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In der Zwischenzeit, während der Berathungen über zwei verschiedene Gegenstände in dem französischen Gesetzgebenden Körper, war die Salle des Pas perdus in dem Gebäude des Corps legislativ, woselbst sich die Deputirten zu begegnen und in Privatgesprächen miteinander zu verständigen pflegten, mit zahlreichen lebhaft sich unterhaltenden Gruppen angefüllt.
So eben war die Nachricht verbreitet worden, daß das Plebiscit eine beschlossene Sache sei, und daß die liberalen Minister Chevandier de Valdrome, der Graf Daru, der Finanzminister Buffet und der Marquis von Talhouet ihre Entlassung gegeben hätten.
Allgemein war die Bewegung und mit der lauten Lebhaftigkeit, welche dem französischen Charakter eigenthümlich ist, äußerten die Deputirten ihre Meinungen über dieses Ereigniß, welches die seit einiger Zeit von dem Kaiser eingeschlagene Richtung des öffentlichen Lebens wieder vollständig veränderte.
In der Mitte einer Gruppe stand der Graf von Keratry, eine schlanke Gestalt mit einem charakteristischen Kopf, dessen unruhig umher blickende Augen einen beweglichen feurigen, aber nicht sehr geordneten Geist verriethen.
»Es ist Alles bereits vorbereitet,« sagte er, »so eben habe ich erfahren, daß den Präfecten befohlen worden ist, ihre ganze Thätigkeit auf die Vorbereitungen für das Plebiscit zu richten, und daß sie zugleich ermächtigt sind, den Gemeinden zu erklären, daß die Executivgewalt die Maires künftig stets den Vorschlägen der Gemeinderäthe entsprechend auswählen werde.«
»Das ist unerhört,« rief der Deputirte Picard, ein Mann mit einem blassen, scharfen und ein wenig verbissenem Gesicht, »das ist eine vollständige Corruption des öffentlichen Votums. Will man eine Volksabstimmung, so soll man wenigstens sie frei sich vollziehen lassen. Auf diese Weise aber wird die Sache eine reine Comödie. Wenn die Präfecten mit der ganzen Autorität ihrer Stellung in die Sache eingreifen, wenn man den Gemeinden zugleich Versprechungen macht, von denen man,« fügte er höhnisch hinzu, »gewiß nicht die Absicht hat, sie je zu erfüllen, so macht man sich einer moralischen Bestechung schuldig. Man wird die öffentliche Meinung Frankreichs vor den Augen von ganz Europa fälschen, um sich dann auf diese öffentliche Meinung stützen zu können, wenn man beginnen wird, die abenteuerlichsten Maßregeln des Absolutismus durchzuführen.«
Jules Favre trat hinzu, seine große volle Gestalt hatte eine etwas schwerfällige Haltung, und seine Bewegungen zeigten ein wenig jene stereotype theatralische Würde, welche die Advokaten vor den Gerichtshöfen anzunehmen pflegen, wenn sie mit dem Aplomb tiefer Überzeugung durch den persönlichen Eindruck das Gewicht ihrer Gründe zu verstärken trachten. Sein starkes Gesicht mit den regelmäßigen, angenehmen Zügen, den großen, geistvollen und klar blickenden Augen, dem langen, überhängenden zurückgestrichenen Haar und vollen Bart, der sich an einzelnen Stellen fast weiß färbte, zeigte ein gewisses selbstzufriedenes überlegenes Lächeln, und mit seiner vollen und tiefen Stimme sprach er:
»Wir müssen uns organisiren, meine Herren, wir müssen unsererseits Comités bilden, welche dafür wirken, daß dem ganzen Volk klar gemacht werde, wie die freiheitliche Entwickelung nur gesichert werden könne, wenn man sich massenhaft von der Theilnahme am Plebiscit enthält –, wenn wir es erreichen können, die abgegebenen Stimmen auf ein Minimum zu reduciren, so wird der moralische Eindruck der Volksabstimmung vollständig verschwinden, der sonst nicht nur im Auslande, sondern auch in Frankreich selbst zu einer bedeutenden Verstärkung der moralischen Macht des Kaiserreiches beitragen muß. Lassen Sie uns heute zusammentreten und an die Bildung dieses Comités denken.«
»Das ist sehr gut,« rief Herr Picard, »allein wie sollen wir, die wir doch erst einen Organismus schaffen müssen und nur langsam vorgehen können, die wir allen Hemmungen und Hindernissen ausgesetzt sind, welche die Macht uns bereiten wird, wie sollen wir dem concentrirten und wohl geleiteten Einfluß der Präfecten gegenüber etwas ausrichten?«
»Nein,« rief der Graf von Keratry, »wir müssen laut unsere Stimmen erheben, um gegen diese ungesetzliche Einwirkung der Regierungsautorität auf die freie Abstimmung des Volkes zu protestiren. Das scheint mir sicherer, als in die Wahlagitation einzutreten, bei welcher wir zu spät kommen müßten. Können wir nachweisen, daß die Abstimmungen durch die Präfecten gemacht sind, so wird das Plebiscit ebenfalls seine Bedeutung vor der liberalen öffentlichen Meinung Europas vollständig verlieren.«
»Es giebt noch ein Mittel,« sagte Herr Barthélémy St. Hilaire, ein schlanker Mann von elegantem Äußern, dessen Mienen und Haltung ein wenig an den gelehrten Professor erinnerten, »wir müssen darauf dringen, daß das Plebiscit nur einen Tag dauert, das wird eine große Massenbetheiligung unmöglich machen. Ich werde einen solchen Antrag stellen, und bitte Sie, meine Herren, ihn zu unterstützen.«
Der Advokat Gambetta, eine kleine schmächtige Gestalt, mit leicht gekrümmten Schultern, wenig elegant, fast ein wenig unsauber in seiner Erscheinung, hatte schweigend die verschiedenen Äußerungen mit angehört.
Er stand da, das ausdrucksvolle, häßliche Gesicht mit dem schlecht gepflegten Haar und Bart, mit dem kalt und höhnisch lächelnden Munde, leicht auf die Seite geneigt, sein sehendes Auge richtete sich mit einem düstern, fast unheimlich drohenden Ausdruck auf eine Gruppe von Herren, welche in der Nähe standen, während das andere des Lichts beraubte Auge unter dem herabhängenden Lide verborgen war.
»Dort steht ja,« sagte er mit einer rauhen, etwas schwerfällig klingenden Stimme, »der große Regenerator des Kaiserreichs, unser alter Freund Ollivier, dem es so leicht wird, täglich eine andere Gestalt anzunehmen, und neben ihm Herr Chevandier de Valdrome. Fragen wir ein wenig diese Herren, es wird immerhin gut sein, wenn wir uns vorher etwas orientiren, um genau zu wissen, was wir bei den öffentlichen Debatten zu thun haben.«
Er näherte sich den Ministern und begrüßte sie mit einer artigen, aber ein wenig linkischen Verbeugung, die übrigen folgten ihm und umgaben die beiden Minister, um welche sich sehr bald noch mehrere der im Saale anwesenden Deputirten gruppirten.
»Es scheint, daß das Plebiscit beschlossen ist,« sagte Herr Gambetta zu Ollivier gewendet, der in etwas gezierter, an die gesuchte saubere Einfachheit Robespierres erinnernder Haltung da stand, und dessen eigenthümlich geformtes Gesicht, mit der schmalen Stirn, den stark schielenden von einer feinen Brille beschatteten Augen und dem großen, über dem zurückstehenden Kinn stark hervortretenden Munde, in lebhafter Bewegung zitterte.
»Ich habe keinen Grund,« erwiderte der Großsiegelbewahrer des Kaiserreiches, indem er die Begrüßung des Herrn Gambetta mit kalter, abwehrender Höflichkeit erwiderte, »mich nicht über die Situation auszusprechen. Ja, meine Herren,« fuhr er fort, »das Plebiscit ist beschlossen, und ich begreife nicht, wie Sie und Ihre Freunde,« fügte er hinzu, indem sein unsicherer Blick leicht über die Gruppe hinglitt, welche ihn umgab, »ich begreife nicht, wie Sie Alle gegen diesen Gedanken sein können. Die unmittelbare Berufung des Volkes in wichtigen Verfassungsangelegenheiten des Landes entspricht ja so vollkommen den Grundsätzen einer wahren und vernünftigen Demokratie, zu welcher Sie sich bekennen, welchen ich meinerseits stets treu geblieben bin, und welchen auch diese neue Maßregel einen verstärkten Ausdruck geben wird.«
Ein höhnisches Lächeln umzuckte die Lippen Gambetta's.
»Darf ich Sie vielleicht fragen,« fuhr er fort, »wie lange die Volksabstimmung dauern soll und ob bei derselben das Vereinsrecht zur Ausübung kommen werde, welches der Bevölkerung gestattet, sich vorher über die der Frage gegenüber einzunehmende Haltung zu verständigen.«
»Zweifellos,« erwiderte Herr Ollivier, »werden öffentliche Versammlungen Statt finden dürfen, und das Volk wird von allen seinen verfassungsmäßigen Rechten Gebrauch machen können – doch,« fuhr er fort, »liegt es in der Natur der Sache, daß solche Versammlungen, da es sich ja hier nur um die ganz einfache Beantwortung einer einfachen Frage handeln wird, nicht so lange werden dauern können, als dies zum Beispiel bei den Wahlen zum Gesetzgebenden Körper erlaubt ist. Jeder soll nach seiner freien Überzeugung eine sehr klar gestellte Frage beantworten, und dazu sind in der That keine langen Debatten und keine langen Vorbereitungen erforderlich.«
»Aber die Regierung, meine Herren,« rief der Graf Keratry in heftigem und gereiztem Ton, »hält es nicht für unnütz, solche Vorbereitungen in dem ausgedehntesten Maße zu treffen. So eben habe ich den Herren hier mitgetheilt, daß ich erfahren, die Präfecten seien angewiesen, mit äußerster Energie das Plebiscit vorzubereiten und sogar den Gemeinden Versprechungen in Betreff der Maires zu machen – es scheint also doch, daß man es für wichtig hält, die Autorität der Macht in die Wagschale zu werfen, wenn die Mittheilungen,« fügte er hinzu, den scharfen stechenden Blick auf Herrn Chevandier de Valdrome richtend, »die mir gemacht, richtig sind.«
Der Minister des Innern, ein vornehm aussehender, etwas gleichgültig blickender Mann von matten, nervösen Gesichtszügen, ließ seinen Blick von oben herab über den Grafen Keratry hingleiten, ein kaltes, feindliches Lächeln spielte um seine Lippen und in kurzem, wenig verbindlichem Ton erwiderte er:
»Ja, ich habe die Präfecten instruirt, wie ich das für mein Recht und meine Pflicht halte, ich habe ihnen befohlen, die äußerste Thätigkeit zu entwickeln, um die Enthaltung von der Abstimmung zu verhindern. Ich trage die persönliche Verantwortlichkeit für meine Anweisungen, – welche übrigens ganz und gar Verwaltungsmaßregeln sind.«
»Ich begreife nicht,« rief Picard, »wie der Herr Minister des Innern das Plebiscit als die freie Abstimmung des Volkes über die wichtigsten Fragen, die sein öffentliches Leben betreffen, eine Verwaltungsmaßregel nennen kann. Wenn es jedoch nun,« fügte er mit ironischem Lächeln hinzu, »eine Verwaltungsmaßregel sein soll, so würde es für uns gewiß von großem Interesse sein, den Inhalt der Schreiben kennen zu lernen, welche in dieser Beziehung an die Präfecten erlassen worden sind.«
»Die innern Maßregeln der Verwaltung,« erwiderte Herr Chevandier de Valdrome in kurzem Ton, »sind kein Gegenstand von Discussionen mit der Vertretung des Landes, sie sind ein ausschließliches und unbestreitbares Recht der Regierung.«
Rasch fiel Herr Ollivier ein, indem er ein wenig die Hand erhob und jenen etwas salbungsvollen Ton annahm, der seiner Rede auf der Tribüne so oft die unmittelbare Wirksamkeit nahm:
»Und wenn Sie auch nicht das formelle Recht dazu haben, so will ich Ihnen doch am wenigsten die moralische Berechtigung bestreiten, unsere Anweisungen kennen zu lernen. Interpelliren Sie mich in der Sitzung, und ich werde von der Tribune Ihnen unsere Instructionen mittheilen.«
»Wenn der Herr Minister der Justiz statt meiner spricht,« sagte Herr Chevandier de Valdrome in trockenem Ton, indem er sich gegen seinen Collegen verbeugte, »so habe ich ja nicht nöthig, mich länger an dieser Unterhaltung zu betheiligen,« und rasch sich abwendend, entfernte er sich von der Gruppe.
»Ich habe keinen Grund,« fuhr Herr Ollivier fort, »unsern Standpunkt und unsere Maßregeln zu verhüllen, wir haben den Präfecten einfach geschrieben: »Sichern Sie die Freiheit der Abstimmungen, wenden Sie weder Drohungen, noch Druck, noch Versprechungen an, vergessen Sie aber nicht, daß Sie den Umtrieben der Wahlenthaltung gegenüber stehen und wenden Sie die verzehrendste Thätigkeit an, nur jeden Bürger zur Abstimmung zu drängen.«
»Nun wohl,« rief Herr Picard lachend, »diese aufreibende Thätigkeit und dieses Drängen der Bürger zur Abstimmung sind die deutlichen Zeichen, daß die so traurige Praxis der amtlichen Candidaturen auch in dieser Frage eben so rücksichtslos wie früher geübt werden soll. Die Enthaltung von der Abstimmung ist ein unzweifelhaftes Recht eines jeden Bürgers vor allen Dingen dann, wenn doch Niemand im Stande ist, ohne Gefahr frei seine Meinung zu äußern; wenn Jedermann sich scheuen muß nein zu sagen, so muß ihm wenigstens die Freiheit bleiben, nicht ja sagen zu dürfen. Das Alles ist nichts als Possenspiel« fügte er achselzuckend hinzu.
»Hier ist von keinem Possenspiel die Rede,« rief Herr Ollivier in lebhafter Erregung, »deutlich und unverhüllt wird die Frage an das Volk gestellt werden. Die einzige Thätigkeit der Regierung wird sich nur darauf richten, Jeden dahin zu führen, daß er die deutlich gestellte Frage eben so deutlich beantworte.«
»Durch die Anweisung, deren Inhalt uns so eben im Allgemeinen mitgetheilt ist,« sagte Herr Jules Favres ruhig und langsam, »ist das Cabinet seinem liberalen Programm untreu geworden – das Mißtrauen ist also wohl berechtigt. Mögen die Herrn Minister,« sagte er mit einer leichten Verbeugung gegen Ollivier, »es auch ehrlich meinen, die andern Beamten werden dennoch die Abstimmungen fälschen.«
»Das wird Niemand wagen,« rief Herr Ollivier heftig erregt, »die Minister können wohl das Vertrauen verlangen, daß sie den Maßregeln, zu denen sie sich ehrlich bekennen, auch von Seiten ihrer Untergebenen eine ebenso ehrliche und rückhaltslose Durchführung zu sichern im Stande sein werden. Übrigens,« fuhr er fort, »kommt das Cabinet und seine Existenz bei der ganzen Sache garnicht in Frage. Es handelt sich einfach um eine Sanctionirung der Verfassungsbestimmungen, welche die Minister mit den Vertretern des Landes bereits gutgeheißen haben. Die Kammern selbst sind also ebenso betheiligt, als das Ministerium.«
»Das sind Wortklaubereien,« rief Picard entrüstet, »Regierung ist Regierung, es ist traurig genug, daß man nicht im Stande ist, dem Ministerium, das sich mit liberalen Reformen einführte, dauerndes Vertrauen zu schenken.«
»Das thut mir sehr leid,« rief Herr Ollivier zitternd vor zornigem Eifer, »schenken Sie uns Ihr Vertrauen, schenken Sie es uns nicht, das ist Ihre Sache – das kann uns nicht abhalten, unsre Pflicht zu thun, seien Sie überzeugt, daß uns Ihre Meinung ganz gleichgültig ist.«
Ein dumpfes Murren ließ sich unter der Gruppe vernehmen.
»Welch ein Ton der Conversation,« rief Jules Favres, »man sollte doch meinen, sich hier in der Gesellschaft von gebildeten Leuten zu befinden.«
»Der Herr Minister ist sich gewiß über die Bedeutung seiner Worte nicht klar geworden,« sagte Herr Picard kalt und höhnisch, »die Sorgen für die Verbreitung des Plebiscit haben, wie es scheint, seine sonst so eminente Fähigkeit, die Redewendungen richtig abzuwägen, gelähmt.«
Herr Ollivier schien selbst ein wenig bestürzt über seinen heftigen Ausbruch zu sein.
»Ich bin mir über meine Worte vollkommen klar,« sagte er, »und habe mit denselben,« fügte er sich leicht verneigend hinzu, »durchaus keine persönliche Verletzung beabsichtigt. Ich habe nur sagen wollen, daß eine Regierung, welche sich vollkommen klar ist über das, was sie nach reiflicher Überlegung für ihre Pflicht erkannt hat, sich nicht dadurch irre machen lassen darf, ob ihre Beschlüsse und Maßnahmen bei der einen oder bei der andern Partei beifällige oder tadelnde Beurteilung finde; und ich kann nur wiederholen, daß die Regierung es für ihre Pflicht hält, mit aller Energie gegen das System der Stimmenenthaltung aufzutreten. Das Kaiserthum und der Kaiser stehen nicht in Frage,« fuhr er mit fester Stimme fort, »wie hier so eben bemerkt wurde, die Frage ist nur die, ob es gut sei, das Kaiserthum der Autorität und des persönlichen Regiments in ein liberales Kaiserthum umzuwandeln; daß die Feinde des Kaiserthums überhaupt das Letztere nicht wollen, begreife ich,« fügte er mit scharfer Betonung hinzu, »ob sie aber damit dem Vaterlande einen Dienst leisten, ob sie nicht ihre Parteirücksichten höher stellen, als das Wohl der Nation, das will ich, meine Herren, ihrem eigenen Gewissen überlassen.« Und mit einer kurzen Verneigung wandte er sich ab und verließ das Zimmer.
Ein Theil der Abgeordneten kehrte in den Saal zurück, wo man über einzelne Paragraphen des neuen Preßgesetzes debattirte. Die Meisten aber entzogen sich dieser Debatte, präoccupirt wie sie durch die ganze politische Situation waren, verließen sie das Palais des Gesetzgebenden Körpers, um in Privatzusammenkünften bei den Parteiführern sich über die zu fassenden Entschließungen zu berathen.
Herr Ollivier durchschritt langsam die Corridore und stieg vor dem Palais in sein sehr einfaches und unscheinbares Coupé, indem er dem in dunkle Livree gekleideten Kutscher zurief:
»Nach den Tuilerien.«
Kurze Zeit darauf fuhr er in den innern Hof des alten Königspalastes ein, er hielt vor dem großen Eingang, über welchem das von Lanzen getragene Zeltdach sich ausdehnte.
Er fand den Dienst thuenden Ordonnanzofficier im Vorzimmer; dieser führte ihn sogleich in das Cabinet des Kaisers ein.
Napoleon III war frischer als sonst, zwar hingen seine Züge mit dem Ausdruck des Leidens und körperlicher Schmerzen schlaff herab, aber in seinem Blick machte sich eine gewisse an die vergangenen Tage seiner Jugend erinnernde Energie bemerkbar, als er mit seinem langsamen, etwas unsicheren Gang dem Minister entgegentrat, welcher es übernommen, das Steuer des Staatsschiffes, welches so lange die feste Hand des Herrn Rouher geführt hatte, durch die bedenklichen Klippen verschiedener Neuerungen zu führen.
»Ich habe gewünscht, Sie noch vorher zu sprechen, mein lieber Herr Ollivier,« sagte der Kaiser, indem er mit verbindlichem Gruß dem Großsiegelbewahrer die Hand reichte, »bevor ich den gesammten Ministerrath höre, in welcher Weise die Ereignisse geleitet werden müssen, damit wir das große Ziel erreichen, das öffentliche Vertrauen in die Regierung vollständig wieder herzustellen, – welches bereits so sehr wieder gewachsen ist,« fügte er mit einer leichten Neigung des Kopfes hinzu, »seitdem Sie mir mit Ihrem Rath zur Seite stehen.«
»Das Vertrauen Eurer Majestät macht mich sehr glücklich,« erwiderte Herr Ollivier, indem er auf den vom Kaiser ihm bezeichneten Sessel sich niederließ. »Wenn die öffentliche Meinung mir mit einem gewissen sympathischen Gefühl entgegenkommt,« fuhr er mit einem selbstbefriedigten Lächeln fort, »so wird mir meine Aufgabe sehr wesentlich durch die hochherzige Offenheit erleichtert, mit welcher Eure Majestät mich unterstützen.«
Der Kaiser richtete einen eigentümlichen Blick aus seinen schnell sich entschleiernden und dann wieder in ausdruckslose Gleichgültigkeit zurücksinkenden Augen, während er mit der Hand über den Schnurrbart streichend ein unwillkürlich seine Lippen bewegendes Lächeln verbarg.
»Sie glauben also,« sagte er dann, »daß das Plebiscit der Regierung günstig ausfallen werde?«
»Jedenfalls,« erwiderte Herr Ollivier, »die Stimmung ist allgemein sehr wenig befriedigt über das Verhalten der unversöhnlichen Opposition. Man will Ruhe für die Geschäfte, man will Schutz gegen die herandrängende sociale Bewegung, und man wird dem liberalen Kaiserreich um so mehr mit begeisterter Wärme seine Stimme geben, als es die Freiheit mit der Kraft und der Ordnung vereinigt. Die Opposition fühlt dies, und ihr Bestreben geht nicht mehr danach, ein negatives Votum der Volkscomitien zu erreichen, sondern vielmehr eine massenhafte Stimmenenthaltung durchzusetzen, ein Bestreben, in welchem sie durch die Indolenz der Massen wesentlich unterstützt werden möchte.
»Eure Majestät werden es gewiß billigen, daß wir auf die energischste Weise den Präfecten aufgetragen haben, vor allen Dingen besonders in den ländlichen Kreisen gegen die Enthaltung von der Abstimmung zu wirken.«
»Gewiß, gewiß,« sagte der Kaiser wie zerstreut, »man muß alle Mittel anwenden, um diesen Herren von der Opposition zu zeigen, daß das Volk von Frankreich sie verwirft und fest hinter mir steht, – doch,« fuhr er fort, »wie ist es mit Daru und Buffet? Bestehen sie darauf, daß die Kammern zunächst über das Plebiscit befragt werden und werden sie daraus eine Cabinetsfrage machen?«
»Ich glaube, Sire,« sagte Herr Ollivier, »daß meine beiden Kollegen sehr geneigt sind, sich darüber zu verständigen; sie wollen gern ihre Kräfte unter dem liberalen Kaiserreich und unter Eurer Majestät erleuchteter und ruhmvoller Führung dem Wohle Frankreichs widmen. Indeß halten sie es für unmöglich, so ganz und gar von dem Prinzip abzuweichen, das sie mit voller Überzeugung vertreten. Es läßt sich vielleicht,« fuhr er fort, »ein Weg finden, um im Wesentlichen die Meinungen Eurer Majestät aufrecht zu erhalten, und dennoch die Minister, welche bei den verschiedenen Parteien Vertrauen haben zu conserviren. Man könnte die Absicht, ein Plebiscit vorzunehmen, ohne sich einem constitutionellen Beschluß der Vertretung des Landes zu unterwerfen, dem Corps legislativ einfach durch eine Botschaft mittheilen, worauf denn eine Antwortsadresse erfolgen würde. Auf diese Weise ließen sich die verschiedenen Standpunkte vielleicht vereinigen, und es ist allerdings richtig, daß bei dem Plebiscit es von Wichtigkeit sein könnte, dem Volk zu zeigen, daß die Regierung und die regelmäßige constitutionelle Vertretung über den wichtigen Act in voller Übereinstimmung sich befinden.«
Der Kaiser senkte den Kopf und strich mehrere Male nachdenklich über seine Stirn.
»Damit würde eigentlich,« sagte er, »dem Plebiscit die wahre Spitze abgebrochen, und ich bin, wie ich Ihnen aufrichtig sagen muß, nicht sehr geneigt, einen solchen Weg zu gehen. Halten Sie,« fragte er, Herrn Ollivier plötzlich voll und scharf anschauend, »diesen Weg prinzipmäßig für richtig, oder würden Sie ihn nur vorschlagen, um die Personen der Minister zu conserviren?«
»Die Minister haben, wie ich Eurer Majestät zu bemerken die Ehre hatte,« fuhr der Großsiegelbewahrer fort, »ein gewisses Vertrauen, ihr Rücktritt könnte einen ungünstigen Eindruck machen. Dies ist wesentlich der Grund, weßhalb ich einen Kompromiß suchen möchte.«
»Mein lieber Herr Ollivier,« sagte der Kaiser, indem er sich ein wenig herüberneigte, »nach meiner Überzeugung beruht das Vertrauen, welches das Ministerium bei der Bevölkerung genießt, weder auf Herrn Buffet, noch auf dem Grafen Daru, noch auf irgend einem der andern Personen, welche gegenwärtig das Cabinet bilden, sondern vielmehr lediglich auf der Achtung und Sympathie, welche man Ihnen entgegenträgt, Sie sind der Pfeiler, auf welchem gegenwärtig meine Regierung ruht. Der Respect vor Ihrem Charakter, die Bewunderung für Ihre großen Talente bilden einen Nimbus um Sie, dessen Strahlen auch auf die übrigen Minister fallen, sie werden aber ebenso gut auch auf jeden Andern fallen, der das Glück haben wird, mit Ihnen zusammen ein Cabinet zu bilden. Die Rücksicht also,« fuhr er fort, »auf das Vertrauen, welches jene Herren im Lande genießen, und den persönlichen Einfluß, welchen sie üben können, würde mich niemals bestimmen können, von einem als richtig anerkannten Prinzip abzugehen, lediglich um ihre Personen zu conserviren. Etwas Anderes,« fuhr er nachdenklich fort, indem aus dem Winkel seines fast geschlossenen Auges ein schneller, scharf beobachtender Blick auf Herrn Ollivier hinüberflog, »etwas Anderes ist es freilich mit ihrer Ersetzung in den Geschäften. Buffet ist ein vortrefflicher Finanzminister, es wird nicht leicht sein, Jemanden an seine Stelle zu setzen – Ségris vielleicht – man müßte sich mit ihm darüber verständigen – noch schwieriger aber ist die Sache bei Daru. Woher kann man so schnell einen auswärtigen Minister finden? Namentlich, da es sich darum handeln würde, die Stellung ein wenig zu modificiren, welche wir dem Concil und Rom gegenüber eingenommen haben. Die Minister der auswärtigen Angelegenheiten,« fuhr er fort, anscheinend immer tiefer im Nachsinnen versinkend, »wachsen nicht aus der Erde hervor. Ja, wenn,« sagte er, den Blick wie fragend auf Herrn Ollivier richtend – »wenn es möglich wäre, daß eines Menschen Kraft die Last allein trüge, welche schon auf drei Schultern vertheilt nicht leicht ist, so wäre schnell eine Abhülfe zu finden.«
Er lehnte den Kopf wie tief nachdenkend auf den auf sein Knie gestützten Arm.
Das Gesicht Olliviers zuckte in lebhafter Bewegung, seine Augen schienen einem plötzlich vor ihm auftauchenden Bilde zu folgen, ein Schimmer hoher Befriedigung erleuchtete seine Züge und rasch mit athemloser Stimme sprach er:
»Eure Majestät meinen – Eure Majestät haben irgend eine Idee über das Ressort des auswärtigen Amtes?«
»Ich fürchte,« sagte Napoleon, indem er wie in schmerzlicher Resignation die Achseln zuckte, »daß die Idee, welche mir einen Augenblick als möglich vorschwebte, der Wunsch, den ich einen Augenblick hegte, Unmöglichkeiten sind. Ich hatte mir gedacht, wie rasch sich das Alles arrangiren ließe, wenn Sie, mein lieber Herr Ollivier, mir das Opfer bringen könnten, für einige Zeit das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu führen. Ich weiß,« fuhr er fort, »die Repräsentation, welche gerade mit diesem Ministerium mehr als mit andern verbunden ist, würde Ihnen lästig sein. Die Last der Arbeiten würde selbst Ihrem der Thätigkeit so gewöhnten Geist zu viel werden. Lassen wir also die Sache, es ist doch vielleicht besser, einen Kompromiß zu suchen, welcher uns den Grafen Daru und Herrn Buffet erhält.«
Herr Ollivier hatte in einer gewissen Unruhe, die Hände in leichtem Zittern bewegend, das Ende der Bemerkungen des Kaisers erwartet. Als Napoleon schwieg, sagte er rasch, indem er seine Brille zurecht schob:
»Ew. Majestät dürfen überzeugt sein, daß mir für Ihren Dienst und für das Wohl Frankreichs kein Opfer zu groß ist. Wohl widerstrebt meinem einfachen bürgerlichen Sinne,« sagte er, »die große und vielseitige Repräsentation, wohl möchte ich auch für meine Familie leben und für meine Gesundheit ein wenig Muße gewinnen, dennoch aber kann ich keinen Augenblick anstehen, wenn es der Dienst Eurer Majestät, wenn es das Wohl Frankreichs erfordert, auch diese neue Last auf mich zu nehmen, und ich traue mir ohne Überschätzung dennoch die Kraft zu, sie tragen zu können. Ich bin an die Thätigkeit gewöhnt, Sire, und will wenigstens versuchen, Eurer Majestät auch diesen Beweis meiner Ergebenheit zu geben.«
Napoleon schlug wie durch eine unerwartet günstige Wendung der Dinge freudig überrascht die Hände zusammen.
»Aber, mein lieber Herr Ollivier,« sagte er, »dann ist uns ja geholfen, dann haben wir ja garnicht nöthig, noch einen Kompromiß zu suchen, wenn Graf Daru wirklich heute abgeht und Sie bereit sind, an seine Stelle zu treten. So befinde ich mich ja nicht nur in keiner Verlegenheit, sondern ich werde sogar meine Lage wesentlich verbessern, denn Sie werden mir die Bemerkung erlauben, daß ein jedes Portefeuille bei Niemanden, und wäre er der Geschickteste und Bewährteste, so gut aufgehoben sein kann, als in Ihren Händen. Wenn Sie also wirklich bereit wären, an die Stelle des Grafen Daru zu treten, und wenn Ihre Kraft eine so übermäßige Last zu ertragen im Stande ist, dann wären wir ja, wie ich glaube, vollständig einig über den Gang, den wir den Ereignissen zu geben haben.«
»Wenn Eure Majestät,« sagte Herr Ollivier, »die Gnade haben würden, mir das Portefeuille des Auswärtigen zu übertragen, so sehe ich allerdings nicht ein, warum in der Frage des Plebiscits ein keinem Prinzip vollkommen entsprechender Ausweg gesucht werden sollte.«
»Nun,« sagte der Kaiser, indem er sich erhob, »ich sehe, wir verstehen uns vollkommen, – welche Freude wird es mir machen, mit Ihnen die Fragen der auswärtigen Politik zu besprechen und aus Ihrem so erleuchteten Geiste immer neue Gedanken zu der Beurtheilung derselben zu ziehen.«
Herr Ollivier verneigte sich mit glücklichem zufriedenem Lächeln.
»Ich glaube, wir werden vollständig darin übereinstimmen,« sagte der Kaiser leichthin mit gleichgültigem Ton, »daß der römischen Frage auf dem Concil gegenüber die Haltung, welche der Graf Daru in der letzten Zeit eingenommen hat, modificirt werden muß. Die katholische Kirche und der Klerus ist ein sehr mächtiger Factor in Frankreich, dessen freien und rückhaltslosen Beistand wir uns sichern müssen. Und außerdem,« fuhr er fort, »widerstrebt auch meinem religiösen Gefühl eine Erkaltung der Beziehungen zwischen meiner Regierung und dem heiligen Stuhl.«
»Eure Majestät haben vollkommen Recht,« sagte Herr Ollivier schnell, »Frankreich ist gut katholisch. Ich bin es auch,« fügte er hinzu, »und die Rücksicht auf die Gefühle des Volkes ebenso wie auf den Einfluß des Klerus gebieten uns eine äußerst vorsichtige Stellung Rom gegenüber einzunehmen, und nichts zu thun, was die Beziehungen zur Kurie irgend wie trüben könnte. Ich fürchte,« fuhr er fort, »der Graf Daru hat sich in dieser Sache ein wenig zu sehr von Doctrinen leiten lassen und hat zu wenig die concreten Verhältnisse in Betracht gezogen; auch möchten vielleicht seine Beziehungen zu Guizot, der entschieden Protestant ist, nicht ohne Einfluß auf seine Anschauungen geblieben sein.«
Der Kaiser, welcher sehr aufmerksam den Worten seines Ministers zugehört hatte, schlug sich leicht mit der Hand vor die Stirn, als ob er durch die Äußerungen des Herrn Ollivier besonders frappirt sei.
»In der That, mein lieber Minister,« sagte er, »Sie bringen mich da auf einen Gedanken, der mir Manches aufklärt, – sollten Sie, wie ich glaube, Recht haben, so ist es um so nöthiger, unsere Stellung Rom gegenüber zu modificiren, denn protestantische Anschauungen können doch gewiß niemals die Politik Frankreichs, dieses so tief katholischen Landes leiten. Welch eine Freude ist es doch,« sagte er tief aufathmend, »so vollständiges Verständniß zu finden und mit einem Mann zu arbeiten, der uns stets neue Gesichtspunkte öffnet.«
Er bewegte die Glocke.
»Sind die Herren Minister versammelt,« fragte er den eintretenden Kammerdiener.
»Zu Befehl, Majestät.«
»Wollen Sie mich in einen Augenblick im Conferenzzimmer mit den andern Herren erwarten,« sagte der Kaiser zu Herrn Ollivier, »ich werde Ihnen sogleich folgen – wir wissen ja, was wir zu thun haben.«
Der Großsiegelbewahrer verneigte sich mit zustimmender Miene und verließ das Cabinet des Kaisers.
»Er wird thun, was ich will,« sagte Napoleon ihm lächelnd nachblickend, »und ich werde die vortreffliche Stellung haben, keinerlei Initiative zu ergreifen; nicht meine Meinung, – sondern diejenige des Herrn Ollivier wird durchdringen, und man wird nicht wieder vom persönlichen Regiment und vom autocratischen Einfluß sprechen können.«
Er trat zu einem kleinen Schrank, nahm daraus ein Fläschchen mit einer röthlichen Flüssigkeit, zählte in ein Glas Wasser, das der Kammerdiener ihm reichte, eine Anzahl von Tropfen und trank dann schnell den Inhalt, der ihn fast augenblicklich wohlthätig zu beleben schien.
»So,« sagte er mit einem tiefen Athemzug, »das wird mir für eine Stunde wieder Kraft und Elasticität geben. Jetzt will ich meine Herren Minister anhören.«
Und mit etwas lebhafterem festerem Gang als vorhin begab er sich durch die schnell geöffnete Flügelthür nach dem Conferenzzimmer, einem großen hellen Gemach, in dessen Mitte ein runder grüner Tisch, von ebenfalls dunkelgrünen Fauteuils umgeben, stand.
In diesem Zimmer waren die Minister bereits versammelt, sie trugen sämmtlich, wie der Kaiser, schwarze Morgenanzüge und verneigten sich tief beim Eintritt des Souverains.
Da war neben Ollivier, der, aufgeregt, aber von innerer Befriedigung strahlend, hinter seinem Stuhl stand, Herr Chevandier de Valdrome mit seinem etwas cavalieren Ausdruck; der Graf Daru mit seinem kalten, etwas mißtrauischen Blick; Herr Buffet, der Finanzminister, eine bureaucratische Erscheinung mit eigensinnig doctrinairem Ausdruck; Herr Ségris, der Minister des Unterrichts, ein wenig an das Äußere eines Professors erinnernd; dann der Marquis von Talhouet, der Minister der öffentlichen Arbeiten, eine schöne, elegante Erscheinung, trotz seines Alters von beinahe fünfzig Jahren, noch jugendlich und frisch, der wahre altfranzösische grand Seigneur; – Herr Maurice Richart, für welchen sein Freund Ollivier das Ministerium der schönen Künste geschaffen hatte, ein gutmüthiger, sorgloser Lebemann; dann der Kriegsminister, Marschall Leboeuf, eine militairisch kräftige Erscheinung, das volle, ein wenig aufgeschwemmte und regelmäßige Gesicht hatte durch den großen Bart auf der Oberlippe und dem Kinn einen etwas martialischen Ausdruck, der jedoch durch den gleichgültigen und oberflächlichen Blick der etwas vorstehenden Augen wieder abgeschwächt wurde; endlich der Admiral Rigault de Genouilly, dessen feines und intelligentes Gesicht mit dem Ausdruck verschlossenen Nachdenkens stets einen nicht ausgesprochenen Hintergedanken zu verstecken schien.
Der Kaiser setzte sich auf seinen Lehnstuhl in der Mitte des Tisches, und die Minister nahmen um ihn her Platz, Herr Ollivier zu seiner Rechten, Graf Daru zu seiner Linken; die Übrigen nach der Reihenfolge ihres Ranges; die Minister des Krieges und der Marine dem Kaiser gegenüber.
»Ich habe Sie berufen, meine Herren Minister,« sprach der Kaiser mit ruhiger, fast ausdrucksloser Stimme, indem er einen der auf dem Tische liegenden Bleistifte ergriff und einige unbestimmte Linien auf dem vor ihm bereit liegenden Papierbogen zeichnete, »ich habe Sie berufen, um Sie zu ersuchen, die Frage des Plebiscits, über welche ich bereits mit Jedem von Ihnen einzeln conferirt habe, nunmehr noch einmal gemeinschaftlich zu discutiren und dann darüber einen definitiven Beschluß zu fassen. Es handelt sich darum, die neue Institution, welche ich dem Kaiserreich geben zu sollen geglaubt habe und zu deren Befestigung Sie Alle so bereitwillig mir die Hand geboten haben, nochmal durch ein Votum der ganzen Nation, auf welchem ja das Kaiserreich selbst und seine frühere Verfassung beruhen, sanctioniren zu lassen. Und ich bitte Sie mit Ihrer gewohnten und von mir stets so hoch gewürdigten Freimüthigkeit mir Ihre Meinung darüber zu sagen.«
Er wandte sich mit einer leichten Neigung des Kopfes zu Herrn Ollivier.
»Sire,« erwiderte dieser in einem Ton, welcher an den gleichförmigen Pathos erinnerte, der eine Eigenthümlichkeit seiner Reden auf der Tribüne war – »Eure Majestät wissen, daß ich aus voller Überzeugung dem großen Gedanken zugestimmt habe, welchen Sie so eben aussprachen. Eine Regierung, welche so offen und rückhaltslos wie wir die Verfassung im Sinne der Freiheit ausbaut, darf sich nicht scheuen ihr Werk der Prüfung und Genehmigung des ganzen Volkes vorzulegen. Wir treten vor die Nation, nicht um zu fordern, sondern nur zu geben, und sind der dankbaren Zustimmung der großen Mehrheit der Bürger Frankreichs sicher; das Gewicht ihres Votums wird die Autorität und Macht des Kaiserreichs den innern und äußern Feinden gegenüber von Neuem kräftigen, und alle die Elemente, welche in der letzten Zeit so vermessen an der Entwickelung des gesellschaftlichen Lebens gearbeitet haben, werden vor dem fest und klar ausgesprochenen Willen der ganzen Nation schwinden. Ich habe die Form des Plebiscits ausgearbeitet. Der Herr Minister des Innern hat die Präfecten mit ausführlichen Instruktionen versehen, um die von der unversöhnlichen Opposition beabsichtigte massenhafte Enthaltung von der Abstimmung zu verhindern, und ich erlaube mir, Eurer Majestät vorzuschlagen, daß so wie das Senatuskonsult festgestellt ist, das Plebiscit ohne weitere Verzögerung vorgenommen werde, denn jeder Tag, um den dasselbe noch hinausgeschoben wird, giebt den Gegnern Gelegenheit, sich zu organisiren und ihre Agitationen immer mehr über das Land zu verbreiten. Die Form des Plebiscits würde nach meiner Überzeugung sehr einfach sein, sie würde sich auf wenige Zeilen reduciren, und ich werde meinen Entwurf bei meinen Herren Collegen circuliren lassen, um ihn dann mit ihren Zustimmungen oder etwa mit ihren Gegenvorschlägen Eurer Majestät zu unterbreiten.«
Der Kaiser wandte sich mit einem verbindlichen Wink seiner Hand zu dem Grafen Daru.
Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten hatte ruhig und unbeweglich den Worten Olliviers zugehört; ebenso ruhig sprach er jetzt mit seiner etwas leisen, aber durch die scharfe Accentuirung der Worte deutlichen Stimme:
»Über die Form des Plebiscits, Sire, wird, wie ich glaube, unter uns kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen können. Es kann ja eben nur eine ganz einfache mit ja oder nein zu beantwortende Frage sein. Dagegen aber kann ich nicht unterlassen, Eurer Majestät noch einige sehr ernste und gewichtige Bedenken gegen die Sache selbst auszusprechen.«
Der Kaiser blickte nicht auf, mit völlig ausdrucksloser Miene sah er auf das Papier nieder und zeichnete große krumme Linien, welche in einander greifend sich zu dem Bilde eines Adlerflügels vereinigten.
»Eure Majestät,« fuhr Graf Daru fort, »haben vorhin bemerkt, daß das Kaiserreich auf dem freien Votum der ganzen Nation beruhe, wie das ja auch mit der Herrschaft des ersten Kaisers der Fall war. Das Volk hat seinen Willen ausgesprochen und sich nach einer Zeit innerer Unruhen und Kämpfe eine feste Staatsform und eine consolidirte Regierung gegeben, welche wir nunmehr dem Willen Eurer Majestät gemäß zu freierer, innerer Entwicklung zu führen haben. Da die Existenz des Kaiserreichs, der Grund seines Bestehens auf dem Plebiscit beruht, so halte ich es für bedenklich, der Sicherheit des Staatsgebäudes und vor allen Dingen auch der Dynastie Gefahr bringend, wenn man ohne eine absolute Nothwendigkeit auf die Grundfundamente der Monarchie wieder zurückgreift. Ich glaube nicht, – verzeihen mir Eure Majestät, daß eine Dynastie wirklich auf die Dauer feste und unzerstörbare Wurzeln schlagen kann, wenn bei jeder Gelegenheit derjenige Faktor, der ihr das Leben gegeben, wieder in die öffentliche Bewegung hineingezogen wird; das Volk durch unmittelbares Plebiscit hat einmal gesprochen und das Kaiserreich begründet – die weitere Entwicklung desselben muß nun seinen verfassungsmäßigen Vertretern überlassen werden. Das Kaiserreich selbst darf nicht wieder in Frage gestellt werden. Denken Eure Majestät, in welche gefährliche Lage, in welche falsche Position ein Souverain kommen müßte, der wie Eure Majestät es stets mit gerechtem Stolz gethan und wie Ihre Nachfolger es ohne Zweifel ebenfalls thun werden, sich den Erwählten der Nation nennt, wenn das Votum dieser Nation in einem spätern Plebiscit ihm ungünstig wäre? Ein abfälliges Votum des Corps legislativ greift nur das Ministerium an, ein abfälliges Plebiscit aber würde das Kaiserthum und die Dynastie selbst in Frage stellen.« –
»So weit wir aber die Stimmung im Lande kennen,« fiel Herr Ollivier ein, während der Kaiser fortwährend ganz theilnahmlos weiter zeichnete – »ist garnicht an die Möglichkeit zu denken, daß die allgemeine Abstimmung ungünstig ausfalle, vielmehr wird sie auf's Neue die Wurzeln des Kaiserreichs und der Dynastie kräftigen und immer tiefer in das nationale Bewußtsein dringen lassen.«
»Ich zweifle nicht an dem Ausfall der Abstimmungen,« erwiderte Graf Daru, indem flüchtig und fast unbemerkbar ein Zug feiner Ironie auf seinem kalten bleichen Gesicht erschien, »auch spreche ich nicht von der Thatsache, sondern von dem Prinzip, und im Prinzip muß ich dabei bleiben, daß ein wiederholtes Plebiscit gefährlich für die Dynastie ist, um so gefährlicher, wenn man jetzt etwa auf einen günstigen Ausfall desselben einen besonderen Werth zu legen beabsichtigt. Je mehr Bedeutung man dem zustimmenden Votum giebt, um so mehr gefährlicher würde eines Tages eine feindliche Abstimmung werden können. Außerdem bin ich des Erfolges noch nicht so vollkommen sicher. Die Majorität Derjenigen, welche stimmen, wird mit ja stimmen, daran zweifle ich nicht, ob es aber der Opposition nicht gelingen werde, eine sehr große Majorität für die Stimmenenthaltung zu gewinnen, darüber bin ich noch nicht vollkommen beruhigt; und der Eindruck einer solchen Enthaltung würde nicht nur in Frankreich, sondern auch im Auslande ein sehr bedenklicher sein müssen.«
Herr Ollivier, welcher sich unruhig hin und her bewegt hatte, wollte mit einer Bemerkung einfallen.
Der Graf Daru erhob leicht mit einer artigen, aber bestimmten Wendung die Hand gegen ihn und fuhr fort.
»Wenn ich schon aus Rücksicht auf das Kaiserthum selbst und auf die Dynastie der Meinung bin, daß ein erneutes Plebiscit nur im Augenblick einer öffentlichen Gefahr oder gewaltiger nationaler Anstrengungen vorgenommen werden darf, so bestärkt mich in dieser Ansicht noch mehr die Rücksicht auf die freie und verfassungsmäßige Entwicklung des öffentlichen Lebens, deren Sicherung unsere Aufgabe ist. Wenn es als ein Grundsatz des öffentlichen Rechts anerkannt wird, daß die Regierung in jedem Augenblick und ohne bestimmte zwingende und in der Verfassung vorgesehene Gründe sich an das Volk wenden kann, so wird jedes constitutionelle Leben überhaupt eine Unmöglichkeit, denn die Regierung hat es in der Hand, bei jedem Conflict mit den Gesetzgebenden Körperschaften durch ein Plebiscit das ganze verfassungsmäßige Leben in Frage zu stellen. Daß Eure Majestät niemals einen solchen Gedanken haben werden,« sagte er, sich gegen den Kaiser verneigend, – »davon bin ich überzeugt, indessen bei der Beurtheilung öffentlicher Rechtsprinzipien darf man nicht an die Person, sondern an die Sache und an die völlig objectiv gestellte Frage denken. Für mich spricht also sowohl die Rücksicht auf die Stabilität und die Unantastbarkeit der monarchischen Staatsform und der Dynastie als diejenige auf die wahre Freiheit des öffentlichen Lebens gegen eine Wiederholung des Plebiscits.«
»Sie würden also, mein lieber Graf,« sagte der Kaiser, indem er einen Augenblick flüchtig aufblickte und dann wieder in die Betrachtung des auf dem Papier vor ihm nunmehr deutlich erkennbaren Adlerflügels versank, »Sie würden also einer Berufung an das Volk Ihre Stimme nicht geben wollen?«
»Ich habe meine prinzipmäßigen Gründe gegen das Plebiscit ausgesprochen,« erwiderte der Graf. »Ich bin indessen ebenfalls überzeugt, daß beim absolut starren Festhalten an den Prinzipien practisch nicht regiert werden kann. Und da Eure Majestät und die meisten meiner Kollegen die Volksabstimmung für zweckmäßig halten, so würde ich mich derselben nicht unbedingt entgegenstellen.«
Der Kaiser zog seine Linien weiter und weiter. Ein zweiter Adlerflügel begann sich an der Seite des ersten zu zeigen.
Auf Herrn Olliviers Gesicht erschien bei den letzten Worten des Grafen Daru eine ziemlich erkennbare Verstimmung.
Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten sprach weiter:
»Die Bedenken, welche ich gegen eine Wiederholung des Plebiscits so eben ausgesprochen und motivirt habe, können nach meiner Überzeugung auf eine sehr einfache Weise zum großen Theil beseitigt werden: Wenn nämlich der Grundsatz festgehalten wird, daß die Berufung an die unmittelbare Volksabstimmung nur Statt finden dürfe, wenn sich die Regierung und die Gesetzgebenden Körperschaften darüber verständigt haben. Dadurch würde nach beiden Richtungen die Garantie gegen den Eintritt derjenigen Gefahren gegeben, welche ich vorhin bezeichnete, und so würde die Absicht Eurer Majestät erreicht. Ich glaube, daß der Herr Großsiegelbewahrer,« sagte er, sich an Ollivier wendend, »einer Verständigung in der von mir angedeuteten Richtung nicht abgeneigt ist, wenigstens habe ich bei meiner früheren Unterredung über diesen Gegenstand bei ihm die Geneigtheit bemerkt, auf meine Prinzipien einzugehen, und auf Grund derselben den Bestand des Cabinets zu sichern,« sagte er mit fester Stimme, sich gegen den Kaiser verneigend.
Dieser hob ein wenig den Kopf empor und richtete den Blick seines vollständig verschleierten Auges auf Herrn Ollivier.
»Der Gedanke des Grafen Daru,« sagte er ruhig, »scheint mir eine sehr gute Grundlage für die Ausgleichung der entgegenstehenden Ansichten zu bieten. Es wäre gewiß sehr wünschenswerth, eine solche Verständigung zu erreichen, wenn dies nach Ihrer Überzeugung möglich ist.«
Herr Ollivier richtete sich grade empor, ließ den unsichern Blick über seine in schweigender Zurückhaltung da sitzenden Kollegen gleiten und begann dann mit nachdrücklicher Betonung:
»Ich glaube nicht, daß der Gedanke des Herrn Ministers der auswärtigen Angelegenheiten ausführbar sei, wenn man sich die wahre staatsrechtliche Natur der Frage klar macht. Das Volk,« fuhr er fort, »die französische Nation ist, Eure Majestät werden mir darin beistimmen,« sagte er, sich gegen den Kaiser verneigend – »der eigentliche, in letzter Instanz definitiv über die Geschicke Frankreichs entscheidende Souverain. Die Vertreter im Corps legislativ sind nur Delegirte. Es entspräche nicht der Würde der Nation selbst, wenn Derjenige, an welchen sie ihre Souverainetät deligirt hätte, erst die Genehmigung der lediglich für die gesetzgeberische Arbeit abgeordneten Vertreter einholen müßte, um sich in großen Nationallebensfragen an das Volk selbst wenden zu dürfen. Zwischen dem Kaiser, das heißt dem General-Mandatar der souverainen Nation und dem Volk selbst darf kein untergeordneter Faktor stehen. Sie müssen frei, wenn es nothwendig ist, miteinander verkehren können, und der Kaiser muß das Recht haben, auch ohne die Zustimmung der parlamentarischen Körperschaften an das Volk selbst sich wenden zu können. Jede zufällige Majorität der Kammer würde ja sonst die Macht haben, die Berufung an das Volk zu verhindern. Ich für meine Person,« schloß er mit bestimmtem Ton, »würde lieber dafür stimmen, das Plebiscit überhaupt aufzugeben, als es auf diese Weise von der Zustimmung einer Kammer abhängig zu machen, die vielleicht garnicht den Willen des ganzen Volkes und sein wahres Interesse vertritt.«
Graf Daru hatte Herrn Ollivier ein wenig erstaunt angesehen, dann flog abermals jener Zug feiner Ironie über sein Gesicht, und als der Großsiegelbewahrer geendet, sprach er, während auf dem Papier des tief gebückt dasitzenden Kaisers sich nunmehr zwischen den beiden Flügeln auch der Kopf eines Adlers zu entwickeln begann:
»Ich bedaure, daß ich die Absicht des Herrn Großsiegelbewahrers bei unserer letzten Unterredung so falsch oder unklar aufgefaßt habe. Wäre mir damals seine Meinung so bestimmt erschienen, wie ich sie jetzt verstehe, so hätte ich schon früher alle Hoffnungen und alle Versuche zu einer Verständigung zu gelangen, aufgegeben. Ich muß Eurer Majestät aufrichtig erklären, daß wenn das Plebiscit ohne vorherige Verständigung mit der Kammer beschlossen werden sollte, ich nicht im Stande sein würde, länger ein Mitglied des Cabinets zu bleiben.«
»Ich schließe mich der Erklärung des Herrn Grafen Daru vollständig an,« sagte der Finanzminister Buffet mit rauhem und kurzem Ton. »Ich glaube, daß die Wiederholung der Plebiscite die freie Bewegung des konstitutionellen Lebens unmöglich macht und den Staat fortwährend mit der Wiederkehr absoluter Autocratie bedroht. Ich bitte Eure Majestät, wenn das Plebiscit nach der Anschauung des Herrn Großsiegelbewahrers beschlossen werden sollte, meine Entlassung zu genehmigen.«
»Und was meinen die übrigen Herren Minister,« fragte der Kaiser, unter dessen Bleistift sich nunmehr auch ein großer Adlerkopf bildete.
»Ich stimme Herrn Ollivier bei,« sagte Ségris.
»Ich würde um der Einheit des Bestandes des Cabinets willen,« sagte der Marquis von Talhouet, »wünschen, daß auf dem Boden des vom Grafen Daru ausgesprochenen Gedankens eine Verständigung erzielt werde. Indessen kann ich nicht mein Verbleiben im Cabinet von dieser Frage abhängig machen, und ich hoffe,« fügte er verbindlich sich gegen den Grafen von Daru verneigend, hinzu, »daß auch unser verehrter Kollege von diesem äußersten Entschluß zurückstehen werde.«
Graf Daru schüttelte schweigend den Kopf.
»Ich habe,« rief Herr Ollivier rasch, »wahrlich für die Freiheit und die Rechte des Volkes gesprochen und gekämpft. Niemand wird mir dies Zeugniß versagen können. Jetzt aber ist es auch meine Pflicht, die Rechte der Krone zu vertreten und zu vertheidigen, und ich würde in einer solchen Anschauung der kaiserlichen Initiative, wie sie der Graf Daru vorschlägt, eine sehr gefährliche und bedenkliche Schmälerung der kaiserlichen Rechte erblicken.«
Der Marschall Leboeuf und der Admiral Rigault de Genouilly stimmten in kurzen Worten dem Herrn Ollivier bei; ebenso Herr Maurice Richart und Herr Chevandier de Valdrome.
Zu den Flügeln und dem gekrönten Kopf des Adlers war auf dem Papier des Kaisers bereits noch eine Kralle hinzugetreten, auf welcher ein kleiner Reichsapfel ruhte.
Der Kaiser richtete ein wenig den Kopf auf, ohne daß sein Bleistift aufhörte in langsamer, anscheinend fast unwillkürlicher Bewegung Linie an Linie zu reihen.
»Ich höre also,« sagte der Kaiser, »daß die Mehrzahl meiner Herren Minister dem Herrn Großsiegelbewahrer vollständig beipflichten, welcher sich für die schleunige Ausführung des Plebiscits und zwar ohne vorherige Verständigung mit den Kammern ausgesprochen hat. Hätten die Herren Minister gegen das Plebiscit überhaupt Bedenken gehabt, so hätte ich meinerseits kaum einen Grund gehabt, dasselbe durchaus zu wünschen, so sehr ich auch überzeugt bin, daß es den Institutionen des Kaiserreichs neue Kräfte geben werde. Da aber die große Majorität meiner Minister das Plebiscit für zweckmäßig und nothwendig hält, da sie zu gleicher Zeit die Modalität, welche der Graf Daru vorgeschlagen, nicht zu acceptiren geneigt sind, so bleibt mir nichts anderes übrig, als nochmals Sie, Herr Graf, zu bitten, aus der Sache keine Cabinetsfrage zu machen und Sie, Herr Minister,« sagte er, sich an Herrn Ollivier wendend, »reiflich zu überlegen, ob Sie nicht im Stande wären, eine Kombination zu finden, welche sich dem Grafen Daru nähert, und es ihm möglich macht, Mitglied des Cabinets zu bleiben, in welches ich ihn mit so vielem Vertrauen berufen habe, und aus welchem ich ihn nur mit aufrichtigem Schmerz würde scheiden sehen.«
Es war fast ein ängstlicher Ausdruck, mit welchem Herr Ollivier den Kaiser bei den letzten Worten ansah.
»Eure Majestät wissen,« sagte er schnell, »wie hohen Werth ich auf die Freundschaft und Mitwirkung des Grafen Daru und auf sein Verbleiben in dem Ministerium lege; indessen meine Anschauung und Überzeugung steht fest, und wie ich niemals im politischen Leben von derselben abgewichen bin, so kann ich es auch jetzt nicht, selbst auf die Gefahr hin, die bisher so fruchtbare und hoch erfreuliche gemeinschaftliche Arbeit mit dem Herrn Grafen zu unterbrechen. Meine Überzeugung steht fest,« sagte er, die Hand auf die Brust legend, »und da auch die meisten meiner Kollegen dieselbe theilen, so kann ich um so weniger in einer so hoch wichtigen Frage auf irgend einen Kompromiß eingehen.«
»Ich habe also,« sagte der Graf Daru, ohne daß irgend eine Bewegung auf seinem Gesicht bemerkbar wurde, »Eure Majestät nochmals bestimmt um meine Entlassung zu bitten, da ich nicht im Stande bin, der von der Mehrzahl meiner Kollegen beschlossenen Maßregel meine Zustimmung zu geben.«
»Ich muß die gleiche Bitte an Eure Majestät richten aus dem gleichen Grunde,« sagte Herr Buffet.
Der Adler auf dem Papier des Kaisers hatte eine zweite Kralle erhalten.
»Ich kann,« sagte Napoleon, »da ich ja nicht mehr der persönliche Autokrat bin,« fügte er lächelnd hinzu, »gegen den Beschluß meiner Minister nichts thun. Ich bitte Sie indeß, meine Herren,« fuhr er fort, sich an die übrigen Minister wendend, »daß Sie sich der Aufgabe unterziehen mögen, in privater Besprechung und durch persönliche Einwirkung ein Einverständniß zwischen dem Grafen Daru und Herrn Ollivier zu ermöglichen. Ich bin überzeugt,« fuhr er fort, indem er mit der linken Hand über seinen Bart fahrend den Mund verdeckte, während seine Rechte in der Kralle des Adlers vor ihm ein großes, hoch aufragendes Schwert erscheinen ließ, »daß Herr Ollivier ebenso wie ich das Ausscheiden des Grafen aus dem Cabinet beklagen würde, daß er Alles aufbieten wird, um eine Verständigung herbeizuführen. In einem Punkt bin ich jedoch vollkommen der Meinung, welche sich die meisten Herren hier angeeinigt haben, daß nämlich schnell gehandelt werden müsse, um der Opposition nicht die Zeit zu lassen, die Stimmenenthaltung zu organisiren. Ich hoffe also,« sagte er aufstehend, indem er den Bleistift neben dem nunmehr vollendeten und mächtig bewehrten Adler niederlegte, »daß Sie mir morgen die Mittheilung von Ihrer allseitigen Verständigung machen werden, daß wir Alle miteinander gemeinschaftlich bei der Durchführung des begonnenen Werkes weiter arbeiten werden.«
Er verneigte sich mit verbindlicher Höflichkeit nach allen Seiten und verließ das Conferenzzimmer, in welchem die Minister noch fast eine Stunde zurückblieben, auf alle mögliche Weise versuchend, das Einverständniß zwischen Herrn Ollivier und dem Grafen Daru herzustellen.
Alle Versuche scheiterten jedoch an der kalten Ruhe, mit welcher der Graf Daru an seiner Ansicht festhielt und an der pathetischen würdevollen Unbeugsamkeit, mit welcher Herr Ollivier erklärte, auch nicht in einem Punkt von seiner Überzeugung abgehen zu können.