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Die Überschreitung des Polarkreises und die Zeit der Durchfahrten.

Wahnbegriffe des Alterthums. – Die Lehre vom Polarkreise. – Indien als Schiffahrtsimpuls, Normannen die ersten Polarfahrer. – Die Zeit der Entdeckungen. – Veranlassung der Durchfahrtsversuche im hohen Norden. – Das offene Polarmeer und die bisherigen Erfolge der Nordpol-Expeditionen. – Geschichtlicher Rückblick auf dieselben.

 

Rings um den einsamen Scheitel des Nordpols stehen in der Form von Steinpyramiden die Markzeichen an jenen Punkten, bis zu welchen der rastlose Unternehmungsgeist der Menschen vorgedrungen ist. In seinem Zenith schwebt die geringe Möve, dem harpunenverfolgten Geschlecht der Robben gönnt er auf seinen Eisflößen eine sichere Freistätte des Lebens; – nur als Entdeckungsziel hat er sich bisher unnahbar erwiesen.

Wie jede Entwicklung nur allmählig fortschreitend zu größern Zielen reift, so hat sich auch die schwache kosmogenische Dämmerung nur langsam ausgebreitet, von der homerischen Erdscheibe aus über das Land der Hyperboräer; erst nach Jahrtausenden überwand der Wissensdrang die Schrecken des Nordpols, mit welchen die Araber schon Sibirien erfüllt dachten. Rings um das sonnige Morgenland lag die Welt Jahrtausende unter Wahnbegriffen und Fabeln begraben, welche nur die ethische Erhebung der ältesten Dichterphilosophen der naiven Trivialität alles Unreifen entriß.

Kein Hauch der Wahrheit regte sich in der vom Kastengeist beherrschten Welt und scheuchte die Trugbilder von versengender Hitze, tödtendem Froste, steil abfallenden Meeren, von welchen es für den Schiffer keine Rückkehr gab, von unheildrohenden Wind- und Meeresgöttern und goldbewachenden Ameisen. Ruhte ja die Erde selbst isolirt in dem endlosen Raume, auf ihren Bergessäulen die krystallene Himmelskugel, – sie selbst aber ohne Gleichgewicht, weil überlastet durch die Pflanzenfülle der Tropen gegenüber nordischer Dürftigkeit. Solche Voraussetzungen waren es, die nachher von religiösen Dogmen überwuchert, dreifache Ringmauern, welche Jahrtausende nicht überstiegen, um den engen Kreis der Erkenntnisse zogen. Von den wenigen Antrieben, diese Fesseln zu sprengen, sind uns nur die Argonauten-Fahrt der Griechen, die Ophir-Fahrt und die Umschiffung Afrikas durch die Phönizier überliefert. Allein sie verblieben ohne fruchtbringende Wirkung, da sie noch der Erkenntniß der meisten Naturgesetze vorangingen.

Erst als man die Kugelgestalt der Erde erfaßt hatte, trat die theoretische Begründung der Klimate, der noch sehr vage Zonenbegriff auf, welchem Pytheas der Massilier vier Jahrhunderte vor Christus durch die Lehre vom Polarkreise die erste wissenschaftliche Verschärfung und weit vorauseilende Annäherung zu unserm Thema gab. Fast gleichzeitig schuf Alexanders Zug nach dem Wunderland Indien ein Paradies des Handels und der Schiffahrt, zu dessen Erreichung 1800 Jahre später selbst der verkehrteste Abkürzungsweg nicht gescheut werden sollte, der durch das Eis.

Rom hatte seine Kenntniß bis Scandinavien ausgedehnt, der prophetische Geist Seneca's die Entdeckungen neuer Welten verkündet. Seneca sagte: »Es wird eine Zeit kommen, nach späten Jahren, da der Ocean die Fesseln der Dinge lösen wird, da die unermeßliche Erde wird offen liegen, da die Seefahrer neue Welten entdecken werden und Thule nicht mehr der Lande äußerstes sein wird.« Aber die fanatisch-kriegerische Sündfluth der Religionskämpfe und Völkerwanderungen im frühen Mittelalter, in Verbindung mit dem heiligen Zerstörungseifer der Heidenapostel, bildeten langehin, bis zur kosmopolitischen Reaction der Kreuzzüge, der Ausbreitung des geographischen Wissens unübersteigbare Schranken, welche erst von den sagenberühmten Räuberströmen der Normannen durchbrochen wurden. Während die Römer bekanntlich stolz darauf waren, Britannien nie umschifft zu haben, wurden die Normannen durch die Auffindung Grönlands die ersten Polarfahrer.

Das christliche Europa wußte im 13. Jahrhundert von einem Fabelland am Nordcap, dem der Hundsköpfe oder Cynocephalen, den Gestalten der nordischen Amazonensage, aber von dem durch die streitbaren Bekenner des Islams mit Blitzesschnelle von der arabischen Wüste fast bis zum eisumstarrten Promontorium Scythicum gezogenen Verbreitungskreise nicht mehr, als daß dieses Reich »der in der Unterwelt geborenen Tataren« den mythischen Staat des Erzpriesters Johannes umschließe. Landreisen waren in jener Epoche das einzige Mittel zur Bereicherung der Erdkunde, deren geographische Resultate, selbst nach dem Bekanntwerden mit der magnetischen Mißweisung für Europa schwankend und oberflächlich, für entlegene Theile der alten Welt aber lediglich der Phantasie der Kartenzeichner anheimfielen.

Nunmehr war in der Geschichte der Menschheit der große Augenblick gekommen, wo die verfeinerte Bildung des Abendlandes den engen Horizont der alten Erdtafel überschaute, wo sie, aus den geographischen Träumen conservativer Jahrtausende sich aufraffend, die Fesseln des Hergebrachten sprengte, und binnen dreier Jahrhunderte die Kenntniß unseres Planeten vollendete bis auf dessen Pole!

Nachdem Papst Alexander VI. die neuen Länder mittelst einer über den Erdball gezogenen Demarcationslinie gleichtheilig an Spanien und Portugal verschenkt hatte, ergoß sich, geleitet von Wahnbegriffen, nach glorreichen Anfängen die Entdeckerschar über die Welt. Wußten sie doch nur wenig mehr, als daß die Erde eine Kugel sei.

Den übrigen seefahrenden Nationen, den Engländern und Holländern blieb, wollten sie gleichfalls Goldländer erwerben, nichts übrig, als diese jenen wieder abzujagen, oder die Aufsuchung neuer Goldreiche, – selbst, mittelst zu entdeckender Durchfahrten im Norden Asiens und Amerikas nach Indien anzustreben. – Hierauf verfielen sie zum Glück für die Erdkunde zuerst. Es war nicht ihre Schuld, daß jene Durchfahrten, welche nichts Anderes bilden sollten, als die Schleichhandelswege des Schwächeren, zur Chimäre wurden, als sie in immer höhern Breiten, endlich im Eise gesucht werden mußten, ungeachtet der holländische Geograph Plancius die trostreiche Theorie vom offenen Polarmeer erfand.

Wer aber mochte damals voraussetzen, daß die Erdvesten gerade in den Gegenden der Durchfahrten symmetrisch die größten Längendimensionen entwickeln? Die Entdeckung der ungeheuren Ausdehnung Sibiriens, die bald darauf gemacht wurde, verlief ohne Einfluß auf die Sachlage der Nordostdurchfahrt, da die Errungenschaften des Einzelnen in jener Zeit noch nicht so rasch Verbreitung fanden, wie heute. Mit karger Ausrüstung kämpften nun eine Reihe Männer gegen die Uebermacht des Eises, anfangs noch die gefürchteten Ueberwinterungen meidend, indem sie bald die Nordost-, bald die Nordwest-, bald die Durchfahrt über den Pol selbst versuchten. Viele haben dabei ihr Leben gelassen, Viele sind zurückgekehrt, an dem Probleme verzweifelnd oder noch hoffend, Keiner aber hat das Ziel erreicht.

Die Logik der ersten Unternehmer zeigt sich wahrhaft naiv in dem Projecte Frobisher's, Forts, Soldaten und Kanonen aufzustellen an den dominirenden Punkten der Durchfahrt, in den Empfehlungsbriefen, welche die englischen Könige den Polarfahrern mitgaben an die jenseits des Ob vermuthete sarazenische Kleinstaaterei; freilich war darunter keiner – an die Großmacht des Eises. Hakluyt rieth seinen Landsleuten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Nordostdurchfahrt zu befestigen und gleich dem Könige von Dänemark einen Sundzoll zu erheben. Auch hoffte man Gold im Norden zu finden, weil das Buch Hiob solches von dort kommen läßt, und hielt die Nordostpassage für ungefährlich, weil Plinius von Indern erzählt, die nach Norwegen verschlagen worden seien.

Doch es wäre unbillig, die Bestrebungen einer Zeit, in welcher sich die Pflege der Naturwissenschaften noch in ihrer Kindheit befand, mit dem Maßstab unserer heutigen Erfahrungen messen zu wollen. Nach anderthalb Jahrhunderten war durch eine Kette gescheiterter Unternehmungen der erste Schritt geschehen, die materiellen Interessen bei Polarfahrten zunächst außer Acht zu lassen. Die Nordostpassage insbesondere schien bereits der Geschichte anzugehören.

Die Engländer und Holländer zogen sich aus dem Nowaja Semlja-Meere zurück; seitdem Wood unter dem Eindrucke des Entsetzens daraus geflüchtet, blieb dasselbe von wissenschaftlichen Unternehmungen zweihundert Jahre lang unbetreten, Walfischfängern und finnmarkischen Robbenschlägern überantwortet, bis in die Tage der österreichisch-ungarischen Expeditionen.

Es liegt nicht im Sinne einer einleitenden Skizze, in die Specialgeschichte dieser Durchfahrten eindringen und den Faden entwirren zu wollen, der sich erst drei Jahrhunderte später löste, als man die Unmöglichkeit erkannte, das nördliche Eismeer den mercantilen Interessen dienstbar zu machen. Die Vorstellungen über die Landvertheilung und Beschaffenheit seines Innern waren dabei so verwirrt, daß Grönland an vier verschiedenen Stellen auf der Karte der nördlichen Halbkugel erschien, außerdem die Fabelländer Yelmer's und Andrejew's im Norden Asiens. In diese Zeit gehören auch die Münchhausenberichte einiger Harpunier-Koryphäen von der Erreichung des Poles und aufgefundenen Durchfahrten. Damals lauschte die Welt den Sagen von den Wundern des Nordens: »dem ewigen Winter Nowaja Semlja's im Gegensatze zum ewigen Sommer am Südpol, im Lande der Papageien, Meeres- und Sturmesgeister, Walrossen mit Adlerschnäbeln und einem Horn auf dem Kopfe«, – Dinge, die sogar einen Buffon blendeten!

Unter den europäischen Seemächten war es vorzugsweise England, und zwar dessen Kaufmannschaft, die bisher die Anteilscheine an den Kosten dieser Argonautenzüge »zu Gottes Ruhm und zum Nutzen des Landes« gezeichnet hatte. Die Holländer begnügten sich bald nach Barentz' Tod mit dem Fischfang in den arktischen Meeren; Frankreich, dessen Sylphidenwelt von Versailles das Fischbein ganzer Walfischflotten verschlang, verhielt sich als theilnahmsloser Zuschauer; Spanien und Portugal endlich hatten sich gleich anfangs aus Meeren zurückgezogen, aus welchen statt Goldbarren – Eisschollen zu holen waren.

Aber auch für England waren endlich die Tage der Propheten dahingegangen, die Tage Cabot's, Mercator's, Wenngleich kein Engländer. Wolstenholme's und Walsingham's; gewichtige Stimmen erhoben sich gegen die arktischen Handelschimären, und mit Geringschätzung verglich Chillingworth eine Expedition zur Auffindung der Nordostpassage mit dem Studium der Kirchenväter. Wir fragen daher, weßhalb dieselben Nationen, welche fast ein Jahrhundert lang nur schüchterne Versuche machten, ihre Hand nach den reichen Schöpfungen unter den Wendekreisen auszustrecken, mit ehrgeiziger Unerschrockenheit kämpften für die verlorene Sache der Durchfahrten? Sehen wir ab von dem wissenschaftlichen Selbstzweck, so erkennen wir in diesem von Generation zu Generation vererbten Streben den mächtigen Antrieb des Außerordentlichen.

Frobisher, Davis, Baffin und die Nowaja Semlja-Fahrer hatten, rückgekehrt, erzählt von den Goldländern Schwefelkies wurde von einigen jener Polarfahrer für Gold gehalten. weit innerhalb im Reiche der eisigen Hydra. Ihre Mittheilungen vom Einzelnkampf mit weißen Bären mit Hilfe von Spieß oder Luntengewehr, von entsetzlichen Schneestürmen und der furchtbaren Kälte eines arktischen Winters hörten sich so grimmig an und verursachten dem Lauschenden doch keine Beschwerden. Oder sie erzählten von der monatelangen Finsterniß und den flammenden Bogen des Nordlichts, dem viele Wochen andauernden Verweilen der Sonne am Himmel, – Dingen, schon an und für sich ein Räthsel, – ferner von zwerghaften Menschen, von noch unbekannten Thieren, Fischen groß wie Kriegsschiffe, langzähnigen Ungeheuern, die den Sphinxen der Pyramidenfelder glichen, von weißen und blauen Füchsen, von wandelnden, blendend weißen Bergen krystallenen Eises, verkehrt in der Luft schwebenden Schiffen, endlich von der Einsamkeit und von den Gefahren, der Befriedigung des Ehrgeizes! Wann je hätte der Menschen Sinn stärkerer Reizmittel bedurft!

Anderseits ist es eine Thatsache, daß jede Generation neue, und zwar persönliche Belege für ihre Ueberzeugungen verlangt, wodurch geographische Fragen nach kurzer Verjährung immer wieder von selbst auftauchen.

Hatten die älteren Polarexpeditionen ausschließlich materielle Ziele verfolgt, so trat in diesem Jahrhundert eine entscheidende Wendung ein, indem die Polarwelt nun zum Gegenstande wissenschaftlicher Forschung wurde. Mit John Roß wurde 1818 eine Reihe von Unternehmungen eröffnet, welche, anfangs noch der Nordwestdurchfahrts-Idee, nachher aber der wenngleich vereitelten Rettung von 139 Menschenleben galten, die gefallen waren, weitab von den gewöhnlichen Wahlstätten irdischen Ruhmes. Diese Expeditionen, welche noch mit den Erinnerungen unserer Generation verknüpft sind und die moderne Macht des Dampfes gegen das Eis zu Hilfe riefen, waren es, welche unsere arktische terra incognita endlich mit einer Peripherie umrandeten, deren mittlerer Abstand vom Pole nur noch 200 deutsche Meilen beträgt. Parry näherte sich demselben auf dem gefrorenen Meere Spitzbergens bis auf 100 Meilen, Kane, Hayes und Hall an der Küste des Kennedy-Canales bis auf 116 und 108 Meilen, die österreichisch-ungarische Expedition bis auf 109 Meilen.

Schiffslieutenant Weyprecht.

Mac Clintock aber, der mit den Reliquien des Franklin'schen Ausganges heimkehrte, brachte eine vom Schiffe unabhängige Entdeckungsweise, die mittelst des Schlittens, zur erfolgreichsten Vollendung und stellte eine Norm auf, mittelst welcher arktische Gebiete vorzugsweise zugänglich sind.

Die Nordwestpassage aber, zu welcher sechs Generationen gefrohnt hatten, wie zu dem Bau der Pyramiden, wurde zwar gefunden; allein sie offenbarte sich als werthlos für materielle Zwecke, als ein lebloses Gewebe von Küstenlinien.

 

Zum Schluß diene ein geschichtlicher Rückblick auf die bisherigen Polarexpeditionen. Die Fahrten Cabot's 1496, 1497 mit ihren Resultaten, der zweiten Entdeckung Neufundlands und des nordamerikanischen Festlands eröffneten die lange Reihe der Kämpfe mit dem Eise. Vater und Sohn Cabot gaben, obgleich noch unbewußt der Tragweite und später sich entwickelnden Tendenz, den ersten Anlaß zur arktischen Frage im Allgemeinen, sowie jener der nordwestlichen Durchfahrt im Besondern, durch die bei ihren Fahrten gehegte Hoffnung, China im Norden der neuentdeckten Länder aufzufinden. Doch erst 1517, nachdem der stille Ocean bereits bekannt geworden war, trat der Sohn Cabot, nachheriger Großpilot von England, als der erste wissentliche Nordwestfahrer auf. Die Frucht seiner Bemühung war die Wiederentdeckung Labradors und der nachher Hudsons-Straße genannten Meerenge; obgleich behauptet wird, daß schon 1500 ein Portugiese, Namens Corte Reale, Er zog aus, seinen bis in das Eismeer vorgedrungenen Bruder aufzusuchen, kehrte aber wie dieser, nie wieder heim. Grönland, Labrador und Neufundland gesehen, – also die erste Bekanntschaft mit dem Treibeise und den neuen Fischplätzen gemacht habe.

Wie Seb. Cabot als Schöpfer des Gedankens an eine nordwestliche Durchfahrt zu betrachten ist, so hat man dem Oesterreicher Herberstein (durch dessen 1549 auf einer Gesandtschaftsreise nach Rußland entworfene Karte) den ersten Impuls zu jener einer Nordostpassage zuzuschreiben. Diese Karte brachte zum ersten Male einige Klarheit über das nordöstliche Europa und das weiße Meer, damit aber auch eine wahre Revolution in die bisherigen Begriffe von dem Bau der alten Welt. Der Ural insbesondere verdrängte durch sie das Gebirgsphantom der Montes Rifei. Da Herberstein die Eismeerküste bis zum Ob in eine vielverheißende Nähe zu China brachte, so wurde er indirect der Schöpfer des neuen arktischen Handelszieles. Den Ob aufwärts hoffte man das ersehnte Ziel leicht zu erreichen. Der Nordosten Asiens galt noch als ein mit Vulkanen besetztes Land; erst Middendorff's Reise drei Jahrhunderte später erwies diesen Irrthum. Unter den Geographen jener Zeit hat der große Mercator Asien mit der Taimyr-Halbinsel gezeichnet, – lange bevor diese entdeckt war.

Die ersten arktischen Unternehmungen fanden, der factischen Hindernisse nicht im Entferntesten gewärtig, ihr Ende entweder in Breiten, bis zu welchen heute alljährlich Whaler und Robbenschiffe vordringen, oder sie endeten mit ihrer Vernichtung. Betrachten wir zuerst die Anstrengungen zur Auffindung einer Nordostdurchfahrt.

Der erste Pionier derselben ist der Engländer Sir Hugh Willoughby, welcher 1553 mit 65 Mann ausziehend, zugleich das erste Opfer dieser Fiction wurde, da er in Lappland entweder erfror oder verhungerte. Er brachte dem westlichen Europa die erste Kunde von dem den Russen schon längst bekannten Nowaja Semlja. Daß er dagegen auch Spitzbergen entdeckt und dieses von Barentz später nur wieder aufgefunden worden sei, ist eine unberechtigte Annahme. Nur ein Schiff von dreien, welche ausgezogen waren, an die Küsten des weißen Meeres verschlagen, von Chancellor befehligt, kam zurück. Chancellor's Rückkunft und Berichte veranlaßten die Gründung einer moskowitischen Handelscompagnie in London.

1556 versuchte Burrough die Verschollenen aufzusuchen und in den Ob einzudringen; allein er vermochte nicht einmal die Kara-See von Süden aus zu erreichen. In diese Zeit fällt der Beginn der Eroberung Sibiriens, 1577 durch den Kosaken-Chef Jermak Timofejew unternommen, sie wurde binnen einem halben Jahrhundert vollendet.

1580 rüstete die russische Handels-Compagnie in London abermals zwei Expeditionen zur Aufsuchung eines Weges nach China aus. Eine derselben unter Pet vermochte wohl in die Karische See einzulaufen, ohne jedoch erheblich vorwärts zu kommen. Das andere Expeditionsschiff unter Jackmann ging spurlos zu Grunde.

1594 erfolgte die erste Expedition der Holländer, unter deren Teilnehmern namentlich der Pilot (Steuermann) Barentz berühmt geworden ist. Die Fahrt geschah längs der Westküste Nowaja Semlja's; Ende Juli wurde das »Eiscap« umsegelt, dann die Rückkehr angetreten. Das Jahr war sehr günstig gewesen, Barentz hatte den 78. Breitegrad im Norden Nowaja Semlja's erreicht, Nay war mit einem anderen Schiffe derselben Expedition weit in das karische Meer eingedrungen, ohne auf erhebliche Hindernisse zu stoßen. Diese Fahrt erregte die sanguinischesten Erwartungen in Holland; der Weg nach China schien bereits gefunden.

Schon 1595 gingen Nay und Barentz wieder unter Segel; Auf dieser Fahrt geschah die erste Anwendung der Taschen- statt der bisherigen Sanduhren. mit sieben Schiffen, schwer mit Waaren beladen und mit einem Supercargo an Bord drangen sie in die Kara-See ein, ohne vorwärts zu kommen. Dennoch ließen sich einige Amsterdamer Kaufleute durch Plancius' verlockende Theorie vom offenen Polarmeer bewegen, abermals eine Expedition auszurüsten; sie sollte ganz im Sinne des Barentz'schen Vorschlages Nowaja Semlja im Norden umsegeln. Diese 1596 unternommene Fahrt bewirkte die Entdeckung der Bäreninsel und jene Spitzbergens. Nowaja Semlja wurde wirklich nördlich umsegelt, allein das Schiff im »Eishafen« zerdrückt. Die Besatzung überwinterte in der dürftigsten Weise. 1597 wurde die Rückkehr nach Europa in Booten angetreten; von den 17 Mann der ursprünglichen Besatzung waren nur noch 12 übrig, auch der heldenmüthige Barentz war gestorben. Nach dieser Reihe gescheiterter Unternehmungen erkannten die Generalstaaten die Nutzlosigkeit weiterer Anstrengungen zum Zwecke einer nordöstlichen Durchfahrt; ihre Aufmerksamkeit galt fortan den spanischen Kolonien und Silberflotten in eisfreien Meeren.

Gleich hoffnungslos schien inzwischen die nicht minder eifrig verfolgte Frage der Nordwestdurchfahrt, obgleich sie die Erwartungen der englischen Geographen und Seefahrer noch einige Jahrzehnte länger beschäftigte. Der Engländer Frobisher hatte 1576, 1577, 1578 auf drei Sommerreisen den Frobisher-Sund, die Meta incognita und den Stamm der Eskimo's entdeckt. Von einer letzten Durchfahrtsunternehmung in Gesellschaft seines Bruders kam er nie wieder heim.

Nach ihm war es Davis zwar gelungen, die Landentdeckungen seines Vorgängers im Südwesten der heutigen Baffins-Bai in den Sommern 1585, 1586, 1587 zu erweitern und der Westküste Grönlands bis 72° nördl. B. zu folgen, allein nach seiner Rückkehr sprachen die Erfahrungen und Erklärungen dieses Mannes gegen alle weitern Handelszüge im Eise.

Gänzlich erfolglos blieb eine Expedition Weymouth's 1602. Sie verdient nur deßhalb angeführt zu werden, weil die meuterische Weigerung seiner Leute vor der Schiffahrt im Eismeere sich des rationellen Grundes bediente, die Handelsdurchfahrt sei in den eisfreien Breiten des Südens zu suchen!

Es folgten nun die denkwürdigen Unternehmungen Hudson's, der bereits 1607 eine Nordpolfahrt versucht hatte. 1608 hatte er eine Nordostfahrt ausgeführt, ohne in die Kara-See eindringen zu können. Dieselben Hindernisse hatte er zwischen Spitzbergen und Nowaja Semlja in unbekannter Breite gefunden. 1609 machte Hudson eine mercantilen Zwecken geltende Nordwestreise, 1610-1611 abermals eine Nordwestfahrt; mehr als alle seine Vorgänger prüfte er so die Chancen der verschiedenen »Durchfahrten«. Er entdeckte die Hudsons-Bai, die er für den stillen Ocean hielt; vergeblich an ihrer Westküste nach einer Durchfahrt suchend, überwinterte Die zweite historisch bemerkenswerthe Ueberwinterung einer Polarexpedition. er in diesen gefürchteten Regionen. Im Sommer des folgenden Jahres eben vom Eise befreit und die Heimreise antretend, traf ihn das furchtbare Schicksal, von seiner meuterischen Mannschaft ausgesetzt und dem Hungertode überlassen zu werden.

1612-1613 erweiterte Button, gleichfalls in der Hudsons-Bai überwinternd, die Kenntniß von ihrer Westküste, doch ohne die Spur seines unglücklichen Vorgängers zu finden. 1611 und 1613 erfolgte die Entdeckung der Inseln Jan Mayen und Hopö.

Ein wichtiger Schritt für die Lösung des großen Problems erfolgte 1616 durch Baffin und Bylot in Folge der Entdeckung der nach ersterem genannten Bai und der Eingänge in den Smith-, Jones- und Lancaster-Sund. Bei seiner Rückkehr, wagte Baffin vorauszusagen, daß die Durchfahrt, ein Steckenpferd damaliger Geographen, wenn sie überhaupt existire, nur den hohen Breiten jener Sunde angehören könne. Zweifel in seine Glaubwürdigkeit, bis zur Leugnung der großen Entdeckungen, ja persönliche Verfolgungen waren die Früchte seiner Unerschrockenheit.

Schon hatten die Täuschungen eines Jahrhunderts ihren erkältenden Einfluß auf die Gemüther ausgeübt; es verliefen 15 Jahre, bis England, wieder von trügerischen Auspicien angespornt, sich zu einem neuen Durchfahrtsversuch bereit erwies. Nochmals begleiteten die sichersten Erwartungen der Nation die neue Expedition, es war die der Capitäne James und Fox (1631). Karl I., selbst eifrig dafür interessirt, empfing die Seefahrer vor der Abfahrt und gab ihnen Empfehlungsbriefe für den Beherrscher Japans mit; wie Eduard VI. 78 Jahre vorher gethan hatte. Fox machte einige kleine Entdeckungen im Norden und Westen der Hudsons-Bai; doch kehrte er noch in demselben Sommer nach England zurück. Seine oberflächlichen Erfahrungen hinderten ihn nicht, sich den Propheten einer unfehlbaren Durchfahrt anzureihen. James hingegen, 1632, nach einer überaus beschwerdenreichen Expedition und Ueberwinterung, – welche umso anerkennenswerther ist, da in jener Zeit Ueberwinterung und Tod mit Recht identisch galten, – in der nach ihm benannten Südbucht der Hudsons-Bai zurückgekehrt, erklärte sich nachdrücklichst gegen die Frage jener Zeit. »Viel rascher,« sagte er, »und mit größerer Sicherheit lassen sich bei den beständig wehenden Winden 1000 Meilen gegen Süd um das Cap der guten Hoffnung zurücklegen, als 100 Meilen in jenen Seen, wo Verlust von Schiff und Schiffern fast täglich droht.«

Dennoch hat die Frage der Durchfahrten in England nie gänzlich geruht; trotz Hudson's und Button's Fahrt glaubten die Geographen eine Durchfahrt von der Hudsons-Bai aus nach dem stillen Ocean mit Bestimmtheit nachweisen zu können.

Es bedurfte indeß der Frist bis zum Jahre 1676, in welchem eine neue Expedition, die von Wood, in See ging; sie galt der Nordostpassage. Das größere von Wood's Schiffen stieß im Eise kreuzend, nahe Nowaja Semlja, im Nebel auf eine Klippe (Cap Speedwell); nach 11tägigem Ausharren in verzweifelter Lage wurden die Schiffbrüchigen von dem zweiten Schiffe entdeckt, gerettet und nach Europa zurückgebracht. Wood wurde ein entschiedener Gegner der Nordostdurchfahrt und hat damit, wenngleich etwas früh, den Standpunkt aller jener gewonnen, welche, je öfter sie in den Kampf für dieselbe auszogen, desto mehr an ihrer Ausführbarkeit zweifelten.

Nach Wood ruhte die Polarfrage überhaupt, diesmal fast ein ganzes Jahrhundert, bis ihr in Dobbs ein neuer Prophet erwuchs, nachdem das Veto eines Davis, Baffin, James und Wood längst verhallt war. Einer naturgemäßen Abwechslung zufolge ward jetzt die etwas vergessene Nordwestpassage neuerdings in Angriff genommen. Auf Dobbs' Veranlassung erfolgte die Expedition Middleton's, welcher 1741 im Churchillfluß überwinterte. Er fand in der nordwestlichen Hudsons-Bai dort, wo die Durchfahrt erwiesen schien, geschlossene Küsten und erfuhr das Verdammungsurtheil des geographischen Dogmatikers, der ihn ausgesandt hatte. Aber auch Moor, 1746 aus Dobbs' Betreiben zu gleichem Zweck entsendet und in Port Nelson überwinternd, vermochte nichts an den Thatsachen zu ändern. Im Sommer 1747 befuhr er den anfangs vielversprechenden Chesterfield-Inlet zwar zuerst, doch trotz der Gunst aller Umstände, nicht bis an sein Ende. Diese Unterlassung kostete zwei weitere Expeditionen, die Cristopher's 1761 und 1762, um endlich constatiren zu können, daß man sich geirrt hatte.

Dobbs gab trotzdem die Hoffnung nicht auf. 1771 bereiste Hearne auf sein Dahinwirken den Kupferminenfluß bis zu seiner Mündung, ein einfaches, nur spät angewandtes Auskunftsmittel; der Fluß mußte ja in das Meer der Durchfahrt, oder in deren Nähe münden. Hearne's Landreise, denkwürdig der ersten Wendung wegen, welche die Polarforschung durch sie genommen, sprach entschieden gegen Dobbs' Lieblingsproblem. Die Folge war, daß Dobbs gegen Hearne, wie einst gegen Middleton den Verdacht der Bestechung durch die Hudsonsbai-Gesellschaft wachrief, die jede nicht von ihr ausgehende handelspolitische Forschung in ihren Territorien mißgünstig betrachtete. Hearne's Ortsbestimmungen waren mangelhaft; so war es nicht schwierig, alle seine Angaben als Lügen zu verwerfen.

Wenige Jahre darauf erfuhren die Bestrebungen einer Nordwestfahrt insofern eine Modifikation, als der berühmte Cook 1778 nach der Behrings-Straße ausgesandt wurde, die Möglichkeit des Vordringens in umgekehrter Richtung zu versuchen, von West nach Ost. Die Rumanzoff'sche Expedition Kotzebue's 39 Jahre später hatte denselben Zweck und dieselbe Resultatlosigkeit. Cook erreichte nur das Eiscap 70° 29' im Norden der Behring-Straße, und fand hier »unüberwindliche Eisschranken«; allein seine Entdeckung der Nordwestküste Amerikas brachte die Kenntniß von der Landesvertheilung auf unserm Planeten zu einem Abschlusse, der eine viel höhere Bedeutung hatte, als selbst der großartigste Triumph im Eismeer.

Die Vervollständigung der Topographie des nordamerikanischen Festlandes geschah 11 Jahre später 1789 durch Mackenzie's Entdeckung und Aufnahme des nach ihm bekannten Stromes, durch Franklin und Dr. Richardson's erste und zweite Landreise 1819-1822 und 1825-1827, endlich durch Back im Jahre 1834. Dieser ging in der Absicht aus, die verschollene Expedition von Roß aufzusuchen; er entdeckte dabei den großen Fischfluß und brachte die Eismeerküste von seiner Mündung an mit jenen Entdeckungen in Zusammenhang, welche J. C. Roß auf seinen Schlittenreisen machte. Die großartigen Schlittenreisen der Pelzhandelsreisenden Simpson und Dease 1838-1839 vollendeten die Kenntniß der amerikanischen Nordküste. Alles, was so viele Schiffe durch 2½ Jahrhunderte hindurch vergeblich erstrebt hatten, ward der Hauptsache nach durch die Schlitten- und Bootreisen der letzgenannten Unternehmer binnen wenigen Jahren erreicht, nämlich: die Abgrenzung der südlichen Durchfahrtsküste. – Die Durchfahrt selbst aber war damit in höhere Breiten, innerhalb eines eiserfüllten Archipels verwiesen worden; neue Kämpfe standen bevor, sie aufzufinden.

Noch immer bestand der Glaube an die Möglichkeit einer Nordwest-Passage, obgleich Cook die Entfernung ihrer Ausgangspunkte mit 110 Längengraden constatirt hatte. Wie einst die Stimme James' verhallt war, so auch jetzt Georg Forster's mahnende Worte: »Es steht das Factum fest, daß die Unmöglichkeit einer nordwestlichen Durchfahrt in einer schiffbaren Meeresgegend erwiesen ist, und fest wird es stehen, bis eine neue Katastrophe der Erde Neptuns und Plutos Reichen neue Grenzen absteckt.« Der Sommer 1817, ungewöhnlich günstig, hatte in den beobachteten Eismeeren Veränderungen zu Gunsten der Schiffahrt herbeigeführt, welche man für andauernd hielt; selbst Scoresby wurde von ihnen geblendet. Die Frage der Nordwestpassage beherrschte abermals das geographische Interesse; sie erhielt in Barrow, dem Secretär der Admiralität, einen durch Amt und Begeisterung mächtigen Anwalt.

Mit John Roß' Sommerfahrt 1818 im Auftrage der Regierung beginnt eine neue Aera der Polarfahrten, sowohl in Hinsicht des wissenschaftlichen Zweckes, als auch der Vervollkommnung der Mittel zu dessen Erreichung. An und für sich aber hatte die Expedition von John Roß kein anderes Resultat, als die Ehrenrettung Baffin's. Er blieb in 76° 54' nördl. B. unter dessen Polhöhe und beging sogar den Rückschritt, daß er die von seinem Vorgänger bereits als Sunde erkannten drei Eingänge im Norden der Baffins-Bai als Baien bezeichnete.

An Bord des »Tegetthoff« während einer Eispressung (October 1872)

Parry's erste Fahrt 1819-1820, zur Widerlegung von Roß, fand die glänzendste Rechtfertigung und einen bis dahin unerhörten Erfolg: die Durchfahrung des nordamerikanischen Archipels in der Ausdehnung von 32 Längengraden. Ein zweiter Versuch, die Durchfahrt weiter in Süden zu suchen (1821-1822), entfernte ihn wieder von der Wahrheit. Sein Resultat bestand nur in der Entdeckung der Küste von der Repulse-Bai bis zur Hekla-Furystraße. Auch auf seiner dritten Fahrt im Prinz Regentsund, und in Port Bowen überwinternd (1823-1825), war das Glück wider ihn.

John Roß war inzwischen, gekränkt durch die allgemeine Mißbilligung, die seine erste Unternehmung erfahren, durch die Großmuth des Branntweinbrenners Felix Booth in den Stand gesetzt worden, eine zweite Reise zu unternehmen. Sie wurde trotz ihrer mangelhaften Ausrüstung epochemachend durch die Schlittenreisen seines Neffen J. C. Roß, durch dessen Entdeckung des magnetischen Nordpoles, des Bothia- und William-Landes.

Dann trat ein längerer Stillstand in den Durchfahrtsversuchen ein, erst nach 18jähriger Unterbrechung entschloß sich die britische Admiralität zur Expedition Franklin's, deren tragischer Ausgang noch in unserer Erinnerung lebt. Da seine Nachfolger nur die Aufgabe hatten, den Vermißten aufzusuchen, nicht aber, die gemachten Entdeckungen zu erweitern, so können wir alle nachgefolgten Expeditionen von 1848-1858 umsomehr in Kürze zusammenfassen, weil wir einen Band füllen müßten, wollten wir ihren Einzelnleistungen gerecht werden. Durch Franklin 1846, Mac Clure 1850 und Mac Clintock 1858 wurden die Durchfahrt und ihre Verzweigungen endlich gefunden, allein ohne daß man im Stande gewesen wäre, sie mit einem Schiffe zu befahren.

Unter den Aufsuchern Franklin's ist besonders der Amerikaner Kane 1853-1855 bekannt geworden, durch die Entdeckung des Grinell-Landes, des Kennedy-Canales und durch die ergreifende Schilderung seiner Leiden. Mac Clintock's Expedition fand die Reste der Franklin'schen Gefährten, ihre jahrzehntelang im Schnee gebleichten Gebeine; die Einen waren in eingeeisten Booten dem Hunger und Frost erlegen, die Anderen während des Marsches zusammengebrochen und verschieden.

Es erübrigt noch, die Entdeckung der Polarküsten der alten Welt und die Durchfahrtsversuche über den Nordpol selbst nachzutragen.

Timofejew's Nachfolger hatten die sibirische Eroberung vor etwa 200 Jahren fast vollendet; im 16. und 17. Jahrhundert tauchten die ersten Nachrichten von den Samojedentundren des nordöstlichen Europa auf. Peter der Große, Anna und Katharina veranlaßten hierauf eine Reihe von Forschungsreisen, um die Grenzen ihres Reiches im Norden Asiens kennen zu lernen. Selten widerfuhr diesen russischen Polarfahrern die wohlverdiente Ehre, in Gesellschaft der englischen Capitäne und Landreisenden genannt zu werden. In armseligen, aber für die engen Wasserfäden im Eise trefflichen Barkassen und mit der dürftigsten Ausrüstung zogen sie aus; speculative Kaufleute folgten ihrem Wege, um das Gold des Nordens zu gewinnen: Pelzthiere und Mammuthszähne. Rasch wurde dadurch die ungeheure Länge der asiatischen Nordküste von 130 Graden bekannt, und diese Kenntniß reichte für lange Zeit hin, jedes Project einer Nordostdurchfahrt im Keime zu ersticken. Schon 1637 war man von der Lena aus, längs der Küste des seichten sibirischen Eismeeres westlich bis zum Olenek, im folgenden Jahre bis zur Jana-Mündung vorgedrungen. Im Jahre 1648 entdeckte Deschnew die Behrings-Straße; 1728 geschah dies durch Behring zum zweiten Male, in beiden Fällen ohne daß ihr Durchfahrtscharakter erkannt worden wäre. Behring hat auf seiner zweiten Unternehmung 1741 in grausiger Verlassenheit den Tod gefunden. Das Eismeer Nordasiens erwies sich übrigens nicht minder unzugänglich, wie das der Nordwestpassage. Vier Jahre bedurfte Owczyn, um vom Ob aus, in den Jenissei zu gelangen (1734-1737), wobei er, durch das »bis zu enormer Höhe aufgethürmte Eis« gehemmt, nur die Polhöhe von 73° 56' zu erreichen vermochte.

1735 und 1736 wiederholte Prontschitscheff die Fahrt von der Lena aus, er passirte die Chatanga-Bai, erreichte das Cap Thaddäus, die Laurentius-Insel und die Breite von 77° 25' nördl. B. Auf dem Rückwege fand er, von Anstrengungen erschöpft, den Tod; gleich darauf getheilt von seinem treuen Weibe, das sich von seinem Geschicke in edler Aufopferung nicht hatte trennen wollen.

Dimitrij Laptew drang 1736 von der Lena östlich bis Swiätoj Roß, 1739 von der Lena bis zur Indigirka, 1740 bis zur ersten Bäreninsel und der Kolyma, 1741 bis zu den Baranow-Klippen vor.

Der Ob wurde von Westen her bis auf Nordenskjöld nur einmal durch Küstenfahrer erreicht, 1737 durch Maluigin und Skuratow, welche von Archangel ausgehend, erst nach vier Jahren dahin zurückzukehren vermochten, – traurige Commentare zu der Schiffbarkeit solcher Meere!

1740 verließ Chariton Laptew die Lena, erreichte Cap Thaddäus; vergeblich versuchte er die Nordspitze Asiens zu umschiffen. Auf der Rückreise erlitt er im Eise Schiffbruch.

1741 fuhr Chariton Laptew, an dem Erfolge zu Schiff verzweifelnd, im Schlitten über Land zu dem Taimyr-See, den gleichnamigen Fluß entlang zur Eismeerküste hinab, welche er bis zum heutigen Cap Taimyr verfolgte, das er astronomisch mit 76° 38' nördl. B. bestimmte. Darauf wandte er sich westlich bis zur Pjäsina- und Jenissei-Mündung. Sein Steuermann Tscheljuskin nahm die östliche Halbinsel mittelst Schlittenreisen auf. Den 1. Mai 1743 erreichte er Cap Thaddäus, umwanderte die Nordspitze Asiens, ohne jedoch ihre Lage durch astronomische Ortsbestimmung festzustellen. Die Kunde solcher Leistungen, welche heute die Bewunderung der Welt erregen würden, verließ damals kaum die Stätte der That. Tscheljuskin's Zug hat man später sogar in Frage gestellt; man nahm an, daß er die Lage der Nordspitze Asiens, ohne sie wirklich erreicht zu haben, aufs Gerathewohl angegeben, um dadurch dem furchtbaren Befehl zu entgehen, sie nochmals aufsuchen zu müssen.

1770-1773 begann der Kaufmann Lächow die Entdeckung der neusibirischen Inseln mittelst Schlitten- und Bootsreisen, belohnt durch die Elfenbeinschätze der dortigen Mammuthreste, welche erst viele Jahre später wissenschaftlich aufgeschlossen wurden. Diese Inselgruppe wurde 1809-1811 durch Hedenström, besser 1823 durch Anjou aufgenommen und trigonometrisch mit der asiatischen Küste verbunden. Bis jetzt ist es wohl mehrmals gelungen, von der Kolyma aus die Lena zu erreichen; aber nur einem einzigen Seefahrer glückte es, aus der Kolyma nach der Behrings-Straße zu segeln, obwohl man sich stets nur sehr kleiner Fahrzeuge mit geringem Tiefgang bediente, wie es jene seichten Meere erheischen. Noch nie aber vermochte man ein Schiff aus der Lena zum Jenissei oder umgekehrt, also über die Nordspitze Asiens zu führen.

Einen streng wissenschaftlichen Werth haben die Schlittenreisen Wrangel's in den Frühjahrswochen 1821, 1822, 1823, welcher die Küste von der Kolyma bis zur Insel Koliutschin aufnahm. Die erste naturhistorische Kunde vom hohen Norden Asiens brachte die ebenso wichtige, als kühne Reise Middendorfs (1844) mittelst Schlitten nach dem Taimyr-Lande. Räumlich beschränkt, doch nicht minder eifrig betrieben war das Bestreben der russischen Regierung und der Kaufleute von Archangel, die etwa 2000 geographische Quadratmeilen große Doppelinsel Nowaja Semlja bezüglich ihrer Küstenentwicklung zu erforschen. Dazu zählen die Expeditionen Loschkin's (1760, 1761, 1762), welcher zweimal an der Ostküste überwinternd, drei Jahre brauchte, Nowaja Semlja zu umschiffen und sein Fahrzeug einbüßte. Wichtiger war die Unternehmung Rosmyßlow's 1768 und 1769, des Entdeckers von Matotschkin-Shar. Seine und Barentz Angaben dienten den Karten Nowaja Semlja's bis 1807; Matotschkin-Shar erschien auf ihnen viermal zu lang, das Hook van Begeerte auf 78° nördl. B. Erst die vier Sommerexpeditionen Litke's 1821-1824 verbesserten die Topographie der Südhälfte von Nowaja Semlja. Der Haupterfolg der zwei Expeditionen Pachtusow's 1832-1833 und 1834-1835 bestand in der durch Schlittenreisen herbeigeführten Entdeckung von Nowaja Semlja's Ostküste bis zum »fernen Cap«. Kurz nach der letzten Rückkehr starb Pachtusow an den Folgen übergroßer Strapazen. Krotow's Expedition 1832 ging spurlos zu Grunde. Des berühmten Zoologen und Botanikers Baer Expedition 1837 brachte die erste naturhistorische Kenntniß von der Doppelinsel heim. Ziwolka und Mojßejew (1838-1839) vervollständigten das topographische Detail der Westküste.

Mehrere Jahrzehnte nach den mißlungenen Versuchen einer nordöstlichen oder nordwestlichen Durchfahrt hatte man sich entschlossen, den Handelsweg nach China über den Nordpol selbst einzuschlagen. Hudson war (1607) der erste Seefahrer, der ihn betrat. Er erreichte die ostgrönländische Küste ( Hudsons hold with hope), wandte sich nach Spitzbergen und erreichte daselbst 80° 23' nördl. B.

1609 gelangte Poole nur bis zur Westküste Spitzbergens, seine Fahrt wurde weniger berühmt als wichtig, denn er brachte die erste Kunde von dem Reichthum des Spitzbergen-Meeres an Walfischen heim. Völlig erfolglos verlief Smith's Nordpol-Expedition 1610. 1614 drangen Fotherby und Baffin bis zu der von Hudson erreichten Breite vor; 1615 erreichte dieser nur Hakluyts Headland. Darauf blieb dieser Handelsweg über ein Jahrhundert lang unbetreten bis zu den erfolglosen Expeditionen Tschitschagoff's 1765 und 1766 und Phipp's 1773. Dieser, vom Eise eingeschlossen, entrann dem Verderben seines Schiffes nur dadurch, daß er sich durch das Eis sägte, das an manchen Stellen bis 12 Fuß dick war.

1806 erreichte Scoresby der Aeltere zwischen Spitzbergen und Grönland 81° 13' nördl. B., – hinreichender Anlaß zu neuen Hoffnungen. Buchan's und Franklins Expedition 1818 kam jedoch nur bis 80° 34' nördl. B., ward »besetzt« und schwebte drei Wochen lang in Gefahr langdauernder Gefangenschaft. Es war die letzte Expedition zur Aufsuchung eines Handelsweges über den Pol; die nachfolgenden galten der geographischen Entdeckung. Phipps, Buchan und Franklin reihten sich nun an die ältern Gegner des Planes, in das innerarktische Gebiet mit einem Schiffe einzudringen; Franklin rieth, sich des Schlittenboots zu bedienen, wenn das Problem neuerdings versucht werden sollte. Dieses Project brachte Parry 1827 zur Ausführung. Er hatte die Unzulänglichkeit eines Schiffes bereits auf drei Polarexpeditionen kennen gelernt; viele Gründe sprachen für sein Vorhaben, dachte man sich doch den Weg von Spitzbergen aus nach dem Nordpol über eine ebene geschlossene Eisfläche führend! Parry ließ sein Schiff in einer Bai Nord-Spitzbergens zurück und erreichte im landfernen Eismeer mittelst zweier Schlittenboote die bisher unerreichte Breite von 82° 45'. Die Auflösung der Eisfläche in dicht gedrängte, zuletzt nach Süd treibende Schollen und die Schneeerweichung vereitelten weiteres Vordringen. Nach England zurückgekehrt, sprach sich Parry gegen die Wiederholung seines Unternehmens aus.

Auch der Versuch Nordenskjöld's 1868 mittelst Schiffs, 1873 gleich Parry mittelst Schlittenbooten nach dem Nordpol vorzudringen, schlug fehl; sein großes Verdienst ist aber die auf mehreren Expeditionen durchgeführte naturhistorische Erforschung Spitzbergens.

Aus Dr. Petermann's Veranlassung erfolgten nun die beiden deutschen Expeditionen zur Erreichung des Poles; Capitän Koldewey, ihr Führer, erreichte 1868 zu Schiff 81° 5' nördl. B. im Spitzbergen-Meere, 1869 75° 31' nördl. B. im grönländischen Meere, mittelst Schlitten jedoch 77° nördl. B.

Dasselbe Ziel, den Nordpol, erstrebten zwei amerikanische Expeditionen der letzten Decennien, die von Hayes (1860-1861), welcher im Smith-Sund mittelst Schlitten 81° 35' nördl. B. erreichte, und die von Hall (1871-1873); letztere drang bis 82° 22' nördl. B. zur See, bis 82° 9' nördl. B. am Lande vor, ihr Führer war das letzte Opfer der Polarfahrten.


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