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Sommereintritt. – Die Clavering-Insel von Eskimos verlassen. – Mißlingender Schifffahrtsversuch nach Norden. – Rückkehr nach Süden. –
Das Reich des Schnees war zu Ende. Zahllose Thränen rannen an den Lidern der Eissäume nieder und sammelten sich zu rauschenden Quellen; fügsam dem ewigen Kreislaufe. Ende Juni standen viele Tümpel auf dem Eise; klingend, ächzend wie immer hob es sich am Strande durch die Fluth. Die Temperatur überschritt den Gefrierpunkt, dies und das ununterbrochene Tageslicht lösten die bisherige Starrheit des Landes; kurz vorher noch steinhart, verwandelte sich der Boden nun in ein Moor, darüber, wie über den dürren Schuttdecken lag eine schwingend heiße Luft. Gelbe Mohnblumen reichten in geschlossenen Teppichen hinauf bis zu den Gipfeln der Berge widerstandsfähig, wie wenige, gegen die Kälte und die glühenden Pfeile der Sonne, ungleich ihren Verwandten, die weitab im Süden in frommer Gesellschaft der heiligen Blume erblühen. Ranunkeln und Anemonen schimmerten an den Rinnsalen der Schmelzwasser; die rothen Polster der Steinbreche leuchteten, von Löffelkraut grün umsäumt, aus den Trümmerfugen der Berghalden, darüber spann das knorrige Geflecht der Weiden die dürren Aeste. Schwärme schreiender Möven und Taucher erfüllten Luft und Wasser, besetzten die Felswände als weiße Punkte. Die Schneehühner hatten ihr weißes Winterkleid mit dem braunen des Sommers vertauscht. Schmetterlinge und Bienen irrten zu den Kelchen der Weidenröschen, Fliegen summten über den heißen Steinen; im Abendroth schwärmten über den Moorgründen Wolken unzähliger Mosquitos. Daß hier von einer wirklichen Plage die Rede ist, erklärt auch J. Roß. Er sagt: »Die Mosquitos wurden im Sommer sogar auf dem eingeeisten Schiffe zur Qual; ihre Schwärme sind so groß und lästig gewesen, wie in Westindien.« Namentlich die Walroß-Insel war ein Bild des Lebens geworden, eine Brutstätte der Vögel. Immer näher rückte dem Schiff das offene Wasser, über seine Fläche hin zogen brüllende Walrosse.
Der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht; nur über dem Lande erinnerte er an jenen südlicher Breiten, über dem Eismeere lagen Dunstbänke geringer Höhe, die sich nur auflösten, wenn der Wind sie über das wärmere Land trieb. Hier war die Sonne fast ununterbrochen zu sehen, selten zur See. Solche klimatische Gegensätze erzeugten Luftschichten verschiedenartigster Beschaffenheit und äußerten sich in den lebhaftesten Refractionserscheinungen. Bei ruhigem Wetter konnte man auch geringfügige Felszüge u. dgl. auf erstaunliche Distanzen wahrnehmen. Der Einfluß des grönländischen Continentalklimas sprach daraus; stets waren wir geneigt, Entfernungen zu unterschätzen, während wir nachher in der feuchten Atmosphäre des Franz Joseph-Landes nur zu leicht in den entgegengesetzten Fehler verfielen.
Zuweilen hat man selbst in Polargegenden das Gefühl drückender Sommerhitze, es ist überraschend zu sehen, wie schnell da der Schnee schmilzt. Allein gerade durch diesen Vorgang wird die Wärme der Luft vermindert, während jene des Meeres durch dessen Eisbedeckung unverändert bleibt. Die klimatische Begünstigung des Landes im hohen Norden ist überhaupt nur scheinbar, das Meer ist hier die eigentliche Wohnstätte des Lebens; seine Tange, Algen und zahllosen Seethiere niederer Ordnung beweisen dies, auch von den Säugethieren leben manche vorzugsweise im Wasser.
Das Schiff lag bereits segelfertig; noch schwamm es wie in einem Festungsgraben, den seine wärmestrahlenden Wände im Eis erzeugt hatten. Das durch den winterlichen Proviantverbrauch erleichterte Schiff springt bei seiner Loseisung plötzlich in die Höhe (Parry's Hekla 10 und 18 Zoll), es sei denn, seine Belastung wird rechtzeitig ergänzt, wie dies bei der »Germania« geschah. Große Eislasten waren aus demselben geschafft, der schmelzende Rückstand täglich ausgepumpt worden. Kein Leck zeigte sich.
Mitte Juli wurde eine Bootsfahrt nach der Clavering-Insel unternommen; ihr Resultat war, daß die Eskimo's, welche Clavering noch vor 46 Jahren daselbst angetroffen, ausgestorben oder fortgezogen waren. Rasch verstrich die Zeit mit geodätischen Arbeiten und allerlei Sammlungen. Am 10. Juli endlich löste sich das Eis in unserer Bai; wir trieben innerhalb einer Scholle fort, durchsägten diese nach zweitägiger Arbeit und kehrten in den Hafen zurück.
Am 22. Juli verließen wir ihn und dampften nach 10monatlicher Gefangenschaft gegen Norden, den im letzten Sommer mißlungenen Versuch wiederholend, eine hohe Breite zu erreichen. Die Aussichten schienen günstig; vermehrtes Pflanzenleben und die Verminderung der kleinen Schneelager am Lande deuteten auf ein warmes Jahr. Oestlich der Pendulum-Insel lag dichtes Eis; manche Umwege, vieles Anrennen waren nothwendig, es zu durchbrechen. Als wir in die Nähe von Cap Philipp Brooke kamen, stieß der Kiel des Schiffes auf eine Klippe, jedoch zum Glück ohne Schaden zu nehmen. Gleichzeitig machten wir eine andere höchst unangenehme Wahrnehmung, die auf den ferneren Verlauf der Expedition nicht ohne Einfluß blieb. Einige Röhren des Dampfkessels hatten zu lecken begonnen; es half nun, wie später nur für Stunden, daß der Maschinist Krauschner das Uebel durch Verstemmung oder Verankerung zu beheben suchte. Immer wieder erlosch das Feuer unter dem strömenden Wasser, die Dauer der dadurch erzwungenen Aufenthalte mehrte sich. Im Uebrigen erreichte dieser erneuerte Schifffahrtsversuch gegen Norden in 75° 29' nördl. B. damit sein Ende, daß wir am 26. Juli, wenige Meilen nordöstlich von Shannon, in eine Sackgasse schweren Packeises geriethen, welches mit dem Landeis verbunden, völlig ohne Canäle war. Weiter nach Nord vorzudringen, war undenkbar. Vier Tage harrten wir beim Cap Börgen, ob das Eis aufbreche, doch ohne Erfolg; Landexcursionen und Aufnahmen füllten die Zeit aus. In Hinsicht der Vegetation erwiesen sich die dürren Granithänge des nordöstlichen Shannon ärmer, als alle andern Localitäten, die wir bisher besucht. Der Mangel eigentlicher Thäler und die Nähe ungeheurer Eismassen trugen daran Schuld. Wiederholt waren wir 500-700 Fuß die nächsten Höhenzüge hinangestiegen, um die Schifffahrtschancen nach Nord zu erspähen. Eine geschlossene Eisdecke reichte bis zu den Gestaden am 77. Breitengrade hinauf; – es war das schwerste, unschiffbarste Eis, welches ich auf drei Nordpolexpeditionen gesehen habe, zu Bergen emporgepreßt, lag es am Nordende Shannons. Die Rückkehr nach Süden war somit unvermeidlich, wollten wir nicht länger kostbare Zeit verschwenden. Nur im Süden konnten wir noch Erfolge erwarten, die unterhalb unsers Winterhafens tief ins Innere eindringenden noch unbekannten Fjorde zu erforschen hoffen. Uebrigens begann das Eis bereits unsern Rückweg abzuschließen und trieb uns an, Shannon zu verlassen. Dampfend fuhren wir in mehrentheils offenem Wasser nach der Sabine-Insel herab.