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Wir fuhren mit nur kurzen Unterbrechungen über Leipzig und Lützen bis Weimar, wo im »Erbprinzen« am Markte Wohnung bestellt worden war. Bei Lützen mußten die Wagen halten, und ich entwarf die erste Zeichnung, den Schwedenstein, wo Gustav Adolf gefallen war.
Der Fürst verkehrte täglich mit dem großherzoglichen Hofe; v. Küchelbeker hatte Empfehlungsbriefe an Goethe und wurde eines Abends zu ihm gebeten, wo er eine Sammlung lettischer Lieder dem Dichterfürsten verehrte. (Siehe: »Jahres- und Tageshefte«.) Abends war uns eine Loge neben der des Großherzogs zur Verfügung gestellt, und ich sah z. B. die Jagemann und andere Persönlichkeiten auftreten, deren Namen ich in späteren Jahren oft zu lesen bekam.
Der Großherzog machte dem Fürsten einen Gegenbesuch, wobei wir ihm vorgestellt wurden und ich ihm meine wenigen, flüchtigen Skizzen vorlegen mußte. Die gedrungene, kräftige Gestalt desselben, das Einfache, Ruhige, Kernige seiner Worte und Gebärden, und vor allem der bedeutende Kopf machten einen imponierenden Eindruck, obgleich die äußere Erscheinung einem intelligenten Landwirt ähnelte.
Nach einigen Tagen wurde eine große Hasenjagd veranstaltet, und ich mußte in der kleinen Kalesche, worin Karl August und Narischkin saßen, mit hinausfahren. Es lag dicker Schnee auf den Feldern, und es begann ein sogenanntes Kesseltreiben, wo viele Hunderte von Hasen in eine muldenartige Vertiefung zusammengetrieben und geschossen wurden. Ich zeichnete flüchtig die Gruppe der Fürsten und der Leibschützen und Jäger, die sie umgaben, und führte dies Blatt später in Sepia aus. Nach Beendigung der Jagd wurde in einem Jagdhause ein Frühstück eingenommen. Es waren einige zwanzig oder dreißig Gäste, unter welchen gewiß interessante und später vielgenannte Persönlichkeiten. Mein Nachbar war ein Herr v. Einsiedel. – Wäre ich zehn oder zwanzig Jahre älter gewesen, so würde ich mehr gesehen, mehr gehört haben. Jetzt war mir sechzehnjährigem unwissenden Bürschlein die Bedeutung dieses Hofes und seiner Geister verborgen. Die Unterhaltung am Tische war sehr lebhaft, laut und bunt durcheinander. Der Fürst rief mir auf eine Erkundigung des Großherzogs zu, ob ich derselbe sei, welcher mit seinem Vater die siebenzig Ansichten der Umgegend von Dresden radiert habe, und es freute mich, es bestätigen zu können. Ich stieg dadurch um einige Grade in Narischkins Gunst, weil mein Name bereits einige Meilen über die Landesgrenze gesprungen war.
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5. Dez.
Nach einer langen Fahrt über Gotha, Eisenach, Vacha und Salmünster kamen wir bei Nacht nach Frankfurt a. M. Staatsrat v. Bethmann beim Fürsten. Wir sahen bei ersterem das schöne Werk Danneckers, seine Ariadne, das erste plastische Werk, was mich in Entzücken versetzte. Professor Gaethgen.
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7. Dez.
Der Weg an der Bergstraße entlang mit alten Städtchen, von Burgen gekrönt, die sanften Berghänge, mit alten Nußbäumen und Weinbergen geschmückt, boten malerische Bilder, und ich mußte nur bedauern, daß ich solche reizende Strecken nicht in das Skizzenbuch fassen durfte.
Das Neckartal öffnete seine herbstlich braunen Waldberge, und das alte, schöne Heidelberg mit dem Schlosse lag in der späten Abenddämmerung vor uns. Wir rasteten hier eine Nacht. Dr. Aliman, v. Küchelbeker und ich saßen noch bis nach Mitternacht mit einem Herrn v. Stackelberg zusammen, welcher hier studierte. Er erzählte viel von Sand und seiner Hinrichtung, welche die allgemeinste Teilnahme auch im Landvolke erregt hatte. Das Gespräch kam auf Politik, ein Gebiet, welches mir ganz fremd war, doch frappierte mich die unbesonnene Äußerung v. Küchelbekers, daß eine Verbindung des jüngeren Adels in Petersburg existiere, welcher er selbst angehöre, durch welche bei Eintritt gewisser Ereignisse auch das Leben des Kaisers bedroht sei. – Der Doktor verwies ihm sein unbesonnenes Schwatzen, ohne die Sache selbst zu bestreiten.
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Am 8. Dezember
früh bei Tagesanbruch verließen wir schon wieder Heidelberg. Das Gebirge senkte sich in einer blauschwarzen Silhouette zur Rheinebene hinab, und hinter demselben schimmerte ein weißer Lichtstreif, den Tag verkündend. Es erinnerte mich plötzlich an den landschaftlichen Hintergrund auf Correggios »Heilige Nacht« (ehe sie retuschiert wurde; jetzt ist der Lichtstreif grau übermalt).
In der Nähe von Durlach, wo es bereits Tag geworden war, erfreuten mich die nach der Stadt ziehenden Gruppen von Bauern und fröhlichen Mädchen in ihrer kleidsamen Tracht, Körbe mit Frucht oder Milchgefäße zu Markte tragend. Die graziöse, leichte Haltung, welche dieses Tragen auf dem Kopfe bedingt, gibt den Gestalten eine Schönheit der Bewegung, welche auffallend vorteilhaft absticht gegen das Tragen auf dem Rücken, wie es bei uns gebräuchlich ist, wo die Leute plump und schwerfällig, Lasttieren gleich, einherschreiten.
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9. Dez.
Das regelmäßig gebaute Karlsruhe entzückte meine Begleiter, die es ein »Klein-Petersburg« nannten.
Im Theater sah ich einen indischen Taschenspieler und »Die vier Temperamente« von Ziegler. Bei Narischkin traf ich den Markgrafen Friedrich von Baden und den Sohn des Exkönigs von Schweden (Prinz Wasa?). Der Adjutant des ersteren, ein Herr v. Fritsch, eine offene, süddeutsche Natur, war großer Kunstfreund und fand Gefallen an meinen wenigen Arbeiten. Der Markgraf war ein milder, liebenswürdiger Herr. Auch er war ebenfalls sehr freundlich und mitteilsam zu mir. Er hatte bei dem Fürsten meine großen, ausgeführten Zeichnungen nach Berchem und Ruisdael gesehen, die ihn interessierten und welche auch wirklich gelungene Kopien waren und sich sehen lassen durften.
Ich fühlte einen starken Gegensatz in der geistvollen Humanität des deutschen Fürsten und seines liebenswürdigen Begleiters gegen meine russische und deutsch-russische Umgebung.
Abends schrieb ich noch an Vater und an Augusten, welches letztere mir beim Scheiden erlaubt worden war, und um Mitternacht reisten wir wieder ab.
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12. Dez.
In Straßburg am frühen Morgen angekommen, eilte ich bald aus dem Hotel und suchte den Münster. Durch ein enges Gäßchen kommend, erblickte ich plötzlich zwischen den schwarzen Giebeln alter Häuser die Riesenpyramide des Münsterturmes, dessen obere Partie bei dem etwas nebligen Herbsttage im zartesten Luftton am grauen Himmel sich zeichnete und dadurch um so höher und wahrhaftig riesig erschien. Ich war ganz hingerissen von der Schönheit und Größe des Eindruckes. Es war das erste bedeutende Werk deutscher Baukunst, was ich sah. Ebenso ergreifend, ja mit Ehrfurcht erfüllend imponiert das Innere der Kirche. Die höchsten Taten des Geistes und der Kraft wirken auf das empfängliche Gemüt eines noch naiven Beschauers erweiternd, erhebend, ja eine neue, kaum geahnte Welt erschließend. So geschah es mir. Was deutsche Art und Kunst sei, war mir bis dahin vollständig verborgen; hier war ich von ihr umgeben, und in ihrer höchsten und eigensten Art. Ist es doch, als hätten die Baumeister dieser Dome eine Erinnerung der Schauer ihrer Wälder, in welchen sie ihr Heiliges verehrten, herübergetragen und in diese Steinschrift übertragen.
Mehr als vom gotischen Münsterbau schien Narischkin von den berühmten Straßburger Gänseleber-Pasteten angezogen. Ein Fabrikant derselben wurde mehrmals besucht und große Ankäufe gemacht.
Wir verließen Straßburg am 16. Dezember bei bedecktem Himmel. Auf den Bergen lag hier und da Schnee, alte Städte mit spitzen Türmen, auf den Höhen die Ruinen alter Burgen und zur Seite die Vogesen, gelangten wir über Schlettstadt abends nach Kolmar. Da für unsere drei Wagen zehn Pferde benötigt waren, wurde ein Kurier stets vorausgeschickt, um auf den Stationen die Pferde, oder in den Hotels Frühstück, Mittag. oder Abendessen zu bestellen, und so kamen wir ohne großen Verzug vorwärts. Am Morgen waren wir schon in den malerischen Schluchten und Tälern des Doubs und abends in Besançon, wo übernachtet wurde.
Bauart und Volk nahmen, sobald wir das schöne Elsaß verlassen hatten, einen anderen Charakter an und ähnelten mehr dem, was ich von südlichen Gegenden aus Bildern kannte. In den kleineren Nestern versammelte sich stets eine große Masse müßiger Leute, Kinder und Bettler, während die Pferde gewechselt wurden, und ich benutzte diese kurzen Ruhepunkte, um manche dieser Callotschen Krüppel- und Bettlergestalten in mein Skizzenbuch zu bringen.
In Lyon blieben wir zwei Tage, und hier nahm mich das Museum vorzugsweise in Anspruch. Die Malereien neuerer französischer Meister waren mir ja bisher ganz fremd gewesen, und vorzüglich war es ihre geschickte, pikante und lebendige Behandlungsweise, soweit ich dieselbe aus Radierungen in des Vaters Sammlung kannte, die mich ansprach. Nach Boissieus radierten Blättern hatte ich viel gezeichnet. Der Vater schätzte sie höchlich Hier in seiner Vaterstadt sah ich nun sowohl Handzeichnungen und sogar ein Ölbild von ihm. Ph. de Champaigne, Le Sueur, Le Brun, die Poussins, Mignard, Vouet, Boucher, Watteau waren Namen, die ich seit meiner frühesten Jugend mit Achtung hatte nennen hören, – der Vater hatte den Respekt vor diesen französischen Meistern von Zingg überkommen, und mir war etwas davon von beiden angeflogen.
Die Insel St. Barbe, eine Lieue von Lyon an der Saône, besuchte ich ebenfalls in Erinnerung einiger Radierungen Boissieus, deren Motive daher genommen waren. Auch zeichnete ich daselbst mehreres, so wie die Reste des römischen Aquädukts bei St. Just in Fourvières. Prächtig war der Blick über die große Stadt mit ihren beiden Strömen, der weiten Landschaft mit dem schneeigen Alpengürtel. Bei hellem Wetter soll man den Montblanc sehen.
Die mit Efeu dicht bewachsenen alten Pfeiler und Bogen des Aquädukts wirkten sehr malerisch. Es war um die Mittagszeit, die Sonne schien so warm in diese kleine, immergrüne Verwilderung, die vom Gesumm der Bienen belebt war, trotz des 23. Dezember!, daß ich mich recht glücklich bei meiner Arbeit fühlte. Die älteste Kirche Lyons, St. Just, liegt nahebei. Noch wußte ich nicht – und wenn ich's wußte, berührte es mich nicht tiefer –, daß ich hier einen Boden betreten hatte, welcher geweiht war durch das Blut der Tausende von Christen, die im Anfang des zweiten Jahrhunderts Blut und Leben hingaben um ihres Glaubens willen, und unter ihnen die jugendliche, schöne und doch so kühne, todesmutige Blandina.
Ein Bild des Aquädukts von einem damals lebenden Maler, Grobon, hatte mich im Museum vor allem entzückt und mich veranlaßt, diesen Ort aufzusuchen.
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Am 24. Dezember, dem lieben heiligen Christtage, reisten wir früh 6 Uhr von Lyon ab. Ich war diesen Tag mit den Gedanken viel daheim. Doch zerstreute die Fahrt längs der Rhone und ihren mit verfallenen Burgen gekrönten Felsenufern die heimwärts gekehrten Gedanken. So passierten wir das alte Vienne mit einer Kathedrale aus frühgotischer Zeit und mehreren römischen Überresten; so Valence und Montélimar, wo wir übernachteten. Wir waren nun in den Süden eingetreten, denn schon tags vorher sahen wir häufig den Ölbaum, dann Lorbeer, immergrüne Eiche, Zypresse und Pinie. Vor Orange wurde der im freien Felde liegende Triumphbogen des Marius betrachtet und in der schmutzigen Stadt ein römisches Amphitheater, welches aber ganz von Häusern und Spelunken um- und verbaut war, aufgesucht.
Gegen Abend dämmerte uns Avignon aus der Ferne entgegen, welches zum Übernachten bestimmt war. Es war der zweite Weihnachtsfeiertag. Wieder mußte ich heimdenken! Ich war da mit Augusten so fröhlich auf einem Ball gewesen, heut wie anders! Viel Genuß und wenig herzliche Freude. Wir waren nun an die grauen Stadtmauern Avignons gekommen, fuhren an denselben hin – wobei wir die verfallene, römische Brücke sahen – und hielten endlich vor dem Hotel l'Europe.
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26. Dez.
In Avignon zeichnete ich mehreres, z. B. die römische Brücke mit dem beschneiten Ventoux bei Vaucluse, einige Partien des zerstörten päpstlichen Palastes, welcher, mit seinen Türmen und Zinnen die Stadt überragend, auf steilem Felsen sich malerisch ausbreitet. Wir verweilten ein paar Tage in Avignon, weil der Fürst seinen Sohn, den General, von Paris kommend, hier erwarten wollte.
Denselben Abend verbrachten wir gemeinsam am Kamin, dessen Flammen ganz behaglich wärmten, denn es war kalt und stürmisch draußen. Ein paar Italiener meldeten sich mit Gesang und Gitarre und suchten durch schwülstigen Singsang zu unterhalten. Darauf kam ein alter Savoyarde mit seinen beiden Töchtern, welche verschiedene Tänze mit und ohne klappernde Holzschuhe ausführten, während der zerlumpte Alte eine Leier, der kleine Junge das Tamburin dazu ertönen ließ. Wir fragten, ob sie sängen. – »Ja, die ältere Tochter.« – Sie setzte sich denn und sang ihre Volksweisen, während die jüngere Schwester, ein liebliches Gesichtchen, sich eng an die Schwester schmiegte, mit den Händen sie umfassend. Der Vater mit dem grauen, zottigen Haar und Bart, der hinter der hübschen Mädchengruppe stand, schnitt die komischsten Gesichter und Gebärden des Entzückens und Erstaunens über den, wie es ihm vorkam, himmlischen Gesang seiner Tochter. »O Messieurs, échoutez! quel sentiment! oh quel sentiment!« Der kleine Tamburinbube stand stocksteif mit dem gleichgültigsten Gesicht neben dem alten Enthusiasten, und so gab das eine ganz hübsche Gruppe, die ich später in meine Mappe brachte. Kaum war dieser Kunstgenuß überwunden, als ein anderer schlottriger Gesell erschien, mit einem Hackebrett und einem kleinen fünfjährigen Mädchen, ein wunderhübsches Kind, welches mit größter Lust tanzte, sprang und das Tamburin dazu rührte, und als der Fürst das Licht nahm, um ihr schelmisch lustiges Gesichtchen näher zu beleuchten, versteckte sie es schnell hinter das kleine Tamburin und blieb unbeweglich stehen; als aber der Fürst lachend sich wieder entfernte, sprang sie wie ein Gummibällchen auf, sang, tanzte und schüttelte ihr Lockenköpfchen samt der Schellentrommel in jubelnder Lustigkeit.
In der Nacht kam der General an. Er war ein feiner, bleicher Mann, von sanftem, liebenswürdigem Ausdruck. Vater und Sohn bildeten einen starken Kontrast. Der alte Fürst schien der Repräsentant einer vergangenen Zeit; eine imposante Gestalt, lebendige und einnehmende Manieren, frivol und reich an Bonmots und witzigen Einfällen, durch welche er in seinen Kreisen einen Ruf erlangt hatte, konnte er doch einen Rest von Barbarentum nicht verbergen, welches gelegentlich hervorbrach, wenn er den französischen Firnisüberzug nicht bedurfte und seine eigenste Natur walten ließ. Dagegen wußte der Sohn, ein Kind der jüngeren Zeit, durch Humanität und feine Geistesbildung bald unsere Herzen zu gewinnen.
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Am 29. Dezember verließen wir endlich Avignon. In Aix gab es wieder genugsam zu sehen. Kunstwerke und vielfache Reste aus der Römerzeit wurden aufgesucht und mit Interesse betrachtet. Am Silvestertag, wo wir Aix verließen, sollte nun der erste Teil der Reise abgeschlossen und in Marseille ein längerer Halt gemacht werden. Es war ein Tag, wie ihn um diese Zeit nur der Süden bieten kann. Vom wolkenlosen blauen Himmel strahlte die Sonne die lieblichste Wärme über die schöne Landschaft, deren Vegetation nun ganz das südliche Gepräge angenommen hatte; denn es wechselten Piniengruppen mit Zypressen, Oliven- und Mandelbäumen, und in der Nähe der Landhäuser standen auch Orangen in Kübeln, von Wein und Feigenbäumen umgeben.
Der stattliche Wagenzug fuhr langsam eine Höhe hinauf, und mir schlug das Herz erwartungsvoll, denn hier mußten wir Marseille, aber vor allem das Meer erblicken.
Schon erhoben sich duftige Berge; immer mehr und wieder neue stiegen langsam empor, und nun auf einmal lag das Meer vor mir! Ich war ganz Auge, völlig hingerissen von der Größe und Schönheit dieses Anblicks. Eine Unzahl weißer Segel glänzten wie ausgestreute Blütenflocken aus diesem wundervollen Blau; es waren Fischerboote oder auch größere Schiffe, welche den Hafen des alten Massilia verlassen hatten, welches sich vor uns ausbreitete und die weite Pianura mit ihren Landhäusern bedeckte. – Wonnetrunken fuhren wir nun von der Höhe hinab. Auch die Stadtbevölkerung schien in freudiger Bewegung und strömte in bunten Zügen aus den Toren, singend und lärmend; es war der letzte Tag des Jahres, wo die südliche Lebendigkeit nicht versäumen wollte, den Rest des süßen Bechers auszukosten.
Im Hotel de Beauveaux, am Hafen gelegen, logierten wir uns ein. Ich bekam ein kleines, hübsches Zimmer im dritten Stock, wo ich den ganzen Hafen übersehen konnte, mit dem interessanten Leben und Treiben an und auf den Schiffen, für mich ein neuer, höchst fesselnder Anblick.
Um Mitternacht stand ich noch am offenen Fenster, sah über den Mastenwald der unter mir liegenden Fahrzeuge hinweg und hörte das lustige Singen und Musizieren der Matrosen, welche noch in ihren Schenken am Hafen das Neue Jahr erwarten wollten. Dies Tollen da unten und der schweigende Sternenhimmel darüber erregte eine ernste Stimmung, die meine Gedanken in die Heimat trug. Der große Eindruck des Erlebten des heutigen Tages bewegte mich noch. Ich fühlte mein Glück, ein vor wenig Monden nie gehofftes. Aus meiner armen, engen Existenz so plötzlich in eine neue, fremde Welt versetzt und von Tag zu Tag mit bedeutenden Eindrücken fast überschüttet, mußte ich es nicht heute am Schluß des Jahres als ein glückliches Los preisen, das mir zugefallen war? – Und doch rang sich ein Seufzer aus tiefstem Herzen heraus – es fehlte eins – die Freiheit!
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In Marseille sollte ein längerer Aufenthalt gemacht werden. Ich richtete mich deshalb in meinem hübschen Stübchen zur Arbeit ein, setzte einen Tisch ans Fenster mit allen Zeichen- und Tuschutensilien versehen, spannte englisches Papier auf und rüstete mich, nach Narischkins Wunsch die bisher gemachten Skizzen in Sepia auszuführen. Um anhaltender arbeiten zu können, ließ ich mich von der sehr langwährenden Mittagstafel dispensieren und aß etwas später auf meinem Zimmer.
Gleich in den ersten Tagen ließ mich der Fürst zu sich rufen, und indem er mir eine goldene Repetieruhr überreichte, bat er mich, dieselbe als ein Zeichen seiner Erkenntlichkeit zu nehmen, er sei mit mir sehr zufrieden. Schon früher einmal bezeugte er mir seine Gunst; er umarmte mich vor einer großen Gesellschaft und erklärte, er habe mich lieb wie seinen eigenen Sohn; und so trieb mich nicht nur Dankgefühl, ihn durch meine sauber ausgeführten Sepiazeichnungen öfters zu erfreuen, sondern die Gewohnheit und Lust an der Arbeit drängten mich, die reichen Eindrücke welche die Reise bisher geboten, künstlerisch zur Erscheinung zu bringen.
Es währte nicht lange, so sammelten sich alte und neue Gemälde im Vorsaal an, welche Künstler und Bilderhändler herbeibrachten. Ich erinnere mich zweier Poelenburgs, eines schönen »Johannes« (der Evangelist) von Mignard und sogar eines – wie mir wenigstens damals erschien – herrlichen Bildes von Rembrandt: »Joseph deutet seinen Genossen im Kerker die Träume.« Letzteres Bild sollte achttausend Franks kosten.
Bei einem geschickten Landschaftsmaler, Fontanieu, machte der Fürst mehrere bedeutende Bestellungen, zwei Ansichten von Marseille und zwei andere von Neapel mit dem Vesuv.
Fontanieu war ein Sechziger und hatte etwas Militärisches in seiner Haltung. Er war in seiner Jugend Offizier gewesen und hatte den amerikanischen Krieg mitgemacht. Als er zweiunddreißig Jahre alt war, wurde er noch Maler und hat manchen Sommer in der Gegend von Montpellier zugebracht, wo er besonders Waldstudien malte und zu diesem Zwecke wochenlang mit Weib und Kind in einem hohlen Baum sich häuslich eingerichtet hatte.
Die Zeichnungen, welche ich inzwischen vollständig in Sepia ausgeführt hatte, gefielen ihm wohl, und Narischkin schien das Interesse, welches Fontanieu daran nahm, auch gut aufzunehmen, nur daß er mich bei jedem Blatte, welches ich ihm ablieferte, mit dem Refrain: »Es ist gut, aber nur mehr! mehr!« abfertigte.
Der Fürst veranstaltete mehrmals kleine Ausflüge in die Umgegend. Ein Dejeuner wurde dem Lord Pembroke in einem Landhause gegeben, das am Meer lag und wohin die ganze Gesellschaft an einem heiteren Morgen eine Wasserfahrt machte. Ein andermal fuhren wir nach der in entgegengesetzter Richtung gelegenen Villa Bastide, wo dem Markgrafen von Baden zu Ehren ein glänzendes Diner veranstaltet war. Nach dem Essen, wo die Gesellschaft in den schönen, baumreichen Anlagen sich verteilte und die köstlichen Blicke, die man von den Höhen auf das nahe Meer hat, aufsuchte, benutzte ich, einige malerische Partien zu zeichnen. Eine majestätische Piniengruppe, hinter welcher eine Pyramide sich erhob, im Hintergrunde das blaue Meer, gab ein reizend abgerundetes Bild, das ich mit besonderer Freude aufs Papier brachte.
Als ich mit meiner Mappe wieder zur Gesellschaft kam, die beim Kaffee saß, fragte der Fürst, was ich gemacht habe. Ich zeigte ihm meine Blätter, die er etwas brummig ansah, denn er war an diesem Tage sehr übler Laune, und brachte endlich auch das Blatt mit den Pinien und der Pyramide zum Vorschein, das, wie ich glaubte, ihn erfreuen würde. Doch welch ein Schrecken! Wie von einer Schlange gestochen, warf er das Blatt von sich und schrie im höchsten Zorn: »Fort! fort! nehmen Sie es weg, ich mag nichts sehen; gehen Sie fort!« und wandte sich heftig ab, während die Gesellschaft bestürzt aufsah und ich meine Mappe beiseite legte, ohne mir im geringsten den Grund dieses desparaten Ausbruchs seiner bösen Laune über meine unverfänglichen Zeichnungen erklären zu können. Ich fühlte mich tief verletzt und sprach gegen Aliman bei der Heimfahrt meinen Unmut aus. Er löste mir nun das Rätsel. Die Pyramide, ein fingiertes (oder vielleicht wirkliches?) Grabmal, war ihm nicht nur überhaupt ein widerwärtiger Anblick, weil er an den Tod nicht erinnert sein wollte, sondern da ich es für ihn, für seine Sammlung gezeichnet hatte, nahm er es für höchst ominös, für einen ganz entsetzlichen Zufall, dessen unschuldige Ursache ich gewesen war.
Außerdem aber entdeckte mir Aliman, der Fürst sei ungeduldig, daß ich mit meinen ausgeführten Blättern nicht schneller vorwärtskomme, er wolle viel sehen und viel nach Hause bringen. Nun wäre es mir das Liebste gewesen, wenn ich während der Reise nur die Zeichnungen nach der Natur aufzunehmen gehabt, die Ausführung der Blätter aber daheim hätte vornehmen können, wobei mindestens eine vierfach größere Zahl von Skizzen und Studien gemacht werden konnte. Narischkin aber wollte, daß alle ausgeführten Blätter bis zu unserem Aufenthalt in Paris vollendet in seinen Händen sein sollten, damit er sie dort – wie es auch nachher geschah – prachtvoll einbinden und mit seinem Bildnis verziert als ein für die Kaiserin-Mutter bestimmtes Geschenk wohlverwahrt mitnehmen könnte.
Um die Geschichte dieses Reisealbums hier gleich abzumachen, will ich erwähnen, daß ich ohne die große Anzahl Naturskizzen gegen dreißig oder mehr ausgeführte Sepiazeichnungen – sie bildeten aufgezogen einen starken Band – in Paris zusammengebracht hatte, welche Narischkin bei seiner Rückkunft der Kaiserin-Mutter überreicht hat.
Aliman suchte mich über den widerwärtigen Auftritt zu beruhigen, riet mir, in meiner bisherigen Weise pflichtgetreu fortzuarbeiten und mich weder durch unverständiges Drängen, noch durch Narischkins üble Laune beirren zu lassen; übrigens die Reise, welche ohnedies sich nicht so lange ausdehnen würde, als anfänglich beabsichtigt war, nach Kräften zu nutzen.
Die guten Tage waren aber für mich vorüber. Ich war vollständig in Ungnade gefallen und mußte das bei jeder Gelegenheit empfinden. Am tiefsten schmerzte es mich, als ich bemerkte, daß auch die anderen Herren in Gegenwart des Fürsten sich von mir abwendeten, als sei ich plötzlich eine unsichtbare Gestalt unter ihnen geworden. Ich kam mir manchmal wie ein abgeschiedener Geist unter den Lebenden vor, der keine Mittel besitzt, sich kundzutun, und dieses für mich peinliche Verhältnis steigerte sich später mehr und mehr und wurde fast unerträglich. Dr. Aliman blieb glücklicherweise sich stets gleich, offen und herzlich gegen mich.
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Den 21. Januar reiste der Fürst mit dem Arzt und seinem Gesellschafter, Herrn v. Luzi, nach Monpeilier und Nimes. Der Sekretär und ich blieben hier. Wir machten kleine Exkursionen in die Umgegend, und ich zeichnete fleißig.
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Am 13. Februar in der Frühe verließen wir Marseille. Der Weg ging durch ödes Felsengebirge, und nachmittags waren wir in Toulon, wo wir zwei Tage blieben.
Mit Aliman machte ich des anderen Tages einen Ausflug nach dem felsigen Gebirge, von welchem Toulon umgeben ist. Ein schöner Blick über die Stadt und den Golf veranlaßten mich zu einer Zeichnung, während Aliman botanisiernd höher hinaufstieg. – Nach einer Stunde oder etwas länger war ich mit meiner Arbeit fertig, als Aliman mit einem Bündel Pflanzen wieder zurückkam. Er erzählte lachend, wie ihn eine Schar wilder, bissiger Schäferhunde zurückgetrieben habe. »Die Bestien standen alle um mich herum und bellten mich an, während ich ebenfalls kerzengerade vor ihnen stand und einen um den andern ansah. Endlich, um der Vorstellung ein Ende zu machen, nahm ich meinen Hut vor ihnen ab, und (man sieht doch gleich, was Franzosen sind) sie verließen mich sogleich, bis auf einen naseweisen, jungen Mann, der meine Stiefel beroch und zu knurren anfing. Dem sagte ich aber mit gebieterischer Stimme: ›Va-t' en!‹ und sogleich entfernte er sich schnell und ehrerbietig.«
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Sehr genußreich war die Fahrt nach dem reizenden Hyères, wohin wir am 15. kamen, aber es leider nach sechs Stunden wieder verlassen mußten; denn der Fürst war so übler Laune, daß es nicht gut war, in seiner Nähe zu verweilen. Da nur zwei Wagen dahin gehen sollten, so mußte ich mich auf den Bock des fürstlichen Wagens setzen. Aliman und Küchelbeker aber sollten nach N. N. fahren und uns dort erwarten. Da aber alle gern Hyères sehen wollten, so setzte sich v. Küchelbeker auf den Bock des zweiten Wagens, und Aliman nahm ein Pferd und ritt uns zur Seite. Wir beide auf unseren diversen Böcken und der Doktor auf seinem Gaul waren sehr lustig gestimmt in der frischen Luft und herrlichen Gegend, und um so mehr, als ein flüchtiger Blick in das Innere des Wagens uns die düstere Stirn und hängende Unterlippe der Exzellenz sehen ließ, welche das schlechteste Wetter verkündigte, während wir dieser Atmosphäre durch unsere Sitze einigermaßen uns entzogen fühlten.
Im Hotel d'Ambassadeurs angekommen, ging der General mit uns durch das Städtchen, und wir bestiegen den Schloßberg mit den Ruinen eines alten Sarazenenschlosses auf seinem Gipfel, von wo ein köstlicher Blick auf das Meer, die Insel und bis an die fernen Küsten von Toulon gewonnen wurde.
Nachdem mich die Reisegefährten wieder verlassen hatten, suchte ich nach einem günstigen Punkt, um etwas von diesen Herrlichkeiten aufs Papier zu bringen. In einem Teil der Ruine hatte sich eine arme Familie angesiedelt. Ich klopfte mit dem eisernen Ring an die Pforte, und ein junges, hübsches Weib öffnete mir dieselbe, welche ich denn um die Erlaubnis bat, aus ihrem Gärtchen die schöne Aussicht zeichnen zu dürfen, und ich stieg in dem malerisch bewachsenen alten Gemäuer und in den kleinen Anpflanzungen herum Die Sonne schien so prächtig, und ich zeichnete im Schatten einer Gruppe dunkler Zypressen.
Wie ein seliger Traum lag blau und duftig die Küste, das Meer im zitternden Glanze der Frühlingssonne vor mir ausgebreitet, und die Abhänge, blaue Veilchenteppiche, sandten im Verein mit dem Goldlack und roten Levkoien, welche an den Schloßmauern wucherten, ihre süßen Düfte. Es war so still hier oben! Ein himmlisches Paradies schien mir dies kleine, romantische Asyl armer Leute, von dem großartigsten Hintergrunde umgrenzt. Die Bienen summten um die Blumen, und ein kleines Mädchen unten im Gärtchen pflückte Zuckerschoten in ein Körbchen. Ach! dachte ich, wäre ich doch ein freier Wanderer und könnte mit meinem Bündel und Skizzenbuch dies schöne Stück Erde durchziehen und auch, wie die Bienen, die schönste Beute sammeln, ganz nur dem künstlerischen Gefühl und Bedürfnis folgend, statt Veduten zusammenzutragen und die Zeit mit Ausführung derselben zu verschwenden. Mit Widerwillen dachte ich daran, in mein unfreundliches Joch hinabzusteigen.
Nachdem ich mehreres aufgezeichnet, besah ich mir noch die Wohnstätte der Familie. Das kleine Mädchen führte mich in eine große, gewölbte Halle, deren Öffnung mit dem üppigsten Buschwerk und blühendem Geranke umgeben war. Im Hintergrunde war eine Tür, welche noch in andere, dunkle Gemächer der Ruine führte, daneben das Lager des Weibes, zwischen zwei dicken, moosigen Baumstämmen, mit trocknem Laub gefüllt. Darüber hing ein kleines Kruzifix und ein Weihwasserkesselchen.
Die Bewohnerin des Gewölbes hatte eben ihr Kindlein an der Brust. Der südliche Ton ihres Fleisches, wie es Palma oder Tizian malt, das dunkle Auge glückselig auf ihren Säugling gerichtet, das schwarze Haar in ein scharlachrotes Tuch gebunden, saß sie zwischen Körben mit Blumen und Salat. Im schönsten Licht, von oben beleuchtet, gab sie das köstlichste Bild in diesen zwar reinlichen, aber altersschwarzen Mauern. Der kleine Wurm hatte sich jetzt satt getrunken und lag recht in seinem kleinen Seelchen vergnügt der hübschen Mutter im Schoß; beide lachten sich einander an und koseten miteinander, und ich mußte endlich auch dazutreten und mit bewundern und betrachten. – Der Mann war unten im Städtchen, er hatte Gemüse ins Hotel gebracht für die fremden Herrschaften. Die Frau in aller Mutterseligkeit vergaß doch nicht, für ihren kleinen Haushalt zu spekulieren. Sie bat mich, ihr kleines Mädchen mit hinabzunehmen zum Fürsten, damit diese ihr Körbchen Zuckerschoten zum Geschenk überreichen dürfe. So kam ich, mit vier Zeichnungen, einem hübschen, kleinen Mädchen und frischen Schoten beladen, wieder ins Hotel, wo die Kleine freudestrahlend wieder entlassen wurde und mit festgeschlossenem Fäustchen ein Geldstück ins alte Sarazenenschloß hinauftrug!
Noch waren wir bei Tische, als uns der Markgraf von Baden mit seinem Begleiter überraschte, und wir promenierten noch in einigen schönen Gärten, wo ich zuerst die Palmen im Freien sah und außerdem Tausende von Orangenpflanzungen, mit ihren goldenen Früchten reich belastet. Von neuem fühlte ich mich mit einer geheimen Sehnsucht zu den beiden deutschen Männern hingezogen, und als der Markgraf wie absichtlich mit mir allein einige lange Gartenwege einschlug und sich freundlich nach meinen Arbeiten, Verhältnissen und künftigen Studienplänen erkundigte, trafen mich diese Zeichen des Anteils für den jungen – nicht in seinem Elemente lebenden – Landsmann wie ein warmer Sonnenstrahl eine öde, winterliche Gegend. Wahrscheinlich hatte der Adjutant etwas von meiner nichts weniger als angenehmen Existenz mitgeteilt.
Als wir nach dem Hotel zurückkamen, waren die Wagen angespannt, der Markgraf nahm Abschied, und mit Schmerzen verließen wir das schöne Hyères.
Auf nächster Station fanden wir unsere Reisewagen wieder und konnten nun gemächlicher weiter fahren. Es dämmerte ein schöner Abend herauf. Um neun Uhr kamen wir nach einem Nestchen, ich glaube, es hieß Cornules, wo die Wagen des Gefolges aus Mangel an Pferden zurückbleiben mußten, während der Fürst mit dem General und zwei Dienern allein weiter fuhr.
Da es sehr kühl wurde, gingen wir in eine Hütte, wo wir uns zu den guten, freundlichen Leutchen um den Kamin setzten. Die alte Großmutter, zunächst am Feuer sitzend und mit der hübschen, jungen Wirtsfrau vom Rocken spinnend, plauderte freundlich mit uns. Die jungen Leute lachten und scherzten und sangen zuweilen ein leichtes provenzalisches Liedchen; ich zeichnete schließlich die ganze Gruppe, worüber alle sehr zufrieden waren, und wobei die Mädchen sich unbemerkt eine möglichst vorteilhafte Stellung zu geben suchten. Eine alte, freundliche Dame, die Besitzerin einer schönen Villa, kam noch gegen Mitternacht dazu. Auch sie war sehr gesprächig und nötigte uns noch, bei dem herrlichsten Mondschein in ihre Villa zu kommen. Palmen und Orangen, blühende Rosenlauben und plätschernde Springbrunnen, selbst die lachenden Nymphen fehlten nicht (sie spaßten in Gestalt von Zofen der alten Dame mit einem häßlichen Affen herum, der in der Vorhalle der Villa sich aufhielt) – nichts fehlte zu den Dekorationen einer »mondbeglänzten Zaubernacht« der Romantik als ein Abenteuer, welches aber eher einem einzelnen als einer Gesellschaft begegnet. Der Glanz des herrlichsten Vollmondes war so hell, daß ich bei seinem Lichte noch unser malerisches Hüttchen mit dem Wassertrog unter Rebengeländen zeichnen konnte. – Es wurde endlich still um uns, denn die Leute verloren sich allmählich, selbst Aliman suchte sich im Reisewagen ein Plätzchen zum Schlafen, während Küchelbeker und ich an dem verglimmenden Kaminfeuer sitzen blieben, bis gegen drei Uhr die Postillione mit den Pferden zurückkamen, und wir nun unsere Reise weiter fortsetzen konnten.
Gegen Mittag waren wir in Fréjus, und bald darauf zog sich die Straße im Zickzack empor und führte über das wilde Esterel-Gebirge. Auf dem höchsten Punkt, den die Straße erklimmt, lag unter hohen Bäumen ein einsames Stationshaus, wo wir unser spätes Mittagsmahl einnahmen. Der Fürst war hier schon am Vormittag gewesen. Von hier aus senkte sich die Straße allmählich, und am Abend hatten wir einen wundervollen Blick auf die fernen Seealpen, deren mächtige Schneespitzen im rosigsten Licht erglühten, während das Land schon in grauer Abenddämmerung zu unsern Füßen sich ausbreitete.
Als später der Mond aufging, erreichten wir Cannes. Der Weg führte in der Nähe des Meeres hin, und das Rauschen seiner Brandung brachte mich in Schlaf, der nur an der französischen Grenze gestört wurde.
Um Mitternacht hielten wir vor dem Hotel des Etrangers in Nizza.