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Inzwischen war es den anderen Booten schlimm genug ergangen. Ein heftiger Sturm hatte sich erhoben und der Regen fiel in Strömen. Von der entfernten Insel war bei diesem Wetter nichts mehr zu sehen, und die ermüdeten, vor Kälte zitternden Neger vermochten nicht gegen Wind und Wellen anzukämpfen mit den ungefügen Stangen, die ihnen als Ruder dienten.
So trieben sie hilflos von ihrem Ziele ab, während die Nacht einbrach.
Um Mitternacht ließ der Sturm nach und der Mond übersilberte die immer noch hochwogenden Wellen des Sees. Wer schlafen konnte, schlief.
Die lecken Boote aber gönnten ihren Insassen keine Ruhe; sie mußten unermüdlich ausgeschöpft werden, wenn sie nicht sinken sollten, und alle Versuche, sie zu dichten, hatten nur mangelhaften Erfolg.
Leusohn saß mit Helene in einem der beschädigten Kanus. Die Schwarzen, die bei ihnen waren, schienen sich einer dumpfen Verzweiflung hingeben zu wollen. Kein Wunder! Vom Hunger geschwächt, vom Rudern ermüdet und noch mehr von dem rastlosen Kampf gegen das Wasser, das andauernd in das Boot eindrang, sahen sie nur ihr Verderben vor Augen.
»Das ist der Fluch der Watongwe!« sagten sie. »Haben sie uns nicht nachgerufen: Geht und sterbt im Njansa? Jetzt geht es in Erfüllung!«
»Mut, Mut, meine Kinder!« mahnte Leusohn, der wohl sah, daß Verzagtheit hier sichern Untergang bedeutete. »Kümmert euch nicht um den Fluch der Wilden von Utongwe, es sind schlechte Menschen, und die Flüche schlechter Menschen erfüllen sich nicht.«
Aber seine Worte machten wenig Eindruck.
So kam der Morgen und mit ihm eine neue Qual: ein furchtbares Hagelwetter ging nieder und die haselnußgroßen Körner trafen recht schmerzhaft die geplagten Schiffbrüchigen, als welche sich die Insassen der lecken Nachen betrachten mußten.
Die Blitze zuckten und der Donner krachte; wieder schlugen mächtige Wellen an die morschen Bootswände und ergossen sich auch in die unbeschädigten Fahrzeuge. Überall mußte fieberhaft Wasser ausgeschöpft werden, während man sich dem Sturm und der Strömung hilflos überlassen mußte.
Diesmal jedoch kam der Sturm vom Norden, so daß die Weißen hofften, er werde sie gegen die Insel treiben, die gestern im Südwesten lag, heute aber ziemlich südlich gelegen sein mußte, nachdem der gestrige Südoststurm die Schiffe nordwestwärts getrieben hatte.
Und wirklich, als endlich der Himmel sich aufhellte, sah man die Insel im Süden.
Sie erschien jetzt ziemlich nahe; doch immer noch fern genug, um ohne richtige Ruder nicht so bald erreicht werden zu können.
Nun ruderten die unbeschädigten Boote tapfer auf die Insel zu. Sie kamen bald an den sinkenden Kanus vorbei, die gestern langsamer von der Richtung abgetrieben worden waren.
Als Hendriks Boot an ihnen vorüberkam, erhob sich ein großes Geschrei: »Rettet uns, rettet uns, Bwana Hendrik! Wir sinken! Das Wasser geht uns schon an die Kniee. Bring das Boot her, lieber Herr!«
Es war aber nicht möglich, bei den immer noch hochgehenden Wogen die noch seetüchtigen, aber überfüllten Boote mit den Schiffbrüchigen zu belasten. Diese waren andrerseits so erschöpft, daß sie des eindringenden Wassers nicht mehr Herr werden konnten.
Hendrik rief ihnen zu: »Haltet euch am Bootsrande fest, wenn ihr sinkt; wir kommen bald zurück, euch zu retten.«
Immer wieder ertönte das Jammergeschrei: »Meister, Meister, o bringt eure Boote, wir müssen ertrinken.«
Mit äußerster Anstrengung arbeiteten sich die durch Hunger und Rudern entkräfteten Schwarzen der Insel zu. Hendrik und Sannah lösten fleißig die Ermattetsten ab.
»Hurra!« rief endlich Hendrik: »Hier ist unsre Insel. Tapfer, Kinder! Eure Brüder schreien nach eurer Hilfe!«
Da kamen zwei Kanus von der Insel her: Hassan saß in dem einen, Juku im andern.
»Was beginnt ihr?« rief ihnen Hendrik zu: »Eure Brüder ertrinken und hoffen auf euer Kommen.«
»Darum eilen wir so!« riefen die Beiden: »Wir haben unsre Ladung gelöscht und wollen unsre Brüder retten.«
»So ist's recht!« lobte Sannah, die sich mit ihrem Bruder über die eifrige Hilfsbereitschaft der Schwarzen freute.
Der nächste, der diesen ersten Rettungsbooten folgte, war Hendrik. Sannah und die übrigen Insassen seines Nachens waren mit den Lasten ans Ufer gestiegen und der junge Bure ruderte nun aus allen Kräften zurück, den Schiffbrüchigen Hilfe zu bringen.
In kurzer Zeit folgten noch andre Kanus, die ebenfalls gelandet waren und mit den noch rüstigsten ihrer Insassen den Ertrinkenden zustrebten.
Hendrik hatte die verunglückten Boote noch nicht erreicht, als schon Juku und Hassan wieder an ihm vorbeifuhren, der Insel zu. Sie hatten Männer, Frauen und Kinder aufgenommen, so viele, als ihre Fahrzeuge tragen mochten, ohne zu sinken.
Hendrik schaute nach Leusohn und Helene aus. Ihr Boot war zuerst gesunken und trieb weit entfernt von den andern.
Der Bure überließ die Rettung der ihn um Hilfe anschreienden Schwarzen den nachfolgenden Kanus und strebte rüstig weiter, um zuerst die aufzunehmen, die ihm am meisten am Herzen lagen und auch der Hilfe am dringendsten bedurften.
Da hingen sie alle im Wasser, an den Rand des Bootes angeklammert und in ihrer Entkräftung kaum mehr fähig, sich zu halten; ein Schwarzer hatte bereits losgelassen und war in der Tiefe versunken, er war verloren.
Hendrik nahm die Bejammernswerten zu sich auf. Helene hatte sich tapfer gehalten.
Als sie nun die Insel erreichten, wurden sie von lautem Jubelgeschrei der Askaris und Träger begrüßt. Ja Flintensalven schossen die Schwarzen in die Luft ab, so freute sie die Rettung ihres weißen Herren Leusohn und seiner Schwester, die sie schon verloren gegeben hatten.
»Sind alle gerettet?« fragte Helene, die an sich selber am wenigsten dachte.
»Alle!« erscholl die Antwort, »die in den sinkenden Booten waren. Aber wo ist der Bwana Bawessa und Bwana Litmor? Wo sind Achmed und die zwei Somalis, die bei ihnen waren?«
Ein großer Schrecken bemächtigte sich der Weißen. Schulzes Boot hatte seit gestern Morgen niemand mehr gesehen.
Nach eiliger Stärkung durch Genuß der am Ufer wachsenden Bananen zog wieder eine ganze Flotte in den See hinaus; aber nirgends war eine Spur der Vermißten zu entdecken; nur einige Warenballen konnten noch aufgefischt werden.
Das unglückliche Boot mußte mit allen Insassen untergegangen sein! Das war eine niederschmetternde Erkenntnis!