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Es war ein Maimorgen im hellsten Silberglanze, als wir die Via Appia entlang dahinfuhren, Ruinen und Grabtrümmer zur Seite und die langgestreckten Reihen antiker Aquädukte, die bis zum Fuße der Gebirge reichten, welche in duftiger Bläue den süd- und westlichen Horizont umsäumten. Mit begierigen Blicken sog ich gleichsam alles auf, was links und rechts am Wege lag; denn im Winter in fleißiger Arbeit verbracht und mit Eindrücken der Kunst überreich gespeist, verlangte mein Landschafterherz dringend nach einer Umschau in römischer Natur.
Bald waren wir am Ziele, in Albano, angelangt. Die Freunde waren hier schon bekannt, und so hielten wir am Markte vor einer von Künstlern gewöhnlich bewohnten Locanda, in welcher wir uns häuslich einrichteten.
Das Albanergebirge trägt überall den Charakter anmutsvoller Schönheit, recht im Gegensatz zu dem grandiosen, ernsten und sterilen Sabinergebirge. Von den lieblichen Höhen, mit dem üppigsten Baumwuchs geschmückt, schweift der Blick über das weite Meer und die Campagna, über das fünf Stunden entfernte Rom hin zum einsamen Soracte, und auf allen Punkten schwebt der Duft uralter, klassischer Sagen. Dort im Süden das Vorgebirge der Circe (monte circello) trägt uns in homerisches Land, näher der Küste, wo Äneas landete, nördlicher des Romulus Siebenhügelstadt und das uralte Albalonga, von dem unser Städtchen den Namen trägt, mit seinem sonderbaren Grabmal, angeblich der Horatier und Curiatier; endlich das nahe Nemi, dessen See noch heute der Spiegel der Diana heißt, zu deren Heiligtum Orestes die Bildsäule der Göttin aus Taurien brachte. Alle diese und so viele andere alte Geschichten, von welchen ich etwas gelesen, gehört oder in Bildern dargestellt gesehen hatte, sie traten hier aus dem traumartigen Dunkel in das goldene Sonnenlicht einer überaus schönen Wirklichkeit.
Ich zeichnete viel in den sogenannten Galerien, den wundervollsten schattigen Waldwegen, welche oberhalb Albano nach Castel Gandolfo führen. Die uralten Lizinen (immergrüne Eichen) sind die malerischsten Bäume, die hier und im Park Chigi besonders schön zu finden sind. Der blaue Albaner See in der Tiefe, von steilen Abhängen umschlossen, über welche der Monte Cavo (2900 Fuß) sich erhebt, und auf halber Höhe das Kloster Pallazuola gehen ein herrliches Bild.
Auf dem Wege nach Ariccia liegt ein Eremitenhäuschen am Walde, darunter ein Brunnen. Auch hier saß ich zeichnend mehrere Tage lang unter den schattigen Bäumen, und die vorüberziehenden Leute in ihren bunten Trachten amüsierten mich köstlich. Man hätte ganze Skizzenbücher anfüllen können mit den reizendsten Gruppen und Figuren. Die Frauen und Mädchen mit den scharlachroten, knapp anliegenden Jäckchen, oft mit Goldborten geziert, mit den viereckig gelegten weißen Kopftüchern, die Männer mit ihren spitzen Hüten, hemdärmelig, buntseidener Leibbinde, die Mönche, die Kinder, die Weinkärrner mit den wunderlichen Karren mit Velletriwein beladen, zu Fuß, zu Esel, oft singend und Tamburin schlagend, immer eine Staffage hübscher als die andere. Das Brünnlein wurde von Menschen und Vieh in Anspruch genommen und gab immer neue, reizende Figurengruppen. Am Ende dieses von Ulmen und Buchen beschatteten Weges liegt auf der Höhe Ariccia, und man hat fortwährend rechts zwischen den dunklen Baumstämmen den Blick auf das ferne Meer mit den kleinen Ponzainseln.
Ohnweit der Stelle, wo ich Posto gefaßt hatte, lag auch Tag für Tag ein Bettler. Ein grobes, weißes Bettlaken, in welches er sich gehüllt hatte, fesselte schon von weitem die Blicke der Vorübergehenden durch die ungewöhnliche Drapierung; außerdem aber erhob er seine heiseren Klagetöne, sobald er jemand kommen hörte, auf eine so herz- und ohrenzerreißende Weise, daß er damit so manchen Bajocco aus den Taschen der Vorübergehenden lockte. »Misericordial o buoni cristiani, misericordia! io mojo di fame!« Diesen Klagegesang hatte ich nun vom frühen Morgen bis zum späten Abend mit anzuhören und ermangelte deshalb nicht, den Bettler durch eine Gabe vorläufig vor dem Hungertode zu schützen. Kam nun ein guter Bekannter des Weges daher, der blieb wohl ein Weilchen bei ihm stehen, und es wurde dann behaglich geplaudert und gescherzt, nach dessen Weggang aber das Klagelied und das Verhungern mit frischen Kräften wieder fortgesetzt. Wenn es dann Abend wurde, um Ave Maria, schloß er das Geschäft, das heißt er zählte die Einnahme des Tages und band sie in einem Zipfel des Bettuches in einen Knoten zusammen, womit er sehr befriedigt heimzog. Jedenfalls stärkte er sich in der Osteria zum Verhungern für den nächsten Tag. »Und so saß er-« nicht eine Leiche – sondern ein fideler wohlkonditionierter Bettler, und nicht nur »andern Morgens«, sondern noch Monate und Jahre auf demselben lieben, schattigen Waldplätzchen und betrieb sein Geschäft mit ungeschwächten Kräften.
Gleich nach der ersten Woche unseres Aufenthaltes in Albano kamen noch andere Freunde aus Rom, welche ebenfalls in unserer Locanda wohnten. Freund Götzloff zunächst, dann die Brüder Rist aus Stuttgart; der ältere war Kupferstecher und starb im nächsten Jahre in Rom, der andere Landschaftsmaler. Dann der Landsmann Boerner, ein liebenswürdiger und feingebildeter Mann, welcher aber während seines römischen Aufenthaltes fast gänzlich am Arbeiten sich verhindert sah, weil er fortwährend von nervösem Gesichtsschmerz und Schlaflosigkeit geplagt wurde. Da Boerner auch späterhin durch seine Kränklichkeit in der künstlerischen Ausbildung zurückblieb, fing er in Leipzig mit sehr geringen Mitteln ein Kunstgeschäft an, welches er zu hohem Flor brachte. Seine warme Kunstliebe und das feine Verständnis derselben verschafften ihm bald eine ausgezeichnete Kundschaft. So stand er unter anderem mit Goethe in fortwährender Verbindung und versorgte ihn mit Mappen von Kupferstichen und Radierungen zur Ansicht und Unterhaltung. Ebenso war der Oberpostdirektor Nagler sein Kunde. Das Kunstgeschäft besteht noch tüchtig fort, geleitet von dem Sohne.
Doch ich habe hier vorgegriffen und will nur noch unter den hinzugekommenen Freunden und Genossen den höchst talentvollen Ernst Fries nennen aus Heidelberg. Er galt für den schönsten jungen Mann unter den deutschen Künstlern, eine imposante Gestalt, frisch und heiteren Wesens, in allen körperlichen Übungen gewandt, ein guter Fechter, Schwimmer und Reiter.
Ich badete einst mit ihm im Albaner See, bei welcher Gelegenheit er mit mir Brüderschaft machte, das Weihgetränk war freilich nur das Seewasser aus hohler Hand getrunken. Er schwamm weit in den See hinein und rief mir endlich zu, er wolle quer über den ganzen See schwimmen, wenn ich so lange warten wolle, bis er zurückkomme, um die Kleider in Sicht zu behalten. Es war Mittag, und die Sonne warf ihre glühenden Strahlen senkrecht in diesen Trichter des einsamen Sees. Fries führte sein Schwimmstückchen hin und zurück auch glücklich aus, klagte aber beim Ankleiden schon über das heftigste Brennen auf dem Rücken und hatte schließlich viele Tage die grausamsten Schmerzen auszustehen, weil die ganze Rückenhaut stückweise sich loslöste und er keine Nacht auf dem Rücken liegend schlafen konnte.
Fries war mit seinem Landsmann Fohr und näher noch mit Rottmann befreundet gewesen und hatte viel von des letzteren Art und Auffassung angenommen, während für mich die Romantik Fohrs eine ungleich größere Anziehung ausübte. Von Albano wandte sich Fries nach Florenz und studierte in der Gegend von Massa, Carrara und an der Küste bei Spezia. Dort hatte er den Engländer Wallis kennengelernt, von dessen Farbenbehandlung und Technik er vieles annahm und davon begeistert war.
Bei aller Schönheit der Umgebung Albanos wurde es mir doch schwer, charakteristische Landschaftsbilder, glückliche Motive, die sich weiter ausbilden lassen, aufzufinden, obwohl sie in Hülle und Fülle vorhanden waren, und es blieb meistens bei Studien und Einzelheiten. Der Sinn für bedeutende Auffassung, für ein abgeschlossenes Ganzes war noch zu wenig in mir ausgebildet. So sehr ich diesen Mangel fühlte, wußte ich ihm doch nicht abzuhelfen.
Indessen zeichnete und malte ich mit den anderen nach bestem Vermögen fort, und am Abend, wenn wir in die Herberge zurückgekehrt waren, sah sich ein jeder seine im Schweiß des Angesichts eroberten Studien an und kratzte sich wohl bedenklich hinter den Ohren, wenn er sich gestehen mußte, daß die Erinnerung an das in der Natur Gesehene das Beste dazu bringen mußte.
Nach dem Abendessen genossen wir noch den Feierabend entweder vor dem Städtchen promenierend, oder wir saßen vor der Haustür und sahen dem Treiben der Leute zu, welche bei der Abendkühle aus ihren Häusern hervorgekommen waren, Boccia oder Morra spielten und sich auf ihre Weise amüsierten. Am Brunnen gab es viel des Plauderns und Scherzen und helles Lachen der Mädchen und Frauen. Ihre anmutig schönen Bewegungen beim Aufheben der Conca (das schöngeformte, kupferne Wassergefäß) auf den Kopf, das stattliche Einherschreiten mit dieser Last, welches ebensoviel Vorsicht wie elastisch gleichmäßigen Gang erfordert, ergötzte uns Maler. Kam nun ein hübscher Bursch oder ein spaßiger Alter dazu, so wurde der Schwarm doppelt lebendig, und gellendes Gelächter übertönte bald den Singsang des heimkehrenden Eseltreibers wie den Chor der Nachtigallen in den Gärten und Büschen, bis endlich das ganze Konzert in dem entsetzlich sentimentalen Geschrei eines Esels seinen Abschluß erreichte. Die hübschen Bilder sind unzählbar, die sich einem an allen Ecken und Enden aufdrängen!
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Eines Morgens zeichnete ich mit Wagner unten am See. Unsere Zeichnungen sahen freilich trocken aus, aber die Szene selbst sehe ich noch in ihrer ganzen, zaubervollen Schönheit vor mir.
Einer prächtigen Esche, welche ihre laubigen Äste bis tief herab zum Wasserspiegel neigte, hatte sich ein Feigenbaum zugesellt; gleich einem Geschwisterpaar, zwar verschieden in ihrem Charakter, aber wie aus einer Wurzel entsprossen. Sein schlangenartig gewundenes Gezweig zeichnete sich sehr schön auf dem Schattendunkel der Esche, und von den Nachbarbüschen zogen sich lange Girlanden wilden Weines, welche den Feigenbaum umrankten. Von der anderen Seite dagegen umflocht bis in den Wipfel ein Busch Waldrosen mit seinen tausend aufgeblühten Blumen seine liebe Esche, die ihr schönes Laub im sanften Morgenwinde hin und her bewegte, umduftet von den vielen Rosen und der köstlichen Weinblüte, und die Vögel sangen und zwitscherten ihr Liedchen daraus hervor. Silbern glänzte der See durch die grünen Zweige. Der gegenüberliegende steile Berghang lag noch im Morgenschatten, und man konnte sich Nymphen und scherzende Liebesgötter dazu denken, wie sie Tizian in seinen Landschaften malte.
Als ich in späteren Jahren öfters Gelegenheit hatte, Glucks wundervolle Musik zu dem Zaubergarten der Armida zu hören, stieg dies unbeschreiblich schöne Landschaftsbild gewöhnlich in der Erinnerung auf.
Um dem Parke Chigi näher zu sein, übersiedelten wir nach Ariccia, wo wir einige Wochen blieben. Der Sage nach soll der Park ein Rest des alten Dianenhains sein, und die Besitzer ließen dies prächtige Stück Natur völlig unberührt von aller Kultur. Die mächtigsten Baumgruppen, Eichen und Lizinen krönten die steilen Hügel und gaben herrliche Studien für den Maler! Die Pfade, mit über Mannshöhe aufgeschossenem Gestrüpp bedeckt, waren fast undurchdringlich geworden, auch schon der vielen Insekten, Schlangen und sonstigen Gewürms wegen. Bäume, welche morsch zusammengebrochen waren, blieben liegen und vermoderten in dieser Wildnis; Schlingpflanzen wucherten üppig an den Stämmen hinauf und überdeckten die umgestürzten, welche am Boden faulten; kurz: es glich irgendeinem Märchen- und Zauberwald, wie ihn die lebhafteste Phantasie nicht besser vormalen konnte. Das blaue Meer schaute aus der Ferne in dies Waldgeheimnis hinein!
Nach einem Aufenthalt von mehreren Wochen kehrten wir wieder nach Rom zurück, sahen die Festlichkeiten am Tage Peter und Paul und rüsteten uns zu einem zweiten Ausflug nach Tivoli und dem Sabinergebirge.