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Auf Oehmes und seiner Frau Vorschlag bezogen wir zu gleicher Zeit ein neues, vor dem Löbtauer Schlage gelegenes Haus. Wir nahmen die erste, sie die zweite Etage.
Die Frauen, welche ebenso freundschaftlich zueinander standen wie wir Männer, waren voller Freuden über dieses von dem Stadtlärmen entfernte, halb ländliche Zusammenleben. Selbst unter den Kindern fand nach Alter, Zahl und Geschlecht ein gleiches Verhältnis statt, da zu meinen schon genannten drei Kindern noch ein viertes, eine kleine Helene, sich eingestellt hatte, bei welcher die mit uns befreundete und verehrte Mutter Kügelgens die Patenstelle übernommen hatte. Unter solchen auch räumlich nahen Verhältnissen zwischen Oehme und mir wurde der gegenseitige Anteil und künstlerische Austausch bei unseren Arbeiten nur gesteigert. Kam einer bei seinem Bilde an eine zweifelhafte Stelle, sogleich wurde der Nachbar herbeigerufen und die Sache beraten und womöglich ins klare gebracht.
Im Sommer spazierten wir, das Skizzenbuch in der Tasche, nach dem ganz nahen Plauenschen Grunde, der zu jener Zeit sehr malerisch und reizvoll war, oder wir stiegen auf seine Höhen, und immer trug man eine kleine Beute im Buche nach Hause.
Bei der Art zu arbeiten fiel mir eine große Verschiedenheit auf. Mochte ich mich an manchen Sachen auch noch so sehr den Tag über abgemüht haben, so war mir die Arbeit aus dem Sinn, sobald ich sie beiseite gestellt und Feierabend gemacht hatte. Andere Dinge nahmen mich dann ebenso voll oder leicht in Anspruch, wie es vorher mit voller Hingabe an dieselbe die Arbeit getan hatte. Ganz anders war es bei Oehme. Bei ihm hing alles von der Stimmung ab; denn wenn er an irgendeine Stelle in seinem Bilde gekommen war, die ihm nicht klar herausgekommen war, so beunruhigte ihn dies fortwährend und ließ ihn nicht los, so daß er dann, wenn er auch längst Pinsel und Palette zur Seite gelegt hatte, doch immer zerstreut, geistig abwesend blieb, so daß er zum großen Leidwesen seiner Frau aß und nicht wußte was, hörte und nicht wußte, was zu ihm gesprochen wurde. Ja in solchen kritischen Momenten ließ es ihn auch bei Nacht nicht ruhen; er stand aus dem Bette auf, zündete die Lampe an und wanderte in sein Atelier, wo er dann die verzweifelt schlimme Stelle ansah, zu Pinsel und Farben griff und gewöhnlich so lange malte, bis er glaubte, das Richtige getroffen zu haben, oder bis er es – und dies war meistens der Fall – so gründlich verdorben und versalbt hatte, daß er die ganze Stelle wegwischte, und die Seele nun Ruhe hatte.
Bei Oehme ging alles aus der Stimmung, bei mir aus einer inneren Anschauung hervor.
Um diese Zeit arbeitete ich an einem größeren Bilde, welches Baron v. Schweizer bei mir gesehen und für sich bestellt hatte. Das Motiv hatte ich in Mariaschein in Böhmen gefunden und in einer kleinen Bleistiftskizze entworfen. Von alten Linden umgeben, lag ein Brunnen und ein Heiligenbild dabei. Von diesem schattigen Platze aus sah man in die von der Mittagssonne beleuchteten Kornfelder hinaus. Es lag nahe, diese Landschaft mit einer kleinen Schafherde und ihren Hütern zu beleben und eine Schar Wallfahrer trinkend und ruhend um den Brunnentrog zu versammeln. Der Blick aus der schattigen Kühle in die Mittagshitze hinaus machte eine malerische Wirkung und die ganze Situation der Staffage einen poetischen Eindruck. Das Gemälde kam später auf die Kunstausstellung und gefiel.
Dies war eine der wenigen Bestellungen, die mir überhaupt geworden sind; meistens mußten ich wie Oehme unsere Hoffnung nach wie vor auf den Kunstverein setzen, und schlug diese fehl, d. h. wurde das Bild nicht gekauft, so war das eine große Kalamität für das Hauswesen, und eine lange Zeit mußte vergehen, ehe wieder alles ins Gleiche gebracht war.
Es hatte etwas Tragikkomisches, wenn wir beiden Hausväter zu gleicher Zeit unsere vollendeten Bilder ausgestellt hatten und einige Wochen in gespanntester Erwartung einer Entscheidung entgegensahen. Es waren widerwärtige, ja zuweilen qualvolle Tage, welche einer jeden Arbeit als pikantes Finale nachfolgen mußten. Das in idealer Begeisterung begonnene und ausgebildete Werk mußte diese via dolorosa passieren, um in die rauhe Wirklichkeit zu gelangen, welches nun einmal ihre Bestimmung war.
War der Tag endlich herbeigekommen, wo das Komitee des Kunstvereins über die Ankäufe der Bilder zu entscheiden hatte, und die Nachricht von dem Ergebnis der Abstimmung bis zu uns gekommen, dann fiel entweder ein schwerer Sorgenstein vom Herzen, oder es legte sich ein solcher doppelt schwer darauf. Da ich aber nun einmal mit meinen Arbeiten auf den Markt des Kunstvereins verwiesen war, so war es immerhin ein Glück für mich, daß ich von jetzt an die Bilder auch jedesmal an denselben verkaufte. Daß aber der Verkauf derselben von einer wechselnden, zufälligen Majorität abhing, und das Bild ebenso zufällig – durch das Los – seinen Besitzer erhielt, der es vielleicht sich gar nicht gewünscht hatte und nur den relativen Geldwert desselben ästimierte, dies alles wirkte nicht anregend und erhebend. Ja der Verein nahm oft den Charakter einer Unterstützungsanstalt an, und ich sah darin ein unrichtiges, ungesundes Verhältnis. Als ich daher späterhin, zuerst durch G. Wigand, bestimmte Aufträge erhielt, zur Ausführung wenn auch nur kleiner Kompositionen, welche er wünschte und brauchte, sie mit freudigem Interesse empfing, dankte und bezahlte, so erschien mir in solchem Verkehr ein natürliches, gesundes Verhältnis zu liegen. Der lebhafte Begehr der Arbeit, Zufriedenheit und Freude mit und an derselben, Dank und Lohn von der einen Seite: liebevolles Eingehen und Sichversenken in die Aufgabe, Geschick und Gewandtheit in der Ausführung derselben meinerseits – dies, ich gestehe es, versetzte mich sogleich in ein viel frischeres Element, ich atmete freier auf und fühlte mich nicht mehr abhängig von Gunst und Laune des Zufalls.
Aber ich bin der Zeit etwas vorausgeeilt und kehre zu den ersten Jahren zurück, da ich mit Oehme vor dem Löbtauer Schlage wohnte.
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Die Aufhebung der Meißner Zeichenschule war nur der Vorbote einer noch weitergehenden Umgestaltung der Akademie gewesen. Der Minister von Lindenau, welcher nach v. Einsiedels Abgang an die Spitze des Ministeriums gekommen war, erkannte bald, daß die Kunstakademie zuviel veraltete Elemente enthalte, welche den neueren Anschauungen hemmend entgegentraten, und dadurch ein Erlahmen ihrer Wirksamkeit herbeigeführt werden mußte. Der Minister, welcher mit Herrn v. Quandt befreundet war und in dessen an der Elbe schön gelegenem Hause wohnte, konnte sich mit diesem ausführlich über die obwaltenden Verhältnisse besprechen, welche v. Quandt auf das genaueste kannte . . .
Akademie. Als ich den Unterricht im Landschaftszeichnen übernommen hatte, war es mein erstes, bei den vorgefundenen Schülern den unglaublich manierierten Zopf der sogenannten – Zinggschen Verunstaltung aller Naturformen auszumerzen. Dies war keine leichte Sache, und vor allem mußte ich die Vorlagen, welche zum Kopieren vorhanden waren, ganz beseitigen und anderes Material herbeizuschaffen suchen. Da aber brauchbare Studien neuerer guter Landschafter nicht leicht zu erlangen und zu teuer waren, so mußte ich mich mit dem Ankauf der lithographischen Hefte von Wagenbauer und einigem anderen dieser Art begnügen und gab das meiste von meinen eigenen Studien einstweilen zur Benutzung. So verging das akademische Wintersemester unter fleißigem Kopieren. Als aber jetzt der Sommer nahte, draußen alles in Laub und Blüte stand, da kam ich zu dem Entschluß, einen Versuch zu wagen, die Schüler unmittelbar nach der Natur zeichnen zu lassen, was bis dahin an der Akademie nicht gebräuchlich gewesen war. Es konnte dies um so leichter ausgeführt werden, als im Sommerhalbjahr die Zahl der Schüler nicht acht bis zwölf überstieg, weil da meist nur solche am Unterrichte teilnahmen, die sich ganz dem Landschaftsfache widmeten. Es zeigte sich diese Einrichtung auch so erfolgreich und anregend, daß sie bis heute (1881) in Anwendung geblieben ist. Die Abwechslung zwischen Kopieren und Zeichnen nach der Natur brachte mehr Frische und Lebendigkeit unter die Schüler. Wenn die Schüler beim Zeichnen im Freien in der Wahl der Gegenstände und deren Behandlung zu größerer Selbständigkeit genötigt waren und hierbei ihrer Mängel sich mehr bewußt wurden, so entstand daraus der Vorteil, daß sie an folgenden Wintersemester mit größerem Verständnis und lebendigerem Interesse ihre Originale nachzeichneten.
Ich komme jetzt abermals an eines jener kleinen Ereignisse, dessen Folgen bedeutsam waren und meinem ganzen ferneren Leben eine Wendung gaben, die ich mit den Worten bezeichnen und diesem Kapitel meiner Erinnerungen als Überschrift voranstellen könnte: »Wie ich zum Holzschnitt oder wie dieser zu mir kam«; und abermals war der gute Papa Arnold dabei im Spiele, und wieder war es ein Irrtum, welcher zu einem Wendepunkte meines Lebens und Schaffens führte.
Eines Tages kam Arnold mit einem ungewöhnlich griesgrämigen Gesicht zu mir und stellte mich zur Rede, daß ich einem Leipziger Verleger Georg Wigand meine Zustimmung zum Kopieren einiger Prospekte der sächsischen Schweiz seines Verlages gegeben haben müsse. Mir war weder der betreffende Verleger noch das fragliche Opus bekannt, ich begriff aber wohl, wie der durch Nachdruck schon früher vielfach und schwer geschädigte Papa Arnold durch Eingriffe in seine Rechte in Verbitterung kommen mußte.
Leicht konnte ich ihm mein Unbeteiligtsein an dieser Sache dartun, und wir schieden in alter Freundschaft. Da er nun Wigand mit einer Klage bedrohte, kam dieser nach Dresden, und die beiden Männer verglichen sich. Bei dieser Gelegenheit besuchte mich Wigand, der, damals noch ganz unbekannt mit Kunst und Künstlern, von meiner Existenz in Dresden zuerst durch Arnold erfahren hatte. Er erzählte mir, daß es sich in dem Streite mit diesem um Benutzung einiger Blätter »Ansichten der sächsischen Schweiz« für sein im Entstehen begriffenes Kupferwerk »Das malerisch romantische Deutschland« handle; er habe die von mir radierten Blätter nach London gesandt und dort für den Stahlstich in eine wirkungsvollere Manier übersetzen lassen und sie teuer bezahlen müssen. Schließlich fragte er mich, ob ich einige der noch fehlenden Ansichten zur Sektion der »sächsischen Schweiz« für ihn neu nach der Natur zeichnen und ausführen wolle. Nun hatte ich mich schon in Rom mit der Idee beschäftigt, künftig einmal ein Werk »Die drei deutschen Ströme, Rhein, Donau, Elbe« zu zeichnen und zu radieren, in welchem nicht nur die malerischen, sondern auch die historisch merkwürdigen Gegenden, Städte, Burgen, Klöster usw. in Verbindung mit den Volkstrachten, Festen und Gebräuchen zu einem poetischen Gesamtbilde verarbeitet werden sollten. Ich entwickelte Wigand im Laufe des Gesprächs diese altgehegte Lieblingsidee, und mit Begeisterung rief er aus, das sei es, was ihm, aber ganz unklar, vorgeschwebt habe, und er bat mich, einige Abteilungen des Werkes zu übernehmen. Wir einigten uns über die Sektionen: »Harz«, »Franken«, »Riesengebirge«, und auf diese Weise kam ich zuerst in geschäftliche Verbindung mit Georg Wigand, und die zum »malerischen und romantischen Deutschland« übernommenen Zeichnungen wurden die Brücke zu meinen späteren Kompositionen für den Holzschnitt. Die Reisen in jene malerischen Gegenden Deutschlands wurden größtenteils zu Fuße zurückgelegt und lieferten fürs Skizzenbuch und die Erinnerung eine reiche Ausbeute von Bildern und Erlebnissen aus dem deutschen Volksleben, die mir für mein späteres Schaffen vielfach zugute kamen. Ich war damals ein sehr rüstiger Fußgänger und marschierte z. B. auf der Wanderung durch Franken, das ich mehrmals kreuz und quer, von Nürnberg bis zur Rhön durchzog, gegen hundert Postmeilen innerhalb zwei Wochen. Bald nach Erscheinen des malerisch romantischen Deutschlands unternahm Wigand eine deutsche Ausgabe des »Vicar of Wakefield« von Goldsmith mit Holzschnittillustrationen, deren Komposition er mir übertrug.
Ich hatte damals noch wenig Kenntnis von der Technik des Holzschnittes und erinnerte mich nur, daß Professor Steinla mich einst veranlassen wollte, für ihn eine kleine Aufzeichnung auf Holz zu machen, und mir das Prinzip des Holzschnittes im Gegensatz zum Stich folgendermaßen zu erklären versuchte: Druckt man eine Holzplatte ab, so entsteht eine schwarze Fläche; die abgedruckte, polierte Kupferplatte hingegen läßt das Papier weiß. Während beim Stich das Dunkel ins Licht graviert wird, müssen beim Holzschnitt die Lichter aus der Tiefe geschnitten werden. Der Künstler hat also die durch die Platte gegebene Schwärze vorzugsweise zu benutzen und beim Aufzeichnen aus der Tiefe ins Licht zu arbeiten. Außerdem war mir bekannt, daß die neuere Technik sich von der alten wesentlich unterschied. Zu Dürers Zeiten wurden die Zeichnungen auf Birnbaumtafeln von Langholz übertragen und mit Messern ausgeschnitten, während jetzt auf Buchsbaumplatten von Kernholz gezeichnet wird, das sich leicht mit Sticheln bearbeiten läßt. Das Schneiden mit dem Messer konnte bei weitem nicht so zarte und durcheinanderlaufende Strichlagen hervorbringen als die jetzige Stichelarbeit; die Alten mußten deshalb ihre Aufzeichnungen einfach und in derben Strichen halten, und Kreuzschraffierungen wandten sie wegen Schwierigkeit der Ausführung äußerst selten an. Obwohl ich nun die Einfachheit der alten Zeichnungsweise möglichst beibehielt, erlaubte ich mir doch größere Freiheiten in Verwendung der Strichlagen und suchte hauptsächlich große Licht- und Schattenmassen zu gewinnen; zu weitgehende Ausführung der Modellierung durch Mitteltöne aber vermied ich, weil sie dem Holzschnitt leicht etwas Trübes geben; überhaupt war es mein Bestreben, den Charakter des Holzschnittes, seinen durch das Material bedingten Stil zu bewahren und weder zur Nachahmung der Alten noch zum Wetteifern mit dem Kupferstich zu ge- oder mißbrauchen. Wenn späterhin in Besprechungen meiner Holzschnittbilder hervorgehoben wurde, daß sie etwas wie Sonnenschein an sich trügen, so verdanke ich dieses Lob nicht ganz allein meiner Komposition, sondern dem oben angedeuteten Verfahren; denn kräftige Tiefen gegen große Lichtmassen hingestellt, bringen immer eine gewisse sonnige Wirkung hervor.
Ich ging überhaupt nicht auf malerische Toneffekte aus, sondern auf Reichtum der Motive, klare Anordnung und Schönheit der Linienführung.
Der Holzschnitt, der wie die Glasmalerei jahrhundertelang unter die in Vergessenheit geratenen Kunstfertigkeiten gehörte, hatte seine Wiederbelebung in London gefunden, wo er gegen Ende vorigen Jahrhunderts durch den Kupferstecher Berwick für künstlerische Zwecke zuerst wieder in Anwendung gebracht wurde.
Von da an hatte sich eine Holzschneideschule in England herangebildet, die durch den Buchhandel reiche Beschäftigung fand. Georg Wigand war auf sie aufmerksam geworden und hatte einige tüchtige Holzschneider veranlaßt, nach Leipzig zu kommen, von denen ich nur Nichols, Benworth, Allanson nennen will. Ich ging nun mit Freuden an die Kompositionen zum »Landprediger von Wakefield« und zeichnete sie selbst aufs Holz. Beim Fortgang der Arbeit stellten sich aber auch ungeahnte Leiden ein; denn der Anblick mancher der sonst sauber gearbeiteten Holzschnitte trieb mir einen gelinden Angstschweiß auf die Stirne, wenn der Ausdruck, namentlich der Köpfe, die ich oft drei- bis viermal verändert hatte, um den rechten zu finden, so umgewandelt war, daß sie mich höchst fremdartig ansahen. Mir war charakteristischer Ausdruck Herzenssache, während die Engländer ihren Stolz in höchste Eleganz der Stichlagen und Tonwirkungen setzten.
Anziehender als diese Erstlingsarbeit für den Holzschnitt zum Landprediger, waren mir dem Stoffe nach die nächstfolgenden zu den deutschen Volksbüchern, die mich auf das mir zusagende Gebiet der Romantik führten und mir schon durch Maydell bekannt und lieb geworden waren. Da ich meines Zeichens doch Landschafter war, beängstigte mich bei diesen Illustrationsarbeiten das unheimliche Gefühl, auf ein quasi unbefugtes Revier geraten zu sein, und ich fürchtete, daß diese unter der Hand gemachten Nebenarbeiten in künstlerischen Kreisen kaum beachtet, von der Kritik aber übel behandelt werden könnten. Ich war daher um so angenehmer überrascht, als ich bald nach Erscheinen des Landpredigers eine freundliche Besprechung in der »Zeitung für die elegante Welt« von Sternberg fand, welche die poetische Auffassung mancher dieser Bilder mit großer Wärme hervorhob.
Ähnliche Zeichen anerkennender und aufmunternder Beachtung fanden auch die Bilder zu den Volksbüchern. So äußerte sich Professor Julius Hübner, er sei überrascht und erfreut gewesen, als er unter meinen Bildern zur Melusine die Szene »Melusine im Bade« ganz übereinstimmend in der Auffassung mit seiner Komposition desselben Motivs gefunden habe. Desgleichen erzählte mir ein Tübinger Student, der berühmte Ästhetiker Vischer habe in einer seiner Vorlesungen sehr anerkennend auf die jüngst ohne Namen erschienenen Bilder zu den Volksbüchern hingewiesen und sie warm empfohlen.
Noch während ich an dem Landprediger arbeitete, war ich von Hübner zur Mitarbeit an dem ihm übertragenen Vorhang zum neuen Theater aufgefordert worden. Er hatte schon in Düsseldorf eine Szene aus Tiecks Prolog zum Oktavian komponiert. Diese Zeichnung benutzte er jetzt zu seinem Vorhangsentwurf als Hauptbild, umgab es mit reichen Blumenfestons und dramatischen Emblemen und schloß es nach unten mit einem Fries ab, der die bedeutsamsten Gestalten tragischer und komischer Dramendichtung, verbunden durch eine Arabeske, vorführte. Das Hauptbild malte er selbst. Oehme hatte den landschaftlichen Hintergrund übernommen, mir war die tragische Hälfte des Frieses, v. Oer und Metz die komische zugedacht worden. Ich sträubte mich anfangs gegen den Auftrag, weil ich Figuren in so großem Maßstabe noch nie versucht hatte. Hübner aber ließ mich nicht los, und so komponierte und malte ich denn in dem Fries Gruppen und Einzelfiguren: Hamlet, Lear, Romeo und Julia, Justina, der wundertätige Magus, der standhafte Prinz, Götz, Faust, Egmont, Wallenstein, Jungfrau von Orleans und Tell, und fand in dem gemeinsamen Arbeiten viel Vergnügen. Der Theatervorhang erfreute sich nachmals einer großen Beliebtheit beim Dresdener Publikum, das sich an der reichen Komposition und Fülle der bekannten Dichtungsgestalten allabendlich ergötzte. Es bildete sich sonderbarerweise die Sage unter den Theaterbesuchern, die Hauptfigur des Mittelbildes, die Romanze, sei das Porträt der gefeierten Sängerin Schröder-Devrient.
Nach Beendigung der Vorhangsarbeit kam mir von Wigand ein neuer, meiner Natur sehr zusagender Auftrag. Eine Sammlung von »Studenten-, Jäger- und Volksliedern« sollte mit Bildern und Melodien in billigen Ausgaben unter das Volk gebracht werden. Obwohl der Raum für die Bilder ein sehr beschränkter war, so boten doch die Stoffe der Phantasie einen weiten Tummelplatz für allerlei Gestaltungen und Capriccios. Die Zeichnungen flogen mir aus der Hand, und es gab ein lustiges Schaffen.
Ich muß hier noch einer vorausgegangenen Arbeit gedenken, nämlich meiner künstlerischen Beteiligung au dem illustrierten Musäus, welcher 1842 in G. Wigands Verlag erschien.
Mein alter, lieber Vetter, Magister Jung im Salomonistor, dessen ich schon zu Anfang dieser Blätter gedacht habe, stieg mit seiner Bücherkiste wie ein Traum aus der Jugendzeit herauf und langte mir die drei Bändchen seiner Musäusausgabe zu. Wie hatte ich doch vor Jahren, an langen Sommerabenden am offenen Fenster sitzend, beim Schwirren der Schwalben über den Stadtgraben in diesem Märchenschatze geschwelgt! Die damals aufgestiegenen Bilder meldeten sich wieder, und ich durfte sie jetzt nur mit dem Bleistift aufs Papier bringen. So sehr ich mich nun auch in solchem Schaffen glücklich fühlte, so überfiel mich doch bei dem Gedanken an die hochberühmten Namen meiner Mitarbeiter am »Musäus«, Jordan und Schrödter, eine große Bangigkeit. Hatte ich doch von jeher eine Scheu gehabt, mit meinem Namen auf den großen Markt der Öffentlichkeit zu treten. Bei denjenigen meiner bisherigen Illustrationsarbeiten, die meinen Namen auf dem Titel nannten, hatte mich vor dem Erscheinen jedesmal eine Art Kanonenfieber befallen, wie es manche Schauspieler, selbst bedeutende und routinierte, vor jedem Auftreten verspüren sollen. Mir hatte schon in jüngsten Jahren ein stilles Inkognitoschaffen vorgeschwebt, bei welchem ich aus glücklicher Verborgenheit heraus beobachten könnte, wie meine Bilder die Leute in freudige Bewegung versetzten. Um schaffen zu können, mußten mir Außenwelt und Publikum ganz entschwunden sein, und der vorliegende Stoff mußte sich meiner so bemächtigt haben, daß ich ganz in ihm und seiner Bilderwelt lebte.
Dieses gänzliche Versenken und Einleben in die vor mir liegende Geschichte steigerte sich zur innigsten Freude und Produktionslust. Oft, während ich noch an einer Szene komponierte, stiegen schon drei neue in meiner Phantasie auf, und ich bedauerte, wenn der Abend kam und der Bleistift weggelegt werden mußte; denn ich hätte am liebsten die ganze Nacht fortarbeiten mögen. Dieser Überreiz der Phantasie trug etwas Krankhaftes an sich; es folgten Perioden der Abspannung, und ein nervöser Zustand bildete sich aus, welcher mir nachts den Schlaf raubte und die Tage oft schwer machte. Der Wechsel zwischen Aufgeregtheit und Abspannung dauerte auch während der Arbeiten zu »Bechsteins Märchen« fort. Bei der Ergiebigkeit meiner Phantasie bedauerte ich es, wenn der Kostenanschlag des Verlegers nicht zuließ, die Bilderzahl auf das Maß der mir vorschwebenden Kompositionen zu bringen, und ich verpuffte, nur um meinem Schaffensdrang zu genügen, manchen Einfall in kleinen Vignetten und Initialen, welcher eine weitere Ausbildung verdient und zugelassen hätte.
Infolge der Berufung Bendemanns, Hübners und später Ehrhardts hatten sich auch andere Künstler aus Düsseldorf nach Dresden gewandt, Bürkner, Th. v. Oer, Plüddemann und der auch als Dichter bekannte Robert Reinick; auch Rethel nahm zur Winterszeit seinen Aufenthalt in Dresden, wo er die Kartons zeichnete, welche er im Sommer im Aachener Krönungssaal al fresco malte. Einen lieben Herzensfreund gewann ich durch Übersiedelung Thaeters von Weimar nach Dresden. Wir fanden uns in künstlerischen und religiösen Anschauungen innigst verwandt, und da wir nahe beisammen wohnten, gab es auch unter den Frauen und Kindern ein heiteres, trauliches Zusammenleben, und so erwuchs zwischen Thaeter und mir eine Freundschaft, die über dieses Leben hinausreicht. Thaeters Redlichkeit, Treue und Herzenswärme sprachen schon deutlich aus seinem festen, ehrlichen Gesicht. Wer das Herausarbeiten einer tüchtigen Menschen- und Künstlernatur aus bitterster Armut und Not zu einem edlen Leben und Wirken sich recht lebendig zur Anschauung bringen will, der lese Thaeters Jugendgeschichte, von ihm selbst niedergeschrieben und in »Westermanns Monatsheften« in einem Aufsatze von H. Riegel mitgeteilt. Thaeters intimster Jugendfreund war der aus ähnlichen Verhältnissen hervorgegangene Ernst Rietschel.
Die meisten der Vorgenannten trafen sich allabendlich in einem Kaffeehause, in welchem auch Peschel, Oehme, Otto Wagner und ich uns einzufinden pflegten. Aus diesem zufälligen Zusammenfinden bildete sich ein Gesellschaftskreis, der in einem gemieteten Lokale regelmäßig einmal wöchentlich sich vereinigte und gegen zwanzig Jahre lang in jedem Winter sich erneuerte.
In den ersten Jahren seines Bestehens war monatlich ein Komponierabend festgesetzt worden, wo jeder Teilnehmer eine Komposition mitbringen mußte, an welcher von allen die vielseitigste Kritik geübt wurde. Diesen Abenden verdanken die bei Wigand erschienene »Ammenuhr« und das »ABC-Buch Dresdener Künstler« mit Text von Reinick ihre Entstehung. Durch Los wurde der zu illustrierende Stoff einem jeden zugeteilt, von der »Ammenuhr« die Verse, vom »ABC-Buch« die Buchstaben des Alphabets.
Da Bendemann in dieser Zeit mit den Fresken im königlichen Schlosse beauftragt war, so brachte er seine Entwürfe dazu in unseren Kreis, während die anderen Kompositionen zu beabsichtigten Bildern vorlegten, die auf diese Weise schon vor ihrer Ausführung das Läuterungsfeuer einer scharfen Zensur passieren mußten. Diese geselligen Abende gaben ein heiteres, vielseitiges, anregendes und fruchtbringendes Zusammenleben. Durch die Berufung Bendemanns nach Düsseldorf, Thachters nach München und durch den Tod Rietschels, Reinicks, Otto Wagners und Plüddemanns löste sieh der viele Jahre bestandene Verein von selbst auf.
Eine andere Gesellschaft hatte sich zu jener Zeit zusammengefunden, die sogenannte Montagsgesellschaft, an welcher sich literarische und künstlerische Kräfte beteiligten: Auerbach, Gutzkow, Klaus Groth u. a. Mit Berthold Auerbach kam ich in einen näheren Verkehr; denn wir fanden in unseren, dem Volksleben entnommenen Stoffen künstlerische Anknüpfung.
Abermals bin ich der Zeit vorausgeeilt und kehre zur Erzählung häuslicher Erlebnisse zurück.
Von 1840 an wohnte ich vor dem Falkenschlage in einem reizend gelegenen Gartenhause. Im Juni leuchtete der Garten in üppigster Rosenfülle. Von den stillen Lauben schweifte der Blick ungehemmt über die gleich am Gartenhag beginnenden Kornfelder und Kirschbaumalleen bis hinauf zu den Anhöhen des Plauensehen Grundes.
Jetzt lärmen die schrillen Pfeifen der Lokomotive und das Gerumpel der Lastkarren durch Bahngeleise und Straßen, welche aus jenen stillen Kornfeldern in die neue, dampfselige Zeit hineingewachsen sind. Unsere Hausgenossen waren so ruhig und friedlich wie die damalige Zeit. Über uns hauste der mit seiner Flöte in den Ruhestand gegangene Kammermusikus Fürstenau, berühmt als Virtuos seines idyllischen Instruments und geschätzt und geliebt als alter treuer Freund Carl Maria v. Webers. Im unteren Stock wohnte der Direktor der neu begründeten polytechnischen Schule, Professor Dr. Seebeck mit Frau und Schwägerin; zwischen dieser und meiner Frau entstand bald ein herzliches Freundschaftsverhältnis. Sie war eine Fräulein Oppermann und wurde nachmals die Gattin meines lieben Freundes Ernst Rietschel.
In dem blühenden Garten dieses Landhauses wandelte einige Jahre nach unserem Einzuge die bleiche Gestalt unserer guten Marie, die sich durch Erkältung ein unheilbares Brustleiden zugezogen hatte. Welche Gegensätze berühren, ja durchdringen sich zuweilen im Leben! In dieser Zeit eines vollen, reichen Schaffens durchzog gleichwohl eine tiefe, stille Trauer unsere Herzen. Der Arzt hatte mir und meiner Frau mitgeteilt, daß eine Rettung unserer lieben Marie nicht zu hoffen sei. Noch jetzt steht das Bild mir lebhaft vor der Seele, wie ich in der Laube sitzend die schlanke bleiche Gestalt langsam auf- und abgehen sehe und ihr Blick zuweilen wie fragend auf mir ruht, »ob Vater wohl weiß, daß ich bald sterben werde?«, während die Lippe schwieg. Zu ihren Füßen aber wiegte sich ein lachender Tulpenflor, und an der grünen Gartenwand leuchteten die roten und weißen Rosen in Fülle.
Es währte nicht lange, so konnte sie ihr Stübchen nicht mehr verlassen.
Ich fand sie einmal am offenen Fenster, die warme Luft des Sommerabends und den süßen Duft der Rosen atmend, welcher aus dem Garten zu ihr emporstieg. Sie war in Gedanken versunken, und zum erstenmal löste sich das bisher unausgesprochene Geheimnis ihres nahen Todes. Es hatte ja uns allen so bange und schwer auf dem Herzen gelegen. Marie schüttelte ihr Herz vor mir aus; schüchtern und sorglos zu mir aufblickend fragte sie, ob sie auch mit Zuversicht der Vergebung all ihrer Fehler und Versündigungen sich getrösten dürfe. Ich erinnerte sie an das alte Agnus Dei Lied: »All Sünd hast Du getragen, sonst müßten wir verzagen! Erbarm Dich unser, o Jesu!« Das Wort des Herrn: »Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe«, und was wir sonst Ähnliches miteinander innig und ruhig besprachen, erfüllte ihre Seele mit der seligsten Freude. Entzückt ihre Arme ausbreitend rief sie: »O Gott! wie freue ich mich, wie glücklich bin ich! Ich werde bald meinen Heiland sehen.« Ihre Augen leuchteten dabei in einem wunderbaren Glanze, der nicht mehr von dieser Welt schien.
Mit Erstaunen und Bewunderung betrachtete ich sie, denn es erinnerte mich diese Erscheinung an ihre Kindheit, wenn sie, etwa zweijährig, von mir auf den Knien geschaukelt wurde, wobei sie dann zuweilen in ein solches Jubilieren ausbrach und ihre Augen so ungewöhnlich aufleuchteten, daß Freund Peschel darüber stets in künstlerische Ekstase geriet. Jetzt aber fiel mir die Stelle im Dante ein: »Öffne die Augen und sieh mich, wie ich bin! Du hast geschaut Dinge, daß Du mächtig geworden bist, mein Lächeln zu ertragen.«
Wir hatten eine Wohnung auf der Pillnitzer Straße bezogen, und hier kam, im April 1847, das Ende ihres jungen Lebens heran; sie war achtzehn Jahre alt.
Die letzte Nacht brach herein, und Marie hatte noch einen schweren Kampf, den letzten, zu bestehen. Eine sich immer steigernde Unruhe bemächtigte sich ihrer, sie wollte fort, in ein anderes Bett, in ein anderes Zimmer gebracht sein; sie bat, sie flehte uns darum an. Die Seele, die sich von ihrer Hülle lösen wollte, schien mit diesem Leibe des Todes im heißesten Kampfe; sie warf sich hin und her und rief so rührend und flehentlich: »Helft mir, ach helft mir!«, und wir beide, Vater und Mutter, saßen dabei und konnten ihr doch nicht helfen. O wie lang und schwer wurden diese Stunden! »O helft mir!« so tönte es immer wieder und unter Tränen blieb uns nichts anderes, als dasselbe Wort hundertmal im stillen nach oben zu senden: »O Herr, hilf Du, der Du allein hellen kannst, nimm ihre geängstete Seele zu Dir!«
Es mochte nach Mitternacht sein, da rief sie abermals in höchster Not: »O liebe Eltern, ich halte es nicht mehr aus, o helft mir doch!« Da trat, von einem Gedanken ergriffen, die Mutter an ihr Bett, zog eines der Pfühle unter dem Kopfe hinweg, und Mariens Haupt sank tiefer auf das Kissen, während sie vorher mehr in halb sitzender Stellung war. Sogleich legte sich das stürmische Atmen, die Brust hob sich ruhiger, sie wurde still und lag wie eine ruhig Schlafende. Lautlos saßen wir dabei, und ich heftete meine Augen auf das ruhige Pulsieren im Halse. Bald gingen nur noch vereinzelte Pulsschläge – sie wurden immer langsamer – noch einer – und keiner folgte mehr – sie war entschlafen! Still knieten wir an das Bett und begleiteten die erlöste Seele unter Tränen mit unseren Gebeten in das Jenseits.