Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Zweites Capitel.

Eine trübe Februarsonne schien durch die halb geschlossenen Fenstervorhänge des Schlafzimmers des Kaisers Napoleon des Dritten in den Tuilerien.

Der Kaiser lag auf einer in der Mitte des Zimmers stehenden Chaiselongue, eingehüllt in einen weiten Schlafrock von leichter Seide, sein Kopf war zurückgelehnt auf ein rundes Kissen, seine Augen waren geschlossen und die bleichen Züge seines Gesichts trugen den Ausdruck tiefen Leidens; sein fast ganz ergrautes Haar hing unfrisirt an den Schläfen herab, der sonst so wohl gepflegte Bart war ungeordnet und der ganze Kopf, der sonst so ausdrucksvoll und lebendig erschien, erinnerte in seiner unbeweglichen Starrheit an eine Todtenmaske; die Hände des Kaisers waren ausgestreckt, die Fingerspitzen bewegten sich leicht in convulsivischen Zuckungen.

Zu den Füßen des Ruhebettes stand der Dr. Conneau, kaiserlicher Leibarzt und langjähriger Freund; sein von einem kurz geschnittenen schmalen Backenbart umrahmtes bleiches Gesicht mit der hoch hinauf kahlen Stirn und der stark vorspringenden Nase zeigte den Ausdruck theilnehmender Besorgniß und die tief liegenden, scharfblickenden Augen schauten mit gespannter Aufmerksamkeit auf seinen wie leblos da liegenden Souverain.

An einem Seitentisch in einiger Entfernung war der Doctor Nélaton beschäftigt einige elegant gearbeitete chirurgische Instrumente von Silber und Kautschuk in ein Etui von schwarzem Sammt einzupacken. Sein geistvolles, etwas kränkliches Gesicht war ernst und ruhig und wenn er auch zuweilen forschend nach dem Kaiser hinüber blickte, so schien er doch mehr mit der sorgfältigen Aufbewahrung seiner Instrumente als mit dem Zustande seines Patienten beschäftigt.

Dr. Conneau beugte sich über den Kaiser herab und ergriff dessen Hand, aufmerksam dem Pulsschlag folgend.

»Der Puls geht ruhig und gleichmäßig,« sagte er sich zu Nélaton wendend; »es scheint nur eine Krise der Nerven zu sein; ich würde Sr. Majestät gern einige Tropfen Äthergeist einflößen.«

»Ich halte das nicht für nöthig« erwiderte Dr. Nélaton. »Die Sondirung hat durchaus keine bedenklichen Symptome ergeben, Seine Majestät ist ungeheuer empfindlich für den Schmerz und eine augenblickliche Ruhe wird das Gleichgewicht der Kräfte sofort wieder herstellen. Ich überlasse den Kaiser Ihrer Sorgfalt,« fügte er hinzu indem er sein Etui schloß, »und hoffe, daß er einige Zeit von weiteren Operationen wird verschont bleiben können, nur muß Seine Majestät in der nächsten Zeit es sorgfältig vermeiden zu Pferde zu steigen oder lange zu stehen.«

Er verließ mit leisen Schritten das Zimmer. – Dr. Conneau blieb ruhig an seinem Platz stehen, fortwährend das Gesicht des Kaisers beobachtend, auf welchem allmälig wieder eine etwas lebhaftere Farbe erschien.

Napoleon erhob die Hände langsam, faltete sie über der Brust zusammen, seine Lippen öffneten sich zu einem tiefen Athemzuge – dann schlug er die Augen auf und blickte wie verwundert im Zimmer umher.

»Ist Nélaton fort?« fragte er. – »Was hat er gesagt? Werden diese entsetzlichen Qualen sich oft wiederholen müssen?«

»Nélaton ist vollkommen zufrieden und beruhigt, Sire,« erwiederte Dr. Conneau, »und er hofft, daß Ew. Majestät für lange Zeit Ruhe haben werden; es sind durchaus keine bedenklichen Symptome vorhanden und ich hoffe durch innere Mittel sehr wirksam eingreifen zu können.«

»Oh, mein alter Freund,« sagte der Kaiser mit traurigem Ton, »Sie glauben nicht wie sehr ich leide. Meine Natur kann eine einmalige gewaltsame Erschütterung leicht überwinden, aber diese fortwährenden kleinen Schmerzen zerrütten mein Nervensystem, untergraben meine Willenskraft und machen mich zuweilen vollständig unfähig zu denken und zu handeln.«

»Ich bitte Ew. Majestät inständigst,« erwiderte Dr. Conneau, »sich in diesen so erklärlichen und natürlichen Gefühlen nicht gehen zu lassen. Ew. Majestät so reizbare Natur wird mehr als eine andre Organisation durch die Wiederholung kleiner und peinlicher beiden angegriffen; aber Ew. Majestät,« sprach er ernst mit volltönender Stimme, »sind mehr als andere Menschen. Ew. Majestät großer Geist muß die kleinen beiden überwinden um die großen Aufgaben Ihrer Stellung erfüllen zu können und je mehr Ew. Majestät die Kraft Ihres Willens anstrengen, um so mehr werden jene kleinen Leiden sich vermindern, um so sicherer hoffe ich auf Ihre endliche, vollständige Wiederherstellung.«

Der Kaiser schüttelte langsam und traurig den Kopf. »Die großen Aufgaben meiner Stellung!« sprach er mit matter Stimme – »das ist es ja eben, was mich so niederdrückt und lähmt – daß die Maschine den Dienst versagt, um das ausführen zu können was nothwendig geschehen muß; ja, daß sogar oft die Klarheit des Erkennens dessen was nothwendig ist mir schwindet. Wäre ich einer jener legitimen Könige, die ruhig auf ihrem Thron sitzen, die denselben sicher und unangefochten ihrem Nachfolger überlassen können – oh, dann würde ich ruhig alle diese Leiden und Schmerzen ertragen. Ich fürchte wahrlich den Tod nicht – fast möchte ich ihn zuweilen wünschen, denn die Genüsse und Freuden des Lebens sind für mich – beendet; aber, mein Gott,« rief er händeringend, »ich darf ja nicht nur an mich und mein Leben denken, ich muß sorgen für die Zeit die nach mir kommt; ich muß meinem Sohn das Erbe sichern, für dessen Erwerbung mein großer Oheim seine Riesenkraft eingesetzt hat und für welches ich in mühsamer Arbeit die Tätigkeit meines ganzen Lebens angestrengt habe und nun gerade, da ich diese letzte Aufgabe meiner irdischen Laufbahn erfüllen will und erfüllen muß, geht mir die Kraft aus und wenn dieser elende Körper zusammenbricht, so wird das stolze Gebäude in Trümmer fallen, welches ich aufgerichtet und dieses Frankreich, das ich so sehr liebe, für das ich gestrebt und gearbeitet habe so lange Jahre hindurch, es wird wieder zurücksinken in unruhige Zerrüttung; Ohnmacht und Elend wird die Folge davon sein.«

»Aber, mein Gott, Sire,« sagte Dr. Conneau, »warum diese schwarzen Gedanken? Die Macht des Kaiserreichs steht fest begründet im Innern und hoch geachtet nach Außen da. Es giebt vielleicht unter den alten legitimen Monarchieen so manche, welche nicht auf so sichern und unerschütterlichen Fundamenten ruht als der Thron Ew. Majestät und wenn der kaiserliche Prinz – was Gott noch lange verhüten möge, dereinst berufen sein wird jenen Thron zu besteigen, so wird er ein nach allen Richtungen hin vollendetes, großartiges Werk vorfinden, dessen natürliche Weiterentwickelung er nur fortsetzen und leiten darf. Ew. Majestät Werk ist wahrlich größer als das Ihres Oheims, denn die Schöpfungen jenes Riesengeistes stützten sich doch immer nur auf die Spitze seines Degens, während Ew. Majestät Bau breit und ruhig auf der Wohlfahrt des ganzen Volkes ruht.«

Der Kaiser schüttelte abermals den Kopf.

»Auch Sie, mein alter Freund,« sagte er, »täuscht der Schein – oder Sie wollen mich beruhigen und mir das Vertrauen auf die Zukunft wiedergeben, das ich immer mehr verliere.

»Ich selbst,« sagte er nach einem tiefen Athemzuge, indem es wie leichte Nachwehen nervöser Schmerzen über sein Gesicht zuckte – »ich selbst kann besser wie jeder Andere die Schwächen dieses Kaiserreichs erkennen, das ich selbst erbaut und so lange Zeit aufrecht erhalten habe.

»Fest begründet im Innern, sagen Sie, stehe mein Reich da? – Und dennoch wogt und gährt es in dieser so leicht beweglichen Pariser Bevölkerung – ich kenne sie genau die Vorzeichen der revolutionairen Stürme und ich sehe sie deutlich in der heutigen Bewegung des öffentlichen Lebens.«

Dr. Conneau lächelte.

»Ew. Majestät überschätzen diese kleine Bewegung,« sagte er. »Die stets unruhige Bevölkerung des Faubourg St. Antoine bedarf von Zeit zu Zeit solcher leichter Emotionen, aber unter einer so starken Regierung wie diejenige Ew. Majestät ist hat das nichts zu bedeuten. Die große Masse der Bevölkerung Frankreichs, namentlich die ländlichen Grundbesitzer hängen an Ew. Majestät und empfinden dankbar die Segnungen, welche Ihre Regierung ihnen gebracht hat. Dank der Ordnung, Ruhe und Sicherheit des öffentlichen Verkehrs, Dank dem neuen Wegesystem, das Ew. Majestät geschaffen und das jedem Grundbesitzer die Möglichkeit der reichsten Verwerthung seiner Producte sichert, steht Frankreich auf einer Höhe des Wohlstandes wie nie zuvor und einige unruhige Köpfe in Paris werden niemals die Macht haben, die tiefe Anhänglichkeit des ganzen Volkes an Ew. Majestät und Ihre Dynastie zu erschüttern.«

»Sie kennen Frankreich nicht wie ich,« sagte der Kaiser traurig – »ich weiß wie Sie, daß das Volk im ganzen Lande mir dankbar ist und daß aus dem Lande selbst niemals eine Bewegung gegen das Kaiserreich hervorgehen wird; aber die Centralisation in diesem Lande hat eine unbesiegbare Gewalt – eine unvernünftige Gewalt, wenn Sie wollen, doch die Gewalt ist da und ich sage Ihnen, bei irgend einem Unglück, bei irgend einer Schwäche der Regierung – bei meinem Tode vielleicht,« fügte er seufzend hinzu, »wird immer eine Hand voll Nichts bedeutender Menschen, denen es gelingt Paris zu terrorisiren, die Macht haben eine Regierung zu stürzen, welche die Sympathieen des ganzen Landes besitzt und dieses so ganze reiche, so arbeitsame, so geistvolle Frankreich wird den Thorheiten folgen, zu denen man Paris zu verleiten im Stande sein möchte. –

»Und nach Außen,« fuhr er fort, fast mehr noch zu sich selbst als zu Conneau sprechend – »hat man in Europa noch Achtung, hat man noch Furcht vor Frankreich? Wohin richten sich die Blicke der Cabinette? Ich fühle es heraus aus den Berichten aller meiner Gesandten, man sieht nach Berlin und die Zeit ist vorbei, in der ich mit einem Worte Europa bewegen konnte.

»Niel ist todt,« sagte er mit dumpfem Ton – »Alle sind todt, die mich einst auf der Höhe der Macht und des Einflusses umgaben – Morny, Walewsky – selbst Felix und mein treuer Nero – ich bin allein.

»Ich habe nur noch Sie,« sagte er mit einem unendlich innigen Blick auf den Dr. Conneau, indem er ihm mit einer matten Bewegung die Hand reichte; »aber Sie, mein braver und treuer Freund, Sie können mir nicht helfen; das Getriebe der Politik liegt Ihnen fern – Sie könnten mir nur helfen, wenn Sie dieser alten gebrechlichen Maschine neues Leben einzuflößen vermöchten.

»Oh,« rief er, indem ein Blitz aus seinem Auge sprühte, »ich wollte allein all diesen Schwierigkeiten entgegentreten, über sie alle Herr werden, wenn ich nur auf wenige Jahre meinen Nerven und meinen Muskeln die Kraft der Jugend wiedergeben könnte. – Le Boeuf,« fuhr er nach einer augenblicklichen Pause fort, »er ist der Schüler von Niel, er hat ihm nahe gestanden, er ist das Werkzeug zur Ausführung seiner Ideen gewesen – aber er ist kein Niel und der Schüler kann den Meister nicht fortsetzen. –

»Ich habe den Augenblick verloren und dem Augenblick gehört das Schicksal; ich fürchte, ich fürchte, mein treuer Conneau, der Augenblick kommt nicht wieder und mein Stern, den ich einst so hell leuchtend über meinem Haupt erblickte, er hat sich in trübe, trübe Wolken verhüllt.

»Vielleicht,« fuhr er immer seinen Gedanken folgend fort – »habe ich einen Fehler begangen dadurch, daß ich eine Dynastie gründen wollte. Vielleicht ist eine dynastische Monarchie Frankreichs in unserm Jahrhundert nicht mehr möglich; vielleicht stände ich größer und sicherer da, wenn ich mich hätte entschließen können nur der Cäsar zu sein, der an keinen Nachfolger denkt, der sich identificirt mit der pulsirenden Bewegung des Volkslebens und dessen Geschichte mit seinem Tode aufhört.

»Das ist der Ursprung meiner Herrschaft – und man sagt, die Regierungen fallen, die sich von den Principien ihres Ursprungs entfernen.

»Ist mein Oheim nicht gefallen, weil er aufhörte Cäsar zu sein und weil er der Begründer einer neuen dynastischen Legitimität werden wollte?

»Aber, mein Gott,« rief er die Hände über der Brust faltend, indem ein unendlich weicher Ausdruck auf seinen Zügen erschien – »mein Gott, ich habe einen Sohn und ich liebe diesen Sohn – ich liebe ihn sehr, Conneau und mag es ein Fehler sein oder nicht – meine ganzen Gedanken, meine ganze Arbeit gehören der Zukunft, gehören meinem Sohn.«

In tiefer Bewegung trat Dr. Conneau an das Lager des Kaisers, ergriff dessen Hand und führte sie an seine Lippen.

»Diese Arbeit wird ihre Frucht tragen, Sire,« sagte er mit zitternder Stimme – »ich wollte, es wäre mir vergönnt mein Leben für Sie und für den kaiserlichen Prinzen hinzugeben.« –

»Geben Sie mir lieber,« sagte Napoleon sanft lächelnd, »durch Ihre Kunst die wahre Kraft des Lebens wieder, dann werden Sie Frankreich, mir und meinem Sohn den höchsten Dienst leisten.«

Conneau trat zur Seite, ergriff ein kleines Fläschchen von geschliffenem Crystall, das auf einem Tisch am Fenster stand und mischte einige Tropfen der hellen Flüssigkeit, welche dasselbe enthielt, mit einem Glase Wasser.

»Ich bitte Ew. Majestät dies zu trinken,« sagte er dem Kaiser das Glas reichend; »ich hoffe damit wenigstens einen Theil der Aufgabe zu erfüllen, welche Sie mir bezeichnen; dieses Getränk wird Ew. Majestät die Nervenkrise überwinden helfen, welche Nélatons Sondirung hervorgerufen hatte.«

Der Kaiser leerte langsam das Glas, dessen Inhalt eine grüne opalisirende Farbe angenommen hatte. Die nervöse Spannung seiner Gesichtszüge verschwand, seine mattgelbliche Haut nahm eine röthere Färbung an und um seine Lippen legte sich jener Zug wohlwollender Freundlichkeit, welcher ihm in der Unterhaltung eigenthümlich war und der auf Jeden, der mit ihm, sprach seinen Zauber ausübte.

Er stand langsam auf.

»Ich danke Ihnen, Conneau,« sagte er, »das hat mir wohlgethan. Wollte Gott, Sie könnten die Wirkung dieses Elixirs dauernd machen; leider wird der Schmerz und die Schwäche bald wieder meine Nerven zur alten Unfähigkeit herabstimmen.«

»Nicht so leicht,« erwiderte Dr. Conneau, »wenn die Willenskraft meinem Elixir zu Hülfe kommt; der menschliche Willen ist ein mächtiger Factor und selbst der kranke Körper gehorcht seinem Befehl.«

»Der Willen?« sagte der Kaiser schmerzlich lächelnd – »um zu wollen, dazu gehört Kraft und um die Kraft zu entwickeln gehört Willen; wo ist der Anfang dieses Kreises, in welchem sich der leidende Mensch traurig herumbewegt? – Doch,« fuhr er fort, »für den Augenblick habe ich den Willen und ich will ihn benutzen zu klarem Einblick in die Verhältnisse, denn das ist die erste Quelle aller guten Entschlüsse.«

Er reichte Conneau die Hand, – der Arzt führte dieselbe an seine Lippen und verließ das Schlafgemach seines Herrn.

Der Kaiser klingelte.

»Es ist nicht mehr mein treuer Felix,« sprach er seufzend, »der alle Wechselfälle des Lebens mit mir getheilt hat und dessen Erscheinung mir eine so liebe Gewohnheit geworden war.«

Der Kammerdiener trat ein und Napoleon machte mit aller Sorgfalt seine Toilette, nach deren Vollendung aus seinen Zügen und seiner Haltung die Spuren der Schmerzen und der Erschöpfung fast ganz verschwanden; nur sein schwankender, unsicherer und in den Hüften wiegender Gang zeugte von seiner gebrochenen Kraft.

»Ist Herr Duvernois da?« fragte er mit einem letzten Blick in den Spiegel.

»Zu Befehl, Sire.«

»Man soll ihn eintreten lassen,« sagte Napoleon, indem er in sein Cabinet trat, das sorgfältig gelüftet, von einem hellen Kaminfeuer erwärmt und mit dem leichten Duft von eau de Lavande durchzogen war. Wer den Kaiser hier sah, hätte sich unmöglich von dem leidenden, ganz gebrochenen Manne ein Bild machen können, der noch kurz vorher unter den Händen der Ärzte seufzte und der gequält von den Leiden des Körpers den Glauben an die Zukunft und das Vertrauen auf sich selbst verloren hatte.

Napoleon trat heiter lächelnd, den Blick halb unter seinen Augenlidern verborgen, dem Journalisten Clément Duvernois entgegen, dem soeben der Huissier die Thür des Cabinets geöffnet hatte.

Herr Duvernois, der seine publicistische Laufbahn in Algier begonnen, früher lebhafte Opposition gemacht, und endlich damit geendet hatte, aus wirklicher und aufrichtiger Überzeugung ein begeisterter Anhänger des Kaisers zu sein, war damals etwa fünf und dreißig bis vierzig Jahr alt. Seine nicht hohe und nicht schlanke Figur, hatte Etwas von jener leicht gerundeten Corpulenz, welche die Königin von Dänemark für Hamlet in seinem Kampf mit Laërtes fürchten läßt. Sein etwas großer Kopf war mit langem blonden Haar bedeckt, das die Stirne ziemlich weit hinauf kahl ließ, – die Züge seines bleichen Gesichts waren scharf geschnitten und entsprachen in ihrem lebhaft bewegten Ausdruck nicht ganz dem wesentlich phlegmatischen Typus seiner Figur. Seine Augen, obgleich hell und beim ersten Anblick nicht besonders tief erscheinend, erleuchteten sich während der Unterhaltung und ihre leicht blaugraue Farbe schien dann wie von einer dunkeln Gluth durchschimmert.

Herr Duvernois ging ohne jene elegante Leichtigkeit des Hofmannes, doch völlig ungezwungen auf den Kaiser zu, ergriff ehrerbietig die Hand, welche dieser ihm entgegenstreckte und verneigte sich tief.

»Nun mein lieber Duvernois,« sagte Napoleon mit freundlicher Herzlichkeit, »– wie geht es Ihnen, – ich habe Sie bitten lassen zu mir zu kommen, weil die Zeit wieder ernst zu werden beginnt, – es gährt und bewegt sich in den Tiefen und ich werde von allen Seiten mit so vielem Rath überschüttet, – daß es mir wirklich Bedürfniß ist, auch die Meinung Derjenigen zu hören, welche meine wahren Freunde sind.«

»Es sind leider nicht Alle Ihre Freunde, Sire, welche sagen es zu sein,« erwiderte Clément Duvernois mit einer Stimme ohne harmonischen Wohllaut, aber mit scharf und klar accentuirtem Ton, – »fast möchte ich sagen – ich bin der ergebene Diener Eurer Majestät, obgleich ich es laut ausspreche.«

»Und gehören Sie auch zu Denen,« fragte Napoleon, »welche meinen, daß diese Bewegung in den Massen Nichts zu bedeuten habe, daß man nur ruhig abwarten dürfe, bis sie sich völlig wieder verläuft? – Sie haben es gelernt,« fuhr er fort, »die öffentliche Stimmung zu verstehn, Sie haben den klaren Blick, den die Höhe nicht blendet, – und der vor den Tiefen des Abgrundes nicht zurückschaudert, – was sehen Sie auf der Höhe, – was sehen Sie in den Tiefen, – sprechen Sie frei und offen – Sie wissen, daß ich zu hören und zu lernen verstehe,« fügte er mit freundlichem Lächeln und einer leichten artigen Neigung des Kopfes hinzu.

»Ich habe Eurer Majestät,« erwiderte Clément Duvernois, »meine Ergebenheit stets dadurch bewiesen, daß ich vor Ihrem Angesicht den Kaiser vergaß und nur den großen und geistvollen Mann sah, dem Niemand einen größeren Dienst leisten kann als durch das Aussprechen seiner wahren und unverhüllten Überzeugung, – diese Ergebenheit werde ich Eurer Majestät auch heute beweisen, denn mehr als je thut heute die Wahrheit Noth und je mehr Jeder aus seinem Gesichtskreise heraus die Wahrheit spricht, um so leichter wird es dem freien Blick Eurer Majestät werden das wirklich Richtige zu erkennen.«

»Sie halten also die Situation für ernst?« fragte der Kaiser, indem er sich seufzend in einen Fauteuil niedersinken ließ und Herrn Duvernois einen Sessel neben sich bezeichnete.

Clément Duvernois stützte die Hand leicht auf die Lehne dieses Sessels, blieb vor dem Kaiser stehen und sprach, ohne direct auf die an ihn gerichtete Frage zu antworten:

»Eure Majestät haben mir das schmeichelhafte und ehrenvolle Zeugniß gegeben, daß mein Blick gewöhnt sei, in die Tiefen hinab wie zu den Höhen hinauf zu blicken, – nun wohl, Sire, – ich habe nach beiden Richtungen scharf beobachtet – und werde Eurer Majestät frei sagen, was ich gesehen.«

Der Kaiser lehnte den Kopf auf die eine Schulter herüber, stützte den Arm auf sein Knie und hörte so, mit der Spitze seines Schnurrbartes spielend, aufmerksam zu.

»In den Tiefen, Sire,« sagte Clément Duvernois, »sehe ich die finstern Dämonen, welche die mächtige Hand Eurer Majestät lange Zeit gefesselt hielt, einen Kampf auf Leben und Tod vorbereiten, – da sie fühlen, daß der Griff der kaiserlichen Hand nicht mehr dieselbe Festigkeit hat wie früher.«

Der Kaiser seufzte tief auf. Es schien, als wolle er sprechen, – doch blieb er schweigend und forderte Duvernois, der einen Augenblick inne gehalten, durch einen Wink auf fortzufahren.

»Die friedlichen Bürger, Sire,« sprach der geistvolle Publicist weiter, »wissen nicht, was an jedem Abend in Paris geschieht, diese friedlichen Bürger schlafen ruhig im Vertrauen auf die Fürsorge und Kraft der Regierung, während der Boden, auf dem ihr Haus steht, unterhöhlt wird. Auf der Oberfläche scheint Alles ruhig, – die Repräsentanten der Nation berathen über die wichtigsten Interessen des Landes, die Minister suchen gut zu verwalten, die Geschäfte erholen sich und die ehrliche Arbeit freut sich der Ruhe und Ordnung.

»Was aber, Sire,« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, – »was birgt die Tiefe unter dieser Oberfläche des Friedens und Gedeihens? Täglich versammeln sich vier bis fünftausend Individuen – Feinde des Besitzes, Feinde der Arbeit, Feinde jeder Gesellschaftsordnung, welche die Thätigkeit zur Bedingung des Lebensgenusses macht – diese Individuen versammeln sich unter dem Vorsitze von Deputirten der äußersten Linken, – von Deputirten, die dem Kaiser und der Nation ihren Eid geschworen; sie mißbrauchen das Versammlungsrecht, das so liberal gegeben worden und überlassen sich den maßlosesten Ausschreitungen. Diese Leute führen die verleumderischsten Schimpfreden, reizen sich gegenseitig auf und versprechen sich untereinander das Kaiserreich durch Gewalt umzustürzen, den Staat überhaupt und die Gesellschaft zu zerstören.

»Eure Majestät mögen mir erlauben, einige Worte aus den Reden zu citiren, welche man dort hält und welche Ihre Polizei sich vielleicht scheuen möchte, Ihnen zu wiederholen. Flourens hat gestern auf der Tribüne dieser wüsten Versammlung gerufen: ›wir wollen keine Banditen, keine Mörder mehr, mögen sie aus Corsika oder anders woher kommen; wir wollen keine Retter der Gesellschaft mehr, welche ein Stück Speck am Hute tragen.‹«

Der Kaiser neigte den Kopf noch tiefer – sein Blick verhüllte sich völlig unter den Augenlidern.

»Flourens,« fuhr Herr Duvernois fort, »sprach dann von den Vorgängen in Creusot und rief: ›es wird so nicht lange weiter gehen, binnen kurzer Zeit werden wir alle diese Elenden zum Teufel jagen, welche durch ihren zusammengeschacherten Besitz die freien Arbeiter zu Sclaven machen wollen.‹ Doch es geht noch weiter; beim Bankett von St. Mandé, Sire, hat man auf die Kugel getrunken, welche das Staatsoberhaupt treffen würde.«

Der Kaiser hob den Kopf, blickte Duvernois groß und klar an und sprach mit ruhigem Lächeln:

»Wenn diese Kugel gegossen ist, mein lieber Duvernois, so wird sie mich treffen und wenn Alles in der tiefsten Ruhe wäre. Hat das Schicksal sie mir nicht bestimmt – so wird der Toast einiger Wahnwitzigen meinem Leben keine Gefahr bringen.«

»Ich weiß,« erwiderte Duvernois, »daß Eure Majestät keine Gefahr scheut und es ist nicht um Eure Majestät vor einem Attentat zu warnen, daß ich erzähle, was man dort gesprochen hat – Diejenigen, welche so laut reden, sind keine Ravaillacs. Für heute und morgen, Sire, haben noch alle diese Bewegungen keine gefährliche Bedeutung; das Alles sind nur Versuche, was man wagen, wie weit man gehen kann. Wenn man aber fühlt, daß man ungestraft die Zerstörung der Gesellschaft predigen darf, so wird man weiter und weiter gehen und die große Masse der ruhigen Bürger wird, wie das bei allen Revolutionen der Fall ist, dem Terrorismus weniger Verbrecher verfallen, wenn nicht noch zur rechten Zeit die starke Hand der Regierung schützend in diese gefährliche Bewegung eingreift.«

»Und diesem finstern Bilde auf dem Grunde der Gesellschaft gegenüber,« fragte der Kaiser, indem sein Blick forschend auf dem lebhaft bewegten Gesicht Duvernois' ruhte – »was haben Sie auf den Höhen gesehen?«

Clément Duvernois schwieg einen Augenblick.

Er sah nachdenkend zu Boden und schlug dann das großgeöffnete, dunkelglühende Auge zum Kaiser auf.

»Auf der Höhe,« sprach er dann mit tief eindringender Stimme, »sehe ich, Sire, einen großen Fürsten, der durch mächtige und edle Arbeit seiner Nation Macht und Wohlstand geschaffen hat, der in großherzigem Vertrauen nicht daran zu glauben vermag, daß diese Nation für so viele Wohltaten undankbar sein könnte, dessen Gedanken erfüllt sind von dem Streben auch über seinen Tod hinaus, den er mit kaltblütigem Heldenmuth in's Auge faßt, seinem Volk das Glück zu sichern, welches seine Regierung geschaffen hat; einen Fürsten, der sich anschickt, dem von ihm aufgerichteten Gebäude die Krone der letzten Vollendung zu geben – der aber –«

»Der aber?« fragte der Kaiser, den Kopf noch höher erhebend und mit gespannter Erwartung aufblickend.

»Der aber,« fuhr Duvernois ruhig und ernst fort, »mit der Krönung des Baues beschäftigt, vergißt die Fundamente desselben gegen die finstern Gewalten zu schützen, welche dieselben langsam und systematisch untergraben.«

»Ich vergesse das nicht,« sagte Napoleon, »im Gegentheil arbeite ich daran, diesen Fundamenten, welche bisher auf dem einzigen Pfeiler meines persönlichen Willens und meiner persönlichen Kraft ruhten die breite und sichere Grundlage von Institutionen zu geben, durch welche die besten und edelsten Kräfte des Landes um den Thron meines Nachfolgers vereinigt werden sollen. Diese Institutionen sollen stärker sein als die persönliche Macht des Souverains, so daß, wenn auch ein kaum der Kindheit entwachsener Knabe der Erbe meiner Regierung wird, Frankreich ruhig und unerschüttert wie in den vergangenen Tagen seiner alten Könige rufen kann: Der Kaiser ist todt – es lebe der Kaiser.«

»Die edle Absicht Eurer Majestät,« erwiderte Clément Duvernois, »erkenne ich klar; ich erkenne nicht minder die hohe Weisheit, welche Ihre Entschlüsse dictirt hat und die Institutionen, welche Sie geschaffen, würden vollkommen geeignet sein das zu erreichen, was Eure Majestät bezwecken will, wenn – diese Institutionen und ihre Ausführung in anderen Händen lägen.«

Ein Zug von düsterm Unmuth erschien auf dem Gesicht des Kaisers; er ließ den Kopf auf die Brust sinken und sprach mit dumpfem Ton:

»Und in wessen Hände sollte ich diese Institutionen legen? Wo sind die treuen Freunde, denen ich unbedingtes Vertrauen schenken kann? – Diejenigen, welche mit mir emporgestiegen waren, Diejenigen, welche mit mir die Zeit des Unglücks und Leidens getheilt hatten – sie sind todt. – Eine neue Zeit steigt um mich herauf, wie schwer ist es, eine Wahl zu treffen unter allen Denen, die ich nur als Höflinge des Kaisers aber nicht als Gefährten des Verbannten kennen gelernt habe.«

Er versank einen Augenblick in düsteres Schweigen.

»Doch,« sprach er dann, sich lebhaft emporrichtend, »sprechen Sie offen, Sie wissen, ich glaube an Ihre Aufrichtigkeit; haben Sie Grund den Männern zu mißtrauen, welche ich gegenwärtig in meinen Rath berufen habe, und welche, wie man mir allgemein sagt, das Vertrauen des Landes besitzen?«

»Mißtrauen?« sagte Clément Duvernois ein wenig zögernd, »ist ein hartes und schweres Wort; es enthält eine Anklage, die ich gegen Eurer Majestät Minister auszusprechen nicht unternehmen möchte. Erlauben mir Eure Majestät zunächst von den Personen abzusehen und ganz allgemein zu sprechen.

»Ich sehe vor mir – und ich sehe von unten herauf wo Eure Majestät nur von oben herab blicken – ich sehe vor mir die eigenthümliche Thatsache, daß die Macht der kaiserlichen Regierung sich in den Händen des dem Kaiserreich feindlichsten Princips befindet – in den Händen des Orleanismus –«

»Sie glauben,« fuhr der Kaiser heftig auf, »daß Graf Daru, daß Buffet mich verrathen könnten – daß sie mit den Orléans conspiriren?«

»Nein, Sire,« antwortete Clément Duvernois, »das glaube ich nicht. Graf Daru ist ein Ehrenmann und auch Herrn Buffet halte ich dafür; aber, Sire, diese Männer, die gewiß, nachdem sie Eurer Majestät Portefeuille angenommen haben, das Wohl des Kaiserreichs ernstlich erstreben, leben und denken in den Doctrinen des Orleanismus, daß heißt der constitutionellen Theorie, welche das Schattenbild parlamentarischer Repräsentation an die Stelle des wirklichen und eigentlichen Volkslebens setzt und am letzten Ende der Kette, welche sich durch diese Doctrinen Glied für Glied bis in das Cabinet Eurer Majestät fortsetzt, befindet sich die lenkende und leitende Hand der orleanistischen Conspiration. Ohne es zu wollen, ohne klar darüber zu denken, werden Eurer Majestät Minister von dieser Kette geleitet; blicken Eure Majestät um sich, die Männer der orleanistischen Doctrinen herrschen auf allen Gebieten des französischen Staatslebens und unter den Anhängern der Doctrinen befinden sich jedenfalls auch Anhänger der Personen. Die Partei des Umsturzes begreift vollkommen den Nutzen, den sie aus solchen Zuständen zieht.

»Eure Majestät kennen die Verbindung Rocheforts mit der orleanistischen Propaganda; – nicht daß diese Leute jemals das Königthum Louis Philippe's wieder herstellen wollten, aber sie benutzen die Agenten jenes Princips als ihre Vorkämpfer. Wenn es so weiter geht wie es bis jetzt gegangen ist, Sire, so wird ein Moment kommen, in welchem die ganze Macht der Regierung in den Händen der Orleanisten ruht und wenn dann von unten her ein mächtiger Stoß gegen die Staatsautorität gewagt wird, so kann es kommen – nach meiner Überzeugung wird es kommen, daß die Maschine den Dienst versagt und daß Eure Majestät auf Ihrer Höhe einsam und allein dastehen werden.

»Ich habe diese Frage,« fuhr er fort, »eingehend studirt; die Macht der Orleans ist groß, weit verzweigt und geschickt geleitet; es giebt keinen Ort in Frankreich, in welchem nicht ein Agent dieser Sache sich befindet. Zum großen Theil sind diese Agenten Besitzer von Buchdruckereien oder Buchhändler und sie versäumen keine Gelegenheit, das Vertrauen auf das Kaiserreich zu erschüttern.«

Der Kaiser stand auf – in zorniger Erregung zitterte sein Gesicht.

»Was wollen sie,« rief er, »diese Orleans, die fortwährend dahin gestrebt haben die bestehenden Gewalten zu stürzen, und die es nie verstanden haben sich die Herrschaft zu erhalten? – Glauben sie mit ihren schwächlichen Intriguen dieses Frankreich regieren zu können, das einer eisernen Hand unter einem Handschuh von Sammet bedarf?«

»Gewiß würden sie nicht fähig sein,« erwiderte Duvernois, »die Herrschaft fest zu halten, wenn sie je wieder in ihre Hände gelangen sollte, aber gewiß auch sind sie nicht geeignet, die kaiserliche Regierung gegen die Angriffe zu vertheidigen, welche von unten herauf gegen dieselbe gerichtet werden und – verzeihen Eure Majestät meine Offenheit – in diesem Augenblick liegen fast alle Vertheidigungsmittel des Kaiserreichs in den orleanistischen Händen und schon erhebt sich an den Grenzen Frankreichs die Candidatur Montpensiers – sollte dieselbe reüssiren, so werden mit veränderten Personen und unter veränderten Umständen die Zeiten der Beschwörung von Cellamare sich wiederholen.«

Der Kaiser setzte sich wieder in seinen Lehnstuhl und blickte finster vor sich nieder.

Dann schlug er die Augen groß auf und sah Clément Duvernois mit einem so brennenden und forschenden Blick an, als wolle er in den Tiefen seiner Seele lesen.

»Und was kann ich thun?« fragte er. »Was müßte nach Ihrer Überzeugung geschehen, um einer solchen Beschwörung vorzubeugen und um den Schwerpunkt der Regierung wieder in meine Hände – in die Hände meiner Freunde zu legen?«

»Nach meiner Meinung,« erwiderte Duvernois, »ist der Weg dazu einfach. Wie die Personen dem Princip des Orleanismus folgend in die Regierung eingetreten sind, so wird dieselbe sich wieder vollständig nach dem Willen Eurer Majestät bilden, anstatt der geschiedenen Freunde werden neue erstehen, sobald das Grundprincip des Kaiserreichs wieder zu kräftiger Geltung kommt und zum Schwerpunkt der Regierung wird.

»Ich meine damit,« fuhr er fort, als der Kaiser ihn fragend ansah, »daß in diesem Augenblick das System des constitutionellen Doctrinarismus in Eurer Majestät Regierung maßgebend ist; die Minister halten mit den Rednern der Kammer dialektische Übungen; studiren Gesetzesparagraphen und deren Amendements und vergessen darüber, daß es außerhalb der Cabinette und außerhalb der Sitzungssäle der Kammern ein Volk giebt, – ein Volk, welches lebt und athmet, welches nicht aus Marionetten besteht und welches schließlich eine sehr laute Stimme und sehr kräftige Arme hat, um, wenn es die Geduld verliert, alle diese Kammerredner zu überschreien und eine Regierung, welche die Fühlung mit ihm verloren hat, zu zertrümmern. Wie unter der Regierung Louis Philippe's die ganze Geschichte Frankreichs sich zusammenfaßte in das constitutionelle Schaukelspiel zwischen Thiers und Guizot, wie endlich diese künstliche Maschinerie unter dem ersten Hauch einer ernsten Volksbewegung in Atome zerfiel, so läuft Eurer Majestät Regierung jetzt Gefahr, sich von dem Boden des realen Volkslebens loszulösen.

»Das Kaiserreich steht,« fuhr er immer ernster und lebhafter fort, während Napoleon mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zuhörte – »das Kaiserreich steht auf dem Boden des allgemeinen Volkswillens, das ist Napoleonischer Boden; lassen sich Eure Majestät nicht hinüberlocken auf den Boden des Parlamentarismus, denn jener Boden gehört der orleanistischen Agitation.

»Wenn Eure Majestät,« sprach er nach einer kurzen Pause weiter, »sich fest und entschlossen wieder auf das Princip der Entstehung Ihrer Regierung und Ihrer Dynastie stellen, so werden mit den falschen Grundsätzen, die jetzt die Autorität zersetzen, zugleich auch die Personen verschwinden, welche von diesen Grundsätzen emporgetragen wurden; gerade auf diesem Gebiet können Eure Majestät die Probe machen, ob Diejenigen, welche Sie in Ihren Rath berufen haben, wirklich feste und unerschütterlich treue Diener des Kaiserthums und der Napoleonischen Dynastie sind.«

»Ich verstehe vollkommen,« sagte der Kaiser, »und finde in Ihren Gedanken Vieles was mit meinen Ideen übereinstimmt; doch möchte ich Sie bitten mir auch Ihre Meinung zu sagen über die Art und Weise, wie Sie glauben daß Ihre principiellen Anschauungen practisch ausgeführt werden können.

»Sie haben so tief und eingehend über den Kern der Fragen nachgedacht, welche die augenblickliche Situation bestimmen, daß ich überzeugt bin, Sie werden auch bereits die Mittel erwogen haben, durch welche Sie jene Fragen lösen zu können glauben.«

»Gewiß,« erwiderte Clément Duvernois, »habe ich auch darüber meine Gedanken zu ordnen versucht und ich glaube, daß auf eine einfache Weise Eure Majestät alle Unklarheiten der augenblicklichen Situation beseitigen können. Der Fehler dieser Situation,« fuhr er fort, während der Kaiser sich vorbeugte und mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörte – »der Fehler dieser Situation liegt darin, daß der Schwerpunkt des ganzen politischen Lebens allmälig ausschließlich in die parlamentarischen Körperschaften und in die Debatten der Kammern verlegt worden ist; nach meiner Überzeugung müssen Eure Majestät diesen Schwerpunkt wieder dahin zurückverlegen, wo die wahre Macht sich befindet und wo die kaiserliche Regierung und die kaiserliche Dynastie ihre einzig wahre und dauernde Stütze finden kann, in das Volk selbst.

»Es sind viele Änderungen in der Verfassung und in der Gesetzgebung des Kaiserreichs vorgenommen, Grund genug um das Volk zusammenzuberufen und durch ein Plebiscit alle diese Änderungen gut heißen zu lassen; ein solches Plebiscit wird dann zugleich auch von Neuem beweisen, daß das ganze Volk noch ebenso wie beim Beginn des Kaiserreichs hinter Eurer Majestät, Ihrer Regierung und Ihrer Dynastie steht. Vor einer solchen mächtigen Kundgebung der ganzen Nation wird jenes Gaukelspiel parlamentarischen Scheinlebens, in welchem die orleanistische Doctrin ihre Ausführung und die orleanistische Agitation ihren Halt findet, verschwinden.«

Der Kaiser hob den Kopf empor, seine Augen öffneten sich groß und weit und ein stolzes und freudiges Lächeln spielte um seine Lippen.

»Sie haben Recht, mein Freund,« sagte er mit leuchtendem Blick – »Sie haben Recht. Ihr Gedanke ist ebenso einfach als groß und wahr; ich habe neue Stützen, sichere Garantien für die Zukunft meiner Dynastie und für den Thron meines Sohnes gesucht, Sie zeigen mir den Weg, auf dem ich sie allein finden kann; Sie zeigen mir die breite und ewig feste Grundlage meines Reiches, diese Grundlage, welche mein großer Oheim verlassen hat und von welcher ich ebenfalls im Begriff war mich ablenken zu lassen. Ich danke Ihnen,« fügte er mit unendlich liebenswürdigem Ausdruck hinzu, »Sie haben mir in dieser Stunde einen großen Dienst geleistet, Sie haben Klarheit in die Ideen gebracht, die in meinem Geiste hin und her wogten und sobald die Klarheit der Erkenntniß da ist, läßt auch die Entschiedenheit des Handelns nicht auf sich warten.

»Ich werde meine Entschlüsse über die formelle Ausführung des Gedankens, den Sie mir so klar entwickelt haben, zur Reife bringen und den Ministern durch Ollivier mittheilen lassen.«

»Wenn Eure Majestät diesen Schritt thun,« sprach Clément Duvernois, »so wird sich auch die wahre Stellung der Personen deutlich erkennen lassen; diejenigen Ihrer Räthe, welche wirklich das volksthümliche Kaiserreich unterstützen, stärken und erhalten wollen, werden, wie ich überzeugt bin, mit Freuden auf dem Wege vorgehen, den Eure Majestät beschreiten wollen, diejenigen aber, welche den Doctrinen Ihrer Feinde dienen, werden verschwinden.

»Glauben Sie mir, Sire, die Probe wird zur Klarheit führen und wenn,« fügte er mit dem Anklang leisen Vorwurfs hinzu, »Eure Majestät Ihre alten Freunde verloren haben, so werden Sie sich überzeugen, daß auf der richtigen und wahrhaft großen Basis neue und ebenso treue Freunde Ihnen erstehen werden.«

Der Kaiser streckte Herrn Duvernois mit anmuthiger Bewegung die Hand hin und sprach:

»Davon, mein lieber Freund, habe ich mich schon in diesem Augenblick überzeugt. Sie haben mir den Beweis gegeben, daß ich noch über Hingebung und Vertrauen gebieten kann, Sie haben mir ohne Furcht und Rückhalt die Wahrheit gesagt.

»Doch,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »ich möchte noch über einen Punkt Ihre Meinung hören.

»Sie wissen,« sprach er langsam seinen Schnurrbart drehend, »daß das nationale Gefühl in Frankreich durch die preußischen Siege, durch die Herstellung des mächtigen preußischen Übergewichts in Deutschland tief verletzt ist; der militairische Ruhm und das militairische Übergewicht Frankreichs in Europa ist gewissermaßen eine Lebensbedingung einer Regierung, welche den Namen Napoleon führt und auf die Traditionen des großen Kaisers gestützt ist. Man räth mir von vielen Seiten und zwar von Seiten, deren Interesse an meiner Regierung nicht bezweifelt werden kann – die schwüle Luft, welche über Europa liegt, durch einen kräftigen Wetterstrahl zu klären und die militairische Stellung des napoleonischen Frankreichs wieder herzustellen.«

»Man räth Eurer Majestät,« fiel Clément Duvernois ein, »ganz einfach den Krieg gegen Preußen zu führen, diesen übermächtig gewordenen Staat in seine Grenzen zurückzuweisen und der Welt zu zeigen, daß ohne Frankreichs Genehmigung keine Veränderungen in dem Gleichgewicht Europa's sich vollziehen können; man räth,« fuhr er mit erhöhter Stimme fort, »um es mit einem Worte zu sagen, Eurer Majestät Das jetzt zu thun, was Sie – verzeihen Sie meine Kühnheit, Sire – unmittelbar nach der Schlacht bei Sadowa hätten thun sollen.«

Der Kaiser ließ die Augenlider herabsinken und sprach mit leiser Stimme:

»Und was meinen Sie zu diesem Rath?«

»Sire,« erwiderte Duvernois, »ich bin Franzose und bin ein treuer Anhänger der napoleonischen Dynastie – Eure Majestät können also darüber nicht im Zweifel sein, daß meinem Gefühl der Rath, den man Eurer Majestät ertheilt hat, in hohem Grade sympathisch ist, mein Herz würde aufwallen, mein Blut sich erwärmen, mein patriotischer Stolz sich freudig erheben, wenn ich die Armeen Frankreichs unter den kaiserlichen Adlern zu neuen Siegen ausziehen sehen würde und ich verkenne nicht, daß ein mächtiger Erfolg gegen diese an unsern Grenzen sich emporrichtende preußische Macht den Thron Eurer Majestät immer fester und dauernder in den Sympathieen des ganzen Volkes begründen würde – aber –«

»Aber?« fragte der Kaiser gespannt.

»Aber zuvor, Sire, möchte ich mir die Frage erlauben, sind Eure Majestät des Erfolges sicher, ist die Organisation und Schlagfertigkeit der französischen Armee wirklich auf der Höhe, um einem so furchtbaren Gegner wie Preußen mit der Gewißheit des Sieges entgegentreten zu können? Sind Eure Majestät ferner sicher, Preußen isoliren zu können und die Gegner, welche ihm 1866 gegenüber standen, zu einem neuen Kampf bestimmen zu können?

»Wenn Eure Majestät über diese Punkte völlig klar und sicher sind, dann ist der Krieg ein gutes Mittel, dann würde ein großer Sieg vielleicht besser als alle inneren Maßregeln die Schwierigkeiten der Lage beseitigen. Sind aber Eure Majestät eines solchen Erfolges nicht vollkommen sicher, müssen Sie befürchten, daß es dem so kühnen und so geschickten preußischen Staatsmann gelingen könnte, das gesammte Deutschland in einer nationalen Erhebung gegen Frankreich um sich zu versammeln, dann Sire um Gotteswillen keinen Krieg, denn, ich spreche abermals mit der vollkommenen Offenheit eines ergebenen Freundes, – ein unglücklicher Feldzug, eine Niederlage würde die Stellung Frankreichs in Europa für lange hinaus untergraben und zugleich im Innern alle Feinde des Kaiserreichs wie der staatlichen Ordnung überhaupt entfesseln.«

»Da liegt es,« sagte der Kaiser mit dumpfem Ton. »Wäre ich mein Oheim, vermöchte ich es selbst mit der Spitze meines Degens die Armeen Frankreichs zu lenken – ich würde mich wahrlich keinen Augenblick besinnen, auf diese einfachste Weise alle Schwierigkeiten zu lösen – aber kann ich das Schicksal meines Hauses, das Schicksal Frankreichs in die Hände meiner Generale legen, welche diesem Gegner noch niemals gegenüber gestanden haben? – Niel ist todt,« fuhr er fort, halb zu sich selbst sprechend, »ihm hätte ich mit vollem Vertrauen die Führung meiner Armee übergeben können. – Habe ich einen Niel? – Lebt sein Geist noch in den Schöpfungen, die er hervorgerufen? Man sagt mir, daß Alles bereit ist – man sagt mir, daß die französische Armee unüberwindlich sei, aber ein banges Mißtrauen erfüllt mich; und wenn es mißlänge – es wäre das Ende, ein va banque-Spiel um das Kaiserreich – um Frankreich – ein va banque-Spiel, bei dem man wohl Alles gewinnen, aber auch Alles verlieren kann.

»Der Oberst Stoffel,« fuhr er fort, »schreibt mir vortreffliche Berichte über die preußische Armee-Organisation – es ist nicht genug, daß die französische Armee wohl gerüstet sei, sie muß auch in der Tactik und Bewegung jener so wunderbaren Organisation ebenbürtig sein, welche König Wilhelm und die großen und genialen Interpreten seines Willens geschaffen haben, denn wir dürfen niemals vergessen, daß wir es in diesem Kriege nicht mit den Gegnern von Magenta und von der Krim zu thun haben würden, und diesem Grafen Bismarck gegenüber würde kein Villa Franca möglich sein.«

»Mir genügt,« sagte Clément Duvernois, »was Eure Majestät mir so eben gesagt haben; wenn in Ihrer Seele,« fuhr er fort, »nur der geringste Zweifel lebt, dann Sire, beschwöre ich Eure Majestät, das Würfelspiel des Krieges nicht zu wagen. Ein Sieg könnte niemals so großen Nutzen bringen, als eine Niederlage Unheil und Verderben anrichten würde, und für die Machtstellung des kaiserlichen Frankreichs in Europa würde der gewaltige Eindruck eines Plebiscits fast dem Siege auf einem Schlachtfeld gleich kommen; auf diesem Wege sind Sie des Erfolges sicher, Sire – deswegen gehen Eure Majestät diesen Weg und bereiten Sie langsam und vorsichtig eine militairische Aktion für die Zukunft vor, denn nicht immer wird ja diese preußische Militairmacht von dem Geiste geleitet werden, der heute an ihrer Spitze steht und es wird früher oder später die Zeit kommen, in welcher mit der Sicherheit des Erfolges auch das Schwert wieder in die Wagschale geworfen werden kann.«

Der Kaiser stand auf.

»Ich danke Ihnen, mein lieber Duvernois,« sagte er, »Sie sind auch in diesem Punkte meinen Ideen begegnet – Sie werden sich überzeugen, daß ich diesen Ideen gemäß handeln werde und ich hoffe, daß Sie mich mit Ihrer so gewandten und scharfen Feder unterstützen werden.

»Ich wünsche und hoffe,« fuhr er mit freundlichem Lächeln fort, indem er Duvernois auf die Schulter klopfte, »daß Sie mir dereinst noch näher treten und mir auf höherem und weiterem Gebiet zur Seite stehen werden.«

Clément Duvernois verneigte sich tief und sprach mit dem Ausdruck stolzer Befriedigung:

»Wohin immer Eure Majestät mich zu stellen für gut befinden werden, meine ganze Hingebung, meine ganze Aufopferung und vor Allem meine ganze Aufrichtigkeit werden Ihnen immer gehören.«

Er zog sich langsam zurück, verneigte sich an der Thür noch einmal tief vor dem Kaiser, der ihm mit freundlichem Kopfnicken zulächelte und verließ das Cabinet.

»Er hat Recht,« sagte Napoleon, in seinen Lehnstuhl zurücksinkend – »er hat Recht; ich habe nicht mehr zu erkämpfen, sondern zu erhalten; ich darf das große Spiel nicht spielen, zu dem man mich drängen möchte und zu dem ich,« sagte er mit düsterer Traurigkeit, »nicht mehr die Kraft in mir fühle.«

Der Huissier öffnete die beiden Thürflügel und rief:

»Ihre Majestät die Kaiserin!«

Napoleon seufzte tief auf, erhob sich und ging seiner Gemahlin entgegen.


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