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Das Herz pochte stärker, als der schwerfällige Postwagen vor dem alten Posthause auf der Landhausstraße hielt. Ich eilte sogleich in die nahe Große Schießgasse, sprang die drei Treppen hinauf und klingelte an der Türe mit dem kleinen Schilde: »Carl August Richter. Professor.«
Auf ging die Tür; der Vater stand vor mir. Wie stark hat sich der Moment eingeprägt! Ich sehe das gesund gerötete Gesicht noch vor mir. Etwas überrascht schaute er mich mit seinen blauen, von buschigen Augenbrauen überwölbten Augen freundlich an und mit seinem eigentümlichen, trocken humoristischen, gutmütigen Tone sagte er nur: »Sieh, da! Sieh da! der Ludwig, der Römer! nu schön willkommen!« – Wie kam mir alles so sonderbar vor; als sei ein alter Traum wieder lebendig geworden. Der Vater trug eine alte Mütze von grünem Saffianleder. Der alte blaue Oberrock mit den Spuren von Scheidewasser, welches oft darauf gespritzt war, war von einem rotbaumwollenen Tuch um die Hüften zusammengehalten. Manchmal vertrat die Stelle dieses Gürtels auch nur ein Bindfaden; denn der Rock hatte die Knöpfe verloren, und niemals durfte die Mutter solche ergänzen. Das Warum? war unerforschlich! – Eine Sonderbarkeit war es auch, daß er niemals ein Schermesser über seinen Bart gehen ließ, sondern diesen – Bärte trug man damals ja nicht – wöchentlich mit einer kleinen, spitzen Schere sich abzuschneiden pflegte – zu zwicken, wie er es nannte.
So stand nun der gute, sonderbare Papa vor mir, in dem hellen Vorzimmer, welches zugleich seine Gemäldesammlung enthielt; denn Bild an Bild bedeckte die Wände. Da hing ein großes Gemälde in der Mitte: »Die Zeit enthüllt die Wahrheit«, eine frostige Allegorie von Casanova, zwei gute Reitergefechte von Theodor Maas, Kopien nach der Galerie und Porträts (Bodmer, Zelter u. a.) von Gränicher, einem sehr begabten, aber in großer Dürftigkeit früh verstorbenen Dresdener Künstler. Dann ein großes Bild von Konrad Geßner, dem Sohne des Idyllenzeichners: »Reiter, die bei Nacht durch einen Wald einem großen Feuer entgegenreiten«; ferner Kopien von mir nach Dietricy und Wijnants, auch eine eigene Komposition.
In diesem Vorzimmer standen auch zwei mit weißer Ölfarbe angestrichene niedere Schränke, welche seine ziemlich bedeutende Kupferstichsammlung enthielten Eine Tür rechts führte nun in die vorderen Wohnzimmer, während eine solche zur Linken in des Vaters Arbeitszimmer führte, welches einen Flügel des Hinterhauses bildete.
Die Stube war recht gemütlich, ja sie hatte sogar einen noblen Anstrich, was der Vater überhaupt in seinen Einrichtungen liebte. So hatte er hier eine wirklich höchst geschmackvolle und kostbare Tapete angebracht, welche aus dem Nachlaß des alten und berühmten Anton Graff stammte. Dieser hatte sich nämlich eine Leinwandtapete selbst gemacht, welche er als Hintergrund für seine Porträts höchst vorteilhaft fand. Sie war mit Ölfarbe auf die grundierte grobe Leinwand aufgetragen, hatte einen tiefen, frischgrünen Ton, auf welchen mit freier Hand eine Art großes Damastmuster in einer etwas dunklen, saftig grünen Farbe gemalt war. Es war der Ton, den Holbein oft als Grund seiner Bildnisse brauchte und auf welchem das Gesicht so leuchtend sich abhebt. – Alles in diesem Zimmer nahm sich dadurch vorteilhaft aus; es war einfach und gediegen.
Um gleich in der Schilderung der Lokalitäten fortzufahren, will ich noch erwähnen, daß zwischen den beiden Flügeln des Hinterhauses in diesem Stockwerke eine Plattform oder Terrasse hinlief, auf welcher der Vater einen reichen Blumengarten etabliert hatte, und gegen Abend war er da immer beschäftigt, zu pflanzen, anzubinden oder welke Blumen und Zweige abzuschneiden und alles zu begießen. Das war nun sein blühendes, duftendes, buntes Elysium, seine Freude. Man sah von hier oben in die grünen Nachbargärten und auf die neu angelegten Promenadenwege. Die Mutter saß hier nähend oder strickend, und die jüngeren Geschwister waren beschäftigt, das Wasser zum Gießen der Blumen herbeizutragen.
So hatte sich das Leben im elterlichen Hause in meiner dreijährigen Abwesenheit wenig geändert. Die Mutter mit Schwester Hildegard walteten in den vorderen Zimmern, welche nach der Straße hinaus lagen, und letztere übte sich hier fleißig im Blumenmalen und entwickelte ein schönes Talent dafür. Hofmaler Tettelbach, ein ausgezeichneter Künstler in diesem Fache, erteilte ihr Unterricht und freute sich ihrer Fortschritte. Der Vater kam, außer bei Tische, selten in diese Region; denn trotz der angeborenen Herzensgüte von Vater und Mutter trübten doch lang andauernde Mißverständnisse und dadurch herbeigeführte Verstimmung die Tage, die sie glücklicher verleben konnten. Wir Kinder hatten unter diesen Verhältnissen gar sehr gelitten und drückende Zeiten durchleben müssen.
Bruder Willibald fand ich nicht mehr im Hause; er war seit einem Jahre in Krakau bei dem reichen Grafen Potocky, wo er eine sehr angenehme und vorteilhafte Stellung als Zeichenlehrer angenommen hatte und die Familie auf ihren großen Reisen später begleitete. So bereiste er mit ihnen Bessarabien, war in London und Paris längere Zeit. – Bruder Julius, der jüngste, ein frischer und vielseitig begabter Knabe, war noch zu Hause. Auch er zeichnete, radierte, malte, fast gänzlich sich selbst überlassen, und in allem zeigte sich eine wunderbare Geschicklichkeit leichten Aneignens und ebenso leichten und sicheren Produzierens.
Ein schöner Zug des Vaters war, wie ich schon früher erzählt habe, die große, zärtliche Liebe zu seiner Mutter. Diese meine gute Großmutter, welche länger als zwanzig Jahre in Blindheit still und ergehen zugebracht hatte, war nun gestorben, und so wurde sogleich dem zur Arbeit nicht mehr fähigen Großvater eines der vorderen geräumigen Zimmer eingeräumt und er von Vater und Mutter mit großer Liebe gepflegt.
Der Großvater war ein großer, stattlicher Mann und jetzt, wo er sein neunzigsten Jahr überschritten hatte, noch immer ziemlich rüstig. Die drei Treppen stieg er ohne Beschwerden täglich wenigstens einmal hinab und hinauf, machte seine kleinen Einkäufe von Schnupftabak oder sonstigen Nebenbedürfnissen und besuchte eine stille Bierstube in dem engen, dunklen Friesengäßchen, wo er ein Glas einfaches Bier trank und um diese Nachmittagstunde einen einzigen ebenso alten Gast fand, mit dem er von alten Zeiten plaudern konnte. Daß er einst auf dem Heimwege aus dieser stillen Sozietät, von einem Jungen gestoßen, fiel, das Bein brach und infolgedessen in seinem neunundneunzigsten Jahre starb, glaube ich bereits früher schon berichtet zu haben.
Er ging regelmäßig am Sonntag der heiligen Messe beizuwohnen, las täglich sein Morgen- und Abendgebet und unterhielt sich auch gern, wenn sich die Gelegenheit bot, über religiöse Dinge. Leider fand er in dieser Beziehung keinen Anklang im Hause, was ihn denn endlich verschlossen machte. Denn wenn Mutter und Schwester auch einigemal im Jahr zur Kirche gingen, so geschah das beim Vater nur einmal, und zwar am Silvesterabend, und Äußerungen eines religiösen Bewußtseins oder Strebens waren sonst nirgends zu erblicken. Beim Großvater hoffte ich jetzt ein Verständnis zu finden für das, was mich innerlich belebte, fand mich aber bald getäuscht: er glaubte an die Kirche und um der Kirche willen, und mein Glaube beruhte auf dem lebendigen Christus und seinem Evangelium. Er nannte dies aber »Herrenhutisch« und suchte seine Ruhe in der Form, die ihm genügte.
Ich habe oben erzählt, wie der Vater es liebte, sich mit einem gewissen künstlerischen Apparat recht stattlich zu umgeben und zu schmücken, während er in sonderbarer Weise sich selbst äußerlich vernachlässigte.
Seine künstlerische Tätigkeit bestand jetzt nur noch in kleinen Kupferstichen für Bücher, und vorzüglich in den zur Zeit beliebten Prospektradierungen. Sein lebendiges Naturgefühl, die Erfindungskraft und die außerordentliche Virtuosität bei ausgeführten Tuschzeichnungen fanden keinen Anlaß zur Betätigung, und so erloschen nach und nach diese Begabungen, welche ohnehin durch die manierierte Schule Zinggs nicht zu ihrem vollen Ausdruck gelangen konnten. Man war zur Natur zurückgekehrt, und die Manieristen waren überwunden. Der Vater fühlte das gar wohl; aber er war zu alt, um in die neuen Anschauungen sich einzuleben, und mußte sich resigniert auf das kleine Arbeitsfeld zurückziehen, was ihm allein noch übrig geblieben war. So fand er zuletzt seine liebste Erholung, wenn er mit ein paar alten Bekannten bei einem Schoppen Wein ein paarmal in der Woche zusammentraf und in heiteren Gesprächen die Zeit verlebte.
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Bald nach meiner Ankunft in Dresden hatte ich eine kleine, hübsche Wohnung an der Bürgerwiese bezogen, wo ich auch in der Nähe Augustens war. Daß ich von den Eltern sogleich zu ihr geeilt war, versteht sich von selbst. Ich schweige von der glückseligen Stunde unseres Wiedersehens nach so langer Trennung, von den liebsten Stunden des Tages, die ich bei ihr zubringen durfte in dem Blumengärtchen hinter dem kleinen Hause, oder mit ihr durch die Felder nach den Höhen von Räcknitz gehend, von wo man die Stadt und das ganze freundliche Elbtal übersieht und wo uns gewöhnlich die stattliche Gestalt mit dem milden Gesicht v. Ammons begegnete (des Oberhofpredigers), welcher diese stilleren Wege besonders liebte.
Bald konnte ich sie auch mit Oehme und dessen Braut zusammenbringen, deren Bekanntschaft sie erneuerte und mit ihr nun befreundet wurde. Als drittes Paar in diesem Bunde erschien endlich noch Peschel, welcher einige Wochen nach mir von Italien zurückkehrte und seine Verlobte uns zuführte. Da dieses Doppelkleeblatt in ähnlichen Verhältnissen, gleichen Interessen und Strebungen sich fand, so war nichts natürlicher, als daß der innigste freundschaftlichste Verkehr daraus entsprang, welcher die heitere Blüte jener Tage war.
In einen anderweiten Kreis wurde ich durch Peschel eingeführt. Im Gasthof »Zum blauen Stern« auf der Meißener Gasse wohnte ein junger Mann, namens Berthold, welcher von Kindheit an hinkend und kränklich, jetzt fast niemals sein kleines Dachstübchen verließ und deshalb von seinen Freunden gewöhnlich in den ersten Abendstunden besucht wurde, teils aus Anteil, um ihm seine Einsamkeit zu erleichtern, teils aber seines anregenden und interessanten Umganges wegen. Denn die Motive unseres Handelns sind ja oft gemischter Art. Er hatte das Gymnasium, später die Akademie und den Aktsaal besucht, mußte aber dann wegen zunehmender Kränklichkeit, weil er selten mehr ausgehen konnte, seine weiteren Studien aufgeben und arbeitete nun für sich an kleinen Kompositionen, die er aber niemand zeigte. Seine Muse war ein schüchternes, fast menschenscheues Wesen, sie besuchte ihn nur in stillen, einsamen Stunden, und sobald die Klingel an der Vorhaustür ihre dürftige Stimme erklingen ließ, hörte man im Stübchen ein Geräusch, und beim Eintritt war das Reißbrett nebst Zubehör verschwunden, mit offenem Blick reichte er herzlich die Hand entgegen, und niemand konnte ihm abmerken, wie innig er sich soeben noch bemüht hatte, den Eingebungen jener Freundin Form und Gestaltung zu geben. Seine Mutter, eine feine, sanfte Frau, leitete die Wirtschaft im Hotel, und wenn sie auf einige Minuten heraufkam, nach ihrem Ferdinand zu sehen, so mußte man sich an dem liebevollen Verhältnis, welches zwischen Mutter und Sohn bestand, erfreuen.
Im Dachstübchen »Zum blauen Stern« fand man also in der fünften Nachmittagsstunde immer einige Freunde und Bekannte. In früheren Jahren bestand diese Gruppe aus Koopmann, Kügelgen, Ad. Zimmermann, Götzloff und Peschel, jetzt hatte diese sich zumeist aus letzterem, Oehme, Hantzsch, Architekt W. Herrmann und mir gebildet. Hier wurde nun alles, was auf den Kunstgebieten auftauchte, mit Lebhaftigkeit durchgesprochen; diejenigen, welche Rom gesehen hatten, schwelgten in der Erinnerung jener Tage und berichteten über Erlebtes und Geschautes, und Berthold verstand vortrefflich, aus jedem etwas Gutes hervorzulocken und in verwickelte Streitfragen Ordnung und Klarheit zu bringen. So verdankten wir diesen im Dachstübchen bei Berthold zugebrachten Stunden vielseitige Förderung, sie waren uns allen ein wesentliches Bedürfnis geworden. Auch in religiöser Beziehung fand im allgemeinen Übereinstimmung statt und bildete den Grundton unserer Harmonie.
Eines originellen älteren Mannes muß ich hier noch gedenken, welcher, mit uns allen vertraut, von Zeit zu Zeit erschien und großer Kunstfreund war, zwar durchaus weder sammelnder noch kaufender und ebensowenig kritischer und gelehrter, aber eifrig produktiver. Er hieß Reichel, auch Reichöl genannt, war seines Zeichens Apotheker, hatte es aber vorgezogen, diesen Beruf aufzugeben und eine Leihbibliothek in Neustadt zu etablieren, welche er im Sommer von einem Verwandten besorgen ließ und dadurch Zeit gewann, seiner Lieblingsneigung zu folgen und nach der Natur Landschaft zu zeichnen. Fast alltäglich sah man ihn, einen alten Buchdeckel mit ordinären Papierstücken versehen und mit Bindfaden zugeschnürt, nach dem Wald laufen. Vom Linkeschen Bade aus ging er den Prießnitzbach hinauf, von dem dichten Kiefernwald beschattet, bis zu dem Wasserfall, welcher sich über Granitmassen herabstürzt. Dieses einsame Territorium war sein Lieblingsaufenthalt, und unermüdlich zeichnete er nicht ohne ein gewisses Naturgefühl auch die uninteressantesten Partien – ihm war aber dort alles interessant – und fühlte sich dabei überaus glücklich. Daß seine matten Bleistiftzeichnungen weder genau noch besonders sauber und ganz ohne Wirkung waren, darüber hat er sich gewiß niemals gegrämt; er war vollkommen glücklich und fühlte sich höchst behaglich bei dieser Beschäftigung ohne Anstrengung.
Er verfiel durch seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse auf den Gedanken, neue Lebensmittel zu entdecken. Als er Gras und Kräuter mancherlei Art durchprobiert hatte, kam er auf das Tierreich und erkor sich die Regenwürmer zu einem Versuch, zumal er hier die Chinesen bereits zum Vorbild hatte. In einem Teig von Mehl und Butter gehüllt, soll dieses Gericht »nicht ganz übel« geschmeckt haben.
Weniger glücklich jedoch war er mit der Bereitung der gewöhnlichen Gartenschnecke. Hier ereilte ihn die Nemesis, und die grausamen naturwissenschaftlichen Experimente zum Besten der hungernden Menschheit wurden bestraft; »denn diese Tiere«, erzählte er langsam und komisch schmunzelnd, »gaben eine so staunenswerte Masse sehleimiger Fäden von sich, als sie gesotten wurden, daß die Küche und alle Töpfe, Tiegel und Teller damit behangen wurden. Meine gute Frau kam leider dazu und erschrak heftig. Ich wurde aber nun zur Küche gewaltsam hinausgeschoben und der fernere Eintritt mir untersagt«, fügte er mit vergnügtem Gesicht hinzu.
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Eine andere komische Erinnerung von jener Tafelrunde will ich hier berichten, welche aber, wie die vorstehende, besser in »Dr. Katzenbergers Badereise« als hieher gepaßt hätte.
Ein junger, talentvoller Architekt erschien auch zuweilen in unserem Kreise, welcher äußerst kurzsichtig und dazu sehr zerstreut war. Eines Tages war dieser mit einem uns bekannten Gelehrten, einem heiteren und witzigen Mann, in die kleine Gesellschaft gekommen. Eine Anzahl Kölnischer Tonpfeifen, welche hinter dem Ofen standen und mit der Namensciffre eines jeden Rauchers bezeichnet waren, befanden sich in bestem Gange; das Gespräch war lebhaft, denn es behandelte ein damals immer sich wiederholendes und niemals zur befriedigten Lösung kommendes Thema, nämlich: über den Begriff des Stils in der Kunst. Denn da der Künstler weniger in Begriffen als in Vorstellungen zu denken pflegt, so wollte uns eine den Inhalt vollständig deckende Fassung des Stilbegriffs nie gelingen, obwohl ein jeder von uns ein Bild von der Sache hatte. Nun war der Architekt eifrigst bemüht, dem Gelehrten, einem Laien auf dem Kunstgebiete, die Sache auseinanderzusetzen, verwickelte sich aber dabei immer mehr, und indem er, sich unterbrechend, jenen mehrmal befragte: »Verstehen Sie auch, wie ich es meine?« versetzte jener sehr heiter: »Ich glaube; fahren Sie nur fort, es ist mir noch nicht ganz dunkel genug.« Wir lachten, und ärgerlich klopfte unser Architekt seine Pfeife aus, und zwar in den Hut seines Nachbars, welcher zufällig am Boden stand und den er für den Spucknapf hielt. Er hatte ihn auch dazu gebraucht, wie jetzt zur Tabaksasche. Leider verbreitete sich jetzt ein brandiger Geruch, glimmender Tabak hatte das Hutfutter gesengt, und der Irrtum des Zerstreuten kam an den Tag.
Ein anderes Mal schaukelte unser immer zerstreuter und unachtsamer Baukünstler sich auf seinem Stuhl, indem er sich auf den Hinterbeinen desselben rück- und vorwärts bewegte. Berthold warnte, nicht rücklings überzuschlagen. »Ei bewahre«, erwiderte er sehr sorglos, und in demselben Moment sah man sein Haupt samt der Tonpfeife sich rückwärts senken, während die Beine in die Höhe kamen, das kleine Tischchen vor Bertholds Sofa samt der Lampe und einigen Gläsern in die Höhe gehoben wurde, und mit Krach und Geklirr alles in Finsternis versank. »Hab ich's doch gedacht«, hörte man eine Stimme aus dem Dunkel; großes Gelächter machte das Finale. (Doch fort von diesen Allotrias.)
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Den bedeutendsten Einfluß auf Kunst und Künstler übte zu jener Zeit in Dresden der Baron von Quandt. Seit einigen Jahren hatte er Leipzig mit Dresden vertauscht, und sein angenehm gelegenes Haus mit der vorzüglichen Gemäldesammlung neuerer deutscher und mehrerer alter Meister bildete öfter den Sammelplatz von Künstlern und Kunstfreunden. In Rom, wo er mit seiner Gemahlin den Winter 1810 zubrachte, verfolgte er mit Begeisterung den Entwicklungsgang der deutschen Kunst, und er freute sich namentlich des sich glänzend entfaltenden Talentes seines jungen Landsmannes Julius Schnorr, mit welchem eine innige Freundschaft ihn verband.
Zu allen Zeiten haben Männer, welche, durch Vermögen begünstigt, eine unabhängige Stellung einnahmen und mit lebhaftem Geist, Verständnis und warmer Überzeugung eine bestimmte Richtung verfolgten, wohltätig fördernd auf die verwandten Elemente eingewirkt, indem sie für das Zerstreute einen Sammelpunkt bildeten, von welchem aus das Leben sich erhöhte und weitere Kreise angezogen wurden. So war es hier bei Quandt. Seine reiche Kupferstichsammlung – es war besonders die Schule Marc Antons, Schongauer und Dürer in kostbaren und seltenen Drucken vertreten – gab so manchen schönen Winterabend Genuß und anregende Unterhaltung. Naecke, Oehme, Peschel und ich kamen mit einigen Kunstfreunden fast regelmäßig zusammen Uns drei Letztgenannten gab es einen gewissen Halt, eine Hoffnung auf die Zukunft, daß wir in Quandt einen Vertreter jener Richtung fanden, welche uns beseelte, aber von den älteren Künstlern in Dresden nicht wohl angesehen, von vielen geradezu als Verirrung bezeichnet wurde, auch im Publikum noch wenig Anklang fand.
Bei Oehme hatte Quandt eine größere Landschaft bestellt, von mir wünschte er zwei italienische Landschaften in mittlerer Größe, und ich wählte Civitella und Ariccia, charakteristische Motive aus dem Sabiner- und Albanergebirge. Zunächst machte ich mich aber an den Entwurf eines großen Bildes aus dem Lauterbrunner Tale und nahm dabei zur Staffage einen Auszug der Hirten und Herde auf die Alm. Quandt ermutigte mich zur Ausführung, um es zur Ausstellung nach Berlin schicken zu können, wo man an der Akademie einen Landschafter suchte, weil Helmsdorf, welchen man dafür erkoren, nicht angenommen hatte, sondern einem Rufe nach Straßburg gefolgt war. Ich will hier sogleich hinzufügen, daß dies Bild in Berlin nicht gefiel, also eine Berufung auch nicht stattfinden konnte.
Im Jahre 1827 kamen mehrere Freunde aus Rom zurück, die ihren Weg über Dresden nahmen. Ich nenne nur Schnorr, Maydell, Karl Schumacher. Durch Schnorr wurde ich mit dessen Schwager Blochmann näher bekannt, einem Schüler und Freunde Pestalozzis und jetzt Begründer des weit und breit berühmten Erziehungs-Instituts in Dresden. Maydell wohnte acht Tage bei mir, und das waren mir glückliche Tage; denn ich hing an dem herrlichen Menschen mit einer Begeisterung, wie sie nur durch die innigste Übereinstimmung des Edelsten und Besten, was in uns lebt, erzeugt werden kann. Er lernte auch meine Auguste kennen; denn da meine Wohnung in ihrer Nähe war, so besorgte sie uns das Mittagessen herüber und überwachte auch sonst meinen kleinen Haushalt samt der alten Haushälterin. Ihr einfach natürliches Wesen, das Resolute, Verständige, Tüchtige in allem, was sie vornahm, Muster und musterhaft geschult im Hauswesen und Küche, und endlich ohne viel Worte und Gebärde von Herzen demütig und gottesfürchtig, so war sie, ein Bürgermädchen jener Zeit, und Maydell hatte sie sehr gern, und in späteren Jahren unterließ er nie, in seinen Briefen nach Frau Gustel sich zu erkundigen.
Es versteht sich, daß gar manchmal die gemeinsam verlebten letzten Jahre in gewissen Kapiteln durchsprochen wurden: das Zusammentreffen am Silvesterabend, die Wanderung durch die Abruzzen, der originelle Aufenthalt in Civitella, die Ostiafahrt, alles dies und anderes tauchte in der Erinnerung wieder auf. Maydell, der nun in seine Vaterstadt Dorpat zurückkehren wollte, ging einer sehr zweifelhaften Zukunft entgegen; denn es ist nicht leicht, von allem Kunstleben weit entfernt, ohne äußere Anregung, sein Ziel zu verfolgen und sich frisch zu erhalten. Doch er vertraute der Leitung seines Gottes mit Ruhe und völliger Zuversicht; er wußte, wie er auch geführt werde, so sei es das Gute und Beste für ihn; seine Aufgabe sei es nur, diesen Willen seines Herrn zu erkennen und in solcher Erkenntnis das Rechte zu tun. So schieden wir nun abermals mit wehmütigem Herzen, aber doch auch innerlich gestärkt und getröstet. Auch meine Aussichten waren nichts weniger als ermutigend; denn die schönen Verheißungen meines väterlichen Freundes Arnold waren leider zu Wasser geworden. Denn als ich einstmals zu ihm kam, fand ich ihn vor seinem Schreibtisch sitzend, gebeugt, den Kopf auf die Hand gestützt, und vor ihm zwei erbrochene Briefe. Mit bewegter Stimme sagte er endlich: »Lieber Freund, ich habe Ihnen ein Versprechen gegeben, welches ich nicht mehr halten kann. Ich bin ein ruinierter Mann!« Die Stimme versagte ihm, die Tränen traten ihm in die Augen, und zitternd fuhr er dann weiter fort: »Hier liegen zwei Briefe von Geschäftsfreunden, welche mir melden, daß der elende Macklot in Stuttgart meine neuen Prachtausgaben von Schillings, van der Veldes und Tromlitz' Schriften, deren letzter Band noch nicht einmal ausgegeben ist, nachgedruckt und für einen Spottpreis angekündigt hat. Nun liegen diese großen Auflagen wie Blei bei mir. Das große Kapital, das ich hineingesteckt habe, ist verloren, und ich weiß nicht, ob ich nicht in den nächsten Tagen die Handlung schließen muß.«
Im Mittelalter lauerten die Wegelagerer und Buschklepper den vorüberziehenden Kaufleuten freilich auch auf und beraubten sie; allein sie konnten sich gegen die Spitzbuben bewaffnen und im schlimmsten Fall Lösegeld für ihre Waren geben; allein der im Gesetz erlaubte Nachdruck gestattete den Raub fremden Eigentums, und wurde derselbe von einem deutschen Bundesstaat verboten, so befanden sieh die Nachdrucker im Nachbarstaate wie die Sperlinge im Hanffelde desto besser. So war derselbe bei uns in Sachsen nicht gestattet, wohl aber in Württemberg und brachte dem Lande »ein schönes Geld« ein, ein Geld, welches zwar nicht ungesetzlich, aber gewiß unrechtmäßig und unehrlich erworben war.
Durch Arnolds Mitteilung war für mich freilich eine schöne Seifenblase zerplatzt; doch war ich eigentlich weniger davon überrascht, als man hätte denken können. Allein mir war die Aussicht auf ein Jahrgehalt von achthundert Talern mit der Bestimmung, Bilder nach eigener Wahl und eigener Erfindung dafür zu malen, ein allzu schimärisches Glück, um so recht daran glauben zu können. Arnold war übrigens von der Hiobspost so überrascht worden, und ich war gerade zu diesem Moment gekommen. Der Schlag war hart für ihn, doch nicht in dem Grade, wie es so oft der erste Augenblick erscheinen läßt. Für mich ergab sich aber die Notwendigkeit, in der früher geübten Weise, nur womöglich etwas künstlerischer in der Wahl, An- und Aussichten für ihn zu radieren, wodurch für einige Jahre meine bescheidene Existenz gesichert war. Man muß bedenken, daß in dieser Zeit die Kunstvereine noch nirgends existierten, daß die Zahl der Gemäldesammler, Kunstfreunde, eine sehr geringe war, und an eine Anstellung an der Akademie war nicht zu denken, zumal der einzige Lehrer für das Landschaftzeichnen mein Vater war. Bei alledem fühlte ich mich glücklich; denn ich war durch Quandts Bestellung und die Arbeiten für Arnold für zwei, drei Jahre gedeckt und ohne Sorgen und konnte nach der Arbeit zu meiner lieben Braut eilen und mit ihr zuweilen in den nahen Großen Garten gehen, wo ich dann Freund Oehme fand, der inzwischen seine Emma als Gattin heimgeführt hatte.
Unter den alten schönen Linden in der damals einfachen Hochschen Wirtschaft fanden sich überhaupt oft die römischen Bekannten und Freunde ein. Der brave, etwas pedantische Kupferstecher Stölzel, Peschel und Hantzsch, Schumacher (nachmals Hofmaler in Schwerin), Oehme und Frau, ich mit Braut haben da manchen schönen Sommerabend gar gemütlich und lustig zugebracht.
Im Winter kam Gustchen oft zu den Eltern, oder ich war bei ihr, wo ich ganz besonders bei der heiteren und gutherzigen Frau Böttger und der alten Jungfer Köhler sehr wohl gelitten war. Letztere, siebenzigjährig, eine arme Verwandte Böttgers, lebte schon seit Jahren im Hause. Nun ergab sich ein Übelstand dadurch, daß mein Papa und »Vetter Böttger« einander nicht besonders liebten. Der Vater war ein gutmütiger, natürlicher, jovialer Mann, der Herr Vetter Akziseinnehmer war spitz, geschraubt und eitel, und wenn er übler Laune war, konnte er sehr unangenehm werden, und so entstand bald ein so gespanntes, ja feindseliges Verhältnis zwischen beiden, daß es auch für uns junge Leutlein recht drückend wurde.
»Des langen Haders müde, da macht' ich endlich Friede«, und zwar dadurch, daß ich dem Freund Oehme nachfolgte und Aufgebot und Trauung bestellte, mit der Eltern und Böttgers Zustimmung, ja Wunsch.
Es fügte sich, daß über der dritten Etage, welche meine Eltern bewohnten, eine kleinere Wohnung frei wurde, welche gutes Licht, hübsche weite Aussicht und passende Räume hatte. Diese mietete ich, und bald war sie einfach, aber recht traulich und freundlich eingerichtet. So fuhr ich an einem Sonntag in der Frühe, es war der 4. November (1827) mit Gustchen durch die noch ganz dunklen Gassen zur Kreuzkirche. Es war der Frühgottesdienst zu Ende, der Gesang des letzten Verses und das verhallende Orgelspiel hatten unsere bewegten Herzen noch feierlicher gestimmt.
So gaben wir uns die Hände in Gottes Namen und empfingen den Segen der Kirche.
Und Gustchen ward mir ein Segen und das treueste Glück meines Lebens während der siebenundzwanzig Jahre, welche Gott sie mir geschenkt hat!
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Der Hochzeitstag ging bei großer Einfachheit heiter und in schöner Stimmung vorüber, und wir beide trugen eine Seligkeit im Herzen, die uns still machte, weil es keine Worte dafür gab, und die sich mehr in Mienen, mit Ton der Stimme und in dem herzlichen, langen Händedruck zu erkennen gab.
Mittags waren wir bei Böttgers zu Tisch, am Abend bei meinen Eltern, wo ein Punsch gebraut wurde; denn es war heute der erste Schnee gefallen und ein solcher Trank am Platze. Die einzigen Hochzeitsgäste waren Oehme mit seiner Frau. Er war mit beiden Eltern wohlbekannt; denn bei Böttger hatte er in früheren Jahren als Assistent bei der Akzise ihm beigestanden, während er meine Eltern später in seinen Künstlerjahren kennengelernt hatte. Sein höchst anmutiges Wesen, der sprudelnde, feine Witz und gutmütige Humor versetzte alles in die angenehmste Stimmung. So hieß es denn nun, nachdem ich sieben Jahre um meine Rahel gedient – und geseufzt hatte: Ende gut, alles gut!
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Von Flitterwochen oder Hochzeitsreise war natürlich keine Rede, kein Gedanke daran. Aber wir führten ein paar Monate ein überaus glückliches Stilleben. Ich arbeitete an dem für Quandt bestimmten Bild: »Der Abend und die Heimkehr der Landleute nach Civitella«. Das Mädchen, welches die Felsenstufen aufsteigt und nach dem Beschauer heraussieht, war Gustchen, die ich dazu nach der Natur zeichnete.
Oberbaurat Schinkel in Berlin, welcher späterhin das Gemälde irgendwo besprach (siehe Jahn), nennt diese Figur den Mittelpunkt des Bildes, um welchen alles übrige sich gruppiere. Dies war zwar unwillkürlich und unbewußt so geworden, hatte aber doch einen recht natürlichen und guten Grund. Die Studie zu dieser Figur besitze ich noch als liebes Andenken aus jenen traulichen Tagen.
In dieser Zeit besuchte mich Baron von Rumohr mit seinem Freunde, dem Grafen Baudissin. Ersterer, als geistvoller Kunstforscher durch seine »Italienischen Forschungen« unter uns Künstlern hochgeachtet, äußerte sich beifällig über das Bild, tadelte aber (und mit Recht), daß ich in den Schattenpartien (z. B. den Felsen) alles mit eben der Bestimmtheit ausführe, wie an den Lichtseiten, wodurch aber die malerische Wirkung geschwächt werde; auch sei es unrichtig nach der optischen Wirkung; denn im Schatten verschwinden für unser Auge mehr oder weniger die Einzelheiten in Form und Farbe, und so gewähren diese ruhigen Schattenmassen für das Auge den ruhigen Eindruck und heben zugleich die Lichtpartien durch diesen Gegensatz kräftiger hervor.
Ich fühlte wohl, daß Rumohr auf seine Weise recht habe; doch konnte ich noch nicht zu einer anschaulichen Vorstellung von dem gelangen, was ihm vorschwebte, und so mußte ich vorläufig bei meiner Weise bleiben. Die Absicht auf malerische Wirkung, auf starke Modellierung lag überhaupt nicht im Sinn dieser Richtung; immer herrschte die Zeichnung vor.
Noch eine zweite Bemerkung Rumohrs war mir beachtenswert. Er sah meine italienischen Naturstudien durch und fand darunter ein Blatt, welches eine Partie oberhalb Albano mit der Aussicht aufs Meer darstellte. Es war, wie alle diese Zeichnungen, mit hartem, spitzem Bleistift höchst genau und sorgfältig gemacht. Weil aber der Vorgrund eine flache, abschüssige Straße war, welche keine bedeutende, an dieser Stelle erwünschte Form darbot, so hatte ich aus dem Gefühl, es müßten hier bewegtere Linien hinkommen, einige flüchtige und unbestimmte Angaben in diesem Sinne gemacht. Rumohr wandte sich lächelnd zu Baudissin und sagte: »Dies ist die erste Landschaftszeichnung aus dieser römischen Periode, auf welcher ein freier Flügelschlag versucht ist. Die jüngeren Künstler zeichnen alle mit einer Präzision und Sauberkeit, daß sie gar nicht wagen, eine zufällig unschöne und ungünstige Stelle durch Angabe einer besseren künstlerischen Intention zu ersetzen, aus Furcht, ihre saubere Arbeit zu schädigen. Man betrachte nur die Studien und Entwürfe der alten Meister; sie kopierten nicht allein die Natur, sie ließen dabei auch die Eingebung ihres Ingeniums walten.«
Er bat mich um die Zeichnung, und ich fand sie späterhin unter seinem Nachlaß, jedoch im Katalog unter dem Namen Erhardt (des bekannten Radierers) angeführt.
Bei einem Besuch, den ich nach einigen Tagen bei Rumohr machte, stellte er mir »seinen Schüler« Nerly vor, einen hübschen, jungen Mann, von dem ich außerordentlich schöne Federzeichnungen sah. Sie stellten meist holsteinische Gegenden vor, reich staffiert mit Viehgruppen.
»Den habe ich geschult«, sagte der Baron mit einigem Selbstbewußtsein, »und er hat dabei manche Ohrfeige bekommen.« Nerly wurde rot und verließ das Zimmer. Der Meister schien nach sehr alter Methode seinen Schüler gezogen zu haben; doch war nicht zu verkennen, sie hatte gut angeschlagen.
Er meinte ferner: er lasse Nerly stets hirschlederne Handschuhe tragen, welche die Hand weich und geschmeidig erhielten. – Schließlich verehrte er mir eine seiner eigenen Zeichnungen, welche meist aus bloßen Schraffierungen bestanden, aus denen sich eine Art Landschaft gebildet hatte. – Eine Zeichnung Nerlys wäre mir lieber gewesen.
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Da meine Aussichten bei den dermaligen dürftigen Kunstzuständen wenig ermutigend waren und einigermaßen dem Traumgesicht des ägyptischen Königs von den sieben mageren Kühen glichen, so lenkte sich meine Aufmerksamkeit schon damals auf Gegenstände, welche eine lohnende Tätigkeit versprachen. Zwar blieben es vorläufig nur Ideen, welche ich mir notierte, aber ich führe es an, weil es wie Vorahnungen oder sich regende Keime waren, die nach einem Dezennium und später immer mehr zur Entwicklung kommen sollten.
So beschäftigte mich z. B. der Gedanke lebhaft, in Radierungen ein Werk zu sammeln und nach und nach herauszugeben, etwa unter dem Titel: »Drei deutsche Ströme«. Ich dachte dabei an Rhein, Donau und Elbe, eine Art Merian redivivus. Doch sollte alles künstlerisch gefaßt, besonders malerische, historisch merkwürdige Gegenden und Gegenstände hervorgehoben werden, vor allem aber das Volksleben in seiner Eigenartigkeit, in Kostüm, Sitten und Gebräuchen zur vollen Geltung gebracht und mit dem Landschaftlichen verbunden werden. Der ganze künstlerische Gedanke ging aus einem patriotischen Gefühl hervor, wie es sich in Gedichten Arndts und Max von Schenkendorfs ausspricht, wenn sie die alte Herrlichkeit deutscher Städte, des Landes Schönheit und des Volkes Leben und Lust, Zucht und Sitte besingen.
Zu bedauern war es – wenigstens von meiner Seite –, daß das »romantische Deutschland« schon im Gange war und seinen ganzen alltäglichen Zuschnitt empfangen hatte, als ich von Georg Wigand zur Beteiligung daran aufgefordert wurde. Die Mittel zur Ausführung meiner Idee wären da wohl vorhanden gewesen, und der gute Wille und eine ähnliche Vorstellung mochten auch Wigand vorgeschwebt haben; allein er war zu jener Zeit noch völlig ohne Kunstverständnis, drückte sich auch selbst darüber scherzend sehr stark aus, aber es war eben nichts mehr daran zu ändern!
Eine andere Notiz machte ich mir, nachdem ich »Des Vetters Eckfenster« von Callot-Hoffmann gelesen hatte. Wie ein alter Vetter, welcher nicht ausgehen konnte, aus seinem Eckfenster am Markte allerlei Beobachtungen anstellt über die auf dem Platze täglich sich zeigenden und wiederkehrenden Gestalten, sich erlustigt, interessante Szenen erlebt und wunderliche Persönlichkeiten erblickt und sich an ihnen ergötzt – so, glaubte ich, könne ich auch eine ähnliche Sammlung solcher »Bilder aus dem täglichen Leben« in meinem Skizzenbuch zusammenbringen und vielleicht in Radierung herausgeben.
Als in späteren Jahren der Holzschnitt wieder aufgefunden und geübt wurde, realisierten sich auch diese Gedanken in verschiedener Weise.
So tapezierte ich mir vorläufig den Hintergrund der nächsten Jahre mit Plänen, indem ich in petto einen Vorrat von möglichen Arbeiten mit mir herumtrug.
Ungleich mißlicher waren die lieben Freunde Peschel und Hantzsch gestellt. Ersterer arbeitete an einem kleinen Ölbilde: »Rebekka und Elieser am Brunnen«, welches noch sehr das Studium der alten Florentiner erkennen ließ. Hantzsch dagegen hatte den wilden Jäger nach Bürgers Ballade in Arbeit, ein Gegenstand, der nicht für ihn paßte und trotz allen Mühens nicht gelingen wollte. Nach diesem verunglückten Versuch in der Romantik griff er wie zufällig nach einem Stoff, der ihm näher lag, eine recht anmutige Szene aus dem Dorfleben. Er fuhr in dieser Richtung fort, und seine Bilder wurden ungemein populär und fanden allgemein Beifall. Jetzt aber, wie erwähnt, erprobten beide Freunde die Kräfte an der Erstlingsarbeit, aber um diese ausführen zu können, blieb ihnen nichts übrig, als durch Zeichenunterricht und durch Dosenmalen ihren Unterhalt zu erwerben, und bei alledem war zuletzt der Verkauf ihrer Bilder nicht wahrscheinlich. Beide wohnten und arbeiteten in ein und derselben Stube; beide liebten zwei Schwestern, und es ging noch manches Jahr vorüber, ehe sie an das Ziel ihrer Wünsche kommen konnten.
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In Meißen war der alte Hofmaler Arnhold gestorben, ein ausgezeichneter Blumenmaler und Lehrer an der dortigen Zeichenschule, welche eine Filiale der Dresdener Kunstakademie war. Die drei Lehrer an derselben, Schaufuß, der eben verstorbene Arnhold und Scheinert waren zugleich Porzellanmaler an der berühmten Fabrik. Aus diesem Grunde hatte ich keine Notiz von der Besetzung der erledigten Stelle genommen, um welche sich viele Maler beworben hatten.
Ich war deshalb nicht wenig überrascht, als ich am Fastnachtsdienstag ein Schreiben vom Generaldirektor der Akademie, dem Grafen Vitzthum, erhielt, in welchem mir die erledigte Stelle zugesprochen wurde, im Fall ich auf dieselbe reflektieren und darum mit einem Gesuche einkommen wolle. Gustchen hatte für diesen Abend die Eltern und Geschwister heraufgebeten und rüstete, wie es am Fastnachtsabend Gebrauch ist, an einem bescheidenen Schmause, der in einem Glase Punsch und einer Schüssel Plinsen, einem hier beliebten Gebäck von Heidemehl und Speck, bestand und des Papas Nektar und Ambrosia war.
Da tischte ich denn auch noch Vitzthums Schreiben auf, und es entstand großer Jubel, daß mir so bald eine Anstellung entgegenleuchtete. War es auch ein Sternlein sechster Größe, so war es doch ein Fixstern, der mir zweihundert Taler jährlichen Gehalt fixierte.
Hatte ich doch schon in Rom daran gedacht, ob es nicht ratsam und leicht ausführbar sein würde, in der alten, herrlich gelegenen Stadt Meißen meinen Wohnsitz dereinst aufzuschlagen, und hatte ich nicht eines Tages auf der Heimreise eine poetische Fantasia in mein Tagebuch geschrieben, welche dasselbe Thema behandelte? Jetzt rief es nun so urplötzlich: Komm! und ich zauderte nicht mit der Antwort. Gleich am anderen Morgen schrieb ich das Gesuch, und in wenig Tagen hatte ich das Berufungsreskript zur Stelle, schwarz auf weiß in den Händen.
Durch welche wunderliche Fügung wurde mir aber diese Anstellung zuteil, welche mir die akademische Laufbahn eröffnete, da ich doch von der ganzen Sache nichts gewußt hatte und deshalb auch nichts dazu tun konnte? Dies war also zugegangen. Nicht weniger als sechzehn Bewerber um diese Stelle hatten sich aus Meißen und Dresden gemeldet, unter welchen einer als der geeignetste und talentvollste gewählt wurde. Eine Mappe mit gemalten und gezeichneten Studien nach Gips und nach dem Leben hatte er zum Beweise seines Könnens an die Generaldirektion eingesandt, und Vitzthum war im Begriff, das Anstellungsreskript ausfertigen zu lassen, als in letzter Stunde zufällig Professor Rösler zu ihm kommt und bei dieser Gelegenheit vom Grafen die Mappe vorgelegt erhält. Rösler betrachtet ein paar Blätter, und als er das dritte in die Hand nimmt, sagt er: »Das hier ist aber nicht von R. (dem erwählten Bewerber), sondern von meinem Schüler Baumbach.« Der Graf stutzt, meint aber, das sei wohl nicht möglich, bis Professor Rösler versichert, Baumbach habe diese Modellstudie vor kurzem in seinem Atelier und unter seiner Leitung gemalt, er kenne sie deshalb ganz genau. Darauf wird die Mappe weiter durchblättert, und es findet sich noch eine Anzahl Studien, welche nicht von R, sondern von genanntem Baumbach herrührten.
Der Graf, höchst aufgebracht über diese »freche Täuschung«, schickte dem Künstler sogleich seine Mappe zurück und schrieb jetzt an mich.
Jener R. aber, ein etwas wunderlicher, jedoch ganz braver Mensch, hatte in einem unbegreiflichem und im vorliegenden Falle sträflichen Leichtsinn die fremden Blätter nur dazu gelegt, um die Masse der Vorlagen unnützerweise zu vermehren, denn seine eigenen Arbeiten waren völlig ebensogut wie jene.
Schon in vierzehn Tagen sollte ich mein Amt antreten, und so leid es mir war, meine kaum begründete und so angenehme Häuslichkeit zu verlassen, so freute ich mich doch zugleich auf das alte, romantische Meißen, welches ich mir schon in meinen Träumereien zum künftigen Wohnsitz erkoren hatte.
Zur bestimmten Zeit fuhr ich mit Hartmann, dem Direktor der Dresdener Akademie, nach Meißen, die Schüler wurden mir und ich den Kollegen Schaufuß und Scheinert, dem Malervorsteher Kersting und ein paar der obersten Fabrikbeamten vorgestellt. Einem der letzteren, einem Mann von großer Leibesgestalt und etwas überschwenglicher Erhabenheit in Miene und Gebärden, empfahl mich Hartmann mit freundlichen Worten, worauf jener sehr herablassend erwiderte: »Jeister finden sich«, – und keine weitere Notiz von mir nahm; und so haben sich unsere Jeister niemals gefunden.
Ich hatte keine Ahnung davon, daß zwischen einem Oberfaktor der königlichen Porzellanfabrik und einem »Zeichenmeister« eine unübersteigliche Kluft sich befand.