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Ankunft an der Eisgrenze. – Leichtes Eis. – Witterung. – Dichtes Eis. – Nebel im Eise und die Mitternachtssonne. – Erstes Besetztwerden. – Freiwerden. – Im Küstenwasser Nowaja-Semlja's. – Dichtes Eis. – Zusammentreffen mit der Expedition des Grafen Wilczek. – Aufenthalt bei den Barentz-Inseln. – Geologie und Vegetation. – Bereitschaftsbeginn. – Anlage des Proviantdepots. – Trennung vom Isbjörn. – Die letzten Momente der Schifffahrt. – Vom Eise für immer eingeschlossen.
Schon seit Wochen war unsere Reise durch ungünstige Winde gehemmt worden; auch jetzt trat wieder stürmische See ein. Am 23. Juli verkündeten die plötzliche Abnahme der Temperatur und trübes, regnerisches Wetter die Nähe des erst weit nördlicher erwarteten Eises; wirklich kam es auch schon am 25. Juli Abends unter 74° 15' nördlicher Breite (+0°2 Luft, +1° Wasser, R.) in Sicht. Das Eis lag gut vertheilt; die Nordwinde der letzten Tage hatten es in vereinzelte Streifen auseinandergetrieben. Seine äußere Grenze war diesmal somit der vollkommenste Gegensatz jener geschlossenen Eismauer, welche wir 1869 in Grönland und 1871 im Osten Spitzbergens angetroffen hatten.
Ueberrascht von der südlichen Lage des Eises, säumten wir nicht mit der tröstenden Annahme, daß wir es noch nicht mit dem geschlossenen Eismeere selbst zu thun hätten, sondern mit einem Schollencomplex, der vielleicht durch die Matotschkin-Straße aus dem karischen Meere herausgetrieben war. Allein nur zubald machte sich die Ueberzeugung geltend, daß wir uns in der That bereits innerhalb des zusammenhängenden Eismeeres befanden, und daß die Schifffahrtsverhältnisse des Jahres 1872 dem vorangegangenen auf das ungünstigste widersprachen. Schon Tags vorher hatte Schiffslieutenant Weyprecht das »Krähennest« nahe dem Top des Großmastes befestigen lassen; unausgesetzt war nun dieses Faß der erfrischende Aufenthalt der wachhabenden Officiere.
Am 26. Juli, da wir unsern Curs in nordöstlicher Richtung verfolgten, begann das Eis dichter zu werden, wenn es gleich noch immer schiffbar blieb und sich nirgends jene schweren Felder zeigten, die uns an der Ostküste Grönlands überrascht hatten, und deren überwiegende Gefahr für die Schifffahrt schon Lütke constatirt hat.
Die Temperatur der Luft und des Wassers war rasch gesunken; sie hielt sich während der folgenden zwei Wochen fast unausgesetzt unter dem Gefrierpunkt, ohne wesentlichen Unterschied zwischen Tag und Nacht.
Das Nowaja-Semlja-Eismeer wird durch jene Unbeständigkeit der Witterung charakterisirt, welche wir in unseren Breiten dem Monat April zuschreiben, und die im Sommer in dem durch seine Windstille ausgezeichneten grönländischen Meere nur in geringem Maße vorkömmt. Schneeböen und Vereisung der Takelage wechselten mit dem herrlichsten Blau des Himmels. Das Schwarzkugelthermometer zeigte am 3. August +36° R. directe Wärmestrahlung bei +3° R. Lufttemperatur im Schatten; an solchen Tagen erschienen die unabsehbaren Eisflächen in blendendstem Licht. Die Jagd hatte begonnen und lieferte Alken und Seehunde für die Küche; selbst an das schwarze Fleisch der letzteren gewöhnten sich unsere Dalmatiner ungemein rasch.
Das Eis wurde allmälig dichter, am 29. Juli (74° 44' N. B., 52° 8' Ö. L.) vermochten wir unseren Curs nur unter Dampf fortzusetzen; schwere Stöße waren nicht länger zu vermeiden, in vielen Fällen vermochte das Schiff nur anrennend den Durchgang zu erzwingen. Fast völlig geschlossen aber lag eine Barriere in der Nacht vom 29.-30. Juli (+3½° R. Lufttemperatur) vor uns; auch hier erzwang uns diese Taktik den Weg und das Eindringen in eine größere Wacke.
Ungehindert wie auf einem Binnensee, zogen wir über die glänzende Wasserfläche dahin; nur bildeten ihre Ufer nicht blühende Büsche, sondern bewegliche blasse Eisgestalten, welche der einfallende Nebel bald in den Bereich des Phantastischen entrückte und in ein Nichts auflöste. Unsere unmittelbare Umgebung wurde dadurch ebenso körper- als farblos; nur schwache Schatten schwebten noch innerhalb der Dunsthülle, ziellos erschien unsere Bahn. Und doch lag noch vor wenigen Stunden das Feuer der Mittagssonne auf den bergigen Einöden Nowaja-Semlja's, dessen lange Küstenfront die Refraction hoch über den Eishorizont emporhob. Des Himmels eben noch zartes, von sonndurchglühten Strati überspanntes Blau sah jetzt grau und trostlos auf uns herab; nirgends übt eine so plötzliche Wandlung in der Natur eine unmittelbarere Reaction auf das Gemüth aus, wie hier im Eismeer, wo aller Reiz von der Sonne ausgeht.
Seit einigen Tagen hatten wir eine den Meisten an Bord völlig fremde Welt betreten; dichte Nebel umhüllten uns häufig, aus dem zerrissenen Schneekleide des noch fernen Landes starrten uns seine verfallenen Zinnen unwirthbar entgegen. Alles rings um uns predigte Vergänglichkeit; denn unausgesetzt herrscht das Nagen des Meeres und die geschäftige Emsigkeit des Schmelzungsprocesses an den Gefilden der Eiswelt. Bei bedecktem Himmel gibt es Nachts wohl kein melancholischeres Bild, als dieses flüsternde Hinsterben des Eises; – langsam stolz wie ein Festzug zieht die ewige Reihenfolge weißer Särge dem Grabe zu, in der südlichen Sonne. Für die Dauer von Secunden erhebt sich das immerwiederkehrende Rauschen der auslaufenden Dünung als Brandung unter den ausgehöhlten Schollen; von den überragenden Rändern der Flarden Große Eisschollen. fällt das Sickerwasser in flüsternder Monotonie herab, oder es huscht eine kleine der Stütze beraubte Schneegruppe nieder ins Meer, um zischend wie eine Flamme darin zu erlöschen. Unausgesetzt herrscht ein Knistern und Knacken, welches durch das Zerspringen der Eistheilchen hervorgebracht wird. Prächtige Cascaden Schmelzwassers brausen gedämpften Glanzes in Schleiern herab von den Eisbergen, die sich selbstvernichtend und donnernd spalten im glühenden Sonnenstrom. Schäumenden Aufruhr erregt des Titanen Sturz, und Seevögel, die auf seinem Scheitel in müßiger Beschaulichkeit gerastet, erheben sich nun erschreckt und kreischend, um sich bald darauf wieder auf einem anderen Eiskoloß zu schaaren.
Welche Veränderung aber, wenn die Sonne, von glänzenden Cirri umschwebt, durch die Nebel bricht und des Himmels Blau sich immer mehr öffnet, so daß die emporquellenden Dunstwolken bis an den Horizont zurückweichen! Die fernen Eisflöße unter der Sonne werden zu schwarzen Säumen, zwischen feuerblitzenden Canälen, in deren Spiegel die Mitternachtssonne zittert. Dieser abgewandt, liegt dann das Eis in zarter rosiger Blendung, welche nur in der Nähe klar und bestimmt auftritt und immer glühender wird, je mehr die ewige Lichtquelle dem Horizont sich nähert. Ihre Strahlen fallen schläfrig und gedämpft herab, wie durch einen Gazeschleier aus Orangefäden; alle Formen verlieren schon in geringer Ferne ihre Schärfe, die Schatten werden immer weicher, die gesammte Natur erhält ein traumhaftes Ansehen. In windfreien Nächten athmet die Luft eine Milde, welche vergessen läßt, daß wir uns in der Heimat des Eises und der Schneestürme befinden. Ziehen wir in einem Boot über den unbewegten Spiegel der Wacken, so kann ein Wal dicht neben uns aus der Tiefe tauchen, – als schwarzer glänzender Berg, – und dringt ein Schiff in die träumerische Wüste, dann ist dessen Anblick fremdartig, wie der des fliegenden Holländers. Die dichte Rauchsäule des Fahrzeuges, welche wirbelnd in die glühende Abendluft emporsteigt, verharrt als mächtige schwarze Schichte, stundenlang sich erhaltend, hoch und wie erstarrt über dem Eise, bis sie allmälig auseinanderfließt. Sinkt die Sonne Mitternachts fast bis an den Rand des Horizonts, so verstummt alles Leben, und die Eisberge, Felsen und Gletscher des Landes erglühen in rosiger Strahlenfluth, so daß wir der Verödung, welche sie so hold belebt, nicht inne werden.
Die Sonne hat ihren tiefsten Stand erreicht; sie beginnt zu steigen, und allmälig verwandelt sich der flammende Schein wieder in blendende Helle. Ihr sanft erwärmendes Licht löst den Bann der Erstarrung, die Stimme der Quellen wird lauter, die versiegten Eisbrunnen fallen wieder von den krystallenen Wänden herab. Nur die Geschöpfe pflegen noch der Ruhe; der Eisbär rastet noch eine Zeitlang hinter irgend einer Eismauer, eine Schaar von Eismöven und Tauchern sitzt rings am Schollenrande, still in sich gekehrt, sich mit den Federschultern berührend und die Köpfe unter den Flügeln bergend. Sonst ist kein Laut zu hören, es sei denn der abgemessene Schlag der Segel in der ersterbenden Brise. Endlich taucht der kluge Kopf des Seehundes – vielleicht die Meerjungfrau längst verklungener Schiffersagen – für Augenblicke über den Wasserspiegel. Reihen von Alken schwirren mit hastig kurzem Flügelschlag über die schwimmenden Inseln aus Eis, und dort, wo die Annäherung des Schiffes ungeahnt Leben und Bewegung bringt, stürzt sich eine Familie von Rotjes, keiner größer als ein Sperling, aus dem Schlafe aufgeschreckt, in die Brandung, und vom Wellenschlage hin- und herbewegt lärmen sie, – singende Punkte. Der mächtige Wal taucht wieder empor; weithin tönt sein Brausen und Blasen, welches je nach seiner Entfernung einem Seufzen gleicht, oder dem Rauschen eines Wasserfalles. Dann herrscht der Tag wieder und sein grelles Licht, vor dem alle Farbengluth und Traumhaftigkeit in Nichts zerrinnt.
Ewig wechselvolle Fluth! Nichts haftet auf deinem Angesichte. Ueber deinen glatten Leib glitten einst, durch Jahrhunderte hindurch, die fettglänzenden Castelle der Thranflotten: »der vergüldete Robbe«, – »der jonge Zeemann«, – »de vitte Bahr«, – »der wachende Kranich«, – »de Walviß met de Jonas«, – sie alle bargen ihre Fettschätze, ihr Fischbein für das Rüstzeug der Mode unter dem Convoi ernster Fregatten, aus deren Flanken der Kanonenrachen in Etagèren drohend herabstarrte. Was ist aus Euch und dem Thraneldorado Smeerenberg's geworden, aus dieser einzigen großen Fettpfanne, in welcher Hekatomben riesiger Walfischleiber zerflossen, wie der Schnee in der Augustsonne! Verlassen ist jetzt das Meer, welches selten noch ein Segel durchirrt, das der Drang nach irdischem Gewinn lenkt, seltener noch eines, das Zielen der Wissenschaft zustrebt. –
Wir hatten eine Wacke Plätze offenen Wassers im Eise. durchschifft, wieder starrte eine dichte Eisbarrière vor uns; als wir in sie eindrangen, schloß sich rings das Eis um uns, – wir waren besetzt! Das Schiff wurde an einer Scholle festgemacht, der Dampf »abgeblasen«; geräuschvoll drang sein heißer Athem durch die kalte Nebelluft. Emsig schloß das Eis jede noch offene Masche im Netze der Wasserstraßen, und bald lag es weithin so dicht, daß wir, mit einem Brett ausgerüstet, vermocht hätten, meilenweit in beliebiger Richtung zu wandern.
Am 30. Juli verharrte der »Tegetthoff« in seiner Haft; weder eine Strömung des Wassers, noch irgend eine Bewegung der geschlossen daliegenden Schollen war bemerkbar; Windstille herrschte und Nebel. Vergeblich bemühten wir uns am folgenden Tag, eine Scholle zu durchbrechen, die vor dem Steven lag. Am 1. August (74° 39' N. B., 53° Ö. L.) hatten wir noch immer Windstille; keine Veränderung zeigte sich im Eise. Den 2. August begann die Mannschaft freiwillig die mühselige Arbeit des Warpens, doch völlig erfolglos, da die Kleinheit der Schollen ein solches Manöver nicht gestattete. Abends schien uns eine frische Brise zu erlösen; allein nachdem wir einige Kabel zurückgelegt hatten, sperrte eine große Scholle abermals den Weg, gleichzeitig legte sich auch der Wind.
Endlich als der Zusammenhang des Eises sich etwas lockerte, wurde die Maschine geheizt, und in der folgenden Nacht eine breite Eisbarrière, die uns von dem offenen Landwasser Nowaja-Semlja's trennte, dampfend durchbrochen, und zwar wieder durch Anrennen und die Ausübung continuirlichen Druckes. Am 3. August Morgens drangen wir in das an zwanzig Meilen breite Landwasser nördlich von Matotschkin-Schar ein und steuerten angesichts der bergigen Küste nach Norden. Ein Eisgürtel von einhundertfünf Meilen lag hinter uns.
Das Land bot viele Aehnlichkeit mit Spitzbergen. Mit Wohlgefallen betrachteten wir seine pittoresken Gletscher und seine Gipfel, welche die Höhe von etwa zwei- bis dreitausend Fuß erreichen, die aber mit den Bergen Grönlands verglichen unansehnlich sind.
Weithin zeigte sich kein Stückchen Eis, heftige Dünung herrschte, die Lust war ungewöhnlich warm (+4° R.); erst Abends folgte Regen, am 4. August dichter Nebel und Schneegestöber, wodurch wir gezwungen wurden, im Westen der Admiralitätshalbinsel zu kreuzen. In der Nacht vom 6.-7. August trat wieder starker Schneefall ein, völlig weiß wurde das Deck. Gegen Nord und West zeigte sich dichtes Eis, und da die Lufttemperatur selbst bei Südwestwinden constant unter Null blieb, so war es offenbar, daß sich das Eis auch in dieser Richtung weithin erstrecken müsse.
Am 7. August Abends liefen wir westlich der Admiralitätshalbinsel in die weißen Barrièren ein; erst weit im Norden, jenseits eines breiten Eisgebietes, zeigte die Refraction wieder offenes Wasser und die in der Luft schwankenden Formen von Tschorny Nos.
Am 8. August Nachmittags wurde das Eis in 75° 22' N. B. rings um uns dermaßen dicht, daß wir genöthigt waren, unsere Zuflucht abermals zur Kraft des Dampfes zu nehmen. Allein Abends war der »Tegetthoff« auch mit diesem Hilfsmittel nicht länger vermögend, einen breiten Streifen dichten Eises bei Gegenwind zu durchdringen; wir hielten daher bei zurückgeschobenem Feuer, um seine Zertheilung abzuwarten. Dicht unter der Küste wurde wieder offenes Wasser bemerkt und in diesem ein Schooner. Jedermann beeilte sich, Briefe für seine Angehörigen zu schreiben; allein der Schooner, dem wir unsere Post übergeben wollten, entrann der ihm zugedachten Aufgabe, indem er in das Innere der Gwosdarew-Bai eindrang. Um 10½ Uhr Abends hatte der Wind nachgelassen und das Eis sich etwas zertheilt, daher die Fahrt in nordwestlicher Richtung dampfend fortgesetzt wurde. Sie führte uns der Sonne entgegen; der klare Spiegel ferner Canäle glühte in einem wunderbaren Carmin, die sie trennenden Eisbarrièren erschienen darin als tiefviolette Striche, nur die nächste Umgebung war fahl und kalt. Mühsam preßte sich der »Tegetthoff« durch dichte Schollenanhäufungen und erreichte um Mitternacht offenes Wasser, der Kessel wurde wieder »abgeblasen«.
Am 9. August segelten wir, vereinzelte Eisberge von dreißig bis vierzig Fuß abgerechnet, durch völlig eisfreies Küstenwasser. Diese Eisberge waren so zahlreich und so geringen Umfangs, daß sie sofort als Abkömmlinge der überall in das Meer tauchenden kleinen Gletscher Nowaja-Semlja's erkannt werden konnten. Häufig war ihre Oberfläche mit Schutt bedeckt. Am 10. August begann wieder leichtes Treibeis, zwischen welchem das Schiff nach Norden aufkreuzte. Vormittags war es nahe daran, abermals besetzt zu werden, entkam jedoch noch glücklich nach vierstündigem Warpen. Am 11. August wurde unser Curs durch vertheiltes Treibeis ungehindert in nördlicher Richtung fortgesetzt.
Das Land, von welchem wir bisher etwa acht bis zwölf Seemeilen entfernt geblieben waren, sank nun rasch von zwei- bis dreitausend auf fünfzehnhundert bis tausend Fuß herab und verlor seinen pittoresken Charakter. Mittags den 12. August machten wir dichten Nebels wegen an einer Scholle fest, deren Größe uns gestattete, mit der Abrichtung der Hunde im Schlittenziehen zu beginnen.
In der Nähe der Pankratjew-Inseln zeigte sich uns plötzlich und völlig unerwartet ein Schiff am Horizont, welches durch Pöllerschüsse und das Hissen der Flagge unsere Aufmerksamkeit zu erregen suchte. Wie groß war aber unser Staunen und unsere Freude, als wir die österreichisch-ungarische Flagge am Top des » Isbjörn« erblickten und den Grafen Wilczek, Commodore Baron Sterneck, Dr. Höfer und Herrn Burger eine halbe Stunde darauf am Bord des »Tegetthoff« begrüßen konnten. Mit dem »Isbjörn« (bekanntlich das Schiff der österreichischen Vorexpedition von 1871) von Spitzbergen kommend, hatten sie uns schon seit zwei Tagen in Sicht gehabt. Daß es ihnen aber gelungen war, mit einem Segelschiff und ohne hinreichende Ausrüstung dem selbst mit der Hilfe des Dampfes nur mühsam vordringenden »Tegetthoff« nachzufolgen, war ein Beweis ihrer Entschlossenheit, das verabredete Lebensmitteldepot auf dem Cap Nassau, selbst bei persönlicher Gefährdung, zu errichten.
Erst um zwei Uhr Nachts kehrten unsere Gäste nach dem »Isbjörn« zurück. Beide Schiffe segelten nun gemeinschaftlich und ohne jedes Hemmniß im eisfreien Landwasser, der Küste entlang, nach Norden. Erst den 13. August Vormittag stießen wir in 76° 18' N. B. und 61° 17' Ö. L. auf dichteres Eis. Nebel kam hinzu und stürmisches Wetter. Dieser Hemmnisse wegen wurden die Schiffe, auf zwei Kabellängen Abstand unter sich und eine Seemeile vom Lande entfernt, am festen Landeise verankert. Nahe im Süden lagen die Barentz-Inseln mit ihren seltsam geformten Hügeln, welche die Walroßjäger ziemlich düster »die drei Särge« genannt haben. In strahlendem Weiß erhob sich ein ungeheuerer Eisberg im Norden über das dämmernde Zwielicht des gehäuften Flächeneises. Unwillkürlich ward uns dieser Berg der Vorbote neuer Länder; denn seine Mächtigkeit widersprach seiner Abstammung von den Gletschern Nowaja-Semlja's.
Anhaltende Westsüdwestwinde, dichtes Eis, Nebel, Schneefälle, die Anlage des beabsichtigten Depots und die Nothwendigkeit seiner geographischen Positionsbestimmung zwangen uns zu einem achttägigen Festliegen vor den Barentz-Inseln. Sehr erwünscht war uns die dadurch gebotene Gelegenheit, wieder einmal Land zu betreten. Mit zwei Hundeschlitten fuhren wir wiederholt dahin, und da Professor Höfer's Beobachtungen über die Erscheinungen des Landes den natürlichen Vorzug des Geologen haben, so schalte ich seine mir gütig darüber gemachten Mittheilungen hier ein:
»Die Barentz-Inseln sind flache Eilande, welche von Klippen umringt und durch schmale Sunde von der in Terrassen aufgebauten Hauptküste getrennt sind. Ihr Gestein besteht aus einem meist schwarzen, sehr mürben Schiefer und aus häufig dazwischen gelagerten Bergkalkbänken der Steinkohlenperiode, die in ihrer Breite von ein bis zehn Meter wechseln. Letztere sind mit einer Unzahl versteinerter Bewohner des Meeres erfüllt, von Trilobiten, Muscheln, Brachiopoden, Schnecken, Crinoiden, Corallen u. s. f., wie solche dem jetzigen Eismeere vollständig fremd sind und ihre Verwandten dermalen nur die warmen Meere beleben.«
»Es ist somit diesem den Kalkfelsen der Barentz-Inseln begrabene Thierwelt ein unabweisbarer Zeuge, daß dereinst in diesen hohen Breitegraden sich ein warmes Meer ausdehnte, welches unmöglich duldete, daß sich, wie jetzt, große Gletscher in seinen Fluthen badeten. Damals kannte also auch dieser nun völlig abgestorbene und im Eise begrabene Erdtheil eine Periode des üppigen Lebens. Im Meere tummelte sich eine tausendfältige, oft zierlich gebaute Thierwelt, während das Land, wie uns die Funde auf Bären-Eiland und Spitzbergen, welche diesem Zeitalter entsprechen, beweisen, mit palmenartigen, riesigen Farrenkräutern gekrönt war. Wir heißen dieses Zeitalter der Erdgeschichte die Steinkohlenperiode; sie war die reich gesegnete Jugend des hohen Nordens, der seinen Lebensgang rascher that, dem Ersterben behender zueilte, als die noch jetzt in aller Kraft und täglichem Wechselspiele dahinlebenden südlicheren Zonen.«
»Vergleichen wir nun die in den Kalken der Barentz-Inseln begrabene Fauna mit jener gleichzeitig lebenden, welche uns aus der Steinkohlenformation Rußlands, speciell jener des Urals, bekannt ist, so finden wir nicht bloß in dem allgemeinen Charakter, sondern auch in den einzelnen Organismen eine ganz auffallende Uebereinstimmung. Viele der Versteinerungen des Kohlenkalkes von diesen hohen Breitegraden (76-77°) treten ganz übereinstimmend auch in den analogen Schichten des Ural auf, welche daselbst durch die ausgezeichneten Forschungen der russischen Geologen bis zum 50. Breitegrade herab constatirt sind. Wir wollen hierdurch nicht so sehr die große Aehnlichkeit im Schichtenbaue Nowaja-Semlja's und jenem des Ural hervorheben, so daß erstere als die wirkliche Fortsetzung des letzteren genannt werden muß, – wir haben dies anderwärts eingehend nachgewiesen, – wir wollen hiedurch nur constatiren, daß in der Carbonperiode ein Meer vom 50. bis gegen den 77. Grad, also durch 27 Breitegrade (405 geographische Meilen) sich erstreckte, welches von derselben Fauna bevölkert war und somit da wie dort ganz ähnliche Verhältnisse, insbesondere eine gleiche und zwar warme Temperatur dargeboten haben muß. Aus allen Anzeichen geht hervor, daß die gegenwärtig prägnant ausgesprochenen klimatischen Zonen auf der Erdoberfläche zur Zeit der Steinkohlenperiode noch nicht bestanden. Die horizontale Oberfläche des Landes läßt für den ersten Blick auch horizontale Ablagerungen vermuthen. Doch wir finden das Gegentheil; die einstigen wagrechten Meeresabsätze wurden später derart gehoben, daß sie nun vertical stehen. Da der weiche Schiefer rasch, die Kalkbänke dagegen nur allmälig verwittern, so läßt sich voraussetzen, daß erstere bald verschwinden und zwischen sich mauerähnliche Kalkwände stehen lassen, wie dies im Kleinen auch in der That mehrfach beobachtet werden kann. Wenn eine kurze Betrachtung der hier begrabenen Versteinerungen in uns ein Bild einstigen üppigen Lebens, eine formenreiche organische Schöpfung, gleichsam aus dem Traume erweckte, so muß uns ein Blick auf die Jetztzeit der Barentz-Inseln geradezu düster stimmen.«
»Vor uns liegt dieses schmale, graubraune Stück Erde, daneben die weiße festgefrorne See. Der ebene, kahle Boden ist bedeckt von scharfeckigen Gesteinscherben, welche wie festgestampft, wie macadamisirt zu sein scheinen. Hie und da, doch in klafterweiter Entfernung, liegt eine braungrüne Masse, einem Maulwurfshügel ähnlich. Beschauen wir sie näher, so löst sie sich in eine Unzahl Pflänzchen gleicher Art ( Saxifraga oppositifolia) auf, deren Stielchen nicht bloß von den dunkelgrünen, zierlichen lebenden Blättchen besetzt sind, sie tragen auch noch die braunen, vor so und so vielen Jahren abgestorbenen, welche wegen der herrschenden Kälte nur langsam und viel allmäliger als bei uns, verwesen können. Durch diesen braunen Ton, der sich kräftig in das dunkle Grün mischt, ist uns selbst der ersehnte Anblick frischen Pflanzengrüns verleidet. Und aus diesem Häufchen strecken überaus zarte, rosarothe Blüthen ihre Köpfchen hervor, trotzend jenem argen Schneewetter, welches dieser Tage über dem traurigen Plan herrschte. Eine andere Steinbrechart ( Saxifraga caespitosa), mit kürzeren Stielchen und gelbweißen Blüthen, liebt ebenfalls das buschige Zusammenstehen der Individuen und bildet im Vereine mit jener vorerst genannten und der mehr vereinzelt auftretenden Saxifraga rivularis die ausdauerndsten und genügsamsten Vertreter dieser in der Polarregion häufigen Pflanzenfamilie. Nennen wir noch das arktische Hungerblümchen ( Draba arctica) mit kleinen gelblichen Blumen, das ebenfalls, doch nur in Thälern, große Rasen bildet und mit seiner relativ langen Wurzel zwischen den Gesteinstrümmern kümmerlich seine Nahrung holt, gedenken wir ferner einer gelbblühenden Mohnart ( Papaver nudicaule) und einer seltenen Weide ( Salix polaris), die kaum merklich mit einigen wenigen Blättchen aus dem Boden hervor lugt, so haben wir den ganzen Blüthenreichthum jener trostlosen Oede geschildert, in welcher man vor lauter Gesteinstrümmern und Schneemassen im flüchtigen Blicke kaum des Daseins pflanzlichen Lebens gewahr wird.«
»Auch die Moose finden sich nur hie und da in feuchten Felsspalten und besonders gerne dort an der Küste, wo altes Treibholz oder Walfisch- und dergleichen Knochen eine reichliche Nahrung spenden, und breiten sich an einzelnen Stellen zu kleinen Teppichen aus. Die Flechten lieben es, unter den Gruppen der Steinbrecharten Schutz zu suchen; doch treten sie hie und da auch selbständig auf. Wir wollen aus dieser Classe bloß des sogenannten isländischen Mooses ( Cetraria islandica) und einer Renthierflechte ( Cladonia pyxidata) gedenken; die wenigen übrigen Formen sind den genannten überaus nahestehend und gehören den Erblichenen an. Eine Eigenthümlichkeit der hochnordischen Pflanzenwelt, welche wir bereits früher nebenher erwähnten, ist wohl das enge, haufenartige Zusammenstehen gleicher Individuen. Nur dadurch, daß diese zarten Organismen vereint den Kampf mit den grimmigen Elementen aufnehmen, können sie ihn bestehen, ein Grundzug der arktischen Schöpfung, dem wir auch im Thierreiche, wenn ihm nicht die Art und Weise der Ernährung entgegentritt, wieder begegnen. Wir wollen deßhalb nur nebenher auf die Herden von Renthieren, Lemmingen, Walrossen, Seehunden u. s. f., schließlich auf die Vogelberge verweisen, welche ja alle den einen Gedanken: »Gemeinsame Gefahr erzeugt vereinte Abwehr« illustriren.«
Die gezwungene Muße vor den Barentz-Inseln gestattete uns, einige unerläßliche Vorbereitungen für die zu erwartenden ferneren Kämpfe mit dem Eise auszuführen; denn in vielen Fällen muß ein Schiff im Eise darauf gefaßt sein, von diesem zerdrückt zu werden und binnen wenigen Minuten zu sinken, wie dies einige Tage vorher in unserer Nähe mit den Jachten »Valborg« und »Island« geschehen war. Proviant für vier Wochen, Munition etc. wurden in Bereitschaft gebracht, Jedermann mit seiner besondern Pflicht vertraut gemacht, sobald es zum Aeußersten kommen sollte. Um den bevorstehenden Pressungen des Eises entgegenzuwirken, wurden schwere Balken über den Schiffsrumpf senkrecht herabgehängt, durch welche der Druck auf das Schiff auf eine größere Fläche vertheilt und dieses selbst gehoben, anstatt zerdrückt werden sollte.
Auf Deck hatte die ursprüngliche Beengtheit etwas abgenommen; nur die vielen Schlitten, das eingesammelte Treibholz und die Räder boten noch manches Hemmniß, die angeketteten Hunde ebenso viele Hinterhalte. Sie nöthigten Diejenigen zu weiten Umwegen, welche bisher nicht vermocht hatten, ihre Liebe zu erwerben. Die armen Thiere litten, obdachlos, bei dem rauhen Wetter dieser Zeit nicht wenig; doch bald sollten sie Hütten erhalten. Sumbu und Pekel, die beiden Lappen, ertrugen alles Ungemach am besten und schliefen völlig eingeschneit, ohne sich zu regen. Nur nach langem Widerstreben hatten sich die Hunde an rohes Seehundsfleisch gewöhnt; anfangs pflegten sie Jeden anzubrummen, der ihnen solches bot.
Am 14. August bedrohte uns das Heranrücken einer unübersehbaren Packeisfront; sie schloß uns in den kleinen Einbuchten des Landeises ein und legte den »Isbjörn« etwas auf die Seite. Abends kam ein Bär in die Nähe dieses Fahrzeuges, von welchem aus er durch Professor Höfer und Kjelsen, den Capitän desselben, erlegt wurde. Am folgenden Tage zogen Graf Wilczek, der größte Theil der Mannschaft, ich und die Hunde mit sämmtlichen Schlitten aus und schafften den zurückzulassenden Proviant, 2000 Pfund Roggenbrod in Fässern, 1000 Pfund Erbswurst in Blechkisten eingelöthet und in Holzkisten verpackt, über das Landeis zur Küste der Barentz-Inseln. Hier, in einem weiten Felsspalte, wurde das Depot angelegt und sein Eingang durch mächtige Felsblöcke versperrt. Gegen Bären war es gesichert; auf die Rechtlichkeit der russischen oder norwegischen Fischer durften wir bauen, nur im Falle der zwingendsten Noth würden diese davon Gebrauch gemacht haben. Dieses Depot hatte den Zweck, der Expedition als erster Zufluchtsort zu dienen, falls sie des Schiffes verlustig würde.
Am 18. August waren beide Schiffe beflaggt, ein gemeinsames Mahl vereinigte uns zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Kaisers und Königs Franz Josef I. Am 20. August holten wir noch einiges Treibholz vom Lande und gewahrten von dessen Höhen aus eine mit Treibeis bedeckte Wacke, welche sich nahe der Küste nach Norden hin erstreckte. Zum Schiffe zurückgekehrt, stießen wir auf einen Bären, welcher sofort, von vielen Jägern angegriffen, die Flucht ergriff.
Am 20. August schienen einige Veränderungen im Eise die Wiederaufnahme der Schifffahrt zu ermöglichen; somit traten wir am folgenden Tage an Bord des »Isbjörn«, um uns vom Grafen Wilczek, dem Commodore Baron Sterneck, Professor Höfer und Herrn Burger zu verabschieden. Es war kein gewöhnlicher Abschied. Erregt eine Trennung unter Menschen, die an sich schon geschieden sind von der übrigen Welt, das Gemüth in höherem Maße als sonst, so geschah sie hier unter den mächtigsten Gründen innerer Bewegung. Gegenüber Graf Wilczek bedeutete er zugleich den Dank für die Ermöglichung eines Werkes, dessen Durchführung schon mit dem nächsten Schritte begann. Wir waren uns dessen bewußt, wie berechtigt die Erwartungen eines Mannes waren, der nicht nur eine seltene Opferwilligkeit bewiesen hatte, unser Unternehmen zu ermöglichen, sondern der auch die Gefährdung seiner eigenen Person nicht gescheut hatte, es selbst noch im Falle einer Katastrophe nach Kräften zu sichern. Unser hochherziger Freund war in diesem Augenblick aber auch die Verkörperung unseres Vaterlandes, welches unser Vorhaben ermöglicht und durch vertrauensvolle Zuversicht geehrt hatte. Ein solches Bewußtsein fand eine würdige Folge nur in dem Willen, alle unsere Kräfte der Erreichung unseres Zieles zu weihen. Wie oft nachher stand diese Trennung vor unserer Seele!
Dampfend fuhren wir bei trüber Luft und frischem Nordostwind am »Isbjörn« vorbei nach Norden; bald war dieser dunstverhüllt unseren Blicken entschwunden. Die beschwerliche Rückfahrt dieses Schiffes nach Europa ist bekannt, – uns hat sein Schicksal später, im Hinblick auf unsere eigene Lage, mit schwerer Sorge erfüllt.
Indeß hatten sich unsere Aussichten in Bezug auf unsern Reisezweck sehr verschlimmert. Es war kaum mehr daran zu denken, den weiten Eismeerweg bis Cap Tscheljuskin noch in diesem Jahre zurückzulegen, wie wir ursprünglich gehofft hatten; dennoch erschien uns der Gedanke, im Norden Nowaja-Semlja's zu überwintern, geradezu unerträglich. Immer geringer wurde das fahrbare Wasser, besonders in der Nachbarschaft der Küste schien das Eis an Dichtigkeit zuzunehmen. Nachmittags liefen wir in eine Wacke ein; aber schon in folgender Nacht verwehrten geschlossene Eisbarrièren auch hier das Vordringen, und um ihre Zertheilung abzuwarten, wurde das Schiff an einer Scholle festgemacht und der Dampf »abgeblasen«. Unsere Position war damals ungefähr 76° 22' N. B., 62° 3' Ö. L. Fünf Walrosse, die unser Eindringen in jene unheilvolle kleine Wacke erwartet hatten, sprangen, als wir anlangten, plötzlich ins Wasser und verschwanden.
Verhängnißvoll war der Verlauf dieses Tages; fast unmittelbar nach dem Festmachen des Schiffes an jener Scholle, drängte das Eis von allen Seiten heran und schloß uns völlig dicht ein. Bald gab es kein Wasser mehr um uns, niemals wieder sollten wir unser Fahrzeug in solchem sehen! – Es ist ein Glück für den Menschen, daß er Wandlungen des Geschicks, welche seine moralische Widerstandskraft jahrelang auf eine schwere Probe stellen, durch die unausrottbare Hoffnung auf baldige Befreiung zu bestehen vermag, und daß er niemals die lange Reihe der ihm vorbehaltenen Täuschungen überblickt. Verzweiflung hätte uns erfüllen müssen, hätten wir an diesem Abend gewußt, daß wir fortan verdammt seien, willenlos den Launen des Eises zu folgen, daß das Schiff niemals wieder seinen Beruf werde erfüllen können, daß alle Erwartungen, mit welchen unsere Freunde vor wenigen Stunden noch den »Tegetthoff« nach Norden dampfen sahen, schon jetzt eitel und vernichtet waren, damit auch alle unsere stolzen Hoffnungen, – daß wir nicht mehr Entdecker waren, sondern unfreiwillige Passagiere des Eises.
So aber hofften wir von Tag zu Tag, durch Jahre hindurch, auf die endliche Stunde der Befreiung! Zuerst suchten wir sie in Stunden, dann in Tagen und Wochen, dann in bestimmten Jahreszeiten und dem Wandel der Stürme, endlich in der Gunst neuer Jahre. Aber sie kam niemals, diese Stunde! Dennoch durchdrang den niederbeugenden Eindruck so fortgesetzter Enttäuschungen immer wieder das Licht der Hoffnung, welches den Menschen ja hinwegträgt über alles Leid.