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Die erste Schlittenreise.

Zweck. – Reiseantritt. – Beginn der Aufnahme. – Gethürmtes Eis. – Offene Meeresstellen. – Die Inseln Hall und Mac Clintock. – Irregehen im Nebel. – Mittagsrast. – Cap Tegetthoff. – Die Form der Bärenjagd auf Schlittenreisen. – Anzeichen des Schneetreibens. – Schneetreiben bei -26° R. – Besteigung des Cap Tegetthoff, 1600 Fuß. – Zeltlager bei großer Kälte. – Erkältender Einfluß des Landes. – Cap Berghaus. – Harter Schnee. – Nordenskjöld-Fjord und Sonklar-Gletscher. – Cap Littrow. – Wüllerstorff-Berge.

 

Die vorangegangenen Bemerkungen über die Ausrüstung bei Schlittenreisen werden dem Leser vielleicht ein klares Bild davon verschafft haben, wie man im Stande ist, wochenlang in hochnordischen Wüsten zu wandern. Sie werden auch die Mannigfaltigkeit der zu überwachenden Vorgänge gezeigt haben, deren gefahrlose Durchführung von der Sorgfalt des Führers besonders in dem Falle abhängt, wenn er über eine Mannschaft verfügt, die den sorglosen Zustand der Bevormundung liebgewonnen hat und der Aufmerksamkeit entbehrt, die meine Begleiter auf den folgenden Reisen auszeichnete.

Ich gehe zur ersten Schlittenreise über, deren Zweck die vorläufige Orientirung in dem für uns noch geheimnißvollen Lande war, sowie die Recognoscirung einer Route zur Erforschung seiner Ausdehnung nach Norden hin und die allgemeine Kenntniß seines Binnengebietes. Als nächstes Ziel betrachtete ich die Besteigung jener hohen Gebirge, (Cap Tegetthoff), welche wir vor Monaten zuerst erblickt hatten, und deren Erreichung den letzten Herbstexcursionen der Entfernung halber mißlungen war. Die Reise wurde erst mit Beginn des Monats März angetreten; denn, wie erwähnt, war die Sonne am 24. Februar wiedergekehrt. Nur selten war sie zu Ende dieses Monats sichtbar; ein trüber Wasserhimmel herrschte gegen Süden, die einzigen erfreulichen Boten des Frühjahrs waren einige Vögel, die sich wieder in unserer Nähe zeigten. Der Schnee aber nahm unter dem Einfluß der trüben Luft eine besorgnißerregende Weichheit an; erst die anhaltenden Nordostwinde der ersten Märztage vermochten ihn wieder zu Härten. Als der Wind nachließ, fiel auch die Temperatur, und obgleich der Anfang des März wegen des ihn häufig charakterisirenden Kältemaximums des Jahres als eine für Reisen noch wenig geeignete Zeit angesehen wird, durchbrach unsere Ungeduld dennoch alle Bedenken; am 9. März stand einer unserer großen Schlitten zu einer einwöchentlichen Unternehmung gepackt da. Seine Belastung bestand in einer größeren Quantität von Lebensmitteln, von denen ein Theil zur Anlage von Depots diente. Verbraucht wurden: 39 Pfund Hartbrod, 5 Pfund Pemmikan, Für die Hunde hatte ich im Laufe der letzten Wochen 265 Zollpfund gedörrtes Bärenfleisch in seine Stücke schneiden lassen, welches ihnen während der Schlittenreisen als Futter dienen sollte. Allein wider Erwarten weigerten sie sich, davon zu genießen, und als sie selbst nach viertägigem Fasten noch standhaft blieben, sah ich mich gezwungen, nachzugeben und Hartbrod für sie mitzunehmen. 16 Pfund boiled beef, 6½ Pfund Fett, 1 Pfund Erbswurst, ½ Pfund Salz und Pfeffer, 6 Pfund Reis, 2 Pfund Grütze, 5 Pfund Chocolade, 5 Maß Rum, 1 Pfund Fleischextract, 2 Pfund condensirte Milch, 8 Maß Alkohol. Das übrige Gepäck bestand in den oben beschriebenen Gegenständen. Unsere Bewaffnung bestand in 3 Hinterladern und 100 Patronen, von denen 40 verschossen wurden.

Zu meiner Begleitung hatte ich sechs Mann und drei Hunde (Gillis, Toroßy und Sumbu) gewählt; doch gehörten die Männer nicht sämmtlich zu den geeigneten, weil ich diese für die große Reise nach Norden schonen wollte. Nur die beiden Tyroler Haller und Klotz waren bei Fußreisen von ausdauernder Kraft, weniger Lukinovich und Cattarinich; Pospischill und Lettis aber schienen dem Falstaff'schen Corps entnommen zu sein. Im Ganzen gebot ich während dieser Reise über ein Lungenemphysem (Pospischill), einen Herzfehler (Lukinovich), einen chronischen Gelenksrheumatismus (Haller) und eine Disposition zu allgemeinem Katarrh der Luftwege (Lettis). Da die Temperatur während der Reise völlig unerwartet fiel, so folgt daraus abermals, wie sehr zwingende Notwendigkeit die Leistungsfähigkeit erhöht.

Am 10. März Morgens verließen wir das Schiff, und die »Flagge der Schlittenreisen«, die so lange über meiner Coje befestigt gewesen, flatterte nun in einer frischen Brise aus Nordwest. So sehr hatte mich dieses »Endlich« nach jahrelangem Hinwarten erregt, daß ich die Nacht vorher nicht zu schlafen vermochte; sowohl die Ausziehenden als die Zurückbleibenden hatte eine Aufregung ergriffen, als gälte es der Eroberung Peru's oder Ophir's und nicht kalter schneebedeckter Länder. Mit unbeschreiblicher Freude begannen wir das harte Automatentagewerk des Schlittenziehens, anfangs maskirt, wie die Genossen der heiligen Brüderschaft, bis Jeder von uns dem rauhen Gebläse gegenüber sein temperatives Gleichgewicht fand. Als wir uns durch die Eishöcker im Norden des Schiffes Bahn gebrochen hatten, und über die ebene Fläche des im letzten Herbste entstandenen Landeises dahinzogen, sahen wir einige mit großer Eile herannahende schwarze Punkte hinter uns. Es waren unsere übrigen Hunde; hartnäckig bestanden sie darauf, die Reise mitzumachen, und es bedurfte List, Gewalt und einiger Schüsse, sie zur Umkehr nach dem Schiffe zu nöthigen. Meine Begleiter erklärten sich das Benehmen der Hunde damit, daß der Tod des Maschinisten bevorstehe; dies sei die Veranlassung, daß die Thiere nicht mehr auf dem Schiffe bleiben wollten.

Da unser Schlitten nur mit etwa sechs bis sieben Centnern beladen und die Bahn gut war, so erreichten wir die ungewöhnliche Marschgeschwindigkeit von hundert Schritten in der Minute. Nach zwei Stunden passirten wir das südwestliche Cap der Wilczek-Insel, in deren Nähe ein einstürzender Eisberg das Eis einige Tage vorher in beträchtlichem Umkreise zerschmettert hatte. Ein anderer Eisberg, geformt wie eine halb entblätterte Rose, bot uns eine windgeschützte Mittagsrast (-21° R.). Seinen schimmernden Leib umgaben die Lichtbögen von Nebensonnen. Die Sonne selbst stand auch Mittags noch so tief, daß eine Breitenbestimmung nur sehr unsichere Resultate gegeben hätte. Ich zog daher vor, die Aufnahme und unter einem die geographische Ortsbestimmung des Franz Joseph-Landes schon auf dieser Reise durch ein Netz von hochgelegenen Dreieckspunkten zu beginnen, für welche die Messung einer Basis nachgetragen werden konnte. Die Besteigung hoher Berge gehörte demnach schon aus diesem Grunde zu dem Programme der Unternehmung.

Indem wir den Marsch fortsetzten und das Schiff unseren Blicken entschwand, verlor die Bahn ihren bisher ebenen Charakter und nahm den eines aufgeworfenen Chaos aus Eis an; Abends (-22° R.) erreichten wir einen hohen Felsvorsprung der Wilczek-Insel. Gestrandete Eisberge ragten daraus hervor; an ihrem Leibe brach sich die Eisdecke des Meeres, zitternd und ächzend, durch die schwellende Fluth. Dicht am Strande war das Eis in klirrender Bewegung, und als wir den Eisfuß überschritten, brachen drei Mann zu allgemeiner Bestürzung tief in einen überwehten Spalt ein; die ganze Nacht hindurch vernahmen wir in unserm auf dem Lande aufgeschlagenen Zelte ruheloses Prasseln und Platzen. Am folgenden Tage, dem 11. März, in der Morgendämmerung (-20,5° R.) aufbrechend, erblickten wir gegen Süden einen Wasserhimmel, und als wir eine Anhöhe erstiegen, nahe vor uns das offene Meer, nicht als breite Wasserstraße, sondern als mit Jungeis bedeckte Wacke. Schwere Dämpfe entstiegen einzelnen noch offenen Spalten, und die Jungeisflächen empfingen die glühenden Farben des anbrechenden Tages. Nur dicht unter der Küste der Wilczek-Insel zog sich gethürmtes Eis mit den Spuren jüngster Pressungen als schmales Band dahin, und weil wir dafür hielten, die Wilczek-Insel sei für belastete Schlitten unpassirbar, so begannen wir die mühselige Wanderung längs ihrer felsigen Küste.

Der malerische Charakter des Weges fand nicht ungetheilt die verdiente Bewunderung; denn er zwang uns zu großer Anstrengung, um den Schlitten über die Eishöcker fortzuschaffen. Mehrmals mußte die Last abgeladen, oder ein unbesiegbares Hinderniß abgegraben werden. Auch das Betragen der Hunde war nicht ganz ohne Tadel. Das Sichumwenden eines meiner Begleiter, das Vorbeifliegen eines Vogels genügte ihnen, um im Ziehen auszusetzen, und diese Nachlässigkeit durch den Vorwand des Erstaunens zu entschuldigen. Wenn in solchen Fällen auch Klotz für einen Augenblick nach ließ, sich bis aufs äußerste anzustrengen, so blieb der Schlitten sofort stehen. Wir drangen hindurch zwischen Eisbergen, die der Frost in klaffende Theile zerspalten, und in deren Peripherie ein beständiges Bersten sich vernehmen ließ, verursacht durch die zunehmende Kälte. Nach mehreren Stunden endlich traten wir auf eine freie Ebene hinaus, und schritten quer über den sanften Abfall einer schneebedeckten Landspitze; aufgerollt vor uns lagen nun die schroffe Bergfront der Hall-Insel und die langen Gletschermauern der Insel Mac Clintock. Oberhalb der Sonne war ein zweites verschwommenes Bild derselben wahrzunehmen, keine Refractionserscheinung, sondern der sichtbare Theil einer durch Dünste meist verdeckten Sonnenfackel. Unser Curs lag klar gezeichnet vor uns; er lief in nordwestlicher Richtung über eine schneebedeckte Fläche älteren Eises nach dem Cap Tegetthoff hin. Bald jedoch erhob sich Nebel, schwamm als dichte Fluth über die weite Eisfläche und verhüllte Alles dermaßen, daß wir die Reise nur mittelst des Compasses im Zwielicht fortzusetzen vermochten. Kleine Eishöcker, welche die monotone Ebene überragten, dienten zur Orientirung; doch so groß war die Schwierigkeit, eine bestimmte Route im Nebel einzuhalten, daß wir gezwungen waren, nach etwa je vierhundert Schritten zu halten und sie neuerdings, indem wir einen größeren Compaß einstellten, zu corrigiren, wobei wir uns stets überzeugten, daß wir zwanzig bis vierzig Grade im Azimuth von der wahren Linie abgewichen waren. Ja, in etlichen Fällen betrug dieser Fehler sogar neunzig Grad! Dazu fiel Schnee, die Luft noch undurchsichtiger machend, und so geschah es, daß ein Bär uns ungesehen nachzuschleichen vermochte. Er wurde erst in geringer Entfernung bemerkt; der Nebel verlieh ihm die Größe eines Ungeheuers. Behend ergriffen wir die Gewehre; eines derselben ging durch die Voreiligkeit eines Jägers los, und der Bär verschwand, ohne durch eine Blutspur eine Verwundung zu verrathen. Wir haben jedoch öfter die Wahrnehmung gemacht, daß selbst schwer getroffene Bären keine solche Spur zurückließen; es wird nämlich behauptet, daß ein verwundeter Bär sich selbst zu verbinden pflege, indem er seine Tatze mit Schnee auf die empfangene Wunde drückt. Das Zusammentreffen von Bären und Menschen zeigt stets, wie ungleich ihre wechselseitigen Eindrücke sind. Bei dem Bären ist es ein ausgesprochenes beharrliches Staunen; lebt er doch hier ohne Feind, als König dieser Einöden, wie das Walroß im Meere. Bei dem Menschen, besonders dem Einzelnen, ist das Sicherheitsgefühl minder groß, wenngleich das Beunruhigende einer Bärenjagd eigentlich nur darin liegt, daß man sich sagen muß, ihr Ausgang entscheidet, ob der Jäger den Bären, oder der Bär den Jäger verzehren wird.

Mittags war es diesmal, wie in allen künftigen Fällen, unser Brauch, für eine Rast von einer bis zwei Stunden das Zelt aufzuschlagen und ein Mahl aus gewärmtem boiled beef u. dgl. einzunehmen. Es zeigte sich dabei, in welchem Nachtheil eine ungeübte Mannschaft gegenüber einer erfahrenen ist; das Kaffeekochen Morgens, die Zurüstung zum Marsche, das Abbrechen des Zeltes und Aufladen des Gepäcks sind Verrichtungen, wozu die letztere eine bis zwei, die erstere aber drei bis vier Stunden bedarf, und das geringste Schneetreiben reicht hin, ihre ganze moralische Kraft hinwegzublasen. Als wir das Zelt verließen, stand der Bär wieder vor uns; er verschwand jedoch abermals, als wir zu den Waffen eilten. Im Verlaufe der nächsten Stunden kamen wir an einigen Eisbergen vorbei, welche die Form ungeheurer Tafeln hatten, und als der zunehmende Wind den Nebel für Augenblicke durchriß, erblickten wir die Felshöhen von Cap Tegetthoff hoch und nahe über uns. Dann begann heftiges Schneetreiben, das uns gerade entgegen blies; es war eine seltsame Scene, als Pospischill, der rückwärts an den Trägern des Schlittens bedienstet war, seinen Platz verließ, mich um Rath zu fragen, wie er sich vor dem Erfrieren zu schützen vermöge. Der Bär war uns indessen unausgesetzt gefolgt, öfters durch heftige Schneeböen unseren Blicken entzogen, in so ausgiebigem Schritt, daß er sich bald zur Seite, bald in unserm Rücken, dann wieder vorne befand, und dieses Umkreisen auf etwa zweihundert Schritte Entfernung immer erneuernd, hielt er den Kopf beständig gegen uns gewandt. Nur dadurch, daß wir unseren Weg unbekümmert fortsetzten, hofften wir seine Dreistigkeit bis zum Angriffe zu steigern und uns in den Besitz seines Fleisches zu setzen. Als er jedoch plötzlich auf uns unter dem Winde zulief, gaben wir die scheinbare Gleichgiltigkeit auf; wenige Augenblicke darauf hatte Jeder die ihm angewiesene Bereitschaft zu seinem Empfange angenommen. Sie bestand diesmal und auch nachher stets darin, den Schlitten, einer Brustwehr gleich, quer über die Linie, in welcher der Bär einherkam, zu schwenken, worauf Jedermann sich seiner Zuggurte entledigte, die Tyroler und ich die Gewehre ergriffen und kniend über den geladenen Schlitten hinweg in Anschlag brachten. Das Recht des ersten Schusses wechselte ab; Jeder zielte auf den unteren Theil des Schädels und drückte erst dann ab, wenn der Bär schon nahe auf uns zukam. Ein Anderer hatte inzwischen die Distanz von dreißig Schritten gegen den Bären hin abgeschritten und einen Handschuh, darauf ein Stück Brod, in den Schnee gelegt. Die Hunde wurden auf die dem Bären entgegengesetzte Seite des Schlittens geschafft und mit dem Segel überdeckt, das unmittelbar nach dem Halten war fallen gelassen worden. Von den übrigen vier Mann hielten zwei die Hunde, ein dritter nahm den Revolver zur Hand, und der Vierte versah sich mit einigen Patronen für den ferneren Jagdbedarf. Nach beendeter Aufstellung sprach und regte sich Niemand mehr. In der Regel fand die Annäherung des Bären, unmittelbar nachdem er uns erblickt hatte, in ununterbrochenem Laufe statt; selten geschah es zögernd und im Zickzack; gewöhnlich hielt er für einen Augenblick an der Stelle, wo das Brod lag. In diesem Momente fielen drei Schüsse rasch hintereinander, und fast stets lag der Bär, in den Kopf und in die Lunge getroffen, todt am Boden. Ein furchtbares Geheul drückte nun das Mißvergnügen der Hunde aus, daß wir ihnen die Jagd verheimlicht hatten; denn weil die Annäherung der Bären immer unter dem Winde erfolgte, so entging sie ihrer Witterung. Ungestüm zerrten sie an den Zugleinen, und wenn wir sie losließen, stürzten sie auf den erschlagenen Gegner und zerrauften sein Fell. Waren wir damit beschäftigt, ihn zu zertheilen, setzten sie sich aufmerksam zu uns, sahen mit gespitzten Ohren zu, tauchten die Zungen in die rothe Lache des noch rauchenden Blutes und verschlangen ihnen zugeworfene Stücke seines Fleisches mit eifersüchtiger Gier, während sie es einzeln, d. h. ohne Beisein der anderen, verschmähten. Es war ein Weibchen von sechs Fuß Länge, das wir erlegt hatten; das beste Fleisch, die Zunge und etwas Thran wurde abgeschnitten, und der Marsch dem immer heftiger treibenden Schnee entgegen fortgesetzt. Einer der Leute hatte sich bei der Zertheilung des Bären tief in den Finger geschnitten, und da selbst die Anwendung von Eisenchlorid nicht hinreichte, die heftige Blutung zu stillen, so sahen wir uns gezwungen, schon um sechs Uhr Abends das Zelt aufzuschlagen.

Als wir es am 12. März Morgens wieder verließen (-26° R.), war Alles ringsum eine roth wallende Wüste, und die treibenden Schneefluthen, welche uns die nahen Felshöhen verbargen, trafen uns wie unzählige stechende Pfeile. Ein solches Schneetreiben, wenn es gleich das Reisen ungemein erschwerte, konnte jedoch nicht mit den grauenhaften Schneestürmen verglichen werden, die wir in Grönland erlebt hatten, und mit welchen es nur die Vorzeichen seines Beginnes gemein hatte: starke Refractionserscheinungen, flammende Nordlichter, grellblaue scharfkantige Bergflächen, völlige Windstille und eine trübe, schwüle Luft.

Regungslos lagen schwere Dunstmassen vor dem gelbgrauen Nebel des Firmaments mit der phantastischen Symmetrie der Nebensonnen, der sichern Botschaft schlechten Wetters; nur an wenigen Stellen brach das Licht noch grell hervor. Diesmal hatte das Unwetter seine größte Heftigkeit erreicht. Aus jeder Eiskluft sandte der Wind sein gebrochenes Contingent zu der rasenden Schneefluth, die, frei von allen Hemmnissen, ihre Schleier in rothen Flammenlinien heulend dahintrug über die schattigen Eiskolosse, um in der Höhe vor der trübe hindurchglühenden Morgensonne in rauchige Wirbel zu zerfasern. Ueberall in den krystallenen Ruinen und Kesseln häufte der brausende Wind tiefe Wehen feinen Schneepulvers, über die Kämme des Eises zog er ungestüm hinaus, – Milliarden blitzender Nadeln. Immer dichter wurde die jagende Schneefluth; als Wolke zog sie dahin, verlöschte die Sonne, und innerhalb dieser tobenden Hülle gab es nur noch eine Steigerung, den wüthenden Anfall einzelner Böen.

Indem wir das schneeverwehte Zelt abbrachen, war jeder Gegenstand, der in den Schnee fiel, sofort von seinen treibenden Wellen begraben. Ueberhaupt gibt es auf arktischen Reisen keine härtere Probe der Standhaftigkeit, als die, ein solches Schneetreiben zu überwinden und den Marsch fortzusetzen bei gleichzeitig tiefer Temperatur. Etlichen meiner Begleiter, die an die furchtbare Rauheit eines solchen Wetters noch nicht gewöhnt waren, erfroren sofort die Finger, weil sie das Einknöpfen der Windschirme und Nasenbänder und das Schließen ihrer Röcke unbedachter Weise, erst nachdem sie das Zelt verlassen, zu beenden suchten. Unsere Segeltuchstiefel wurden steinhart; jeder stampfte mit den Füßen, um sie vor dem Erfrieren zu schützen.

Unter solchen Umständen fand auch die Bepackung des Schlittens ohne jene Präcision statt, welche allein vor Verlusten schützt, und die während des Weges zu vereiteln, der Aufmerksamkeit des an den Schlittenträgern schiebenden Mannes vorbehalten ist. Schon daraus sprachen Uebereilung und Verwirrung, daß die Spirituskanne und die Steigeisen zusammengebunden waren, der Proviantsack offen am Schlitten lag u. dgl. Endlich war Alles bereit; der Marsch begann, schneebereift und zusammengeschrumpft zogen Männer und Hunde dahin, die Hunde mit gesenktem Kopf und eingezogenem Schweif, von Schnee starrend, nur die Augen waren noch frei.

Ein momentanes Nachlassen des Windes belehrte darüber, daß der gestrige Marsch durch den treibenden Schnee uns viel zu weit nach Süden geführt hatte und Cap Tegetthoff jetzt genau im Norden vor uns liege. Dieser Richtung galt nun unser Weg, und weil der Wind noch immer aus Nordwesten kam, mußten wir auch auf die Verwendung des Segels verzichten. Dieses Gehen gegen den Wind, welches die Voranziehenden am härtesten empfinden, hatte zur Folge, daß sich fast Alle die Nase erfroren, auch der Tyroler Klotz, und es war schwierig, ihn zu überzeugen, daß er sie mit Schnee reiben müsse, weil sie nicht ihm allein, sondern gleich den übrigen sieben Nasen und vierzehn Füßen Jedem von uns angehöre und unter allgemeiner Ueberwachung stehe. Im Uebrigen war auf solchen Reisen nichts so sehr geeignet, die persönliche Sorgfalt zur Erhaltung der Marschfähigkeit zu erhöhen, als die Eröffnung, daß einem Marschunfähigen die Erbauung eines Hauses aus Schnee bevorstünde, in welchem er zurückbleiben könne, ausgestattet mit allem Comfort, zu welchem Schnee überhaupt noch hinreiche, – überdies mit einem Gewehre, einer kleinen Kochmaschine, einem Stück des gemeinschaftlichen Sackes und seinem Proviantantheil, daß er somit in einer Weise zurückbleibe, in der er sich der größten Ungenirtheit erfreue.

Als wir näher unter Land kamen, ließ die Heftigkeit des Schneetreibens etwas nach, und nach Verlauf von zwei Stunden trat Windstille ein. Nahe vor uns lag jetzt das schroff abfallende Plateau Cap Tegetthoff, von dessen Höhe ein Basaltgang klippenreich gegen Osten herabzog, um mit zwei einzelnen Pfeilern von etwa zweihundert Fuß Höhe zu enden. Wir erreichten sie kurz vor Mittag; eine unter günstigen Umständen ausgeführte Breitenbestimmung gab ihre Polhöhe mit 80° 6' nördl. B. Die schwache Fluth vermag das Baieis kaum zu heben oder zu sprengen, daher sammeln sich die Schmelzwasser des Frühjahres am Saume dieser Küsten zu kleinen Seen. Dicht unter einem der beiden Thürme, welche in schönen Säulen eines völlig aphanitischen Basalts aufgebaut sind, schlugen wir das Zelt auf, und während der Koch Bärenfleisch zum Mittagmahl bereitete, lagerten wir in den Sonnenstrahlen dicht unter den Felsen, um die eisstarrenden Kleider trocknen zu lassen.

Um ein Uhr brachen die Tyroler und ich zur Besteigung des Cap Tegetthoff auf. Die Zurückbleibenden aber vertrieben sich die Zeit, indem sie sich die Füße abwechselnd mit Schnee rieben, besonders jene von Lettis, der uns die unangenehme Ueberraschung vorbehalten hatte, seine Füße seien bereits seit drei Stunden erfroren und entbehrten jedes Gefühls. Eine Stunde lang marschirten wir auf dem mit einem zarten Azurblau beschatteten Schnee unterhalb der langen Klippenreihe des Basaltganges, und eine zweite Stunde im Sonnenlicht immer steiler hinan über rosig gefärbte Schneehalden, zwischen »candirten« Felsen hindurch, bis zum höchsten Punkte eines wellenförmigen Plateaus. Selten war eine Bergbesteigung von größerem Interesse, als diese, weil sie in einem noch völlig unbetretenen Lande stattfand. Haller und Klotz waren geborne Bergsteiger, und ich hatte die Höhe von 10.000 Fuß während meiner Aufnahmen in Tyrol wohl hundertmal überschritten, ohne daß unsere Erwartung je so sehr auf den Anblick vom Gipfel aus gespannt gewesen wäre, als nun. Die Ersteigung ging nicht ohne Schwierigkeiten ab, sondern es bedurfte der außerordentlichen Gewandtheit der beiden Tyroler, die selbst in biegsamen Segeltuchstiefeln fähig waren, schroffe Eishänge hinanzuklimmen. Als wir den Gipfel betraten, war es drei Uhr Nachmittags und die Temperatur auf -28° R. gefallen (beim Zelt gleichzeitig -25° R. und beim Schiffe -23,3° R.); eine vergleichende Barometerbeobachtung ergab 2600 Fuß Höhe. Wider Erwarten erwies sich die Aussicht beschränkt; besonders nach Norden hin war die mit unzähligen Eiskrystallen erfüllte Luft so undurchsichtig und finster, daß schon die nahe Vulcangestalt des Cap Berghaus wie durch einen dichten Flor erschien, und eine Art Höhenrauch alles Entferntere verhüllte. Im westlichen Binnenlande lagen Nebel, und rothe Dunstbänke hüllten das Eismeer im Süden ein. Nur unter der Sonne blitzten einige schmale Streifen offenen Wassers. Nach zwei Stunden hatte ich alles Wahrnehmbare gezeichnet und einige Punkte im Azimuthalwinkel bestimmt; dann kehrten wir nach dem Zelt zurück. Hier fanden wir Lettis und Cattarinich damit beschäftigt, mit Schnee die Hände des Lukinovich zu reiben, der sie durch das Reiben an Lettis' Füßen erfroren hatte.

Cap Tegetthoff.

Außer dem Winde macht nichts die Kälte so empfindlich, als Mangel an Bewegung; daher hatte das fortgesetzte Fallen der Temperatur die Zurückgebliebenen ungleich mehr belästigt, als uns; selbst der wunderbare Glanz der rosigen Schneegipfel war nicht im Stande, ihr strenges Urtheil über das Franz Joseph-Land zu mildern. Anstatt des fertigen Abendmahls zur festgesetzten Stunde und ohne Spiritusverbrauch, empfing uns der rathlose Koch, der über rauchenden Spänen und Stücken gerösteten Bärenspecks brütete, und erst nachdem ich eine Flasche Alkohol bewilligt, erhielten wir das Nachtmahl. Dann begaben wir uns in den gemeinschaftlichen Sack zur Ruhe. Doch bald begannen wir, und zwar immer Mehrere, zu zittern; bei dem mit einem Lungenemphysem behafteten Pospischill nahm dies den Charakter des Fiebers an, obgleich er täglich zweimal Thran erhielt. Als ich das Zelt verließ, um nach den Thermometern zu sehen, hatte sich das Quecksilber des einen bis in die Kugel zurückgezogen und war gefroren, der Weingeist eines andern Eines dieser Thermometer war bis auf -28°, und das andere bis auf -55° getheilt. zeigte 33 Grade unter Null. Ein heißer Grog, wozu eine ganze Flasche starken Rums verwandt wurde, glich diesen Uebelstand aus, da er die Körpertemperatur jedes Einzelnen um ein bis zwei Grad steigerte, die es, da der Sack vor raschem Entweichen der Wärme bewahrte, möglich machte, in tiefen Schlaf zu versinken, den nur die zunehmende Feuchtigkeit unserer Kleider beeinträchtigte.

Am 13. März brachen wir um sechs Uhr Morgens auf; die Sonne war noch nicht aufgegangen, das Weingeistthermometer zeigte fast 35 Grade unter Null, und ein Hauch vom Lande her wehte schneidende Kälte entgegen. Selbst auf dem Schiffe betrug die gleichzeitige Temperatur 30,7 Grade unter Null, eine gewöhnliche Differenz, welche dem erkältenden Einflusse des Landes zuzuschreiben ist. In Grönland beobachteten wir einst noch viel größere Abweichungen dieser Art; sie zeigten, wie schroff die klimatischen Momente einander oft in großer Nähe gegenüberstehen.

Schneeschmelzen während einer Rast.

Cap Berghaus war unser Ziel. Von seinem Gipfel aus war ein ziemlicher Ueberblick über die Landvertheilung unter dem achtzigsten Grade zu erwarten. Lange schon vor Aufgang der Sonne erhielten die harten Schneefluren das fahle Grün ihres Widerscheines; nur die Eisberge im Norden blitzten im Lichte matten Silbers und zeigten rasch wechselnde Umrisse in der wallenden Luft. Aus Milliarden blitzender Schneekrystalle bestand die Bahn; allein so groß war deren Härte, daß der Schlitten nur schwer und kreischend über sie hinwegglitt, und nach drei Stunden hatte uns die Anstrengung des Ziehens so ermüdet, daß wir hielten, den Schlitten abluden und etwas Schnee schmolzen, um seine Kufen mit Wasser zu befeuchten. Sofort bildete sich eine Eisrinde, die sein ferneres Dahingleiten so lange erleichterte, bis auch diese Schichte, etwa nach einer Stunde, wieder abgerieben war. Eine breite Einfahrt, von malerischen Gebirgen umringt – Nordenskjöld-Fjord – hatte sich zur Linken geöffnet, und weil ein großer Gletscher den Hintergrund dieses Fjords bildete, so schlugen wir die Richtung nach Westen ein, um die Erscheinungen dieses hochnordischen Eisgebildes zu studiren. Auch schienen die ihn umgebenden Gipfel das Cap Berghaus für unseren Zweck vollkommen zu ersetzen.

Je mehr wir in den Fjord eindrangen, desto tiefer wurde eine Schichte feinen Schneepulvers, welches die Winde in diesem Kessel abgelagert hatten. Mittags erreichten wir die hohen Abstürze des Sonklar-Gletschers und schlugen unser Zelt bei einem Eisberge auf.

Nachmittags standen die Tyroler und ich auf einem Berge, Cap Littrow, dessen Höhe mittelst des Aneroïds mit 2500 Fuß gemessen wurde, und von wo aus wir nicht allein die Gebirge der Hall-Insel, sondern auch die im Osten vorgelagerten Inseln erblickten. Kein Windhauch regte sich, die Luft war klarer als sonst; trotz der tiefen Temperatur von -35° R. konnte ich, ohne im mindesten durch Kälte zu leiden, Die große Ungleichheit des Kältegefühles findet in dem folgenden Abschnitt nähere Erwähnung. durch drei Stunden arbeiten, zuerst, wie gewöhnlich, den Umkreis zeichnend, sodann die Winkel sowohl im Azimuth als auch in der Höhe messend. Von Südwesten bis Nordosten ragten die Gipfel entfernter Gebirge über die Höhenzüge des Vordergrundes herüber; sowie uns dieser Anblick durch die Gewißheit befriedigte, daß dieses nach unserem Monarchen benannte Land von großer Ausdehnung sein müsse, so steigerte sich auch unsere Ungeduld, das Geheimniß seiner Größe, Gliederung und Beschaffenheit sobald als möglich kennen zu lernen. Für jetzt waren die Wüllerstorff-Berge die äußerste Grenze des Erkennbaren, und ihre drei Gipfel flammten in dem ununterbrochenen Alpenglühen der tiefstehenden Sonne über den schattigen Säumen des in breiten Terrassen herabsteigenden Sonklar-Gletschers. Tief zu unseren Füßen ergoß er sich mit einer meilenlangen Absturzwand in die gefrorene Bai des Nordenskjöld-Fjords.

Um acht Uhr Abends waren wir beim Zelt zurück, nachdem wir vorher noch die Vorbereitungen zur Beobachtung des Vorrückens dieses Gletschers getroffen hatten. Sumbu und Toroßy hatten uns auf diesem Wege begleitet; sowohl bergauf als auch bergab mußten wir sie ans Seil binden, und wir selbst überwanden die ungeheuere Steilheit des Bergkegels nur durch Stufen, welche der vorangehende Klotz mit unvergleichlicher Sicherheit hieb. Während der folgenden Nacht fiel die Temperatur bis auf 37° unter Null (-35° am Schiff), und ich glaube nicht, daß wir sie ohne einen Grog ganz ohne störende Zufälle überstanden hätten. Wir tranken ihn, als wir uns dicht gedrängt und vermummt im Sacke befanden er war glühend heiß und so stark, daß er uns unter anderen Umständen mehrere Tage lang arbeitsunfähig gemacht haben müßte. Dessenungeachtet verlief die Nacht sehr peinlich, erschwert durch feuchte Kälte und frostbereifte Kleider; einmal sahen sich fast alle Bewohner des Zeltes genöthigt, ins Freie zu treten, selbst Sumbu vergaß seine sonstige Heuchelei; denn das Vorrecht, im großen Zelte zu schlafen, dehnte er dahin aus, sich in den Sack des noch beschäftigten Koches zu drängen und zu brummen, als ich mir die erfrorne Nase mit einer Mischung von Jod und Collodium rieb. Aus Mitleid versuchten wir den Hunden dann und wann etwas Wasser zu geben, allein sie zeigten keine besondere Freude darüber und fraßen während des Marsches beständig Schnee.


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