Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Der Todesgruß der Legionen

Zeitroman

von

Gregor Samarow

Berlin, 1874


Erster Band.

Erstes Capitel.

Am Ufer der Marne, in der Nähe der kreidereichen weißen Ebene der Champagne, liegt die alte Stadt Saint-Dizier, ein kleiner Ort mit etwa fünftausend Einwohnern, deren Industrie zum großen Theil darin besteht die auf der Marne herabgeflößten Holzstämme in Bretter zu zerschneiden – außerdem befinden sich dort berühmte Manufacturen von Eisenwaaren und durch diese Gewerbthätigkeit hat der ganze Ort trotz seiner geringen Ausdehnung, vielleicht gerade wegen derselben eine bedeutende Wohlhabenheit erreicht.

Die alte Stadt zieht sich mit ihren winkligen und ziemlich unregelmäßigen Straßen in einer verhältnißmäßig bedeutenden Längenausdehnung am Ufer der Marne hin. Auf dem höchsten Punkt liegt eine alte Kirche von hohen Bäumen umgeben, welche ebenso wie die Stadt selbst und deren altersgraues Rathhaus voll von historischen Erinnerungen ist, die innig mit großen Momenten der Geschichte Frankreichs zusammenhängen.

Schon von Alters her waren die Einwohner von Saint-Dizier sehr streitbare und kriegerische Männer, man nannte sie im Mittelalter les bragars – eine Zusammenziehung aus les braves gars – und die bragars von Saint-Dizier waren die treuesten und muthigsten Kämpfer Franz I.; sie hielten eine lange Belagerung Carl V. aus und leisteten dem Lande dadurch wichtige Dienste, für welche der ritterliche König sie mit verschiedenen bedeutenden Privilegien auszeichnete.

Diese stolzen Erinnerungen leben noch heute in den Bewohnern von Saint-Dizier fort und so klein und unscheinbar die Stadt ist, so stolz blickt sie auf ihre Geschichte zurück und jeder Bürger von Saint-Dizier macht das Wort Franz I.: »tout est perdu fors l'honneur« zu seiner Devise.

Die unmittelbare Umgebung der Stadt ist flach und eben; in einiger Entfernung erheben sich kleine Anhöhen mit niedrigen Laubwaldungen und Weinpflanzungen bedeckt. Dort befindet sich eine Wasserheilanstalt, welche wegen ihrer gesunden Luft und ihrer frischen Quellenbäder von den Bewohnern der Umgegend häufig besucht wird und während des Sommers die kleine Stadt mit dem bewegten Leben eines Badeortes erfüllt.

Es war an einem Februarabend des Jahres 1870.

Rauh und kalt wehte der Wind über die ebene Umgebung der Stadt; die Wellen der Marne vom Sturm gepeitscht schlugen an die Ufer und die dort aufgehäuften Holzblöcke; durch die in zerrissenen Flocken über den Himmel hinjagenden Wolken blickte von Zeit zu Zeit ein Strahl des Mondlichtes und erhellte einen Augenblick die öde und kalt daliegende Gegend.

Auf einem ebenen Wege am Flußufer, der an schönen Tagen für die Bewohner von Saint-Dizier eine beliebte Promenade bildete, gingen langsam zwei Männer auf und nieder.

Beide waren hoch und kräftig gewachsen und wenn das Mondlicht vorübergehend ihre Gesichtszüge beleuchtete, so konnte man in denselben jenen eigenthümlichen Typus der norddeutschen Race erkennen. Der Eine von ihnen mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein; seine Gestalt war geschmeidig, seine Bewegungen elastisch und nicht ohne eine gewisse natürliche fast elegante Anmuth, welche nicht vollständig mit der Kleidung übereinstimmte, die er trug und die ungefähr diejenige des französischen Arbeiterstandes war.

Sein Gesicht war scharf geschnitten und drückte Intelligenz, Muth und Willenskraft aus; über der leicht aufgeworfenen Oberlippe kräuselte sich ein kleiner dichter Schnurrbart, volle blonde Locken quollen unter dem kleinen runden Hut hervor und in den großen blauen Augen lag eine gewisse schwärmerische Tiefe, verbunden mit scharfer Beobachtung, welche zuweilen den Ausdruck listiger Schlauheit annehmen konnte. Neben ihm schritt ein bedeutend älterer Mann von etwa vierzig bis fünfundvierzig Jahren. Sein Gesicht sah bereits ein wenig verwittert aus und zeigte weniger Intelligenz als das seines Begleiters, dagegen aber mehr von jener beinahe eigensinnigen Zähigkeit, welche dem norddeutschen, insbesondere dem niedersächsischen Bauernstamme eigen ist.

Beide Männer gehörten der hannöverschen Emigration an, welche im Jahre 1867 ihr Heimathland verlassen und nachdem sie aus Holland und der Schweiz ausgewiesen war, ein Asyl in Frankreich gefunden hatte. Der Jüngere der beiden Männer war der frühere hannöversche Dragoner Cappei; der Ältere war der frühere Unterofficier Rühlberg, welcher das Commando über die kleine Abtheilung Emigranten führte, welche in Saint-Dizier stationirt waren.

»Ich sage Euch noch einmal, Cappei,« sprach der Unterofficier, »überlegt wohl, was Ihr thun wollt, denn die Sache wird ernst – ich habe den Herrn Lieutenant von Mengersen, als er das letzte Mal hier inspicirte, auf das Gewissen gefragt, ob es wirklich wahr sei, daß der König die Emigration auseinander schicken und Jeden mit einer Summe von einigen hundert Francs abfinden wolle und der Herr von Mengersen, der ein braver und ehrlicher Mann ist, hat die Achseln gezuckt und mir keine rechte Antwort gegeben – er weiß mehr als er sagen will und die Kameraden in Paris haben mir geschrieben, daß dort etwas vorgeht; es sind Herren aus Hietzing dagewesen, man hat dann lange Conferenzen gehalten und die Herren Officiere sind alle sehr niedergeschlagen gewesen, – glaubt mir nur, ich täusche mich nicht, wir werden einfach fortgeschickt werden, nachdem wir uns vier Jahre lang für den König in der Welt herumgeschlagen haben und dann muß Jeder von uns ernstlich daran denken, wie er sich sein Brot erwerben und sich ehrlich durch's Leben bringen kann.«

»Ich glaube das nicht, Herr Unterofficier,« rief Cappei, indem er stehen blieb und lebhaft mit dem Fuße auf den Boden trat; »es ist unmöglich, daß Seine Majestät seine treuen Soldaten, die in der Noth und Verbannung zu ihm gehalten haben, so einfach auseinander schickt, ohne sich um ihr Schicksal zu kümmern. – Ich werde das nicht eher glauben, als bis es wirklich geschieht – wenn es aber je dazu kommen sollte, dann steht mein Entschluß ganz fest – ich gehe nach Hannover in die Heimath zurück, mag daraus entstehen was da wolle. – Die Preußen können uns doch nicht Alle todtschießen; man wird uns bestrafen, aber dann sind wir doch wenigstens in der Heimath und haben festen Grund für unsere Existenz. Ich habe ein kleines Gehöft von meinem Oheim zu erben, das wird man mir nicht nehmen und wenn man mich wirklich ein oder zwei Jahre einsperrt, so werde ich doch nachher ruhig in meinem Hause sitzen und mir eine Familie gründen können.«

»Ihr sprecht so,« erwiderte der Unterofficier, »weil Ihr verliebt seid und weil Ihr nur daran denkt, je eher je lieber die kleine Französin zu heirathen, der Ihr den ganzen Tag den Hof macht; aber das ist nicht recht von einem ordentlichen Soldaten – denkt doch daran, daß Ihr noch militairpflichtig seid und daß man Euch jedenfalls, wenn Ihr zurückkehrt, zum Dienst einziehen wird. Wollt Ihr, ein alter hannöverscher Garde du Corps, der sich so lange der preußischen Eroberung widersetzt hat, hinterher noch die preußische Uniform anziehen und nach preußischem Commando exerciren?«

»Wenn der König seine Getreuen wirklich verläßt,« rief Cappei, »was habe ich, der einzelne Mensch für eine Veranlassung oder für ein Recht mich der preußischen Herrschaft zu widersetzen? Ihr werft mir vor, daß ich verliebt sei – das ist wahr; ich bin verliebt und ich habe keinen größeren Wunsch als meine kleine Luise zu heirathen, aber ich versichere Euch – Gott ist mein Zeuge – daß der König und seine Sache mir höher steht als meine Liebe und wenn der König mich heute riefe um für ihn in's Feld zu ziehen, so würde ich mich nicht einen Augenblick besinnen und meine Luise würde nicht von mir verlangen, daß ich meiner alten Fahne untreu werden sollte – wenn aber der König uns gehen läßt, so bin ich ein einzelner freier Mensch und habe nur für mich zu sorgen und dann werde ich der Narr nicht sein, mich in der Welt herumzuschlagen und die Heimath aufzugeben.

»Hart wird es freilich für mich sein die fremde Uniform zu tragen« – sprach er seufzend, – »aber was geht es im Grunde mich an? Schickt der König uns fort, dann sind wir Alle frei zu thun was wir wollen und dann allerdings werde ich mich bei meinem Entschluß nur durch meine Liebe bestimmen lassen.«

»Nun,« sagte der Unterofficier, »Gott gebe, daß es nicht dazu kommen möge. Was mich betrifft, so gehe ich nicht nach Hannover zurück; ich bin zu alt geworden, um in den neuen Verhältnissen leben zu können. Man hat uns ja eine schöne Ansiedelung in Algier versprochen – wenn es dahin kommt, so lasse ich meine Frau kommen und gründe mir dort im fernen Afrika eine neue Heimath, in der ich wenigstens nach alter Weise leben und meine Gedanken frei aussprechen kann – Ihr werdet's Euch auch noch überlegen, hoffe ich. – Es ist ein Unglück, daß bei Euch jungen Leuten immer die Liebe mitspricht –«

Ungeduldig erwiderte Cappei:

»Ich sage Ihnen nochmals,« Herr Unterofficier, »daß es nicht die Liebe ist, welche mich bestimmt – wenn der König uns nach Algier schickte und uns sagen ließe: wartet dort bis ich Euch brauchen kann, ich würde hingehen, so wahr ich hier vor Euch stehe und wenn meine Braut nicht mit mir gehen wollte, so würde mich das zwar traurig machen, aber keinen Augenblick in meinem Entschluß irre werden lassen. Wenn aber der König uns aufgiebt, so bin ich frei – ich habe meine Soldatenpflicht erfüllt und kann als ehrlicher Mann thun was ich will.«

Sie waren am Ende des Weges angekommen und schritten langsam in die Straße der Stadt hinein, welche durch die flackernden Gaslaternen nur spärlich erleuchtet war. – – –

Um dieselbe Zeit saß in dem Wohnzimmer eines großen, durch einen weiten Vorhof von der Straße getrennten Hauses in der Nähe der alten Kirche, welches dem Holzhofbesitzer Challier gehörte, ein junges Mädchen von etwa siebzehn Jahren in einem tiefen Lehnstuhl vor dem flackernden Kaminfeuer; sie trug ein einfaches Hauskleid von dunklem Wollenstoff, das sich ihrer schlanken Gestalt anmuthig anschmiegte, ihr dunkles, glänzendes Haar war glatt gescheitelt und auf dem Hinterkopf in zwei Flechten zusammengebunden, deren reiche Fülle jeden künstlichen Chignon unnöthig machte; ihr etwas blasses, feines Gesicht zeigte den eigentümlichen, scharf geistvollen, beinah etwas höhnischen, dabei aber doch wieder zugleich sentimental gefühlsreichen Ausdruck, der den französischen Frauen eigenthümlich ist. Ihre mandelförmig geschnittenen dunkeln und von scharf geschnittenen Brauen überwölbten Augen blickten sinnend in die Gluth des Kaminfeuers, während ihr kleiner frischer Mund sich ein wenig spöttisch verzog, indem sie den lebhaften Worten eines Mannes von etwa dreißig Jahren zuhörte, der vor ihr stand.

Dieser Mann war mittelgroß und von hagerer Gestalt; sein etwas gelbliches nicht schönes aber intelligentes Gesicht zuckte in lebhafter Aufregung, die Blicke seiner großen tief liegenden dunkeln Augen sprühten in nervöser Unruhe hin und her, sein krausgelocktes, dichtes Haar reichte tief in die Stirn hinab und sein kleiner schwarzer Schnurrbart war in zwei geraden Spitzen aufwärts gedreht.

»Es ist unrecht von Ihnen, Fräulein Luise,« rief er, seine Worte mit lebhaften Gesticulationen begleitend, »es ist unrecht von Ihnen, daß Sie für die Versicherungen meiner Liebe nur ein höhnisches Lächeln haben. Sie wissen, daß seit lange Ihnen mein ganzes Herz gehört; – meine Eisenfabrik wirft mir einen reichen Gewinn ab, mein Vater hat Nichts gegen meine Bewerbung – warum weisen Sie fortwährend meine Bitte zurück, mir Ihre Hand zu reichen? – Ich kann Ihnen eine sichere und wahrlich keine einschränkte Existenz bieten und was meine Person betrifft, so glaube ich sollten Sie mich genug kennen, um vertrauensvoll Ihr Schicksal mit dem meinigen zu verbinden.«

»Ich habe Ihnen schon öfter gesagt, Herr Vergier,« erwiderte das junge Mädchen, »daß ich durchaus keine Eile habe mich zu verheirathen. Ich bin, Gott sei Dank, erst siebzehn Jahre und habe noch Zeit ein wenig meine Freiheit zu genießen; ich habe Sie oft gebeten mir diese Zeit zu lassen – das ist doch in der That keine unbillige Bitte – oder fürchten Sie, daß ich Ihnen zu alt werde,« fügte sie lächelnd hinzu, indem sie ihre Augen mit einem schalkhaften Blick emporschlug.

»Da antworten Sie mir wieder in diesem höhnischen Ton, den ich nicht ertragen kann,« sagte Herr Vergier, indem er lebhaft mit der Hand durch die Haare fuhr; »es wäre wahrhaftig besser, wenn Sie mir auf einmal offen und ehrlich sagten, daß Sie Nichts von mir wissen wollen, als daß Sie mich auf diese Weise hinhalten und verspotten.«

»Warum erfüllen Sie denn meine Bitte nicht,« erwiderte Luise, »und lassen mir ruhig Zeit zur Überlegung? Ich habe ja Nichts von Ihnen verlangt, als daß Sie ein Jahr lang mit mir gar nicht über Ihre Heirathspläne sprechen und ich habe Ihnen versprochen, nach Ablauf dieser Frist Ihnen ein bestimmtes ›Ja‹ oder ›Nein‹ zu sagen. – Warum drängen Sie mich fortwährend?«

»Weil ich,« rief Herr Vergier lebhaft, »täglich deutlicher sehe, daß es nicht die Liebe zu Ihrer Freiheit ist, welche Sie die entscheidende Antwort verschieben läßt, sondern daß sich Ihr Herz mir mehr und mehr entfremdet. Oh!« sagte er näher zu ihr herantretend, indem er sie mit unruhigen, halb bittenden, halb zornigen Blicken betrachtete, »früher war das anders; früher als Sie fast noch ein Kind waren, sprachen Sie gern mit mir, Sie hatten Vertrauen zu mir, Sie lächelten freundlich und widersprachen mir nicht, wenn ich Sie meine kleine Braut, meine künftige Frau nannte, das verstand sich Alles von selbst – und machte mich so glücklich; aber jetzt,« fuhr er fort, die Zähne zusammenbeißend und mit Mühe einen heftigen Ausdruck zurückhaltend – »jetzt ist das Alles anders – seit –«

»Seit?« fragte das junge Mädchen den Kopf emporwerfend und mit einem kalten, fast hochmüthigen Blick Herrn Vergier vom Kopf bis zu den Füßen musternd, »seit –?«

»Seit jener fremde Deutsche hierhergekommen ist,« rief Herr Vergier mit brennenden Blicken, indem seine Gesichtszüge sich durch einen häßlichen Ausdruck von Zorn und Haß entstellten, »jener heimathlose Flüchtling, von dem man nicht weiß woher er kommt – seit dieser Mensch, der nur ein gemeiner Soldat war, sich in Ihr Herz eingeschlichen hat – seit jener Zeit haben Sie die Erinnerungen Ihrer Kindheit vergessen – haben Sie Ihren Vater und Frankreich vergessen, denn es ist auch ein Verbrechen an Ihrem Vaterlande einen Fremden zu lieben, noch dazu einen Fremden, welcher jener deutschen Nation angehört, die stets die Feindin Frankreichs war und deren Schaaren den heiligen Boden unsers Vaterlandes mehr als einmal verwüsteten. – Ich hasse die Deutschen,« fuhr er mit grimmigem, dumpf gepreßtem Tone fort, »ich habe sie gehaßt so lange ich die Geschichte meines Landes kenne und ich hasse sie jetzt – mehr als je, seit mir Einer aus dieser Race die Hoffnung meiner Zukunft und das Glück meines Lebens geraubt hat.«

Bei diesen Worten, welche Herr Vergier fortgerissen von seiner inneren Erregung, in immer steigendem Affect gesprochen, hatte zuerst eine fliegende helle Röthe Luisens Gesicht überzogen, dann öffneten sich ihre Augen groß und weit, das Blut verschwand aus ihren Lippen und ein Ausdruck von Verachtung und feindlichem Hohn legte sich um ihren festgeschlossenen Mund.

»Ich erinnere mich nicht,« sagte sie mit zitternder Stimme, welche sie mühsam zu ruhigem Ton zwang – »ich erinnere mich nicht, Herr Vergier, Ihnen das Recht gegeben zu haben, Vermuthungen über meine Beziehungen zu andern Personen auszusprechen und an diese Vermuthungen Belehrungen und Beleidigungen zu knüpfen. Ich habe von Ihnen Frist verlangt, um über Ihre Wünsche nachzudenken und Ihnen versprochen, Ihnen demnächst zu antworten.

»Wenn Sie sich herausnehmen in dem Ton mit mir zu sprechen, den ich so eben gehört, so wird die Folge davon sein, daß ich, ohne weiter einer Frist zu bedürfen, Ihren Antrag sogleich mit einem bestimmten und unwiderruflichen ›Nein‹ beantworte.«

Herr Vergier beugte sich unter dieser entschiedenen Erklärung des jungen Mädchens zusammen, er schlug die Augen nieder und zwang sich zu einem freundlichen Lächeln.

»Verzeihung, Fräulein Luise!« sagte er mit leiser Stimme, indem er dem jungen Mädchen näher trat und ihr die Hand reichte, welche sie nur leicht mit den Spitzen ihrer Finger berührte – »Verzeihung, ich habe mich hinreißen lassen von meinem Gefühl, aber gerade diese Bewegung sollte Ihnen zeigen wie tief dasselbe ist.«

Luise antwortete nicht, schlug die Arme übereinander und blickte unbeweglich in die Kaminglut.

Nach einigen Augenblicken tiefen Schweigens trat der Vater des jungen Mädchens, der Holzhändler Challier in den Salon. –

Herr Challier war ein Mann von sechszig Jahren, nicht hoch gewachsen, aber trotz seines Alters noch von schlanker und elastischer Gestalt; das kurze dichte Haar war durchweg grau und an den Schläfen wie über der Stirn zurückgestrichen, so daß das scharfgeschnittene, ausdrucksvolle Gesicht mit den lebhaft blickenden dunkeln Augen und den noch fast schwarzen Augenbrauen an jene alten Köpfe aus der Zeit des Puders erinnerte.

Der alte Herr begrüßte Herrn Vergier und seine Tochter, ohne die peinliche Gereiztheit zu bemerken, in welcher Beide sich befanden.

»Wir haben heute die Arbeit spät geschlossen,« sagte er, »es sind so bedeutende Bestellungen von Seiten der Kriegsverwaltung gemacht, daß wir alle Hände voll zu thun haben um denselben zu genügen; nach diesen Vorbereitungen sollte man fast glauben, daß große Ereignisse bevorstehen, während doch die Zeitungen Nichts dergleichen vermuthen lassen und alle officiellen Kundgebungen nur die zuversichtlichsten Friedensversicherungen enthalten.«

»Ich glaube an diese Versicherungen wenig,« sagte Herr Vergier, welcher sehr zufrieden damit zu sein schien, daß die Unterhaltung ein Gebiet berührte, das so weit von dem Gegenstande entfernt war, der so eben das Gespräch zwischen ihm und Fräulein Luise gebildet hatte – »wir haben es schon öfter erlebt, daß unmittelbar vor den großen Conflicten in allen Tonarten der Weltfriede verkündet wurde und mich machen so feierliche und so bei jeder Gelegenheit wiederholte Friedensversicherungen ein wenig mißtrauisch.

»Ich weiß, daß auch auf dem Gebiet meines Geschäfts neuerdings wieder große Bestellungen gemacht worden sind und die ganze industrielle Welt hat das Gefühl, daß in der schwülen Luft dieser Zeit ein großes erschütterndes Gewitter sich vorbereitet, und so sehr ich,« fuhr er lebhafter fort, »als Industrieller den Frieden wünsche, so muß ich doch sagen, daß ich als Franzose mit tiefem Schmerz die passive Unthätigkeit empfinde, zu welcher die Regierung des Kaisers Frankreich verurtheilt und durch welche die Stellung unseres Landes in Europa immer schwerer erschüttert und immer tiefer untergraben wird.«

Der alte Challier schüttelte langsam den Kopf.

»Mir fehlt es wahrlich nicht an französischem Nationalgefühl,« sagte er, »und gerade die Bürger von Saint-Dizier, zu denen meine Familie seit Jahrhunderten gehört, sind mit dem militairischen Ruhm Frankreichs eng verwachsen, aber ich sehe wahrlich nicht, daß und wie die Achtung gebietende Stellung unseres Landes bedroht wäre und ich glaube daß der Kaiser sehr wohl daran thut den kriegerischen Aufwallungen nicht nachzugeben, welche sich seit längerer Zeit so oft bemerkbar machen.

»Er hat Frankreich auf eine Höhe des Wohlstandes gebracht wie dieselbe kaum jemals früher vorhanden war; sein neues Wegesystem hat jeder Arbeit den sicheren und leichten Absatz verschafft und es wäre ohne die allergewichtigsten Ursachen geradezu ein Verbrechen unser so herrlich aufblühendes Land in die Gefahren eines großen Krieges zu stürzen. Die Nachwehen dieser mexikanischen Expedition, welche uns so viel Geld und Blut gekostet hat, sind kaum überwunden und ein neuer Krieg würde kaum zu verantworten sein.«

»Aber glauben Sie denn,« rief Herr Vergier lebhaft, »daß der Kaiser sich auf die Dauer wird halten können, wenn er nicht durch einen glücklichen und siegreichen Krieg seiner Regierung ein neues nationales Fundament giebt? Man sagt ja, daß seine besten Freunde ihm zu solchem Kriege rathen. – Ich liebe das kaiserliche Regiment nicht – ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, daß ich in der Republik die einzige Regierungsform sehe, welche Frankreich dauernd zu Glück und fester Größe führen kann und ich würde ohne Bedauern den Zusammenbruch dieser willkürlichen Regierung ansehen, der wir jetzt unterworfen sind –«

»Sie thun Unrecht,« fiel Herr Challier ernst und entschieden ein – »die Jugend liebt die Veränderung und glauben Sie mir, es ist wesentlich die Neigung zur Veränderung, welche die Gegner des Kaiserreichs erfüllt; ich bin kein unbedingter Bewunderer der Napoleonischen Herrschaft – die Traditionen unserer Stadt und unserer Gegend weisen uns vielmehr auf die alten legitimen Könige von Frankreich zurück, mit denen unsere Vorfahren in der großen Geschichte der Vorzeit so eng verbunden waren; aber ich erkenne an, daß das legitime Königthum für Frankreich abgeschlossen ist und daß in dem Kaiserreich die einzige Garantie für eine ordnungsmäßige gesicherte Entwickelung der nationalen Wohlfahrt liegt. Dem Kaiser Schwierigkeiten zu bereiten ist nach meiner aufrichtigsten Überzeugung ein Unrecht gegen Frankreich selbst, um so mehr nachdem der Kaiser sich jetzt mit liberalen Institutionen umgeben und Männer in seinen Rath berufen hat, welche das Vertrauen des Volkes besitzen.«

»Das Vertrauen des Volkes?« rief Herr Vergier. »Besitzt dieser Herr Ollivier, welcher dem Portefeuille seine Überzeugung, die er früher so laut und emphatisch aussprach, Stück für Stück geopfert hat – besitzt dieser, täglich die Farbe wechselnde Minister das Vertrauen des Volkes? – Dieser Mann, der äußerlich den anspruchslosen und einfachen Bürger spielt und in seinem Herzen ein schlimmerer Höfling ist als die Satelliten der römischen Kaiser.«

»Nun,« sagte Herr Challier das Gespräch abbrechend, »ich hoffe, daß die kriegerischen Befürchtungen auch diesmal unbegründet sein werden und daß man die steigende Wohlfahrt des Landes einem augenblicklichen militairischen Ruhm vorziehen wird.«

Er blickte auf seine Uhr.

»Ist unser Diner bereit?« fragte er seine Tochter, welche fortwährend still in ihrem Stuhl gesessen hatte, ohne auf das Gespräch ihres Vaters mit Herrn Vergier zu achten.

Luise erhob sich.

»Sogleich,« sagte sie, »Herr Cappei muß jeden Augenblick kommen; er hat versprochen heute bei uns zu essen,« fügte sie hinzu, indem ihr Blick sich fast herausfordernd auf Herrn Vergier richtete, welcher die Lippen zusammenbiß und sich abwendete.

Die Thür öffnete sich und der junge Hannoveraner trat ein.

Herr Challier begrüßte ihn mit herzlicher Freundlichkeit; das junge Mädchen trat ihm entgegen, reichte ihm mit anmuthiger Bewegung die Hand und sprach, indem sie mit einem kalten, feindlichen Seitenblick Herrn Vergier streifte:

»Wir fürchteten schon, daß Sie nicht kommen würden und würden Ihre Abwesenheit sehr bedauert haben.«

Der junge Mann hielt Luisens Hand einige Augenblicke in der seinen, er machte eine unwillkürliche Bewegung, als wollte er diese Hand an seine Lippen führen – dann trat er zurück und begrüßte mit einer höflichen Verneigung Herrn Vergier.

Eine hübsche Dienerin in der zierlichen Tracht der französischen Landmädchen öffnete die Thür des anstoßenden Speisezimmers. Fräulein Luise, welche als die einzige Tochter ihres früh verwittweten Vaters dem Haushalte vorstand, trat hinein, warf einen letzten Blick über den einfach aber sauber und geschmackvoll gedeckten Tisch, in dessen Mitte eine kleine Schale mit frischen Blumen stand und kehrte dann zurück, um ihrem Vater zu sagen, daß Alles bereit sei.

Man setzte sich zu Tisch. Fräulein Luise machte mit der den Französinnen aller Stände so eigenthümlichen Anmuth die Honneurs, doch wollte sich der heitere Unterhaltungston, welcher sonst in diesem kleinen Kreis heimisch war, nicht recht finden. Es lag eine gedrückte Stimmung auf der Gesellschaft.

Der junge Cappei blickte sinnend und fast traurig vor sich nieder; Herr Vergier beobachtete mit scharfen spähenden Blicken den jungen Deutschen und Fräulein Luise schien mit besonderer Absichtlichkeit ihre ganze Aufmerksamkeit Herrn Cappei zuzuwenden. Sie legte ihm die Speisen vor, schenkte ihm Wein ein und begleitete alle diese kleinen Aufmerksamkeiten mit noch freundlicheren Blicken und Worten, indem sie dabei zuweilen mit dem Ausdruck von Trotz und höhnischer Herausforderung zu Herrn Vergier hinübersah.

Das Diner verlief schweigsam.

Der junge Deutsche bewies seinen Dank für die Aufmerksamkeiten seiner schönen Nachbarin mehr durch glückstrahlende Blicke als durch Worte.

Herr Vergier verbarg, so gut er konnte seine innere zornige Erregung und hörte mit gezwungenem Lächeln den scherzhaften Bemerkungen zu, durch welche Herr Challier, der eine angenehme Unterhaltung bei Tisch liebte, von Zeit zu Zeit die Conversation zu beleben suchte.

Man erhob sich endlich und kehrte in den kleinen durch eine einfache Lampe erleuchteten Salon zurück.

Herr Vergier empfahl sich bald unter dem Vorwande dringender Geschäfte, die er noch zu erledigen habe und Herr Challier zog sich zurück, um seiner Gewohnheit gemäß einen Augenblick »nachzudenken«, wie er sagte, das heißt in dem Lehnstuhl seines Cabinets einen kleinen Schlaf zu machen.

Als die jungen Leute allein geblieben waren, zog Cappei ein kleines Tabouret neben den Lehnstuhl vor den Camin, auf welchem das junge Mädchen sich wieder niedergelassen hatte, setzte sich an ihre Seite und ergriff zärtlich ihre Hand, die sie ihm reichte.

»Meine süße Luise,« sagte er mit jenem fremden Accent, den die französische Sprache im Munde eines Deutschen immer annimmt, »ich fürchte, daß der Augenblick herannaht, in welchem wir uns auf eine vielleicht lange Zeit trennen müssen und ich bedarf der festen Zuversicht und des unerschütterlichen Vertrauens, daß Deine Liebe mir für alle Wechselfälle des Schicksals gesichert bleibt.«

»Kannst Du daran zweifeln?« erwiderte Luise, indem sie sanft mit der Hand über sein Haar strich und ihn mit einem leuchtenden Blick ansah, »ich habe Muth und Festigkeit – ich stamme,« fügte sie lächelnd hinzu, »von jenen alten Bragards von Saint-Dizier und wie jene die Sache ihres Königs und ihres Landes auf den Schlachtfeldern vertheidigten, so werde ich wenigstens ohne Zagen und Schwanken für meine Liebe einzustehen wissen. Der Kampf dafür,« fuhr sie, ihn immer mit entzückten Blicken betrachtend fort, »wird übrigens nicht so schwer sein. Mein Vater ist Dir persönlich geneigt und hat eine tiefe Sympathie für die Sache Deines so ritterlichen unglücklichen Königs. – Er liebt mich und ich sehe nicht ein, was er unserer Verbindung entgegenstellen sollte –«

»Dein Vater,« sagte Cappei ernst, »ist aber ein Mann des sichern, ruhigen Geschäftslebens und er wird und muß für die Zukunft seiner Tochter Garantieen verlangen, die ich in diesem Augenblick nicht zu geben im Stande bin – ich bin ein heimathloser Flüchtling –«

»Du hast Deine Heimath an meinem Herzen gefunden,« rief Luise lebhaft, »genügt Dir diese Heimath nicht?« –

Er küßte zärtlich ihre Hand und sagte mit innigem Ton:

»Das ist für mein Herz die schönste, die ich finden kann, die einzige, die ich suche, aber wir bedürfen auch des festen Bodens im wirklichen Leben und dieser fehlt mir in diesem Augenblick vielleicht mehr als je –«

»Doch,« unterbrach sie ihn, »warum sprachst Du davon, daß wir uns trennen sollen? Glaubst Du,« fuhr sie fort, »daß der Augenblick naht, in welchem Du für Deinen König zu Felde ziehen mußt? – Glaube mir, die Trennung wird mir tiefen Schmerz bereiten, aber ich werde Dich mit Stolz hinziehen sehen und meine Gebete werden Dich im Kampfe begleiten und Gott und die heilige Jungfrau, die ich stündlich anrufen werde, werden Dich mir erhalten – Deine Sache wird siegen und dann – dann wird unserm Glück Nichts mehr im Wege stehen.«

Er blickte düster vor sich hin.

»Wäre es so wie Du sagst,« sprach er, »so würde ich mit froher Begeisterung und Hoffnung der Zukunft entgegensehen, aber leider fürchte ich, daß die Zukunft sich anders gestaltet. Ich höre, daß die Legion aufgelöst werden soll und dann werde ich gezwungen sein nach meiner Heimath zurückzukehren, unter die fremde Herrschaft, um mein kleines Erbe mir zu erhalten, die einzige Grundlage, auf welcher ich im Stande bin Dir eine Zukunft zu schaffen.«

»Das wäre traurig,« sagte Luise – »doch warum willst Du in solchem Fall in Deine Heimath zurückkehren? Warum willst Du nicht hier bleiben und in unserm schönen Frankreich Dir ein neues Vaterland gewinnen? Mein Vater,« fügte sie rasch hinzu, »ist wohlhabend genug, um uns eine Heimath zu gründen –«

»Nein!« rief er sich stolz aufrichtend, »ich kann ein heimathloser Flüchtling sein, so lange ich einer großen Sache diene – der Sache des Königs, dem ich einst Treue geschworen habe; wenn diese Sache fällt, so kann ich nicht bittend vor Deinen Vater hintreten und mir von ihm eine Existenz schaffen lassen. Ich muß dann den festen Fuß in meiner Heimath wiedergewinnen und wenn ich sie verlasse, wenn ich hierher zurückkehre, um dem Zuge meines Herzens zu folgen, so muß es offen und frei geschehen und ich muß auch ohne die Hülfe Deines Vaters im Stande sein, unserer Zukunft eine sichere Grundlage zu geben, möge dieselbe so bescheiden sein, wie sie wolle. Ich werde keine Mühe scheuen, um dies Ziel zu erreichen; das Einzige was ich von Dir erbitte ist, daß Du mir vertraust und auch während meiner Abwesenheit mir Deine Liebe bewahrst.«

Sie beugte sich zu ihm nieder, legte beide Arme um seine Schultern und blickte ihm tief in die Augen.

»Kannst Du daran zweifeln?« sagte sie. »Was Du beschließest, was Du thun wirst, es wird das Rechte sein und keine Zeit, keine Abwesenheit wird jemals Dein Bild aus meinem Herzen reißen können. Man sagt, die deutschen Frauen seien fester und treuer in ihrer Liebe – ich will Dir beweisen, daß die feurigern Gefühle, welche das Herz der Französinnen bewegen, darum nicht minder treu und beständig sind.«

Sie lehnte ihr Haupt an seine Schulter und er drückte seine Lippen zärtlich auf ihr duftiges, glänzendes Haar! –

Rasche Tritte ertönten auf dem Vorplatz. Luise fuhr empor und lehnte sich in ihren Sessel zurück.

Cappei rückte das Tabouret einen Schritt seitwärts.

Der Unterofficier Rühlberg trat ein. Er begrüßte mit einer etwas steifen Verbeugung das junge Mädchen und sprach mit einer von innerer Erregung bewegten Stimme.

»Was wir befürchteten, geschieht. So eben als ich nach Hause kam fand ich einen Brief des Lieutenants von Mengersen vor, der mir anzeigt, daß in der nächsten Zeit eine Commission zur Auflösung der Legion hier eintreffen wird. Jedem Einzelnen sollen vierhundert Francs ausgezahlt und ihm die Freiheit gelassen werden, zu gehen wohin er will.

»Nun,« rief er mit bitterm Tone, »ich weiß, wohin ich gehen werde, um auf meine alten Tage ruhig und frei zu leben; wir sind schon über Zweihundert, die wir uns verbunden haben, nach Algier zu gehen und Ihr thut Unrecht, Euch uns nicht anzuschließen – aber das kommt –«

Er warf einen schnellen Seitenblick auf das junge Mädchen, biß sich auf den Schnurrbart und schwieg.

»Die Entscheidung naht,« sagte der junge Mann, ernst und traurig seine Geliebte anblickend.

»Und die Liebe und Treue wird sich bewähren,« erwiderte diese leise.

»Ich bin gekommen, um Euch abzuholen,« sagte der Unterofficier – »verzeihen Sie, mein Fräulein,« schaltete er mit einer gewissen mürrischen Höflichkeit ein – »unsere Abtheilung ist bei mir beisammen und wir wollen ein wenig unter einander die Sache besprechen.«

Cappei stand auf, reichte Luise die Hand, bat sie, ihn bei ihrem Vater zu entschuldigen und verließ mit dem Unterofficier den Salon.

Das junge Mädchen blieb allein in tiefen Gedanken vor dem allmälig erlöschenden Kaminfeuer sitzen, sinnend blickte sie vor sich nieder; doch war es kein trauriger und trüber Ausdruck, der auf ihrem Gesicht lag, ihre Seele war muthig und stolz darauf, ihrem Geliebten auch unter schweren Verhältnissen die Treue bewahren zu können. Der Kampf mit den Verhältnissen des Lebens reizte sie und ihr hoffnungsvolles Herz hatte keinen Zweifel, daß Alles endlich sich zu glücklichem Ausgang fügen würde.


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