Oskar Meding
Der Todesgruß der Legionen
Oskar Meding

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Drittes Capitel.

Ihre Majestät die Kaiserin Eugenie trat raschen elastischen Schrittes in das Cabinet.

Das röthlich blonde Haar der Kaiserin war in reichen Flechten über ihrer edlen hochgewölbten Stirn wie ein natürliches Diadem zusammengewunden. Das antik klassisch geschnittene Gesicht der Kaiserin, mit dem wunderbar zarten, perlmutterschimmernden Teint zitterte in zorniger Bewegung, ihre großen dunkelblauen Augen flammten in glühendem Feuer.

Sie trug einen einfachen dunkelgrauen Morgenanzug ohne allen Schmuck und reichte mit einer anmuthigen aber etwas hastigen und unruhigen Bewegung ihrem Gemahl die Hand hin, welche dieser mit ritterlicher Galanterie an seine Lippen führte.

»Ich habe so eben,« sagte der Kaiser, »recht schmerzlich die Macht der Zeit und des Alters empfunden, aber wenn ich Sie, meine ewig junge und schöne Gemahlin ansehe, möchte ich fast an dieser Macht zweifeln. Warum können Sie,« fügte er mit einem leicht wehmüthigen Lächeln hinzu, »Ihr Geheimniß, der Zeit zu trotzen, mir nicht mittheilen? Niemand hat unvergängliche Jugend nöthiger als ein Regent auf dem Thron dieses unruhigen Frankreichs.«

»Ich hoffe,« rief die Kaiserin mit leicht zitternder Stimme, indem sie sich in einen Lehnstuhl warf, »daß Sie jene Jugend und Energie wiederfinden werden, um aller dieser Feinde Herr zu werden, welche sich gegen uns erheben. Es ist dahin gekommen,« fuhr sie immer lebhafter fort, »daß man in diesem so leicht beweglichen Paris nicht mehr von dem Kaiser spricht, sondern daß Herr Rochefort, dieser elende Pamphletist, den Mittelpunkt des Interesses bildet. Haben Sie bereits ausführlichere Nachrichten über die Unruhen empfangen, welche gestern Abend in der Stadt stattgefunden?

»Die Verhaftung dieses Rochefort ist auf recht ungeschickte Weise vorgenommen, sie hat diesen Nichts bedeutenden Menschen noch populärer gemacht und dazu beigetragen, von Neuem die Tiefen aufzuwühlen und den Haß gegen die Regierung zu schüren.«

»Ich habe gehört,« erwiderte der Kaiser ruhig, »daß einige Unruhen stattgefunden haben, indessen scheint mir das nicht von Bedeutung gewesen zu sein; ausführliche Berichte habe ich noch nicht erhalten.«

»Schlimm genug,« rief die Kaiserin, »daß man Ihnen das noch nicht erzählt hat; es scheint, daß in Ihrer Umgebung eine gewisse Neigung vorherrscht, Ihnen Alles im rosigsten Licht darzustellen.

»Statt Rochefort,« fuhr sie fort, »in aller Stille abzuführen, statt ihn einfach verschwinden zu lassen, hat man ihn mitten aus einer aufgeregten Menge herausgenommen und ihm Gelegenheit gegeben, eine Märtyrer-Rolle zu spielen; in der ganzen Stadt herrscht, wie man mir erzählt, eine sehr bedenkliche Aufregung.«

Der Kaiser lächelte.

»Wenn Sie meiner Umgebung vorwerfen, Eugenie,« sagte er, »daß man mir die Lage und die Ereignisse des Tages zu günstig darstellt, so scheint bei Ihnen das Gegentheil stattzufinden. Ihnen gegenüber scheint man kleine unbedeutende Dinge zu großen Erschütterungen anschwellen zu lassen.

»Doch hören wir,« sagte er mit artiger Verbeugung gegen seine Gemahlin, »den genauen Bericht.«

Er trat zu der Portière, welche die Thür zu dem Zimmer seines Geheimsecretairs maskirte und nach kurzer Zeit trat auf seinen Ruf Herr Pietri, ein noch junger schlanker Mann mit blassem intelligentem Gesicht, mit einem kleinen Schnurrbart und Knebelbart und von der Stirn zurückgestrichenem Haar in das Cabinet.

Herr Pietri verneigte sich tief vor der Kaiserin, welche mit leichtem Kopfnicken seinen Gruß erwiderte und blieb schweigend stehen, die Anrede des Kaisers erwartend.

»Ist ein genauer Bericht über die Ereignisse des gestrigen Abends und der Verhaftung Rocheforts eingegangen?« fragte Napoleon.

»Zu Befehl, Sire,« erwiderte Herr Pietri »Die Ruhestörungen sind nicht ganz unbedeutend gewesen, doch scheint in diesem Augenblick Alles beendet.«

»Wie hat man Rochefort verhaftet?« fragte der Kaiser, indem er sich neben seine Gemahlin in einen Fauteuil setzte.

»Man hat gestern Abend um acht Uhr, Sire,« sprach Herr Pietri, »in der Rue des Flandres Rochefort in dem Augenblicke arretirt, als er in das dortige Versammlungslocal der radicalen Partei eintreten wollte; am Eingange des Saales standen zahlreiche Personen, welche auf die Aufforderung von Flourens Miene machten, sich den Polizeiagenten gewaltsam zu widersetzen. Rochefort forderte sie jedoch auf sich ruhig zu verhalten und stieg ohne Widerstand mit den Beamten in den Wagen, um nach dem Gefängniß von St. Pélagie geführt zu werden. Die im Innern des Saales tagende Versammlung wurde zugleich aufgelöst, wobei es zu heftigen Scenen kam, man insultirte den Polizeibeamten, welcher das Auflösungsdecret verlas und vertheilte sich dann in heftiger Bewegung und unter lautem Tumult nach verschiedenen Seiten. Es kam in der Rue Aboukir, im Faubourg du Temple, namentlich aber in Belleville zu Volksansammlungen und lebhaften Demonstrationen; um Mitternacht wurden einige Detachements der Garde de Paris und Truppen nach Belleville abgesandt; daselbst war eine Barrikade gebaut, welche mit den Waffen in der Hand genommen wurde; es sind auf beiden Seiten schwere Verwundungen vorgekommen, bereits um Mitternacht sind zweihundert Gefangene nach der Präfectur gebracht – auch an einigen andern Orten wurden Versuche zum Barrikadenbau gemacht, aber durch das Einschreiten der Truppen sofort vereitelt. Gegen Mitternacht zogen große Haufen von Arbeitern nach der Fabrik Lefaucheur in der Rue Lafayette, plünderten dieselbe und nahmen ungefähr dreihundert Revolver und fünfzig Gewehre mit sich fort. Die Boulevards waren bis gegen Morgen sehr belebt, verschiedene Laternen sind zerbrochen, verschiedene Kioske umgeworfen, doch ist jetzt Alles beendet.«

»Sie sehen,« sagte die Kaiserin, »daß die Sache ernst ist; wenn man erst den Anfang hat machen können, ungestraft die Gewehrfabriken zu plündern, wenn auf diese Weise die Aufrührer in den Besitz von vortrefflichen Waffen kommen, so läßt sich gar nicht berechnen, welche Dimensionen eine solche Bewegung annehmen kann.«

Der Kaiser schüttelte mit mißmuthigem Ausdruck den Kopf.

»Es scheint allerdings, mein lieber Pietri, daß man bei der Verhaftung Rocheforts recht ungeschickt verfahren ist. Warum hat man ihn nicht am Ausgang des Corps legislativ arretirt oder in der Nacht aus seiner Wohnung geholt? Der ungeeignetste Ort ihn zu fassen war jedenfalls eine große Volksversammlung, von welcher aus sich naturgemäß die unruhige Bewegung über ganz Paris verbreiten mußte. Schreiben Sie sogleich an Ollivier und verlangen Sie Auskunft darüber, warum man diesen nach meiner Ansicht ungeeignetsten Weg eingeschlagen hat?«

Pietri verneigte sich.

»Ich bedaure sehr,« sagte der Kaiser, sich zu seiner Gemahlin wendend, »daß ich mich überhaupt habe bestimmen lassen, meine Genehmigung zu dem Strafverfahren und zur Verhaftung Rocheforts zu geben; man hat dadurch diesen an sich so unbedeutenden Menschen groß und einflußreich gemacht. Schon das Verbot der ›Laterne‹ war ein Fehler; dieses an sich ziemlich geist- und witzlose Machwerk wäre von selbst untergegangen, wenn man sich nicht darum gekümmert hätte.«

»So hätten Sie lieber ruhig zusehen wollen,« rief die Kaiserin mit flammenden Augen, »daß elende Pamphletisten nicht nur die Autorität der Regierung angreifen, sondern sogar die Personen nicht schonen daß sie es wagen, sogar Sie selbst, mich Ihre Gemahlin und Ihren Sohn mit Schmutz zu bewerfen? Wenn so etwas in Paris ungestraft geschehen darf, wie soll man in dem übrigen Frankreich, wie soll man im Auslande noch an die Macht der kaiserlichen Regierung glauben?

»Und in der That,« fügte sie bitter hinzu, »man fängt bereits an, diesen Glauben zu verlieren.«

Der Kaiser neigte leicht das Haupt gegen Pietri:

»Haben Sie die Güte,« sagte er, »den Brief an Ollivier sogleich abgehen zu lassen.«

Pietri entfernte sich mit tiefer Verbeugung.

»Sie müssen einen ernsten Entschluß fassen, Louis,« sagte die Kaiserin. »Die Zustände können unmöglich so weiter bestehen. Es ist eine Zügellosigkeit, eine Frechheit bei den Agitatoren und den von ihnen geleiteten unteren Volksklassen entstanden, welche stets wachsen müssen und uns endlich verderben werden, wenn nicht schleunigst Einhalt gethan wird.«

»Aber Sie sehen ja,« sagte der Kaiser, »daß mit aller Energie vorgegangen worden ist; hat man auch etwas ungeschickt gehandelt, so ist doch die Autorität der Regierung mit leichter Mühe Sieger geblieben.«

»Sie ist es heute geblieben,« sagte die Kaiserin, »sie wird es morgen noch bleiben, aber der Zeitpunkt kann vielleicht bald kommen, in welchem man nicht mehr Herr über die Bewegung sein wird, denn wir befinden uns dieser Bewegung gegenüber in der Defensive und das ist eine schlimme Position; es muß mit einem großen, gewaltigen und kühnen Schlage mit dem Allen ein Ende gemacht werden. Sie müssen die Verhältnisse mit fester und entschlossener Hand da anfassen, wo der Schlüssel zu all dieser Unsicherheit und all diesen schwankenden Bewegungen liegt –«

– »Und dieser Schlüssel liegt?« fragte Napoleon, mit der Hand über seinen Knebelbart streichend.

»Er liegt in dem tiefen Gefühl,« rief die Kaiserin, »welches ganz Frankreich durchzieht, und welches Ihre besten und treusten Freunde erfüllt, daß die Macht und das Ansehen des Kaiserreichs, daß Ihr persönliches Prestige in Europa schwer erschüttert ist, ja täglich von Neuem verhöhnt wird durch diese täglich anmaßender auftretende preußische Macht.«

Ein Zug schmerzlicher Ermüdung erschien auf dem Gesicht des Kaisers; er zuckte fast unmerklich die Achsel und sagte:

»Aber glauben denn die Partisane des Krieges, welche« – fügte er mit einer ganz feinen Nüance leichter Ironie hinzu – »es so vortrefflich verstehen, Ihnen ihre Ideen einzuflößen, – glauben sie denn, daß ich de but en blanc an die Grenzen marschiren und Preußen den Krieg erklären könnte? Dazu gehören doch vor Allem sehr ernste militairische Vorkehrungen dazu gehört denn doch auch ein Kriegsgrund, welcher ebenfalls mit Geschicklichkeit vorbereitet werden muß.« –

»Zu den militairischen Vorbereitungen,« sagte die Kaiserin, »sollten Sie, wie ich glaube, seit der Schlacht bei Sadowa Zeit genug gehabt haben; es ist allerdings ein großes Unglück, daß der vortreffliche Niel gestorben ist, aber bereits vor mehr als einem Jahr erklärte er unsere Armee für vollkommen schlagfertig –«

»Seit jener Zeit ist eben mehr als ein Jahr verflossen,« fiel der Kaiser ruhig ein, »und in diesem Zeitraum hat sich,« sagte er seufzend, »die Leitung der Armee leider nicht mehr in Niels Händen befunden.« –

»Und was den Kriegsgrund betrifft,« sprach die Kaiserin lebhaft weiter, ohne die Bemerkungen ihres Gemahls zu beachten, »so liegt Ihnen derselbe ja völlig fertig zur Hand. Der Prager Frieden ist unter der Garantie Frankreichs geschlossen worden und Preußen verletzt täglich die Bestimmungen jenes Friedensvertrages. Man giebt den armen Dänen ihr Recht nicht, welche Frankreich vertraut haben und auf Frankreich hoffen und in Süddeutschland ist die Stimmung eine tief erbitterte; täglich werden dort Versuche gemacht, in die durch den Prager Frieden garantirte Selbstständigkeit der Staaten einzugreifen; auch dort erwartet man nur eine kräftige Action Frankreichs, um diese gewaltsamen Schöpfungen von 1866 wieder zu zertrümmern.«

»Sind Sie so genau über die Stimmung in Süddeutschland unterrichtet?« fragte der Kaiser. »Ich habe nicht ein so absolutes Vertrauen auf den Beistand, den wir dort finden können.«

»Die ganze katholische Kirche in Bayern,« sprach die Kaiserin weiter, »ist von tiefem Haß gegen Preußen erfüllt und wenn Frankreich für die genaue Erfüllung des Prager Friedens eintreten würde, so würden alle jene Besiegten von 1866, bei denen noch die Traditionen aus der Zeit Napoleons I. mächtig sind, Frankreich als seinen Retter begrüßen.«

Der Kaiser schüttelte bedenklich den Kopf und schwieg einige Augenblicke in Gedanken versunken, während die Kaiserin ihn forschend und ungeduldig ansah.

»Ich verkenne nicht,« sagte er dann, »daß eine geschickte Behandlung der Verhältnisse, welche der Prager Frieden geschaffen, uns einen guten Grund zum Kriege bieten kann, bei welchem es sich auch vermeiden läßt das deutsche Nationalgefühl auf die Seite unserer Gegner zu bringen. Doch das Alles verlangt ruhige und ernste Erwägung, da wir vor Allem vermeiden müssen, vor den Augen des übrigen Europa als die Störer des Weltfriedens dazustehen und zu diesen Vorbereitungen scheint mir jetzt nicht der geeignete Augenblick.«

»So wollen Sie warten,« rief die Kaiserin, »bis die Wogen der inneren Unruhen immer übermächtiger heranschwellen? – bis endlich die ganze Welt sagen wird, Sie machten den Krieg nur, um einen Ausweg zu suchen aus den Verlegenheiten, in welche wir immer tiefer versinken?« –

»Um den Krieg vorzubereiten,« sagte Napoleon, seinem inneren Gedankengange folgend – »muß ich mit Männern umgeben sein, welche den Krieg wollen. – Glauben Sie,« fragte er, die Augen groß aufschlagend und seine Gemahlin fest anblickend – »glauben Sie, daß Daru der geeignete Mann ist, um den Kriegsfall diplomatisch vorzubereiten? Halten Sie Ollivier für geeignet, den Krieg im Lande selbst populär zu machen – diese Männer der parlamentarischen Doctrin, deren Lebensbedingung der Friede quand même ist?« –

»Daru?« rief die Kaiserin. »Warum ist Daru Ihr auswärtiger Minister? Warum haben Sie diesen mit den Orleans so eng verbundenen Mann neben sich, der, obgleich er den Namen des großen Kaisers trägt, doch keinen von den Instincten in sich hat, welche einen Minister des napoleonischen Frankreichs erfüllen müssen.

»Und Ollivier,« sprach sie mit einem feinen Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck – »nun, Ollivier wird Ihnen vortreffliche Reden voll Eloquenz und Begeisterung für den Krieg halten, wenn Sie ihn nur richtig zu nehmen wissen – oder wenn Sie ihn mir überlassen wollen, und wenn dieser Mann des Friedens den Krieg predigt – so wird sich doch ganz Frankreich überzeugen, daß der Krieg eine Nothwendigkeit ist.«

»Und wenn Graf Daru abträte?« sagte der Kaiser – »wen habe ich, um an seine Stelle zu setzen, wo finde ich den Mann, der die Kühnheit hat, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen und zugleich das Ansehen, um Frankreich mit sich fortzureißen?«

»Ich glaube,« sagte die Kaiserin, »daß ein solcher Mann nicht zu schwer zu finden sein würde; ich würde um die Wahl nicht in Verlegenheit sein und Sie haben ja selbst schon früher an Denjenigen gedacht, welcher mir im Sinne liegt –«

Der Kaiser blickte fragend zu seiner Gemahlin hinüber.

»Grammont,« sagte diese, »ist tief durchdrungen von der Überzeugung, daß nur ein großer nationaler Krieg den Fehler von 1866 wieder gut machen und Frankreich wiederum auf seine alte Höhe heben kann. Grammont kennt auf das Genaueste die Verhältnisse in Österreich, der einzigen Macht, auf welche wir direct oder indirect bei unserer Action rechnen können; Grammont ist aufrichtig und ohne Rückhalt dem Kaiserreich und unserer Dynastie ergeben und sein Name hat einen guten Klang im Lande, da er mit allen großen ruhmreichen Epochen der Vorzeit verknüpft ist. Grammont ist ein ritterlicher und fester Charakter – warum lassen Sie Grammont in Wien? Setzen Sie Grammont an Daru's Stelle und Alles wird sich von selbst machen.«

»Sie könnten Recht haben,« sagte Napoleon, indem er seinen Blick vollständig unter den herabsinkenden Augenlidern verschleierte – »lassen Sie mich darüber nachdenken –«

»Nur darf dieses Nachdenken,« rief die Kaiserin aufstehend, »nicht zu lange dauern. Ich bitte Sie Louis,« rief sie, nahe an ihn herantretend, indem sie den Arm auf seine Schulter legte und ihn mit fast zärtlichen Blicken ansah – »ich bitte Sie, denken Sie, daran, daß es sich nicht nur um unser Ansehen und unsere Macht handelt, sondern daß auch die Zukunft unseres Sohnes, unseres einzigen Kindes in Frage steht. – Die Armee, diese edle französische Armee ist unsere einzige Stütze wie sie einst die seinige sein wird – und die Armee beginnt unzufrieden zu werden über die lange Unthätigkeit, über die untergeordnete Stellung, zu welcher das militairische Frankreich in Europa herabgedrückt wird. Unser Kind ist der Armee noch fremd, aber er ist groß genug, um in einem nationalen Feldzuge in der Mitte der Truppen hinauszuziehen.

»Denken Sie, daß die französische Armee in großen, siegreichen Schlachten unser theures Kind in ihren Reihen sieht, daß sein Name sich verknüpft mit ihrem Ruhm und ihren Lorbeeren, dann,« – rief sie, indem ihr Auge begeistert aufleuchtete, »dann wird keine Bewegung im Innern, kein Rochefort, kein Flourens im Stande sein, ihm das Erbe streitig zu machen, das Sie für ihn durch die Arbeit eines halben Lebens geschaffen haben.«

Der Kaiser drückte seine Lippen auf die marmorweiße Stirn seiner Gemahlin und strich langsam mit der Hand über ihr weiches, goldschimmerndes Haar. –

»Ich danke Ihnen, Eugenie,« sagte er sanft und innig, »daß Sie in meine alternde Seele das Feuer und die Kraft der Jugend gießen. Lassen Sie mich alle Fragen der Situation ruhig prüfen und überlegen und glauben Sie, daß der Funke, den Sie in diesem Augenblick in mir entzündet, nicht erlöschen wird.«

Sie lehnte den schönen Kopf an seine Schulter und blieb einige Augenblicke schweigend neben ihm stehen.

»Ich will jetzt,« sagte Napoleon dann, »ein wenig ausfahren und die Boulevards besuchen; man soll nicht sagen, daß ich im Alter gelernt habe, mich vor dem Aufruhr und der Gefahr zu fürchten – ich will festen Blickes diesem Volk von Paris in's Auge sehen; man soll erkennen, daß ich noch Vertrauen auf meine Kraft und auf meinen Stern habe.«

»Ich weiß es, Louis,« sagte die Kaiserin, ihm die Hand drückend, »daß die Furcht in Ihrer Seele keinen Platz hat und ich bitte Gott, daß es mir vergönnt sein möge, Sie noch einmal von siegreichen Schlachtfeldern lorbeergekrönt zurückkehren zu sehen.«

Der Kaiser geleitete sie bis zur Thüre und küßte sie nochmals innig auf die Stirn.

»Meine Gemahlin möchte ein wenig die Leitung in die Hand nehmen, wie es scheint,« sagte er, als die Kaiserin das Cabinet verlassen hatte, langsam auf- und niederschreitend. »Sie hat bereits diesen Ollivier, der eifrigst Alles thut, was sie will. Sie hat Recht, er würde auch den Krieg predigen, wie er schließlich Alles vertheidigen würde, was ihm Gelegenheit giebt eine schöne Rede zu halten und seinem Ehrgeiz und seiner Eitelkeit schmeicheln zu lassen. Nun will sie auch noch Grammont. – Grammont ist kein Ollivier, er ist ein edler und ritterlicher Charakter, aber sein Geist haftet an der Oberfläche der Dinge. Es ist ihm unmöglich, sich in die Ursachen und Consequenzen der Ereignisse zu vertiefen. Grammont und Ollivier würden den Krieg machen, das ist wahr. – Sie würden auch in einem augenblicklichen Elan den Nationalgeist mit sich fortreißen. Aber wohin würde dieser Krieg führen? Würden jene Männer im Stande sein, im Falle des Unglücks den Widerstand zu organisiren, die Nation um mich fest zu halten? –

»Nein, nein,« sagte er mit fest entschlossener Stimme, »noch sehe ich die augenblickliche Nothwendigkeit einer kriegerischen Action nicht ein. – Sie wird freilich täglich näher an mich herantreten,« sprach er seufzend, »und entziehen werde ich mich ihr nicht können. Dann aber soll wenigstens die Leitung der Angelegenheiten in festen und entschlossenen Händen liegen. –

»Ich will mit Drouyn de L'huys sprechen. – Er hat auch gewisse Beziehungen zwischen den Orleans,« sprach er leise in tiefen Gedanken, »aber immerhin ist er ein ehrlicher, fester, entschiedener Mann, der es versteht das durchzuführen, was er beginnt – Eugenie liebt ihn nicht, ich weiß es. Aber auf persönliche Neigung oder Abneigung meiner Gemahlin kann es in einer so ernsten Frage, bei welcher die ganze Existenz des Landes auf dem Spiel steht, nicht ankommend.«

Er bewegte die Glocke.

»Ich will ausfahren,« sprach er zu dem eintretenden Kammerdiener. – »Große Attelage, offene Kalesche! Ist der General Favé da?«

»Der General wartet im Vorzimmer.«

»Führen Sie ihn herein!«

Der Kammerdiener öffnete die Thür.

Der General Favé im schwarzen Morgenanzuge trat ein.

Der Kaiser ließ sich seinen Hut und einen warm gefütterten Morgenanzug reichen, nahm ein spanisches Rohr und stieg, sich leicht auf den Arm des Generals stützend, die Treppe hinab. Die offene Kalesche mit dem schwarzen Viergespann fuhr unter das Zeltdach des Einganges.

Langsam und etwas schwerfällig mit leichtem schmerzlichem Zucken in seinem Gesicht stieg der Kaiser in den Wagen und setzte sich vorsichtig nieder.

General Favé nahm zu seiner Seite Platz. – Die Piqueurs sprengten voran und schnell fuhr die kaiserliche Equipage aus dem Ehrenhof der Tuilerien.

Als der Kaiser an den Anfang der Boulevards bei der Madeleinekirche gekommen war, befahl er langsam zu fahren.

Schnaubend und ungeduldig gingen die edlen Thiere des kaiserlichen Gespanns im Schritt über die Mitte der großen Boulevards hin, während die Piqueurs etwa dreißig Schritt vorausritten. Die Vorübergehenden blieben stehen. Es umgab eine dichte Menschenmasse den kaiserlichen Wagen. Die Menge befand sich in der unmittelbaren Nähe des Kaisers. Die sergeants de ville, die den Dienst auf den Boulevards thaten, wollten die Herandrängenden zurückweisen.

»Laissez approcher!« sagte Napoleon mit lauter Stimme, indem er zugleich den Hut erhob und die Menge mit freundlichem Lächeln begrüßte.

Erst einzelne Stimmen, dann ein tausendstimmiger Ruf antwortete mit lautem: »Vive l'Empereur!« auf diesen Gruß.

Ein einfach gekleideter Mann aus dem Volke stieg auf den Tritt des kaiserlichen Wagens, schwenkte den Hut in der Luft und rief mit laut schallendem Ton:

»Es lebe der Kaiser, die Kaiserin, der kaiserliche Prinz. Nieder mit den Meuterern!«

Diese Rufe wiederholten sich weit hin über die Boulevards.

Langsam fuhr der Kaiser die ganze Linie hinunter, immer begleitet von einer stets anwachsenden und immer lauter rufenden Menge, immer mit der Hand und freundlichem Kopfnicken grüßend.

»Sehen Sie,« sagte er lächelnd, sich zum General Favé wendend, »alle diese Unruhen haben Nichts zu bedeuten. Jeder Mann konnte mich hier mit einem Dolch oder mit einer Kugel erreichen, und alle diese Leute grüßen mich und rufen mir ihre Anhänglichkeit und Treue entgegen. Man muß diesem Geist der Revolution nur ruhig in's Auge sehen, dann verliert er sofort seine großen und gefährlichen Dimensionen.«

Der Wagen war am Ende der Boulevards angekommen.

»Nach Belleville!« rief Napoleon.

Er grüßte noch einmal mit dem Hute, noch einmal brach die ganze versammelte Menschenmenge in ein lautes, volltönendes »Vive l'Empereur!« aus und in raschem Trabe fuhr der Wagen nach jenen von der arbeitenden Bevölkerung der Residenz bewohnten Gegenden.

»Fürchten Eure Majestät nicht,« sagte der General Favé, »daß in jenem unruhigsten Viertel von Paris irgend etwas Feindliches zu besorgen wäre? Wir haben keine Bedeckung, nicht einmal Waffen bei uns,« fügte er mit etwas ängstlicher Miene hinzu.

»Wer die Gefahr fürchtet, wird ihr unterliegen,« antwortete der Kaiser, stolz den Kopf erhebend. »Lassen Sie uns ruhig diese Spazierfahrt machen. Wir haben Nichts zu besorgen und Frankreich muß erkennen, daß ich mich noch als seinen Herrn fühle.«

Man war in Belleville angekommen.

Abgebrochene Laternenstangen, zerschlagene Fenster, stellenweis zerstörte Trottoirs zeugten noch von der Unruhe der letzten Nacht. Wenige Menschen gingen auf der Straße, an den Thüren der Häuser standen meist Frauen und Kinder, welche neugierig der kaiserlichen Equipage nachsahen; hinter denselben erblickte man finstere Gesichter mit verworrenem Haar und struppigen Bärten, welche ihre düstern Blicke mit dem Ausdruck finstern Hasses auf den kaiserlichen Wagen richteten. Alles verhielt sich schweigend, kein grüßender Ruf ertönte, aber auch kein Laut feindlicher Kundgebung ließ sich hören.

Man kam an eine in der Nacht vorher errichtete und von den Truppen genommene Barrikade. Einige Arbeiter in Blousen waren unter der Aufsicht von sergeants de ville beschäftigt, die Trümmer derselben hinweg zu räumen, welche aus dem Holz von umgeworfenen Kiosken, zerbrochenen Fiakern und Asphaltstücken des Trottoirs bestanden.

Der Kaiser ließ halten.

An den Fenstern des nächsten Hauses erschienen in großer Anzahl jene düsteren, feindlich blickenden Gesichter, welche man in dem eleganten glänzenden Theil von Paris nur dann erblickt, wenn die aufgährenden Wogen der Revolution aus den Tiefen heraufdringen. Der Kaiser befragte den Führer der sergeants de ville, welcher in dienstlicher Haltung an den Wagenschlag herangetreten war, genau nach allen Details der nächtlichen Vorgänge, dann ließ er den Blick über die Fenster hinschweifen.

Kleine Gruppen von Menschen waren auf der Straße stehen geblieben. Napoleon grüßte artig mit der Hand hinüber, aber kein Ruf antwortete ihm. Alle diese Männer und Frauen blickten finster und unbeweglich vor sich hin.

»Vorwärts!« befahl Napoleon.

Die Pferde zogen an, und langsam bewegte sich der Wagen über die noch nicht ganz fortgeräumten Trümmer der Barrikaden.

Da ertönte aus einem der umliegenden Häuser wie aus der Luft herklingend eine tiefe, rauhe und heiser tönende Stimme.

»Fahre hin, blutiger Cäsar! Das Volk, das Du gemordet, erwartet Dich vor dem Richterstuhl der Geschichte!«

Der Kaiser zuckte zusammen.

»Halt!« rief er.

Sein Wagen stand unbeweglich. Keine Bewegung zeigte sich an den Fenstern. Die verschiedenen Menschengruppen auf der Straße standen starr und still. Niemand schien die Worte gehört zu haben, welche eben so schauerlich durch die Luft klangen. Der Kaiser ließ den brennenden Blick seiner großen düster aufleuchtenden Augen rings umher schweifen.

Die sergeants de ville wollten auf die Menschengruppen nach der Seite hin, von welcher man jene Stimme vernommen hatte, zueilen.

»Man soll keine Nachforschungen anstellen,« sagte Napoleon kalt und ruhig.

Dann legte er sich in den Wagen zurück, blickte einige Minuten auf die Trümmer der Barrikaden, grüßte nochmals mit würdiger Handbewegung die an der Seite der Straße stehenden Gruppen und befahl endlich, weiter zu fahren.

Schweigend und in Gedanken versunken fuhr der Kaiser über die äußern Boulevards durch den Parc de Monceau nach der rue François premier. An der Ecke dieser Straße hielt der Kutscher, welcher von dem General Favé seine Instructionen erhalten hatte, vor einem großen Hause die Pferde an.

Das Thor des Hauses öffnete sich, Lakaien eilten heraus und traten dienstfertig an den Schlag des kaiserlichen Wagens.

»Ist Herr Drouyn de L'huys zu Hause?« fragte der Kaiser.

»Zu Befehl, Sire.«

Napoleon stieg aus und trat, auf den Arm des Generals gestützt, durch das große Eingangsthor in einen innern elegant gepflasterten Hof, an dessen Langseite eine breite Steintreppe von vier bis fünf Stufen in das Innere des Hotels führte.

In dem Vestibule des Hauses erschien schnell herbeieilend der frühere langjährige Minister der auswärtigen Angelegenheiten, jetziger Senator und Mitglied des Geheimen Raths, Herr Drouyn de L'huys. Seine Gestalt war etwas voller, seine Bewegungen etwas schwerfälliger geworden; sein kurzes Haar und sein Backenbart erschienen fast weiß, aber der Ausdruck und die Farbe seines kräftigen, etwas phlegmatischen Gesichts zeigten noch immer eine fast jugendliche Frische, und die kleinen, klaren, grauen Augen blickten lebhaft und geistvoll unter den starken Augenbrauen hervor.

Herr Drouyn de L'huys verneigte sich mit würdevoller Ruhe vor dem Kaiser und sprach mit seiner vollen und klaren aber etwas leisen Stimme:

»Ich bitte um Verzeihung, Sire, daß ich Eure Majestät nicht schon am Wagenschlag empfangen habe. Aber ich bin durch die Ehre Ihres Besuchs so vollständig überrascht, daß ich kaum die Zeit hatte, Ihnen entgegen zu eilen.«

»Ich sehne mich Sie zu sehen, mein lieber Herr Drouyn de L'huys,« sagte der Kaiser, seinem frühern Minister die Hand reichend, die dieser ehrerbietig ergriff. »Da Sie sich selten in die Tuilerien machen, so muß ich wohl zu Ihnen kommen.«

Herr Drouyn de L'huys war dem Kaiser vorgeschritten.

Sie traten in den großen Empfangssalon.

»Madame Drouyn de L'huys wird sogleich bereit sein, vor Eurer Majestät zu erscheinen, sie ist noch mit ihrer Toilette beschäftigt.«

»Ich bitte Sie,« sagte der Kaiser, »Ihre Gemahlin nicht zu derangiren. Lassen Sie uns in Ihr Cabinet gehen, ich möchte ein wenig mit Ihnen plaudern. Der General wird die Güte haben mich hier zu erwarten.«

Drouyn de L'huys verneigte sich und führte den Kaiser durch ein kleines Vorgemach in sein Arbeitszimmer, dessen Fenster durch Vorhänge von dunkelgrüner Seide zur Hälfte verhüllt waren und dessen ganze Ausstattung in einem großen Tisch von Eichenholz, einigen großen Fauteuils und auf verschiedenen Consolen aufgestellten Antiken, Kunstwerken von Marmor oder Bronce bestanden. In einem schön gearbeiteten Kamin brannte ein helles Feuer.

Napoleon legte seinen Überrock ab und ließ sich, indem er fröstelnd zusammenschauerte, in einen tiefen Lehnstuhl vor dem Kamin nieder.

Drouyn de L'huys nahm auf seine Einladung neben ihm Platz und erwartete schweigend die Anrede seines Souverains, der einige Augenblicke in sinnendem Nachdenken auf die züngelnde Flamme blickte.

»Die Lage ist ernst, mein lieber Herr Drouyn de L'huys,« sagte Napoleon endlich, indem er, wie einen raschen Entschluß fassend, sofort auf den Gegenstand einging, der seine Gedanken beschäftigte, – »die Lage ist ernst, und ich muß darauf denken, sie zu verbessern. Denn,« fügte er halb scherzend, halb wehmüthig hinzu, »die Zeit respectirt die Kronen und den Purpur nicht. Ich werde alt und immer älter und bevor ich aus diesem irdischen Leben scheide, muß ich meine Angelegenheiten ordnen und mein Haus bestellen. Mein Haus aber ist Frankreich. Sie sind so lange der Hüter dieses Hauses gewesen, daß ich in dem ernsten Augenblick, in dem wir uns jetzt befinden, bei Niemandem besser Rath finden kann als bei Ihnen.«

Drouyn de L'huys verneigte sich schweigend, keine Miene seines Gesichts zeigte die geringste Bewegung; in seinen Zügen lag nur die ehrerbietige Aufmerksamkeit auf das, was der Kaiser ihm sagen würde, aber keine Neugierde, keine Spannung es zu vernehmen.

»Sie haben,« sagte der Kaiser zögernd und eine leichte Verlegenheit überwindend, »Sie haben im Jahre 1866 mit patriotischem Eifer und begeisterter Überzeugung die Ansicht vertheidigt, daß ich den Thatsachen gegenüber, welche sich in Deutschland durch die Schlacht von Sadowa vollzogen haben, mein Veto einlegen solle, um die Constituirung der neuen preußischen Macht zu verhindern oder für Frankreich diejenigen Compensationen zu erreichen, welche uns in den Stand gesetzt hätten, auch jener Macht gegenüber unsere Stellung zu behaupten.«

Drouyn de L'huys neigte betätigend das Haupt.

»Ich erinnere mich, Sire,« sagte er, »daß jene Ansicht, welche auch heute noch die meinige ist, damals unausführbar war, weil Eurer Majestät Marschälle erklärten, daß eine militairische Action in jenem Augenblick unmöglich oder höchst bedenklich sei. Ich bin auch heute noch der Ansicht,« fuhr er mit fester Stimme fort, »daß damals eine wirklich militairische Action garnicht möglich geworden wäre, daß die französischen Fahnen am Rhein allein genügt hätten, um unmittelbare Annahme der Bedingungen zu erwirken, welche man später, nachdem der Frieden von Prag geschlossen war, so schnöde zurückgewiesen hat.«

»Sie sind damals,« sprach der Kaiser mit sanfter trauriger Stimme, »von den Geschäften zurückgetreten, weil ich Ihrer Ansicht nicht beipflichten konnte. Sie zürnen mir, vielleicht haben Sie Recht – vielleicht habe ich damals Unrecht gehabt.« –

»Ich wage nicht, Eurer Majestät Handlungen zu beurtheilen,« erwiderte Drouyn de L'huys, »und erlaube mir nicht Eurer Majestät zu zürnen, weil Sie nach Ihrem eigenen Ermessen Frankreich regieren, aber Eure Majestät wissen auch, daß ich nur dann Ihr Minister sein kann, wenn die Politik, die Sie befehlen, meiner eigenen Überzeugung entspricht. Daß ich mich damals zurückgezogen habe, daß ich mich seither von dem politischen Leben vollkommen fern halte, werden Eure Majestät natürlich finden und mir deshalb Ihre Gnade und Ihr Vertrauen nicht entziehen.«

»Wie wenig mein Vertrauen zu Ihnen erschüttert ist,« sagte Napoleon, »sehen Sie daraus, daß ich in diesem Augenblick zu Ihnen komme, um Ihren Rath zu hören, – den Rath eines Freundes, eines bewährten Freundes, eines der wenigen Freunde, die mir noch bleiben,« sagte er tief seufzend – »denn ich habe viele verloren.«

»Mein Rath, Sire,« erwiderte Drouyn de L'huys, »wenn Eure Majestät auf denselben Werth legen, wird Ihnen in jedem Augenblick zu Gebote stehen, und der Privatmann wird Ihnen mit derselben Ergebenheit und Aufrichtigkeit die Wahrheit oder das, was er für die Wahrheit hält, sagen, als es Ihr Minister gethan hat.«

»Irgend ein großer Staatsmann,« sagte der Kaiser, immerfort in die Flammen des Kamins blickend, »ich glaube Metternich – sagt, einen Fehler machen sei nicht so schlimm, als einen gemachten Fehler nicht verbessern. Nun wohl,« fuhr er fort, sich mit verbindlichem Lächeln zu Drouyn de L'huys wendend, »wir haben einen Fehler gemacht, ich fange an mich zu überzeugen, daß es weit besser gewesen wäre, damals Ihrem Rath zu folgen. Doch möchte ich nicht die zweite größere Schuld auf mich laden, jenen Fehler nicht zu verbessern, und es handelt sich darum, wie dies geschehen könne. Man hat mir zu liberalen Concessionen gerathen,« fuhr er schneller und lebhafter sprechend fort, »um die Zukunft des Kaiserreichs mit populairen Institutionen zu umgeben. Ich habe jene Concessionen gemacht, die Unzufriedenheit hat sich vermehrt und die Zukunft des Kaiserreichs beruht, wenn wir uns die Wahrheit nicht verhehlen wollen, mehr als je auf meinen persönlichen Einfluß. Von allen Seiten sagt man mir, und ich fange an zu glauben, daß man Recht hat, daß die Schwierigkeit der Situation weniger im Innern, als in dem geschwächten Einfluß Frankreichs nach Außen hin liege. Alles drängt mich den Fehler von 1866 zu verbessern, mit einem Wort: den Krieg zu machen und dasjenige wieder zu zerstören, was man vielleicht besser damals garnicht hätte entstehen lassen sollen. – Um aber den Krieg zu machen, bedarf ich außer der Tüchtigkeit der Armee, welche vorhanden ist, wie man mich versichert, auch Männer von festem, klarem und entschlossenem Geist, welche die militairische Action politisch vorbereiten und während der Ereignisse die Zügel der Politik in starker Hand halten. Sollte es zum Kampf kommen, so muß ich und werde ich persönlich bei der Armee sein, denn der Kaiser, der den Namen Napoleon führt, muß da sein, wo die Gefahr ist, wo die Adler Frankreichs dem Feinde entgegengetragen werden. Ich würde die Kaiserin als Regentin in Paris zurücklassen müssen, dann aber wäre es vor Allem nothwendig, daß neben ihr ein Mann stände von erprobter Treue, von erprobter Geschäftskenntniß, ein Mann, welchem die europäischen Cabinette ihre Achtung und ihr Vertrauen entgegentragen, und zu welchem ebenso mit Vertrauen und mit Achtung das französische Volk aufblickt. Ich wüßte keinen bessern Mann dafür als Sie, mein lieber Herr Drouyn de L'huys, und ich bin deshalb gekommen, um ohne alle Umschweife Sie zu fragen, ob Sie es für nothwendig und für klug finden, jenen Fehler von 1866, den Sie einst so scharf getadelt und der Sie mir entfremdet hat, heute zu verbessern, und ob Sie in einem solchen Fall mir mit Ihrem Rath und Ihrer Kraft zur Seite stehen wollen?«

Drouyn de L'huys blickte lange ernst und schweigend vor sich nieder, dann erhob er das kluge offene Auge zu dem Kaiser, der mit dem Ausdruck lebhaftester Spannung seine Antwort erwartete. Er sprach ruhig und langsam, jedes Wort scharf betonend:

»Eure Majestät haben mir in wenig Worten eine Frage gestellt, welche nicht leicht ist kurz zu beantworten. – Es ist wahr, Sire,« fuhr er fort, »daß ich den Fehler, den die französische Politik im Jahre 1866 gemacht hat, heute noch schmerzlich beklage. In jenem Fehler liegt die Wurzel, der Anfang der ganzen Verlegenheit, in welcher wir uns gegenwärtig befinden. Ob aber dieser Fehler wieder gut zu machen ist, ob er heute oder in naher Zeit gut zu machen ist – daran, Sire, muß ich ernstlich zweifeln. Frankreich befindet sich, wenn ich einen Vergleich brauchen darf, in der Lage eines Mannes, der es verweigert hat ein Duell anzunehmen in dem Augenblick, wo man ihn beleidigt hat, er empfindet später in der allgemeinen Mißachtung die Folgen seiner Unschlüssigkeit. Aber gewiß kann er sie dadurch nicht gut machen, daß er irgend eine Gelegenheit vom Zaune bricht, um sich zu schlagen. Für uns ist in diesem Augenblick eine richtige, einer großen Nation würdige Veranlassung zum Kriege nicht vorhanden. Wir haben alle Veränderungen, welche der Krieg von 1866 in Deutschland hervorgerufen, acceptirt, wir haben den Prager Frieden nicht nur geschehen lassen, sondern haben selbst bei dessen Abschluß mitgewirkt. Alles, was jetzt in Deutschland geschieht, ist nur die Consequenz jenes Friedensvertrages, und mag man hier und da über den Wortlaut desselben hinausgehen, für Frankreich kann darin gewiß kein Grund zu einem so furchtbaren und folgenschweren Krieg liegen, durch den man heute mit dem Einsatz aller Kräfte und der ganzen Machtstellung des Landes einen Fehler wieder gut machen wollte, der damals durch eine einfache militairische Demonstration hätte vermieden werden können. –

»Ich sage nicht, Sire,« fuhr er fort, als der Kaiser ihn erstaunt und verwundert anblickte, »ich sage nicht, daß der Conflict zwischen dem sich immer fester constituirenden Deutschland und Frankreich nicht früher oder später kommen müsse. Heute aber ist er noch in keiner Weise reif, und vor allen Dingen kann es nicht die Initiative Frankreichs sein, welche diesen Conflict hervorrufen darf. Die Fragen, um welche es sich in diesem Augenblick handelt, sind nicht französische. Frankreich ist weder der vertragschließende Theil, noch garantirende Macht bei dem Prager Frieden. Geht Preußen über die Schranken hinweg, welche es sich selbst im Jahre 1866 gezogen hat, so muß es zunächst die Sache Österreichs und der Süddeutschen Staaten, das heißt, der in jenem Krieg Besiegten sein, Einhalt zu thun und Protest zu erheben. Wenn die Frage so gestellt wird, wenn die Süddeutschen Staaten ihre Unabhängigkeit gegen Preußen vertheidigen, wenn Österreich zum Schutz dieser seiner Verbündeten die strenge Aufrechthaltung der Verträge fordert, dann kann Frankreich hinzutreten, jene Forderungen unterstützen und als Verbündeter der deutschen Staaten, als Verbündeter Österreichs gegen Preußen zu Felde ziehen. Dann werden wir sicher sein, daß das deutsche Nationalgefühl sich nicht als ein mächtiger Verbündeter des Berliner Cabinets uns gegenüberstellt. – Davon, Sire,« fuhr er fort, »sind wir noch sehr weit entfernt. Ich habe,« sagte er lächelnd, »obgleich ich mich ganz von der activen Politik fern gehalten, dennoch aus alter Gewohnheit den Gang der Dinge scharf beobachtet, und ich habe kein Zeichen bemerkt, daß die Süddeutschen Staaten entschlossen oder auch nur geneigt wären, einen energischen Widerstand gegen Preußen zu machen.«

»Doch werden dort,« fiel der Kaiser ein, »namentlich in den katholischen Kreisen vielfache Sympathien für Frankreich laut. Man erwartet von uns Hülfe und Beistand.«

»Um Hülfe und Beistand zu erwarten,« erwiderte Drouyn de L'huys, »muß man zunächst selbst handeln. Und ich kann Eurer Majestät nicht genug wiederholen, daß die höchste Gefahr in einem Krieg gegen Preußen darin liegt, das deutsche Volk zu dem Irrthum zu veranlassen, es handele sich um eine französische Frage. Mögen die Herren in München und in Stuttgart statt halbe Winke und Andeutungen hierher zu senden, mögen sie fest und frei auftreten, mögen sie ihr Recht vertheidigen, sich mit einer starken Bewegung ihres Volkes umgeben, dann, Sire, kann der Moment kommen, in welchem Frankreich kluger und berechtigter Weise jenen durch diese ganzen langen Jahre sich wie eine schleichende Krankheit hinziehenden Conflict zu endlicher Lösung zu bringen, das heißt auch dann nur in dem Fall, daß Österreich mit festem Willen und ernster Energie entschlossen ist, auch seinerseits den Kampf um seine alte Stellung in Deutschland wieder aufzunehmen.«

»Ich habe keinen Grund,« sagte der Kaiser, »daran zu zweifeln, daß Österreich in dem gegebenen Augenblick einen solchen Entschluß fassen und ausführen wird. Nach dem Bericht des Herzogs von Grammont ist der Grundgedanke der österreichischen Regierung immer der, die deutsche Basis, von welcher sie herabgeworfen ist, wieder zu gewinnen, und ich betrachte die Mitwirkung Österreichs auch ohne daß darüber etwas Bestimmtes stipulirt ist, für gesichert.«

»Ich bin nicht in der Lage, Sire,« erwiderte Drouyn de L'huys ruhig und kalt, »das Vertrauen Eurer Majestät zu theilen. Selbst da, wo bestimmte Verträge vorlagen, hat Österreich uns oft im Stich gelassen. Gegenwärtig aber scheint mir, so weit ich die Lage beurtheilen kann, nicht einmal irgend eine faßbare Verhandlung zu existiren. Oder verzeihen Eure Majestät meine indiscrete Frage, die durch Ihre vertrauensvolle Berufung an mein Urtheil gerechtfertigt sein mag, haben irgend welche Verhandlungen mit bestimmten Resultaten zwischen Österreich und Frankreich Statt gefunden?«

»Das nicht,« erwiderte der Kaiser mit einer leichten Verlegenheit, »indessen die Bestimmung, die ich selbst persönlich bei dem Kaiser Franz Joseph Gelegenheit hatte zu bemerken, und die Mittheilungen, welche Grammont über die dortigen Verhältnisse macht, lassen mich an einer activen Mitwirkung Österreichs nicht zweifeln. Nur,« fuhr er fort, »scheint man dort – ganz entgegengesetzt der Ansicht, die Sie soeben aussprachen – dringend zu wünschen, daß der Kriegsfall nicht aus einer deutschen Frage genommen werde, da es für Österreich schwer sein würde, in einer solchen eine diplomatische Handhabe für seine Aktion zu finden, nachdem es in seine völlige Ausschließung aus Deutschland eingewilligt hat.«

Ein leichtes höhnisches, fast mitleidiges Lächeln glitt über Drouyn de L'huys' ernste Züge.

»Dies entspricht ganz der unsichern zweideutigen Haltung, welche mir in der österreichischen Politik nichts Neues ist,« sagte er. »Das ist der vollständige cercle vitieux, das heißt mit andern Worten klar und ohne Rückhalt ausgesprochen: Wir sollen allein die Gefahr tragen, wir sollen das siegreiche Preußen niederwerfen, und dann will Österreich die große Gnade haben, mit uns die Früchte des Sieges zu theilen. – Nein, Sire,« rief er lebhaft, »auf einer solchen diplomatischen Basis kann Frankreich in diesem Augenblick keinen Krieg führen! Wir müssen feste und starke Alliirte haben! Wir müssen des energischen Vorgehens der Süddeutschen Staaten und vor Allem der festen Alliance und der genau normirten und bis zum Ende sicher gestellten Mitwirkung Österreichs vollkommen gewiß sein. Die jetzigen Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich kommen mir vor wie das Verhältniß eines Herrn zu einer Dame, der ihr die Cour macht, ihr Bouquets überreicht, ihr die Taschentücher aufhebt, aber niemals von Heirathen spricht. Soll Frankreich eine so ernste entscheidende Action beginnen, so muß vor allen Dingen mit Österreich eine wirkliche, ganz feste Alliance geschlossen werden. Diese Alliance allein kann verhindern, daß die ganze, so ungeheuer angewachsene preußische Militairmacht sich in mächtig concentrirten Vorstößen über den Rhein her gegen uns heranbewegt. Diese Alliance allein ist im Stande, auch Italien in Schach zu halten, das sonst gewiß jede Verwickelung Frankreichs benutzen wird, um Rom zu nehmen und damit unseren Einfluß auf der pyrenäischen Halbinsel zu zerstören und Eurer Majestät Regierung die mächtige Stütze zu rauben, welche Ihnen der katholische Clerus bietet.«

»Und würden Sie geneigt sein,« fragte der Kaiser, welcher sehr ernst zugehört hatte und auf den die Worte seines früheren Ministers einen tiefen Eindruck gemacht zu haben schienen, »die französische Politik nach den Grundsätzen, welche Sie mir soeben entwickelt, wieder zu leiten und die große Action nachdrücklich vorzubereiten, welche uns wieder auf die alte Höhe zurückführen soll?«

»Ich werde, Sire,« erwiderte Drouyn de L'huys, »meine Dienste Eurer Majestät und meinem Vaterlande niemals verweigern, doch scheint mir in diesem Augenblick noch nicht die Zeit gekommen zu sein, um an einen Krieg zu denken. Ich würde Eurer Majestät rathen, zuerst die Verhältnisse im Innern zur vollständigen Abklärung zu bringen. Denn ich muß Ihnen mit aller Aufrichtigkeit sagen, Sire, daß so wie die Dinge jetzt liegen, auch ein nur vorübergehender Mißerfolg unserer Armee die bedenklichste und gefährlichste Bewegung im Lande selbst hervorrufen kann. Die alte Kraft der Regierung ist gebrochen, – die unzufriedenen Elemente sind fest organisirt und jeden Augenblick entschlossen, das Äußerste zu wagen.«

»Aber die Nation,« sprach der Kaiser mit einem Anklang von Ungeduld in der Stimme, »empfindet tief das Herabsinken Frankreichs von seiner militairischen Höhe. Man sagt mir allgemein, daß die Nation den Krieg will, und daß ein großer nationaler Krieg das beste Mittel sei, um der Regierung die allgemeinen Sympathieen wieder zu gewinnen.«

»Ich glaube,« sagte Drouyn de L'huys, »daß Diejenigen, die dies Eurer Majestät sagen, sich täuschen. Ich habe seit meinem Rücktritt von den Geschäften meine Muße mit dem Studium der öconomischen Verhältnisse ausgefüllt. Man hat mir die Ehre erzeigt, mich zum Präsidenten der großen Gesellschaft der Landwirthe zu erwählen, welche sich über ganz Frankreich verbreitet. Ich habe in dieser meiner Stellung viele Reisen gemacht und die meisten Provinzen des Landes besucht als Präsident der Gesellschaft, welche die großen Grundbesitzer, wie die kleinen ländlichen Eigentümer und die Bauern umfaßt. Ich hatte Gelegenheit wie aus einer Loge die ganze Bewegung zu beobachten, welche sich auf der Scene des wirthschaftlichen Lebens zeigt, und ich kann Eurer Majestät meine Überzeugung nur dahin aussprechen, daß das ganze Land, d. h. das Land, welches schafft und arbeitet, den Frieden will, den Frieden auf lange Zeit, um all die Quellen des Wohlstandes, welche so viele weise Maßregeln Eurer Majestät eröffnet haben, zu vollkommenem und ergiebigem Fluß zu bringen. Würde eine große Verwickelung in Deutschland entstehen, würde die unterdrückte Bevölkerung der Süddeutschen Staaten, würde Österreich die Hülfe Frankreichs gegen Verletzungen der öffentlichen Verträge anrufen, so würde es allerdings die Nation als eine Ehrensache betrachten, dann mit voller Kraft und mit allem Nachdruck in den Kampf einzutreten. Würde aber Frankreich einseitig einen Conflict provociren, ohne dringende Notwendigkeit sich in die Opfer und Wechselfälle eines Krieges stürzen – dann, Sire – ich spreche meine innigste und festeste Überzeugung aus, dann würde man vielleicht einiges chauvinistisches Geschrei auf den Boulevards hören, aber die ganze große Bevölkerung des Landes würde mit tiefem Schmerz ihren durch Fleiß und Arbeit erworbenen Wohlstand der unsicheren Entscheidung durch die Spitze des Schwertes preisgegeben sehen.«

Der Kaiser senkte das Haupt und drehte lange schweigend an seinem Schnurrbart.

»Sie meinen also, daß die Consolidirung der innern Verhältnisse einer Action nach Außen vorhergehen müsse?« fragte er.

»Ebenso gewiß,« erwiderte Drouyn de L'huys fest, »als man bei jedem Vorgehen an den Rückzug denken muß. Eure Majestät müssen sicher sein,« sagte er mit leiser durchdringender Stimme, – »verzeihen Sie meine kühne Aufrichtigkeit – daß Sie nach einer immerhin möglichen Niederlage noch Herrscher bleiben, den Thron von Frankreich noch erhalten können.«

Der Kaiser öffnete weit die Augen. Ein eigenthümlich durchdringender Blick fiel auf das ruhige Gesicht des Herrn Drouyn de L'huys. Dann beugte er sich mit einer raschen Bewegung zu ihm hinüber, reichte ihm die Hand und sagte mit sanfter weicher Stimme.

»Ich danke Ihnen für dieses Wort, ich habe mich nicht getäuscht, als ich im Vertrauen auf Ihre Freundschaft zu Ihnen kam. Ich habe die Wahrheit gesucht und Sie gaben mir dieselbe, wie es einem wahren Freunde geziemt, – doch,« fuhr er fort, »wenn Sie der Meinung sind, daß die in's Schwanken gekommenen inneren Verhältnisse wieder befestigt werden müßten, so haben Sie auch gewiß Ihre bestimmte Ansicht darüber, in welcher Weise dies geschehen könnte. – Sie haben mir selbst,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »früher den Rath gegeben, den kaiserlichen Thron mit liberalen Institutionen, welche in der freien Bewegung des Volkes beruhen, zu umgeben, damit wenn die Vorsehung es will, daß mein Sohn im frühen Jünglingsalter zur Herrschaft berufen werde, diese Institutionen seinen Thron schützend umringen. Sie sehen, daß ich Ihren Rath befolgt habe. Aber,« sagte er seufzend, »statt Befriedigung habe ich nur eine immer unzufriedener wachsende Unruhe hervorgerufen.«

»Weil,« fiel Drouyn de L'huys ein, »Eure Majestät hierbei einen Fehler gemacht haben. Das heißt,« schaltete er, sich verneigend ein, »nach meiner unvorgreiflichen Überzeugung, welche Sie mir frei auszusprechen befohlen haben – einen Fehler, welcher schon oft in ähnlichen Verhältnissen begangen worden ist, und welcher jedesmal verderbliche Folgen gehabt hat.«

»Und welchen,« fragte der Kaiser gespannt, den Arm auf das Knie stützend und den Kopf zu Drouyn de L'huys hinüber neigend.

»Eure Majestät haben liberale Institutionen durch liberale Personen einführen lassen,« erwiderte Drouyn de L'huys, »und zwar durch Personen, welche durchdrungen sind von dem parlamentarischen Doctrinismus, der niemals selbstständig und fest handelt, sondern immer nach rechts und links hin lauscht, was wohl der leicht beweglichen öffentlichen Meinung in jedem Augenblick am meisten zusagen möchte. Es ist aber,« fuhr er fort, »eine alte Regel der Staatskunst, daß man liberale Institutionen immer durch sehr feste und energische Männer einführen lassen muß, durch Männer, welche in ihren Grundgesinnungen wesentlich conservativ und vor Allem der Regierung und der Dynastie sehr ergeben sind, damit man in der freiern Bewegung die Zügel nicht aus den Händen verliert, – ebenso wie es auf der andern Seite jedenfalls richtig und geboten ist, energische oder gar reactionaire Maßregeln stets durch Persönlichkeiten ausführen zu lassen, welche als liberal bekannt sind, und welche jenen Maßregeln das öffentliche Vertrauen zu gewinnen im Stande sind. Ich liebe Herrn Rouher nicht, wie Eurer Majestät bekannt,« sprach er weiter, »dennoch glaube ich, daß er der richtige Mann gewesen wäre, um die freiere Bewegung zu inauguriren, welche Eure Majestät dem Staatsleben haben geben wollen. – Ebenso wie Herr Ollivier,« fügte er mit leichtem Lächeln hinzu, »ganz der Mann sein würde, um etwa nothwendig werdende strenge Maßregeln durch ihn durchführen zu lassen.«

Der Kaiser hatte mit äußerster Aufmerksamkeit zugehört.

»Sie haben Recht, Sie haben vollkommen Recht,« sagte er. »Ich habe auch darin wieder einen Fehler gemacht. So wie man Concessionen macht, betritt man eine schiefe Ebene, und es gehören starke Kräfte dazu, um dem zu schnellen Hingleiten nach der abschüssigen Bahn sich entgegen zu stemmen. – Die Männer aber, in deren Händen gegenwärtig die Gewalt der Regierung liegt, haben diese Kräfte nicht.

»Sie meinen also,« fuhr er fort, »daß um die freieren Grundsätze ohne Schaden für die Nationalität in das öffentliche Leben hineinwachsen zu lassen –«

»Andere Männer nöthig sind,« fiel Drouyn de L'huys ein, »und zwar Männer, welche die öffentliche Bewegung beherrschen, nicht aber ihr folgen.«

»Was meinen Sie,« sagte der Kaiser schnell, »zu dem Plebiscit, um den neuen Institutionen des placet de suffrage universel zu geben und damit auch dem Kaiserreich von Neuem die Basis eines wiederholten Vertrauensvotums des ganzen Volkes zu schaffen? Man könnte dadurch mit einem Schlage einen Schwerpunkt aus dem parlamentarischen Parteitreiben herausnehmen, welches jetzt nur zu sehr der Mittelpunkt des öffentlichen Lebens geworden ist.«

Drouyn de L'huys blickte ein wenig erstaunt in die lebhaft erregten Züge des Kaisers.

»Und Sire,« fragte er, »wie würde sich Graf Daru, wie würde sich Herr Buffet zu einer solchen Wiederholung des suffrage universel stellen?«

»Das weiß ich nicht,« sagte der Kaiser. »Doch,« fuhr er achselzuckend fort, »liegt mir an dem Vertrauensvotum der französischen Nation mehr als an Daru und Buffet.«

Drouyn de L'huys neigte mit dem Ausdruck des Verständnisses den Kopf.

»Und Ollivier?« fragte er dann.

»Ich werde ihm einen Brief schreiben,« sagte der Kaiser, »ich werde die ganze Sache in seine Hände legen. Seine früheren parlamentarischen Stützen sind sehr schwankend geworden, er wird mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, wie ich glaube, um sich auf den breitern und festern Grund des allgemeinen Volkswillens zurückzuziehen.«

»Ich glaube,« sagte Drouyn de L'huys, »aus den Andeutungen Eurer Majestät entnehmen zu dürfen, daß Ihre Ideen sich auf dem Wege befinden, den ich unter den augenblicklichen Verhältnissen nur als den richtigen anerkennen kann. Wenn Sie das allgemeine Volksvotum als das beste Mittel erkennen, die neue und freie Verfassung des Kaiserreichs auf festen Grundlagen zu etabliren und vor schwankenden Bewegungen zu schützen, so ist es gewiß richtig, diese Maßregeln durch Ollivier vorbereiten und ausführen zu lassen. Nachdem dies geschehen ist, wird es meiner Überzeugung nach an der Zeit sein, die Zügel der Regierung in festere und kräftigere Hände zu legen, wobei indeß Herr Ollivier, der so unendlich leitungsfähig ist, immer conservirt werden kann. Dann, Sire, wird auch vielleicht der Augenblick gekommen sein, in welchem man an eine wohl überlegte und verständige Vorbereitung einer großen militairischen Action wird denken können, welche die Consequenzen des Jahres 1866 wieder zu redressiren im Stande sein möchte.«

Der Kaiser erhob sich.

»Und dann,« sagte er, »dürfte ich auch darauf rechnen, daß mir Ihre Unterstützung nicht fehlen wird.«

»Ich werde dann, Sire,« erwiderte Drouyn de L'huys, »jeden Augenblick bereit sein, Eurer Majestät meine Ideen, über welche ich reiflich nachdenken will, auseinanderzusetzen, und diese Ideen, wenn Sie dieselben acceptiren, auszuführen.«

»Ich danke Ihnen,« sagte der Kaiser, ihm die Hand reichend. »Ich verlasse Sie, wie immer, so oft ich mit Ihnen gesprochen, reicher an guten Gedanken und Entschlüssen. – Ich bitte Sie, Madame Drouyn de L'huys meine angelegentlichsten Empfehlungen zu machen, ich will sie nicht derangiren, denn ich möchte sogleich nach den Tuilerien zurückkehren, um meine Entschlüsse reif werden zu lassen und sie ohne Verzug zur Ausführung zu bringen.«

Drouyn de L'huys geleitete den Kaiser an seinen Wagen. – Napoleon stieg mit dem General Favé ein und fuhr durch die Champs Elysés nach den Tuilerien zurück.


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