Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Zweites Capitel.

Es war ungefähr um die neunte Abendstunde desselben Tages, als der Geheimsecretair Pietri durch den besonderen Eingang aus seinem Bureau in das Cabinet des Kaisers trat.

Napoleon saß ernst und gedankenvoll in seinem Lehnstuhl, er trug den Campagneüberrock der Generalsuniform und rauchte eine jener kleinen Cigarretten von türkischem Taback, welche er sich selbst bereitete, träumerisch den kleinen Rauchwolken nachblickend, welche durch das von einer großen, auf dem Schreibtisch stehenden Lampe nur matt erleuchtete Zimmer dahinzogen.

Er richtete sich beim Eintritt Pietris leicht empor und sagte, indem er seinen Vertrauten mit freundlichem Lächeln grüßte.

»Haben Sie nach der Rue de Bondy gesendet?«

»Zu Befehl, Majestät,« erwiderte Herr Pietri, »die Dame ist hier und wartet in meinem Zimmer.«

Der Kaiser stand auf.

»Es wäre doch wohl besser gewesen, unerkannt dort hinzugehen. Ich erleichtere ihr Metier zu sehr, wenn sie weiß, mit wem sie es zu thun hat.«

»Aber, Sire,« sagte Pietri, »in diesen Tagen in jene Gegenden sich zu begeben, das wäre nicht mehr Verachtung der Gefahr, das wäre Tollkühnheit, und wenn Euer Majestät dort erkannt worden wären, wenn irgend ein Unglück sich ereignet hätte, so würde man mit Recht ein solches Unternehmen als verbrecherisch verurtheilen.«

»Sie haben vielleicht Recht,« sagte der Kaiser –

– »auch kann man ja hier die Allwissenheit der Priesterin des Pietismus prüfen, lassen Sie die Dame kommen – Mademoiselle –?« versetzte er fragend.

»Mademoiselle Lesueur,« erwiderte Pietri.

Der Kaiser nickte mit dem Kopfe.

Pietri ging hinaus und führte nach wenigen Augenblicken durch die Portiere eine junge Dame von achtzehn bis neunzehn Jahren in das Cabinet, während er selbst einen ganz einfachen Tisch von leichtem unpolirten Holz in der Hand trug und in die Mitte des Zimmers niedersetzte.

Der Kaiser grüßte die junge Dame mit verbindlicher Artigkeit und betrachtete sie mit forschendem Blick.

Mademoiselle Lesueur war eine äußerst elegante und sympathische Erscheinung, sie trug ein dunkles, einfaches Seidenkleid um den Hals mit einer kleinen Spitzenkrause geschlossen. Ihr dunkelbraunes Haar war in leichten Flechten um den Kopf gewunden, ihr zartes Gesicht dessen durchsichtige Blässe von einer feinen Röthe auf den Wangen belebt wurde, war von klassischer Schönheit, ihre dunklen Augen mit den auffallend langen Wimpern waren voll Geist, Lebendigkeit und Sanftmuth zugleich, und um ihren zierlichen und frischen Mund lag ein Zug von fast kindlicher Harmlosigkeit und Naivität.

Sie verneigte sich ohne alle Befangenheit mit den Manieren der besten Gesellschaft vor dem Kaiser, welcher ganz erstaunt schien, die berühmte Sybille in der Gestalt eines so anmuthigen, jungen Mädchens zu erblicken.

»Man hat mir viel erzählt,« sagte der Kaiser, »von der besonderen, eigentümlichen Kraft, welche Sie besitzen, das Reich der Geister zu öffnen. Und da ich mich für alle solche Dinge interessire, durch welche man versucht, den Schleier der Geheimnisse zu lüften, welche unser Leben umgeben, so habe ich gewünscht, eine Probe Ihrer Kunst zu sehen.«

»Es macht mich glücklich,« erwiderte Fräulein Lesueur mit einer ungemein wohltönenden, etwas tiefen Stimme, »Euer Majestät Wunsch zu erfüllen. Es ist keine geheimnißvolle Kunst dabei,« fuhr sie fort, »meine Mutter hatte die Kraft, durch das Medium dieses kleinen Tisches eine Verbindung mit dem unsichtbaren Reich der Geister herzustellen. Diese ihre Kraft ist auf mich übergegangen, und nach ihrem Tode habe ich es versucht, wie sie die Geister sprechen zu lassen, – es ist mir in vielen Fällen gelungen, und ich hoffe, daß es mir auch Euer Majestät gegenüber gelingen wird.«

»So beginnen wir,« sagte der Kaiser.

Pietri stellte zwei Stühle einander gegenüber an den kleinen Tisch.

Mademoiselle Lesueur setzte sich auf den einen, zog ihre Handschuhe aus, – legte die Spitzen ihrer zierlichen Finger leicht auf die Tischplatte und sagte:

»Wollen Euer Majestät die Gnade haben, mir gegenüber Platz zu nehmen.«

Der Kaiser setzte sich mit einem fast unwillkürlichen Lächeln an die andere Seite des Tisches.

»Ich bitte Euer Majestät,« sagte Fräulein Lesueur, »Ihre Hände ebenso wie ich auf die Platte legen zu wollen.«

Der Kaiser that es.

Fräulein Lesueur schwieg einen Augenblick. Dann schlug sie ihre dunklen Augen mit schwärmerischem Ausdruck empor und sprach mit halb lauter Stimme:

»Allmächtiger, dreieiniger Gott, der Du herrschest auf der Erde, wie in den Höhen des Himmels und in den Tiefen der Hölle, ich bitte Dich den Geistern, die ich in Deinem Namen rufe, zu erlauben, daß sie aus ihren Wohnungen herabsteigen und auf meine Fragen antworten, zu verkündigen, was sie wissen und was Du ihnen erlaubst, zu sagen.«

Der Kaiser hörte ganz erstaunt diesen im Ton des inbrünstigen Gebets gesprochenen Worten zu.

»Befehlen Euer Majestät,« sagte die junge Dame sodann, »daß ich einen bestimmten Geist rufen soll, oder wollen Sie den mir persönlich befreundeten Geist hören.«

Abermals konnte der Kaiser ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken.

»Ich bitte Sie zunächst Ihren Geist kommen zu lassen, Mademoiselle,« sagte er.

»Es ist der Geist meiner Mutter,« erwiderte Mademoiselle Lesueur, »und er wird sogleich erscheinen.«

Sie beugte sich ein wenig nieder und flüsterte eine unverständliche Formel leise vor sich hin.

Wenige Augenblicke darauf begann der Tisch leise zu zittern.

Der Kaiser drückte die Hände stärker auf die Platte, allein die unruhige, beinahe wellenförmige Bewegung des Holzes vermehrte sich immer mehr und mehr. Nach kurzer Zeit hob sich der Tisch auf der Seite des Kaisers ein wenig in die Höhe und blieb in dieser schwebenden Stellung stehen.

»Der Geist ist da,« sagte Mademoiselle Lesueur, »und bereit, Euer Majestät zu antworten. Ich bitte, Euer Majestät, zu fragen, – es ist aber nicht nöthig, daß Sie die Frage aussprechen, Sie können Sie in Gedanken stellen, die Geister haben die Kraft, die Gedanken zu lesen.«

Der Kaiser dachte einen Augenblick nach.

»Kann mir der Geist,« fragte er, »den Namen nennen, an welchen ich in diesem Augenblick denke?«

»Wie heißt der Name?« fragte Mademoiselle Lesueur mit gesenktem Haupt und leiser Stimme.

Der Tisch setzte sich sogleich in eine lebhafte Bewegung. Er schwankte einige Male stark hin und her, dann senkten sich die beiden erhobenen Füße desselben nieder, und in rascher Folge begann er scharf und vernehmbar auf das Parquet zu klopfen, immer nach einer gewissen Zahl von Schlägen inne haltend.

Mademoiselle Lesueur folgte aufmerksam diesen Schlägen, mit leiser Stimme sagte sie: B-e-a-u-r-y.

»Der Name, an den Euer Majestät gedacht, heißt Beaury,« sprach sie dann ruhig und bestimmt, den Blick fest auf den Kaiser richtend.

Napoleon zuckte zusammen, erschrocken blickte er in das lächelnde Gesicht der jungen Dame.

»Sie haben Recht,« sagte er, »der Geist hat den Namen richtig gelesen.«

Er bog sich einen Augenblick zurück und blickte unter den Tisch, dessen Füße unmittelbar an der Platte befestigt waren.

Die vier Füße standen vollkommen frei, auf dem Boden, Mademoiselle Lesueur etwas vorgebeugt, saß so weit zurück, daß nicht einmal der Saum ihres Kleides die Füße des Tisches berührte.

Der Kaiser schüttelte den Kopf und legte die Hände wieder auf den Tisch.

»Da Ihr Geist,« sagte er, »den Namen gelesen hat, an welchen ich gedacht, so wird er mir auch eine andere Frage beantworten können, welche sich an diesen Namen knüpft.«

»Ich bitte Euer Majestät,« sagte Mademoiselle Lesueur, »die Frage in Ihren Gedanken zu formuliren –«

Abermals begann der Tisch zu schwingen und zu zittern, diesmal stärker als vorher.

Nach kurzer Zeit schlugen die Füße abermals regelmäßig und schnell hinter einander auf das Parquet.

»Wollen Sie die Güte haben, zu schreiben,« sagte Mademoiselle Lesueur, sich zu Pietri wendend, welcher schnell ein Blatt Papier und einen Bleistift nahm und die Buchstaben notirte, welche Mademoiselle Lesueur in schneller Folge ihm sagte.

Der Tisch hielt an.

»Wollen Sie die Antwort lesen,« sagte die junge Dame, zu Herrn Pietri gewendet.

Pietri las.

»Der Kaiser wird ruhig im Kreise der Seinen sterben, keine Waffe weder in der Schlacht noch in der Hand des Meuchelmörders wird seinem Leben Gefahr bringen.«

»Diese Antwort paßt allerdings auf meine Frage,« sagte der Kaiser, »aber sagt sie die Wahrheit?«

»Es steht Eurer Majestät frei, zu glauben oder nicht,« erwiderte Mademoiselle Lesueur, »ich für meine Person bin davon überzeugt, daß die Geister die Wahrheit sagen, wenn sie sie kennen – sie sind nicht allwissend – das ist Gott allein – aber sie wissen viel, und namentlich ist ihnen die Macht gegeben, das Schicksal derer zu lesen, mit denen ihre körperliche Hülle einst durch die Bande des Blutes verbunden war.

»Noch eine Frage,« sagte der Kaiser, »wer ist mein bester Freund?«

»Euer Majestät hätten nicht nöthig gehabt, die Frage auszusprechen,« sagte Mademoiselle Lesueur.

Der Tisch begann seine Schwingungen, die Schläge ertönten auf dem Boden.

Mademoiselle Lesueur flüsterte die Buchstaben vor sich hin, dann sagte sie.

»Die Antwort des Geistes heißt: Napoleon.«

Der Kaiser ließ den Kopf auf die Brust sinken, in tiefem Schweigen saß er einen Augenblick da.

»Der Geist hat Rechte,« sagte er halblaut, »Niemand ist der Freund eines Souverains, als er selbst, und aus mir allein muß ich die Entschlüsse schöpfen, in mir allein die Kraft suchen, zu erfüllen, was ich mir vorgesteckt.«

»Doch,« rief er, indem er den brennend aus den Schleiern seiner Augenlider hervortretenden Blick auf Mademoiselle Lesueur richtete, »kann Ihr Geist mir sagen, wer mein größter und gefährlichster Feind ist?«

Abermals bewegte sich der Tisch und Mademoiselle Lesueur buchstabirte:

»Orleans.«

»Wunderbar,« rief der Kaiser, indem er finster vor sich niederblickte. »Es ist, als ob der Geist in den schwarzen Gedanken lesen könnte, welche Tag und Nacht auf dem Grunde meiner Seele einher ziehen,« flüsterte er leise vor sich hin. »Noch eins,« fragte er dann laut, »kann mir Ihr Geist den Namen nennen, welcher bestimmt ist, die Stelle auszufüllen, über welche ich in diesem Augenblick nachdenke.«

Das Spiel des Tisches begann wieder, und Mademoiselle Lesueur sagte, die einzelnen Buchstaben verfolgend:

»Gramont.«

Betroffen zuckte der Kaiser zusammen.

»Sind Sie schon einmal hier in den Tuilerien gewesen,« fragte er rasch. »Haben Sie irgend Jemand aus dem Schlosse gesprochen? Ich bitte Sie, mir die Wahrheit zu sagen, – die zu erfahren ich in jedem Fall im Stande bin,« fügte er in strengem Tone hinzu.

»Ich war niemals hier im Schlosse,« sagte Mademoiselle Lesueur mit offenem, freiem Blick und unbefangenem Lächeln, »ich habe Niemanden von hier jemals gesehen, bis dieser Herr hier,« sie deutete auf Pietri, »heute zu mir kam und mich ersuchte, ihm hierher zu folgen.«

»Seltsam – sehr seltsam« sagte der Kaiser, augenscheinlich tief bewegt durch die Antworten, welche er erhalten.

»Sie haben mir vorhin gesagt, sprach er dann – ein wenig zögernd, indem er die junge Dame scharf anblickte, daß die Geister besonders klar über das Schicksal derjenigen zu antworten im Stande sind, mit denen sie durch besonders nahe Bande verbunden sind?« –

»So ist es, Sire,« erwiderte Mademoiselle Lesueur. – »Der Geist meiner Mutter sieht in allen Dingen, die mich betreffen, klarer als in den Angelegenheiten über welche andere Personen Fragen stellen.«

»Können Sie einen Geist citiren,« fragte der Kaiser, »den ich Ihnen bezeichnen würde.«

»Eure Majestät haben nicht nöthig, den Geist zu nennen,« sagte Fräulein Lesueur, – »Sie dürfen nur Ihre Gedanken fest auf denselben richten, – das genügt.«

»Wie kann ich aber wissen, ob wirklich der Geist spricht, den ich zu hören wünsche,« fragte der Kaiser.

»Eure Majestät werden nur nöthig haben, ihn nach seinem Namen zu fragen,« erwiderte die junge Dame.

»So beginnen Sie,« sagte der Kaiser, indem ein tiefer Ernst sich auf seine Züge legte.

»Erlauben Eure Majestät,« sprach die junge Dame, »daß ich zunächst den Geist, der Ihnen bisher geantwortet hat, entlasse.«

Sie beugte den Kopf nieder und flüsterte eine Zeitlang leise vor sich hin.

Der Tisch zitterte, hob und senkte sich in leiser Schwankung, – dann stellte er sich fest auf seine vier Füße.

»Nun Sire,« sagte Fräulein Lesueur, »dann bitte ich Eure Majestät, Ihre Gedanken sehr scharf auf die Person zu richten, deren Geist Sie zu citiren wünschen.«

Der Kaiser nickte mit dem Kopf, immer tieferer Ernst erfüllte sein Gesicht indem er die beiden Hände fest auf den Tisch legte.

Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel.

Einige Augenblicke herrschte eine so tiefe Stille im Zimmer, daß man den Herzschlag der drei anwesenden Personen hätte hören können.

Da krachte es in dem Holz der Tischplatte, – diese Platte schien zu zucken, hoch richtete sich der Tisch auf der Seite des Kaisers empor und mit mächtigem hallenden Schlag sank er wieder auf das Parquet nieder.

Der Kaiser fuhr zusammen. Fast schien es als wolle er aufspringen und seinen Platz verlassen.

»Der Geist ist da und bereit Eurer Majestät zu antworten,« sagte Mademoiselle Lesueur in ruhigem Tone.

»Will der Geist mir seinen Namen sagen?« fragte der Kaiser.

Der Tisch begann rasch sich zu bewegen, – er schlug auf das Parquet – Mademoiselle Lesueur zählte, – und sagte dann sich gegen den Kaiser verneigend:

»Der Geist antwortet:

»Napoleon.«

Die Bewegung, welche der Kaiser machte indem er den Kopf auf die Brust sinken ließ, war fast eine ehrfurchtsvolle Verneigung.

Er schwieg einige Augenblicke, während Fräulein Lesueur ihn mit ihren klaren Augen erwartungsvoll anblickte.

»Will der Geist, wenn er hier anwesend ist, mir eine Frage beantworten?« sagte er dann mit einer beinahe demüthigen Stimme.

Der Tisch begann sich schnell zu bewegen.

»Schreiben Sie, mein Herr,« sagte Mademoiselle Lesueur zu Herrn Pietri gewendet, und dieser nahm schnell Bleistift und Papier, um die Buchstaben zu notiren, welche Mademoiselle Lesueur in rascher Reihenfolge ihm nannte.

»Die Antwort?« rief der Kaiser, als der Tisch mit einem starken Schlage seine Bewegung beendete.

Herr Pietri las:

»Mir ist nicht vergönnt, auf einzelne kleine Fragen zu antworten; – wer auf dem Throne von Frankreich sitzt und Napoleon heißt, der sollte nicht mit vorsichtiger Neugier einzelne Blicke hinter den Schleier zu werfen suchen, welcher die Zukunft verhüllt, – er sollte mit kühner Hand diesen Schleier selbst heben, indem er die Zukunft sich nach seinem Willen zu gestalten zwingt. Denn dem festen und klaren Willen gehört die Zukunft; aber frage, – ich werde antworten, soweit es mir erlaubt ist, – wenn Deine Fragen das Schicksal des Hauses betreffen, das meinen Namen trägt, und wenn Du keine einzelnen und besonderen Dinge zu wissen verlangst.«

Pietri schwieg.

Der Kaiser starrte einen Augenblick vor sich hin, – brennend richtete sich sein Blick in das Leere, – er schien nach einer sichtbaren Spur des Geistes zu forschen, dessen Worte ihm dieses ruhige und freundlich lächelnde junge Mädchen verdollmetschte.

Dann beugte er sich vor, blickte Mademoiselle Lesueur durchdringend an und öffnete die Lippen.

»Ich bitte Eure Majestät, sich erinnern zu wollen,« sagte die junge Dame, »daß es nicht erforderlich ist, die Frage laut zu stellen, – der Geist kann Ihre Gedanken lesen.«

»Gut denn,« sagte der Kaiser, – »ich frage.«

Und schweigend blickte er voll Spannung auf den Tisch, welcher sich unter seinen Händen zu bewegen begann.

Fräulein Lesueur nannte diesmal schneller als sonst die Buchstaben – Pietri schrieb.

»Napoleon IV. wird Kaiser der Franzosen sein, – er wird neuen Ruhm und neuen Glanz an den Namen knüpfen, den er trägt.«

Der Kaiser athmete tief auf. Es leuchtete wie ein dankbares Gebet aus seinen Augen, die er mit unbeschreiblich glücklichem Ausdruck emporschlug.

Dann rief er mit dumpfem Ton, wie aus den Tiefen seiner Brust heraus:

»O könnte ich wissen, ob dies die Wahrheit ist.«

Der Tisch zuckte – er hob sich hoch empor und schlug zweimal schallend auf den Boden.

»Es ist die Wahrheit Sire,« sagte Mademoiselle Lesueur ernst und überzeugungsvoll.

»Werde ich die Armeen Frankreichs noch einmal zum Kriege führen müssen?« fragte der Kaiser schnell.

Der Tisch schlug abermals laut und fest auf.

»Der Geist bejaht die Frage Eurer Majestät,« sagte die junge Dame.

»Und welches wird das Schicksal dieses Krieges sein?« fragte der Kaiser in athemloser Spannung.

Einige Augenblicke vergingen, – dann bewegte sich der Tisch wieder, – Pietri schrieb die Buchstaben nieder welche Mademoiselle Lesueur ihm angab.

»Wie heißt die Antwort?« rief der Kaiser, welcher vergebens versucht hatte, den schnell gesprochenen Buchstaben zu folgen.

Pietri las:

»Ave Caesar, morituri te salutant!«

Napoleon erbleichte und drückte die Hände an die Stirn.

»Was ist der Sinn der dunkeln Antwort?« flüsterte er vor sich hin – und schnell sich aufrichtend fragte er mit lauter dringender Stimme:

»Wird der Todesgruß der Sterbenden dem siegreichen Cäsar ertönen?«

Mehrere Minuten vergingen, – der Tisch blieb unbeweglich.

»Der Geist antwortet nicht mehr,« sagte Mademoiselle Lesueur, – »es würde vergeblich sein, ihn weiter zu fragen. – Erlauben Eure Majestät, daß ich ihm danke und ihn entlasse?«

Der Kaiser neigte tief sinnend das Haupt.

Mademoiselle Lesueur sprach ihre leise Formel, – der Kaiser faltete die Hände in andächtigem Schweigen.

»Wünschen Eure Majestät noch eine weitere Citation?« fragte die junge Dame.

»Ich danke Ihnen, mein Fräulein,« erwiderte Napoleon aufstehend, indem sein Gesicht wieder seinen gewöhnlichen ruhigen Ausdruck annahm. – »Ihr Experiment hat mich in hohem Grade interessirt, – ich hatte viel von dem Spiritismus gehört, – aber noch nie einen Versuch gesehen, bei welchem so durchaus kein Apparat angewendet wurde,« – fügte er mit einem leichten Lächeln hinzu, das aber mehr verbindlich und artig als ironisch war.

Mademoiselle Lesueur hatte sich erhoben und verneigte sich tief bei den Worten des Kaisers.

»Ich bin glücklich, Sire« sagte sie, »daß Eure Majestät zufrieden sind, und hoffe, – oder vielmehr,« – fügte sie mit sicherem Ausdruck hinzu, »ich bin gewiß, daß Alles Gute, was die Geister Eurer Majestät verkündet haben, sich erfüllen werde.«

»Alles Gute?« sprach der Kaiser sinnend – »aber war es gut? – was war es? –

Morituri te salutant!« flüsterte er leise.

Dann wendete er sich zu Pietri und blickte ihn fragend an.

Dieser reichte ihm ein kleines Etui.

Der Kaiser nahm es und sagte mit liebenswürdiger Freundlichkeit zu Mademoiselle Lesueur:

»Erlauben Sie mir, mein Fräulein, Ihnen ein kleines Erinnerungszeichen an diese Stunde zu geben,« – er öffnete das Etui ein wenig, – die Facetten eines schönen Solitärs funkelten farbenspielend im Licht der Lampe.

Mit der naiven Freude eines jungen Mädchens ergriff Fräulein Lesueur den Ring und indem sie das Regenbogenspiel der Lichtreflexe entzückt betrachtete, sagte sie:

»Ich werde Gott unablässig bitten, daß er alle seine guten Geister zum Schutz Eurer Majestät und Frankreichs aussende.«

Sie verneigte sich tief vor dem Kaiser und zog sich von Pietri geleitet, der den kleinen Tisch forttrug, durch die Portiere zurück, durch welche sie in das Cabinet eingeführt worden war.

Napoleon ging in tiefem Sinnen auf und nieder.

»Giebt es einen Zusammenhang mit jener Welt der abgeschiedenen Geister,« sprach er leise vor sich hin, – »und kann es ihnen erlaubt sein, auf irgend welche Weise uns Mittheilungen zu machen über das, was ihrem Blicke sich öffnet?

»Dieses junge Mädchen scheint aufrichtig von ihrer Sache überzeugt,« sprach er gedankenvoll, – »ich wüßte nicht, wie sie den Tisch in Bewegung setzen könnte, – und wenn dieses Kind von kaum neunzehn Jahren aus sich selbst heraus die Antworten auf die Fragen construirt hat, die ich ihr stellte, so ist sie ein Phänomen an Menschenkenntniß und Geist! –

»Welch eine treffende Antwort, die mich selbst als meinen besten Freund bezeichnete, – und wie wahr – alles, was mir feindlich ist, in diesen einen Namen Orleans zusammenzufassen.«

Er ging langsam, die Hände auf dem Rücken gekreuzt auf und nieder.

»Und Drouyn de L'huys,« sagte er kaum hörbar, – »er war der Freund dieser Orleans, – er ist es noch – kann jemand mein Freund sein – der zugleich der Freund meiner Feinde ist? – Gramont« fuhr er fort, – »der Geist nannte Gramont als den künftigen Minister der auswärtigen Angelegenheiten, – Gramont war Legitimist, – die Legitimität hat keine Möglichkeit einer Zukunft, – sie ist eine fromme Erinnerung, – eine Erinnerung, vor der ich selbst hohe Achtung habe, an die ich anknüpfen, – deren edle Traditionen ich fortsetzen möchte. –

»Seltsam,« rief er, – »sehr seltsam ist das Alles, – oder sollte auch hier eine Intrigue« –

Pietri trat wieder ein.

Der Kaiser näherte sich ihm; dicht vor ihm stehen bleibend, legte er den Arm auf seine Schulter und blickte ihn scharf und durchdringend in die Augen.

»Pietri« sagte er, – »haben Sie mit diesem jungen Mädchen über die Politik – über irgend Etwas gesprochen, was auf die gegenwärtige Lage bezug hat?«

»Sire,« erwiderte Pietri in ernstem und traurigem Ton, – »Eure Majestät sind zum Mißtrauen gegen Jedermann berechtigt, fast verpflichtet, – dennoch schmerzt mich dasselbe, – ich schwöre Eurer Majestät,« fuhr er fort, den Blick des Kaisers frei und offen erwidernd, »daß ich mit Fräulein Lesueur nichts Anderes gesprochen habe, als was nothwendig war, um den Auftrag Eurer Majestät auszurichten und sie hieher zu führen.«

»Und was denken Sie davon?« fragte der Kaiser.

Pietri lächelte ein wenig.

»Ich denke, daß dieses junge Mädchen sehr viel Geist hat,« erwiderte er, – »und daß sie manchen Diplomaten in der scharfen Erkenntniß der Verhältnisse beschämen würde.«

Der Kaiser schüttelte langsam den Kopf.

»Wie dunkel, wie mystisch die Antworten über meine Zukunft waren,« sagte er. –

»Glauben denn Eure Majestät ernsthaft an solche Dinge?« fragte Pietri.

»Denken Sie sich,« erwiderte der Kaiser ernst, – »eine Welt von Blindgebornen, – würde nicht ein Sehender, der unter sie träte, der den Sinn besäße, der ihnen allen fehlte, Wunder unter ihnen verrichten, – würde er ihnen nicht als ein übernatürlicher Prophet erscheinen, – oder als ein Narr verlacht werden, – und das bloß weil er einen Sinn mehr hätte als sie und durch diesen Sinn eine Welt wahrnehmen könnte, welche da ist, welche die andern Alle umgiebt wie ihn, – welche aber ihrer Wahrnehmung sich entzieht, weil ihnen das Medium dazu fehlt. – Können denn nicht auch uns solche Welten umgeben, für welche unser Organismus keinen Sinn besitzt, – und ist es unmöglich, daß Einzelnen dieser Sinn gegeben ist, der sie das erblicken läßt, was uns verschlossen bleibt und was wir deshalb in selbstgenügsamer Beschränktheit für nicht vorhanden erklären?« –

»Und wenn dem so wäre,« sagte Pietri, – »Eure Majestät können mit der Perspective, welche Fräulein Lesueur geöffnet, zufrieden sein – Napoleon IV wird Kaiser der Franzosen sein – hat sie ihren Geist antworten lassen, – und« sprach er mit herzlichem und aufrichtigem Tone, – »ich habe dazu nur den Wunsch hinzuzufügen, daß das recht spät und nach einer noch recht langen und glücklichen Regierung Eurer Majestät eintreten möge.«

»Nun,« rief der Kaiser mit freudigem Ausdruck, – »wenn nur diese Verkündigung sich erfüllt, so will ich darauf verzichten, das Dunkel zu lichten, welches in den Antworten der Geister meine Zukunft verhüllt, – ein Fürst darf keine Person sein, – er ist ein Glied in einer großen Kette, welche die Epochen der fortschreitenden Weltgeschichte aneinander knüpft – ob, wann und wie ich untergehe, – was liegt daran, wenn nur meine Dynastie erhalten bleibt, um die Vergangenheit und die Zukunft Frankreichs mit einander zu verbinden.«

Er schwieg und blickte wie träumend vor sich hin.

»Gehen Sie zum Prinzen,« sagte er dann, – »er soll seine Uniform anlegen und sich bereit halten, mich zu begleiten. Ich will die Kaiserin abholen, um jene braven Truppen zu besuchen, welche in den Galerien Wache halten und die Zukunft Frankreichs beschützen.«

Pietri eilte hinaus.

Der Kaiser ergriff das rothe goldgestickte Käppi der Generalsuniform, steckte den neben seinem Tische stehenden Degen an und ging, selbst die Thür öffnend, in das Vorzimmer.

Er nahm den Arm des Generals Castelnau, welcher hier, ebenfalls in der Campagne-Uniform wartete, und schritt mit ihm nach den Appartements der Kaiserin.

Am Eingang der Gemächer Ihrer Majestät öffnete der Huissier schnell die Flügelthüren und eilte den Kaiser ankündigend durch die Vorzimmer in den kleinen Salon, in welchem die Kaiserin mit der Baronin de Pierres, der Vicomtesse Aguado und der Gräfin de la Poëze saß.

»Der Kaiser!« rief der Huissier.

Die Damen standen auf, die Kaiserin ging ihrem Gemahl bis zur Eingangsthür des Salons entgegen, Napoleon küßte ihre Hand und grüßte die Damen verbindlich.

»Sie sind in militairischer Tenue,« fragte Eugenie, erstaunt den Kaiser und den Grafen Castelnau anblickend, – »zu so später Stunde, – ist denn etwas Außergewöhnliches geschehen?« fügte sie unruhig hinzu, – »sind die Unruhen in Paris bedenklicher geworden?« »Seien Sie unbesorgt,« erwiderte der Kaiser lächelnd, – »es ist nichts Besonderes geschehen, – aber die Truppen sind consignirt – und da muß auch der Kaiser der Consigne folgen und im Dienst sein, – außerdem wollte ich mit Ihnen und Louis die Voltigeurs der Garde besuchen, denen ich die Bewachung der Tuilerien und den Schutz des kaiserlichen Prinzen anvertraut habe.«

Die Kaiserin schlug freudig bewegt die Hände zusammen.

»Das ist ein vortrefflicher Gedanke,« rief sie lebhaft, »je fester und lebendiger wir die Verbindung mit unseren Truppen erhalten, um so sicherer werden wir über alle unsere Feinde triumphiren. Ich bin sogleich bereit,« sagte sie, indem sie sich schnell zu dem Tisch wendete und eine kleine, goldene Glocke bewegte, welche auf demselben stand.

Eine Kammerfrau trat ein.

Die Kaiserin warf einen raschen Blick auf einen großen Spiegel, welcher ihr fast ihre ganze Gestalt zeigte. Sie trug eine einfache Robe von blauer Seide.

»Bringen Sie mir eine weiße Mantille und ein rothes Band.«

Nach wenigen Augenblicken, während welcher der Kaiser sich mit den Damen seiner Gemahlin unterhielt, erschien die Kammerfrau wieder. Sie trug eine Mantille von weißem Atlas und ein breites schärpenartiges Band von rother Seide.

Die Kaiserin ließ die Mantille über ihre Schultern legen, näherte sich dann der Gräfin von Poëze und sagte:

»Wollen Sie die Güte haben, meine liebe Gräfin, mir aus diesem Bande eine große Schleife hier zu befestigen.«

Sie deutete mit dem Finger auf den Halsausschnitt ihrer Robe.

Die Gräfin von Poëze machte mit geschickter Hand eine breite Schleife mit langen herabhängenden Enden und befestigte sie dann auf der Robe der Kaiserin.

»Jetzt trage ich die Farben Frankreichs,« rief Eugenie mit einem Blick auf den Spiegel, »lassen Sie uns gehen,« fuhr sie zum Kaiser gewendet fort.

»Sie werden,« sagte Napoleon, indem er seiner Gemahlin den Arm reichte, »diese Farben ebenso unwiderstehlich machen, wie es die Tapferkeit unserer Soldaten auf allen Schlachtfeldern gethan hat.«

Er ging langsam mit der Kaiserin durch das Vorzimmer und wandte sich nach dem Pavillon des kaiserlichen Prinzen; der Graf von Castelnau und die Damen folgten.

Im Vorzimmer seiner Wohnung erwartete der Prinz bereits mit dem General Frossard seine Eltern. Der Prinz trug die Uniform eines Souslieutenants, der General Frossard war ebenfalls in Uniform. Der kaiserliche Prinz trat auf die rechte Seite seines Vaters, der General Frossard schritt voraus und führte den Kaiser und die Kaiserin nach der unmittelbar an den Pavillon stoßenden Gallerie.

Als die Thüre derselben geöffnet wurde, bot sich ein wunderbar belebtes Schauspiel dar, – die weithin ausgedehnten Gallerien strahlten in hellster Beleuchtung, alle Kerzen auf den Lustres und Wandleuchtern brannten, der Marmor und die Vergoldungen glänzten, an den Wänden her standen kleine, mit weißen Leintüchern bedeckte Tische, auf welchen kalte Speisen und rothe und weiße Weine in geschliffenen Crystallcaraffen aufgestellt waren.

An diesen Tischen saßen die Voltigeurs der Garde in vollständiger Feldausrüstung, ihre Waffen neben sich, die Käppis auf den Köpfen, essend, trinkend und fröhlich plaudernd.

In gewissen Zwischenräumen befanden sich kleinere elegant servirte Tische, an welchen die Officiere soupirten.

Als die große Eingangsthür sich öffnete, und im Rahmen derselben der Kaiser, die Kaiserin und der kaiserliche Prinz erschienen, erhoben sich die langen Reihen der Soldaten. Die Officiere eilten rasch heran und im lauten, einstimmigen Rufen begrüßte diese Elite-Truppe den Kaiser.

Napoleon erhob dankend die Hand, die Kaiserin neigte grüßend das Haupt nach allen Seiten, indem ihr strahlender Blick freudig und stolz über diese muthigen und begeisterten Soldaten hinglitt. Der kaiserliche Prinz hielt sein Käppi in der Hand und verneigte sich ehrerbietig gegen den Commandeur des Regiments, welcher herantrat, um dem Kaiser zu melden, das alle Wachen nach seinen Befehlen bezogen worden seien.

»Lassen Sie die Leute häufig ablösen,« sagte der Kaiser, »damit ihnen der Dienst nicht zu schwer wird und damit sie Gelegenheit finden, sich hier im Kreise ihrer Kameraden wieder zu erfrischen.«

Er trat an den nächsten Tisch, ergriff eines der dort stehenden Gläser, füllte es aus einer Crystallcaraffe mit rothem Wein und rief mit lauter Stimme:

»Ich trinke auf das Wohl meiner Voltigeurs, auf das Wohl der Garde, auf das Wohl der ganzen Armee, welche die Blüthe des französischen Volkes ist!« In raschen Zügen leerte er das Glas bis auf den letzten Tropfen.

»Es lebe der Kaiser. Es lebe der kaiserliche Prinz!« brauste ihm der Ruf der Soldaten entgegen.

»Ich danke Euch, meine Tapferen,« sagte der Kaiser, als nach einigen Minuten die Rufe der nahe herandrängenden Soldaten verstummt waren, »ich kenne Eure Ergebenheit für mich, ich weiß, daß Ihr gegen jeden Feind Frankreich und das Kaiserreich vertheidigen werdet. Frankreich und das Kaiserreich,« fügte er hinzu, der Kaiserin die Hand reichend, »deren edle und ruhmvolle Farben meine Gemahlin, die Mutter des kaiserlichen Prinzen, Eures Kameraden trägt.«

»Es lebe die Kaiserin!« riefen die Officiere, und die Soldaten stimmten in den Ruf ein.

Dann gab Napoleon seiner Gemahlin wieder den Arm, die Officiere schlossen sich dem Gefolge an und umringten den kaiserlichen Prinzen, der ganz stolz und freudig in ihrer Mitte dahinschritt. Und so bewegte sich der Zug langsam durch die weiten Gallerien hin, – oft blieb der Kaiser stehen und redete diesen oder jenen mit der Tapferkeitsmedaille und dem Orden der Ehrenlegion decorirten Soldaten an, ihn fragend, wo er diese Ehrenzeichen erworben habe, und mit liebenswürdigster Geduld den zuweilen etwas breiten und ausführlichen Erzählungen der Soldaten zuhörend. Fast eine Stunde dauerte der Umgang durch die Gallerien, immer fester wurde der Schritt des Kaisers, immer stolzer sein Blick, immer willenskräftiger der Ausdruck seiner Gesichtszüge. Dicht umdrängt von den Soldaten, grüßte er endlich am Eingang der Gallerie noch einmal.

Ein gewaltiges Vive l'Empereur durchzitterte die weiten Räume, die Officiere verabschiedeten sich vom Kaiser, die Thüren schlossen sich, Napoleon entließ den kaiserlichen Prinzen, welcher sich mit dem General Frossard in seine Wohnung zurückzog, und führte dann die Kaiserin nach ihren Appartements zurück.

»Wenn Marie Antoinette es verstanden hätte,« sagte die Kaiserin leise zu ihrem Gemahl, »die Begeisterung der Soldaten zu erhalten und zu benutzen, so hätte sie niemals den dornenvollen Weg vom Thron zum Schaffot zu gehen nöthig gehabt.«

»Man muß aus den Beispielen der Geschichte lernen,« erwiderte der Kaiser, »und die Fehler vermeiden, welche unsere Vorgänger begangen haben.«

Am Eingang der Appartements der Kaiserin küßte er seiner Gemahlin die Hand, grüßte mit artiger Verbeugung die Damen und begab sich mit dem General Castelnau nach seinem Cabinet zurück.

Als er dort angekommen war, rief er Pietri.

Der Geheimsecretair trat schnell durch die Portiere, welche der Kaiser erhoben hatte, in das Cabinet ein.

Napoleon ging einige Augenblicke nachdenkend auf und nieder.

»Schreiben Sie sogleich an Gramont,« sagte er dann, »sagen Sie ihm in kurzen Worten, daß ich entschlossen sei, ihm das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten zu übertragen, und daß ich ihn bitte, sogleich hierher zu kommen. Ich wünsche, daß er vor seiner Abreise sich noch ausführlich und definitiv mit dem Grafen Beust unterhalte und dessen Anschauungen über die verschiedenen Fragen und Eventualitäten der europäischen Politik möglichst bestimmt constatire.«

Pietri verneigte sich.

»Eure Majestät sind also entschlossen?« fragte er.

»Ich bin entschlossen,« erwiderte der Kaiser, – »legen Sie mir morgen früh den Brief zur Unterschrift vor, – jetzt will ich ruhen. Wenn irgend Etwas Außergewöhnliches in Paris vorfällt, soll man mich rufen. Gute Nacht,« sagte er freundlich, indem er Pietri die Hand reichte.

Dann bewegte er die Glocke.

Sein Kammerdiener trat ein, folgte dem Kaiser, welcher sich in sein Schlafzimmer begab.


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