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Seehundsjagden. – Gesundheitsverhältnisse. – Der Herbst des Eismeeres. – Erwarten des zweiten Winters. – Anblick neuer Länder, plötzliche Verwandlung unserer Lage. – Treiben im Südosten des Landes. – Vergeblicher Versuch, es zu betreten.
Der Ausgang des Monats August verlief unter eifrigen Seehundsjagden; denn die Scorbutfälle, welche wir für den nächsten Winter befürchteten, vermochten wir nur durch frisches Fleisch einigermaßen zu bekämpfen, wenn nicht gar ihnen vorzubeugen. Tag für Tag lauerten die Ketten der Jäger vor den Sprüngen am Rand unserer Scholle, und Abends zogen die Hunde gewöhnlich mehrere Seehunde nach dem Schiffe heim. Bei diesen Jagden geschah es leider nicht selten, daß getroffene Seehunde versanken, was unausbleiblich war, wenn das Aufsteigen der letzten Luftblase aus der Lunge des langsam sinkenden Thieres seinen Tod verrieth. Die Seehunde gehörten fast alle der Classe Phoca grœnlandica an; Walrosse waren niemals zu erblicken, nur einmal stießen wir auf einen Schwarm von Weißwalen in einer Wacke. Sie schienen jedoch nur im Durchzuge begriffen. Beim Fang der Seehunde bedienten wir uns eines leichten Bootes aus wasserdichtem Segeltuch. Zwei Mann genügten, es aus dem Wasser zu ziehen; etliche unserer Leute hatten sich zu Harpunieren herangebildet. Bis Ende September erlegten wir auf diese Weise etwa 40 Seehunde, und da wir außerdem auch alle Vögel schossen, die uns umkreisten, und etwa jede Woche einen Bären, so litten wir selten mehr völligen Mangel an frischem Fleisch. Mit Ausnahme des lungenkranken Maschinisten Krisch und des Zimmermanns, der seit Mitte Juli durch eine scorbutische Contraction der Beine immer hinfälliger geworden war, hatten sich alle Kranken durch den Einfluß der Arbeit im Freien und der verbesserten Nahrung erholt.
Die zusammenhängende Decke eines tiefen und erweichten Schnees, welche uns bisher zur Last gefallen, war jetzt beim Beginn des Herbstes fast verschwunden, die Oberfläche des Eises durch die Verdunstung zu einer dem festen Firnschnee ähnlichen Masse umgewandelt worden, so daß wir einigermaßen erstaunt waren, endlich hart auftreten zu dürfen, ohne uns wie bisher schuhtief einsinkend im Schnee mühsam fortzuschleppen. Nur die zahllosen kleinen Eisseen, welche die Schollen bedeckten, bildeten noch ein Hinderniß des Marsches, da sie zu beständigen Umwegen nöthigten. In allen diesen Zügen sprach sich das Herannahen des Winters aus, und es schien, als sollten wir ihn, unaufhaltsam nach Norden getrieben, näher dem Pole verbringen, als irgend eine Expedition vor uns.
Am 25. August war die Sonne um Mitternacht zum ersten Male untergegangen; die bis zu ihrem völligen Verschwinden noch übrige Zeit kann man als den Herbst des Eismeeres betrachten. Schon seit längerer Zeit hatte sich das Licht dermaßen vermindert, daß unsere Wohnräume Nachts wieder düster wurden, und vom 19. Juli an trat die Nöthigung ein, uns eines Lichtes zu bedienen, sobald wir Mitternachts zu lesen wünschten. Am 29. August, nach Regen und Schneefall und darauf folgendem Nordwinde, starrte das Schiff in einem Kleide aus Eis. Zolldick war die Takelage mit Eiskrusten belegt; in pfundschweren Stücken stürzten die sich ablösenden Eisklumpen auf Deck herab, so daß es sehr unbequem war, darüber zu gehen. Mehrere Male wiederholte sich die Vereisung und das Aufthauen des äußeren Schiffes; endlich trat völlige Erstarrung ein, und wenn in der folgenden Winternacht der Mond am Himmel stand, so prangten die Masten und Taue des Schiffes gleich Silberstrahlen.
Der Sommer war zu Ende. Er hatte uns Befreiung verheißen, geduldig hatten wir seinem Wirken geharrt. Mit trauriger Entsagung aber sahen wir jetzt einem zweiten Winter entgegen, durch seine Erfolglosigkeit demüthigend und durch seine Gefahren schrecklich; wieder bewies es sich, wie groß die menschliche Fähigkeit in Ertragung von Widerwärtigkeiten ist, wenn man nicht plötzlich, sondern nur allmälig bis zu ihren Tiefen hinabsteigt. Wenige Monate vorher wäre uns der Gedanke unerträglich gewesen, daß unser Schicksal untrennbar an unsere bisherigen Fesseln geknüpft sein sollte, und jetzt, da diese unerträgliche Vorstellung zur That geworden, ertrugen wir sie dennoch. Allein so oft wir auf Deck traten und die Wüste überblickten, die uns unentrinnbar gefangen hielt, eben so oft erneute sich der verzweiflungsvolle Gedanke, daß wir schon im nächsten Jahre nach Oesterreich -Ungarn zurückzukehren hätten – baar des erwarteten Erfolges, lediglich mit der Geschichte einer Trift im Eise. Und dennoch, jetzt da es Niemanden mehr gab, der noch an eine Verwirklichung unserer einstigen Pläne glaubte, lag ihre Erfüllung unmittelbar vor uns.
Ein denkwürdiger Tag war der 30. August 1873 (in 79° 43' Breite und 59° 33' Länge); er brachte eine Ueberraschung, wie sie nur in der Wiedergeburt zu neuem Leben liegt. Es war um die Mittagszeit, da wir über die Bordwand gelehnt, in die flüchtigen Nebel starrten, durch welche dann und wann das Sonnenlicht brach, als eine vorüberziehende Dunstwand plötzlich rauhe Felszüge fern in Nordwest enthüllte, die sich binnen wenigen Minuten zu dem Anblick eines strahlenden Alpenlandes entwickelten! Im ersten Momente standen wir Alle gebannt und voll Unglauben da; dann brachen wir, hingerissen von der unverscheuchbaren Wahrhaftigkeit unseres Glückes, in den stürmischen Jubelruf aus: » Land, Land, endlich Land!« Keine Kranken gab es mehr am Schiffe; im Nu hatte sich die Nachricht der Entdeckung verbreitet; Alles war auf Deck geeilt, um sich mit eigenen Augen Gewißheit darüber zu verschaffen, daß wir ein unentreißbares Resultat unserer Expedition vor uns hatten. Zwar nicht durch unser eigenes Hinzuthun, sondern nur durch die glückliche Laune unserer Scholle und wie im Traum hatten wir es gewonnen; immerhin aber schien die Möglichkeit gegeben, daß es uns gegönnt sein werde, Größe und Beschaffenheit dieses wie durch einen Zauber aus der Eiswüste emportauchenden Landes durch eigene Anstrengungen kennen zu lernen. Doppelt schmerzlich fiel unser Blick zugleich auf unsere unaufhaltsam dahinziehende Scholle, auf die Abhängigkeit von ihrer Willkür, auf das Abhandensein eines Winterhafens, von dem aus allein die Erforschung des Landes hätte mit Sicherheit vorgenommen werden können. Zur Zeit jedoch lag das Betreten des Landes außer dem Bereiche jeder Möglichkeit; wer die tragende Scholle verlassen hätte, wäre abgeschnitten und verloren gewesen; nur unter dem Eindrucke der ersten Aufregung waren wir über unser Eisfeld dahingeeilt, obgleich wir wußten, daß unzählige Sprünge das Land uns unnahbar machten! Am Rande unserer Scholle angelangt, etwa vier Meilen von dem Schiffe aus und an fünfzehn Meilen von der nächst gelegenen Küste entfernt, spähten wir von einer Anhöhe aus nach den Gliedern, Bergen und Gletschern des räthselhaften Landes. Seine Thäler dachten wir uns damals mit Weiden geschmückt und von Renthieren belebt, welche im ungestörten Genuß ihrer Freistätte weilen, fern von allen Feinden.
Jahrtausende waren dahingegangen, ohne Kunde von dem Dasein dieses Landes zu den Menschen zu bringen. Und jetzt fiel einer geringen Schaar fast Aufgegebener seine Entdeckung in den Schooß – als Preis ausdauernder Hoffnung und standhaft überwundener Leiden – und diese geringe Schaar, welche die Heimat bereits zu den Verschollenen zählte, war so glücklich, ihrem fernen Monarchen dadurch ein Zeichen ihrer Huldigung zu bringen, daß sie dem neuentdeckten Lande den Namen
Kaiser Franz Josephs-Land
gab.
Aus eisernen Kaffeeschalen hatten wir auf Deck mit rasch bereitetem Grog ein Hoch auf unsern Kaiser getrunken und unser Schiff beflaggt. Alle Sorge schwand für jetzt, mit ihr auch die passive Gleichförmigkeit unseres Lebens. Es gab keinen Tag, keine Stunde mehr, in welcher dieses geheimnißvolle Land nicht unsere Aufmerksamkeit völlig erfüllte, und die Frage, ob dieser oder jener Vorsprung in nebelgrauer Ferne ein Berg, eine Insel oder ein Gletscher sei, beherrschte unsere Gespräche. Noch vergeblicher aber war unser Bemühen, das Räthsel von der Größe des vor uns liegenden Landes zu lösen. Von der zuerst gesehenen Berghöhe (Cap Tegetthoff, – sein erstes Denkmal!) angefangen bis zu seinen umflorten Umrissen im Nordosten besaß seine Front etwa die Ausdehnung eines Breitegrades; doch weil seine südlichsten Theile in großer Entfernung von uns lagen, so war es unmöglich, die topographische Configuration auch nur des Nächstgelegenen sich annähernd zu versinnlichen. Die Eisberge, die wir im Laufe der letzten Wochen in wachsender Zahl angetroffen hatten, fanden in der Auffindung dieses Gebirgslandes nunmehr ihre sehr natürliche Erklärung und waren für sich selbst ein Zeugniß seiner Ausdehnung und mächtigen Begletscherung.
Ende August und Anfangs September trieben uns Nordwinde etwas nach Süden herab, so daß wir das Land in wechselnden Contouren von abnehmender Schärfe erblickten. Ende September aber wurden wir wieder nach Nordosten geführt und erreichten 79° 58' Nord, die höchste Breite, bis zu welcher der »Tegetthoff« mit seiner Scholle getrieben wurde. Auf die Entfernung von zwölf Seemeilen erblickten wir jetzt eine Inselgruppe, die Hochstetter-Inseln, vor uns. Deutlich erkannte man ihre Felszüge, und günstiger als je vorher schien die Gelegenheit, das Land durch einen forcirten Marsch zu erreichen. Vielleicht war es die einzige und zugleich letzte Gelegenheit, die sich uns bot; denn nur zu begründet war die Befürchtung, daß uns die Winde binnen kurzer Zeit wieder außer Sicht des Landes treiben würden. Etwa sechs Mann verließen die Scholle des »Tegetthoff« und vertrauten sich dem Zufall an, welchen die Bewegung des aufgeworfenen Eises barg. Ueberall lagen Bilder der Zermalmung; die Ostwinde der letzten Tage hatten alles Eis ans Land gedrängt, die dadurch entstandenen Pressungen den Umkreis unserer Scholle zerstampft und diese selbst in hohem Maße verkleinert. Mit ungestümer Hast eilten wir über die ächzenden Trümmerwälle des treibenden Eises, und so groß war unser Eifer, daß wir selbst das wiederholte Einbrechen des Einen oder Andern völlig unbeachtet ließen. Das Land wollte Jeder erreichen, das Land, das uns nichts bot, als die Gefahr des Abgeschnittenwerdens, die unfruchtbare Befriedigung unserer Ungeduld! Schon hatten wir etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt, und längst war das Schiff unseren Blicken entschwunden; da kam Nebel, hüllte alle Glieder des ragenden Eises ein, und gleich hohen Bergen dämmerten seine Gerüste durch die trübe Luft. Und da wir auch vom Lande nichts mehr sahen, so blieb uns nichts übrig, als umzukehren und zurück durch das dampfende und rasselnde Chaos den Weg zum Schiffe zu suchen: Eine geringe Hilfe nur war der Compaß; als wir innerhalb der Barrièren frischgebrochenen Eises unsere Spur verloren, war auch unsere Orientirung dahin, weil sie nicht von allgemeinen Richtungen abhing, sondern von der genauen Kenntniß des Ausweges und desjenigen Pfades, der uns bis hierher geleitet hatte. Wir hatten eine falsche Richtung eingeschlagen und dabei beharrt, obgleich Jubinal, der Pfadfinder, immer wieder bellend zurücklief und sich, im Nebel zu einem Ungeheuer vergrößert, der Gefahr aussetzte, für einen Bären gehalten zu werden. Was alle Weisheit von uns Sechsen nicht vermocht hatte, das gelang dem Instinct des Thieres; als wir ihm nach erschöpfenden Anstrengungen endlich unsere Führung überließen, brachte er uns wirklich auf den alten Weg und nach dem Schiffe zurück.