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Unsere Freunde hatten einander ihre Träume erzählt, die ihnen, wie gesagt, das nicht vorhandene Frühstück ersetzen sollten. Dann aber berieten sie in gedrückter Stimmung, was nun zu beginnen sei?
Eine schwierige Frage! Der größte Teil der Karawane war einfach nicht mehr marschfähig. Von den Weißen waren der zähe Hendrik und etwa noch Sannah die einzigen, die noch einen größeren Marsch zu unternehmen sich getrauten.
Es wurde daher beschlossen, daß Hendrik sich die rüstigsten unter den Schwarzen auslesen solle, um mit den nötigsten Tauschwaren, in ganz leichte Lasten verteilt, zu suchen, ob er bewohntes Land zu erreichen vermöchte, um von dort den Verhungernden mit neuangeworbenen Trägern Lebensmittel zu bringen.
Daß dieser einzige Rettungsweg ein ziemlich aussichtsloser war, verhehlte sich niemand: denn, wenn Hendrik nicht innerhalb eines Tages das Ziel erreichte, dann war es zweifellos, daß nur wenige mit dem Leben davonkommen würden: länger als zwei Tage würden die meisten das Hungern nicht mehr ertragen, und schon der heutige Tag würde ohne Frage seine Opfer fordern.
Aber was war zu machen? Einen andern Ausweg wußte niemand anzugeben.
Da hörte man eine Unruhe im heute morgen so stillen Lager, laute Rufe erschollen, die wie Jubelgeschrei erklangen; Nigger, der Dachshund, der Hamissis Obhut anvertraut war, sprang auf und eilte mit lautem Freudengekläff davon.
Die Weißen erhoben sich; nahte irgendwoher eine unverhoffte Hilfe, Rettung in der äußersten Not? Es war undenkbar!
Da kamen ihnen Flitmore und Johann entgegen; letzterer führte Mietje, den Elefanten, während Nigger unermüdlich an ihm emporsprang und winselte in der Wonne des Wiedersehens.
Mit Jubel empfingen auch die Weißen die längst verloren Geglaubten.
Freilich, Rettung war das keine, vielmehr würden die beiden im Hungerlager selber einem schrecklichen Ende entgegensehen.
Aber wie die Schwarzen in uneigennütziger Freude frohlockt hatten, die beiden Weißen am Leben zu sehen, so empfanden auch unsere Freunde zunächst nichts weiter als das Glück eines unverhofften Wiederfindens.
Flitmore hatte am vergangenen Abend sein Nachtlager am Fuße einer kleinen Bodenwelle aufgeschlagen, nicht ahnend, daß ihm diese das Lager der Reisegenossen verbarg, dem er zustrebte und das kaum eine halbe Stunde mehr entfernt war. Nun hatte er es in aller Frühe erreicht.
»Ich sehe, daß Sie in der größten Gefahr sich befinden,« erklärte der Lord; »es war offenbar die höchste Zeit, daß ich ankam, Ihnen Rettung zu bringen.«
»Rettung?« fragte Leusohn zweifelnd. »Wie wollen Sie das anfangen, Lord? Bringen Sie etwa eine Karawane mit Lebensmitteln oder ist eine solche unterwegs?«
»Das nicht,« erwiderte Flitmore. »Wir selber haben nicht schlecht Hunger gelitten, bis wir eine Riesenschlange erlegen konnten, die nun aber aufgezehrt ist.«
»So wollen Sie den jungen Elefanten schlachten? Aber was soll das unter so viele?« nahm Schulze das Wort. »Immerhin kann sein Fleisch unser Leben um einen Tag verlängern, und das ist schon etwas.«
»Nein, nein!« wehrte Flitmore. »Mietje wird nicht geschlachtet, so lange ich Leben habe.«
»Wie?« rief Sannah. »Mietje haben Sie das reizende Tier genannt? Das taten Sie gewiß dem Andenken meiner verstorbenen Schwester zu lieb, die Ihnen so dankbar war.«
»Allerdings,« bestätigte Flitmore; »Ihre liebenswürdige Schwester schwebte mir dabei vor Augen; ich habe sie nie vergessen und werde sie nie vergessen, davon sollen Sie noch Beweise empfangen. – Aber ans Werk! Eile tut dringend not. John, bringe mir die Kiste mit dem Nährapparat.«
Unsere Freunde waren aufs höchste erstaunt und neugierig, als sie diesen seltsamen Auftrag vernahmen, und verfolgten nun begierig alles, was der Lord weiterhin unternahm.
Die Kiste, die Johann herbeischleppte, enthielt eine eigentümliche Maschine von höchst verwickelter Bauart, aus der niemand klug wurde.
Eine zweite Maschine wurde aus des Lords Gepäck herbeigeschafft; das war die unseren Freunden schon bekannte, so außerordentlich starke elektrische Batterie, die Flitmore erfunden hatte, und endlich kam noch eine Luftpumpe hinzu, das heißt nicht das, was man sonst unter einer solchen versteht, sondern eine Pumpe, die Luft einsog und preßte und sie in Verbindung mit dem elektrischen Apparat und anderen Vorrichtungen in ihre Bestandteile zerlegte.
Nun ließ Flitmore Erde herbeischaffen, die in möglichster Tiefe ausgegraben werden mußte. Diese brachte er in seine Maschine und setzte sie mit den beiden anderen Apparaten in Verbindung.
Nach weniger als einer Viertelstunde traten aus einer Öffnung der Maschine, die Flitmore als »Nährapparat« bezeichnet hatte, hellbraune Tafeln hervor, die man für Schokolade halten konnte. Eine andere Öffnung stieß die unbrauchbaren Abfälle aus; in den Aufnahmetrichter aber wurde stets neue Erde nachgefüllt.
»Kosten Sie,« sagte Flitmore und reichte den verblüfften Freunden die ersten Täfelchen hin, die seine Maschine erzeugt hatte.
Im Vertrauen auf Flitmores Genie ließen sich die Ausgehungerten nicht lange nötigen: sie aßen und fanden, daß die merkwürdigen Kuchen nicht nur angenehm schmeckten, sondern den Hunger vorzüglich stillten. So sättigend wirkten sie, daß eine Tafel völlig genügte, um den leeren Magen zu befriedigen, als sei ihm die ausgiebigste Mahlzeit zuteil geworden.
Nach einer Stunde waren so viele Tafeln erzeugt, daß sämtliche Träger und Askaris, Weiber und Kinder damit versorgt werden konnten. Flitmore aber arbeitete weiter, um noch einen großen Vorrat anzufertigen.
Für jedes Mitglied der Karawane wurden an diesem Tage zwölf solcher Tafeln hergestellt, für die Kinder acht, und als der Lord abends seinen Wunderapparat außer Tätigkeit setzte, erklärte er, auf drei Tage sei nun die ganze Gesellschaft mit ausreichender Nahrung versehen, so daß am nächsten Tage getrost der Weitermarsch angetreten werden könne.
In der Tat übte diese Kost auch eine auffallend erfrischende und kräftigende Wirkung aus.
Da der Engländer während der Arbeit jede Auseinandersetzung abgeschlagen hatte, bat Schulze ihn nun, als sie am Abend wohlgesättigt beieinander saßen, um eine Erklärung seiner rätselhaften Erfindung, die die kühnste Märchenphantasie in Schatten stellte.
»Viel zu erklären ist da eigentlich nicht,« hub nun Flitmore an. »Im Grunde ist die Sache einfach und der Gedanke sehr naheliegend. Allerdings habe ich Jahre gebraucht, um den Weg und die Mittel ausfindig zu machen, ihn zu verwirklichen; ich mußte die Werkstätte der Mutter Natur gründlich prüfen und auf die kleinste Kleinigkeit achten; daher ist die Maschine ziemlich verwickelt; die Natur arbeitet mit einfacheren Mitteln, wir bleiben nur plumpe Nachahmer.
»Haben Sie nie darüber nachgedacht, daß alle unsere Nahrungsmittel, Gemüse, Früchte und Getreide zu ihrem Aufbau nichts anderes brauchen als die Stoffe, die sie dem Erdboden entnehmen?
»Nun sagte ich mir: bringt es eine Pflanze fertig, die der Erde entnommenen Stoffe in Stärkmehl, Eiweiß, Zuckerstoff, Nährsalze, kurz in Nährstoffe umzuwandeln, sollte das nicht auch durch einen sinnreich erdachten Apparat möglich sein, der die einzelnen Tätigkeiten der Nährpflanze nachahmt und in sich vereinigt? Sehen Sie, das ist mir gelungen; es ist eigentlich fabelhaft einfach und natürlich.
»Den nötigen Stickstoff, sowie die Feuchtigkeit entnehme ich der Luft, wo mir nur trockene stickstoffarme Erde zur Verfügung steht.«
»Schön,« sagte Schulze, »aber die Pflanze braucht doch Monate, unter günstigen Bedingungen mindestens Wochen, um ihre nährende Frucht zu erzeugen, und Sie sollten das in einer Viertelstunde fertig bringen?«
»Was ist da auffallend?« gab der Lord zurück. »Die Natur braucht vielleicht hundert Jahre, um einen Felsblock loszusprengen, den Sie mit ein wenig Dynamit in einer Sekunde vom Muttergestein lösen. Übrigens sind Sie im Irrtum. Die Verwandlungsvorgänge, welche die Pflanze bewerkstelligt, gehen ungeheuer rasch vor sich.
»So habe ich zum Beispiel gemessen, daß eine Feuerbohne in einer Viertelstunde um einen Millimeter wächst, und zwar in all ihren Ausläufern. Gleichzeitig nehmen Blätter und Früchte beständig zu; sie wachsen in jeder Minute, wenn auch weniger merklich. In den Tropen vollzieht sich der Prozeß noch ungleich geschwinder.
»Das beweist, daß die Pflanze die dem Boden entnommenen Bestandteile ungeheuer rasch in die zu ihrem Aufbau nötigen Stoffe umwandelt, nur daß die Pflanze verhältnismäßig geringe Mengen auf einmal aufnimmt, während meine Maschine der Erde, die sie verarbeitet, ihre Nährstoffe sämtlich auf einmal entzieht, um sie sofort umzuwandeln in genießbare Nahrungsmittel.«
»Fabelhaft!« rief Leusohn aus.
»Das ist noch gar nichts,« lachte Flitmore. »Auch das Geheimnis der Entstehung der Kohle lauschte ich der Natur ab; ich bin imstande, Ihnen mit einer anderen Maschine innerhalb einer Viertelstunde einen Felsblock in reine, brennbare Kohle umzuwandeln. Sobald ich mein Verfahren der Öffentlichkeit preisgebe, wird die gefährliche, mühsame und kostspielige Arbeit in den Bergwerken aufhören und man wird mit geringeren Kosten und ohne anstrengende Arbeit Granit, Gneis und Porphyr zu Kohle verarbeiten.«
Angesichts der heutigen Probe von Lord Flitmores »Schwarzkunst«, wie Schulze sich ausdrückte, konnte auch diese neue, erstaunliche Behauptung von unseren Freunden nicht in Zweifel gezogen werden.