Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Viertes Capitel.

In einer eleganten Parterrewohnung eines Hauses der Thiergartenstraße saßen in einem behaglich eingerichteten Wohnzimmer zur vorgerückten Abendstunde eines dunklen und stürmischen Februartages zwei alte Herren in bequemen Lehnstühlen neben einem großen Tisch, der durch eine hohe Lampe mit einem flachen Schirm beleuchtet wurde.

Der Eine derselbe zeigte in seiner ganzen Haltung und dem Ausdruck seines Gesichts, obgleich er im einfachen Civilanzug gekleidet war, alle Eigenthümlichkeiten eines alten Militairs. Das etwas empor stehende graue Haar war kurz geschnitten, der graue Bart dienstmäßig zugestutzt, und das bleiche kränkliche Gesicht hatte jenen ruhigen, etwas zurückhaltenden und fast dienstlich gleichmäßigen Ausdruck, welcher den preußischen Officieren eigenthümlich ist. Die dunklen Augen blickten scharf und klar unter den grauen Augenbrauen hervor. Er saß grade aufgerichtet in seinem Stuhl, von Zeit zu Zeit eine volle Rauchwolke aus der großen dunklen Havannahcigarre ziehend, welche er in seiner Hand hielt.

Dieser alte Herr war der Oberstlieutenant von Büchenfeld, welcher seit einiger Zeit wegen rheumatischer Leiden den activen Dienst verlassen hatte und in sehr einschränkten Verhältnissen von seinem kleinen Vermögen und seiner Pension lebte.

Neben ihm saß der Baron von Rantow, sein Jugendfreund, ein großer Grundbesitzer aus der Provinz Schlesien, welcher als Mitglied des Herrenhauses den Winter in Berlin lebte und, ohne selbst ein großes Haus zu machen, sich doch viel in der vornehmen Gesellschaft der Residenz bewegte.

Der Baron von Rantow war in seiner ganzen Erscheinung das vollständige Gegentheil seines Freundes. Sein ganzes Wesen zeigte jene bequeme Eleganz, welche das Bewußtsein einer unabhängigen Lebensstellung verleiht. Sein volles Gesicht von gesunder Farbe war von einem dichten, wohl gepflegtem, nur leicht ergrauten Backenbart umrahmt. Sein Kopf war fast kahl, und der Blick seiner großen blauen Augen war zwar nicht ohne Geist und ohne Intelligenz, schien aber alle Gegenstände, auf die er sich richtete, nur leicht und oberflächlich zu streifen, und ließ Diejenigen, mit denen der Baron sprach, oft daran zweifeln, ob er sich wirklich mit den Gegenständen der Unterhaltungen beschäftigte oder ob seine Gedanken anderswo weilten.

Herr von Rantow saß bequem zurückgelehnt in seinem Fauteuil und spielte leicht mit den Fingern seiner vollen weißen Hand auf der Lehne desselben.

»Die Kammern sind ja jetzt geschlossen,« sagte der Oberstlieutenant mit einer scharfen, bestimmt klingenden Stimme. »Ihr habt Euer Werk für dies Jahr vollendet, und der Norddeutsche Reichstag tritt jetzt auf die Scene. Du wirst wohl nicht mehr lange hier weilen,« fügte er seufzend hinzu. »Das thut mir recht leid, ich werde dann wieder in meiner Einsamkeit hier allein sein. Ich kann mich noch nicht so recht in mein Leben als Pensionair finden. Die active Dienstthätigkeit fehlt mir überall, und mich dem geselligen Leben anzuschließen, dazu bin ich mit der Zeit zu steif und schwerfällig geworden.«

»Ich bleibe noch zwei Monate hier, mein alter Freund,« erwiderte der Baron von Rantow. »Du wirst also noch einige Zeit hier einen Ort haben, wo Du gelegentlich einen langweiligen Abend unterbringen kannst. Dann kommst Du mit mir auf mein Gut, frische Luft wird Dir wohl thun, die Bewegung im Freien Deine Kräfte wieder stärken.«

»Du bleibst noch hier?« fragte der Oberstlieutenant ein wenig erstaunt. »Das ist mir unendlich erfreulich,« fügte er hinzu, »doch begreife ich nicht, daß Du Dich so lange ohne dringende Nothwendigkeit Deiner Wirthschaft entziehst.«

»Ich habe einen sehr tüchtigen Verwalter,« erwiderte der Baron von Rantow, – »und dann,« fuhr er fort, indem sein Blick wie zerstreut sich in die Ferne zu richten schien, »Du weißt, mein Sohn ist in seinem Staatsexamen begriffen, ich möchte das Resultat abwarten, um ihn dann gleich mit mir zu nehmen. Der Landrath meines Kreises wird bald zurücktreten, und ich wünsche, daß mein Sohn sich um diese Stelle bewerben möge; – wenn er dereinst meine Besitzungen übernimmt, so ist es sehr gut für ihn zugleich Landrath des Kreises zu sein und sich so eine angenehme und nützliche Thätigkeit, bedeutenden Einfluß und vielleicht die Aussicht auf eine große Carriere zu schaffen.«

»Du bist glücklich, alter Freund,« sagte der Oberstlieutenant mit etwas wehmüthigem Ton, »daß Du Deinem Sohn eine solche Perspective eröffnen kannst. Ich kann leider,« fuhr er fort, eine dichte Rauchwolke vor sich hinblasend, »meinem armen Carl nur dieselbe Lebensbahn bieten, an deren Ende ich jetzt angelangt bin, eine gleichförmige und wenig fröhliche Bahn. Man zehrt seine Kräfte im Dienst auf und dann bringt man sein Alter als ein unbrauchbares Glied der menschlichen Gesellschaft hin. Hätte ich es mir recht überlegt oder wäre meine Frau am Leben geblieben, – vielleicht wäre es anders geworden. Sie wollte immer, daß unser einziger Sohn studiren sollte. Nun,« – sagte er, leicht mit der Hand über die Augen fahrend, »sie ist lange dahingegangen, und der Junge hatte immer so große Freude an den Knöpfen der Uniform und den Epauletten und bat so dringend, daß er auch des Königs Rock tragen dürfe, daß ich ihm nachgegeben habe. Jetzt ist es geschehen, und er muß den Weg zu Ende gehen. Gott gebe, daß er mehr Glück und Freude auf demselben finden möge, als mir zu Theil geworden ist.«

»Mein lieber Freund,« sagte der Baron von Rantow, indem der Ausdruck phlegmatischer Zerstreutheit und Gleichgültigkeit auf seinem Gesicht einen Augenblick von einem wärmeren Gefühl verdrängt wurde, »Du darfst nicht vergessen, daß das Leben eines Soldaten in seinem ruhigen und einförmigen Gang dafür aber auch von manchen Sorgen und Aufregungen verschont bleibt, die uns treffen und daß es doch auch schön ist,« fügte er hinzu, dem Oberstlieutenant die Hand drückend, »sich zuletzt sagen zu können, daß man alle Zeit mit Ehren seine Pflicht erfüllt hat.«

»Ja, ja,« erwiderte der Oberstlieutenant mehrmals mit dem Kopf nickend, »das ist Alles ganz schön, aber man fragt sich denn doch auch, wozu das Alles, wo ist der Nutzen, den dieses Leben von Arbeit, Pflichterfüllung und Entbehrung gebracht hat?«

»Der Nutzen?« fragte Baron von Rantow lebhaft. »Du wirst den Nutzen nicht im Kreise des Einzelnen, nicht in der beschränkten Zeit eines Menschenlebens suchen; Ihr Alle, die Ihr Eure Kräfte und Arbeit im militairischen Dienst dem Staat widmet, schafft Glied für Glied, Kette für Kette jene große gewaltige Macht, die Armee, die in den entscheidendsten Augenblicken der Weltgeschichte heraustritt und für alle die Ideen, welche die geistige Thätigkeit erzeugt und entwickelt hat, die Bahnen bricht und den Raum schafft. Wie Viele haben sich in den fünfzig letzten Friedensjahren gefragt, wofür sie ihre Kräfte anstrengten! Wie Viele sind gestorben, ohne eine Antwort auf diese Frage zu erhalten! Das Jahr 1866 hat diese Antwort gegeben, und Du, mein alter Freund, gehörst zu den Glücklichen, denn Du hast jenes Jahr noch mit erlebt und mit durchgekämpft. Du wenigstens weißt, wofür Du gestrebt und gearbeitet hast.«

»Nun, nun,« sagte der Oberstlieutenant, indem er sich lächelnd den Schnurrbart strich, »ich murre auch nicht weiter. Wird auch der einzige Stein in einem großen Bau nicht bemerkt, er gehört doch auch mit zum Ganzen und darf auch mit Stolz sich sagen, daß er seinen Platz ausfüllt. Ich wünsche nur, daß mein Sohn keine fünfzig Friedensjahre vor sich haben möge.«

»Dazu hat es kaum den Anschein,« sagte der Baron von Rantow mit einem leichten Anklang von Unzufriedenheit in seiner Stimme. »Man schwebt ja in dieser Zeit eigentlich fortwährend zwischen Krieg und Frieden, und in den letzten Tagen klingen wieder sehr kriegerische Stimmen von der andern Seite des Rheins herüber. Früher oder später müssen alle Conflicte, welche 1866 noch ungelöst geblieben, doch endlich wieder zum Ausbruch kommen. Ich bedaure es wirklich recht sehr,« fügte er hinzu, »ich bin in verschiedenen großen Unternehmungen begriffen, welche einen vortrefflichen Erfolg versprechen. Ich möchte einige neue Industrieen auf meinen Besitzungen einführen, welche dazu vortreffliche Gelegenheit bieten, und stehe im Begriff, hier ein Consortium zu bilden, das mir die Capitalien dazu verschaffen soll. Um die Sache in Gang zu setzen, brauche ich noch einige Jahre Frieden. So lange aber,« fügte er lächelnd hinzu, »kann ja Dein Sohn auch wohl noch warten.«

Der Oberstlieutenant schüttelte langsam den Kopf und blickte halb verwundert, halb mißbilligend zu seinem Freunde hinüber.

»Du willst Consortien gründen?« fragte er. »Du willst Dich mit diesen Banquiers und Capitalisten associiren, um industrielle Speculationen auf Deinen alten Besitzungen einzuführen? – Nimm es mir nicht übel, alter Freund,« fuhr er fort, »mir scheint das nicht recht mit der Stellung eines alten Edelmanns zusammen zu passen. Dein Gut ist ja so schön und in vortrefflicher wirtschaftlicher Ordnung, es wirft Dir eine glänzende Revenue ab, Du bist wohlhabend und hast Alles, was Du bedarfst. Du hast nur einen Sohn, warum willst Du denn noch mehr, als die Vorsehung Dir gegeben und Deine Vorfahren Dir hinterlassen haben? Es verträgt sich nicht mit der Stellung des Adels nach meiner Auffassung, sich mit dieser modernen Capitalswelt zu verbinden, um Geld auf Geld zu häufen. Und außerdem scheint es mir nicht klug zu sein, denn auf diesem Gebiet werden wir den Juden und Banquiers doch niemals gewachsen sein, sie werden uns immer das beste Fett vorwegnehmen, und wir werden froh sein können, wenn uns überhaupt noch Etwas bleibt – verzeihe meine Aufrichtigkeit, – Du hast ja zu thun, was Dir beliebt, – aber meine Meinung ist nun einmal so, wie ich gesagt habe.«

»Ich glaube, Du hast vollkommen Unrecht,« erwiderte der Baron von Rantow, indem er sich ein wenig emporrichtete und zu seinem Freunde hinüberneigte. »Das Geld ist die Macht, welche heut zu Tage die Welt beherrscht, ebenso wie es früher die körperliche Überlegenheit in den ritterlichen Übungen war. Wenn der Adel seine Stellung behaupten will, so muß er jene herrschende Gewalt unserer Zeit in seine Hände bringen. Sieh die große Aristokratie von England an. Wodurch ist sie auf der Höhe geblieben? Nur dadurch, daß sie es immer verstanden hat, ihren Besitz nicht nur zu erhalten, sondern den steigenden Anforderungen der Zeit gemäß fortwährend zu vergrößern. Sieh, wie in Österreich der Adel an seiner schlechten Naturalwirtschaft zu Grunde geht. Du wirst mir zugeben, daß auf die Dauer keine Familie sich auf der Höhe ihrer Stellung ohne die Grundlage eines den Zeitbedürfnissen entsprechenden Besitzes zu erhalten im Stande ist.«

Wieder schüttelte der Oberstlieutenant bedenklich den Kopf.

»Der Besitz ist eine schöne Sache,« sagte er, »aber er macht doch nicht allein die dauernde und feste Grundlage des Adels aus. Ich möchte fast der Meinung sein, daß die Armuth noch eher die ritterlichen Gesinnungen erhält, als der Reichthum, – wie denn auch die alten geistlichen Orden zur Erhaltung des ritterlichen Sinnes das Gelübde der Armuth ablegen mußten.«

»Das sie aber zuletzt sehr wenig hielten,« sagte der Baron von Rantow lächelnd. Dann fügte er hinzu. »Die geistlichen Herren hatten keine Kinder, für die sie sorgen mußten. – Du hast mir vorhin gesagt, ich hätte nur einen Sohn und er hätte für sein Leben genug an dem, was ich besitze. Das ist ganz recht, aber mein Sohn kann mehrere Nachkommen haben. Und ich möchte doch gern,« fuhr er fort, mit einem gewissen Stolz den Kopf emporrichtend, »daß auch später Jeder, der den Namen Rantow führt, einen diesem Namen entsprechenden materiellen Besitz habe. Wenn ich nun sehe, daß durch eine geschickte Capitalassociation mein Besitz sich vier- bis fünfmal vergrößern kann, sollte ich da unthätig bleiben, ruhig in alter Weise fortwirthschaften und damit meinen Nachkommen entziehen, was ich ihnen zu schaffen mich fast für verpflichtet halten muß?«

»Wir werden uns nicht darüber verständigen,« sagte der Oberstlieutenant. »Ich meinerseits,« sprach er bestimmt und energisch, »würde mich niemals mit dieser industriellen Welt in Verbindung setzen.«

Das Gespräch der beiden alten Herren wurde durch den Eintritt der Baronin von Rantow unterbrochen, einer Dame von hoher und trotz ihrer starken Fülle noch schlanken und elastischen Gestalt mit einem vornehm geschnittenen Gesicht von freundlich heiterm Ausdruck, das die Spuren früherer großer Schönheit zeigte.

Die Dame begrüßte den Oberstlieutenant, der ihr mit einer etwas altmodischen Höflichkeit die Hand küßte, herzlich und nahm auf einem breiten Divan vor dem Tisch Platz, auf welchem ein Diener in eleganter Hauslivree das Theegeschirr aufstellte.

»Die Wagen fangen bereits an vorzufahren,« sagte Frau von Rantow, »es wird eine sehr große Gesellschaft sich über uns bei dem Herrn Commerzienrath Cohnheim versammeln. Es scheint,« fuhr sie mit einem leichten Lächeln fort, »daß man Alles aufgeboten hat, um ein recht großartiges Fest zu geben.«

»Wir werden die Nacht recht gestört werden,« sagte der Baron, »von dem Lärm über unsern Köpfen. Nun,« fügte er achselzuckend hinzu, »das ist immer noch besser, als wenn wir hätten hingehen müssen. Ich bin einen ganzen Tag,« fuhr er zum Oberstlieutenant gewendet fort, »zu Hause geblieben, um mein Unwohlsein recht natürlich vorzustellen, damit ich nicht genöthigt bin diese Gesellschaft zu besuchen, in der man sich zwischen emporgekommenen Börsenspeculanten und einzelnen heruntergekommenen Mitgliedern der guten Gesellschaft befindet.«

»Und darum,« fragte der Oberstlieutenant erstaunt, »legtest Du Dir einen Tag Hausarrest auf? Warum lehntest Du denn nicht einfach die Einladung der Leute ab? Du hast doch wahrhaftig keine Rücksichten auf sie zu nehmen.«

»Doch, mein lieber Freund,« erwiderte Herr von Rantow, »ich habe sogar recht große Rücksichten auf diesen Herrn Commerzienrath Cohnheim zu nehmen. Er ist gerade Derjenige, der mir meine Consortien zusammenbringen soll, und der mit großem Eifer dabei ist, mir diese Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Ich darf ihn also in keiner Weise verletzen, ich nehme auch fortwährend die äußerste Rücksicht auf ihn, – doch mich in diese Gesellschaft hineinzubegeben, das ist etwas zu viel verlangt. In kleinen Kreisen bin ich schon bei ihm gewesen, ich will ihn auch gern bei mir sehen, ja, ich habe sogar Nichts dagegen,« fuhr er lächelnd fort, »daß mein Sohn dem Fräulein Cohnheim den Hof macht, was er außerdem sehr gern thut, denn die Tochter des Herrn Commerzienraths ist wirklich von einer wunderbaren Schönheit, dabei sehr gut erzogen und sehr fein gebildet.«

»Um Gottes Willen,« rief der Oberstlieutenant ganz erschrocken, »wenn nun aber die jungen Leute bei diesem Spiel sich Etwas in den Kopf setzen, wenn da eine ernste Neigung entstehen sollte.«

»Nun,« sagte Herr von Rantow leicht mit den Fingern auf der Lehne seines Sessels trommelnd, »das wäre eine Sache, die sich überlegen ließe. Herr Cohnheim ist sehr reich, sein Vermögen wächst täglich und stündlich. Er wird nach kurzer Zeit sich auf die Höhe der ersten Matadore der Finanzwelt erhoben haben. Er hat nur diese einzige Tochter, wie ich den einzigen Sohn. Es haben sich ja schon viele alte Familien durch Heirathen zu großem Glanz gebracht, – die Sache würde sich vielleicht arrangiren lassen.«

»Ich vermag der neuen Zeit nicht mehr zu folgen,« sagte der Oberstlieutenant. »Ich für meinen Theil, so arm ich bin, würde doch wahrhaftig niemals meine Zustimmung geben, daß mein Sohn sich durch eine Heirath in dieser Weise seine Lebensstellung machte. Ich halte viel auf meinen Namen und viel auf alte Familien, aber dennoch wäre mir jedes Mädchen aus dem Volke recht, wenn sie mir mein Sohn als Tochter zuführte. Aber mit diesen Kreisen der Finanzwelt, welche die Gesellschaft durch ihre unnatürlichen Speculation aussaugen, denen jedes Mittel recht ist, um nur Geld und wieder Geld aufzuhäufen, mit diesen Kreisen meine Familie zu verbinden! – – Nein,« rief er lebhaft, »dazu würde ich niemals meine Zustimmung geben.«

»Nun, lieber Büchenfeld,« sagte Frau von Rantow freundlich lächelnd, indem sie dem Oberstlieutenant ein Glas Grog mischte, »beunruhigen Sie sich nicht, mein Mann ist noch kein so schlimmer Speculant geworden, als er Sie glauben machen möchte. Hüten Sie sich aber,« fuhr sie leicht mit dem Finger drohend fort, »daß Ihr Sohn Sie mit Ihren Grundsätzen nicht in Verlegenheit bringt. Er besucht, wie er mir erzählt hat, seit er hier zur Kriegsschule commandirt ist, die Gesellschaften der haute finance sehr fleißig und amüsirt sich sehr gut dort. Er wird gewiß auch heute hier beim Commerzienrath sein in gefährlicher Nähe der schönen Augen des Fräulein Cohnheim.«

»Ich freue mich,« sagte der Oberstlieutenant, »wenn mein Sohn sich amüsirt, doch bin ich vollkommen sicher, daß er an keine ernsthafte Liaison denkt, und daß er die Grundsätze, die ich vorhin ausgesprochen habe, vollkommen mit mir theilt.«

Er nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glase und wandte sich dann zu der Baronin von Rantow mit einer gleichgültigen Frage, welche die Absicht zu erkennen gab, das bisherige Gesprächsthema nicht weiter zu behandeln.

Inzwischen hörte man vor dem Hause einen Wagen nach dem andern vorfahren. Bald war es das leichte Rollen eleganter Equipagen, bald der schwerfällig rasselnde Ton einer Droschke, und in der Bel-Etage über der Wohnung des Barons ließ sich das Geräusch zahlreicher Schritte und das dumpfe Gewirr verschiedener Stimmen hören.

Die weiten eleganten Räume des obern Stockwerks, welche der Commerzienrath Cohnheim bewohnte, und welche mit reicher, wenn auch nicht geschmackloser, so doch etwas überladener Pracht ausgestattet waren, strahlten im hellen Glanz einer intensiven Gasbeleuchtung. Die Fenster waren überall durch schwere seidene Vorhänge verdeckt, der ziemlich große Tanzsaal reich mit frischen Blumen decorirt, in den Nebensalons waren Spieltische arrangirt, die kostbaren Ölgemälde an den Wänden waren durch darüber angebrachte Schirmlampen in das möglichst beste Licht gesetzt. Kurz, es war Alles geschehen, um zu zeigen, daß der Commerzienrath ein Mann war, welcher die Mittel besaß, große Gesellschaft bei sich zu empfangen, und welcher es auch verstand, durch guten Geschmack es den Vornehmen gleich zu thun. Daß überall ein kleines Zuviel oder Zuwenig in diesen Arrangements die scharfe Grenzlinie des wirklich vornehmen Geschmacks überschritt oder hinter derselben zurückblieb, entging dem zufriedenen Blick des Commerzienraths, welcher nach einem letzten Blick über die Vorbereitungen zu seinem Feste sich in den ersten Salon begab, um die Gäste zu empfangen, die erst langsam und einzeln, dann immer schneller und zahlreicher zu erscheinen begannen.

Der Commerzienrath Cohnheim war eine kleine, volle und untersetzte Gestalt, von raschen, kurzen, etwas unruhigen Bewegungen. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein, sein kleiner runder Kopf erhob sich nur wenig über die breiten, etwas hoch empor stehenden Schultern. Sein Haar leicht in's Graue spielend, war kurz und kraus gelockt, seine scharfen Züge, die hervorspringende, leicht gebogene Nase, die etwas aufgeworfenen Lippen, und die klugen, stets etwas unruhig umherspähenden Augen zeugten von Intelligenz und scharfer Beobachtung, während um seinen Mund ein fast stereotypes Lächeln spielte, welches halb aus gutmüthigem Wohlwollen, halb aus befriedigtem Selbstgefühl zusammengesetzt war.

Der Commerzienrath trug einen tadellosen schwarzen Anzug, eine Cravatte von blendender Weiße. Er zeigte in seiner ganzen Erscheinung eine strenge, vielleicht etwas gesuchte Einfachheit, welche nur durch einige große Hemdknöpfe von prachtvollen Diamanten unterbrochen wurde, die er sich nicht hatte versagen können. Im Knopfloch seines Fracks befand sich ein unendlich kleines Miniaturkreuz des Ordens eines kleinen deutschen Miniaturstaats; in seiner Hand mit den kurzen beweglichen Fingern, deren Spitzen den weißen Handschuh nicht vollständig ausfüllten, hielt er eine goldene Dose, deren er sich weniger zum eigenen Gebrauch als zur Entamirung einer Conversation zu bedienen pflegte.

Während er strahlend von liebenswürdiger Höflichkeit in dem ersten Salon seiner Wohnung Stellung nahm, befand sich die Frau Commerzienräthin mit ihrer Tochter in einem Zimmer, das an die entgegengesetzte Seite des Tanzsaals stieß, um dort die Begrüßung der Gäste zu empfangen.

Frau Commerzienräthin Cohnheim war eine große hagere Gestalt mit ziemlich eckigen Bewegungen und einem Gesicht, dessen entschieden jüdischer Schnitt in ihrem gegenwärtigen Alter wenig Einnehmendes hatte. Sie trug ein dunkelrothes Sammetkleid, ein reiches Collier von kostbaren Edelsteinen, Diamanten im Haar und Diamanten an den Armspangen. Der Blick ihrer großen dunklen und stechenden Augen war kalt und fast starr, und ihre etwas dünnen, gewöhnlich fest zusammengeschlossenen Lippen öffneten sich je nach dem Range und der Stellung ihrer Gäste zu einem mehr oder weniger höflichen und verbindlichen Lächeln.

In ihrer ganzen Erscheinung durchaus von ihrer Mutter verschieden stand ihre Tochter, ein junges Mädchen von achtzehn Jahren, neben ihr. Fräulein Cohnheim trug eine unendlich einfache Balltoilette von zartestem weißem Stoff, mit kleinen, fast unbemerkbaren Silbersternen übersäet; ihr Haar war mit frischen Maiblumen und Rosenknospen geschmückt. Sie trug keine Edelsteine, keinen Schmuck; und in der That waren auch die einfachen natürlichen Blumen der schönste und passendste Schmuck für diese so zarte Erscheinung, welche von dem idealen Schimmer jener eigentümlichen orientalischen Schönheit überhaucht war, welche man gewöhnlich mehr in den Schöpfungen der Künstler, als in der Wirklichkeit findet. Der durchsichtige Teint des jungen Mädchen zeigte jenen eigentümlichen Schmelz, welcher auf der zarten Schale der im Sonnenlicht des Südens gereiften Pfirsich liegt; ihr ebenholzschwarzes Haar war wie von bläulichem Phosphorschimmer übergossen. – Ihre großen dunklen Augen blickten wie träumerisch fragend in die Welt hinein, und um ihren zarten feinen Mund spielte ein halb kindlich harmloses, halb melancholisches Lächeln.

Die Säle füllten sich immer mehr. Es kamen zahlreiche Matadore der hohen Finanzwelt mit ihren Frauen und Töchtern – es kamen Geheimräthe trocken, steif und würdevoll mit mehr oder weniger dicht behängten Ordenskettchen im Knopfloch.

Die Damen der Bureaukratie blickten musternd und prüfend auf die Toiletten der Frauen und Töchter der Commerzien- und Commissionsräthe, indem sie durch ihren würdevollen und zurückhaltenden Ernst zu erkennen gaben, daß sie sich wohl bewußt seien, wie die Würde des Ranges und der Stellung sie trotz ihrer einfachen und zuweilen etwas dürftigen Anzüge doch hoch über jene in Federn, Diamanten und schwerer Seide prangenden Damen erhebe.

Dann kamen junge Officiere in den Uniformen fast aller Regimenter der Garde, welche sich Alle bald unter die Gruppen der im Tanzsaal harrenden jungen Damen mischten und ihre Feldzugspläne für die Tänze des Abends feststellten.

Der Commerzienrath war unerschöpflich in Liebenswürdigkeit beim Empfang seiner Gäste. Doch wußte er dabei mit unendlicher Schärfe und Feinheit die Nuancirungen seiner Höflichkeit jedem Eintretenden gegenüber genau abzumessen. Mit einer gewissen zuversichtlichen Vertraulichkeit begrüßte er die Geheimenräthe, und trat irgend ein magerer und steifer Herr mit einem kleinen ausländischen Stern auf dem Frack herein, so legte er wohl seinen Arm in den seines Gastes und begleitete denselben mit einigen Scherzworten bis zur Thür des nächsten Zimmers, um sich dann zum Empfang der Neueintretenden zurückzuwenden.

Mit würdevoller Zurückhaltung begrüßte er die Mitglieder der Finanzwelt, deren Stellung an der Börse noch nicht fest begründet war. In tiefer Ehrerbietung verneigte er sich vor den großen Matadoren der Geldwelt; mit cordialer Herzlichkeit drückte er irgend einem rasch vorüberschreitenden Gardeofficier mit altem Grafen- oder Freiherrntitel die Hand.

Mit fast fürstlicher Herablassung neigte er den Kopf gegen junge Kaufleute, welche, um den Tanzsaal zu füllen, in feine Gesellschaften zugelassen wurden. Und mit der Miene eines schützenden Mäcens klopfte er diesem oder jenem Künstler auf die Schulter, welcher seine Salons betrat und vielleicht im Stillen die Hoffnung hegte, daß der reiche Commerzienrath ihm eines Tages eins seiner Werke abnehmen werde.

Die Säle waren schon stark gefüllt, Lakaien in reich gallonirten Livreen präsentirten den Thee und jenes dumpfe Gesumme flüsternder Stimmen, welches sich stets beim ersten Beginn großer Gesellschaften vernehmen läßt erfüllte die Räume.

Die Thüren des ersten Salons, welche seit einiger Zeit geschlossen geblieben waren, öffneten sich abermals, und der Commerzienrath ging rasch den zwei jungen Leuten entgegen, welche neben einander eintraten.

Es war der junge Baron von Rantow und der Lieutenant von Büchenfeld, der Sohn des Oberstlieutenants, welcher in der Parterrewohnung desselben Hauses am Theetisch seines Freundes saß.

Der Referendar von Rantow hatte entschiedene Ähnlichkeit mit seinem Vater. Sein Gesicht war hübsch, vornehm, aristokratisch geschnitten und anziehend durch die frische jugendliche Gesundheit und durch das wohlwollende, gutmüthige und freundliche Lächeln, welches auf demselben lag. Doch hatten seine hellen klaren Augen denselben etwas gleichgültigen oberflächlichen Blick wie diejenigen seines Vaters. In seinem Lächeln lag ein Zug hochmütigen Selbstbewußtseins, der ohne jene Beimischung von Gutmütigkeit und Herzlichkeit beinahe hätte unangenehm berühren können. Die ganze Haltung des mit äußerster Eleganz und höchster Einfachheit gekleideten jungen Mannes zeigte vornehme und leichte Sicherheit. Er betrat die Gesellschaftsräume des Commerzienraths mit einer Miene, aus welcher ein wenig von dem Bewußtsein hervorschimmerte, daß er durch sein Erscheinen in diesem Hause mehr Ehre gebe, als empfange.

In der einfachen Uniform eines Linien-Infanterieregiments erschien, durch das schnelle Vorschreiten des Herrn von Rantow einen Schritt zurückbleibend, der Lieutenant von Büchenfeld.

Der junge Mann war hoch und schlank gewachsen, seine Haltung war fest und ritterlich, fast etwas starr, und die Züge seines magern, scharf geschnittenen bleichen Gesichts zeigten männliche Kraft, Muth und Entschlossenheit, doch dabei auch eine stolze, fast feindlich abwehrende Verschlossenheit. Auf der Oberlippe seines schön geformten, fest zusammengepreßten Mundes kräuselte sich ein leichter blonder Schnurrbart. Seine hellen grauen Augen blickten so ernst und ließen aus ihrem eigentümlichen Glanz eine solche Tiefe hervorleuchten, daß sie in einzelnen Augenblicken von fast dunkler Farbe zu sein schienen.

Der Commerzienrath drückte mit unendlich liebenswürdigem Lächeln dem jungen Baron von Rantow die Hand, während er zugleich mit freundlicher Höflichkeit den Kopf gegen den jungen Officier wandte.

»Wie unendlich bedaure ich, mein lieber Herr von Rantow, daß Ihr Herr Vater und die Frau Mama verhindert sind, mich heute zu besuchen. Es verdirbt mir fast die Freude an meinem ganzen Fest,« fügte er hinzu, indem er seine lächelnden Züge fast mit Gewalt zu einem trüben Ausdruck zwang, »Ihre Eltern heute nicht bei mir zu sehen.«

»Es thut meinen Eltern ebenfalls sehr leid,« sagte Herr von Rantow mit leicht degagirten Ton, indem sein Blick über den Commerzienrath hinweg nach dem andern Salon hinschweifte, »daß sie Ihrer Einladung nicht haben Folge leisten können. Doch ist mein Vater stark erkältet und meine Mutter, wie Sie begreifen können, wollte ihn nicht allein lassen.«

»Nun,« sagte der Commerzienrath, »ich freue mich wenigstens, daß Sie gekommen und daß ich doch ein Glied Ihrer verehrten Familie bei mir sehe. Eilen Sie, eilen Sie,« fügte er hinzu, indem er den jungen Mann nach dem Tanzsaal hinführte – »der Tanz wird sogleich beginnen und die Damen werden schon sehr umlagert. Meine Tochter hat Ihnen gewiß noch einen Tanz aufgehoben,« fügte er dem jungen Mann auf die Schulter klopfend hinzu und verließ denselben auf der Schwelle des Saals, sich zu der Eingangsthür zurückwendend, ohne den Lieutenant von Büchenfeld weiter zu beachten, welcher hinter Herrn von Rantow ebenfalls in den Tanzsaal eintrat.

Fräulein Cohnheim hatte während dieser Zeit neben ihrer Mutter gestanden, meist nur mit höflicher schweigender Verbeugung die Damen begrüßend und einzelne Worte mit den jungen Herren wechselnd, welche zu ihr herantraten, um sie um einen Tanz zu bitten.

Sie hatte einige Engagements angenommen, andere abgelehnt und blickte von Zeit zu Zeit wie fragend und suchend über die Gruppen hin, welche sich in dem Tanzsaal vor ihr bewegten. Als Herr von Rantow und Herr von Büchenfeld in den Saal eintraten, flog eine augenblickliche leichte Röthe über das Gesicht des jungen Mädchens. Ihr Blick leuchtete einen Moment auf – dann schlug sie die Augen nieder und gab einer Dame, welche sich soeben zu ihr wandte, eine Antwort, welche nicht ganz auf die Anrede zu passen schien und einen etwas erstaunten Ausdruck auf dem Gesicht der zu ihr Sprechenden hervorrief. Der Referendar von Rantow schritt rasch und sicher durch den dicht mit Menschen gefüllten Saal, indem er hier und dort einen Bekannten begrüßte und trat in das Zimmer, in welchem die Commerzienräthin mit ihrer Tochter sich befand.

Er machte der Dame des Hauses, welche ihn mit ausgezeichneter Liebenswürdigkeit empfing, seine Entschuldigungen in Betreff des Ausbleibens seiner Eltern und wandte sich dann zu dem Fräulein Cohnheim.

»Ich bin etwas spät gekommen, mein gnädiges Fräulein,« sagte er. »Unaufschiebliche Arbeiten hielten mich noch ab. Darf ich hoffen, daß Sie noch einen Tanz für mich frei haben?«

»Ich bedauere sehr,« erwiderte das junge Mädchen mit einem Blick auf die Tanzordnung, während ihre Mutter ziemlich kalt und oberflächlich die Begrüßung des Lieutenants von Büchenfeld erwiderte; »Alle meine Tänze sind besetzt.«

»Das ist ja ein wahres Unglück!« rief der junge Herr von Rantow, während er versuchte, den gleichgültigen Ausdruck von seinem Gesicht verschwinden zu lassen. – »ein Unglück,« fügte er hinzu, »auf das ich übrigens hätte gefaßt sein müssen, wenn ich nicht die leise Hoffnung gehabt hätte, daß Sie vielleicht die Güte haben würden mir einen Tanz zu reserviren.«

Die Commerzienräthin wandte sich ein wenig erstaunt zu ihrer Tochter.

»Soviel ich bemerkt,« sagte sie, »hast Du noch kein Engagement für den Cotillon angenommen.«

»Ah« rief Herr von Rantow freudig, »sollten Sie mir vielleicht diese glückliche Überraschung gemacht haben?«

»Ich bin für den Cotillon versagt,« erwiderte Fräulein Cohnheim ernst und kalt, indem ihr Blick zu dem neben ihrer Mutter stehenden jungen Officier hinüberflog.

Dieser trat rasch heran und sprach:

»Darf ich hoffen, daß Sie sich des Versprechens noch erinnern, das Sie mir auf dem letzten Ball für den nächsten Cotillon gegeben?«

»Was ich versprochen halte ich stets,« erwiderte die junge Dame mit freundlichem Lächeln den Gruß des Officiers erwidernd.

»Sie sehen,« fuhr sie fort, ihm ihre Tanzordnung hinreichend, »Ihr Name steht bereits beim Cotillon notirt.«

Ein strenger hochmütiger Blick der Commerzienräthin traf den Lieutenant von Büchenfeld. Wie mißbilligend schüttelte sie leicht den Kopf und wandte sich von ihrer Tochter ab, während der Referendarius von Rantow mit leichter Verbeugung zurücktrat.

Die Musik im Tanzsaal begann den ersten Walzer zu spielen. Die Paare traten an. Der Tänzer des Fräulein Cohnheim erschien und führte die junge Dame in die Reihen.

Herr von Rantow und der Lieutenant von Büchenfeld blieben einen Augenblick neben einander stehen.

»Du hast mir die Kleine weggekapert,« sagte der Referendarius, indem sein Blick über den Saal hinschweifte. »Das ist nicht hübsch von Dir, nun habe ich heute gar keine Gelegenheit mich mit ihr zu unterhalten, und ich möchte doch gern einmal länger mit ihr sprechen, um zu sehen, was denn eigentlich hinter diesem hübschen Gesicht steckt. Sie ist sehr gut erzogen und hat auch gute Manieren, und wenn die commerzienräthlichen Eltern nicht wären, es wäre am Ende keine üble Partie.«

Er hob sein Lorgnon an's Auge und musterte einige in seiner Nähe stehende Paare.

Der Lieutenant von Büchenfeld war bei den Worten des Herrn von Rantow flüchtig erröthet, er sah ihn mit einem eigenthümlich prüfenden Blick seiner tiefen Augen an und folgte dann, ohne eine Antwort zu geben, den anmuthigen Bewegungen der Tochter des Hauses, welche soeben im Tanze an ihm vorbeischwebte.

Während der Ball im großen Mittelsaal seinen Fortgang nahm, während die ältern Damen theils an den Wänden des Tanzsaals, theils in den unmittelbar daran stoßenden Zimmern ihre Plätze einnahmen und sich in mehr oder weniger liebevollen Kritiken über die tanzenden Paare ergingen, bildeten sich in den entfernteren Räumen Gruppen der älteren Herren.

Ein ziemlich starker Mann von etwa fünfzig Jahren mit vollem rothen Gesicht und rückwärts gekämmtem Haar stand lebhaft sprechend und gesticulirend in einem Kreise von fünf bis sechs anderen Herren, welche ihm aufmerksam zuhörten.

»Ich sage Ihnen, meine Herren,« rief er, »unser Norddeutscher Reichstag mag eine ganz gute Institution sein und wird gewiß viel zur Einheit und Verkehr im Handel und Wandel wie auch zur Gesetzgebung beitragen. Aber es ist doch immer nur ein halbes Werk und die Hauptsache liegt in der Vereinigung mit den Südstaaten. Und von dieser Vereinigung sind wir jetzt weiter entfernt als je vorher.«

»Warum das, Herr Director,« fragte ein langer, fast ängstlich magerer Herr mit einem faltigen, leberkranken Gesicht, welcher eine Kette mit verschiedenen kleinen Decorationen im Knopfloch trug und jene eigenthümliche, halb geheimnißvolle, halb überlegene Miene hatte, welche ein besonderes Kennzeichen der höhern preußischen Bureaukratie bildet. »Die Verträge, welche in militairischen Beziehungen mit den süddeutschen Staaten abgeschlossen sind, bilden ja ein festes Band, welches sich in der Stunde der Gefahr gewiß bewähren würde. Und gerade in Bayern, dem mächtigsten der süddeutschen Staaten, macht sich eine sehr entschiedene deutsche Bewegung bemerkbar, welche von dem jungen Könige ganz besonders begünstigt wird. Wir haben darüber,« fügte er mit einer etwas gedämpften Stimme im Ton einer vertraulichen Mittheilung hinzu, »sehr befriedigende Berichte.«

»Ihre Berichte mögen befriedigend sein, mein lieber Herr Geheimrath,« erwiderte der Bankdirector Huber, »die Wirklichkeit ist es nicht, denn gerade in Bayern arbeitet in diesem Augenblick die ultramontane katholische Partei mit aller Kraft daran, den Anschluß an den Norddeutschen Bund zu verhindern und zu erschweren. Und man täuscht sich hier gewaltig, wenn man die Macht und Bedeutung dieser Partei gering anschlägt. Ich bin vor Kurzem in München gewesen und habe Gelegenheit gehabt, das sehr genau zu beobachten, weil verschiedene Personen, mit denen ich in Geschäftsbeziehung stehe, gerade zu den uns feindlichen Kreisen gehören. Der König, es ist wahr, soll ja, wie man sagt, sehr deutsch gesinnt sein, aber er hat auch sehr particularistische bayerische Gefühle, und die ultramontane Partei übt einen großen Einfluß auf ihn aus, da sie ihn bei der religiösen Seite zu fassen versteht.«

»Ich kann,« sagte der Geheimrath Fintelmann, »kaum glauben, daß die ultramontane Partei in Bayern im Stande sein sollte, den Zug zur deutschen Einigkeit, welcher doch im Volke lebt, wirksam zu bekämpfen. Außerdem begreife ich eigentlich nicht, was sie dabei für ein Interesse haben sollte, die Katholiken werden doch wahrlich in Preußen nicht schlecht behandelt, im Gegentheil, sie stehen hier besser als in manchen katholischen Ländern, und sie würden sich selbst schaden, wenn sie sich im Gegensatz stellen wollten zu den nationalen Einigungsbestrebungen.«

»Die Stellung der Katholiken,« erwiderte der Bankdirector, »ist eine vollkommen andere geworden, seitdem man in Rom an der Unfehlbarkeit des Papstes arbeitet. Die verschiedenen Parteigänger dieses Dogmas sprechen es ganz offen aus, daß sie einen Kampf mit der preußischen Staatsgewalt voraussehen und daß sie deshalb dieser protestantischen Macht gegenüber in Bayern einen Mittelpunkt für den deutschen Katholicismus bilden müssen.«

»Mein Gott,« sagte der Geheimrath achselzuckend, »ich glaube, daß man dieser ganzen Unfehlbarkeitsangelegenheit zu viel Bedeutung beilegt. So viel mir bekannt, hat ja der Papst in der katholischen Kirche immer für unfehlbar gegolten, und schließlich ist ja jede oberste Instanz in jeder menschlichen Institution unfehlbar. Lasse man doch ruhig den Papst in Glaubenssachen seine unfehlbaren Decrete sprechen, die staatliche Nationalität wird darum ruhig ihren Weg weiter gehen und die Katholiken auch nach dieser neuen Façon selig werden lassen.«

»Sie legen der Sache umgekehrt zu wenig Bedeutung bei,« erwiderte der Bankdirector. »Verzeihen Sie, das ist aber der gewöhnliche Fehler der Herren am grünen Tisch, daß sie die Folge der Dinge erst dann einsehen, wenn sie wirklich eingetreten sind. Ich bin Rheinländer,« fuhr er fort, »ich bin Katholik und die Unfehlbarkeit des Papstes als oberste Autorität in Kirchenverwaltungen und Disciplinarsachen ist ja bei uns nie bestritten, obwohl es mir nicht so recht in den Sinn kommen will, daß eine fremde ausländische Autorität über die Angelegenheiten unserer deutschen Kirche zu bestimmen haben soll. Allein ganz etwas Anderes ist es, wenn nunmehr die Unfehlbarkeit des Papstes dogmatisch festgestellt wird, wenn Jeder verflucht und excommunicirt wird, der irgend einem Decret nicht sofort Folge leistet. Damit erwächst allerdings eine Macht, mit der der Staat auf die Dauer nicht im Frieden leben kann. Eine solche Unfehlbarkeit in Glaubenssachen könnten wir uns allenfalls gefallen lassen, wenn der oberste Leiter der deutschen Kirche ein deutscher Bischof wäre. Aber der Papst ist nun einmal ein fremder, ein italienischer Kirchenfürst, der nicht nur Priester ist, sondern auch seine Politik macht, und es könnten denn doch Verhältnisse eintreten, in welchen seine unfehlbaren Decrete der weltlichen Macht und im Besonderen Deutschland sehr wenig genehm sein möchten.«

»Nun,« sagte der Geheimrath mit einem selbstzufriedenem Lächeln, »ich glaube, wir können es ruhig abwarten.«

»Ich wollte,« rief der Bankdirector lebhaft, »Sie warteten es nicht ab, sondern träfen Vorkehrungen; wenn aus dieser Frage später ein Conflict entsteht, ohne daß man zur rechten Zeit Stellung genommen hat, so dürften die Consequenzen sehr fatal werden.«

»Ich glaube, der Bankdirector hat ganz Recht,« sagte der Professor Brandt, ein großer Mann von steifer Haltung, dessen von dunklem, glatt gescheiteltem Haar umgebenes Gesicht geistige Bewegung und scharfe Intelligenz ausdrückte, obwohl die Augen von einer großen gläsernen Brille bedeckt waren. »Ich glaube, der Bankdirektor hat ganz Recht und ich wundere mich, daß man sich in maßgebenden Kreisen so wenig mit solchen Fragen zu beschäftigen scheint, welche da am Horizont der Zukunft heraussteigen. Denn gerade in diesem Augenblick müßte man zugreifen, um die Unabhängigkeit von Rom, um welche die deutschen Bischöfe und die deutschen Kaiser so lange gestritten haben, endlich durchzusetzen. Alle deutschen Bischöfe, der so geistvolle und energische Kettler an der Spitze machten die größten Anstrengungen gegen die Proclamirung der Unfehlbarkeit. Der katholische Fürst von Hohenlohe hat die katholischen Mächte schon vor längerer Zeit aufgefordert, gegen das von Rom aus verbreitete Dogma Stellung zu nehmen. In diesem Augenblick müßte man eingreifen. Würde die staatliche Autorität jetzt den Bischöfen die Hand reichen, es ließe sich da vielleicht etwas Großes erreichen, und vielleicht ließe sich jetzt mit einem Male die durch das ganze Mittelalter erstrebte Unabhängigkeit der deutschen Kirche von Rom herstellen. Man sollte,« fuhr er in etwas docirendem Tone, aber mit dem Ausdruck tiefer Überzeugung fort, »man sollte in dieser Angelegenheit energisch handeln. Die Herstellung eines vollständig geeinigten Deutschlands liegt ja doch im Zug der Zeit, und wie das alte deutsche Reich und die Autorität der Kaiser keinen gefährlicheren Feind gehabt hat als die römische Hierarchie, so wird auch das neue deutsche Reich, wenn ein solches, wie Gott geben mag, jemals ersteht, sogleich wieder den alten Gegner sich gegenüberstellen sehen. Wenn man die Bischöfe jetzt im Stich läßt, wenn ihnen die Staatsautorität nicht zu Hülfe kommt, so werden sie sich unterwerfen und es wird später sehr schwer sein, sie wieder von Rom zu trennen.«

»Mein lieber Professor,« sagte der Geheimrath im Ton wohlwollender Belehrung, »Alles, was Sie da sagen, ist in der Theorie sehr schön. Wir haben uns aber bei Regelung des Staatslebens an die Praxis zu halten und viele Rücksichten zu nehmen, welche man außerhalb der eingeweihten Kreise nicht immer vollständig zu würdigen versteht.«

»Rücksichten? Rücksichten?« rief der Bankdirector. »Mit Rücksichten ist noch niemals etwas Großes geschaffen worden. Ich bin ganz der Meinung des Professors, in diesem Augenblick sollte man eingreifen, in diesem Augenblick ist Uneinigkeit unter der Hierarchie, der Nationalinstinct ist lebendig in dem deutschen Episkopat. Warten wir ab, bis sie wieder Alle einig geworden sind, so wird es vielleicht zu spät sein.«

Freundlich lächelnd trat der Commerzienrath Cohnheim in den Kreis.

»Die Herren sprechen ja so ernsthaft,« sagte er, »als wären sie im Reichstage. Ich bitte Sie, lassen Sie die Politik und die ernsten Fragen. Wollen Sie eine Cigarre rauchen?« fügte er hinzu, »dort im letzten Zimmer habe ich ein kleines Rauchcabinet etablirt. Sie finden ganz vortreffliche Regalia's von der letzten Ernte, ich habe sie vor Kurzem aus Hamburg bekommen. Es ist entsetzlich,« fügte er hinzu, »welche theuere Passion jetzt das Rauchen wird, man wird kaum noch eine gute Cigarre erschwingen können.«

»Wenn Sie das schon sagen, mein lieber Herr Commerzienrath,« sprach der Geheimrath mit einem sauer-süßen Lächeln, »was sollen wir dann sagen, die wir mit den Herren von der Finanz gar nicht mehr Schritt halten können.«

»Dafür aber,« erwiderte der Commerzienrath, »haben Sie die Hand an der Leitung der Ereignisse, die Ehre, den Einfluß!«

Der Geheimrath entfernte sich mit einer Miene, welche deutlich ausdrückte, daß Ehre und Einfluß ihm nicht vollwichtige Äquivalente für die mangelnden materiellen Mittel erschienen. Er begab sich in das Rauchcabinet, um eine von den gepriesenen Regalia's zu versuchen.

»Ich habe ein vortreffliches Project,« sagte der Commerzienrath zu dem Bankdirector, während der Professor zu einem großen Tisch trat und eins der darauf ausgebreiteten Albums öffnete, »ein Freund von mir, der Baron von Rantow, Mitglied des Herrenhauses, hat auf seinen Besitzungen in Schlesien ein Zinklager entdeckt, zu dessen Ausbeutung große Capitalkräfte nöthig sind, die dann allerdings aber auch eine große Rentabilität verspricht. Ich beschäftige mich diesen Augenblick damit, ein Consortium zu bilden, um die Sache in die Hand zu nehmen. – Ich glaube, daß es ein vortreffliches Geschäft für Ihre Bank wäre, sich dabei zu betheiligen.«

Er ergriff den Arm des Bankdirectors, führte ihn zu einem in der Ecke des Zimmers stehenden Divan und vertiefte sich mit ihm in ein längeres und eingehenderes Gespräch.

Der Ball nahm seinen Fortgang, die Herren an den Whisttischen spielten feierlich und würdevoll einen Robber nach dem andern. Die junge Welt tanzte unermüdlich, die Locken der Damen begannen sich zu lösen, die Blumen begannen allmälig zu welken und die älteren Damen an den Wänden des Saals verstummten mehr und mehr und blickten nur noch trübe und theilnahmlos, oft mit Schlafanwandlungen kämpfend in das Treiben vor ihnen.

Der Referendarius von Rantow hatte wenig getanzt, sich der Reihe nach mit vielen älteren Damen unterhalten und sich dann neben die Commerzienräthin gesetzt, mit welcher er angelegentlich und eifrig sprach, und welche mit der liebenswürdigsten Aufmerksamkeit ihm zuhörte.

Der Lieutenant von Büchenfeld war still und ruhig an der Thür des Tanzsaals stehen geblieben, sinnend, mit einem wehmüthigen, fast traurigen Ausdruck blickte er über die bunte Gesellschaft hin, und nur zuweilen leuchtete sein Auge höher auf, wenn er dem Blick der Tochter des Hauses begegnete, welche in den Pausen des Tanzes stets von einem Kreise junger Herren umgeben war und oft wie fragend zu ihm hinüber sah.

Endlich trat die allgemein ersehnte Pause des Soupers ein, alle Welt nahm an kleinen Tischen Platz. Der Commerzienrath wurde nicht müde, hin- und herzugehen und bald diesen, bald jenen seiner Gäste auf irgend eine Schüssel des vortrefflich bestellten Büffets aufmerksam zu machen, oder einen Lakaien herbeizurufen, um den von ihm Bevorzugten ein Glas besonders empfohlenen Weins zu serviren.

Fräulein Cohnheim war auch hier wieder von einem großen Kreise junger Damen und Herren umringt. Abermals warf sie einen flüchtigen fragenden Blick auf den jungen Officier, aber dieser näherte sich ihr nicht, sondern blieb in der Nähe des Büffets und nahm nur mit wenigen kurzen Bemerkungen an der Unterhaltung einiger Kameraden Theil, welche keine Plätze mehr in dem Kreise der Damen gefunden.

Das Souper war beendet. Die Musik intonirte die Aufforderung zum Cotillon; die junge Welt erhob sich, die Paare fanden sich zusammen und begaben sich in den Tanzsalon.

Fräulein Cohnheim war aufgestanden, hatte sich langsam der Thüre des Speisezimmers genähert und blickte erwartungsvoll umher. Rasch trat der Lieutenant von Büchenfeld auf sie zu, reichte ihr mit stummer Verbeugung die Hand und führte sie zu zwei Stühlen, welche ein wenig abseits unter einer Decoration von grünen Gewächsen standen.

Die jungen Leute setzten sich nieder, der Cotillon begann.

»Sie sind so ernst, fast verstimmt heute Abend, Herr von Büchenfeld,« sagte die junge Dame mit dem Ausdruck herzlicher Theilnahme. »Was fehlt Ihnen? Ist Ihnen etwas Unangenehmes widerfahren? Sie haben sich beim Souper von unserm Kreise zurückgezogen, oder haben Sie –« fügte sie, die Augen niederschlagend, mit leicht zitternder Stimme hinzu, »mir irgend Etwas übel genommen?«

»Wie könnte ich das,« erwiderte Herr von Büchenfeld, indem sein Blick tief und innig auf dem Antlitz des jungen Mädchens ruhte, welches die leichte Verwirrung, in der sie sich befand, nur noch schöner erscheinen ließ. »Aber Sie haben Recht,« fuhr er seufzend fort, »ich bin verstimmt – und mehr als verstimmt – ich bin traurig, ernsthaft traurig – und fast wünschte ich, garnicht nach Berlin gekommen zu sein.«

»Und warum das?« fragte Fräulein Cohnheim, ihre großen Augen treuherzig zu ihm aufschlagend. »Haben Sie hier keine Freunde, welche gern bereit sind, an Ihrem Kummer Theil zu nehmen und Sie zu trösten? Ich wüßte übrigens nichts,« fuhr sie in scherzendem Ton fort, »was Sie traurig machen könnte.«

»Wenn Sie es nicht wissen,« sagte Herr von Büchenfeld, indem er ihr fest und grade in die Augen sah, »so muß mich das eigentlich noch trauriger machen. Ich bin hierher gekommen,« fuhr er fort, »mit leichtem fröhlichen Herzen, voll Muth und Vertrauen auf die Zukunft, und wenn ich von hier wieder fortgehe, so werde ich um viele Träume, um viele Hoffnungen ärmer sein, die vielleicht besser niemals in mein Herz eingezogen wären.«

Das junge Mädchen neigte erröthend den Kopf und schwieg einige Augenblicke. Dann richtete sie sich mit einer raschen Bewegung wieder hoch empor, blickte den jungen Mann voll und klar an und sprach mit einer festen, aber zugleich weichen und dabei zärtlichen Stimme.

»Warum sollten Träume, warum sollten Hoffnungen unglücklich machen? Wenn ein lieber Traum zur Wirklichkeit wird, wenn eine schöne Hoffnung sich erfüllt, das ist ja das beste Glück, das uns auf Erden zu Theil werden kann.«

Ein flammender Blitz zuckte aus den Augen des jungen Mannes.

»Diese Worte aus Ihrem Munde, Fräulein Anna,« sagte er mit lebhafter Bewegung, »sollten mich überglücklich machen und dennoch – dennoch –« fuhr er mit tief traurigem Tone fort, »kann ich an die Erfüllung meiner Hoffnungen, an die schöne Wirklichkeit meiner Träume nicht glauben.«

Sie sah ihn fragend und fast vorwurfsvoll an.

»Fräulein Anna,« sprach er, wie einem schnellen Entschluß folgend, »es muß klar werden durch die trüben Nebel, welche mein Herz bedrücken, denn die schmerzlichste Klarheit ist immer noch besser als die dumpfe Dämmerung widersprechender Gefühle. Wollen Sie mir erlauben, Ihnen frei und ohne Rückhalt zu sagen, was mein Herz bedrückt?«

Abermals schlug sie erröthend die Augen nieder Ein leichtes Zittern flog durch ihre ganze Gestalt, dann machte sie eine Bewegung, als wolle sie dem jungen Officier die Hand reichen. Sie hielt sie jedoch zurück, ein rascher Blick glitt über den Saal über die Tanzenden hin, und sie sagte mit herzlichem Ton:

»Können Sie an meiner Theilnahme zweifeln?«

»Nun, Fräulein Anna,« sprach er, sich ein wenig zu ihr hinüberneigend, »Sie müssen es bemerkt haben, daß, seit ich Sie kenne, meine ganze Seele Ihnen entgegengeflogen ist, daß mein Fühlen, mein Denken, mein ganzes Leben sich nur um Sie als leuchtenden Mittelpunkt dreht. Sie müssen bemerkt haben, daß ich Sie liebe, und daß diese Liebe immer mächtiger mich durchdringt und erfüllt, je länger ich mich in Ihrer Nähe bewegt habe.«

»Ich habe es bemerkt,« flüsterte sie fast unhörbar, indem ein feucht schimmernder Blick ihrer großen Augen deutlich die unausgesprochene Frage ausdrückte, »und ist das denn ein so großes Unglück?«

Herr von Büchenfeld hörte die leise geflüsterten Worte. Er sah diesen Blick und verstand die stumme Frage.

»Sie haben Recht,« sprach er, »eine solche Liebe wäre das höchste Glück, wenn sie die Hoffnung haben könnte, Erwiderung zu finden –«

Sie richtete wiederum ihre Augen mit wunderbarem Ausdruck auf ihn.

Wiederum verstand er die stumme Sprache dieser Augen. Es zitterte einen Augenblick wie ein Wonneschauer durch sein Gesicht, dann aber legte sich wieder der tiefe traurige Ernst auf seine Züge – er fuhr fort:

– »und wenn die Verhältnisse für diese Liebe eine glückliche Zukunft unmöglich machten, Fräulein Anna,« – sie sah ihn ganz erstaunt an, als begriff sie seine Worte nicht – »ich bin ein armer Officier, meine Zukunft beruht auf meiner Arbeit und Thätigkeit, auf einer langjährigen mühevollen und angestrengten Arbeit. Nach Jahren kann ich erst in der Lage sein, an die Gründung einer Häuslichkeit zu denken, dem Wesen, das ich liebe, eine sichere Existenz zu bieten. Kann ich,« fuhr er mit einem brennenden Blick fort, »von Ihnen, selbst wenn Sie einige Theilnahme für mich empfinden, selbst wenn Ihr Herz sich freundlich zu mir neigt, kann ich von Ihnen erwarten, daß Sie die Jahre der Jugend opfern, um den unsichern Erfolg meiner Thätigkeit, meines Ringens und Strebens zu erwarten. Und wenn dieser Erfolg ausbleibt – ich allein könnte eine zerstörte Carriere, ein verfehltes Leben ertragen, aber ich würde vernichtet zusammenbrechen, wenn ich auch die Hoffnungen eines andern Lebens zerstört sehen müßte, das so reich berechtigt ist zu Freude und Glück. Darum ist es besser,« fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, während sie ihn fortwährend mit ihren großen Augen fest ansah, »darum ist es besser, ich reiße mich jetzt kraftvoll von allen jenen Träumen los und verfolge meinen eigenen Weg. – Sie werden mich vergessen,« sprach er seufzend, »und mich wird die Erinnerung an Sie immer noch glücklich machen. Sie wird wie ein freundlicher Lichtschein, wie ein Stern, der unerreichbar hoch über uns schwebt, mein Leben verklären.«

Anna hatte ernst und unbeweglich zugehört; als er schwieg, leuchtete ihr Blick höher auf, ein Zug fester Energie und muthiger Entschlossenheit legte sich um ihre sonst so weichen kindlichen Lippen, indem sie sich ein wenig zu dem jungen Officier hinüberneigte, sprach sie mit leiser Stimme, aber jedes Wort scharf und klar betonend.

»Sie irren sich, Herr von Büchenfeld, ich werde Sie nicht vergessen – ich kann Sie nicht vergessen! Und von dem Augenblick an,« fuhr sie, ihn fast befehlend anblickend, fort, »von dem Augenblick an, wo ich Ihnen dies gesagt habe, dürfen Sie sich nicht von mir wenden, Sie dürfen mich nicht allein lassen. Und wenn Sie Ihren Weg einsam durch das Leben verfolgen, so wird das Licht des Sternes, von dem Sie eben gesprochen haben, Ihnen nicht mehr leuchten, denn dieser Stern selbst wird sein Licht und seinen Glanz verloren haben.«

»Fräulein Anna,« sagte er, mühsam seine Erregung unterdrückend, »solche Worte sollten mich auf die höchste Höhe der Glückseligkeit erheben. Aber mein Gott,« sagte er, die Hände in einander faltend, »es ist ja nicht möglich.«

»Nicht möglich,« sagte sie sanft, »warum nicht möglich? Haben wir nöthig, auf die Vollendung Ihrer Carriere zu warten? Ich schwöre Ihnen,« fuhr sie fort, »aller Reichthum und Glanz, mit welchem mein Leben umgeben ist, ist mir immer gleichgültig gewesen. – Aber in diesem Augenblick danke ich Gott, daß mein Vater reich ist, denn dadurch sind wir über die traurige Nothwendigkeit erhoben, das Glück unserer Liebe abhängig von den Zufälligkeiten dieses Lebens zu machen.«

Herr von Büchenfeld richtete sich hoch empor. Er sah das junge Mädchen mit einem Blick voll hohen, fast kalten Stolzes an.

»Und würden Sie,« sprach er in heftiger Bewegung mit mühsam gedämpfter Stimme, »würden Sie, Fräulein Anna, einen Mann lieben können, würden Sie einem Mann Ihr Leben anvertrauen können, der seine Existenz, seine Stellung in der Welt auf das Vermögen seiner Frau begründet? – Ich,« fuhr er, die Lippen zusammenpressend fort, – »ich würde eine solche Stellung nicht annehmen, nicht um den Preis des höchsten Glückes.«

»Soll die Liebe,« fragte sie leise, »welche die Herzen und die Seelen vereinigt, jenen elenden Besitz der äußeren Güter des Lebens theilen? Wenn liebende Herzen das Höchste und Göttlichste im Menschenleben gemeinsam umfassen, sollen sie fragen, ob die untergeordneten Elemente des materiellen Lebens dem Einen oder dem Andern gehören? Muß ich Sie bitten,« fügte sie mit einem wunderbar weichen, fast demüthig zu ihm empor gerichteten Blick hinzu, »muß ich Sie bitten, mir zu verzeihen, daß mein Vater reich ist?«

»Mein Gott, Fräulein Anna,« rief er, »welche Qual macht mir das sonnige Glück, das Sie mir zeigen, und nach welchem ich doch,« fügte er dumpf hinzu, – – »nach welchem ich doch die Hand nicht ausstrecken darf. – Glauben Sie,« fuhr er nach einem augenblicklichen Stillschweigen fort, »daß, wenn mein Stolz sich Ihnen gegenüber beugen könnte, glauben Sie, daß Ihr Vater jemals einen armen aussichtslosen Officier, den er,« sagte er bitter, »wohl als Staffage für seine Gesellschaftssalons benutzt – als Bewerber um seine Tochter annehmen würde?«

»Und glauben Sie,« erwiderte sie schnell, indem ihr sonst so weicher Blick hell aufleuchtete, »daß ich nicht die Kraft und den Muth haben würde, auch für meinen Willen und mein Glück zu kämpfen?«

Der Cotillon hatte seinen Fortgang genommen. Ein kleiner Tisch mit reizenden frischen Bouquets stand in der Mitte des Saales. Die Herren vertheilten dieselben an die Damen. Der Ball befand sich auf dem Höhepunkt seines Interesses für die junge Welt, während die älteren Herren nur noch mühsam und gezwungen ihre Gespräche fortsetzten, und die Mütter an den Wänden des Tanzsaals nur noch in lethargischer Unbeweglichkeit gleichgültig und starr auf die Touren des Cotillons hinblickten.

Der Referendarius von Rantow, welcher an dem Tanz nicht Theil genommen, trat zu dem Blumenkorb, nahm ein kleines zierliches Bouquet von Veilchen und Rosenknospen und brachte es der schönen Tochter des Hauses.

Als Fräulein Cohnheim nach der Tour zu ihrem Platz zurückkehrte, sprach der Lieutenant von Büchenfeld, welcher mit finstern Blicken die tanzenden Paare verfolgt hatte:

»Sehen Sie, Fräulein Anna, von allen Seiten werden sich die Bewerber um Sie drängen, und zwar Bewerber, welche in den Augen Ihres Vaters so unendlich weit über mir stehen müssen. Und auch Sie,« fuhr er leise fort, »werden endlich unter allen diesen glänzenden jungen Leuten, welche Sie umschwärmen, mich vergessen müssen, da ich ja mit jenen Allen den Vergleich nicht aushalten kann.«

Sie blickte ihn einen Augenblick groß und sinnend an, dann schüttelte sie langsam den Kopf und mit einer raschen Bewegung reichte sie ihm das kleine Bouquet, welches Herr von Rantow ihr soeben gebracht hatte.

»Wie schlecht kennen Sie mich,« sagte sie, »wie ich Ihnen diese Blumen gebe, so möchte ich Alles, was mir das Leben an Blüthen bietet, nur dazu benutzen, um Ihnen Freude zu machen.«

Er nahm die kleinen Blumen und drückte sie wie begeistert an seine Lippen. Ehe er antworten konnte, traten andere Herren heran, und in den folgenden Touren des Cotillon wurde Fräulein Cohnheim als die gefeierte Tochter des Hauses so sehr in Anspruch genommen, daß ein ruhiges Gespräch nicht mehr möglich war.

Der Tanz war zu Ende. Langsam führte Herr von Büchenfeld Fräulein Cohnheim zu ihrer Mutter zurück. Als sie am Ende des Saales angekommen waren, hielt das junge Mädchen ihn durch einen festen und energischen Druck ihrer Hand zurück.

Er blieb einen Augenblick stehen. Sie neigte sich zu ihm hinüber, und indem sie auf ihrem Gesicht den harmlos lächelnden Ausdruck leichter Conversation festhielt, sprach sie, indem ihre Augen sich tief in die seinigen tauchten.

»Ich will nicht, daß unser Gespräch zu Ende sei, Herr von Büchenfeld. Ich bitte Sie die Blumen zu bewahren, die ich Ihnen gegeben; ich bitte Sie dieselben täglich zu betrachten und sich dabei zu erinnern, daß Sie nicht nur Pflichten gegen Ihren Stolz haben, sondern auch heilige Pflichten gegen Ihre Liebe, nachdem Sie einmal das Wort Liebe ausgesprochen haben, – nach Dem, was ich Ihnen gesagt, wäre es nicht ritterlich, mich zu verlassen, und etwas Unritterliches zu thun ist Ihnen unmöglich. Ich habe Ihnen das höchste Vertrauen bewiesen, das man einem Manne zeigen kann. Jetzt ist es an Ihnen, Vertrauen zu mir und der Zukunft zu haben.«

Rasch schritt sie weiter und verneigte sich, an der Seite ihrer Mutter angelangt, stumm gegen ihren Tänzer, der sich, ohne eines Wortes mächtig zu sein, zurückzog, seinen Helm und Degen nahm und schweigend, in tiefe Gedanken versunken, die Gesellschaftsräume verließ.

Allmälig empfahlen sich die Gäste. Der junge Herr von Rantow unterhielt sich noch längere Zeit mit der Commerzienräthin und ihrer Tochter. Und als er endlich Abschied nahm, führte der Commerzienrath ihn vertraulich bis zur äußeren Thür und flüsterte ihm zu:

»Sagen Sie Ihrem Herrn Vater, daß ich für unsere Unternehmung thätig gewesen bin, und daß ich bestimmte Hoffnung habe, in Kurzem die Angelegenheit in Ordnung zu bringen. Wir werden gute Geschäfte machen,« fügte er schmunzelnd hinzu, »und Ihr künftiges Erbe, mein lieber Baron, wird sich um das Dreißig- und Vierzigfache vermehren.«

Als die Räume sich geleert hatten, trat der Commerzienrath zu seiner Frau und zu seiner Tochter.

»Ein sehr gelungenes Fest,« sagte er, sich vergnügt die Hände reibend, »sehr gute Gesellschaft, Alles war sehr animirt. Und ich habe,« fügte er vergnügt lächelnd hinzu, »ein gutes Geschäft gemacht. – Der Baron von Rantow wird ein sehr reicher Mann werden – ein feiner Mann, eine sehr gute Familie, es freut mich sehr, daß wir mit ihnen in diesem Hause zusammen wohnen – ich hoffe, wir werden immer näher mit einander bekannt werden,« fügte er mit einem Seitenblick auf seine Tochter hinzu.

»Ich begreife nicht, Anna,« sagte die Commerzienräthin, indem sie die schweren Falten ihrer seidenen Robe mit der Hand glättete, »ich begreife nicht, daß Du dem jungen Rantow den Cotillon hast abschlagen können, um ihn mit diesem Officier zu tanzen, der nicht einmal von der Garde ist, mit diesem Herrn – ich habe seinen Namen vergessen,« sagte sie im zerstreuten Ton.

»Herr von Büchenfeld,« sagte ihre Tochter fest und bestimmt. »Ich hatte ihm den Cotillon auf dem letzten Ball versprochen,« fügte sie in demselben Ton hinzu.

»Du hättest eine kleine Ausrede machen können,« sagte ihre Mutter. »Du hast wirklich nicht nöthig, mit so unbedeutenden kleinen Officieren zu tanzen. Ich wünsche, daß Du künftig mehr Rücksicht auf unsere Stellung und unsere Beziehungen nimmst.«

Anna's Augen flammten auf, ihre Lippen öffneten sich, als wolle sie Etwas erwidern, doch unterdrückte sie ihre Antwort, sie wünschte ihren Eltern kurz gute Nacht und zog sich zurück.

Der Commerzienrath setzte sich neben seine Frau, zündete eine jener Regaliacigarren an, die er seinen Gästen vorhin so dringend empfohlen hatte, und Beide unterhielten sich noch längere Zeit über die verschiedenen Beobachtungen in der Gesellschaft, während die Lakaien in den übrigen Zimmern die Gasflammen auslöschten.


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