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Das Leben im Schiffe.

Anblick des Schiffes. – Cajüte der Officiere. – Condensation der Feuchtigkeit. – Temperatur. – Ventilation und Heizung. – Beleuchtung. – Fernere Uebelstände. – Sonstige Einrichtung. – Bibliothek. – Hängende Gärten. – Moränen. – Das Weindepot. – Spiritus- und Petroleumdepot. – Lebensweise der Bewohner. – Gottesdienst. – Mahlzeit. – Kein Theater. – Einsamkeit und Einförmigkeit des Lebens. – Gesundheitsverhältnisse. – Besuch im Mannschaftsraume.

 

Als weißes Gespenst streckt das Schiff seine Arme gegen den Himmel, – eine stumme Klage und grause Ironie seiner Bestimmung, lagert es hoch auf einem Berge – nicht auf einem Wasserberge, sondern auf einem Berge von Eis. Ein Festungswall aus Schnee und Eis umgibt seinen Leib – in hohen Wehen hingebaut, wie unter einer Felswand. Schnee lagert auf seinem Deck – gleich wucherndem Unkraut vor der Thür des Gemiedenen – und in eisigen Strahlen starrt das Tauwerk. Sähen wir durch seine Wände, so erblickten wir vierundzwanzig Menschen, in zwei Räume abgetheilt, unter den Sonnen zweier Lampen. Besuchen wir sie und zwar zuerst die Cajüte der Officiere im rückwärtigen Theile des Schiffes. Alles schläft noch, ungestört prüfen wir zuerst die Einrichtung, dann das Treiben der Menschen.

Eine wichtige Frage arktischer Ueberwinterungen ist die Bewahrung einer gesunden Luft im Wohnraume und eine gleichmäßige Erwärmung. Nur das Erste, nicht aber auch das Letztere, wird durch den raschen Wechsel der Luft erzielt, indem einige Löcher unten zum Einströmen, oben zum Ausströmen derselben angebracht sind. Nicht gering sind die Kämpfe, alle Uebel auszugleichen, welche dabei wahrgenommen werden – ihre Aufzählung soll die mangelnde Erfahrung künftiger Unternehmer unterstützen.

Waren unsere Einrichtungen auch manchem Fehler unterworfen, so hatten wir doch nie über jene weitaus größeren Uebelstände zu klagen, welche frühere Expeditionen, ja selbst die letzte deutsche Nordpol-Expedition in Grönland erdulden mußte, durch die Massen-Condensation des Wasserdampfes zu Eis. Gegen diesen Feind schützten uns vor Allem die Schneeumwallung des Schiffes, die Eindeckung der Cajüten-Deckfenster, die Auskleidung der Räume mit vulcanisirten Kautschuktapeten, die allgemeine Achtsamkeit und die über den Cajütentreppen erbauten Hütten: Condensatoren im Großen für alle Feuchtigkeit, welche die Kleidungsstücke in die Wohnungen hinabtrugen. Bevor ich jedoch auf die unvermeidlichen Uebelstände eingehe, welchen wir durch die Eisbildung, Feuchtigkeit und jähen Temperaturwechsel ausgesetzt waren, will ich noch die Bemerkung voraussenden, daß alle diese Unbequemlichkeiten durch allmälige Gewöhnung sich weit leichter ertragen, als es für den Leser den Anschein haben mag, und daß das materielle Leben an Bord, selbst auf einer Nordpol-Expedition, frei von nennenswerthen Beschwerden ist.

Das Schiff im Vollmond.

Feuchtigkeit und Vereisung der Wohnräume ist bei Polar-Expeditionen ein Uebelstand, der unausgesetzten Kampf erfordert, der durch plötzliches Sinken oder Steigen der Temperatur und mit der Dauer des Winters überhaupt beständig zunimmt. Parry erwähnt über das Ueberhandnehmen der Feuchtigkeit und ihrer Condensation zu Eis der interessanten Thatsache, daß nach Verlauf von vier Wochen einmal an hundert Centner Eis aus den unteren Räumen des »Hekla« geschafft wurden, die sich fast nur durch Athmen, Speisendunst und die herabgetragene Nässe der Kleider angesammelt hatten. Auch die Zerstörung der Schneeumhüllung des Schiffes durch Eispressungen vermehrt die Condensation; denn jene Umhüllung ist gleich dem Schiffe selbst für dessen Bewohner nichts anderes, als ein wärmender Ueberrock, welchen nur noch Schneestürme von der Stärke derjenigen Grönlands durchdringen.

Schon im November 1872 machte sich die Vereisung der Cojenwände und jener Theile der Cabinen fühlbar, welche dem Zutritt der wärmeren Luft verschlossen waren. Die Bettdecke fror Nachts an die Schiffswand an, die eisernen Kniee der Innenhölzer, leider nicht mit Filz bekleidet, schimmerten gleich Tropfstein; unter den Cojen bildeten sich kleine Gletscher, und schon im October war das Skylight (Decklicht) zolldick bereift. Jede Temperaturerhöhung draußen ließ diesen Eisansatz als Douche herabfallen, und beim Oeffnen der Thüre strömte schon im October eine weiße Dampfwolke längs des Bodens ein. Unsere Vorkehrungen gegen die Ueberhandnahme der Feuchtigkeit bestanden in zwei Deckausschnitten, worüber im Freien zwei fußhohe und mit Blechtrichtern gedeckte Camine aufgesetzt waren.

Das Skylight selbst hatten wir durch Bretter fest eingeschlossen und einen Deckel eingesetzt, dessen Aufheben die Lüftung der Cajüte gestattete.

Die großen Temperaturverschiedenheiten innerhalb unserer Wohnräume waren die Quelle der überraschendsten Widersprüche. Erreichte die Luftwärme in der Cajütenmitte und zwar in Kopfhöhe +15° bis +22° R., unsere gewöhnliche Mitteltemperatur, so betrug sie am Fußboden wenig über +1° R. und fiel in der Nacht nicht selten unter den Gefrierpunkt. Hayes erwähnt, daß während seiner Reise die Temperatur seiner eigenen Cajüte +3½° bis +12½° R., jene der Officiere dagegen +19° R. erreichte; Parry gibt dieselbe auf seiner dritten Reise mit +8° bis +12½° R. an; J. Roß bezeichnet die Mitteltemperatur seiner Cajüte auf seiner zweiten Reise mit +5° R. und die des Mannschaftsraumes mit +10° R.

Der größte Uebelstand, mit welchem wir während des Winters zu kämpfen hatten, zugleich die Veranlassung fast aller übrigen, bestand in dem Abgang eines schützenden Zeltdaches über dem rückwärtigen Theil des Schiffes. Bei schlechtem Wetter verhinderte dieser Mangel den Spaziergang auf Deck, sowie eine vollkommene Ventilation, die streng genommen nur durch beständiges Offenhalten des Deckfensters bei fortgesetzter <g<Heizung hätte erzielt werden können. Möglich, daß eine Luftheizung, welche schon unter dem Boden der Cajüte begönne, selbst den besten Oefen vorzuziehen ist. Wir selbst hatten die Meidinger'schen Oefen (Karlsruhe) acceptirt, die sich schon früher in Grönland auf der »Germania« trefflich bewährt hatten. Ein solcher Ofen verbrauchte im November 1872, bei einer Außentemperatur von -20° R., täglich zwanzig Pfund Kohlen, und als wir ihn nachher zur Hälfte ausgemauert und sein Rohr durch ein langes Knie gebrochen hatten, nur mehr zwölf Pfund. Selbst zur kältesten Winterszeit überschritt sein Verbrauch nie vier und einen halben Centner im Monat. Bei für Polarfahrten bestimmten Schiffen sollen die Ofenröhren überhaupt in der Cajüte verzweigt sein, nicht gerade hinaufführen, damit die Hitze nicht so rasch entweiche. Nachdem wir den Feuerherd des Ofens verkleinert hatten, hörte er zwar auf, uns durch die Thätigkeit eines Vulcans lästig zu werden; doch entschädigte er sich dafür durch häufige Entwicklung von Kohlenoxydgas, so oft wir nämlich die Einschränkung seines Feuers versuchten. Die Beleuchtung der Cajüte und des Mannschaftszimmers geschah mit Petroleum, dessen täglicher Verbrauch etwa 2+2/3 Pfund betrug. Im Ganzen befanden sich am Schiffe zwei große, zwei kleine und eine Decklaterne, sowohl Tags als auch während der Nacht unausgesetzt in Brand. Die Cabinen wurden mit Thran beleuchtet (eine Flasche reichte für einen Monat); nur zu besondern Arbeiten, wie der des Zeichnens, dienten Millykerzen.

Der Ofen hatte einen argen Feind neben sich, den zu bekämpfen nicht in seiner Macht lag. Es war dies ein kopfgroßes Bohrloch in der Cajütenthüre, durch welches ein kalter Luftbach heftig hereinstürzte. Da nun das Schiff beträchtlich nach vorne geneigt war und der Feuerherd den höchsten Theil der Cajütensohle noch um einen Fuß überragte, geschah es, daß dieser Luftbach den gesammten Raum mit einem etwa zwei bis vier Fuß tiefen Kältesee füllte. Daraus folgte weiter, daß, während in der einen Cabine dicht am Ofen fast täglich die äquatoriale Temperatur von 30 bis 44° R., in der andern eine solche herrschte, die für den Nordpol hingereicht hätte. Dort würden sich Flußpferde behaglich gefühlt haben; der Mensch hingegen (Orel war der unglückliche Bewohner dieser Cabine) war oft gezwungen, entsetzt auf Deck zu flüchten, wobei er eine Wärmedifferenz von 70° R. in einem Augenblicke durchlief. Hier in einer anderen Zelle gefroren Wasser, Citronensaft und Essig am Boden. Ihre Insassen im Bett, sowie der Leser am Tisch, befanden sich wie in einem kalten Bade, das ihnen bis an den Hals reichte. Das Bohrloch aber war unerläßlich nothwendig, und es war besser, das Unbehagen einer durchgreifenden Ventilation zu ertragen, als sie einzuschränken. Es gab noch andere Störungen des temperativen Gleichgewichtes. Nachts wurde aus sanitärer Rücksicht nicht geheizt; nicht selten schliefen dann Alle in jenem kalten Luftbade. Bei großer Kälte oder Wind nahmen diese Übelstände oft wahrhaft drastische Formen an; ich entnehme darüber meinem Tagebuche:

»Kommen Etliche vom Deck herab, so sinkt die Temperatur, und mit der Entwendung mehrerer Grade Fahrenheit kehrt die Wache zurück nach oben. Öffnet sie die Thür, so wälzt sich ein weißer Dampfknäuel herein, und öffnet sie ein mitgebrachtes Buch, so raucht es wie im Brand. Eine Wolke umhüllt die Eintretenden; fällt ein Wassertropfen auf ihre Kleidung, so wird er beim Ofen selbst sofort zu Eis. Häufig wird die obere Luftschichte der Cajüte so stark erwärmt, daß das Decklicht bei ruhigem Wetter geöffnet werden muß; dampfend wie aus einem Schlot, steigt sie dann empor, um sich mit der kalten außerhalb zu vereinen.«

Dem Zweck entsprechend ist die Einrichtung der Cajüte einfach. Hier steht ein großer Arbeitstisch, an dem auch gegessen wird; die Schlafstätten der Cabinen umgeben ihn. Sie sind gerade groß genug, um einen Menschen athmend darin aufzunehmen. Dort, in der Tiefe zweier Colonnen, lagert, eine Reserve ungezählt, die Bibliothek (etwa vierhundert Werke, zur Hälfte wissenschaftlichen Inhalts); daneben ziehen die Chronometer ihre pedantische Scheide zwischen Nacht und Tag; als unvermeidliche Übel endlich der Mast und die Apotheke. Neben wissenschaftlichen Werken von pelzgehüllten Nordpolfahrern stehen die Petermann'schen »Mittheilungen«, welchen die heiße Wüstenluft entströmt; der friedliche Stifter neben Weber's »Weltgeschichte«, zwischen Milton's »Verlorenem Paradiese« und Shakespeare's unsterblichen Werken die Sippe der Romane. Emsig wird gelesen, ja mit Andacht, von »Sonnenglanz und Pisangschatten!«

Um jeden fixen Punkt innerhalb der Cajüte und in ihren Winkeln schießen wandernde Handschuhe, Thranflaschen etc. gleich Krystallen an. Hängende Gärten schweben über dem Ofen, Kresse für Scorbutkranke wird auf ihnen gezogen; dort ist es, wo in der Regel sich die blassen Pflänzchen unter einer schwingenden Hitze anfühlen gleich einer glühenden Bürste. Der Kaffeestrauch würde in ihr gedeihen; aber nur nasse Handschuhe, gelagert an allen Gesimsen, benutzen den Bereich dieser Gluth. Aber fünf Fuß tiefer käme selbst die Umbilicaria arctica nicht mehr fort, die abgehärtetste aller Flechten. Als Wanderblöcke sehen wir noch des Gärtners Klotz Gießkanne, einen Trupp Tintenkrüge, einmal auch ein großes Oelfaß und Speisen, die täglich gefroren hereintreten, um hier aufzuthauen. Ferner mit Eis beschlagene Instrumente, eine Kiste mit Journalen und monatlich einmal ein Faß, welches mit einem aus Schnee, Alkohol, Tannin, Zucker und Glycerin bereiteten Weine angefüllt wird. Dr. Kepes ist nicht nur der Arzt, sondern auch der Kelterer. Noch haben wir ein Object zu nennen, das leider viel zu wenig belästigt: den Wein, das heißt, den in Oesterreich aus Reben erzeugten Wein. Hier ist ein Tisch, dort ein Sitz mit Flaschen vollgestopft, dort eine Etagere; allein es ist nicht mehr vorhanden, als um, die Kranken ungezählt, Jedermann in der Cajüte mit dem Fünftel einer Flasche wöchentlich zu erfreuen. Wie bereits erwähnt, hatte uns der Platzmangel in der Cajüte verhindert, uns mit einer hinreichenden Quantität Wein zu versehen, und der, welchen wir, obgleich wohlverwahrt, in einem Depot unter der Cajüte aufgehoben hatten, war bereits Mitte December 1872 gefroren; denn selbst die Temperatur dieses Raumes hatte -6° bis -8° R. angenommen. Dagegen erhielt ein Jeder eine Flasche Rum für die Dauer von achtzehn Tagen. Unerschöpflich ist aber der Vorrath an dem landesüblichen Getränk geschmolzenen Schnee's; davon steht beständig bis zum Rande gefüllt eine große Kanne auf dem Tisch. Unter der Cajüte befinden sich die Depots von Alkohol (700 Maß) und Petroleum (1800 Maß); sie sind nur durch wohlverschlossene Röhren zugänglich, dessenungeachtet wahre Vulcane für unsere Sicherheit.

Aus der Anhäufung so vieler leicht brennbaren Stoffe nebst zwanzigtausend Patronen, vielen brennenden Lampen etc. erhellt die Größe der Feuersgefahr in einem solchen Schiffe. Dazu kommt die Schwierigkeit, Wasser in hinreichender Menge zu erlangen, weil dieses nur durch ein Bohrloch im Eise, und zwar bei stündlichem Aufhacken, offen erhalten werden kann. Doch nur einmal hatten wir eine Feuersgefahr zu befürchten – am 21. December, als uns Carlsen durch das unfreiwillige Abfeuern eines Gewehres in den Patronenvorrath in große Beunruhigung versetzte.

Wenden wir uns nun zu den Bewohnern. Marola, der Steward, hat die Nachtlampe ausgelöscht, – die Tag verbreitende Sonne angezündet, eingeheizt, und wer vom Kohlendampf nicht bereits geweckt ist, erwacht jetzt bei dem Rufe: » Signori, le sette e tre quarti, prego d'alzarsi«. Nach einer viertelstündigen Pause, während welcher die Schläfer ihre Existenz sorgfältig zu verleugnen suchen, verscheucht der zweite Ruf: » Colazion' in tavola!« dieses indifferente Schweigen. In malerischen Costümen tritt nun aus jeder Zelle ein Bewohner hervor; Costüme sind es, welche lehren, wie flüchtig am Menschen die Cultur ist.

Des Tages Mühe beginnt. Wie immer wandelt die Wache auf Deck, auf daß das Eis sich nicht entferne aus der Welt. In der Cajüte aber wird jetzt gerechnet, gezeichnet, geschrieben, gehämmert und gesägt.

Unsere täglichen Mahlzeiten bestehen aus Folgendem: in der Frühe aus Cacao, Zwieback und Butter, Mittags aus Suppe, boiled beef (Conservefleisch), conservirtem Gemüse und schwarzem Kaffee, Abends aus Thee mit Hartbrod, Butter, Käse und Schinken. Für künftige Fälle möchte ich eine Suppe des Abends mehr als Thee anempfehlen. Viele Speisen müssen erst geschmolzen werden, bevor man sie zu kochen beginnt; denn ein großer Theil des Proviants ist felsenhart gefroren. Der Schiffsraum hatte bereits am 2. November 1872 -6½° R. in seinen oberen Theilen angenommen, der Maschinenraum zeigte am 7. December 1872 sogar -12° R. Stundenlang stehen die Büchsen mit dem Conservefleisch in kochendem Wasser, die Bestandtheile des Nachtmahles auf dem Cajütenofen, um aufzuthauen, was in der Regel nur mangelhaft gelingt. Ein Teller mit rauchendem Käse und steinharter Butter, welche ihren Salzgehalt in großen Stücken vor dem Gefrieren ausgeschieden hat, ein Schinken, dessen zweiter Anschnitt schon ein Bild des niemals aufthauenden Bodens der sibirischen Tundra gewährt, sind frostige Gerichte; die Messer sind so kalt, daß sie manchmal bei der geringsten Kraftäußerung zerspringen.

Ich will bei dieser Gelegenheit der schon von Parry und Roß erkannten sanitären Wichtigkeit frischen Brodes gedenken, welches der Koch einer Nordpol-Expedition etwa zweimal wöchentlich zu backen in der Lage ist. An Bord des »Tegetthoff« bedienten wir uns anfangs eines Liebig'schen Backpulvers und Kleie; allein das Pulver war verdorben und gab dem Brod einen so widerlichen Geschmack, daß wir auf seinen Gebrauch verzichteten und uns an die Brotbereitung mittelst mangelhaften Sauerteiges gewöhnten. Die Arbeit des Koches, dem es auch obliegt, den gesammten Wasserbedarf zu schmelzen, erhält dadurch solche Mannigfaltigkeit, daß sein Amt den beschwerlichsten Beruf während der Reise bildet.

Alle Sonntage feierten wir eine körperliche Wiedergeburt aus der Nacht des Petroleumrauches; Mittags war die Stunde des Gottesdienstes. Nicht die heiligen Räume eines Domes nahmen uns auf, kein prunkvoller Dienst des Herrn fand statt; doch er war ernst, wie eine Todtenfeier. Unter dem schwarzen Himmelsdach der Polarnacht und unter dem Deckzelt – von einer Thranlampe düster beleuchtet, wie Rembrandt'sche Bilder – ward dem Häuflein Christen, das der einsam verhallende Ruf der Schiffsglocke versammelt hatte, das Evangelium vorgelesen, mit dem einfachen Ernste, wie beim Gottesdienste der ersten christlichen Zeit. Mit einem selbst unter diesen Umständen noch immer sonntäglichen Gefühle setzten wir uns Mittags zum Mahle, das vor dem der übrigen Tage ein Gläschen Wein und eine Mehlspeise voraus hatte; die letztere mußte später, als die Butter ranzig ward, mit Schweinefett bereitet werden. Carlsen und Lusina waren abwechselnd unsere Gäste. Carlsen erschien jedesmal mit seiner treuen Perücke, die er selbst auf dem Rückzuge mitnahm, an hohen Festtagen auch mit dem Ritterkreuze des St. Olaf-Ordens. Lusina, unser trefflicher Bootsmann, pflegte ein beliebiges Gespräch mit Begeisterung zu beginnen, den Strom seiner Rede aus dem Quell einer Sentenz entspringen zu lassen, oder aus einer fernliegenden Einleitung. Ein Gläschen Rum nach dem Essen war ein schwacher Scythentrunk für seine Erinnerung. Während der Mahlzeiten bestanden die Tischgespräche aus Erwartungen und Entwürfen für die Zukunft, aus Vermuthungen, daß wir einst genöthigt sein würden, das Schiff zu verlassen, aus Studien über Gillisland, Sibirien und Eisbären. Nur selten wurde von dem gesprochen, was alle unsere Gedanken erfüllte, von unserer Gefangenschaft, häufiger von unerfüllbaren Wünschen oder Träumen; für den Mangel an Wein entschädigten wir uns, indem wir wenigstens von ihm sprachen. Auch politische Combinationen, nicht nach vor- sondern nach rückwärts, bildeten ein beliebtes Thema. Und weil sich die »Neue freie Presse« an Bord befand, so bot sie eine unerschöpfliche Quelle von Neuigkeiten für die Conversation bei den Mahlzeiten. Vorfälle aus dem Jahre 1870 wurden als neueste Nachrichten erzählt, und es hatte zuweilen ganz den Anschein, als sähen wir noch mit großer Befangenheit dem Ausgang des deutsch-französischen Krieges entgegen, mit der Besorgniß, daß sich Oesterreich vielleicht doch noch an demselben betheiligen möchte.

Gottesdienst in der Winternacht.

Nach dem Mittagessen kam die Stunde der Beschauung; wir hockten dann in unseren einsamen Zellen am Lager, dem Sekundenschlage der Uhr zu lauschen. Langsam krochen uns ihre achtundsiebzig Millionen Schläge in zwei und einem halben Jahre dahin; unbetrauert enteilte ihr bleierner Flug, weil ohne Werth für unsere Zwecke. Die englischen Nordpol-Expeditionen fanden während der langen Periode des gezwungenen Müßigganges im Theaterspiel eine Quelle des Frohsinns und der Zerstreuung. Allein diese Expeditionen geboten über eine vielfach größere Besatzung, als die des »Tegetthoff«, und es war daher für sie nicht schwierig, eine Anzahl Leute vom täglichen Dienste zu befreien und dieser Aufgabe zu überlassen. Es gab auch noch andere Gründe, weßhalb wir nicht daran denken konnten, die Engländer nachzuahmen. Unsere Lage während des ersten Winters war zu ernst zu solchem Zeitvertreib; auch hätte uns kein anderer Platz zur Verfügung gestanden, als das verbarricadirte Deck. Und hier, bei 20-30° Kälte, im Theater zu sitzen, um zu sehen, wie Schauspieler und Zuschauer sich plötzlich die gefrorenen Füße mit Schnee gerieben hätten! Endlich mußten wir auf ein solches Vergnügen umsomehr verzichten, als die Darstellungen in vier Sprachen hätten geschehen müssen.

Da jedes Bild der uns umgebenden Schöpfung in unserem Innern eine verwandte Stimmung hervorruft, so ist es natürlich, daß der Eindruck einer dürftigen Natur, die selbst des Lichtes entbehrt, besonders für Jene beschwerlich ist, die ihre Gegenwart nicht zu vergessen wissen. Aber selbst die geistige Thätigkeit und der Wunsch nach Thaten steht in einem traurigen Gegensatz zu der trostlosen Gleichmäßigkeit, welche das jahrelange Hinwarten auf Thauen und Gefrieren auferlegt. Höchst einförmig ist das Leben in der langen Winternacht; nirgends auf der Erde kann ein Exil so vollständig sein wie hier, unter dem furchtbaren Triumvirat: Finsterniß, Kälte und Einsamkeit. Selbst Engel müßte das Verlangen des Wechsels befallen; wie sehr muß diese Sehnsucht Menschen ergreifen, welche Allem entrissen sind, was ihre Wünsche reizt und durch die Phantasie verschönert wird. Wahr ist endlich der Ausspruch Lessing's: »Wir sind zu sehr an den Verkehr mit dem andern Geschlechte gewöhnt, als daß wir bei gänzlicher Vermissung des Reizenden nicht eine entsetzliche Leere empfinden sollten«. Die Cabinen des »Tegetthoff« boten der gemeinsamen Cajüte auf der »Germania« gegenüber den Vortheil, sich bei besonderen Arbeiten dahin zurückziehen und jeder Störung entrinnen zu können.

Völliger Abspannung aber müßte bei einem solchen Leben der Müßige und derjenige verfallen, welcher sich auch während des Tages dem Schlafen überließe. In der That könnte es für eine überwinternde Polar-Expedition nichts Verderblicheres geben, als ein solcher Einbruch geistigen und körperlichen Siechthums. Daß man sich zwanglos der Trägheit überließ, darin mag der wesentlichste Grund des Unterganges der auf Jan Mayen und an einigen andern Polarorten versuchten Ueberwinterungsstationen früherer Jahrhunderte gelegen haben.

Es ist dagegen eine viel verbreitete, wenngleich irrige Anschauung, daß der monatelange Tag der Polarländer dem Menschen beschwerlich falle; nicht das immerwährende Licht, sondern sein völliger Mangel wird zur Last, während die Periode des immerwährenden Lichtes die Thätigkeit und Lebenskraft erhöht. Im ersten Winter belästigte weniger die Finsterniß, als das beständige Abwägen unserer Aussichten; den größten Trost bot noch das arabische Sprichwort: » In niz beguzared« (auch das wird vorbeigehen), eine Inschrift unserer Cajüte. Es war in der That eine furchtbare Zeit; denn wir hatten, wie es schien, im besten Falle eine Heimkehr nach Europa zu erwarten, deren Erfolg nur die Erhaltung des Lebens war.

Selbst in der Zeit nach dem Abendmahl und vor dem Schlafengehen, die wir gewöhnlich damit zubrachten, in der Hütte, über dem Stiegenhause, auf Deck bei 20-30° Kälte eine Cigarre zu rauchen und uns dabei durch Erinnerungen aus vergangenen Tagen aufzuheitern, selbst in dieser Zeit waren wir nicht ohne trübe Vorstellungen. Wie oft wurden wir hier durch die Bewegungen des Eises aufgeschreckt! Die Existenz auf dem prasselnden Schiff unter uns glich derjenigen über einem Vulcane.

Erst nach mehrstündigem Verweilen in der eiserfüllten Holzgrotte stieg die Temperatur durch die Eigenwärme um wenige Grade. Es war gewiß ein Zeugniß von der Trefflichkeit meiner Federkleidung, daß ich sie in der Cajüte tragen konnte, ohne durch Hitze belästigt zu werden, dagegen auch im Stande war, ganze Abende in dieser kalten Höhle zu sitzen, ohne durch Kälte zu leiden. Eine Thranlampe spendete fast mehr Rauch als Licht, und wenn Schneetreiben herrschte, hatte man noch mit der Zudringlichkeit der Hunde zu kämpfen, welche die Deckhütte für einen großen Hundestall anzusehen beliebten. Doch nur bei plötzlicher Steigerung der Außentemperatur ward diese Hütte völlig unbewohnbar; ihre Eisrinden schmolzen und fielen dann als Regen herab.

Empfindlicher als auf den Geist, wirkt die lange Nacht auf den Körper, besonders in Anbetracht der unzureichenden Bewegungsfähigkeit. Ein so feiner Beobachter, wie Middendorff, sagt darüber: »Reisen in den kalten Himmelsstrichen halte ich übrigens selbst bei den unglücklichsten klimatischen Verhältnissen für entschieden weniger lebensgefährlich, als Reisen unter den Tropen. Unsäglich mühseliger sind erstere gewiß, aber wohl minder tödtlich, wobei freilich die Gefahr in Abrechnung gebracht ist, welche den Schiffen droht, wenn sie sich tief in die Eismassen hineinbegeben. Vor plötzlichem tödtlichen Erkranken ist man unter den Tropen nie sicher, aber je länger man dort ausgehalten hat, desto gesicherter ist man; der Hochnorden untergräbt dagegen die innerste Blutmischung, und nach dreimaligem Ueberwintern fanden sich unter den meist schon sehr verringerten Mannschaften kaum einige Wenige, die einen vierten Winter hätten überstehen können.« Zu den der Gesundheit nachtheiligen Einflüssen des Polarlebens gehören ferner: die fortwährende Hemmung der Ausdünstung durch die Ueberlast wollener, oft geradezu schädlicher (weil mehr oder minder wasserdichter) Kleider, die Verlangsamung des Stoffwechsels durch die unzureichende Ernährung, besonders der Mangel an frischer animalischer und vegetabilischer Kost, endlich der periodische Abgang von Licht und Wärme.

Der Gesundheitszustand an Bord ließ in beiden Wintern Manches zu wünschen übrig; scorbutische Mundaffectionen und Lungenkrankheiten nahmen zuweilen eine beunruhigende Mannigfaltigkeit an und es verging fast kein Tag, an dem wir nicht einen bis zwei Kranke hatten. Ich glaube indessen, daß die Unannehmlichkeiten unserer Lage einen großen Theil der Schuld an diesen Uebeln trugen, nicht aber die südländische Natur unserer Leute. Der unausgesetzten Sorgfalt des Doctor Kepes hatten wir es zu danken, daß nichts versäumt wurde, was in unseren Kräften lag, diesen Uebeln entgegenzuwirken. Ihrer ungleich günstigen Lage und Trockenheit wegen, wurden die Cojen der Mannschaft in einer bestimmten Ordnung gewechselt und diejenigen, welche nahe dem Eingang, der größten Anhäufung des Eises ausgesetzt waren, durch Hinleitung warmer Luft mittelst beweglicher Schläuche getrocknet. Mangel an Bewegung, jäher Temperaturwechsel, Gemüthsverstimmung, periodischer Abgang frischen Fleisches, Feuchtigkeit und Vereisung der Wohnräume waren die Ursache des Scorbuts, welcher im ersten Winter nur in dem überfüllten Mannschaftsraume auftrat. Beim Maschinisten Krisch begannen in jener Zeit die ersten Symptome des Lungenleidens, das er sich wahrscheinlich durch Verkühlung zugezogen hatte. Er saß von da an mit Vorliebe beim Ofen und klagte stets über Kälte.

In unseren Mitteln zur Bekämpfung des Scorbuts waren wir ziemlich beschränkt, wenn wir gleich über mehrere hundert Büchsen Conservegemüse, ein Faß Molteebeeren ( Rubus chamaemorus), die wir aus Tromsö mitgenommen, und über hundert Flaschen Limoniensaft verfügten. Auch der Wein ist bekanntlich ein wichtiges Präservativ, weßhalb wir der Mannschaft während der letzten Winterwochen, trotz unseres geringen Vorrathes, zweimal wöchentlich wirklichen Wein, anstatt künstlichen, verabreichten; doch waren wir unvermögend, diese Gabe in mehr als zwei Flaschen für achtzehn Köpfe bestehen zu lassen. Ohne Zweifel hätten sich alle die vorgekommenen scorbutischen Anzeichen in viel höherm Maße gezeigt, hätten wir nicht das Glück gehabt, im Laufe der Reise die noch von keiner Expedition erreichte Zahl von siebenundsechzig Eisbären zu erlegen und zu verzehren. Mehr ein Zeichen unsers guten Willens, nichts zu seiner Bekämpfung zu unterlassen, als ein Gegenstand von Belang war es, daß wir die Zahl unserer antiscorbutischen Mittel durch eine Anpflanzung von Kresse und Kohl – Rettig gedieh nicht – in einem über dem Ofen hängenden Beet vermehrten. Auch bei Parry gedieh Kresse und Senf selbst in Sommer nur in der Kajüte. Interessant war es zu sehen, wie die Pflänzchen nach jeder Ortsveränderung immer wieder nach dem Lampenlicht hindrängten. Sie brachten es zu etwa drei Zoll Höhe, zu etlichen Trieben, aber trotz ihrer schwefelgelblichen Farbe zum vollen Ausdruck des Kressegeschmackes. Wirklichen Nutzen aus diesen Anpflanzungen zu ziehen, hätten wir sie vermehren und beleuchten müssen. Der Tiroler Klotz fungirte als Gärtner; allein man konnte von ihm nicht sagen, daß er mit Vorliebe eine Stelle bekleidete, welche ihm auferlegte, alle Wochen einmal Pflänzchen für Pflänzchen aus der Erde zu ziehen, zu reinigen, ihre Wurzeln abzuschneiden, das Erdreich aufzuwühlen und neuerdings zu bepflanzen.

An sich jedoch enthält die arktische Luft selbst während der strengen Winterkälte nichts der Gesundheit Nachtheiliges. Nur die Bärenjagden, besonders bei Wind, erheischen Vorsicht; der warmen Cajüte plötzlich entrissen, voll Aufregung und bei strenger Kälte noch gegen den Wind zu laufen, bringt ernste Gefahr mit sich, welche nur durch besondere Pflege abgewandt wird. Der Gebrauch eines Bades ist auf arktischen Reisen schon deßhalb ein Förderungsmittel der Gesundheit, weil die Körperhaut keine andere Erregung erfährt. Die Unsicherheit unserer Lage jedoch machte diese Bäder zu einem sehr zweifelhaften Genusse. Ich erinnere mich mancher Fälle, wo der Eine oder der Andere, in der kalten, finsteren Waschkammer, einem gestrandeten Walfisch gleich, in einer zollhohen Schichte lauwarmen Wassers badend, durch eine plötzliche Pressung des Eises aufgescheucht wurde. Zuletzt verzichteten wir auf die Bäder, weil sie eine Quelle lästiger Feuchtigkeit waren.

Für einen Fremden, der uns während dieses Winters besucht hätte, wäre nichts so überraschend und interessant gewesen, als ein Besuch bei der Mannschaft; ihr Treiben innerhalb enger Grenzen glich dem eines Bienenschwarmes. Täglich wurde sie von fünf bis sechs Uhr Abends zu einem kleinen Spaziergang im Freien angehalten; die übrige Zeit verstrich mit Schulen, Wachen, Bordarbeiten oder Nichtsthun. Unser Vorrath slavischer Bücher war leider nicht sehr umfangreich, zudem war nicht die gesammte Mannschaft des Lesens kundig. Desto größer war, allen Südländern gleich, ihr Drang nach harmlosem Lärm, und ich glaube, daß etliche unserer Leute während der ganzen Expedition niemals aufgehört haben, zu sprechen.

Doch besuchen wir die Mannschaft. Ich schalte hier eine Stelle aus meinem Tagebuche ein. »An der Küche vorbei, wo Schneeblöcke im Flammenschein erglühen, treten wir in ihre Cajüte. Ein beengter Raum umschließt hier die Arbeiter des Meeres und der Berge, achtzehn an der Zahl. Wir sind unter Männer gekommen, die ungebeugt, hier wie in den Tropen und in der Seeschlacht, allen Uebeln trotzen, die ein karges Dasein auferlegt, um geringen oder keinen Lohn. Es ist ein Häuflein Dalmatiner, die hier zum ersten Male den für Südländer so harten Strauß bestehen mit Finsterniß und Kälte, deren Schauer sich zehnfach mehren in einer Phantasie, die durch keine Kenntniß eingeschränkt ist. Fürwahr, nicht wenig war es, fast alle Nächte durch die Bewegung des Eises dem Schlaf entrissen zu werden, in langer Winternacht dazusitzen, Tag für Tag ohne wahre geistige Beschäftigung, und dennoch nicht zu verkommen, sondern willig und gefaßt zu bleiben und, wenngleich ohne höhere Bildung oder bleibenden Gewinn, gleich den Andern nach ehrendem Erfolge sich zu sehnen. Können wir mehr zu ihrem Lobe sagen?«

»Nicht wie die Matrosen auf der »Germania« zu zweien in einer Coje, sondern einzeln schlafen sie in einer doppelten Reihe von Cojen. Nur Lusina, der Bootsmann, und Carlsen, der Harpunier, der Umschiffer Spitzbergens und Nowaja-Semlja's, bewohnen einen besonderen Verschlag. Wie das beständige Gerassel eines Räderwerks, bewegt sich der Sinn so vieler lebhafter Südländer; dazwischen greift die naive Einfalt der ernsten Tiroler ein, in langen Pausen, wie der Tact eines großen Zahnrades. Die Räder gehören dem babylonischen Thurm der Sprachverschiedenheit an. Lusina spricht italienisch mit den Bewohnern der Officierscajüte, englisch mit Carlsen, französisch mit Dr. Kepes und slavisch mit der Mannschaft. Carlsen hat sich den »Slavoniern«, wie er unsere Leute nennt, gegenüber eine Mundart angeeignet, die aus Norwegisch, Englisch, Deutsch, Italienisch und Slavisch besteht. Die Mannschaft spricht, zwei Italiener ausgenommen, slavisch unter sich und italienisch im Dienst. Das geistige Haupt der kleinen deutschen Colonie ist der Koch, ein Steyrer. Sein Herz ist besser als seine Kunst; nur zu gern überläßt er sein Amt dem Ofen. Auch ein Mährer gehört ihr an, der Vulcan des Schiffes, Pospischill. Doch vorerst zum herrschenden Stamme, den Slaven.«

»Da ist Lukinovich, der immer sammelnde Harpagon, der Schätze findet in Nägeln, leeren Flaschen, Lampendochten, und um seinen Sack zu füllen, selbst unter dem Schneezelte herumzieht, den Sack, den er einst, nehmen wir vom Schiffe Abschied, doch wird zurücklassen müssen! Hier sind Marola, der Steward, und Fallesich, der Suezcanal-Arbeiter, die großen Sänger. Dann Palmich mit der Lanze, der Mann von unschätzbarem Eifer, dessen Blick schon alles zerbricht, ferner Vecerina, der Hiob, die fröhlichen Titanen Sussich und Catarinich, Scarpa, der gerne rastet, um sich von künftigen Anstrengungen zu erholen, Latkovich und Lettis, die Philosophen, Stiglich, der unbewegliche Bekenner des passiven Gehorsams und der »Unzulässigkeit des Widerstandes«, Zaninovich, die Perle, Haller, der Hirt, und Klotz, der Prophet. Fünf dieser Männer sind ihren Frauen entflohen.«

Klotz, der Prophet, ist unter den Umständen zwar nicht der nützlichste, allein der interessanteste Gegenstand dieser kleinen Gemeinde. Erhabene Ruhe ziert sein Aeußeres, das würdig ist jenes der Evangelisten. Größer als Andreas Hofer, trägt er wie dieser einen schwarzen Vollbart. Er ist das Haupt der Schamanen und nach Norden ausgezogen, um »Länder zu erobern«. Klotz vertritt hier die passive Komik und gehört zu jenen Menschen, die in jedem Lande außer in Tirol verhungern müßten. Als Jäger, Führer, Steinsammler und einsamer Schwärmer durchzog er, ein Leben führend, das mit vielem »Schauen« und Nichtsthun verstrich, die heimatlichen Berge. Dort galt er als unvergleichlich kühner Bergsteiger; hier sind ihm des Schiffes Taue bequeme Fußwege. Ebenso groß war dort sein Ruf als Arzt; wie in den Tagen Ekkehard's ein ehrwürdiger Bruder, brachte er den Hirten wunderbare Tränke. Dieses fromme Walten erlosch auch hier nicht. Haller, der andere Passeyrer, theilt mit Klotz Im Anfange der Reise diente Klotz als Steward in der Kajüte. Er servirte nach dem System, wie es auf einer Alm üblich ist, täglich zuerst die Suppe, dann Teller etc., um vor Allem das Auge zu befriedigen. das Amt des Büchsenmachers, Jägers und Hundetreibers. Sie haben auch im Kriege gedient, Klotz als Schütze am Tonale, Haller als Soldat am Stelvio; im Jahre 1868 war Letzterer mir ein verdienstvoller Begleiter bei meiner Aufnahme der Ortler- und Adamello-Alpen. Geräthe aller Art erfüllen die Cajüte der Mannschaft; denn in schlimmen Zeiten gehört ihr gesammter Rettungsbedarf den Cojen an, und sie werden dann grausige Wolfsschluchten, aus welchen Nachts ein Schnarchen in allen Tönen erschallt, welches die Hunde auf Deck staunend belauschen.

Die täglichen Beschäftigungen der Mannschaft, insoweit sie nicht dem Privatinteresse angehören, beschränken sich auf den Kampf gegen die Zudringlichkeit des Schnees und auf das Wachehalten auf Deck. Die Wache trifft auch die Sorge für das Offenhalten des Feuerloches im Eise; in einer gewissen Reihenfolge ist ihr ferner die Herbeischaffung des täglich zu schmelzenden Schnees oder Eises auferlegt. Das Raffinement der »Philosophen« hat, je nach dem Salzgehalt des Eises, bereits eine feine Unterscheidung der einzelnen Lager getroffen zwischen: » Ghiaccio della prima und Ghiaccio della seconda qualità«!

Um dem Uebel des Müßiggangs unter den Leuten nach Kräften zu steuern, wurde vom Jänner an eine Zeitlang Schule gehalten; die Schiffslieutenante Weyprecht, Brosch und Orel nahmen die Italiener und Slaven, ich die Tiroler. Zur Vermeidung jeder Confusion zog ich mit dem kleineren Theil in die Hütte auf Deck. Hier, bei 20 und 30 Grad unter Null, wurde der Same der Weisheit in die Söhne der Natur gelegt. Allein nicht günstig war dieses Klima seinem Gedeihen. Mit schmerzlicher Enttäuschung wurde die Lage und der Unwerth von »Nordpolen« vernommen, daß es kein Land sei, kein zu eroberndes Reich, nichts als Linien, die sich in einem Punkte schneiden, und wovon nichts in der Wirklichkeit zu sehen sei! Wenn in diesem kleinen Lehrsaal eine Aufgabe geprüft werden sollte und die Schüler den Athem anhalten mußten, damit der Lehrer, der aus einer Wolke sprach, die Rechentafel zu erkennen vermochte, oder wenn sie, in einer Division begriffen, plötzlich innehalten mußten, um ihre Hand mit Schnee zu reiben, war es da ein Wunder, daß sich die Schule keiner Beliebtheit erfreute?

Auch für die Mannschaft besteht die Kost vornehmlich aus Büchsenfleisch, Hülsenfrüchten und dem Ergebnisse der Jagd, welche das Monatsmittel von zwei Bären erreichte. Ihr gebratenes Fleisch war allgemein beliebt; der Seehund dagegen wurde anfangs im gekochten Zustande verachtet, bis die Nothwendigkeit unseren Geschmack corrigirte. Außer künstlichem Wein war Wasser das stärkste Getränk.


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