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1872-1874.
Einleitung. – Abfahrt von Bremerhafen. – Ladung. – Die norwegische Küste. – Besatzung. – Tromsö. – Verlassen Europa's.
Ein mühevoller Weg ist die Reise in die innere Polarwelt. Alle geistigen und körperlichen Kräfte muß der Wanderer, der ihn betritt, aufbieten, um dem Geheimnisse, in das er dringen will, eine dürftige Kunde abzuringen. Mit unsäglicher Geduld muß er sich wappnen gegen Täuschung und Mißgeschick, sein Ziel selbst noch verfolgen, wenn er ein Spiel des Zufalls geworden ist. Nicht die Befriedigung des Ehrgeizes darf dieses Ziel sein, sondern die Erweiterung unserer Kenntnisse. Jahre verbringt er in der furchtbarsten Verbannung, fern von seinen Freunden, von allem Lebensgenuß, umringt von Gefahren und der Last der Einsamkeit. Darum kann ihn nur das Ideale seines Zieles tragen; sonst irrt er, geistigem Zwiespalt verfallen, durch innere und äußere Leere.
Mit welch' befangenen Voraussetzungen aber betritt der Neuling den rauhen nordischen Weg; denn alle Bücher waren nicht vermögend, ihm die Wahrheit zu eröffnen. Er weiß noch nichts von dem unentrinnbaren Fatum, dem er verfüllt, sobald er die Schwelle des Eises überschreitet; er mißt die Größe der zu erwartenden Uebel nach der physischen Qual der Kälte und Stürme, anstatt nach den moralischen Entbehrungen, die seiner harren.
Im Jahre 1868, während der Aufnahme der Ortler-Alpen, drang einst ein Zeitungsblatt mit einer Nachricht von der deutschen Vorexpedition Koldewey's bis zu meinem im Gebirge gelegenen Zelte. Ich hielt den Hirten und Jägern, die meine Begleitung ausmachten, Abends beim Feuer einen Vortrag über den Nordpol, von Staunen erfüllt, wie es Menschen geben könne, die weit mehr als Andere befähigt seien, die Schrecken der Kälte und Finsterniß zu ertragen. Damals hatte ich noch keine Ahnung, daß ich schon ein Jahr später selbst Theilnehmer einer Nordpol-Expedition sein würde, und ebenso wenig konnte Haller, damals einer meiner Jäger, voraussetzen, daß er mich auf meiner dritten Reise begleiten würde.
So war es auch jetzt wieder bezüglich jener dreiundzwanzig Männer, die am 13. Juni in Bremerhafen zeitig Morgens das Schiff betraten, um ihr Geschick mit diesem zu verbinden, und zwar bis zum Ende; denn durch einen Revers hatten wir uns sämmtlich verpflichtet, auf jede Expedition zu unserer Rettung zu verzichten, falls wir selbst unvermögend wären, zurückzukehren. Das ideale Ziel unserer Reise war die nordöstliche Durchfahrt; ihr eigentlicher Zweck aber galt der Erforschung der Meerestheile oder Länder im Nordosten von Nowaja-Semlja.
Ein heiterer Tag lag über uns; keines Auguren Stimme hätte die frohen Hoffnungen zu steigern vermocht, welche Jeden von uns belebten. Freunde aus Oesterreich und Deutschland waren gekommen, uns ein letztes Lebewohl zu sagen. Geräuschlos, schlicht, wie es das Versprechen stets sein soll vor erfüllter That, war unser Auszug.
Um sechs Uhr Morgens zog der »Tegetthoff« durch die Schleusen, dann die Weser hinab, geschleppt von einem städtischen Dampfer. Mit jener hohen Befriedigung, wie sie nur in der endlichen Erfüllung eines jahrelangen Planes liegt, schwammen wir den weiten Strom hinab. Da lagen dieselben Auen, Bäume, Wiesen, die uns einst bei der Rückkehr von Grönland so sehr entzückt hatten. Doch unbeirrt sahen wir alle Reize der Schöpfung sich verjüngen und erlöschen, mehr und mehr sank das Land hinter uns; Abends war die deutsche Küste unsern Blicken entschwunden. Mit dem Gefühl des Scheidens für lange Zeit, doch nicht aus dem Gedächtnisse unserer Heimat, wandten wir unsere Gedanken der Entwicklung unseres neuen Lebens in dem engen Raum eines Schiffes zu; Jeden beseelte der Wunsch nach Arbeit und Eintracht. Wie oft fortan unsere Reise abhängig sein würde vom Unberechenbaren und Geringfügigen, wurden wir schon jetzt inne, als wir bei fast völliger Windstille und ohne Dampf in das geringe Fahrwasser Helgolands geriethen. Was wäre aus der Expedition geworden, hätten wir nicht noch rechtzeitig wahrgenommen, daß wir nur mehr wenige Fuß Wasser unter dem Kiele hatten!
Das Schiff, 220 Tons groß, war für 2½-3 Jahre ausgerüstet worden, hatte etwa 30 Tons Ueberlast an Bord genommen; dadurch war unsere Beschränkung in den Räumlichkeiten unvermeidlich. Doch war die Cajüte, welche Weyprecht, Brosch, Orel, Kepes, Krisch und ich bewohnten, weitaus jener vorzuziehen, in welcher wir einst, acht Menschen, auf der grönländischen Expedition zusammengedrängt gewesen waren. Verhältnißmäßig übergroß war die Belastung des »Tegetthoff« mit Kohlen, – 130 Tonnen. Dieser Vorrath sollte nicht allein zur Bestreitung unserer täglichen Bedürfnisse hinreichen, sondern auch dienen, etwa 50 bis 60 Tage (zu je 24 Stunden) im Eise zu dampfen. Die Oekonomie gebot jedoch, uns selbst in diesem so viel als möglich nur der Segel zu bedienen.
Schiff und Maschine (100 effective Pferdekräfte) hatten sich sowohl bei der am 8. Juni stattgefundenen Probefahrt, als auch bei der folgenden Reise trefflich bewährt, und der Firma Teklenborg und Beurmann, welche bereits das zweite musterhafte Polarfahrzeug geliefert hat, gebührt dafür unser wärmster Dank.
Wenig begünstigt durch die Winde, brauchten wir lange Zeit, um die Nordsee zu durchschiffen und die norwegische Küste zu erreichen.
Mein Tagebuch beschreibt diese Fahrt wie folgt: »Vor einem stetigen leichten Wind aus Süden verfolgt der »Tegetthoff« seine einsame Bahn durch das unendliche Meer. In ungetrübter Klarheit breitet sich über uns der blaue nordische Himmel, die Luft ist sonnig und milde. In blauer Ferne starrt der eherne Wall unzähliger Klippen, welche die Felswüsten Norwegens umgürten. Selten naht eine Möve, rastet ein Vogel auf seinem weiten Wege auf der Spitze eines Mastes, irrt ein Hai in unheimlicher Hast um das Schiff. Dann und wann zeigt sich ein Segel am Horizont, – sonst kein Leben, kein Ereigniß! Jeder fühlt, ohne es auszusprechen, daß er einer ernsten Zeit entgegengeht; Jedem steht auch frei, heute noch zu hoffen was er wünscht; denn vor Keinem öffnet sich ein Blick in die Zukunft. Ein Gefühl aber belebt Alle, das Bewußtsein, daß wir, in einem Kampfe für wissenschaftliche Ziele, der Ehre unseres Vaterlandes dienen, und daß man unsern Schritten daheim mit regster Teilnahme folgt. Unter der Flagge des »Tegetthoff« hört man alle Sprachen unseres Vaterlandes im wirren Durcheinander, Deutsch, Italienisch, Slavisch und Ungarisch; doch ist Italienisch die Schiffssprache.
»Frohsinn belebt die Mannschaft; Abends trägt ein leichter Wind die heitern Gesänge der Italiener fort über das blaue Meer, über welchem die mitternächtliche Sonne glüht, oder es erweckt der gleichförmige Rhythmus des Ludro der Dalmatiner die Erinnerung an ihre sonnige Heimat, welche sie bald mit einem Gegensatze vertauschen sollen, der selbst ihrer Phantasie noch ein Geheimniß ist. Gewiß ein harmloser Beginn einer jahrelangen Reise in das nördliche Eismeer! In wenigen Wochen ächzt das Eis an den Rippen des »Tegetthoff«, die krystallene Schaar der Eisberge wird ihn umringen, mühsam wird das Schiff seine Bahn durch die eisige Einöde erpressen, bald dicht eingeschlossen, bald frei im Küstenwasser, oder rings bedroht vom unheilkündenden Eisblink.«
Die Besatzung des »Tegetthoff« bestand aus 24 Mann, und zwar wie folgt:
Stürmisches Wetter hatte uns einige Zeit bei den Lofodden aufgehalten, so daß wir erst am 3. Juli in Tromsö anlangten. Hier empfing uns der österreichisch-ungarische Consul Herr Andreas Aagaard auf das zuvorkommendste und lud uns zu einem Banquett; unsere Weiterfahrt verzögerte sich eine Woche, da die Ausrüstung unseres Schiffes noch einiger Ergänzungen bedurfte.
Das Schiff, welches seit Bremerhafen täglich übermäßig geleckt hatte, wurde durch Taucher untersucht, entladen, ausgebessert und wieder beladen. Unsere Kohlenvorräthe wurden ergänzt, ein norwegisches Fangboot und der Harpunier Capitän Olaf Carlsen an Bord genommen.
Am 6. Juli erhielten wir die letzten Nachrichten aus Oesterreich, Briefe und Zeitungen. Auch der von der russischen Regierung erbetene Ukas war eingetroffen, und zwar für den Fall einer Trennung sowohl für Weyprecht, als auch für mich ausgefertigt, ein Document von großer Wichtigkeit, wenn wir unser Schiff verlören und durch Sibirien zurückzukehren hätten. Ein solcher Ausgang unserer Reise war aber bei der ungeheuern Länge der hindernißreichen Nordostdurchfahrt nur zu leicht zu erwarten.
Während Schiffslieutenant Weyprecht das Leck des Schiffes behob, bestiegen einige von uns den 4000 Fuß hohen Sallas noivi, einen im Fjordlabyrinthe Tromsö's dominirenden Felsgipfel, um unsere Aneroïde mit dem Quecksilberbarometer zu vergleichen. Ein Lappe, Namens Dilkoa, war unser Führer. Von dem Gipfel des Berges aus sahen wir eine ungeheure schwarze Rauchsäule bei ruhiger Luft etwa 1500 Fuß senkrecht aufsteigen, – das Nordende Tromsö's stand in Flammen.
So gerne wir schon jetzt Erkundigungen über die Eisverhältnisse dieses Jahres eingezogen hätten, so war dies doch zur Zeit noch unausführbar; denn noch war keiner der Walroßjäger von den Fangplätzen im Norden zurückgekehrt.
Samstag den 13. Juli Vormittags wohnten wir mit der gesammten Mannschaft einer heiligen Messe bei, welche ein französischer Priester las, und dann empfingen wir an Bord die scheidenden Tromsöer Freunde. Sonntag Früh verließen wir die stille kleine Hauptstadt des europäischen Nordens. Der Hamburger Postdampfer, welcher eben in den Hafen einfuhr, begrüßte uns durch anhaltende Zurufe seiner Passagiere, und dann zogen wir unter Dampf durch die engen Straßen des Qual- und Gröt-Sundes und nahe den Klippen von Sandö und Rysö dem offenen Meere zu. Capitän Carlsen diente uns dabei als Lootse. Als wir aus den Scheeren traten, kam Nebel und umhüllte den gewaltigen Felsthurm Fuglö. Hier wurde das Feuer in der Maschine gelöscht und die Segel gesetzt.
Die letzte kurze Seereise begann, welche dem »Tegetthoff« noch beschieden war. Am 15. Juli segelten wir angesichts der gletscherreichen norwegischen Küste nach Norden, am 16. Juli kam das Nordcap Europa's in blauer Ferne in Sicht.