Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Zweiter Band.

Erstes Capitel.

An demselben Abend befanden sich in dem Gartensalon des Hotels in der Rue Mansart, welches der Regierungsrath Meding, der Vertreter des Königs von Hannover bewohnte, zwei Personen im ernsten Gespräch.

Herr Meding saß in einem Lehnstuhl zur Seite des runden Tisches, über dessen Mitte vom Plafond eine große Lampe mit breitem, flachem Glasschirm herabhing, – ihm gegenüber lehnte in einer Chaiselongue, welche neben dem hellen Feuer eines jener altfranzösischen großen Kamine stand, der Graf von Chaudordy, der frühere Cabinetsrath unter Drouyn de L'huys, welcher jetzt als Minister plenipotentiaire zur Disposition gestellt war, sich aber stets im regen Verkehr mit der politischen Welt befand und eine neue Verwendung in der Diplomatie erwartete.

»Ich bedauere,« sagte der Graf, »daß aus dem Project, Ihren emigrirten Landsleuten eine Colonie in Algier zu gründen, Nichts werden soll. Man hat sich hier allgemein so lebhaft dafür interessirt, und den armen Leuten, welche nun doch einmal ihr Vaterland verloren haben, würde dort Gelegenheit geboten worden sein, sich eine neue Existenz und vielleicht einen werthvollen Besitz zu schaffen; wir aber hätten durch so fleißige und tüchtige Colonisten für die öconomische Verwaltung Algiers viel gewonnen.«

»Ich habe noch vor Kurzem,« erwiderte Herr Meding, »mit dem Herrn Faré, dem Director im Ministerium der Finanzen, unter dem die algerische Verwaltung steht, und welcher lange Zeit die Civiladministration bei dem Marschall Mac Mahon geführt, ausführlich gesprochen – auch der Marschall selbst, mit dem ich darüber conferirte, war, obwohl er eigentlich der civilen Colonisation Algeriens nicht besonders günstig ist, doch bereit, Alles für meine Landsleute zu thun, wozu er auch vom Kaiser noch ganz besonders aufgefordert ist, – die Leute selbst wollen sehr gern nach Algerien, allein Seine Majestät hat dennoch das Project definitiv wieder aufgegeben.«

»Ich begreife nicht warum,« erwiderte der Graf von Chaudordy, »wenn der König daran denkt, jemals wieder für sein Recht unter irgend welchen Constellationen zu kämpfen, so muß er sich doch vor Allem diejenigen Leute erhalten, welche im Stande sind, ihm den Kern einer Armee zu bilden, die er dann durch weitere Emigranten oder durch Werbungen ergänzen könnte.«

»Es scheint,« erwiderte Herr Meding, »daß im Lande Hannover selbst sehr falsche Ideen über das Colonisationsproject verbreitet worden sind und daß der König in Rücksicht auf die allgemeine Abneigung, welche sich dort gegen dasselbe kund giebt, davon wieder Abstand genommen hat. Ich bedauere sehr,« fuhr er fort, »daß man unter diesen Verhältnissen die Sache überhaupt angeregt hat. Ich komme hier dem Kaiser und der Regierung gegenüber in eine eigenthümliche Lage. Ich habe die Verhandlungen in Folge der vielfachen dringenden Depeschen des Grafen Platen so energisch als möglich betrieben und nun, nachdem alle Verhältnisse schon fast geordnet waren, wird die Sache wieder aufgegeben und zwar – wie Graf Platen angiebt – weil die Aufstellung einer hannöverschen Armee auf dem algerischen Territorium nicht thunlich sei. Ich verstehe eigentlich nicht, was man damit meint – doch gleichviel, die Sache ist aufgegeben, die Emigration wird aufgelöst werden und damit ist, wie ich glaube, die Sache des Königs und der Kampf für dieselbe auch zu Ende. Denn wenn einmal Diejenigen, welche in jahrelangem Exil dem König treu geblieben sind, in alle Welt zerstreut werden, so wird das Volk in Hannover den Eindruck gewinnen, daß nunmehr der König die neue Ordnung der Dinge anerkannt habe.«

»Es wäre vielleicht das Beste,« erwiderte der Graf von Chaudordy, »wenn der König dies einfach thäte, sich in den Besitz seines großen Vermögens brächte und sich nach England zurückzöge, wo er ja immer eine große und ehrenvolle Stellung behält. Ich habe Ihnen schon früher gesagt,« fuhr er fort, »daß ich wenig Chancen für den König zu sehen vermöchte, wenn es ihm nicht gelingen könnte, in Deutschland selbst sich eine große und mächtige Partei zu schaffen, welche in einem gegebenen Augenblick im Stande wäre, eine ernste und nachdrückliche Bewegung für ihn zu organisiren. Von Seiten der Cabinette wird Nichts für ihn geschehen; er hätte sich müssen eine Stellung schaffen, daß im Fall einer großen Katastrophe die Regierungen gezwungen gewesen wären, mit ihm zu rechnen.«

»Das ist aber Alles leider nicht geschehen,« sagte Herr Meding, »alle Anläufe, die dazu genommen wurden, sind eben Anläufe geblieben und wie das leider so oft an depossedirten Höfen der Fall ist, die ganze Thätigkeit hat sich in kleine und kleinliche Intriguen aufgelöst. Ich bin hier schon lange in einer mehr als peinlichen Situation, um so mehr als Graf Platen – wie Sie ja wissen, den Grafen Breda hierher geschickt hat, welcher als geheimer Agent des Königs figurirt, obwohl Seine Majestät mir persönlich versichert hat, ihn gar nicht zu kennen, und dessen eigenthümliche Thätigkeit die Sache des Königs mehr und mehr discreditirt. Ich würde für meine Person nicht unzufrieden sein, wenn diese ganze Unruhe ein Ende nehme und wenn nur für das ganze Welfenhaus eine sichere und würdige Zukunft geschaffen werden könnte. Doch müßte man sich in Hietzing klar werden, was man will – Eins oder das Andere, entweder den Frieden oder einen so festen und energischen Krieg, daß man gefürchtet bleibt und im gegebenen Augenblick die Macht des Handelns behält. Es scheint aber, daß überall in der Welt heute der Entschluß und die Thatkraft verschwindet. Denn ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich auch hier bei Ihnen nicht mehr verstehen kann, wo man denn eigentlich hinaus will und was man beabsichtigt.«

Der Graf Chaudordy seufzte.

»In der That,« sagte er, »häuft man hier Fehler auf Fehler. Ich fürchte, daß sich das eines Tages bitter rächen wird; ich bin mit Herz und Seele Franzose und bin dem Kaiser und dem Kaiserreich aufrichtig ergeben, aber für die Dynastie sehe ich in der Art und Weise, wie man hier die Geschäfte behandelt, wenig erfreuliche Aussichten für die Zukunft. Unsere Fehler beginnen von 1866; nachdem sich der Kaiser damals zu keinem Entschluß aufraffen konnte, mußte er dahin gedrängt werden, größere Freiheiten zu geben. Er hat sich auch dazu nur langsam und fast zu spät entschließen können, und da er diesen Entschluß so lange hinausgeschoben hat, so wird er nun gezwungen werden endlich den Krieg zu machen, welcher der größte Fehler sein wird.«

»Sie hätten also gewollt,« fragte Herr Meding, »daß der Kaiser im Jahre 1866 entschieden für Österreich hätte Partei nehmen sollen?«

Der Graf Chaudordy blickte ihn groß an.

»Nein,« sagte er, »nicht für Österreich; ich habe Herrn von Bismarck immer für sehr stark gehalten, ich habe Preußens Überlegenheit über Österreich nie bezweifelt und Österreichs Niederlage vorher gesehen. Nach meiner Überlegung hätte der Kaiser damals – und zwar vor dem Kriege – eine feste und entschiedene Alliance mit Preußen machen müssen, um aus derselben alle die Vortheile für Frankreich zu ziehen, welche das siegreiche Preußen ihm nach dem Kriege nicht mehr gewährte. Auch heute noch wäre es das einzig Richtige, um jeden Preis eine aufrichtige Verständigung mit Preußen zu suchen – das ist die einzige Macht, mit welcher wir eine nützliche und starke Alliance schließen können, und wenn wir diese Alliance nicht schließen, so werden wir ihr und zwar in kurzer Zeit in einem furchtbaren und gewaltigen Krieg isolirt entgegentreten müssen.«

»Man rechnet aber doch,« warf Herr Meding ein, »sehr erheblich auf Österreich und Italien – Sie kennen gewiß die Negotiationen, welche in diesem Augenblick im Gange sind, um einen Coalitionsvertrag mit den beiden Mächten zu schließen. Wie man mir erzählt, soll die Sache sehr weit gediehen sein und man verspricht sich hier sehr viel davon.«

»Das wird Alles zu Nichts führen,« sagte der Graf von Chaudordy. »Auch in dieser Richtung hin hat man einen Fehler gemacht. Man hat geglaubt, in Herrn von Beust, an dessen Erhebung zum Minister in Österreich der Kaiser großen Antheil hat, einen entschiedenen Alliirten zu finden, – man hat sich getäuscht und hätte dies sogleich erkennen sollen, als die neue österreichische Regierung statt ihre ganze Kraft militairischen Rüstungen zu widmen, sich mit Verfassungsfragen zu beschäftigen begann. Wie ist es denn möglich, sich jetzt auf dieses Österreich zu stützen, welches keine Armee und kein Geld hat und uns im entscheidenden Augenblick um so mehr im Stich lassen wird, als die entscheidende Leitung der dortigen Politik täglich mehr in die Hände Ungarns übergeht.

»Der Kaiser erkennt das Alles sehr gut,« fuhr er fort, »aber er ist nicht mehr der er war und zwischen den verschiedensten, heterogensten Entschlüssen hin- und herschwankend wird er endlich dahin gedrängt werden, gänzlich isolirt und ohne alle Alliancen den Krieg zu machen, der kaum mit einem entscheidenden Siege für Frankreich enden wird, und der uns leicht in eine unendliche innere Verwirrung stürzen kann, auch giebt man alle Gründe, um vernünftiger Weise dort den Krieg vorzubereiten, aus der Hand. Man hat den Prager Frieden so lange verletzen lassen, daß es fast lächerlich sein würde, heute noch kategorisch dessen Erfüllung zu fordern. Jetzt läßt man die Bewegungen in Baden und Süddeutschland wieder ohne Beachtung und Unterstützung, – es wäre so leicht – und man hat uns darüber Mittheilungen gemacht, eine Volksbewegung in Baden gegen den von der dortigen Regierung projectirten Anschluß an Preußen zu erregen und dadurch die deutsche Frage von Neuem zum Gegenstand der Aufmerksamkeit Europas zu machen. Dann hätte Frankreich einen Interventionsgrund und eine ganz vortreffliche Stellung der deutschen Nation gegenüber – läßt man die Ereignisse weiter gehen, läßt man den Widerstand der süddeutschen Volkspartei brechen oder ermatten, dann wird man sich demnächst nicht mehr Preußen, sondern dem ganzen Deutschland gegenüber befinden, und das wird für uns die schlimmste und gefährlichste Position sein, in der wir uns befinden können. Es ist in der That ein Glück,« sagte er lächelnd, »in diesem Augenblick von der Politik fern zu sein.«

»Aber glauben Sie nicht,« sagte Herr Meding, »daß Drouyn de L'huys, dem ja der Kaiser schon mehrfach das Portefeuille angeboten hat, doch endlich die Leitung der Angelegenheiten wieder übernehmen und größere Festigkeit und Klarheit in die französische Politik bringen werde?«

Der Graf von Chaudordy schüttelte den Kopf.

»Ich glaube nicht,« sagte er, »daß Drouyn de L'huys sich jemals mit dem Kaiser definitiv verständigen wird. Drouyn de L'huys will den Frieden und der Kaiser kann sich nicht entschließen, weder ernsthaft den Frieden zu begründen, noch ernsthaft den Krieg zu machen – er läßt sich treiben und wird in den Krieg hineingedrängt werden, ohne es selbst zu wollen. Für Ihren König und dessen Sache wird es jedenfalls das Beste sein, wenn er einer solchen unklaren, verworrenen Katastrophe fern bleibt, um so mehr, wenn er selbst sich nicht zu klaren Entschlüssen erheben kann.«

Der Kammerdiener öffnete die Thür.

Herr von Düring, Herr von Tschirschnitz und die übrigen hannöverschen Officiere traten ein. Nach und nach kamen noch andere Herren, auch Herr Hansen erschien.

Das Gespräch wurde allgemein; man unterhielt sich über die Tagesereignisse.

»Wissen Sie, meine Herren,« sagte Herr Hansen, »daß der Proceß des Prinzen Pierre Bonaparte beginnen wird? Wie ich höre, sind alle Juristen der Ansicht, daß der Prinz freigesprochen werden muß.«

»Ich wüßte kaum,« sagte der Graf von Chaudordy, »wie man ihn verurtheilen wollte. Wenn Jemand in seinem eigenen Zimmer insultirt und angegriffen wird – und Herr Fonvielle hat ja einen geladenen Revolver bei sich gehabt – so steht ihm doch unzweifelhaft das Recht zu, sich zu vertheidigen. Ich liebe den Prinzen Peter nicht, er ist eine unruhige, unberechenbare Natur und sein ganzes Leben, wie seine Person erregt wenig Sympathie, aber in dieser Sache kann man ihm keinen Vorwurf machen – doch ist das Alles sehr unangenehm für die Regierung – es ist, als ob Alles zusammenkäme, um die Stellung des Kaisers zu erschweren. Solche Processe mit oder ohne Schuld der Regierenden finden sich in der Geschichte immer vor großen Katastrophen.«

»Der arme Victor Noir thut mir leid,« sagte Herr Meding, »ich habe ihn gekannt, er war Redacteur an der ›Situation‹ und Herr Grenier hat ihn mir zuweilen geschickt, um mir Mittheilungen zu machen. Ich habe immer eine Sympathie für ihn gehabt, er war eine gute kindliche Natur von harmloser Naivetät, man hat ihn zu dieser Demonstration gemißbraucht, und er ist das Opfer derselben geworden. Wie sieht es bei Ihnen aus,« fragte er, sich an einen jungen eleganten Herrn mit blassem Gesicht, schwarzem Haar und zierlichem kleinem Schnurrbart wendend, welcher so eben eingetreten war, »haben Sie bald einen König gefunden, oder glauben Sie es auf die Dauer mit der Republik versuchen zu können?«

»Spanien erträgt dauernd kaum eine Republik,« erwiderte Herr Angel de Miranda, der frühere Kammerherr der Königin Isabella, welcher gegenwärtig in Paris lebte und dort eine, zwar private, aber eifrige Thätigkeit für die provisorische Regierung Spaniens entwickelte. »Es hat viel dazu gehört, um die alte Monarchie zu zerstören, wir werden aber,« fuhr er mit geheimnißvoller Miene fort, »wie ich glaube, in nicht langer Zeit einen König finden und damit wird diese Revolution endlich zum Abschluß gelangen.«

»Ich wünsche Ihnen das von Herzen,« sagte Graf Chaudordy. »Für das ganze westliche Europa sind diese unsichern Zustände in Spanien vom schädlichsten Einfluß. Sie müssen übrigens,« sagte er lächelnd, »eine kleine Neugier verzeihen, es interessirt mich in hohem Grade, wohin Sie die Blicke wohl gewendet haben könnten, um einen Herrscher für Ihr Land zu finden, – Sie haben da den Herzog von Montpensier, Sie haben den Prinzen von Asturien, Sie haben den Grafen von Montemolin, und wer weiß, ob nicht vielleicht der Marschall Prim, der schon einmal von einem kaiserlichen Diadem von Mexiko träumte, auch jetzt wieder daran denkt, die Gewalt fest zu halten, welche er ja durch die Armee bereits vorzugsweise sich zu eigen gemacht hat.«

Angel de Miranda zuckte die Achseln.

»Ich glaube kaum, daß Prim ähnliche Gedanken hegen könnte, er ist klug und weiß sehr gut, daß, wenn er vielleicht eine Zeit lang Dictator sein könnte, er doch niemals und zwar weder von der spanischen Grandezza, noch vom Volk als König acceptirt werden könnte. Ich glaube viel eher, daß er eine Zeit daran gedacht hat und vielleicht auch noch ein wenig daran denkt, den Prinzen von Asturien möglich zu machen, um dann an der Spitze einer Regentschaft als Majordomus die Macht in Händen zu behalten. Doch das Alles ist unpractisch, wir können in Spanien keinen König von den verschiedenen Bourbonenlinien gebrauchen, die Anhänger des Einen würden sich niemals den Anhängern des Andern unterwerfen wollen, das würde zu ewigen Bewegungen und Unruhen führen. Die einzige Möglichkeit dauernden innern Friedens liegt darin, einen fremden Fürsten zu finden, der dem Volk sympathisch ist –«

»Und der vielleicht,« fiel Herr Meding lächelnd ein, »irgend wie mit dem iberischen Einheitsgedanken in Verbindung stünde.«

Betroffen blickte Angel de Miranda auf.

»Dieser Gedanke,« erwiderte er nach einem kurzen Stillschweigen, »ist heute wohl noch nicht reif. Doch liegt allerdings in ihm nach meiner Überzeugung die Zukunft der pyrenäischen Halbinsel.«

Er trat zu einer andern Gruppe – nach einiger Zeit zog sich der Graf Chaudordy zurück, und nach einer Stunde leerte sich der Salon von den Besuchenden – nur die hannöverschen Officiere blieben zurück.

»Nun, meine Herren,« fragte der Regierungsrath Meding, »haben Sie Nachrichten, wie Ihre Vorstellungen in Hietzing aufgenommen worden sind, und haben Sie irgend welche Beschlüsse gefaßt über die Schritte, welche Sie demnächst thun wollen?«

»Wir haben noch Nichts von Hietzing gehört,« erwiderte Herr von Tschirschnitz. »Ich kann nicht zweifeln,« fuhr er fort, »daß der König unsere Vorstellung ernstlich erwägen und berücksichtigen werde. Ich wenigstens bin fest entschlossen, bis auf den letzten Augenblick Alles aufzubieten, um das Schicksal der armen Emigrirten zu erleichtern und sie von völliger Isolirung im fremden Lande zu retten. Ich verstehe auch durchaus nicht, wie es möglich sein sollte, uns das zu verbieten. Die Mißverständnisse, welche da vorliegen, müssen sich ja aufklären.«

»Man muß es hoffen,« erwiderte der Regierungsrath Meding, »doch bin ich dessen nicht ganz gewiß, denn seit einiger Zeit scheinen sich um den König her lauter Mißverständnisse zu lagern. Sie erinnern sich, daß Herr von Münchhausen bei der Conferenz über das algerische Colonisationsproject, zu welcher er hierher gesendet wurde, Instructionen bei sich führte, welche, wie er sich selbst überzeugte, denjenigen, die mir ertheilt waren, vollständig widersprachen.«

Rasch wurde die Thür geöffnet, der Lieutenant von Mengersen, ein großer, schlanker, junger Mann und der Lieutenant Heyse, eine ernste ruhige Erscheinung, traten ein.

»Nun,« rief Herr von Düring lebhaft, »Ihr seid wieder zurück? Was bringt Ihr? Hat sich Alles aufgeklärt?«

»Nichts hat sich aufgeklärt,« erwiderte Herr von Mengersen mit zornig bewegter Stimme, »der König hat uns gar nicht angenommen und uns den Befehl geschickt, auf der Stelle wieder zurückzureisen.«

»Unglaublich,« rief Herr von Düring.

»Aber wahr,« rief der Lieutenant Heyse im traurigen Ton, »es scheint, daß man eine vollständige chinesische Mauer um den König gezogen hat und daß Nichts, was von uns kommt, zu ihm dringen kann. Dagegen hat er den Feldwebel Stürmann gehört.«

»Den Feldwebel Stürmann,« rief Herr von Tschirschnitz, »und uns, seinen Officieren, verweigert er das Gehör! Das ist doch ein Affront für uns Alle, wie er stärker und kränkender nicht gedacht werden kann.«

»Graf Platen ist am Tage vorher,« sagte Herr von Mengersen, »bei Stürmann in seinem Gasthause in der Stadt gewesen und hat sehr lange mit ihm gesprochen, am andern Tage ist er dann nach Hietzing zum König gebracht worden.«

»Und habt Ihr nicht gehört, was nun weiter geschehen soll,« sagte Herr von Düring.

»Mit uns zu gleicher Zeit,« sagte der Lieutenant Heyse, »ist der Major von Adelebsen hierher abgereist, um das Commando zu übernehmen und die Legion aufzulösen. Es kommt nun darauf an, daß wir uns entschließen, was wir thun wollen für uns und für die Leute, denn auf Gehör beim König haben wir nicht mehr zu rechnen.«

»Wir müssen uns fest verbinden,« rief Herr von Tschirschnitz, »um Alles aufzubieten, damit die armen Emigranten noch einen Anhaltspunkt erhalten und nicht vereinsamt ihrem Schicksal überlassen bleiben. Ich hoffe, Sie werden uns darin unterstützen,« sprach er zu dem Regierungsrath Meding gewendet.

»Ich bedauere auf das Tiefste die Wendung, welche diese Sache genommen,« erwiderte dieser, »und die Unmöglichkeit mit irgend welchen Vorstellungen bis an Seine Majestät zu dringen, – ich bin aber hier als Vertreter des Königs und muß, so lange ich auf meinem Posten bin, jeden Befehl, den Seine Majestät mir ertheilen wird, ausführen; und ich rathe auch Ihnen, meine Herren, dringend, keinen Widerstand gegen die Ausführung der Befehle Seiner Majestät zu leisten, doch können Sie auf das Festeste auf meine Unterstützung dafür rechnen, daß den Emigranten nach Auflösung des Verbandes die Möglichkeit geboten werde, sich zu gegenseitiger Unterstützung zu vereinen und Unterkommen und Arbeit zu finden. Ich habe bereits in dieser Beziehung mit verschiedenen einflußreichen Personen Rücksprache genommen und mich ihrer Geneigtheit versichert, zu einem Comité de Patronage für die Emigrirten zusammen zu treten. Der Baron Thénard, welcher großen Einfluß in den Kreisen der Grundbesitzer hat und selbst ausgedehnte Güter besitzt, hat mir bereits zugesagt, mit in dieses Comité einzutreten, ebenso Herr Bocher, welcher in industriellen Kreisen viel Gelegenheit hat, den Emigrirten Arbeit zu schaffen. Ich habe bei der Wahl der Personen wesentlich darauf Rücksicht genommen, daß die ganze Sache gar keinen politischen Charakter habe, daß sie eine reine Wohlthätigkeitsangelegenheit sei und denke nun noch einige Damen als Patronesses hinzuzuziehen. Ich zweifle nicht, daß wir dann binnen Kurzem für alle unsere Landsleute vollkommen ausreichende Beschäftigung haben werden. Auch für Diejenigen, welche etwa krank und arbeitsunfähig werden, wird sich dann eine reichliche Unterstützung ermöglichen lassen, wenn man einen Verband herstellt, in welchem Jeder seine Beiträge in eine Krankenkasse zahlt, für welche außerdem von allen Seiten reichliche Hülfsquellen sich öffnen werden. Lassen Sie also den Muth nicht sinken, wir werden ganz gewiß gut für die Leute zu sorgen im Stande sein. Sie, mein lieber Düring, und Sie, Herr von Tschirschnitz müssen dann mit mir in das Comité de Patronage eintreten und die innere Organisation des Hülfsverbandes der Emigranten übernehmen.«

»Das ist eine vortreffliche Idee,« rief Herr von Düring, »ich habe früher schon etwas Ähnliches überdacht und dazu einen Organisationsplan ausgearbeitet, den ich seiner Zeit auch dem König eingeschickt habe, den er aber wohl nicht beachtet zu haben scheint –«

»Ich habe bereits dem Könige,« sagte der Regierungsrath Meding, »von diesem Plan und den für die Bildung des Comité de Patronage gethanen Schritten Mittheilung gemacht. Durch dies Comité könnte dann auch für Diejenigen, welche so gern nach Algier gehen wollen, ohne daß der König irgendwie dabei betheiligt ist, dort eine vortheilhafte Niederlassung vermittelt werden; damit würde der Wunsch der Leute erfüllt und zugleich jede Betheiligung des Königs dabei ausgeschlossen, welche Seiner Majestät wegen der Stimmung in Hannover unerwünscht ist. Ich bitte Sie also nochmals, meine Herren, legen Sie den Schritten des Herrn von Adelebsen zur Auflösung der Legion keine Schwierigkeiten in den Weg. Lassen Sie diesen Herrn ruhig ausführen, was ihm vom Könige oder von wem es sonst sei, aufgetragen ist, und helfen Sie mir dafür sorgen, daß unsere Landsleute, nachdem sie aus dem Verbande geschieden sind, einen Mittelpunkt finden, der ihnen Schutz und Beistand gewährt.«

»Aber wie der König mit uns umgeht,« rief Herr von Tschirschnitz, »so hätte er ja zur Zeit des Bestandes des Königreichs Hannover mit keinem Officier umzugehen das Recht gehabt. Mindestens hätten wir doch Gehör erlangen müssen, – dies ist ja geradezu asiatischer Despotismus.«

»Meine Herren,« sagte der Regierungsrath Meding, »einem unglücklichen Fürsten gegenüber ist die Pflicht des Gehorsams doppelt stark, und vergessen Sie vor Allem nicht, daß wir Alle Vertreter einer Sache sind, welche den Blicken der ganzen Welt ausgesetzt ist. Wir haben für diese Sache gefochten nach allen Kräften, – man kann uns vorwerfen, daß es thöricht und unvernünftig gewesen sei, aber wenigstens haben wir für die Sache gethan, was überhaupt zu thun war. Wenn diese Sache zu Ende sein soll,« fügte er noch ernster hinzu, »und ich glaube, daß sie zu Ende ist, so lassen Sie uns ihr den letzten Dienst erweisen, lassen wir sie mit Ehren untergehen, ohne daß wir der Welt das Schauspiel der inneren Zerrüttung und der Fäulniß, welche sie angefressen hat, und an welcher wir wenigstens keinen Theil haben, geben. Wir werden vielleicht in der Lage sein, unsere und der Emigranten Rechte scharf und nachdrücklich zu vertheidigen, aber so lange es möglich ist, darf auch in dieser Vertheidigung Nichts gegen den König unternommen werden, auf dem die Hand des Schicksals schwer genug ruht, und der stets auf unsere Ehrfurcht Anspruch haben wird. Und sollten wir je zu den äußersten Grenzen der Vertheidigung gedrängt werden, so müssen wir wenigstens vor der ganzen Welt beweisen können, daß wir dazu unwiderstehlich gezwungen worden sind.«

»Aber man greift unsere Ehre an,« rief Herr von Mengersen, »unserer Aller Ehre, denn was in Hietzing über uns gesprochen wird, davon hat man gar keinen Begriff, und auch nach Hannover hin schreiben sie die unglaublichsten Dinge. Es wird gar nicht lange dauern, so wird man wo möglich in den welfischen Zeitungen Artikel über uns lesen.«

»Seien Sie ganz ruhig, meine Herren,« sagte der Regierungsrath Meding, »wenn das geschehen sollte, wenn man es wagen würde, unsere Ehre anzugreifen, dann werde ich der Erste sein, der alle Rücksichten bei Seite setzt, und dann wehe Denen, die den Kampf mit uns aufnehmen. Jene werden dem König gegenüber zu verantworten haben, was dann geschehen wird. Bis dahin bitte ich Sie nochmals dringend, jeden Schritt zurück zu halten, der den König verletzen könnte.«

»Jedenfalls,« rief Herr von Düring, »werde ich meine Magazinbestände dem Herrn von Adelebsen nicht überliefern, ohne eine vollgültige Decharge vom Könige zu bekommen, die ich bereits mehrfach verlangt und die man mir noch immer nicht gegeben hat.«

Der Kammerdiener meldete den Legationskanzlisten Hattensauer, und eilig, mit etwas aufgeregter Miene trat ein Mann von etwa fünfzig Jahren von auffallender Häßlichkeit mit kleinen stechenden Augen, einer vorspringenden Stirn, einem glatten, fast kahlen Schädel in das Zimmer. Er neigte sich mit einer gewissen linkischen Höflichkeit nach allen Seiten, näherte sich dann in beinahe demüthiger, unterwürfiger Haltung dem Regierungsrath Meding und überreichte ihm ein großes, versiegeltes Schreiben.

»Eine Depesche ans Hietzing, welche so eben eingegangen ist,« sagte er.

Gespannt blickten die Officiere auf den Regierungsrath Meding, welcher langsam das Schreiben öffnete und den Inhalt durchlas.

»Der Major von Adelebsen ist angekommen,« sagte der Legationskanzlist Hattensauer, während Herr Meding las, »er hat diese Depesche mitgebracht und wird Ihnen morgen seinen Besuch machen.«

Der Regierungsrath Meding faltete langsam das Papier, das er bis zu Ende gelesen, zusammen; ein trauriges Lächeln spielte um seinen Mund.

»Nun,« rief Herr von Düring, »haben Sie irgend welches Licht in der Sache erhalten?«

»Der König,« erwiderte der Regierungsrath Meding, »findet meine Bemühungen für die Herstellung eines Comité de Patronage, da dasselbe auch für eine Colonie in Algerien wirken könne, nicht vereinbar mit seinen Beschlüssen, nach welchen er aus militairischen Gründen die Gründung einer solchen Colonie abgelehnt hat. Er befiehlt mir deshalb, aus dem Comité auszuscheiden und mich sogleich nach Thun in der Schweiz zu begeben, um dort seine weiteren Befehle abzuwarten. Das Schreiben ist übrigens,« fuhr er fort, »abermals eine Antwort auf etwas durchaus Anderes, als ich geschrieben und außerdem von einer beinah unglaublichen Stylisirung und Logik.«

»Unerhört!« riefen die Officiere.

»Und Sie werden diesem Befehl Folge leisten?« fragte Herr von Düring.

»Ganz gewiß,« erwiderte der Regierungsrath Meding, »ich stehe noch im Dienste des Königs und muß seinen Befehlen folgen. Ich bedaure, daß sie mich zwingen, die armen Emigranten zu verlassen, aber ich kann darin Nichts ändern, die Verantwortung für ihr Schicksal trifft mich nicht.«

»Ich habe auch noch Briefe für Herrn von Düring und für Herrn von Tschirschnitz,« sagte Hattensauer, indem er sich demüthig gebeugt den beiden Herren näherte und jedem ein Schreiben übergab, welches dieselben schnell öffneten und durchflogen.

»Ich bin nach Bern verbannt,« sagte Herr von Düring.

»Und ich nach Basel!« rief Herr von Tschirschnitz laut lachend. »Die Sache wird nun geradezu komisch, man scheint sich in Hietzing für die Gebieter der Welt zu halten.«

»Haben Sie Nichts für mich?« rief Herr von Mengersen, zu Herrn Hattensauer sich wendend, »vielleicht hat man mich nach Sibirien verbannt.«

»Nun, meine Herren,« sagte der Regierungsrath Meding, »so müssen wir denn die Hannoveraner ihrem Schicksal überlassen, ich werde noch das Möglichste thun, um sie allen meinen Freunden hier zu empfehlen. Jedenfalls haben wir für sie gethan, was in unsern Kräften stand. Und nun lassen Sie uns schlafen und ausruhen, denn ich glaube, wir können sagen: ›Finita la commedia‹. Morgen wollen wir überlegen, was weiter zu thun ist, und,« sagte er lächelnd zu Herrn von Düring und Herrn von Tschirschnitz, »unsere Reisevorbereitungen treffen.«


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