weit hinaus in die üppigen Felder und Pflanzungen.

Rebhühner und Wachteln belebten die Felder; richtige Ölbäume bildeten lichte Wälder; Opuntien, Kaktus und prächtige Aloes säumten die Pfade; Quitten, Aprikosen, Pfirsiche und Johannisbrotbäume erinnerten an europäische Ansiedelungen; blühende Oleanderbäume verbreiteten weithin einen süßen, durchdringenden Wohlgeruch.

Niemals hätte sich Schulze oder einer seiner Begleiter träumen lassen, in diesen abgelegenen Wildnissen auf einen so üppigen Kulturgarten zu stoßen, und nun gar auf eine Stadt, nach der man durchaus auf eine zivilisierte Bevölkerung schließen mußte!

»Das ist ja eine Burenstadt!« rief Sannah, die anfangs sprachlos dagestanden war.

»Wahrhaftig! man glaubt, sich in Transvaal zu befinden,« bestätigte Hendrik.

Nun eilten die Weißen voran den Hügel hinunter, die Träger, Askaris, Weiber und Kinder ihnen nach.

Beim Näherkommen sahen sie, daß die Leute, die teils in den Feldern und Gärten tätig waren, teils über die Straße gingen, wahrhaftig Weiße waren.

Als sie den Talgrund erreicht hatten, kam ihnen ein Mann von etwa vierzig Jahren entgegen mit langem braunem Bart, ganz ein Bure.

In der Tat war es auch die Burensprache, in der er die Ankömmlinge begrüßte, und Hendrik und Sannah jubelten auf, als die Klänge ihrer Muttersprache ihr Ohr trafen.

»Wie kommt ihr hierher, weiße Fremdlinge?« fragte der Bure. »Nie hat ein Weißer dieses Tal betreten, seit unsre Väter sich hier niederließen, außer unsern Brüdern, die vor wenigen Jahren sich mit uns vereinigten.«

Sehr erfreut war der Mann, als sich ihm Hendrik und dessen Schwester als Stammesgenossen zu erkennen gaben. Hendrik klärte ihn auch kurz auf über Ausgangspunkt, Zweck und Ziel ihrer Reise.

Der Bure seinerseits befriedigte die Neugier unsrer Freunde durch folgenden Bericht: »Vor etwa sechzig Jahren haben unsere Väter, um den beständigen Bedrohungen durch die Engländer zu entgehen, einen großen Treck veranstaltet, mit dem zahlreiche Familien von Südafrika nordwärts nach den großen Seen zogen.«

»Über die Lokingaberge am Ostufer des Tanganjika entlang kamen sie in diese abgelegene, aber fruchtbare und wildreiche Niederung, die von meist sanften und friedliebenden Negerstämmen umgeben ist.«

»Keine bessere Gegend konnten sie sich wünschen; so haben sie hier eine Ansiedelung gegründet, die seither blüht und gedeiht.«

»Oh!« rief Hendrik aus. »Hier ist also der verschollene Treck, von dem kein Mensch mehr etwas gehört hat, seit er nach Norden zog? Wie oft hat mein Vater davon erzählt, wie manche Familie hat sich gesorgt um ihre Verwandten, die mit fortgezogen waren. Ist doch auch meines Großvaters Bruder bei ihnen gewesen.«

»Wie hieß dein Großvater?« fragte der Bure aufhorchend.

»Rijn,« antwortete der Jüngling. »Ich bin Hendrik Rijn.«

»So ist dein Vater Piet Rijn, mein Vetter?«

»Ja, so heißt mein Vater.«

»Gott sei gelobt, der mir meine lieben Verwandten zuführt! Ich habe deinen Vater zwar nie gekannt: ich bin erst hier geboren. Aber mein Vater hat mir oft erzählt von seinem älteren Bruder Paulus, der am Oranje zurückblieb und dessen Sohn Piet, der damals zwölf Jahre zählen mochte. Und ihr habt nie mehr etwas von uns erfahren? Das ist kein Wunder, denn wir leben hier zurückgezogen und glücklich und suchen keine Verbindung mit den fernen Weißen, von denen wir nur unbehelligt zu bleiben wünschen.«

»Spärliche Nachrichten sind wohl zu uns gelangt,« antwortete Hendrik; »denn wir haben fleißig nachgeforscht und uns erkundigt über den Verbleib des verlorenen Trecks. Die Eingeborenen am Tanganjika wußten zu erzählen, daß ein großer Zug weißer Leute mit Ochsenwagen durch ihre Länder gekommen sei; aber damit hörte die Spur auf. Cecil Rhodes sandte eine Expedition aus, um womöglich sichere Kunde zu erlangen, allein damals brach der unselige Krieg aus und die Expedition kam nicht weiter.«

»Ich erinnere mich,« fügte Schulze hinzu, »daß auch Stanley erfuhr, es hätten sich Weiße hier herum niedergelassen, doch konnte er zu seinem Bedauern nicht weiter nach ihnen forschen.«

»Sie sollen's nur bleiben lassen und uns Ruhe gönnen!« murmelte Klaas Rijn, denn das war der Name des Buren. »Aber du hast den letzten Krieg mitgemacht: wir haben schon Näheres darüber gehört, doch nicht aus dem Munde von Mitkämpfern, erzähle mir doch auch davon.«

»Ich selber war noch zu jung zum Mitkämpfen,« entgegnete Hendrik, »aber meine Brüder haben wacker mitgefochten und mein Vater natürlich.« Und nun erzählte er dem Onkel, wie er des Vaters Vetter nannte, allerlei Einzelheiten, oft ergänzt durch Sannahs Zwischenbemerkungen, und schloß mit dem Bedauern, daß alles vergossene Blut die Unterwerfung durch die Engländer nicht zu verhindern vermochte.

»Das ließ sich voraussehen!« sagte Klaas, »es wundert mich nur, daß unsre Freistaaten sich noch ein halbes Jahrhundert halten konnten, nachdem schon unsre Väter der drohenden Einverleibung entwichen sind.«

Während dieser Reden und Berichte hatten die Schwarzen auf einem freien Platz das Lager aufzuschlagen begonnen; Klaas Rijn aber lud die Weißen ein, ihm in die Stadt zu folgen und seine Gäste zu sein.

Mit Dank wurde die Einladung angenommen. Nur Leusohn blieb zurück, um die Karawane zu überwachen, die nötigen Anordnungen zu treffen und die Fürsorge zu üben. Morgen wollte dann Schulze ihn ablösen; denn daß sie mindestens zwei bis drei Tage hier blieben, waren sie schon Hendrik und Sannah schuldig; es reizte sie aber auch gar zu sehr, die merkwürdige Siedelung kennen zu lernen.

»Du hattest einen Bruder Frans?« fragte Rijn unterwegs.

»Ja!« sagte Hendrik, überrascht, woher dem Onkel diese Kenntnis komme. »Er ist aber im Kriege gefallen.«

»Nicht doch!« widersprach Klaas. »Er war zwar lebensgefährlich verwundet, ist aber von seiner Wunde genesen.«

»Wieso?« rief Sannah. »Wir hörten nur von seiner tödlichen Verwundung, und da wir nichts mehr über ihn erfuhren nahmen wir an, daß er ihr erlegen sei: was ließ sich auch andres denken? Was weißt du von ihm? Lebt er noch?«

»Nein! das wohl nicht,« war die bedauernde Antwort. »Als er nach langem Leiden genas, erfuhr er, daß sein Vater nach dem Muta Nsige gezogen sei und wanderte nordwärts.

»Er hoffte, sich einem Treck anschließen zu können, der kurze Zeit zuvor aufgebrochen war, und den er einzuholen gedachte. Aber dieser Treck wurde von feindlichen Eingeborenen im Sambesigebiet vollständig niedergemacht und es ist kein Zweifel, daß Frans sich unter den Opfern befand; denn zu uns gelangte er nie, und zu euch, wie es scheint, auch nicht.«

»Ach nein! Das ist schrecklich,« seufzte Sannah, die anfangs eine hoffnungsreichere Kunde erwartet hatte. »So müssen wir ihn also ferner als tot beweinen, wie bisher!«

»Woher aber habt Ihr all diese Nachrichten, Onkel, und wie seid Ihr überhaupt zur Kunde von dem Kriege gekommen?« fragte nun Hendrik wieder.

»Es hat nicht lange Zeit darauf ein zweiter Treck den gleichen Weg eingeschlagen und wurde auch von Wilden angegriffen. Er schlug sie aber glücklich ab, wenn auch mit Verlust seiner meisten waffenfähigen Männer. Die Überlebenden kamen dann bis zu uns, meist Greise, Frauen und Kinder. Von den Wilden, mit denen sie kämpften, erfuhren sie das Schicksal ihrer Brüder und Schwestern, denn die Schwarzen rühmten sich dieses Sieges.«

Inzwischen war Rijns Wohnung erreicht. Unterwegs hatten unsre Freunde die reichen Anpflanzungen und großen Herden, die üppigen Gärten und die zahlreichen Haustiere der Ansiedler bewundern können. Besonders entzückte sie auch der prächtige Blumenflor in den Ziergärten vor den schönen Häusern.

In dem weiträumigen, äußerst wohnlichen Hause Klaas Rijns führte sie dieser in das große, freundliche Wohngemach. Weiße Vorhänge schmückten die Fenster; denn die Burenfrauen wußten hier Gardinen zu häkeln und eine Glashütte war am sandigen Ufer eines nahen Sees eingerichtet. Blumenstöcke standen auf den Simsen und auf einem Tisch lag das »Buch« der Buren, eine ungeheure silberbeschlagene Bibel.

Zwei Damen fanden sich im Gemach, wohl in den Dreißigern, aber frisch, blühend und äußerst jugendlich aussehend. Sie waren umgeben von einer rosigen Kinderschar, nicht weniger als elf Kindern im Alter von zwei bis zehn Jahren.

»Hier bringe ich euch gute Freunde!« sagte der Bure; »Weiße, die soeben hier angekommen sind und dazu zwei liebe Verwandte, Hendrik und Sannah Rijn!«

»Entschuldigen Sie,« wandte er sich dann an die Gäste, »wenn ich Sie auf kurze Zeit meinen Damen allein überlasse; ich muß die freudige Nachricht meinem Freunde Mitteilen, der nicht weit ist; er würde es mir mit Recht verübeln, wenn ich ihm die Freudenkunde eine Minute zu lang vorenthielte.«

Damit entfernte er sich und ließ unsere Freunde in nicht geringer Verlegenheit zurück; denn Klaas Rijn hatte nicht daran gedacht, ihnen zu sagen, wer die beiden Damen seien, die er »seine Damen« nannte. Eine davon mußte jedenfalls seine Frau sein, aber doch nicht beide!

Die Kinder aber redeten sämtlich ohne Unterschied jede der beiden Damen als »Mama« an, als ob sie beiden gemeinsam gehörten.

»Wem gehören die hübschen Kinder?« fragte Schulze endlich.

Und wie aus einem Munde antworteten die beiden Frauen mit sichtlichem Stolz: »Oh, das sind unsre Kinder natürlich.«

Das klärte die Sachlage nicht.

Hendrik mußte lächeln; aber Sannah fragte geradeheraus: »Welche von euch ist denn wohl Klaas Rijns Frau, meine Tante?«

»Das bin ich,« sagte nun die eine der beiden. »Ich heiße Sara Rijn, und die Gattin unsres Freundes ist Wilhelmintje Pretorius.«

»Und welche Kinder gehören denn Ihnen?« fragte der Professor interessiert.

»Ach! sie gehören alle uns beiden,« lachte Tante Sara. »Eigentlich gehören sechs davon mir und fünf sind kleine Pretorius; aber wir machen da keinen Unterschied; wir leben und wohnen ja von Anfang an beieinander, haben gemeinsamen Haushalt und gemeinsames Eigentum, so gehören auch die Kinder uns beiden zusammen, wie sie auch alle uns beide Mutter nennen.«

»Das ist aber schön!« sagte Helene bewundernd und Schulze fragte weiter: »Das ist wohl ein einzigartiger Fall hier?«

»O nein!« sagte diesmal Frau Pretorius. »In den meisten Häusern wohnen zwei Familien beisammen: es ist viel unterhaltender und bequemer so.«

»Gibt es denn da nicht viel Streit und Verstimmung?« fragte wieder der Professor bedenklich.

»Wieso denn? Warum meinen Sie?« war die verwunderte Gegenfrage. »Im Gegenteil, man schließt sich so recht fröhlich aneinander an, man lebt wie Brüder und Schwestern.«

Schulze und Helene dachten im stillen, ob ein so patriarchalisches ungetrübtes Zusammenleben wohl in Europa möglich wäre, wo zwei Ehepaare gemeinsam leben und arbeiten ohne getrennte Haushaltung, ja ohne getrenntes Eigentum bis auf die Kinder hinaus? So ohne alle kleinlichen Eifersüchteleien, Streitigkeiten und Ärgernisse? Wahrhaftig, das erschien ihnen wunderbar!

Inzwischen war Klaas mit seinem Freunde Pretorius zurückgekehrt, und nun zogen sich beide Damen zurück, um gemeinsam das Mahl zu bereiten.

Pretorius hatte auch die herzlichste Freude an den Besuchern, die er natürlich auch als seine eigenen Gäste und lieben Verwandten betrachtete.

Vor dem Essen wurde ein Kapitel aus der Bibel vorgelesen; dann genossen unsere Freunde ein Mahl, das ihnen nach den Entbehrungen der letzten Wochen wahrhaft fürstlich erschien und sie mitten in die Zivilisation versetzte.

Andern Tags kam fast die ganze Einwohnerschaft nach und nach, um die Weißen zu begrüßen und sich ihres Besuches zu freuen; es waren unter denen, die in neuerer Zeit aus Transvaal gekommen waren, auch einige, die Hendrik und Sannah von früher kannten, oder doch den alten Rijn vom Oranjehof. Da war die Freude doppelt groß.

Schulze begab sich ins Lager, damit nun Leusohn seinerseits die Gastfreundschaft der Buren genieße. Aber auch ins Lager hinaus kamen viele der Einwohner und brachten reiche Geschenke an Lebensmitteln, Früchten, Geflügel, ja Schweinen und Schafen mit und duldeten keine Zurückweisung.

Am wertvollsten für unsre Freunde war, daß sie hier wieder ihre beinahe erschöpften Munitionsvorräte reichlich erneuern konnten; denn die Buren wurden stets gut versorgt mit allem, was sie aus der Kulturwelt benötigten, teils durch Karawanen aus dem Kongostaat und Deutsch-Ostafrika, teils durch ihre eigenen Karawanen, die sie nach der Küste sendeten, um die Erzeugnisse ihrer Siedelung gegen Güter und Rohstoffe umzutauschen.


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