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Der Vater hatte jetzt stets mehrere Privatschüler, welche täglich bei ihm zeichneten, weil sie sich ganz der Kunst widmeten. Ich nenne von diesen nur Kluge, Götzloff, Wagner. Ersterer wurde Kupferstecher und studierte später als sächsischer Pensionär bei Longhi in Mailand. Er gab in der Folge die künstlerische Laufbahn auf und nahm die einträgliche Stelle eines Privatsekretärs an bei einem vornehmen Herrn in Schlesien. Götzloff wurde ein geschickter Landschaftsmaler und starb in den sechziger Jahren in Neapel, woselbst er gelebt und eine geachtete Stellung und Vermögen sich erworben hatte.
Eines Tages brachte der Vater einen jungen hübschen, schlanken Mann in unser Atelier, welcher in Tharandt auf der Forstakademie studierte und die Nähe Dresdens benutzen wollte, seine Lieblingsneigung, das Landschaftszeichnen, durch Unterrichtnehmen etwas zu kultivieren. – Wir Schüler gewannen ihn sehr bald recht lieb, denn er hatte etwas Frisches, Anregendes und war uns an geistiger Bildung überlegen, auch hielt ihn der Vater für ein großes Talent. Sein heiteres Wesen und elastische Lebendigkeit erinnerten daran, daß ein Tropfen französischen Blutes in seinen Adern floß, denn seine Mutter war eine Französin, sein Vater aber der durch seine Romane »Die reisenden Maler«, »Isidore« und »Willibalds Ansichten des Lebens« bekannte und sehr geschätzte Schriftsteller Wagner in Meiningen.
Unser Wagner hatte einen Teil seiner Erziehung mit dem Erbprinzen seines Herzogs teilen dürfen, dem er als Spielgenosse beigesellt war, und jetzt, da sein Vater gestorben, ließ ihn der Herzog die Forstwissenschaft unter Cotta in Tharandt studieren. Die malerischen Umgebungen Tharandts hatten Wagner bald gelockt, seine frühere Liebhaberei des Zeichnens und Malens nach der Natur wieder aufzunehmen, und so zeigte er meinem Vater und uns einige seiner Versuche, die uns in hohem Grade anmutig und geistreich erschienen, obwohl – oder vielleicht auch weil sie gerade das Gegenteil von dem waren, was wir übten und einexerzierten. Wir waren in den Banden einer toten Manier – wie alle Zinggianer –, waren in einem Wust von Regeln und stereotypen Formen und Formeln dermaßen eingeschnürt, daß ein lebendiges Naturgefühl, die wahre, einfache Anschauung und Auffassung der Dinge sich gar nicht regen, wenigstens nicht zum Ausdruck kommen konnte. Wir plagten und mühten uns ab, die schablonenmäßigen Formen »der gezackten Eichenmanier« und »der gerundeten Lindenmanier«, wie Zingg sagte, so einzuüben, daß wir dergleichen mit Leichtigkeit zeichnen konnten. Außerdem suchte man eine Fertigkeit im Tuschen, besonders in Sepia, zu erlangen und leistete in dieser Technik auch Tüchtiges.
Dagegen erblickten wir in Wagners Naturstudien die Naturformen, wie wir sie in der Wirklichkeit vor uns hatten und nicht nach einer Schablone übersetzt. Besonders entzückte mich eine dunkle Felsenschlucht, in welche ein dünner Wasserstrahl herabfällt und vorn durch das Gestein fließt, zwischen welchem prächtige weiße Waldblumen im hellsten Sonnenlichte stehen. Es war mit Wasserfarben gemalt und blieb lange mein Ideal, dem ich nachstrebte. Wagner war so glücklich gewesen, keinen manirierten Lehrer, wie sie damals alle waren – oder nur für die ersten Anfänge – gehabt zu haben, und so hielt er sich an die Natur und suchte das auf dem Papier zur Anschauung zu bringen, was in der Natur sein Auge sah und vor allem sein Herz erfreute. Denn nur wofür der innere Sinn empfänglich oder bereits erschlossen ist, das sieht auch das leibliche Auge. Ein bloß äußerliches Sehen würde nur mechanisch nachbilden. Denn jeder sieht eigentlich nur das, was ihn sympathisch berührt, was er liebt. So sah Wagner also mit eigenen Augen und nicht durch eine der vielen akademischen Brillen, welche der Lehrer mit bester Überzeugung glaubte seinem Schüler auf die Nase setzen zu müssen. – Der Eindruck dieser gewiß noch sehr mangelhaften, aber mit naivster Unbefangenheit und Liebe gemachten Studienblätter war für mich von großer Bedeutung; denn er wirkte in mir fast unbewußt, traumähnlich fort und war mir wie ein fernes Sternbild, nach dem man das Schifflein lenkt.
Es war auffallend, daß mein Vater Wagner keine Vorlagen in Zinggs Manier gab, sondern ihn nach Waterloo, Everdingen und anderen in einer durchaus freien Weise zeichnen ließ. Mir wurde, indem ich diese Behandlungsweise beobachtete, damit immer mehr der Weg aufgeschlossen, der Natur näherzukommen. Wagner entschloß sich endlich, sich ganz der Kunst zu widmen, verließ die Forstakademie und zog nach der Stadt. Er arbeitete nun den Winter hindurch sehr fleißig und nahm später Unterricht im Ölmalen bei J. Faber.
In diesem Winter kam auch ein Neffe der Großmutter, ein Kandidat der Theologie, namens Jung, oft zu uns; denn er wohnte in unserer Nähe, im sogenannten Salomonistor. Dies Tor führte nur in einen Hof, der vor den Kasematten lag, in welchen die Baugefangenen lagen. Es hatte eine ziemlich reiche Architektur, und über dem Eingange prangte in plastischer Arbeit das Urteil Salomonis. Mein Herr Vetter wohnte in diesem Gehöfte bei einem Beamten, und die armen Gefangenen erregten meine Aufmerksamkeit, wenn ich ihn besuchte. Sie hatten Jacken und Hosen halb hell, halb dunkel gefärbt, wie die Galeerensträflinge, sehr schwere Fußeisen mit einer Kette, einige der schwereren Verbrecher auch eiserne Hörner an einem Halseisen, welche hoch über den Kopf hinausragten und das Schlafen sehr erschweren mochten. Der berüchtigte böhmische Räuberhauptmann Karasek war erst vor wenig Jahren gestorben und hatte in diesen finstern Kasematten sein elendes Leben beschlossen. Er wurde des Nachts – so ging wenigstens die Sage – alle halben Stunden geweckt, zur Verschärfung der Strafe. Hinter diesen Gefängnissen war eine der Bastionen an der Stadtmauer, und auf ihr stand eine große eiserne Lärmkanone, die faule Grete genannt, wahrscheinlich weil sie selten ihren eisernen Mund auftat.
Diese ganze Region hatte etwas die Phantasie Erregendes, à la Callot-Hoffmann, und mein hagerer, bleicher, hypochondrischer Vetter mit seinem trocken sarkastischen Wesen gehörte samt seiner mächtigen Bücherkiste in dem dürftig möblierten Stübchen recht eigentlich in diese Umgebung; denn er war eine echt Hoffmann-Callotsche Figur. – Er lieh mir von seinen Büchern, und mein Herz erzitterte, wenn er die große Holzkiste öffnete und irgend etwas Passendes für mich daraus hervorsuchte. Mein Verlangen nach Büchern war überaus groß; gleichwohl konnte ich es nirgends befriedigen; denn abgesehen davon, daß es der Vater sehr ungern sah, wenn ich ein Buch zur Hand nahm, hatte ich nirgends Gelegenheit, solche zu erlangen. Wie mir nun einstmals der Vetter Musäus' Volksmärchen gab, ging mir eine neue Welt auf: ich schwelgte darin, und besonders ist mir in der Erinnerung, wie mich die »Stumme Liebe« entzückte. Alle die Personen und Gegenden dieser Erzählung standen lebendig vor meinen Augen, und als ich zwanzig Jahre später diese Geschichte zu illustrieren hatte, war es mir, als zeichnete ich nur so hin, was ich früher einmal gesehen hatte und mir vollständig noch gegenwärtig war.
Da wir jetzt eine neue Wohnung auf der großen Schießgasse bezogen hatten, in welcher mehr Raum war, so bekam ich auch ein sehr reizend gelegenes Stübchen für mich. Es ging das Fenster nach dem Stadtgraben hinaus. Drüben lagen aber die Häuser der Pirnaer Vorstadt mit ihren Gärten und die kleine Johanniskirche. Ich war nun sehr fleißig, fing auch an, mit dem Grabstichel nach Goltzius in Kupfer zu stechen, und war sehr glücklich, wenn mir den Tag hindurch eine Strichlage recht rein geschnitten gelungen war. Nur dauerten alle diese dem Studium gewidmeten Arbeiten nicht lange; denn immer wieder mußte ich dem Vater bei irgendeiner leidigen Brotarbeit helfen. Es waren dies gewöhnlich langweilige Prospektradierungen, die mir recht gründlich zuwider wurden. Selbst die Stunden auf der Akademie, welche ich damals besuchte, wurden darüber versäumt, und es blieben mir für mein eigentliches Studium nur die Abende frei, wo ich in der Art, wie ich es von Wagner gesehen hatte, nach Radierungen zeichnete. Da wurde nun beim Studierlämpchen kopiert, was mir gefiel: Ostade und Berchem, Ruisdael und Swanevelt, Boissieu und Lairesse, Dietrich und Chodowiecki, ja selbst nach Gips machte ich Versuche.
Das Zeichnen auf der Akademie nach Originalen und später nach Gips wurde ebenfalls sehr mechanisch betrieben. Auge und Hand wurden indes geübt, obwohl ich eigentlich nicht wußte, worauf es denn eigentlich ankam. Man lernte eben einen Umriß machen und bemühte sich, eine schöne Schraffierung herauszubekommen. Daß es sich um den Gewinn einer gründlichsten Kenntnis des menschlichen Körpers und um ein feines Nachempfinden der Schönheit dieser Formen handle und deshalb um eine möglichst strenge, genaue Nachbildung zu tun sei, das wurde mir nicht und wohl den wenigsten klar. Es war mehr eine mechanische Kopistenarbeit, und die Antike wie das Modell wurden von dem Lehrer in konventionelle Formen gebracht, ziemlich ebenso, wie es Zingg mit den landschaftlichen Gegenständen machte.
Jedoch regte sich in den oberen Klassen unter einigen der begabteren Schüler bereits ein anderer Geist, welcher der üblichen Lehrmethode ganz entgegengesetzt war. Doch kam ich mit diesen Bestrebungen in keine Berührung; denn da ich nur im Winter des Abends den Gipssaal besuchte, so blieben mir meine Mitschüler ziemlich fremd, namentlich aber die älteren, welche auch einen Verein unter sich gebildet hatten, in welchem die neue Richtung Proselyten machte.
Ich erinnere mich nur, wie die Landschaftsmaler Heinrich (Heinrich war aus Wien gekommen, wo diese Richtung bereits Wurzel gefaßt hatte (durch Schaefer, Overbeck, Julius und Ludwig Schnorr, Olivier u. a.) – und malte mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit – oft mit wenig Wahl – nach der Natur. Er starb auf der Reise nach Italien in Innsbruck. ) und Oehme einst in den Gipssaal traten – der Professor war nicht mehr zugegen – und ihren Freunden einige in Tharandt gemachte Studien zeigten. Sie wurden mit Lob und Bewunderung betrachtet, und ich bekam einen gewaltigen Respekt vor diesen Herren, die sich bereits als selbständige Künstler gerierten, mit welchen unsereiner als Klassenschüler keinen Verkehr haben konnte. Ich entdeckte nur soviel, daß die Studien in einer noch strengeren Weise gemacht waren als Wagners Zeichnungen, und die Zweifel an der Güte der Zinggschen Methode wurden bei mir immer stärker, obwohl die Professoren vor dem »altdeutschen Unsinn« warnten.
Es trat jetzt eines jener anfangs völlig unscheinbaren, in seinen Folgen entscheidenden Ereignisse ein, in welchem ich eine göttliche Führung erkennen muß; denn für mein ganzes späteres Leben und dessen künstlerische Entwickelung war es von entschiedener Bedeutung.
Ich saß in des Vaters Arbeitszimmer und radierte für ihn an einer Kupferplatte, einem jener Prospekte, die mich so wenig erfreuten, weil ich dadurch von eigentlichen Studienarbeiten abgehalten wurde, als der Buchhändler Christoph Arnold mit dem Vater eintrat. Arnold hatte eigentlich eine andere Person im Hause besuchen wollen, war aber irrtümlich an unsere Tür gekommen, und da der Vater selbst geöffnet hatte und beide sich aus früherer Zeit kannten, so trat er ein, und sie unterhielten sich von ihren früheren Beziehungen zueinander. Ich bemerkte, wenn ich manchmal von meiner Arbeit aufsah, wie der alte Arnold mich beobachtete. Er fragte, ob ich der Sohn sei, was ich da mache usw. – Endlich fragte er den Vater, ob er wohl ein größeres Werk übernehmen würde, welches er zwar bereits begonnen habe, aber mit den Probeplatten nicht zufrieden sei und sie nicht benutzen werde. Es sollte eine größere Reihenfolge von Radierungen werden, malerische Ansichten von Dresden und seiner Umgebung. Auch müßten die Zeichnungen dazu nach der Natur aufgenommen werden, und da er sehe, daß ich dazu Geschick habe, so könne ich vielleicht dabei mitarbeiten und so die Sache besser gefördert werden. Dem Vater war dieser Auftrag willkommen, und so wurde denn alles bestens ins reine gebracht. Der ruhige, stattliche Mann gab mir beim Gehen freundlich die Hand, wobei ich mit stiller Verwunderung bemerkte, daß Tränen in seinen Augen standen. – Im Vorzimmer sprachen die beiden noch lange miteinander, und als der Vater wieder hereintrat, sehr erfreut über die langwährende und gut bezahlte Arbeit, teilte er mir noch mit, daß ihm Arnold tief gerührt und mit tränenden Augen gesagt habe, wie er durch meinen Anblick an seinen unlängst verstorbenen Sohn, dem ich sehr ähnlich sehe, auf das Lebhafteste erinnert worden sei, und er habe um Erlaubnis gebeten, daß ich einen bestimmten Abend allwöchentlich bei ihm und seiner Familie zubringen möchte.
Ich wurde nun in dieser wohlhabenden, aber doch schlicht bürgerlichen Familie bald heimisch. Die gute Mama Arnold, eine alte, treuherzige Frau, und die nicht mehr junge Tochter Gottwertha behandelten mich wie Sohn und Bruder, und ich fühlte mich recht wohl bei ihnen. Zwei andere Gäste, welche ich regelmäßig an jenen Abenden vorfand, gehörten auch unter die Originale. Der eine, namens Fromm, ein alter, etwas podagraischer spanischer Sprachlehrer, war der behaglich redselige Gesellschafter; denn er langte hervor, wie ein guter Hausvater, aus seinem Gedächtnisschatze Altes und Neues; Altes aus seiner Jugendzeit und seinem Aufenthalte in Spanien, Neues, was in der Stadt sich Merkwürdiges zugetragen hatte. Der zweite Herr war ein Verwandter der Familie, ein Witwer und seines Zeichens ein Mechanikus. Er war die stumme Person im Stücke; denn ich kann mich kaum erinnern, ein Wort von ihm gehört zu haben. Auffallend waren mir besonders seine buschigen Augenbrauen, welche teilweise so lang waren, daß sie die Augen halb bedeckten, und dann seine kurzen, klumpigen Finger, an welchen lange, spitze Nägel saßen, die den Neid des größten Raubvogels hätten erwecken können. Aber trotz dieser eigentümlichen Adlerklauen spielte er das Piano so meisterhaft, daß es eine Wonne war, ihm zuzuhören, und sobald er gegessen hatte, ging er auch regelmäßig zum Flügel und spielte die besten Sachen, welche seinen gebildeten Musiksinn erkennen ließen.
Das Angenehmste bei dem Arnoldschen Auftrag war mir, daß ich oft ausgesandt wurde, um gewisse Gegenden in der Nähe Dresdens aufzunehmen. Ja es wurden durch Arnold selbst zuweilen größere Ausflüge von mehreren Tagen veranstaltet, an denen er mit Frau und Tochter teilnahm und die uns allen das größte Vergnügen boten. Ich trug fleißig zusammen, was für unser Werk brauchbar schien, und Arnold war mit meinen Zeichnungen zufrieden.
Dies angenehme Verhältnis währte mehrere Jahre, und ich würde recht befriedigt gewesen sein, wenn nicht diese Art von Arbeiten ganz gegen meine Neigung gewesen wäre. Nicht nur die Auffassung der Gegenden widerstrebte dem malerischen Gefühl – denn man suchte meistens weite Aussichten, die mehr Landkarten als in malerischen Formen abgeschlossenen Bildern ähnelten –, sondern noch widerhaariger war mir die Art der Ausführung, die immer noch die Zinggsche war. Die kleinen Staffagefiguren wurden fast immer meiner Erfindung überlassen, und ich machte sie gern. So radierte ich auch oft an den breiten Rändern der Kupferplatten allerhand Gruppen. Ereignisse aus dem Leben, oder auch komisch-symbolische Darstellungen mit Randglossen, die dem Vater auf verblümte Weise meinen Herzenskummer entdecken sollten, wie ich mich sehne, Maler zu werden, und befürchte, als elender Prospektradierer zu Grunde zu gehen. Denn da der Vater jede Platte zuletzt in die Hände bekam, teils sie zu retuschieren oder die Ferne zu punktieren und endlich das Ganze zu ätzen, so entdeckte er natürlich die malerischen Stoßseufzer, Herzensergießungen oder pikanten Anzüglichkeiten, die ihm indes, statt zu Herzen zu gehen, ganz gut gefielen, so daß er sie mitätzte, wo sie in den Probedrucken bestens zu sehen waren.
Nun war einer der Hausfreunde des Papas der Landschaftsmaler Graff, ein Sohn des berühmten Porträtmalers. – Er besuchte uns fast alle Sonntage ein Stündchen, wo er sich mit dem Vater in Erinnerungen ihrer Schülerzeit erging; denn auch er war bei Zingg gebildet. Graff hatte indes nichts von seines Vaters Talent geerbt, doch war er sehr sorgfältig in Wahl der Farben, der Pinsel, des Maltuches und wußte ein solches vortrefflich auf den Rahmen zu spannen, und all sein Gerät sah höchst sauber, ja elegant aus, so daß einem sogleich der Appetit zum Malen ankommen mußte. Weniger anziehend war indes, was er auf diese Malleinwand brachte; es zeichnete sich durch eine überaus saubere Langweiligkeit aus, und ich weiß nicht, weshalb ich immer bei dem Anblick seiner Bilder an zwei glattgehobelte und zusammengeleimte Spindbretter denken mußte. Sein ganzes Atelier hing voll unzähliger Ansichten des Tetschener Schlosses, von allen zweiunddreißig Seiten der Windrose aufgenommen; über den langen, glatten Fassaden des Schlosses mit seinen gleichmäßigen Fensterreihen lächelte ein ewig blauer, womöglich wolkenloser Himmel. Da Graff von einem kleinen Vermögen leben konnte, auch nicht verheiratet, sondern ein stets glattgebügelter, eleganter Hagestolz war, so malte er auch nur, wenn ihm die Langeweile zu langweilig wurde, lebte im Sommer beim Grafen Thun in Tetschen in angenehmen geselligen Verhältnissen und ließ sich der Kunst wegen kein graues Haar wachsen.
Graff erwähnte eines Tages, daß ein alter Maler, namens Pechwell, in großer Dürftigkeit verstorben sei und die Familie ihm mitgeteilt habe, daß sie die hinterlassenen Malutensilien zu verkaufen wünsche. Da der Vater meine Herzenswünsche hinsichtlich des Malens genugsam gehört hatte, so schlug er mir vor, diese Sachen anzusehen und, wenn sie billig zu haben wären, zu kaufen.
Gevatter Graff (er war Pate meiner Schwester) erbot sich, mir einige Anleitung zum Gebrauch dieser Werkzeuge zu geben, und ich eilte wie mit Flügeln an den Sohlen in die sehr dürftige Wohnung des Verstorbenen, wo mir die Schätze vorgelegt wurden, auf welche ich das Glück meines Künstlerlebens aufzubauen gedachte. Es bestanden diese Kleinodien in einem alten, schmutzigen Holzkasten, in welchem mehrere eingetrocknete Farbenblasen lagen, einer zerbrochenen Spachtel, einer zersprungenen, aber wieder zusammengeflickten Palette und ungefähr einem Dutzend abgenutzter Borstpinsel, an welchen nur noch wenig Borstenreste zu erkennen waren. Da ich im Handel und Wandel nie ein bemerkenswertes Talent entwickelt habe, so schwebten mir bei diesen traurigen Rudera nur die schönen Bilder vor, die man mit dergleichen vielleicht hervorbringen könnte, und der Handel war schnell für wenige Groschen abgemacht, und ich trollte mich damit beladen wieder nach Hause. Da ergab sich nun, daß alle diese Errungenschaften nur die verblaßten Abbilder von Gegenständen waren, die in reineren Regionen – in Kunst- und Farbenhandlungen brauchbar zu erlangen sind, und so mußte denn alles, bis auf den alten Kasten und die geflickte Palette, welche einstweilen noch beibehalten wurden, neu angeschafft werden, und wiederholte sich somit die alte Geschichte des Sohnes, der seiner Mutter den Henkel schickte mit dem Ersuchen, einen neuen Rock daran zu nähen.
Meister Graff instruierte mich nun zuerst, wie eine Luft fertig zu bringen sei. Sie fing allemal am Horizont mit einem ziemlichen Eigelb an, ging ins Rötliche und aus diesem ins Violette über, um zuletzt in einem ewig lächelnden Blau zu endigen.
In dieser Weise wurden nun mannigfache Versuche gemacht; doch schien der Vater bald zu merken, daß damit nicht weiter zu kommen sei, und da er um diese Zeit hörte, daß Professor Schubert gesonnen sei, ein paar Schüler zu sich zu nehmen und zu bilden, so besprach er sich mit diesem, und ich wurde von ihm als Schüler angenommen.
Schubert war ein behagliches, kleines, rundes Männchen, dem man große Güte und Wohlwollen sogleich abmerkte; dabei war er mit Kenntnissen aller Art reich beladen; er wußte alles und besser als andere. Einer seiner erfreulichsten Triumphe, die er oft erlebte, war, daß er z. B. in Rom, seinen Kunstschätzen und Merkwürdigkeiten besser zu Hause war und Bescheid wußte als viele, welche dort sich aufgehalten hatten; denn er selbst war nur in Dresden und Meißen gewesen, kannte aber die Welt genau. »Ja«, sagte er, »man braucht nicht in Rom gewesen zu sein, um seine Schätze zu kennen und von ihnen zu profitieren.« Kurz, was man aus Büchern lernen konnte, hatte er gelernt und stand seinem guten Gedächtnis immer zu Gebote. Gemalt hatte er in seinem Leben zwar nur ein einziges Bild, den Abschied Hektors von Andromache, was bis zu seinem Tode in seinem Visitenzimmer hing und Zeugnis gab, daß er auch praktisch üben konnte, was er in der Theorie wußte. Außerdem hatte er viel für Buchhändler gezeichnet, arbeitete aber jetzt nichts mehr, sondern korrigierte nur noch auf der Akademie im Aktsaal, wobei ihm als Eigentümlichkeit nachgesagt wurde, daß er den gezeichneten Akten der Schüler stets noch einige Linien in die Breite ansetzte, so daß dieselben bei wiederholter Korrektur endlich so dick und rund wurden wie er selbst. Ärgerlich war es den Schülern allerdings, wenn vielleicht ein anderer Professor an die Reihe des Korrigierens kam, der, weniger mit Leibesfülle begabt als Schubert, soviel von den gezeichneten Akten abschnitt, daß der Schubertsche Vollmond auf ein letztes Viertel reduziert wurde. Bei alledem aber hatten sie ihn gern; denn sie sahen, daß er es gut mit ihnen meinte und sich gern mit ihnen über allerlei unterhielt; und so geschah es, daß er, wenn er abends den Aktsaal verließ, um nach des Tages Mühen in seiner »Ressource« der Erholung zu pflegen – denn er war Witwer –, jedesmal eine kleine Schar ihm das Geleite gab. Er hüllte sich dann vorsichtig in seinen Pelz, setzte seine runde Pelzmütze auf, bewaffnete sich mit seinen Pelzhandschuhen, zündete sein Laternchen an, und nun leuchtete der kleine kugelrunde Professor den langen Schlingeln die Apareille hinunter, vorsichtig auf seinen Stab gestützt. Ich nannte die ehrsamen Kunstgenossen Schlingel, denn es waren in der Regel lustige Käuze, welche sich ein Vergnügen bereiteten, ihn besonders über Rom auszufragen und auf den Leim zu führen, weil er dann sein Licht, abgesehen von dem Laternchen, besonders hell leuchten ließ.
So ging ich nun täglich – wenn ich nicht radieren mußte – zu meinem alten guten Schubert, für welchen ich seiner großen Gutherzigkeit wegen die größte Verehrung hegte, ins Hofbrauhaus, wo er in der zweiten Etage wohnte. Er wies mir einen Platz an in seinem besten Zimmer, und ich mußte nun abermals mit Baumschlagzeichnen meinen Kursus beginnen.
Um seine Methode, Baumschlag zu zeichnen, recht anschaulich zu machen, nahm er einen Streifen Papier, brach dieses zusammen, daß es dann vielfache Zacken bildete, bog dieses dann rund herum, und so war der Baumschlag fertig, nur daß man solche Partien aus mehr oder weniger Zacken perspektivisch zusammensetzen mußte. Beim Ölmalen, was später vorgenommen wurde, mußte ich einen Pinsel – sie waren damals von struppigen Fischotterhaaren gemacht, die nie eine Spitze bildeten – dick voll Farbe nehmen und dieselbe mit der Breite des Pinsels so auf die Leinwand setzen, daß sich kleine Halbmonde bildeten, und dies gab ebenfalls einen schönen Baumschlag und vortreffliches Gras, welches freilich kein Schaf dafür angesehen hätte und somit in die Versuchung geraten wäre wie die Sperlinge des Apelles. Da auch das Studium der Tiere dem Landschafter notwendig ist, gab er mir sehr schön in Kreide ausgeführte Zeichnungen nach Pferdeknochen in natürlicher Größe zum Kopieren mit nach Hause, die mir viel Arbeit und Zeit kosteten, und bei welchen nur das von Übel war, daß ich nicht wußte, wo die Knochen hingehörten, und auch nie das ganze Pferdeskelett bekam, wodurch ich mich hätte orientieren können. Jeder dieser Knochen in Naturgröße war noch dazu von verschiedenen Ansichten vorhanden, und mir wurde immer bänger, bei dieser Gründlichkeit des Studiums dereinst ein Ende zu finden, wo dann endlich das eigene Schaffen angehen würde.
Als ich im folgenden Sommer nach Schuberts Rat einige Bilder in Sepia kopieren mußte, zuerst einen Ruisdael, dann ein paar der großen Berchems, und ich schüchtern den Wunsch äußerte, dereinst einen unserer schönen Claudes kopieren zu dürfen, hustete er erst einigemal und räusperte sich, über die naive Frage erstaunt, und sagte: »Lieber Freund, der Claude? – Das sind lateinische Zeilen, da werden wir zuvor noch ein Dutzend andere Bilder kopieren müssen.« – Nun hatte ich über den bisherigen Kopien einen Sommer zugebracht; ich rechnete also in der Stille nach, wieviel Jahre ich noch brauche, um bis zum Claude zu kommen, und dann war ich immer noch nicht beim Malen, was ja auch mit Kopieren beginnen mußte, und die Frage trat abermals nahe: Wann, ja wann darf man anfangen, selbst aus eigenen Mitteln zu schaffen?
Daß die Kunst lang, sehr lang, und das Leben nicht auslangend für sie sei, wurde mir sehr einleuchtend, und ich sah so manchen alten, verrosteten Maler auf der Galerie sitzen, die jahraus jahrein kopierten und darüber grau und krumm, alt und stumpf geworden waren!
Wenn ich an diese beengenden Zustände zurückdenke, so begreife ich's wohl, wie schwer es war, sich aus den Banden solcher durch Autorität und Tradition sanktionierter Irrtümer herauszuwinden! Ein dunkles Gefühl im Innern verlangte das einfach Wahre, Naturgemäße; und wo ein solches mir begegnete, wurde es auch richtig von mir empfunden und in mir angeregt; aber die Not des Lebens, die Abgeschlossenheit in dem engen Kreise des Hauses und die Autoritäten, denen ich vertraute, hielten die klare Erkenntnis des Rechten zurück und damit auch den Mut, sich von alledem zu befreien.