Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. In der Hauptstadt des Sultans.

Nach dreitägigem Aufenthalt wollten unsere Freunde sich nunmehr westwärts den Virungavulkanen zuwenden, als zwei Abgesandte des Sultans Msinga von Ruanda erschienen mit einem Gefolge von Dienern und Vieh. Mit solch feierlichem Ernste und in so ruhevoll ehrfurchtgebietender Haltung schritten die Ankömmlinge daher, daß alsbald das Geschwätz der Träger und Askaris verstummte.

Die Gesandten, Bussissi und Nanturu, waren zwei schlanke Riesen von herrlichem Körperbau, weit über zwei Meter hoch. Ihre vornehme Art und der Anstand ihres Benehmens machten sofort den Eindruck, daß man es hier mit einem ganz andern Menschenschlag als den Negern zu tun hatte.

Die Schwarzen der Karawane betrachteten denn auch die Ankömmlinge mit ehrfürchtiger Scheu.

Die Gesandten brachten eine stattliche Herde Rinder und Ziegen als Geschenke des Königs und die Einladung des Herrschers nach seiner Hauptstadt Nianfa.

Da diese Stadt ziemlich weit südlich lag, hätte ihr Besuch einen großen Umweg bedeutet; daher lehnte Schulze höflich dankend ab; es eilte ihm, mit Lord Flitmore zusammenzutreffen, da er in Sorge war, wie es ihm ergangen sein mochte.

Die Abgesandten wollten aber von der Ablehnung nichts wissen. »Amri ya Msinga – Befehl des Msinga,« sagten sie höflich, aber bestimmt.

Die Weißen traten zur Beratung zusammen.

»Urundi und Ruanda sind die einzigen selbstherrlichen Königreiche Mittelafrikas,« erklärte Hendrik, »und zwar ist Ruanda das mächtigste aller Negerreiche. Ein Befehl des Msinga darf nicht mißachtet werden.«

»Auch ich bin der Ansicht, daß es unser Verderben wäre, wenn wir den Sultan beleidigten,« stimmte der Professor bei. »So sehr ich wünschte, sofort weiter zu reisen, glaube ich, wir müssen dem mächtigen Herrscher gehorchen.«

So begab sich denn die Karawane auf den Weg, geführt von Bussissi und Nanturu.

Zahlreiche Dörfer wurden durchschritten. Die laubbedeckten Hütten ruhten teilweise auf Pfählen und waren von Bananenhainen beschattet.

Nirgends war ein Mtuale oder Unterhäuptling anwesend. Auf die Frage nach ihrem Verbleib hieß es stets, die Watuale seien in Niansa.

Es war offenbar, daß der Sultan die Großen seines Reiches um sich versammelt hatte, die Fremden festlich zu empfangen.

Abends wurde der Niawarongo erreicht, ein Quellfluß des Kagera, an dessen Ufer das Lager aufgeschlagen wurde.

Am anderen Tag kam unseren Freunden eine Karawane entgegen, die ihnen dreißig Ziegen überbrachte. Mit Schrecken sah Schulze, wie seine Vorräte an Tauschwaren und Geschenkgegenständen zusammenschmolzen; denn die großmütigen Gaben des Sultans erforderten reiche Gegengaben.

Als daher im Laufe des Weitermarsches noch zwei solche Gesandtschaften erschienen, wollte er sich höflich bedanken. Aber die ruhige Entgegnung: »Amri ya Msinga!« zwang ihn zur Annahme.

Häufig trafen Menschenzüge von allen Seiten her kommend ein und setzten sich an die Spitze der Karawane; es waren die nach der Residenz berufenen Watuale mit ihrem Gefolge. Bald war der Zug der Watussi, der unseren Freunden voranschritt, auf Hunderte angewachsen.

Man nahte sich der Hauptstadt Niansa. Tausende von Menschen bedeckten die umliegenden Anhöhen, den Anmarsch der Fremden zu beobachten.

Es war für unsere Freunde ein verblüffendes, für Afrika ganz fremdartiges Schauspiel, zu sehen, wie ruhig sich diese Volksmassen verhielten, kein Lärmen, kein Schreien, kein Gedränge, wie sie es sonst gewohnt waren, begleitete ihren Einzug. Das war ein Volk, das sich vorteilhaft von den gewöhnlichen Negern unterschied und unter einer strammen Zucht stand, in die es sich willig und verständnisvoll fügte!

»Der große Stier kommt mit seinen Kälbern; er hat vier Arme und sechs Beine!« so schwirrte es jetzt von Gruppe zu Gruppe. Damit sollte weniger das Äußere des Professors und seiner Begleiter, als vielmehr seine Macht und Stärke nach der Vorstellungsweise dieses Hirtenvolkes gekennzeichnet werden.

Als die Karawane auf dem weiten Platz vor der Sultanshütte angelangt war, erschienen zwei Beamte, in wallende rote Stoffe gehüllt, und verscheuchten die Neugierigen mit ihren langen Stäben, vor denen die kundige Menge jäh auseinanderstob, so daß nur wenige von den sausenden Hieben getroffen wurden.

Als der Platz derart gesäubert war, ertönte Trommelwirbel und nun wurde unseren Freunden ein Anblick, wie sie ihn noch nie gehabt.

In langem Zuge, feierlich und ruhig schritten die Ruandafürsten mit ihren Söhnen paarweise voran, Prachtgestalten im Festschmuck der Watussi; über den Kopf lief ein Haarkamm von Ohr zu Ohr, eine dünne Perlenkette glänzte darin; vom Hals hing eine Fülle von gelben Schnüren aus Bananenbast über den nackten Oberkörper herab; Mitako, das heißt Perlenschmuck, in verschiedener Größe war an den Schnüren befestigt. Armbänder aus Kupferdraht und bunten Perlen umschlossen die Handgelenke; die Hüften umschlang ein schmaler Schurz aus Rindsleder, von dem viele Schnüre aus Otter- oder Rinderfell zu den Knöcheln niederhingen, die mit zahlreichen Drahtringen geschmückt waren.

Dann erschien Sultan Msinga in seiner Sänfte, einem einfachen, langen Korb, dessen Bambusstangen auf den Schultern von Batwaleuten ruhten.

Vorsichtig wurde die Sänfte zu Boden gelassen, die schlanke Riesengestalt des Königs richtete sich auf und er reichte zunächst Schulze, dann den anderen Weißen die zierliche Hand mit dem deutschen Gruß: »Guten Morgen, mein Herr; guten Morgen, meine Dame!«

Eigentümlich erschien der Hauptschmuck des Mami, wie der einheimische Titel des Sultans lautet. Perlenschnüre hingen ihm über die Schläfen und über die Nase bis zur Oberlippe herab, einen Teil des Gesichts bedeckend.

Der Mami sprach fließend Kisuaheli und seine Unterhaltung verriet scharfen Verstand und vielseitige Bildung.

Dann bat er, seine Geschenke überreichen zu dürfen. Diese bestanden aus einer Milchkuh mit deren Kalb, zehn großgehörnten Rindern, einer großen Herde Ziegen, schweren Lasten von Mehl, Milch, Honig, Butter, Bohnen und Bananen, und schließlich noch dem hier so seltenen und deshalb um so wertvolleren Brennholz. Der Zug der Wahutu, die diese Gaben brachten, wollte gar nicht enden.

Schulze konnte unmöglich Gegengeschenke bieten, die auch nur annähernd den Wert des Empfangenen deckten; dennoch gab er sich Mühe, solche Gegenstände auszuwählen, von denen er hoffen durfte, daß sie des Mami Antlitz erhellen würden. Und das gelang ihm über Erwarten.

Die landesüblichen Zeuge und Perlen beachtete Msinga kaum und verteilte sie sofort unter seine Großen. Ein Jagdmesser, ein Gewehr und eine Patronentasche dagegen erregten seine höchste Befriedigung.

Als nun aber der Professor ihm gar eine Weckeruhr überreichte, ihren Zweck und Bau erklärte, und sie rasseln ließ, da strahlte der Sultan vor Vergnügen. Den Höhepunkt seines Entzückens jedoch rief eine Handsäge hervor, die er anfangs ziemlich ungeschickt, bald aber äußerst gewandt handhabte.

Mit Hochgenuß begann er nun zu zersägen, was zur Hand war, und es gelang ihm sogar, die Füße von Schulzes Feldstuhl glatt abzusägen.

Der Professor brummte zwar in seinen Bart, doch freute ihn das kindliche Glück des großen Mami, der sich reich beschenkt fühlte. Der Feldstuhl ließ sich ja auch mit Leichtigkeit wieder herstellen.

Am andern Tag fanden zu Ehren der Gäste Festspiele statt.

Ganz verblüffende, ja märchenhafte Leistungen wiesen die Watussi beim Hochsprung auf.

Zwischen zwei gegabelten jungen Baumstämmchen wurde eine Schnur ausgespannt; ein kleiner fußhoher Termitenhügel diente als Sprungbrett.

Die besten Springer, Riesen von überschlanker Gestalt mit indianerhaftem Gesichtsschnitt, erreichten die unglaubliche Höhe von zweieinhalb Meter, während der in Amerika erreichte Weltrekord der Kulturwelt nur ein Meter vierundneunzig Zentimeter beträgt!

Dann folgten kunstvolle Tänze, in denen die Watussi den Kronenkranich und andere Vögel nachahmten; auch Kriegstänze, die mit anscheinender Leidenschaft ausgeführt wurden, ohne jedoch je in wilde und ungeordnete Sprünge auszuarten.

Beim Speerwurf entwickelten sie eine Kraft und Gewandtheit, wie sie in der Kulturwelt unerhört ist; sie schleuderten ihre kurzen Lanzen in ungeheure Höhen, und zwar mit solcher Wucht, daß es vorkam, daß die zitternden Schäfte in der Luft zerbrachen!

Das Wettschießen mit dem Bogen, dessen kunstgerechte Spannung eine gewaltige Kraftanstrengung erfordert, und nur in langjähriger Übung gelernt werden kann, wies vorzügliche Treffer auf. Die Schnellkraft der anderthalb Meter hohen Bogen betrug mehr als zweihundert Schritt.

Auch im Wettlauf wurde Großartiges geleistet.

Zum Abschluß der Festlichkeiten führte Schulze ein Grammophon vor, das einen gewaltigen Erfolg hatte.

Europäische Musikstücke erregten zwar keinerlei Interesse, um so mehr aber die Gespräche, von denen die Watussi natürlich kein Wort verstanden, an denen sie jedoch die größte Freude hatten.

Weibliche Singstimmen, namentlich in den höheren Lagen, lösten einen Sturm der Heiterkeit aus. Die Wanjaruanda boten dabei ein geradezu köstliches Schauspiel. Lachen gilt nämlich bei ihnen als unfein. Bei der Bemühung, es zu unterdrücken, verrenkten sie ihre Gesichtsmuskeln und verzerrten die Züge in komischster Weise; dann aber hielten sie die Hand vor den Mund und ein urwüchsiges, wieherndes Gelächter brach aus. Schnell nahmen sie sich wieder zusammen, um mit würdigem Ernste dreinzuschauen, bis wieder die krampfhafte Heiterkeit ihre Bemühungen zuschanden machte.

Msinga probierte nun sein Gewehr im Scheibenschießen auf einen Topf. Er traf ihn zwar nicht, was man bei diesem ersten Versuch auch nicht erwarten konnte, zeigte jedoch eine natürliche Schützenbegabung durch seinen tadellosen Anschlag; kein deutscher Infanterist hätte alle Bewegungen vollkommener ausführen können.

Als nun auf des Sultans Wunsch auch die Weißen ihre Schießkunst zeigten, erhob sich jubelnder Beifall bei den Zuschauern, angesichts der sicheren Treffer, die selbst die Damen aufwiesen. Nur Schulzes niefehlende Büchse traf eigensinnig vorbei.

Als der König vernahm, daß die Reisenden die Vulkane besuchen und besteigen wollten, bat er sie: »Zündet den Feuerberg wieder an, den eure Brüder gelöscht haben.«

Der feuerspeiende Ninagongo hatte nämlich seit unvordenklichen Zeiten den nächtlichen Himmel von Ruanda mit blutigem Scheine erleuchtet. Bis in ferne Länder sah man diesen seltsamen Glutschein, und Ruanda war wegen dieses Wunders berühmt, das ein besonderes Wahrzeichen des Landes bildete.

Es ging die Sage, daß die Verstorbenen sich an dem Feuer des Berges ihre Speisen bereiteten, und daß kein menschlicher Fuß den Gipfel des Feuerberges betreten könne.

Als daher Graf Götzen die Absicht kundtat, den Ninagongo zu besteigen, wurde er ernstlich gewarnt, und niemand glaubte, daß es ihm gelingen könne. Nun aber hatte er am 11. Juni 1894 tatsächlich den Gipfel erreicht. Er und seine Begleiter hatten als erste Sterbliche das Wagnis unternommen und es war ihnen geglückt. Lebend und heil waren sie wieder herabgestiegen. Dadurch wurde der Ruf von der Macht der weißen Männer ungemein gestärkt. Entsetzen aber erregte es geradezu, als seit dem Tage dieser ersten Besteigung der Glutschein des Berges erlosch und nicht wieder erschien.

Was Wunders, wenn die Watussi überzeugt waren, jene Weißen hätten das Geisterfeuer gelöscht.

Hochbefriedigt verabschiedete sich der Mami von den Fremden und entschwebte in der Sänfte, gefolgt von einem Wald von fünftausend Speeren. Ein unvergeßlicher Anblick!

Auffallend war es unseren Freunden, daß sie während ihres ganzen Aufenthalts in Ruanda auch nicht ein einziges Watussiweib zu Gesicht bekamen. Es hieß, der Sultan habe befohlen, daß kein weibliches Wesen seine Hütte verlasse, und in der strengen Befolgung dieses Befehls zeigte sich wieder die Größe seiner Macht.

Wahrscheinlich befürchtete der Herrscher, die berühmte Schönheit der Frauen des Landes könnte die Fremden veranlassen, eine Jagd auf Sklavinnen zu veranstalten!


 << zurück weiter >>