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Die Morgenpromenade in Ems war beendet. Langsam und nachdenklich kehrte Graf Benedetti nach seiner Wohnung in der Stadt Brüssel zurück.
Sein Kammerdiener übergab ihm zwei für ihn eingegangene Depeschen. Benedetti trat in sein Zimmer, und reichte seinem Secretair, welcher ihn erwartete die beiden Telegramme. Dieser zerriß hastig die Umschläge und öffnete den großen Folioband, der den Chiffre des Botschafters enthielt, um die Depeschen zu dechiffriren.
Hier in seinem Zimmer verschwand von dem Gesicht Benedetti's jene gleichgültige, höfliche, freundliche und undurchdringliche Ruhe, welche sonst Alles verhüllte, was in seinen Gedanken vorging. Heftig bewegt schritt er auf und nieder, sein blasses Gesicht zuckte in nervöser Aufregung und seine sonst so klaren, unzerstörbar heiteren Augen blickten trübe und sorgenvoll vor sich hin.
»Welch eine furchtbare Verantwortung liegt auf meinem Haupt,« sagte er, »ich fühle, daß der Faden der Unterhandlungen mir entschlüpft, weil man ihn in Paris so scharf anzieht, daß es in der That kaum mehr möglich ist ein anderes Ende, als den Bruch vorherzusehen – den Bruch – das heißt einen Krieg, wie er seit Generationen Europa nicht erschüttert hat; das heißt ein Meer von Blut, das heißt, die Zerstörung so vieler Güter, welche der Fleiß und die Arbeit langer Jahre geschaffen haben.
Was will man in Paris?« fuhr er fort, indem er die Hand vor die Stirn legte und unruhig nachdenkend schnell auf und nieder ging. »Will man den Krieg? Das ist ja beinahe unmöglich, so wie ich den Kaiser kenne, – er hat viele bessere Gelegenheiten vorübergehen lassen, wie sollte er jetzt die Dinge auf's Äußerste treiben wollen. Sollte man aber wirklich den Krieg wollen – warum es mir verheimlichen? Warum mich diese traurige und undankbare Rolle eines Überlästigen spielen lassen? Warum diese unklare Verworrenheit, welche nur dahin führen kann, daß der Bruch, wenn er erfolgt, uns vor den Augen von ganz Europa als die absichtlichen Friedensstörer hinstellt? Warum ist man da nicht gleich mit einer klaren bestimmten Forderung hervorgetreten, die wenigstens zu einem würdigen Abbruch der Verhandlungen hätte führen können? Ich habe,« sprach er weiter, indem er an das Fenster trat und auf die Straße hinabblickte, »ich habe auf die coulanteste und freundlichste Weise das erste Ziel meiner Mission erreicht – die Zurücknahme der Hohenzollerschen Candidatur unter Autorisation des Königs. Nun steigert man successive die Forderungen – giebt es einen Diplomaten in der Welt, der im Stande wäre, eine solche Negotiation zu einem günstigen und würdevollen Ende zu führen? Man verlangt die Erklärung des Königs, daß er für alle Zukunft eine Wiederaufnahme der jetzt gescheiterten Combination nicht erlauben werde. Eine solche Erklärung hätte sich erreichen lassen, wenn man nicht zugleich die Aufregung in Frankreich begünstigt hätte, wenn man sich größere Reserve bei den Erklärungen im Corps legislatif auferlegt hätte, wenn man das persönliche Gefühl des Königs und den nationalen Stolz in Deutschland nicht verletzt hätte, jetzt aber nach der kurzen Unterredung, die ich so eben mit dem Könige auf der Brunnenpromenade gehabt, ist an Erfüllung dieser Forderung garnicht zu denken. Und wenn sie nicht erfüllt wird,« sagte er seufzend, »nachdem man einen so starken Anlauf genommen, nachdem man so hohe Worte gebraucht hat, so ist der Krieg unvermeidlich – die Welt wird diesen Grund desselben kaum verstehen, mag man nun den Bruch gewollt haben, oder mag man ohne Willen und Plan zu demselben hingetrieben werden.
Was telegraphirt der Herzog?«
Der Secretair hatte die beiden Depeschen dechiffrirt und reichte sie dem Botschafter.
Dieser durchflog raschen Blickes die Telegramme, seufzend warf er sie auf den Tisch.
»Die Festigkeit meiner Sprache,« sagte er bitter lächelnd, »soll nicht dem Ernst der Situation entsprechen. Aber, mein Gott, vergißt man denn in Paris ganz, daß es sich hier um keine Unterhandlungen mit dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten handelt, sondern daß ich in unmittelbarem persönlichem Verkehr mit dem Souverain stehe? Man kann doch unmöglich von mir verlangen, daß ich die Formen verletzen sollte, welche für diesen Verkehr maßgebend sind. Ich muß noch einen Versuch machen, – vielleicht hat die Bitte, welche ich dem Könige durch den Prinzen Radziwill aussprechen ließ, irgend einen Erfolg, vielleicht entschließt sich der König, irgend ein Wort zu sagen, welches man in Paris als genügend annehmen möchte, wenn der Grundgedanke des Kaisers wirklich ist, den Frieden zu erhalten.«
Der Kammerdiener meldete den Flügeladjutanten Seiner Majestät des Königs von Preußen, und einen Augenblick darauf trat der Oberstlieutenant Prinz Radziwill, ein noch junger, schlanker Mann mit militairisch geschnittenem vollem Bart in Civilmorgenanzug in das Zimmer.
Das Gesicht des Grafen Benedetti hatte seine glatte und undurchdringliche Ruhe wieder angenommen, er trat dem Prinzen mit verbindlicher Höflichkeit entgegen.
»Seine Majestät der König,« sagte dieser im artigen Ton, »hat mich beauftragt, Eurer Excellenz mitzutheilen, daß er sich nicht in der Lage befinde, von einer neuen Unterredung ein Resultat voraussehen zu können, da seine Entschließungen vollkommen fest ständen. Der König hat mir zugleich befohlen, Eurer Excellenz in seinem Namen zu erklären, daß Seine Majestät die Verzichtleistung des Prinzen Leopold approbirte und zwar in demselben Sinne und demselben Geist, wie er seine Zustimmung zu der Annahme dieser Candidatur ertheilt habe. Was den zweiten Punkt betrifft, eine Verpflichtung für die Zukunft zu übernehmen, so könne sich Seine Majestät nur auf diejenige ablehnende Erklärung zurück beziehen, welche er heute Morgen Eurer Excellenz persönlich gegeben habe.«
Keine Muskel bewegte sich im Gesicht Benedetti's, und mit ruhiger, klarer Stimme sprach er:
»Ich bin dem Könige unendlich dankbar, daß er die Gnade gehabt hat, mir diese Erklärung durch Eure Durchlaucht zugehen zu lassen, und ich werde dieselbe sogleich meiner Regierung mittheilen. Doch muß ich,« fuhr er in demselben ruhigen Ton fort, »Eurer Durchlaucht sagen, daß ich betreffs des zweiten Punktes soeben noch sehr bestimmte Instructionen vom Herzog von Gramont erhalten habe. Ich muß daher meine Bitte um eine neue Unterredung mit Seiner Majestät nochmals wiederholen, um so mehr, als ich dem Könige vielleicht einige neue, noch nicht erwogene Gesichtspunkte mittheilen könnte. Ich muß nach den Instructionen, die ich erhalten, den größten Werth auf die gnädige Gewährung meiner Bitte um eine nochmalige Audienz legen, sei es auch nur, um nochmal von Seiner Majestät die Erklärung wiederholen zu hören, welche er mir heute Morgen gegeben hat. Ich bitte Eure Durchlaucht deshalb, den Wunsch, welchen ich aussprechen muß, nochmal Seiner Majestät mittheilen zu wollen.«
»Ich werde nicht unterlassen, Eurer Excellenz Auftrag sogleich Seiner Majestät auszurichten,« erwiderte der Fürst Radziwill, »und werde nicht verfehlen, Eurer Excellenz die Allerhöchste Antwort mitzuteilen.«
Mit ausgesuchter Höflichkeit, in welcher jedoch eine gewisse, kalte und stolze Zurückhaltung lag, verneigte er sich und verließ von dem Botschafter bis zur Thür geleitet, das Zimmer.
»Der Krieg liegt in der Luft,« sagte er dann, indem er sich seufzend an seinen Secretair wandte. »Ich kenne die Höfe, ich fühle, – ich weiß, was geschehen wird. Der König wird mich nicht mehr empfangen – er hat sein letztes Wort gesprochen.«
»Wenn der König den Botschafter Frankreichs zu empfangen verweigert,« rief der Secretair mit blitzenden Augen, »so ist das allein ein Grund des Krieges, dessen Gerechtigkeit das Gefühl der ganzen Nation anerkennen wird.«
»Sollte es das sein?« sagte Benedetti leise, indem er nachdenklich den Kopf schüttelte, »das würde freilich die nationale Entrüstung entflammen. Aber,« fuhr er fort, »würde darum der Kriegsgrund besser werden, der Erfolg gesicherter sein? Doch ich bin erschöpft,« sagte er dann, »und Sie werden es auch sein, können wir auch die Entbehrung des Schlafs ertragen, so fordert doch die körperliche Natur ihr Recht auf Ergänzung der Substanz, lassen Sie uns frühstücken.« – Er ließ das Frühstück in seinem Zimmer serviren und beide Herren setzten sich schweigend und gedankenvoll zu Tisch. –
Mehrere Stunden waren verstrichen voll unruhiger Erwartung für den Grafen Benedetti, welcher sich in seinem Zimmer auf ein Canapé niedergelegt hatte, um nach all der Aufregung der letzten Tage wenn nicht Schlaf, so doch wenigstens Ruhe für seine erschöpften und abgespannten Nerven zu finden.
Endlich, es war bereits Abend – die Zeit des Diners des Königs war vorüber – wurde dem Botschafter abermals der Fürst Radziwill gemeldet.
Rasch sprang Benedetti empor und kaum gelang es ihm, den Ausdruck unruhiger Spannung von seinem Gesicht verschwinden zu lassen, als er dem Adjutanten des Königs entgegentrat.
Noch kälter, noch zurückhaltender als vorher war der Ton, in welchem dieser dem Botschafter sagte:
»Der König hat mir befohlen, Eurer Excellenz mitzutheilen, daß er sich verpflichtet sähe, eine neue Discussion über den zweiten, von Ihnen angeregten Punkt – betreffend die Verpflichtungen und Garantien für die Zukunft ganz bestimmt und kategorisch abzulehnen. Was Seine Majestät Eurer Excellenz heute Morgen zugesagt hat, ist des Königs letztes Wort in dieser Angelegenheit, und der König bittet Eure Excellenz sich lediglich und ausschließlich an jenes Wort zu halten.«
Das Gesicht des Grafen Benedetti wurde bei diesen mit äußerster Artigkeit, aber auch mit entschiedenster Festigkeit gesprochenen Worten des Fürsten Radziwill noch um eine Nüance bleicher. Er ließ einen Augenblick die Augenlider herabfallen, wie um den Ausdruck seines Blickes zu verhüllen, und ein leichtes Nervenzucken zeigte sich eine Secunde um seinen Mund. Schweigend neigte er den Kopf und sprach dann mit ruhiger Stimme, in deren Ton keine Aufregung bemerkbar war.
»Ich danke Eurer Durchlaucht für diese Mittheilung und möchte Sie nur noch bitten, mir zu sagen, ob die Ankunft des Grafen Bismarck hier, von welcher in diesen Tagen gesprochen wurde, heute oder morgen zu erwarten ist.«
»Soviel mir bekannt geworden,« erwiderte der Fürst Radziwill, »hat der Graf Bismarck seine Reise hierher aufgeschoben und morgen jedenfalls wird seine Ankunft hier nicht zu erwarten sein.«
»Dann bitte ich Eure Durchlaucht,« sagte Benedetti, »Seiner Majestät zu sagen, daß ich nicht weiter auf meiner Bitte bestehe und mich bei den Erklärungen des Königs beruhigen wolle.«
Der Fürst verabschiedete sich. Graf Benedetti begleitete ihn zur Thür und blieb dann einige Augenblicke schweigend in tiefen Gedanken stehen.
»Der Würfel ist gefallen,« sagte er mit düsterem Ton, »das Verderben ist entfesselt! Wen wird der Blitz treffen, der noch verborgen im Schoß der Wolken ruht, welche den Himmel des europäischen Friedens überziehen.«
Er öffnete die Thür des Nebenzimmers und rief seinen Secretair.
»Bereiten Sie Alles zur Abreise vor,« sagte er im ernsten Ton, »meine Mission hier ist zu Ende. Doch,« fuhr er fort, »ich will bis zum letzten Augenblick alle Pflichten der Höflichkeit erfüllen. Wenn es das Schicksal will, kann sich vielleicht doch noch eine Gelegenheit bieten, das Verhängniß zu beschwören. Gehen Sie zum Hause des Königs und sagen Sie dem Adjutanten vom Dienst, daß ich um die Erlaubniß bäte, mich von Seiner Majestät verabschieden zu dürfen. Damit verletze ich keine Form und kann zugleich meinen persönlichen Wunsch erfüllen, von dem Monarchen, der mir soviel Gnade und Wohlwollen bewiesen hat, und von dem ich in so verhängnißvollem Augenblick scheiden muß, einen freundlichen Abschied zu nehmen.«
Die Aufregung unter den Badegästen in Ems, welche die ersten Nachrichten von den Differenzen über die Hohenzollersche Candidatur erregt hatten, war fast vollständig wieder verschwunden. Man hatte zwar die heftigen Artikel der französischen Journale gelesen, die nationale Entrüstung, welche ganz Deutschland bei diesen Provocationen erfaßte, war auch dorthin in die stillen Kreise des Badelebens gedrungen, aber man hatte auch wieder Gelegenheit gehabt, hier in unmittelbarer Nähe den so freundlichen Verkehr des Königs mit dem französischen Botschafter zu sehen. Man hatte gesehen, wie Seine Majestät den Grafen Benedetti täglich auf der Promenade auf das huldvollste anredete und einige Zeit in lebhafter Conversation mit ihm auf- und niederging. Das Lächeln verschwand keinen Augenblick von dem glatten Gesicht des Botschafters und der König war ruhig und heiter wie immer.
Baron Werther war wieder nach Paris zurückgereist; der Minister des Innern, welchen der Graf Bismarck, der von Barzin kommend, in Berlin leicht erkrankt war, zum Könige nach Ems entsendet hatte, war wieder nach Berlin zurückgekehrt; der Finanzminister war angekommen, um wie man erzählte, Seiner Majestät über Angelegenheiten seines Ressorts Vortrag zu halten, und Alles schien wieder in das gewohnte Geleis zurückzukehren.
Als nun gar der Telegraph die Nachricht brachte, daß der Prinz Leopold von Hohenzollern auf seine Candidatur Verzicht geleistet, und daß Graf Bismarck, darin die vollständige Erledigung der ganzen Angelegenheit erblickend, seine Reise nach Ems aufgegeben habe, da verschwanden vollends die letzten Besorgnisse, und man sah auf der Brunnenpromenade nur heitere und lächelnde Gesichter, man verabredete Partien in die Berge, und die Unterhaltung, welche so lange von den ernsten Gegenständen der Politik in Anspruch genommen war, wandte sich wieder den kleinen Ereignissen des Tages zu.
Man sprach von den Toiletten der Herzogin von Ossuna, welche soeben mit ihrem Gemahl angekommen war und Alles durch ihren Geschmack und ihre Eleganz in den Schatten stellte. Man wiederholte die märchenhaften Erzählungen über den Reichthum dieses spanischen Granden, welcher die Königin Isabella am Hofe von St. Petersburg vertreten und an diesem prachtvollsten Hof Europas einen Glanz entwickelt hatte, der selbst dort noch nicht gesehen worden war.
Da plötzlich drang am Nachmittag des 14. Juli in diese wieder zu sorgloser, heiterer Geselligkeit sich zusammenschließenden Kreise wie ein unvorbereiteter Wetterschlag die Nachricht, daß der König, den man, wie er öfter that, nach Coblenz zu seiner Gemahlin hatte fahren sehen, der am Abend zurückerwartet wurde, schon in der Frühe des nächsten Morgens nach Berlin abreisen werde, daß alle Verhandlungen abgebrochen seien, daß Seine Majestät sogar jede weitere Unterredung mit dem Botschafter abgelehnt habe, und daß der Krieg unvermeidlich scheine.
Die tiefste Bestürzung verbreitete sich überall. Diejenigen, welche mit dem einen oder dem andern Herrn aus der Umgebung des Königs bekannt waren, suchten sich demselben zu nähern, um Ausführliches zu erfahren – die Umgebung des Königs vermied es zwar, sich in lange Gespräche über die Situation einzulassen, doch der ernste, fast feierliche Eindruck, welcher auf den Gesichtern aller dieser Herren lag, einzelne hingeworfene Bemerkungen und die Bestätigung der für den nächsten Morgen feststehenden Abreise des Königs zeigten deutlich genug, daß die Befürchtungen, welche überall erregt waren, vollkommen begründet seien.
Der französische Botschafter war noch nicht abgereist, aber er hielt sich in seiner Wohnung und erschien nicht auf der Abendpromenade.
Bis spät in die Nacht hinein waren alle Straßen mit Menschen gefüllt, und die ganze Nacht über dauerte die Unruhe in allen Häusern, denn fast alle fremden Badegäste trafen Anstalten zur schnellen Abreise, und die Bewohner von Ems sahen mit Bekümmerniß dem plötzlichen Ende einer so glänzend begonnenen Saison entgegen.
Schon lange vor acht Uhr am nächsten Morgen, zu welcher Stunde die Abreise des Königs befohlen war, hatte der Bahnhof sich dicht gefüllt mit einem zahlreichen Publikum, unter welchem die Damen und Herren aus dem Kreise der Badegäste, die dem König persönlich bekannt waren, die ersten Reihen am Perron einnahmen, der in der Nacht mit Blumenguirlanden geschmückt worden war.
Allmälig erschien die Umgebung des Königs, welche den Monarchen nach Berlin begleitete. Die Waggons fuhren heran und das zahlreiche Gepäck wurde in den bereits vorgefahrenen Zug, in dessen Mitte man den großen königlichen Salonwagen erblickte, eingeladen.
Zum Erstaunen aller Anwesenden erschien auch der französische Botschafter Graf Benedetti am Bahnhof und begab sich mit unbefangen heiterer Miene, Einen oder den Andern aus der Badegesellschaft begrüßend auf den Perron, wo er seinen Überrock ablegte und im schwarzen Anzug, das Band des schwarzen Adlerordens über der Brust, ruhig dastand, mit den Andern den König erwartend, ohne die erstaunten und wenig freundlichen Blicke zu beachten, mit welchen man ihn von allen Seiten ansah.
Die Wagen waren bepackt; die Locomotive war schnaubend herangefahren und hatte sich an die Spitze des Zuges gestellt; die Lakaien in Reiselivreen standen an den Thürschlägen.
Da ertönten vom Badehause einzelne, sich schnell fortpflanzende Hochrufe. Wenige Augenblicke darauf fuhr der König an den Perron heran, er trug Militair-Rock und Mütze. Der Flügel-Adjutant Fürst Radziwill begleitete ihn, der Hofmarschall Graf Perponcher ging dem Könige entgegen und meldete, daß Alles bereit sei.
Der König sah frisch und kräftig aus, seine Haltung war stolz und fest, und trotz des tiefen Ernstes, der auf seinen Zügen lag, blickten seine Augen doch in milder Heiterkeit auf die zu seiner Begrüßung Versammelten hin. Er richtete, schnell die Reihe herabschreitend, mit freundlichem Kopfnicken alle diese ehrerbietigen Grüße erwidernd, an einzelne Bekannte einige Worte. Bei dem Polizei-Präsidenten von Wurmb, welcher im Reiseanzug gegenwärtig war, blieb der König einen Augenblick stehen.
»Ich habe Sie gebeten mit mir abzureisen,« sagte er. »Sie werden viel zu thun finden, – unsere Vorbereitungen für die Enthüllung des Denkmals des hochseligen Königs,« fügte er mit wehmüthigem Lächeln hinzu, »werden nun wohl für längere Zeit vertagt bleiben.«
»Möge die Errichtung des ehernen Denkmals auch noch hinausgeschoben werden, Majestät,« erwiderte Herr von Wurmb mit bewegter Stimme, »das lebendige Denkmal an die große Zeit des hochseligen Herrn, welches in jedem Preußenherzen fest begründet ist, wird in diesen Tagen mit lebendigen Kränzen der Erinnerung und neuer Hoffnung geschmückt. Wieder durchdringt das ganze Volk wie damals der heilige Ruf aus der Zeit des eisernen Kreuzes ›Mit Gott für König und Vaterland‹.«
Der König neigte das Haupt, sein Blick fiel auf das schwarzweiße Band des eisernen Kreuzes, das er trug, und indem er dasselbe leicht mit der Hand berührte, sagte er halb laut:
»In diesem Zeichen werden wir siegen.«
Er ging weiter. Raschen und festen Schrittes trat er zu dem sich tief verneigenden Grafen Benedetti.
»Sie haben gewünscht, Herr Graf,« sagte der König mit freundlicher Höflichkeit, »sich von mir zu verabschieden – leben Sie wohl.«
Trotz der Gewalt, mit welcher der französische Diplomat den Ausdruck seiner Züge beherrschte, zeigte sich doch einen Augenblick eine mächtige Bewegung auf seinem Gesicht.
»Ich danke Eurer Majestät,« sagte er mit leicht zitternder Stimme, »daß Sie mir Gelegenheit geben, von Ihnen Abschied zu nehmen, und ich danke Ihnen auch in diesem Augenblick noch einmal für die Gnade und das Wohlwollen, welches Sie mir während der Zeit meiner Beglaubigung an Ihrem Hofe bewiesen haben. Möchte die Zukunft Alles zum Guten wenden.«
»Die Zukunft liegt in Gottes Hand,« sagte der König mit fester Stimme, und indem er freundlich den Kopf neigte, wandte er sich zur Thür des Salonwagens, an welcher der Hofmarschall und die übrigen Herren des Gefolges ihn erwarteten.
»Kommen Sie zu mir, lieber Abeken,« sagte der König, »wir haben unterwegs viel zu arbeiten und nehmen Sie St. Blanquart mit, damit alle ankommenden Depeschen sogleich dechiffrirt werden können.«
Der Geheime Legationsrath nahm aus der Hand eines Dieners die große Mappe, welche seine Papiere enthielt, winkte den Hofrath St. Blanquart, welcher in einiger Entfernung von dem königlichen Gefolge stand, heran, und beide folgten dem Könige, welcher bereits eingestiegen war, in den Salonwagen, während die übrigen Herren ihre Plätze in den Coupés vor und hinter demselben einnahmen.
Die Locomotive pfiff, der König trat noch einmal an das Fenster und winkte grüßend mit der Hand.
Ein brausender Hochruf ertönte als Antwort auf den königlichen Abschiedsgruß und wiederholte sich mit wachsender Begeisterung, während der immer schneller dahin rollende Zug den Monarchen aus dem stillen, friedlichen Badeort nach seiner Residenz zurückführte, von wo er bald hinausziehen sollte an der Spitze des waffengerüsteten Deutschlands, um von Neuem den Kampf aufzunehmen gegen den alten Feind seines Hauses und seines Landes.
Der König hatte an dem Fenster des Salonwagens Platz genommen und blickte durch die hellen Glasscheiben in die lachende Gegend hinaus, während der Geheimrath Abeken ihm gegenüber Platz genommen hatte, um ihm die verschiedenen eingegangenen Depeschen vorzutragen.
Der Hofrath St. Blanquart saß am Ende des Salons, den Chiffre vor sich, eine nach der andern die Depeschen dechiffrirend, welche unmittelbar vor der Abreise eingegangen waren und bereit, diejenigen in Empfang zu nehmen, welche man auf den einzelnen Stationen erwarten mußte.
»Ich habe Eurer Majestät,« sagte der Geheimrath Abeken, »sogleich zu Anfang eine wichtige und erfreuliche Nachricht mitzutheilen. Aus München ist gemeldet, daß der König auf den Vorschlag des Ministeriums erklärt hat den Casus foederis für gegeben zu erachten, auch hat seine Majestät die vorgelegte Mobilisirungsordre genehmigt.«
Der Blick des Königs leuchtete freudig auf.
»Das deutsche Blut der Wittelsbacher verläugnet sich nicht,« sagte er, »sie haben gegen uns gestanden im Kriege von 1866, und sie lieben dort vielleicht Preußen nicht zu sehr – aber jetzt wo Deutschland in den Kampf tritt, zweifelt dieser junge König nicht, wo sein Platz ist. Nun Deutschland wird ihm das nicht vergessen und ich auch nicht, denn von nun an, wenn Gott uns in diesem Kampfe beisteht, wird ja die Geschichte Preußens und Deutschlands für immer die gleiche sein. Künftig wird die deutsche Armee ins Feld ziehen –«
»Wie Brandenburg Preußen wurde, Majestät,« sagte der Geheime Legationsrath, »so wird Preußen Deutschland werden und damit seine große Mission vollenden.«
Der König blickte schweigend weit hinaus nach dem Horizont, an welchem die an der Bahn liegenden Bäume schnell vorüberflogen.
»Der feste und patriotische Entschluß des Königs Ludwig,« sagte er nach einigen Augenblicken, »ist um so höher anzuerkennen, als es in Baiern in allen Kreisen nicht an eifrigen Bemühungen gefehlt hat, die Gelegenheit zu benutzen, um eine Sonderpolitik zu machen. Nun ist Deutschland einig, und jede Hoffnung Napoleons, die Südstaaten zu sich herüber zu ziehen, gescheitert. Von Würtemberg sind noch keine Nachrichten da?«
»Noch nicht,« sagte der Geheime Legationsrath Abeken, »doch hat Herr von Rosenberg berichtet, daß an der patriotischen Haltung Würtembergs nicht zu zweifeln sei.«
»So ist denn Deutschland zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich einig,« sagte der König, »die Zeit ist gekommen, in welcher jener alte Spottname der Reichsarmee verschwinden wird, und in welcher die deutschen Heere, von Preußen geführt, den alten Kriegsruhm der Nation zu neuem Glanz erheben sollen.«
»Alles vereinigt sich,« sagte der Geheime Legationsrath, »um die Zuversicht auf den Sieg, welche ich fest in dem Herzen trage, zu bestärken. Auch die Besorgnisse, welche die Haltung Österreichs einflößen könnte, sind beseitigt durch die Gewißheit von der freundlichen Haltung Rußlands, welche Graf Bismarck meldet. Der Ministerpräsident wird Eurer Majestät darüber persönlich ausführlicher berichten, doch ist als gesichert zu betrachten, daß jeder feindlichen Bewegung Österreichs energisch entgegengetreten werden wird, daß der Handel der Ostsee keiner Gefahr ausgesetzt werden soll, alle früheren Besprechungen über diese Eventualität sind von Neuem bestätigt worden und es ist die volle Sicherheit vorhanden, die ganze ungeschwächte und ungetheilte Militairkraft nach der französischen Grenze hin verwenden zu können.«
»Der Kaiser Alexander ist ein treuer Freund,« sagte der König. »Er erkennt wie ich auch die politische Notwendigkeit, daß Deutschland und Rußland fest zusammenhalten, um gegenseitig ihre Aufgabe zu erfüllen und ihre Zielpunkte zu erreichen. Möchten diese beiden Mächte immer einig bleiben, dann wird Frankreich die übermüthige Prätension aufgeben müssen, die dominirende Rolle in Europa zu spielen.«
Der Zug hielt in Coblenz. Der König trat an das Fenster, nahm die Meldung der Generalität entgegen und begrüßte freundlich die zahlreiche Menge, welche ihm ihr jubelndes Hurrah entgegen rief. Nach wenigen Minuten fuhr man weiter. Depeschen auf Depeschen kamen an. Der Hofrath St. Blanquart entzifferte unermüdlich mit lang geübter Sicherheit deren Inhalt aus den langen Zahlenreihen und der Geheime Legationsrath Abeken trug dem Könige immer neue Nachrichten vor, welche Kunde brachten von der immer mächtiger aufflammenden Begeisterung des deutschen Volkes in allen Gebieten des weiten Vaterlandes.
Nach einigen Stunden wurde im Salonwagen das einfache Frühstück des Königs servirt, der Leibjäger brachte Körbe mit kalter Küche und das einfache Reiseservice.
Und einen Augenblick den Vortrag unterbrechend, aß Seine Majestät etwas kalten Hummer und trank ein Glas Wein, während er zugleich den Geheimen Legationsrath Abeken aufforderte, die ermatteten Kräfte nach so langer Arbeit wieder zu ergänzen.
Dann winkte der König noch einmal dem Leibjäger und ließ sich den Korb reichen. Er nahm ein Butterbrod und etwas kaltes Fleisch und legte es auf einen kleinen Teller.
»Ein Glas Wein,« befahl er dann.
Der Leibjäger servirte ein Glas Bordeaux.
Der König nahm es in die Hand, den kleinen Teller in die andere und so ging er durch den Salon zum Hofrath St. Blanquart hin, der noch immer eifrig und unermüdlich eine Zahlenreihe nach der andern dechiffrirte.
»Halten Sie einen Augenblick ein,« sagte der König mit freundlichem Lächeln, »mein lieber St. Blanquart, von Chiffrezahlen kann kein Mensch leben. Nehmen Sie hier, was ich Ihnen bringe, wir müssen uns schon ein wenig an das Campagneleben gewöhnen.«
St. Blanquart stand ganz erschrocken auf.
»Majestät,« sagte er, »welche Gnade – Eure Majestät denken selbst an mich –«
»Soll ich denn nicht an meine Diener denken,« sagte der König, »die Tag und Nacht für mich arbeiten – nehmen Sie schnell, wir haben nicht viel Zeit zur Ruhe.«
Er stellte den Teller vor den Hofrath hin, gab ihm das Glas Wein in die Hand und kehrte dann wieder zu seinem Sitz am Fenster zurück, wo er gedankenvoll hinaus in die Ebene schaute, wartend, bis die beiden Herren ihr Frühstück vollendet hatten, dann erst ließ er den Korb und das Service hinaustragen und die Arbeiten wieder aufnehmen.
Weiter und weiter brauste der Zug. An allen Bahnhöfen wurde der König von dichten Menschenmassen begrüßt, deren jubelnde Zurufe immer lebhafter und begeisterter wurden.
»Krieg! Krieg gegen Frankreich!« hörte man fast überall.
Dazwischen ertönten einzelne Stimmen:
»Nach Paris! Nieder mit Napoleon!«
Auf jede Weise documentirte sich die patriotische Begeisterung des Volkes.
Bei allen solchen Rufen blickte der König tief ernst über die Menschenmenge hin.
»Sie rufen nach Krieg,« sprach er leise, »sie bewegt die patriotische Begeisterung und hebt sie über alle Sorgen der Zukunft hinweg. Aber Niemand kennt so genau wie ich die Opfer, welche die nächste Zeit dem gesammten Vaterlande auflegen wird, und ich muß ja doch das entscheidende Wort sprechen. Nun, Gott weiß, daß dies entscheidende Wort mir abgerungen ist, und daß nicht Ehrgeiz und Übermuth mich zum Kampfe treibt, darum wird mir Gott seinen Segen geben, an dem Alles gelegen ist. Eine solche Hingebung, eine solche Begeisterung des Volkes ist ja der beste Segen Gottes!«
Nachdem in Cassel ein schnelles Diner eingenommen war, nachdem in Magdeburg auf dem geschmückten Bahnhof der König mit hohem Enthusiasmus begrüßt worden, hielt der Zug in Burg. Auch hier war eine Kopf an Kopf gedrängte Menschenmenge versammelt, und ein donnerndes Hurrahrufen begrüßte die Abfahrt des königlichen Salonwagens.
Der König trat abermals an das Fenster und winkte mit der Hand über den Platz hin.
Da mit einem Mal verstummten die jubelnden Stimmen, eine tiefe Stille trat ein, und ein an der Seite des Perrons aufgestelltes Musikcorps begann eine voll anklingende ergreifende Melodie zu spielen.
Der König lauschte den Tönen, welche hier an Stelle des »Heil Dir im Sieger-Kranz«, das ihn sonst überall begrüßt hatte, ertönten. Er schien in seiner Erinnerung zu suchen nach diesen Tönen und blickte wie fragend auf den Legationsrath Abeken hin, welcher rückwärts vom Fenster neben seinem Sessel stand.
»Es ist die Wacht am Rhein, Majestät,« sagte der Geheime Legationsrath.
Still schweigend blickte der König vor sich hin.
»Die Wacht am Rhein, – die Wacht am Rhein,« sagte er tief sinnend, während die Melodie draußen weiter klang, und erst einzelne Stimmen, dann ein immer vollerer Chor die Musik zu begleiten begann. –
»Die Wacht am Rhein, – ja, ja, das ist es, das ist schön – das ist sehr schön, das ist das wahre Wort, welches einfach, herrlich und groß den tiefen Gedanken ausdrückt, der diese Tage bewegt, und der das ganze Volk zusammenführt zur Abwehr des verwegenen Angriffs.«
Langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Kein Hurrahrufen erscholl, aber die ganze große Menschenmenge war in den Gesang eingefallen, der voll und gewaltig dem Könige nachklang, welcher am Fenster stand und auf alle diese entblößten Häupter, auf alle diese von Begeisterung flammenden Gesichter hinblickend, mit leisen Bewegungen des Hauptes den Rhythmus der Melodie begleitete, bis dieselbe unter dem Rollen der Räder und dem Schnauben der Maschine in der Ferne verklang.
So kam man näher und näher nach Brandenburg, wo, wie dem Könige durch den Telegraphen gemeldet war, der Kronprinz, Graf Bismarck, der Kriegsminister von Roon und der General von Moltke den König erwarteten.
Endlich, der Abend dunkelte bereits herein, fuhr der Zug in den Bahnhof der alten märkischen Stadt ein. Fast die ganze Bevölkerung war dort versammelt, die Spitzen der Behörden, und die Officiercorps standen auf dem Perron hinter den Ministern; Allen voran der Kronprinz, welcher, als kaum der Zug zum Stehen gebracht war, selbst die Thür öffnete, in den Salonwagen hineinsprang und in tiefer Bewegung die Hand des Königs an seine Lippen führte.
Der König breitete seine Arme aus und drückte seinen Sohn einen Augenblick schweigend an die Brust.
»Ich hatte gehofft,« sagte er dann ruhig und milde, »daß der Abend meines Lebens in Frieden enden würde, und daß die Kämpfe der Zukunft Deinem jüngeren und kräftigeren Arm überlassen bleiben sollten, – Gott hat es anders gewollt, Du wirst mir zur Seite stehen, um unser Volk nochmals zum Siege zu führen.«
Dann trat er auf den Perron hinaus und unter den immer von Neuem sich wiederholenden Zurufen, die sich weithin in der Umgebung des Bahnhofs fortpflanzten, begrüßte er mit herzlichem Händedruck den Grafen Bismarck und die Generale von Moltke und von Roon, welche ihm ernst und tief bewegt entgegentraten.
»Der Augenblick ist da,« sagte Graf Bismarck, »den wir so lange mit aller Anstrengung hinauszuschieben versucht haben. Die letzte Entscheidung naht, und fast möchte ich frei aufathmen, nun da die Nebel zerreißen, da die frische Luft uns umweht und in reiner Klarheit unser großes Ziel vor uns liegt, die heiligsten Güter des Vaterlandes zu vertheidigen, Deutschland heraufzuheben auf den ersten Platz unter den europäischen Nationen. Der Morgen einer großen Zeit bricht an, einer so großen Zeit, wie sie kaum je die Geschichte gekannt hat; und Gott sei Dank, das Schwert Deutschlands liegt in Händen, die es nicht niederlegen werden, bevor der Sieg nicht erkämpft ist.«
Der König neigte nur langsam das Haupt, ohne etwas zu erwidern, dann wandte er sich auf den Perron zu den Officieren und Civilbeamten, sprach mit den obersten Vertretern derselben einige Worte und befahl bald die Weiterreise, indem er den Geheimen Legationsrath Abeken und den Hofrath St. Blanquart entließ und die Minister aufforderte, mit ihm und dem Kronprinzen in den Salonwagen zu steigen.
»Nun, meine Herren,« sagte der König, als der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, »wir werden von Neuem zu Felde ziehen müssen, denn ich glaube nicht, daß jetzt noch eine friedliche Wendung möglich ist und Jeder von uns wird mit Aufbietung aller Kräfte auf dem Posten stehen müssen, denn diesmal handelt es sich um noch schwerere Kämpfe als im Jahre 1866, schwerer vielleicht an Anstrengung und Arbeit,« fügte er hinzu. »Aber,« sagte er dann, den hellen, klaren Blick auf den Kronprinzen richtend, »ich ziehe mit leichterem, froherem Herzen ins Feld gegen den alten Feind Deutschlands, als damals, da ich gegen den alten Verbündeten, da ich gegen einen Fürsten aus deutschem Stamme kämpfen mußte.«
»Und Alles ist vorbereitet, Majestät,« sagte Graf Bismarck fast im heiteren Ton, »um uns nach allen Richtungen den Erfolg zu sichern. Frankreich hat sich durch diesen mit so unglaublichem Unverstand ausgewählten Kriegsfall vollkommen isolirt, so daß auch diejenigen Mächte, welche ihm vielleicht innerlich günstiger gesinnt sind, als uns, sich außer Stande befinden, ihm irgend welche Sympathie zu beweisen, und vor allen Dingen sind wir nach einer vielleicht bedenklichen Seite hin vollkommen gesichert. Ich habe ausführlich mit dem Fürsten Gortschakoff über die Situation verhandelt, die russische Politik ist vollkommen durchdrungen von der Notwendigkeit, den unvermeidlichen Krieg zwischen uns und Frankreich zu localisiren und wird die strenge Neutralität Österreichs überwachen.«
Der König nickte mit dem Kopf.
»Wir werden weiter darüber sprechen,« sagte er. – »Süddeutschland steht ohne Rückhalt und ohne Schwanken zu uns?«
»Zu Befehl, Majestät,« erwiderte Graf Bismarck, »trotz aller Agitationen der feindlichen Parteien werden die Könige von Baiern und Würtemberg fest an ihren Verträgen halten, und die Stimmung der Bevölkerung hebt sich nach Allem, was mir berichtet wird, immer mehr zu einmüthiger nationaler Begeisterung. Ich denke meinerseits noch ein wenig dazu beizutragen, die ganze öffentliche Meinung in Deutschland und in den übrigen Ländern von der Gerechtigkeit unserer Sache zu überzeugen und den eigentlichen Kernpunkt des französischen Angriffs klar zu legen.«
Der König blickte den Minister fragend an.
»Eure Majestät erinnern sich,« sagte Graf Bismarck, »der schmählichen Propositionen, welche von Frankreich uns bei wiederholten Gelegenheiten gemacht worden sind, und welche uns einen unwürdigen Handel um die nationale Entwickelung Deutschlands anboten, indem wir durch Raub an Dritten das erkaufen sollten, was das selbstständige Recht Deutschlands ist. Eure Majestät erinnern sich des Vertragsentwurfs, welchen mir Benedetti einst gegeben hat, und in welchem für die Eroberung Belgiens die Süddeutschen Staaten, über deren Selbständigkeit und Unabhängigkeit man in Paris so viel gesprochen hat, uns von Frankreich überliefert werden sollten.«
»Ich erinnere mich,« sagte der König.
»Nun, nun, Majestät,« fuhr Graf Bismarck fort, »der innere, der wahre Grund dieses jetzt so vermessen heraufbeschworenen Krieges liegt darin, daß wir jenen Handel alle Zeit fest und entschieden zurückgewiesen haben. Man will jetzt versuchen mit Gewalt zu nehmen, was wir nicht verkaufen wollten. Ich habe über alle jene Vorschläge bisher das tiefste Stillschweigen beobachtet, damit von unserer Seite nichts geschehe, um einen so verhängnißvollen Bruch herbeizuführen. Nun aber, Majestät, ist wie ich glaube der Augenblick gekommen, um die wahren Absichten und Pläne Frankreichs vor aller Welt zu enthüllen, und wenn Eure Majestät es erlauben, werde ich jenen Vertragsentwurf, den Benedetti und der Kaiser Napoleon nicht ableugnen können, den Vertretern der Mächte und der öffentlichen Meinung Europas mittheilen. Die Süddeutschen werden sehen, wohin sie mit der hier und da gehegten Hoffnung auf Frankreich gekommen wären. England wird sehen, was die Verträge über Belgien in Frankreichs Augen zu bedeuten haben und abgesehen von der äußeren Form dieser unerhörten Provocation wird auch die innere Gerechtigkeit unserer Sache vor den Augen aller Welt klar werden. Damit wird eine große moralische Macht uns zugeführt werden.«
Der König nickte zustimmend mit dem Kopfe.
»Ja, ja, darin liegt der wahre Grund dieses so lang zurückgehaltenen Krieges, und es kann nur nützlich sein, wenn alle Welt das klar erkennt. – Ich habe auch,« sagte er nach einigen Augenblicken, während eine tiefe Bewegung aus seinen Augen leuchtete, »ich habe auch daran gedacht, unsere Waffenmacht durch eine moralische Kraft zu verstärken und der Begeisterung des Volkes einen idealen Halt, ein heiliges Zeichen zu geben, zu dessen siegreichem Einfluß ich ein gläubiges Vertrauen habe.«
Der Kronprinz und die andern Herren blickten erwartungsvoll in das bewegte Gesicht des Königs.
»Ich will das eiserne Kreuz wieder herstellen,« sagte der König, indem er wie unwillkürlich die Hände faltete und einen Augenblick die Augen niederschlug, um den feuchten Schimmer zu verbergen, der an seinen Wimpern erglänzte – »das wird die großen, frommen Erinnerungen wach rufen und die Begeisterung jener vergangenen Zeit auch der Gegenwart wieder erwecken. Die Ritter des eisernen Kreuzes sterben aus, ich will das edle Zeichen auch für Dich und Deine Generation,« sagte er zum Kronprinzen gewendet, »erhalten als ein Vermächtniß der Erinnerung an mich und meinen Vater.«
»Und ich verspreche Dir,« rief der Kronprinz in mächtiger Erregung, »daß ich nicht ruhen und rasten will, bis ich dies heilige Zeichen mir erkämpft habe.«
Schweigend, voll Liebe und Bewunderung blickten die Minister auf den König, der noch einige Augenblicke in stillem Sinnen da saß.
Ein langer Pfiff der Lokomotive ertönte. Man fuhr in den provisorischen Potsdamer Bahnhof ein. Bereits war die Dunkelheit des späten Abends herabgesunken, der mit Blumenguirlanden geschmückte Bahnhof war erleuchtet, ein einfacher Kronleuchter hing an der Decke des provisorisch hergestellten königlichen Wartezimmers.
Auf dem Perron erwarteten den König die Spitzen der Behörden, der Magistrat, die Generalität, die Hofchargen und zahlreiche Damen mit prachtvollen Blumenbouquets in der Hand.
Ein mächtiger Hurrahruf erschallte über den ganzen Bahnhofsplatz hin als der königliche Zug am Perron vorfuhr. Auf dem Perron entblößten sich alle Häupter, die Hüte wurden in die Luft erhoben, die Damen wehten mit den Tüchern.
Der König und der Kronprinz stiegen aus.
In der vordersten Reihe stand der greise Feldmarschall Wrangel.
Rasch schritt der König zu demselben hin und reichte ihm die Hand, in tiefer Bewegung beugte sich der Feldmarschall nieder und drückte seine Lippen auf die königliche Rechte.
»Ich begrüße in Ihnen, mein lieber General-Feldmarschall, meine Armee, die von Neuem zeigen wird, daß sie ihrer Veteranen würdig ist.«
Der Feldmarschall wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihm einige Augenblicke.
»Oh warum, Majestät,« sagte er endlich in abgebrochenen Worten, »warum gehöre ich heute zu diesen Veteranen, warum wollen die alten Glieder heute nicht so vorwärts wie das Herz, das noch immer nicht alt wird.«
»Nun,« sagte der König, die Hand leicht auf die Schulter des Feldmarschalls legend, »wenn Sie auch heute nicht mehr ins Feld ziehen können, Ihr Geist und Alles, was Sie für meine Armee gethan, das zieht doch mit hinaus und das wird ebenso schwer bei der Entscheidung wiegen, ja schwerer, als die Kraft der jungen Arme, denn der ruhmvolle Geist der Vergangenheit, der in meiner Armee weht, ist es, der sie zum Siege führen wird. Ich werde,« fügte er freundlich zu dem Feldmarschall gewendet, hinzu, »das eiserne Kreuz wieder herstellen, damit die Veteranen der künftigen Generation auch dasselbe schöne Zeichen tragen können, das wir Alten uns in den großen Tagen der Vergangenheit erworben haben.«
»Das freut mir von ganzem Herzen,« sagte der Feldmarschall, indem sein altes, treuherziges Gesicht von Glück und Freude strahlte. »Das haben Eure Majestät recht gemacht, das wird unseren Jungens wieder den Geist von 1813 einhauchen. Dieser Geist fängt schon an zu wehen, ich habe da gestern ein Witzblatt gesehen, worüber ich mir sonst geärgert habe, die Berliner Wespen, die haben einen preußischen Soldaten gemalt, der dem Napoleon die Faust unter die Nase hält und ihm sagt: »Dir hat wohl lange nicht die Nase geblutet.« Das ist richtiger preußischer Geist, Majestät, und ich habe mir auch gleich hingesetzt und dem Schreiber von diesem Wespenblatt über sein Bild meinen Glückwunsch gesagt.«
Der König lächelte.
»Sie haben Recht, lieber Feldmarschall, je ernster die Zeit, um so weniger darf dem Soldaten der Humor ausgehen, und damit hat es bei uns Berlinern noch gute Wege.«
Er wandte sich um und begrüßte freundlich die Damen, deren dargereichte Bouquets er entgegennahm, sich entschuldigend, daß er sie nicht alle halten könne und sie dem Adjutanten zur Aufbewahrung übergeben müsse. Dann trat er in das Wartezimmer, wohin ihm die Deputationen der städtischen Behörden, die Generale und die Hofchargen folgten.
Der Unterstaatssecretair von Thiele war unterdessen an den Grafen Bismarck herangetreten und hatte ihm ein für ihn angekommenes Telegramm übergeben.
Graf Bismarck durchflog es, dann trat er mit blitzenden Augen in das Wartezimmer zum König, der so eben die Begrüßung des Magistrats entgegennahm.
»Majestät,« rief der Graf, »ich habe so eben ein Telegramm des Wolf'schen Bureaus erhalten. Die Entscheidung ist da.«
»Ist der Krieg erklärt?« fragte der König.
»Die Kriegserklärung ist hier noch nicht übergeben,« erwiderte Graf Bismarck, »aber die Erklärung, welche Ollivier im Corps legislatif abgegeben hat, ist so gut, wie die formelle Erklärung.
»Ich bitte Sie, zu lesen.«
Graf Bismarck trat, die Depesche in der Hand in den Lichtkreis des Kronleuchters und begann mit lauter Stimme zu lesen. Das Telegramm enthielt die Darstellung, welche der Großsiegelbewahrer im Gesetzgebenden Körper über die Verhandlungen in Ems gegeben hat.
»Der König weigert sich,« las Graf Bismarck in erhöhtem Ton, »die von uns geforderten Verpflichtungen einzugehen und erklärte Benedetti, er wolle sich für diesen, wie für jeden andern Fall vorbehalten, die Verhältnisse zu Rathe zu ziehen.«
»Richtig,« sagte der König leise vor sich hin.
»Trotzdem,« fuhr Graf Bismarck zu lesen fort, »brachen wir aus Friedensliebe die Verhandlungen nicht ab, um so größer war unsere Überraschung, als wir erfuhren, der König von Preußen habe sich geweigert, Benedetti zu empfangen, und die preußische Regierung habe das amtlich mitgeteilt.«
»Ist das geschehen,« fragte der König.
»Nein, Majestät,« erwiderte Graf Bismarck, »ein Telegramm darüber ist in den Zeitungen erschienen. Darüber werden die Vertreter Eurer Majestät an den Höfen, bei denen sie beglaubigt sind, gesprochen haben. Es ist eine der Verdrehungen der Wahrheit, welche den Zweck haben, uns die Schuld des Friedensbruchs aufzuladen und die öffentliche Meinung in Frankreich zu erhitzen, vielleicht den Kaiser zum Äußersten zu reizen.«
Finster blickte der König vor sich nieder, und biß die Zähne auf einander, ein bitterer Zug legte sich um seinen Mund.
»Unter diesen Umständen,« las Graf Bismarck weiter, »wäre es ein Vergessen unserer Würde und eine Unklugheit gewesen, keine Vorbereitungen zu treffen. Wir haben uns bereitet den Krieg, den man uns anbietet, anzunehmen, indem wir Jedem seinen Antheil an der Verantwortlichkeit hierfür überlassen.«
Zornig trat der König mit dem Fuß auf den Boden, mit dem etwas verkürzten Finger seiner rechten Hand fuhr er mehrfach von oben herab über den Schnurrbart, wie es in Augenblicken heftiger Erregung seine Gewohnheit war.
»General von Roon,« rief er dann, als Graf Bismarck die Depesche zusammenfaltete, zum Zeichen, daß er zu Ende gelesen.
Der Kriegsminister trat heran.
»Ich befehle die Mobilmachung der ganzen Armee,« sagte der König im festen Ton, »sorgen Sie für die unmittelbare Ausführung meiner Befehle.«
»Hurrah!« rief der General-Feldmarschall von Wrangel. »Es lebe der König!«
Die Umstehenden wiederholten diesen Ruf, brausend setzte sich derselbe weithin über den Platz und durch die Menschen gefüllten Straßen fort.
»Ich erwarte Sie in einer Stunde bei mir, Graf Bismarck und auch Sie, General von Moltke, um alles weiter Erforderliche zu beschließen,« sagte der König.
Dann grüßte er mit freundlichem Ernst die Anwesenden und bestieg mit dem Kronprinzen seinen Wagen, in welchen bereits in dichter Menge die ihm überreichten Blumenbouquets gelegt waren. Langsam fuhr er durch die jubelnden Menschenmassen nach seinem Palais, von neuen, immer lauter anschwellenden Hurrahrufen begrüßt, stieg er hier aus, trat noch einmal auf die Rampe vor und winkte mit der Hand über den Platz hin.
»Bei einer solchen Begeisterung meines Volkes ist uns der Sieg sicher, wir können der Zukunft ohne Furcht entgegen gehen,« sagte er dann mit bewegter Stimme, indem er sich langsam abwandte und in sein Palais eintrat.
Lange noch blieb die Menge dicht gedrängt auf dem Platz versammelt, immer nach dem Fenster hinblickend und jedesmal, so oft die Gestalt des Königs oder auch nur ein vorübergehender Schatten dort sichtbar wurde, in erneute Rufe ausbrechend.
Endlich trat ein Leibjäger des Königs auf die Rampe hinaus, winkte einen der dort aufgestellten Schutzmänner heran und sprach einige Worte mit ihm.
Der Schutzmann näherte sich den Ersten in seiner Nähe.
»Meine Herren,« sagte er, »Seine Majestät läßt bitten, nach Hause zu gehen, der König hat diese Nacht noch viel zu arbeiten.«
»Der König will Ruhe,« ertönte es unmittelbar durch die Massen hin. »Nach Hause! Nach Hause!«
Einen Augenblick legte sich eine tiefe Stille über den ganzen Platz. Dann begannen einige Stimmen die feierliche, allbekannte Melodie des »Heil Dir im Siegerkranz« zu intoniren.
Mit gewaltigem Klang stieg dies Lied, das in so einfach großer Weise den Geist der unvergeßlichsten Zeit der preußischen Geschichte ausdrückte, zum nächtlichen Himmel auf, – dann wurde wieder Alles still.
Leise und ruhig nur in flüsternden Gesprächen sich unterhaltend, zerstreute sich diese ganze unabsehbare Menschenmenge, um dem Könige Ruhe zu lassen für seine Arbeit, welche dem deutschen Volk in den großen nationalen Entscheidungskämpfen den Sieg sichern sollte.
Bald lag der ganze weite Platz im schweigenden nächtlichen Dunkel, nur in den Zimmern des Königs brannte bis zum Morgen hin das Licht, welches die Arbeit beleuchtete, in die der unermüdliche Monarch sich mit seinem Minister und seinem Heerführer vertiefte, und durch die Scheiben des Fensters fiel der Strahl dieses Lichts in die Nacht hinaus, auf das aus der Dunkelheit in riesigen Umrissen hervortretende Denkmal des großen Königs hin, – die Sterne des Himmels blickten in ewiger lichter Ruhe herab auf die schlummernde Residenzstadt, welche im täuschenden Schein friedlicher Stille da lag, während sie schon in den nächsten Tagen Tausende ihre Söhne hinaussenden sollte, um auf blutigen Schlachtfeldern von Neuem ihre opferfreudige Treue für den König und das Vaterland zu beweisen.