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In den ersten Tagen des Mai wanderten wir unserer fünf zur Porta S. Giovanni hinaus dem Albanergebirge zu. Es war außer mir, v. Maydell, Hoff und Schilbach noch ein kleiner, heiterer Däne dazu gekommen, ein Landschaftsmaler namens Harder.
Ich weiß nicht, wie es gekommen ist, daß mir von dieser Reise, welche bis Ende Juni währte, nur die ersten und die letzten Tage derselben frisch in der Erinnerung geblieben sind, während das große Mittelstück – wie bei dem Cefalo in Fiumiccino – ziemlich abhanden gekommen ist. So gebe ich denn diese Bruchstücke, wie sie in den Maschen meines Gedächtnisses ein halbes Jahrhundert sich erhalten haben.
Um Mittag waren wir in Ariccia und rasteten daselbst ein paar Stündchen; denn es fesselte uns hier ein eigentümliches Volksfest, welches auf der Piazza vor dem Schlosse der Chigi abgehalten wurde. Das humoristische Fest mußte in früherer Zeit auch anderwärts, z. B. in den Niederlanden in Brauch gewesen sein; denn ich erinnerte mich, dasselbe von Wouwerman in einem Kupferstich von Morgereau dargestellt gesehen zu haben.
Zwischen zwei hohen Pfählen war ein großer, mit Wasser gefüllter Bottich aufgestellt, an dessen Boden zwischen einer hölzerner Klammer ein Ring eingefügt war, welcher mit einer Lanze im Darunterhinwegreiten herausgestoßen werden mußte. Die ängstlichen oder vorsichtigen Reiter stießen nun gewöhnlich in die Luft, oder sie stachen den Ring glücklich heraus. Wessen Lanze aber unglücklicherweise an die Klammer traf, über den kippte im Nu der große, mit Wasser gefüllte Bottich und überschüttete ihn mit einem so kolossalen Sturzbach, daß ihm einige Sekunden lang Hören und Sehen vergehen mußte. Und solches Malheur passierte einem alten, dürren Kerl, welcher schon vorher unsere Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, als er in Reih und Glied mit den andern Rittern zu Esel dastand und die grimmigsten Blicke auf die lächelnden Zuschauer herabschoß. Einen möglichen Unfall befürchtend, hatte er sich den gelben Überzug seines wachstuchenen Ombrello wie eine Halskrause umgeknüpft, und als nun die Reihe an ihn kam, eilte er mit eingelegter Lanze wie Ritter Don Quichote seinem Unstern entgegen; denn der Stoß traf die verhängnisvolle Klammer, der Bottich schlug um, und die Sintflut ergoß sich über Mensch und Vieh, Ritter und Esel. – Letzterer blieb höchst überrascht unter der Traufe wie angenagelt stehen, und alles Strampeln und Stoßen mit Lanze und mit den Beinen brachten ihn nicht eher von der Stelle, als bis er die letzten Tropfen aus seinen langen Ohren geschwenkt hatte, worauf er plötzlich in einem höchst fidelen Trab den ganzen Platz umkreiste und sich sodann mit stoischer Gelassenheit wieder zu den andern Reitern stellte.
Ein allgemeines Gelächter erfüllte den ganzen Platz, aus allen Fenstern lachte es von jung und alt im Chor. Auch beim zweiten Rennen verfolgte den Alten dasselbe Pech; abermals erntete er nur schallendes Gelächter und schadenfrohen Jubel, je grimmiger er sich gebärdete. Er sah aus, als wolle er sich selbst in Stücke zerreißen, wenn er es nur fertigzubringen gewußt hätte.
Wir aber warteten das Ende des Spaßes nicht länger ab, sondern zogen unseres Weges fürbaß zum Tore hinaus, wo uns alsbald der maigrüne Wald aufnahm. An der Kapelle S. Rocco und dem schönen Brunnen unter den Buchen vorüber, zur Rechten an dem Anblick des fernen Meeres uns labend, kamen wir über Genzano bei Sonnenuntergang in Velletri an.
Zunächst wurde nun hier mit einem Kutscher verhandelt, welcher uns während der Nacht durch die Pontinischen Sümpfe bringen sollte. Nachdem wir uns durch ein gutes Abendessen in einer Trattoria gestärkt hatten, setzten wir uns auf eine Bank vor dem Hause, welches am Markte lag, und erwarteten den Wagen.
Da wurde uns noch eine recht anmutige Szene zuteil. Es war die schöne Stunde zwischen Untergang der Sonne und dem Einbruch der Nacht; eine milde Dämmerung lag über den Häusern des Städtchens, und auch die fernen Volskerberge hatten sich schon in den blauen Abendschatten gehüllt; da tönte das Ave Maria-Glöckchen einer benachbarten Kirche, »dem Tag nachweinend, der dahinschwand«, als ein lieblicher Gesang vernehmbar wurde und ein langer Zug von Mädchen, alle in weißen Kleidern und langen, wallenden Schleiern, aus der Kirche traten. Eine jede trug eine brennende Kerze in der Hand, und vier von ihnen eine mit Seidenstoffen und Blumen geschmückte Madonna mit dem Kinde auf den Schultern. Geistliche und Volk folgten der Prozession. Es war die Zeit der Maiandachten zur Mutter des Herrn.
Die schönen Gestalten der Jungfrauen und die eigentümliche Beleuchtung in der Abenddämmerung fesselten lange unsere Blicke.
Als nun die Nacht eingebrochen war, der Mond über dem Volskergebirge heraufkam, fuhren wir erst noch lange den Berg hinab, bis wir an die schnurgerade Straße kamen, welche die Sümpfe durchschneidet und nach Terracina führt.
Es war unter uns ausgemacht worden, während der Nachtfahrt nicht zu schlafen, weil dies in den Sümpfen das Fieber bringen könne; deshalb wurde denn möglichst lebhafte Konversation unterhalten. Um Mitternacht wurde in Tres Tavernae halt gemacht. Ein paar elende Häuser, vor welchen ein großes Feuer brannte, wahrscheinlich um die Fieberluft und die Mücken zu vertreiben, bildeten den ganzen Ort. Die Leute schlichen fieberbleich und matt um das Feuer.
Bis hierher kamen vor achtzehnhundert Jahren römische Christen dem Apostel Paulus entgegen, als er gefangen nach Rom geführt wurde.
»Da es nun die Brüder (in Rom) gehört hatten, kamen sie uns von dort entgegen bis Forum Appii und Tres Tavernae. Als Paulus dies sah, dankte er Gott und schöpfte Mut.« Apostelgesch. 28, 15.
In der Frühe gelangten wir nach Terracina, wo wir den gewaltsam unterdrückten Schlaf ein wenig nachholten und dann den Tag über herumstiegen und zeichneten.
Es schien mir, als wenn der eigentliche Süden hier erst recht beginne; alles hatte einen anderen Charakter, namentlich war die Färbung der Landschaft eine viel lebendigere, glänzend und reicher in der Verschiedenheit und ihren Abstufungen. Anderen Tages ging es denn zu Fuße weiter nach Gaeta und über Capua nach Neapel.
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In Molo di Gaeta übernachtet. Nach dem Abendbrot im zauberhaften Mondschein vor den Ort geschlendert und ein Puppenspiel besucht, welches in einer Scheune etabliert war. Natürlich mehr, um das kleine Häuflein Zuschauer – Mütter mit ihren Kindern, schöne Mädchen und rotmützige Marinari – zu betrachten, als der Puppen wegen. – Entrée einen Dreier »Wer seid ihr?« wird Hanswurst nebst Frau gefragt. »Jo son il figlio di mio padre, questa e la figlia della sua madre« – Große Heiterkeit über diesen famosen Witz im ganzen großen und kleinen Publikum. – Während dieser viertelstündigen Vorstellung fortwährend gräßliches Bombardement der Gassenjungen gegen das morsche Scheunentor mit großen Steinen.
Am Schluß der Vorstellung wurde der Torweg geöffnet, und wir traten aus der Zwiebel- und Tabakatmosphäre in die prachtvolle Mondnacht hinaus. Der Mond glänzte zitternd auf dem nahen Meere. Wir traten jetzt in einen mächtig großen Orangengarten, gingen in den dunklen Baumgängen auf und ab und atmeten mit Wonne den köstlichsten Duft, welcher aus den tausend weißen Silberblüten entströmte, während zugleich die reife Goldfrucht aus der Blätternacht leuchtete.
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Kleiner Ort vor Capua, drittes Nachtlager. – Eine kleine Abteilung österreichisches Militär lag hier im Quartier, die sich, als sie deutsche Worte vernahmen, an uns herandrängten. In der Locanda der noch sehr junge Unterleutnant und der alte, graubärtige Feldwebel. – Sind nicht gut auf das neapolitanische Militär zu sprechen. »Es ist kein Ehr, mit diesen Truppen zu fechten; die Lausbuben laufen ja alle davon, noch ehe sie angegriffen werden«, schnauzte der Graubart. Den Kommandanten der wohlgeschützten und starken Festung Gaeta drohten die revoltierenden Seinigen zum Fenster hinabzustürzen, weil er nicht bei der ersten Aufforderung zur Übergabe unterzeichnen, sondern sich Bedenkzeit ausbitten wollte. »Sie haben kein Ehr! Da stehen sie in der Gassen und auf der Landstraß herum und spielen mit Kugeln ihr Botscherle; sie rufen mir auch zu, mit ihnen zu spielen, aber i denk, das ist kei Schicksal (es schickt sich nicht) für einen Mann, der einem Monarchen dient«; und damit strich er stolz seinen Schnauzbart.
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In Neapel schloß sich nun eine neue Zauberwelt auf, recht eigentlich ein Paradies für den Landschaftsmaler. Doch ist es mir immer wunderlich erschienen, daß alle diese Schönheit keinen tieferen Eindruck auf mich machte, ja daß ich zuletzt im stillen mich nach dem großartigen Ernst, nach der verhältnismäßigen Ruhe und Einsamkeit römischer Natur und römischen Lebens zurücksehnte. Schon am Ende des Winters hatte ich mich in Rom oft unwohl gefühlt, und meine jetzige geringere Empfänglichkeit für die in Überfülle zuströmenden Eindrücke mochte wohl ihren Grund in einem krankhaften körperlichen Zustand haben, welcher mich auch späterhin den ganzen Sommer niederdrückte.
Wir wohnten in Sancta Lucia. – Abends gewöhnlich auf dem Molo. Das bunteste Volksleben und der Schauplatz einzig in der Welt; das dunkelblaue Meer, Schiffe und Farben, der Vesuv in ganz rosigem Lichte, mit seiner Rauchsäule, und die kühnen Umrisse der Insel Capri und die lieblichen von Ischia aus der bewegten Flut emporsteigend. – Das Museum von Pompeji und Herculanum. – Die Schenke am Strande, in der Weinlaube, unter den Palmen. Guter Wein und frische Austern, herrliche Nacht! – Ausflug nach Puzzeoli, Bajae und dem Avernischen See mit der Sybillengrotte. – Pompeji. – Besteigung des Vesuv in Gesellschaft von Götzloff und ein paar Schweizer Malern. Beim Eremiten wurde übernachtet. Der Sonnenuntergang von hier aus war prachtvoll. Brot, Zwiebeln und saueren Wein, anderes gab es nicht. Wir waren aber lustig dabei, und alle möglichen Studentenlieder wurden gesungen, und der alte Kuttenmann freute sich und trällerte die Melodien mit. Nach zwei Uhr morgens mit brennendem Reisig durch die schwarzen Lavaspalten geleuchtet, einige zu Esel, andere zu Fuß, bis an den Beginn des Aschenkegels. Beschwerliches Erklimmen in drei Viertelstunden. Die Schuhsohlen waren verkohlt, die Stöcke zog man nach einigen Sekunden rauchend aus der Asche. Vor Sonnenaufgang waren wir oben. Im Krater dampfte es aus vielen Spalten. In dieselben hinabzusteigen, war bei dermaliger Beschaffenheit desselben unmöglich. Der Schwefeldampf und die Kälte trieben uns, als die Sonne den ganzen Meerbusen beleuchtete, schnell wieder hinab.
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Fahrt in der Barke nach Amalfi. Hier wurden einige genauere Zeichnungen gemacht. – Nach drei Tagen wieder zu Schiff nach Salerno gefahren. Schönes Felsengestade. Alte, malerische Warttürme auf Klippen und Vorsprüngen am Meere. Mittelalterliche Bauten.
Eboli. Wir hatten eben auf einem Hügel vor dem Städtchen unsere Schirme und Feldstühle aufgepflanzt, um noch am Abend die schöne Gebirgskette zu zeichnen, als ein altes Weib keifend und schimpfend eiligst den Hügel heraufstieg, die Stühle und Schirme umwarf und drohend ausrief: sie werde es nimmer dulden, daß man hier Zauberei und Teufelskünste treibe; hier seien gute Christenmenschen, und wir sollten uns hinwenden, wo wir hergekommen wären usw. Es sammelte sich viel Volks unter diesem Geschrei, Weiber und Kinder, und letztere griffen nach Steinen. Glücklicherweise kamen auch einige Männer und ein geistlicher Herr, dem wir unser Vorhaben erklären und mit unseren Skizzenbüchern uns legitimieren konnten, welche auch sogleich den tobenden Haufen beschwichtigten. Mit lebhaftestem Anteil betrachteten diese nun alles, was wir bisher gemacht hatten, und gaben uns freundlich Bericht über ein gutes Wirtshaus im Orte, von welchem aus wir andern Tages Paestum aufsuchen wollten.
Paestum. Von einem Kranz schöner Berge umgeben, westlich der Blick frei auf das Meer, erheben sich die drei großen, noch erhaltenen Tempel von Paestum, unter welchen der größte dem Neptun geheiligt war. In diesem einsamen, von Busch und Wald und Meer umschlossenen, wüsten Terrain – es war nur von einer Hirtenfamilie mit ihrer Ziegenherde bewohnt – machten diese hehren Zeugnisse griechischen Schönheitssinnes einen ergreifenden Eindruck. Ich hatte ein schattiges Plätzchen aufgesucht – denn die Sonne brannte heiß – und versuchte die Landschaft aufs Papier zu bringen, fühlte aber bald das Unzulängliche meines Bemühens und gab es auf. So hochpoetisch und großartig der Eindruck dieser Landschaft ist, so wird er doch stets in einer genauen, prospektartigen Wiedergabe nur eine höchst dürftige Vorstellung hervorbringen; und alle Bilder, welche ich bisher davon sah, haben mir das bestätigt.
Für solche Erscheinungen muß gewissermaßen ein idealer Standpunkt aufgesucht werden, welcher viele wirkliche in sich schließt, und durch deren geistige Zusammenschmelzung der Totaleindruck wieder hervorgebracht werden kann.
Ein hübscher Junge hatte sich auf einige große Quadersteine malerisch gelagert und betrachtete mich unverwandt mit seinen großen, schwarzen Augen wie eine Erscheinung aus einer Welt, von welcher er keine Vorstellung hatte. Mit solchen ratenden, fremden und fragenden Augen sehen uns zuweilen edlere Haustiere an, und das hat mir immer etwas recht Rührendes gehabt.
Der Bursche, vierzehn- oder fünfzehnjährig, nur mit einem Lumpen um die Lenden und einem Lammfell über den Rücken bedeckt, ohne Hemd, war ein so schönes, edelgeformtes Menschengewächs, wie wir es etwa in griechischen Bronzen bewundern würden, und die Farbe seines Körpers erinnerte ebenfalls an denselben Stoff. Ich zeichnete ein wenig den Jungen und staunte den großen, zweitausend jährigen Neptunstempel an, welcher in der Schönheit seiner Verhältnisse und Feinheit der Gliederung mit dem fünfzehnjährigen Kalabreserhirten zu wetteifern schien, der eine die Blüte primitivster Natur, der andere einer hohen Kultur, und beide paßten doch vortrefflich zusammen! Aber wären uns auch die alten Bewohner der verschwundenen Stadt in ihren Staats- oder Werktagskleidern wieder erschienen, sie würden ja auch mit ihren Tempeln harmoniert haben; nur wir modernen Kulturmenschen tragen das Zeugnis eines barbarischen Geschmackes auf unserem Leibe herum, und ein alter Grieche müßte über unsere Schneidererscheinung laut auflachen, wie wir über eine Karikatur lachen!
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Daß der Geist des Menschen die Steine reden lassen kann, das wurde mir hier zum ersten Male recht klar, indem ich den Unterschied der griechischen Tempelform mit der eines Christendomes verglich. (Das Folgende bis zum Schlusse des nächsten Absatzes ist von einer fremden, offenbar weiblichen Hand geschrieben, zweifellos nach Richters Diktat.) Die Horizontallinie gibt den Tempeln den Ausdruck des sichern, irdischen Genügens; denn die Säule ist hier nur Träger des Frieses, auf welchem das Dach ruht. In der Gotik wird der Stein lebendig, pflanzenartig, die schlanke, emporstrebende Säule mit den Spitzbogen der Ausdruck des Erhebens über das Irdische und Endliche, das Suchen und sich Aufschwingen zum Ewigen.
Diese Auffassung ist nun ja allbekannt; aber im Angesicht dieser herrlichen Bauwerke und in der Erinnerung an den Eindruck, welchen mir der Straßburger Münster gemacht hatte, war mir die Sache damals neu; wenigstens hatte ich nie einen so lebendigen Eindruck davon empfunden. Das Gleichnis ward hier Erlebnis.
Paestum war nun der äußerste Punkt meiner Wanderschaft; denn nach Sizilien zu gehen, hatte ich aufgegeben, weil die heiße Jahreszeit bereits zu weit vorgerückt war, dazu auch ein Reisegefährte fehlte; denn allein dahin zu gehen, empfand ich durchaus keine Neigung. Wir kehrten also hier zurück, segelten von Salerno wieder nach Amalfi und Sorrent, wo wir ein paar wunderschöne Tage verlebten, und nachdem die Inseln Capri und Ischia und Puzzeoli besucht waren, traten wir von Neapel die Rückreise an.
Maydell, welcher ungern auf dem nämlichen Weg, den wir gekommen waren, wieder zurückkehren wollte, schlug eine andere, interessante, aber etwas mühsame Route vor über S. Gerinano und Sora durch die Gebirge nach Rom. Dieser Weg war damals allerdings ein »unbekanntes Land« und für die Forestieri unzugänglich. Mich reizte indes die Neuheit des Weges durch die wilden Abbruzzen gar sehr, und ich stimmte deshalb mit Maydell. Jedoch waren die entgegengehaltenen Bedenken von Gewicht. Die Sonnenglut war jetzt in der zweiten hälfte des Juni für eine Fußwanderung eine allzugroße Strapaze; Vetturinis gingen dahin nicht, und für eigenes Gefährt reichte der Geldbeutel nicht aus; daher gab es keine Wahl in diesem Punkte. Ein größeres Bedenken hingegen erregten die schlimmen Berichte, welche fast täglich über die gefürchtete Bande des Gasparone (auch Fra Diavolo genannt) einliefen, welche jetzt, in jene Berge gedrängt, die ärgsten Untaten verübte. Auch von andern Bekannten wurden wir gewarnt, und es überließen sich deshalb Hoff, Schilbach und Harder dem Vetturin, welcher die Freunde wieder über Terracina in zwei Tagen nach Rom zurückbrachte.
Wir beide aber hatten unsere Barschaft den Freunden mit nach Rom gegeben und nur so viel oder so wenig davon zurückbehalten, als wir in einer Woche brauchen mochten, damit unser Verlust nicht zu schmerzlich werde, im Fall wir von den Briganten ausgeraubt würden. Zwar konnte unsere Erscheinung – des waren wir sicher – ihnen keine Beutelust erwecken, und in hundert Schritt Entfernung mußten sie in uns die deutschen Maler erkennen, denn mit reisenden Engländern waren wir nicht zu verwechseln. Unsere Kleidung vom Strohhut bis zu den Schuhen herab war nach der sechswöchentlichen Irrfahrt in einem Zustande, wie er gewöhnlich zu sein pflegt, wenn es der einzige Anzug ist.
So rückten wir denn aus und machten zunächst einen kleinen Abstecher nach Caserta, dem königlichen Lustschlosse mit schönem Park. Die Kunstwerke fesselten uns nicht; doch war mir interessant, Arbeiten von Hackert hier in Menge zu sehen. Aus Goethe hatte ich doch eine gewisse Verehrung für diesen Namen mitgebracht, welche aber sehr herabgestimmt wurde.
Die große Hitze auf der schattenlosen Straße machte das Wandern sehr beschwerlich, und bald bekam ich große Wasserblasen an den Fußsohlen, so daß ich herzlich froh war, als wir am Abend nach dieser via dolorosa S. Germano erreichten. Wir hatten uns eben auf unserem Zimmer in der Locanda ein wenig ausgestreckt, denn wir waren sehr erschöpft, als ein älteres Weib in der malerischen, altertümlichen Tracht der Gebirgsfrauen, mit dem Kupfergefäß und Linnentüchern versehen, eintrat, sich vor mir niederkniete, meine Füße in dem lauen Wasser wusch und trocknete, und dann, ebenso still, dieselbe Fußwaschung bei Maydell vollzog. Es war das erstemal, daß uns diese alte Sitte vorkam. In diesem (damals) abgelegenen Orte hatte sich solch uralter Brauch noch erhalten können; wie denn dergleichen patriarchalische Züge uns in diesen von moderner Kultur noch gänzlich unberührten Gegenden noch mehrmals vorkamen.
Anderen Tages stiegen wir nach Monte Cassino hinauf, dem im fünften Jahrhundert vom heiligen Benedikt gegründeten Kloster. In dem großen, schönen Saale der Bibliothek prächtige Aussicht in das wilde Gebirge. Der Bibliothekar, ein alter Priester mit schneeweißem Haar und schwarzem Gewande, ein feines und geistvolles Gesicht, zeigte uns sehr freundlich die ältesten Pergamente aus der Goten- oder Langobardenzeit – wunderliche Schriftzüge und roh gezeichnete und gemalte Initialen, meist in Drachen und arabeskenartig verzogenem Schnörkeln und Blätterwerk bestehend.
Als wir denselben Tag noch nach Sora gingen, begegneten uns zahlreiche Gruppen Landleute, die zu irgendeinem Markte oder Feste wanderten. Neugierig wurden wir von ihnen umringt und die altherkömmlichen Fragen: »Woher des Landes, und wohin wollt ihr?« an uns gerichtet. »Wir wollen nach Rom, und unsere Heimat ist weit von hier, noch weit über Venezia hinaus.« Venedig grenzte ihnen an Thule, und sie waren fast ungläubig, daß da auch Christenmenschen wohnen sollten. »Dio mio«, sagten die Weiber kopfschüttelnd, »und so weit habt ihr guten Kinder, um nach Rom zu kommen. Ja, nach der Ernte, da gehen wir auch dahin; es ist ja das anno santo«, fügten sie hinzu. »Wenn ihr an S. Peters Grabe betet, so gedenkt auch unser. Gott sei mit euch, gute Kinder, und glückliche Reise!«
Abends kamen wir nach Sora. Wir saßen eben bei unserm capretto arrosto und der Weinflasche mit vielen andern einheimischen Gästen, welche die Stube füllten, als plötzlich ein junger Hirt ganz atemlos hereinstürzte und mit lautem Geschrei und erregtesten Gebärden verkündete, wie soeben Gasparone mit seiner Bande in ihren Meierhof eingebrochen sei und den Padrone Giuseppe und ein Mädchen mit so und so viel Schafen und Ziegen geraubt und in die Berge geschleppt habe. Alsbald sprang alles von den Sitzen, und es entstand ein Lärmen und ein Schreien durcheinander, wie man es nur von den leidenschaftlichen Italienern hören kann. Ein großer Teil der Gäste begleitete nun den Hirten zum Governatore, um die Sache anzuzeigen, während wir sehr ermüdet unser Lager suchten.
Maydell machte nun freilich ein bedenkliches Gesicht, denn wir mußten nächsten Tages eine lange, öde Bergschlucht passieren, wenn wir die Hauptabsicht unserer Reise – den Lago di Fucino am Monte Velino zu besuchen – nicht aufgeben wollten. Gleichwohl wußten wir nun, daß wir der Höhle des Löwen nahe waren und morgen seinen Distrikt zu durchwandern hatten. Ich fühlte mich indes glücklich, daß ich einstweilen meine ganz wunden Füße auf dem Bett ausruhen konnte, und fürchtete für den andern Tag mehr die sicher sich einstellenden Schmerzen der Füße als den Fra Diavolo und seine Gesellen, deren Erscheinen noch ungewiß war.
Nachdem wir am folgenden Morgen noch einiges in unsere Skizzenbücher gebracht hatten, schlugen wir den Pfad ein, welcher uns bis zum Abend nach Avezzano bringen sollte. Das enge Tal, von hohen Bergen eingeschlossen, felsig und mit struppigem Gebüsch bewachsen, von dem steinigen Bett eines ausgetrockneten Baches durchzogen, war sehr beschwerlich und langweilig zu durchwandern, zumal mir jeder Schritt, den ich machte, solche Schmerzen verursachte, daß ich die Zähne zusammenbeißen mußte, um nicht laut zu seufzen; auch lag die Sonne mit glühender Hitze über der Bergschlucht, und kein Lüftchen rührte sich. Gegen Mittag gelangten wir an eine Mühle, welche schweigend in dem Gestein lag, denn es war kein Tropfen Wasser im Bache, und wir, verdurstet und ermattet, traten ins Haus.
Maydell öffnete eine Tür und fuhr stutzend zurück. Ich sah in ein rauchiges Gemach, welches, von einem kleinen Fensterchen schwach erleuchtet, fünf bewaffnete Kerls am Boden liegend gewahren ließ, welche, in dem bekannten Kostüm der Briganten, überrascht bei unserem Anblick nach ihren Dolchen und Pistolen griffen, die sie in dem Gürtel trugen, während die schwerfälligen Büchsen in ihren Armen ruhten.
Die beiderseitige Überraschung dauerte indes nur ein paar Sekunden. Der Müller, welcher am Herde stand, rief uns zu, nur ohne Furcht einzutreten, »es seien brave Leute«. In der Tat war es ein Posten der Landmiliz oder Sbirren, welche, zur Verfolgung oder Beobachtung der Räuber aufgeboten, sich hier gelagert hatten. Während wir uns nun an dem sauern Wein und Brot und Käse zu stärken versuchten, erzählten die Leute ihre Abenteuer und kleinen Scharmützel, die sie mit den Briganten bestanden hatten. Eigentlich konnten sie in diesem Terrain nichts anderes tun, als den Talweg ein wenig beobachten, und mußten froh sein, wenn die Räuber sie unbehelligt ließen.
Wir trafen auf dem weitern Weg kein Haus mehr an, und gegen Abend, als es schattiger im Tale wurde, sahen wir nur ein kleines Mädchen bei ihren negri, wie sie ihre schwarzen, glatten Schweine nennen. Nun gelangten wir aber auch bald über eine Höhe in eine offene, schöne Gegend, und als wir später einen kahlen Hügel erstiegen hatten, lag der große See, von den herrlichsten Gebirgen umgeben, vor uns. Eine Ortschaft – es war Avezzano – war in der Entfernung einer kleinen Stunde sichtbar, das ersehnte Ziel unserer heutigen Wanderung.
Wir lagerten uns ermüdet auf dem Rasen, genossen die wohltuende Kühle des Abends nach dem heißen Tage, erfreuten uns beim Anblick der schönen Landschaft und warfen endlich auch einen Blick nach der dunklen Talöffnung, deren Mühen und Gefahren wir nun glücklich entronnen waren. Nirgends, so weit das Auge reichte, sahen wir einen Menschen; aber zu unserer Verwunderung erschien jetzt ein langer Zug Reiter, welche aus jenem Tale langsam heranzogen. Der Anführer des Zuges hielt bei uns, fragte nach unserem Woher und Wohin, betrachtete genau die Pässe und wünschte dann höflichst »buon viaggio!« Uns aber ging ein Licht auf, wie es gekommen war, daß wir unangefochten unseren Tagemarsch vollbringen konnten. Die Karabinieri, welche hinter uns hergezogen waren, ohne daß wir darum wußten, hatten die Stelle unserer Schutzgeister übernommen. Die Räuber, welche sicherlich von dieser Rekognoszierung unterrichtet waren, hatten indes ruhig auf ihren Felsenhöhen gesessen und uns und den Reitern ebenfalls »buon viaggio« zugerufen.
Als wir nach Avezzano kamen, standen die Leute in Gruppen auf dem Platz umher, plaudernd und rauchend, um nach des Tages Last und Mühen in der Kühlung sich zu erholen. Die beiden Wanderer waren natürlich sogleich ein Gegenstand, der ihre Neugier erregte, und da wir nach einer Locanda uns erkundigten, wurden wir bald von ihnen umringt. Guter Rat war indes teuer, denn es gab im Orte kein solches Institut. Die Kaffeeschenke, ein kleines Lädchen in der Nähe, war die einzige öffentliche Wirtschaft, konnte aber keine Fremden herbergen. Indem wir nun so berieten, – wir hatten schon nach dem Ortspfarrer oder nach einem Kloster gefragt – kam ein Herr aus einem hübschen Hause über den Markt auf uns zu, und sobald er unser Anliegen erfahren, wandte er sich zu uns und bat, in sein Haus einzutreten; es würde ihm und den Seinigen ein Vergnügen sein, wenn wir bei ihm vorlieb nehmen wollten. Die gutmütigen Leute freuten sich, daß ihr, wie es schien, in hoher Achtung stehender Don Baldasare Hilfe geschafft hatte, und wir gingen in sein Haus. Auch hier berührte uns die einfache, herzliche und patriarchalische Sitte recht wohltuend.
Wir wurden in die geräumige Küche geführt, wo die ganze Familie, die alte Mutter, die freundliche Frau und ihre erwachsenen Töchter um den niederen Herd sich versammelt hatten und uns freundlich willkommen hießen. Bald drehte sich der Braten am Spieße über der lodernden Flamme und ein stattliches Abendessen wurde bereitet, während Maydell mit Don Baldasare in den lebhaftesten Gesprächen sich erging und namentlich über Zustände, Sitten und Gebräuche seiner nordischen Heimat viel erzählen mußte. Eine alte Wirtschafterin führte jetzt die jüngeren Kinder herein, zwei hübsche Knaben und ein kleines Mädchen, welche zu Bett gebracht werden sollten. Nachdem die Mutter sie geküßt, kniete eins nach dem andern vor dem Vater nieder, welcher ihnen mit einem Segensspruch die Hände aufs Haupt legte und mit Kuß und »felice notte« sie entließ.
Die einfache Herzlichkeit, fromme Sitte und angeborene Anmut des Benehmens in diesem Hause machten einen um so lebhafteren Eindruck auf mich, als ich im letzten Winter die Odyssee gelesen hatte, deren Schilderungen mir auf unserer Wanderung vielfach durch eigene Erlebnisse auf das anschaulichste entgegen traten. »Und die Sonne Homers, siehe, sie lächelt auch uns!«
Überaus ermüdet nach dem heutigen langen, heißen und für mich äußerst schmerzhaften Marsche, auf welchem wir fast nichts zu essen gefunden hatten, mußte ich doch bis gegen Mitternacht aushalten, ehe der Hunger gestillt werden konnte. Nur Maydell schien immer von Stahl und Eisen und hatte eine ganz unverwüstliche Ausdauer bei allen Strapazen. Doch waren wir beide herzlich froh, als wir die müden Glieder auf das gastliche Lager ausstrecken konnten.
Am anderen Morgen, nachdem wir noch vom Balkon herab eine Prozession – es war ein Feiertag – hatten ansehen müssen, verabschiedeten wir uns von der lieben, gastfreien Familie und lenkten unsere Schritte wieder den Bergen zu.
Auf den Höhen derselben erschien recht malerisch das in der deutschen Geschichte bedeutsame Tagliacozzo, das mit seinem alten, spitzen Kirchturm wie ein Alpendörfchen in den Hügeln gebettet vor uns lag. Hinter ihm erhob sich mächtig der Monte Velino, dessen schneeige Spitzen diesen Morgen mit Wolken umzogen waren, und ein prächtiger Blick öffnete sich von dieser Höhe über den See und in die fernen Abruzzen. Wir gedachten der Schlacht und Gefangenschaft des letzten Hohenstaufen, dessen Hinrichtungsplatz an der kleinen Kirche del Carmine wir noch vor kurzem in Neapel aufgesucht hatten.
Höher hinauf erreichten wir ein etwas verrufenes Gebirgsplateau, ganz einsame Heide, nur mit zerstreuten Felsbrocken und Dorngestrüpp bedeckt. Wir kamen nach Mittag nach dem armseligen Cervara, welches wie ein Schwalbennest an den hier schroff abstürzenden Gebirgswänden hängt, welche in das grüne Tal des Anio sich absenken. Wir fanden nur zwei alte, braune Weiber im ganzen Orte; denn alle anderen Bewohner waren mit den Ziegenherden in den Bergen, vielleicht auch bei Gasparone, oder hatten sich auswärts zur Ernte verdungen, und so mußte unser hungriger Magen sich mit einem Krüglein lauen und saueren Weines und einem Stück harten Käse abspeisen lassen, die einzige Erquickung seit dem Morgen.
Nach längerer Rast stiegen wir dann in das Tal hinab, wo wir auf die Landstraße gelangten, die von Tivoli nach Subiaco führt. Hier, in unserer schon bekannten Osteria, pflegten wir des Leibes aufs beste und blieben die Nacht.
Nachdem wir am anderen Morgen noch das alte Kloster San Benedetto besucht, wandten wir uns westlich in die grünen Waldwege, welche so reizend malerisch bergauf, bergab nach Civitella führen. Ein armes, kleines Kloster, von wenigen Kapuzinern bewohnt, liegt in stiller Waldeinsamkeit; es war San Francesco. Eine Viertelstunde weiter steigt nun in den phantastisch schönsten Umrissen die mächtige Felsenrippe empor, an deren ganz kahlen Abhängen der steile Weg in einer halben Stunde nach Civitella hinauf führt. Es liegt auf der höchsten Spitze dieser ganz isolierten Felsenmasse, welche alle ihre Nachbarberge überragt. Auf der entgegengesetzten Seite senken sieh diese Felsenrippen noch über eine Stunde weit nach Olevano hinab. Wie ein Adlernest thront dies arme Dorf oder Städtlein da oben und beherrscht die ganze Gegend ringsum.
Diesen Steinweg in der sengenden Mittagshitze hinaufzusteigen, kostete manchen Schweißtropfen, denn der Pfad ist nackter, harter Fels, und die gänzlich baum- und strauchlosen Wände des hellen Kalksteins strömen eine Hitze zurück wie erhitzte Öfen. Wir waren deshalb froh, als wir den Torbogen erreicht hatten, und traten sogleich in die schattige Tür des ersten Hauses, welches zugleich, wie wir nachher sahen, das beste und vornehmste im Orte war. Ein hübsches, robustes Weib, welches uns entgegen kam, fragten wir nach einer Osteria, allein es war hier keine zu haben; doch erbot sie sich freundlich, etwas Speise und Trank herbeizuschaffen, und bat einzutreten. Ein geräumiges Zimmer, ein paar große, alte Landkarten an der Wand verrieten etwas mehr Kultur, als wir hier oben erwartet hatten, und der Besitzer des Hauses, Don Vincenzo, ein Mann in mittleren Jahren, mit schlaffen Gesichtszügen, saß in einem großen Lehnstuhl und war damit beschäftigt, die Daumen umeinander sich drehen zu lassen. Alsbald ließ er diese stille Daumenjagd und hieß uns willkommen. Jetzt kam auch der ältere Bruder Carlo mit seinem Töchterchen herbei, welcher zwar erblindet, aber dabei lebhaften Geistes war.
Da wir heute nur noch bis Olevano wollten, so blieben wir, die größte Hitze vorüberlassend, bis nachmittags hier in den kühlen Räumen bei Speise und Trank und in lebhafter Unterhaltung mit den beiden Brüdern.
Das Gespräch kam bald auf die Casa Baldi unten in Olevano, wo im Sommer schon seit mehreren Jahren die pittori tedeschi wohnten und die Baldis ein gut Stück Geld dabei verdienten. Auf unsere Anfrage, ob man vielleicht auch bei ihnen für einige Tage ein Unterkommen finden könne, ergriff der spekulative Vincenzo sogleich diese Gelegenheit, seine Finanzen zu verbessern, indem er ein paar Zimmer, welche oben ganz unbenutzt waren, zu diesem Zweck zur Verfügung stellen konnte.
Wir besprachen diese Angelegenheit näher und nahmen vorläufig für den nächsten Monat Besitz von diesen Zimmern. Hier in diesem fast unzugänglichen, ganz originellen Nest eine Zeitlang zu bleiben, ganz ungestört miteinander zu leben und zu arbeiten, war uns ein reizender Gedanke, und nachdem wir über die Kost und die Kosten einig geworden waren, versprachen wir, in acht bis vierzehn Tagen von Rom aus wieder hierher zu kommen. Nach dieser Abmachung zogen wir wieder fröhlich unseren Weg zum andern Tore hinaus.
Aus der Torpforte getreten, öffnet sich ein Ausblick, der das Herz des Malers aufjauchzen macht. Am fernsten Horizont schimmert selbst ein duftig blauer Streifen des Meeres zwischen den Albaner- und Volskerbergen hervor, und der ganze Weg bis Olevano hinunter bot ein schönes Landschaftsbild um das andere.
Außer Olevano hatten wir noch ein Nachtlager zu machen und trafen, wie es verabredet war, am Morgen des 24. Juni zum Blumenfeste in Genzano ein.
Das Städtchen war schon in lebhafter Bewegung, und in den Gassen wie in den Osterien zeigten sich die verschiedenartigsten und schönsten Trachten. Die Leute aus den benachbarten Orten, aus Albano und Velletri, Ariccia und Nemi sowie die von der Meeresküste kommenden, aus Nettuno und Porto d'Anzo, und die Römer und Forestieri hatten sich zu dem freundlichen und heiteren Kirchenfeste eingefunden oder kamen noch in ganzen Zügen von der Ulmenallee herbei.
Von ebendaher kommend erblickten wir jetzt Rothe mit seiner jungen Frau und die Freunde und Reisegefährten, auch Aubel aus Kassel und einige andere unserer Bekannten. Als sie uns gewahr wurden, gab es großen Jubel, denn man war nicht ohne Sorge um uns gewesen, als die Landsleute in Rom gehört hatten, daß wir beide unseren Weg allein durch die Abruzzen genommen hatten, von wo fast täglich die erschreckendsten Gerüchte von den Beraubungen und Grausamkeiten Gasparones einliefen.
Es war mir bald aufgefallen, daß die Freunde bei meinem Erblicken mich etwas überrascht oder auch besorglich ansahen und Rothe mit besonderer Teilnahme sich erkundigte, ob ich mich auf der Reise immer wohl gefühlt habe. Mir wurde die Ursache klar, sobald ich in der Trattoria mein Gesicht in einem Spiegel erblickte – ein Möbel, welches mir seit vielen Tagen nicht unter die Augen gekommen war; es war so bleich wie Wachs, so krankhaft und angegriffen aussehend, daß ich selbst davor zurückschreckte. Doch der Eindruck ging bald vorüber; das Bewußtsein, nun wieder unter den lieben Freunden und Genossen zu sein, erregte ein so heimatliches Gefühl der Sicherheit und des Behagens, daß anderes nicht aufkommen konnte. Das liebliche Volks- und Kirchenfest nahm die Aufmerksamkeit bald wieder in Anspruch, durch die heiteren, belebten Volksgruppen, die mit Blumen und Teppichen geschmückten Häuser und endlich durch das eigentümliche Prachtstück des Festes – die mit dem herrlichsten Blumenteppich bedeckte Straße. Denn dieselbe ist breit und stark aufsteigend, und der ganze mittlere Weg ist mit Arabesken, Wappen und Emblemen aller Art überdeckt, welche durch die prächtigsten Farben großer Blumenmassen mosaikartig hergestellt sind.
Nachdem die Prozession über alle die schönen Blumenbilder unter den üblichen Böllerschüssen und Glockengeläute gezogen und sie teilweise in Unordnung gebracht hatte, und wir die reizende Umgebung Genzanos, den Nemisee und die weite Aussicht nach dem Meere und dem Monte Cirzello genossen, fuhren wir insgesamt nach Rom zurück