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Studienzeit 1820-1823

So war ich denn wieder in der lieben Heimat und in die alten Verhältnisse bald wieder eingelebt; nur daß ich mehr Selbständigkeit erlangt hatte und über meine Zeit freier verfügen konnte.

Für mein freundliches Arbeitsstübchen konnte ich jetzt dem guten Vater einen kleinen Mietsbeitrag geben, wie der Mutter ein Billiges für die Kost; denn wir waren vier Geschwister, welche mittags allesamt mit einem guten Appetit gesegnet um den Tisch saßen; außer mir Bruder Willibald, der jüngere Julius und Schwester Hildegard als Nesthäkchen.

Es erging ihnen, wie es mir ergangen war; es war nämlich niemals die Rede davon, was dieser oder jener werden wollte; zu welchem Berufe sie etwa Lust und Neigung hätten; auch kam keines von ihnen auf dergleichen ausschweifende Gedanken, selbst Schwester Hildegard nicht, sondern ein jedes griff seinerzeit zu Papier und Bleistift, suchte sich ein Plätzchen womöglich am Fenster und zeichnete drauf los nach irgendeinem beliebigen Originale, wie dieselben in des Papas Mappen vorhanden waren. Selten konnte der angestrengt fleißige Vater sich um uns kümmern, selten nur eine Korrektur vornehmen. Es wurde aber im ganzen Revier gezeichnet, getuscht, gemalt, auch geseufzt und darauf mit Gummielastikum tüchtig ausgerieben wie in der besten Akademie. Es mußte sich eben alles wie von selbst machen, und es machte sich auch.

Bei mir war es allerdings jetzt ein anderes. Ich konnte ja selbständig etwas leisten, radierte Prospekte für Papa Arnold, dessen Familie ich öfter des Abends besuchte, und verdiente durch diese Arbeiten meinen Lebensunterhalt. Die andere Hälfte meiner Zeit war den Studien gewidmet, welche mir vorderhand nichts einbrachten. So malte ich außer ein paar kleinen Ölbildchen auch ein etwas größeres eigner Komposition, ein Motiv von Nizza, zur idealen Landschaft umgestempelt, als Staffage ein wandernder Sänger bei einer Hirtenfamilie. Es spukte nächst Claude etwas Geßner in dem Bilde; denn ich verehrte letzteren hoch, und noch jetzt erfreuen mich die beiden Quartbände seiner Idyllen, die ziemlich seltene Prachtausgabe mit den schönen Radierungen. Ich bedauerte zwar schon damals, daß in seinen so echt deutsch empfundenen Landschaften die totgeborenen Daphnes und Chloes, Menalkes und Phyllis herumliefen, in einer Natur, in welcher sie durchaus nicht heimisch waren. Aber eben diese landschaftlichen Schilderungen brachten in Wort und Bild so viel fein empfundene und reizend dargestellte Züge, die geheimen Schönheiten der Natur hatten sich ihm auf Weg und Steg so freigebig erschlossen, wie es mir bei einem älteren Maler kaum vorgekommen war. Nichts war darin Manier, nichts Nachahmung als seine leidigen Menschen, welche allerdings aus dem Gipssaal stammten, wohingegen er in dem Landschaftlichen immer ein Selbsterlebtes, Selbstempfundenes wiedergab. Man halte diese Blätter nur einmal neben das, was seine Zeitgenossen geschaffen haben, selbst solche, die er studierte, wie z. B. Dietricy oder Zingg, Aberli, Felix Meyer, Weirotter, Klengel, Schütz u. a., so wird man seine hervorragende Stellung nach dieser Seite mehr würdigen, als es bisher geschehen ist. Seine radierten Sachen (und namentlich die genannten Blätter zur großen Ausgabe der Idyllen) verhalten sich zu den obengenannten wie Natur zur Manier, wie Poesie zur Phrase.

Die landschaftliche Naturauffassung Salomon Geßners und die schlichte, innerlichst wahre Darstellung der Menschen seiner Zeit, wie sie Daniel Chodowiecki uns vorführt, sind doch mit sehr wenig Ausnahmen das einzige, was man noch von den Kunstschöpfungen jener Periode genießen kann, und ihr Talent brachte deshalb Lebendiges hervor, weil sie die Dinge, die sie schilderten, innerlich erlebt und mit leiblichen Augen gesehen hatten, während andere konventionellen Kunstregeln folgten.

Ich weiß wohl, es gibt höhere Kunstgebiete, viel höhere, als welches die Genannten eingenommen haben; allein solche können nur dann mit Erfolg erstiegen werden, wenn die Zeit dazu angetan ist. Nur im Strome einer großbewegten Zeit, in welcher ein Sehnen, Drängen und Ringen entsteht nach den höchsten Gütern des Daseins, nur in einer solchen können Geister sich entwickeln, welche die Kraft haben, die höchsten Ideen zu gestalten und den göttlichen Gestalten Fleisch und Blut zu verleihen.

Das Wort muß Fleisch werden!

Außer diesem Bilde führte ich noch zwei große Landschaften in Sepia aus, das Paglionetal bei Nizza und eine Aussicht über Toulon und seinen Meerbusen, beide Arbeiten noch in einer weichen, verschwommenen Manier. Ich las damals im Matthisson, und dessen Sentimentalität scheint etwas angesteckt zu haben.

Den größten Teil meiner Zeit nahm aber meine Beteiligung an dem zweiten Teil von »Dresdens Umgebungen« in Anspruch, an welchen ich das Landschaftliche und meistens auch die kleinen Staffagen machte, während dem Vater die Architektur und das Ätzen der Platten überlassen war. Diese Tätigkeit erhielt mich auch fortwährend in Verband mit Papa Arnold, welcher, ohne jemals Worte darüber zu machen, seine volle väterliche Zuneigung mir zugewendet hatte und sich an meinem Streben und Vorwärtskommen im stillen erfreute. Wie schon früher brachte ich wenigstens einen Abend in der Woche bei ihnen zu. Da saß nun Papa Arnold etwas abseits vom Tisch, damit ihn die Lampe nicht blende, und sah die Handlungsbücher durch, welche ein Lehrling nebst den Schlüsseln um sieben Uhr heraufgebracht hatte, horchte dazwischen auf das Gespräch am Tisch, indem er es von Zeit zu Zeit mit einem Brocken gutmütiger Ironie oder einer belehrenden Bemerkung spickte, und verzehrte hier im Lehnstuhl sein einfaches Abendbrot, ein kleines Schüsselchen mit gekochten Pflaumen oder einer Hafergrützsuppe. Wir anderen dagegen pflegten des Leibes bei den Fleischtöpfen Ägyptens, womit Mama Arnold den großen, runden Tisch so überreich besetzt hatte, als gelte es eine Armee zu speisen, während es doch nur fünf oder sechs Personen waren. Nach Tische brachte die freundliche Gottwerthchen Neuigkeiten aus der Handlung, besonders waren es die damals sehr beliebten Taschenbücher und Musenalmanachs mit den Rambergschen Kupfern, welche stets willkommen geheißen wurden und uns höchst erfreuten. Der alte Herr Fromm ließ seine Anekdoten und Neuigkeiten schnurren wie vor Jahren, und nur der geliebte dicke Mops, welcher sich auf das Fußbänkchen gelegt hatte, gab zuweilen durch ein sanftes Schnarchen zu erkennen, daß er den Gesprächen seine Teilnahme nicht zu widmen gedenke. – Die weiten Räume des alten Hauses, das hohe Wohnzimmer mit dem Erker nach dem alten Markt hinaus, ganz einfach, aber solid möbliert, die anspruchslose aber behäbige Einfachheit und Treuherzigkeit ihrer Bewohner mit ihrem nicht kritisierenden, aber genießenden Anteil an allem, was von Literatur oder Kunst ihnen nahe kam, gab mir recht das Bild schönen altbürgerlichen Lebens.

Noch anziehender als diese Abende bei Arnolds waren mir die Stunden, die ich nach der Tagesarbeit in dem kleinen Einnehmerhäuschen am Dippoldiswalder Schlage zubringen durfte. Vetter Ephraim wurde mir bald gewogen, und noch mehr besaß ich das Herz seiner trefflichen Frau, die ich nicht nur liebte, sondern auch oftmals bewundern mußte, wenn ich sah, mit welchem gleichmäßig heiteren Mute und verständigen Verhalten sie die Launen und das despotische Gebaren ihres Eheherrn zu behandeln verstand. Denn obwohl er anderen gegenüber den Mann von feinster Manier heraussteckte – er war ja Kammerdiener des Hofmarschalls Grafen Lohse gewesen und hatte ihm glücklich alles »abgeguckt« in Gang und Miene, bis auf die graziöse Art, eine Prise aus der Silberdose zu nehmen-, so ließ er doch sans gêne den alten Adam walten gegen die Hausgenossen. Nicht die leiseste Miene, noch weniger ein Wort der Einwendung gegen seine Befehle durften gewagt werden, ohne seinen heftigsten Unwillen herbeizuziehen.

Unter der Pflege dieser teils harten, teils liebevollen Zucht war Auguste herangewachsen, denn die gute Muhme war ihr die liebevollste Mutter, Vertraute und Freundin; unter ihrer tüchtigen Leitung lernte sie gründlich das Hauswesen führen, lernte das stille Schaffen und unermüdliche Tätigsein im Hause, während der Vetter ihr praktische Lektionen gab nach dem Spruch: »Seid gehorsam nicht allein den gütigen und linden Herren, sondern auch den wunderlichen«, und es liegt gewiß etwas den Charakter Stählendes darin, wenn ein starkes Herz sich selbst zu bezwingen gelernt hat. Vorderhand sah ich freilich nicht mehr, als daß mir einesteils Manier und Affektation, andererseits gesunde Natur entgegentrat, wie mir dergleichen mein Daniel Chodowiecki in seiner bekannten Suite künstlerisch oftmals vorgeführt hatte!

Augustens anspruchsloses, ruhiges Wesen, das sich doch überall resolut und heiter in praktischer Tat erwies, wurde mir immer lieber, und die Stunden in ihrer Nähe zugebracht machten mich unaussprechlich glücklich.

Zur Sommerzeit in den Abendstunden war ich dann mit Gustchen meistens in dem kleinen Blumengarten, der hinter dem Hause lag und mit einer Laube abschloß, an welcher ein Altan, etwas erhöht, einen Blick ins Freie bot. Es zog sich damals nur ein sehr einsamer Fußweg an den Gärten hin, welche die Stadt an dieser Seite begrenzten und von welchen unmittelbar sich weite Kornfelder bis zu den Höhen von Plauen und Räcknitz hinaufzogen. Die Einsamkeit dieses Fußpfades wurde nur zuweilen von einem seufzenden oder verlassenen Liebhaber oder einem glücklichen Liebespaar oder einem menschenscheuen Hypochonder – und am öftesten von der stattlichen Gestalt des rüstig einherschreitenden Oberhofpredigers v. Ammon belebt.

Wenn ich jetzt in jene Gegend komme und die Stelle suche, wo ich so glückliche Stunden zugebracht habe, so finde ich alles bis zur Unkenntlichkeit verschwunden. Prachtgebäude, schöne Villen mit Gärten, lange Straßen überdecken die Fluren, wo die Felder sich breiteten, und das Zischen, Brausen und Pfeifen der Lokomotiven vom Bahnhofe sowie das Rollen ab- und zufahrender Wagen, das Strömen bunter Menschenmassen haben schon längst den Frieden vertrieben, der sich so freundlich hier gelagert hatte.

Hier also auf der Bank am Garteneckchen saßen wir so manche liebe Stunde, Gustchen mit einer Arbeit beschäftigt, ich plaudernd oder etwas vorlesend. Sie erzählte, wie ihre Eltern, die ein Landgut in der Niederlausitz gepachtet hatten, große Not in den schweren Kriegsjahren erlitten und dann beide schnell hintereinander gestorben waren. Sie wurde als vierjähriges Kind nach Dresden gebracht, wo der Vetter und die Muhme, da sie kinderlos waren, die kleine Waise an Kindes Statt annahmen und gewissenhaft für ihre Erziehung sorgten.

Ich dagegen brachte wohl zuweilen etwas von meinen Reiseerlebnissen in Frankreich vor, erzählte ihr, wie schon mehrere meiner Studiengenossen nach Italien gezogen seien, andere ihnen bald folgen wollten, wie für mich aber keine Möglichkeit vorhanden sei, dies Land der Künstlersehnsucht je zu sehen. Ach, und wie groß war die Sehnsucht danach! Gerade weil, ich nicht die mindeste Aussicht hatte, den Gedanken an die Möglichkeit nicht einmal hegen durfte, gerade dadurch wurde der Stachel nur schärfer. Ich las Stolbergs – der Elise von der Recke vielbändige Reise nach Italien und fand zuletzt in Friedländers und des von den jüngeren Künstlern besonders geliebten Kephalides Reisebuche nur neue Nahrung meines Kummers. So glich ich dem Hungernden, welcher den Bratengeruch, der das Haus durchduftet, mit Wollust einschlürft, welcher aber nicht für ihn, sondern für andere bestimmt ist.

Gustchen beklagte, daß die Märchenzeit vorüber sei, wo man sich doch mit der Hoffnung tragen konnte, einer guten Fee oder reichen Zwergen zu begegnen, die mit leichter Mühe ein übriges tun konnten. Es schien, als solle mir dasselbe Schicksal erblühen, welches des guten Vaters Geschick war und sein eifrigstes Streben zur Erschöpfung gebracht hatte: ein vergebliches Abmühen an Arbeiten, welche zu unkünstlerisch waren, um die Kräfte zu entwickeln, zu beschränkt, um nur die vorhandene Kraft völlig zu verwenden. – Indes: die Jugend hat einen guten Magen und verdaut vieles, wenn sie, nicht zum Reflektieren geneigt, den guten Mut und die Sorglosigkeit wieder obenauf bringt! Ich radierte meine Prospekte und stahl so viel Zeit als möglich dieser handwerksmäßigen Tätigkeit ab, um wenigstens nebenbei zum Studieren nach der Natur und zum Malen zu kommen.

Die Kunstausstellung im Sommer 1822 brachte einige kleinere Gemälde aus Rom, welche einigen Aufschluß gaben über die neue Richtung, welche die junge Generation eingeschlagen hatte. Für mich waren von besonderem Interesse ein Bildchen aus der Campagna – di Roma von Götzloff und Bilder von Klein und Catel. Der Unterschied dieser Produktionen gegen Klengel, Klaß, die Fabers war überraschend; ein Verschmähen der bisher geltenden Kunstrezepte und Regeln, aber um so strengeres und höchst liebevolles Anschließen an die Natur, geadelt durch ein gewisses Stilgefühl, was sie den ältesten Meistern abgelernt hatten. Eine große bewunderungswürdig ausgeführte Landschaft von Rhoden, im Besitz des Herrn v. Quandt, erregte großes Aufsehen. Der alte Veteran Klengel, welcher, durch Gicht gelähmt, die Ausstellung nicht besuchen konnte, ließ sich durch seinen Schüler das vielbesprochene Bild beschreiben, und als dieser ihm von den prachtvollen Gruppen immergrüner Eichen und Pinien erzählte, von den Büschen blühenden Oleanders und den mit Goldfrüchten beladenen Orangen, da rief der Alte erschrocken: »Jetzt hören Sie auf, ich brauche nichts weiter zu hören!« – Ein solches Eingehen in die charakteristischen Einzelheiten der Pflanzenwelt war ihm ein Greuel, da sein »Baumschlag« für den ganzen Abend ausreichen mußte.

Oehme hatte auf derselben Ausstellung ein Gemälde, in Friedrichs Art gedacht und gemacht. Ein nebliger Wintermorgen. Aus einer gotischen Halle sah man auf einen beschneiten Klosterhof, während ein Zug Mönche einen Sarg nach der erleuchteten Pforte einer alten Kirche trug. Eine zweite Landschaft, eine Partie aus Maxen, hatte er für Major Serre gemalt. Maxen war ja lange Jahre ein Sammelort interessanter Persönlichkeiten und künstlerischer Kräfte, und Oehme mit der Familie Serre wohl bekannt und durch seine liebenswürdigen geselligen Talente ein sehr gern gesehener Gast.

Ersteres Bild, der Klosterhof, erregte die Aufmerksamkeit des Kronprinzen Friedrich August, welcher es zu kaufen wünschte. Oehme hatte aber die Absicht, es dem Prinzen zu verehren, weil es sein erstes Bild sei, was er gemalt habe, und mit welchem er eine neue Laufbahn eröffnen wollte. Der Kronprinz nahm den talentvollen »ersten Versuch« freundlich an und bestimmte dem Künstler ein Reisegeld nach Italien auf mehrere Jahre, ihm so die Mittel bietend zu seiner weiteren Ausbildung.

Der Glückliche packte seinen Koffer und zog nach Rom!

Es war unter den jungen Malern, die allabendlich in einem gemeinsamen Vereinslokal lustig und strebsam verkehrten, ein Regen erwacht, eine Sehnsucht nach dem goldenen Süden, wie nie zuvor. Alle wollten das neue Licht an seiner Quelle schauen, es war, als strömte ein wundersames Pulsieren aus der so fernen Alma Roma in alle jungen Herzen, und von einer Sehnsucht, einem begeisterten Zug wurden sie ergriffen wie die Wandervögel, wenn der Frühling kommt.

Von Dresden waren bereits die Mecklenburger Schumacher und Schrödter, der Hamburger Flor, der Meininger Wagner und Draeger (aus Trier) abgereist. Oehme und der Landschaftsmaler Heinrich folgten; auch Lindau und Berthold aus Dresden hatten dem allgemeinen Zuge nicht widerstehen können und hatten, letztere beiden mit wenig Talern in der Tasche – man sagte zwanzig bis dreißig –, den weiten Weg per pedes apostolorum zurückgelegt. Meist bei gutherzigen Bauersleuten nach angestrengtester Wanderung einkehrend, mit Brot, Früchten und Milch sich nährend, hatten sie das Ziel erreicht. Berthold büßte freilich die übergroßen Strapazen bei Einsiedlerkost mit dem Leben, denn der Ärmste starb bald darauf – zwar am Ziel seiner Wünsche – an der Abzehrung und liegt an der Pyramide des Cestius begraben.

Ich kannte nur wenige dieser jungen Künstler und stand außerhalb ihres heiter belebten Kreises. Der Vater, ein Feind alles Extravaganten, wollte weder von der neuen Richtung und noch weniger von diesen Persönlichkeiten wissen, welche in altdeutschen Röcken, Sammetbaretts, langen Haaren und Halskrausen, mit schweren Ziegenhainern und Fechthandschuhen in und an den Händen sehr auffallende Erscheinungen waren und deren phantastisches Auftreten dem ehrsamen Bürger ein Lächeln abnötigte, wenn sie nicht gar als Greuel und Scheuel von ihm betrachtet wurden.

Ich selbst hatte nur zu lebhaft das Gefühl, daß ich noch gar nichts könne, daß ich nichts sei, als ein Prospektenschmied, welcher in einer ziemlich geschmacklosen Manier für den Bedarf des Buchhandels arbeite und prädestiniert sei, dabei zeit seines Lebens zu bleiben. Hätte nicht ein Etwas in mir sich geregt, eine Ahnung von dem, was wahre Kunst sei, und eine stille Hoffnung, auf irgendwelchen Wunderwegen zu ihr zu gelangen, hätte ich mich in meinen bisherigen Leistungen als an meinem Platze gefühlt, ich würde mich nicht gescheut haben, mit jenen Verkehr zu suchen. Jetzt aber stand ich schüchtern und beschämt zur Seite. Niemand von ihnen kannte mich, ich nur wenige und auch ohne näheren Verkehr.

In einer Kunsthandlung sah ich einst ein Heft radierter Landschaften von Ch. Erhardt, welche eben herausgekommen waren. Diese Blätter gefielen mir überaus, und ich kaufte sogleich, was ich davon vorfand. Seine Art war mir verständlicher als Waterloo, Both und Swanevelt. Alles und jedes wußte er mit feinster Charakteristik hinzustellen, aus jedem Striche leuchtete ein liebevolles Verständnis der Natur, ein treues Nachempfinden jeder Schönheit und Eigentümlichkeit bei reizend lebendiger Behandlung. So wollte ich auch die Natur studieren, und ich nahm die Blätter in meine Mappe und wanderte sogleich damit nach Loschwitz. Der einsame, kleine Ziegengrund mit seinen Abhängen und den schönen Buchengruppen gab nun herrliche Motive und Studien, wobei die Erhardtschen Blätter betrachtet und ähnliche Gegenstände mit der Natur verglichen wurden. So hatte ich in diesem kleinen Kunstbesitz gewissermaßen einen Lehrmeister gefunden, welcher mir von großem Nutzen war, mich recht wesentlich förderte.

Der Winter von 1822 zu 1823 kam und ging vorüber unter Vollendung des zweiten Bandes der Ansichten von Dresden und seiner Umgebung, welchem noch fünf größere Kupferplatten von der Bastei bei Rathen folgten, welche im Frühjahr fertig wurden. Dem kleinen Einnehmerhäuschen lenkten sich so oft wie möglich und schicklich am liebsten meine Schritte zu; das geordnete, saubere Stilleben des Hauses, in dem das heitere, treuherzige Gustchen waltete und alles so schmuck erhielt, war und blieb mein heimliches Paradies. Manchen schönen Maiabend brachten wir wieder im Gärtchen zu, wo bereits unzählige Rosenknospen aus dem Blättergrün hervorschimmerten, weiß und rot, und wo wir zusammen unsere Pläne für den Sommer besprachen, als urplötzlich – keine schöne Fee, sondern der gütige Papa Arnold eine totale Veränderung der ganzen Szene hervorrief.

Die Arbeiten für ihn waren beendigt, die Aufnahme derselben im Publikum eine überaus günstige und deshalb lohnende für den Verleger.

So kam denn eines Vormittags der gute Papa Arnold zu uns, besprach mit dem Vater noch einige nachträgliche Korrekturen an dem Werke, erzählte von dessen glücklichen Erfolgen und fügte dann endlich freundlich bei, nun müsse auch für mich etwas getan werden Ich müsse Gelegenheit bekommen, mich weiter auszubilden, und da er wisse, wie mein Sehnen auf Rom stehe, so möge ich recht bald mein Bündel schnüren und ihm die Sorge für das Reisegeld überlassen. – Ich horchte hoch auf, wurde bleich und rot und drückte ihm, im ganzen Gesichte vor Freude strahlend, beide Hände – wie glückselig! –, während mir die Tränen über die Backen liefen. Worte hatte ich nicht oder ich stotterte nur ein Weniges hervor; aber wie glücklich er mich machte, sah er mir an und bedurfte gewiß keines anderen Ausdrucks. »Ja – wissen Sie was, lieber Freund«, fing er wieder an, »wir machen das so: ich gebe Ihnen vorderhand vierhundert Taler jährlich, und zwar in vierteljährlichen Raten, und das wollen wir einstweilen auf drei Jahre festsetzen; so können Sie in Ruhe studieren, und das Weitere wird sich finden.«

Das sagte er alles so schlicht und herzenswarm, wie es immer seine Art so war; und wenn ich heute, nachdem ein halbes Jahrhundert seit jener Stunde verflossen ist, daran zurückdenke, so bewegt sich mein Herz von innigstern Dank erfüllt, von Dank gegen ihn, der auf so edle Weise meiner gehemmten Kraft Luft schaffte, sich frei zu gestalten, und von Dank gegen Gott, der ihn mir geschickt hatte als meinen Helfer. Ich war mit einem Schlage frei von dem Druck ägyptischer Dienstbarkeit, die hoffnungslos auf meinem Leben lastete und den eingeborenen Trieb nicht nur hemmte, sondern mit der Zeit zu vernichten drohte, und mit einem Zuge war der Vorhang weggeschoben, und der selige Blick sah das gelobte Land vor sich liegen, das Land einer bisher hoffnungslosen Sehnsucht, wohin der Weg nun gebahnt war. Nun durfte ich hoffen, einst auch anderen gegenüber es dahin zu bringen, das im Grunde der Seele ruhende stolze Wort auszusprechen: »Anch' io sono pittore!«

Vater Arnold verließ mich freundlich und innerlich erfreut: er hatte ja einen jungen Mann unausdenklich glücklich gemacht, und ich, ich war wie betäubt und wußte lange nicht den Wechsel zu fassen. Welche Freude gab es nun in der ganzen Familie über dies mein Glück, und wenn mir die Psalmen damals bekannt gewesen wären, so hätte ich wohl den besten Ausdruck für meinen Zustand in dem 126. finden können.

Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
So werden wir sein wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
Und unsere Zunge voll Rühmens sein.
Da wird man sagen:
Der Herr hat Großes an uns getan;
Des sind wir fröhlich!


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