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Zu S. 13
Einer der tiefsten Eindrücke religiöser Art, welche ich in den Kinderjahren empfing, kam mir in einem Kasperle-Theater.
Ich war glücklicher Besitzer eines Kupferdreiers, wofür ich mir Kirschen kaufen sollte. Nun hörte ich aber von einem größeren Knaben – vielleicht war es mein Mentor Holzmann, der in seinen alten Tagen »Brezeljung« wurde –, daß bei »Hofapothekers«, so hieß ein altes Haus auf der Pillnitzer Straße – in der Puppenkomödie der Doktor Faust aufgeführt wurde. Da es auf der Galerie daselbst nur drei Pfennige Entrée kostete, so wanderte ich mit meinem Dreier und Holzmann stracks dahin. Das Stück war die alte bekannte Puppenkomödie. Da kam nun eine Szene, wo der Herr Doktor verschiedene böse Geister zitiert und einen nach dem andern über seine Fähigkeiten und Kräfte examiniert. Zuletzt erscheint zappelnd und schlotternd ein kleines Teufelchen mit dem hübschen Namen Vitzliputzli. Er wird von Faust gefragt, ob er wohl zuweilen ein Verlangen nach der ewigen Seligkeit spüre, antwortet er zitternd. »Herr Doktor! Wenn eine Leiter von der Erde bis zum Himmel hinauf errichtet wäre und ihre Sprossen wären scharfe Schermesser, ich würde nicht ablassen, sie zu erklimmen, und wenn ich in Stücke zerschnitten hinaufgelangen sollte!«
Dieser drastische Ausdruck ließ mich die Wichtigkeit der Sache, um die es sich hier handelte, vollkommen nachempfinden. Ich konnte die Worte nicht vergessen und ging tief ergriffen nach Hause, tiefes Mitleid im Herzen tragend mit dem kleinen, schwarzen, so greulich zitternden Vitzliputzli.
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Zu S. 16
Mein Vater besaß außer einer ziemlich reichen Kupferstichsammlung (jedoch zum großen Teil aus Stichen nach französischen Meistern bestehend: Watteau, Boucher, Aliamet usw.) eine kleine Sammlung Gipse. Es waren Abgüsse über Natur, Hände, Füße, Beine usw., anatomische Figuren und Antiken. Ferner die Gipspasten nach geschnittenen Steinen (Lippertsche Daktyliothek).
Außerdem aber auch eine bunt zusammengewürfelte Bibliothek, die er nie las, aber als zu einer Kunstwerkstatt gehörig um ihres stattlichen Aussehens willen liebte. Mengs, Hagedorn, de Piles, Descamps' Leben der Maler mit den feinen Bildnissen von Ficquet, die Quartausgabe von Geßners Idyllen, Winckelmanns Briefe, eine alte Übersetzung der Geschichte des wunderlichen Ritters Don Quichote, Judas, der verfluchte Ertzschelm von Pater Abraham a Santa Clara, Sulzers Theorie der Künste und Füßli, Schweizerkünstler, Bibliothek der deutschen Wissenschaften usw.
Ich habe immer große Freude an den Büchern gehabt und las gern zu Hause in einem Buche, wenn die Eltern spazieren gingen; denn außerdem sah es der Vater sehr ungern, schalt darüber und riß mir das Buch manchmal aus den Händen und warf es in eine Ecke. – Der Vetter Müller, welcher Zeichenlehrer am Gymnasium (und der Vater des sog. Feuermüller, welcher später sich in München bekannt machte), tauschte oft Zeichnungen – Kopien nach alten Meistern oder Naturstudien – von mir gegen ein Buch ein; so bekam ich viele deutsche Klassiker (im Wiener Nachdruck) in die Hände, welche eifrig, aber mit sehr geringem Verständnis gelesen wurden.
In der Schule hatten wir ein sehr trockenes Buch: Sächsische Geschichte. Sonderbar war es mir später, daß mir nichts davon hängen blieb als ein bei Friedrich dem Weisen angeführter Spruch: »Wer die Ehre fliehet, dem läuft sie nach!«, welcher damals wie ein nachdenkliches Rätsel Eindruck machte.
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Zu S. 67f.
Der Kinderglaube war durch den unfreiwillig angehörten Spott des hämischen, gemeinen, mißgestalteten Herrn Sp[rink] plötzlich im innersten zerstört. Ich hatte das Gefühl, daß mir etwas Unentbehrliches genommen war, das mit anderem nicht ersetzt werden konnte. Ich konnte mit niemand davon reden und war recht unglücklich. Als ich einmal des Abends vom Naturzeichnen nach Hause ging und die Sterne am Himmel glänzten, kam ich in ein Nachdenken über den lieben Gott, der mir verlorengegangen war und ohne den es mir doch gar nicht mehr wohl wurde. Da baute ich mir in meiner großen Einfalt eine Kinderphilosophie zusammen, welche mir anfänglich zwar große Freude machte, nach kurzem aber doch wieder wie eine Seifenblase wirkungslos zerging. Ich verfiel nämlich auf die kühne Idee, ob nicht die Sonne, von welcher doch alles Leben und Gedeihen komme, vielleicht Gott sei? – Dies schien mir nun recht handgreiflich nahe zu liegen, nur konnte mir dies feurige, kugelrunde Sonnengesicht durchaus keine Liebe, kein Vertrauen einflößen, und das dumme Kinderherz blieb unbefriedigt, und die naturphilosophische Idee zerrann in Dunst, wie es auch den großen philosophischen Ideen zu passieren pflegt.
Doch hatte dies heimliche Zweifeln die Begierde nach Belehrung in mir erregt, einen Wahrheitstrieb, welcher befriedigt sein wollte. Aber wo sollte ich suchen, wen fragen, es fehlte alle Hilfe, alle Hilfsmittel! – Da ich niemand befragen konnte, so las ich alle die alten Scharteken, die ich in des Vaters Bibliothek fand, alles kraus durcheinander, wovon ich allerdings keine andere Frucht hatte, als daß es den Kopf zu einer Art Gerümpelkammer machte, der notwendige Hausrat aber gänzlich fehlte. –
Hier sei nur erwähnt, daß ich in etwas späteren Jahren durch das Lesen Plutarchs (einer alten steifen Übersetzung), durch Engels Philosoph für die Welt am meisten sittliche Anregung erhielt, und Sulzers Theorie der schönen Künste das Nachdenken über Kunst förderte.
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Zu S. 224 ff.
Die bedeutendste Erfahrung meines inneren Lebens, die folgenreichste Tatsache bleibt mir stets die zwar vorbereitete, aber plötzlich erfolgte totale Umwandlung, welche ich am Silvesterabend 1824 erfuhr und die mir beim ersten Erwachen am Neujahrsmorgen zum Bewußtsein kam, so daß ich in Wahrheit sagen kann, sie ist mir über Nacht im Schlafe gekommen.
Einzelne Brieffragmente und Bruchstücke von Aufzeichnungen aus jener Zeit geben mir heute noch Zeugnis – wenn es dessen bedürfte, da die Erinnerung jenes Zustandes noch lebhaft mir bewußt ist, – in welcher Unwissenheit und Verwirrung der Begriffe ich bis zum 20. Jahre dahinlebte, ein Boot auf dem offenen Meere des Lebens, von der Welle geschaukelt, vom Winde da und dorthin getrieben, ohne Steuer, ohne Kompaß, ohne Segel wie ohne Frachtgut.
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Zu Rom 1825. Zu S. 237
Bei Bunsen traf ich zuerst mit Reißiger zusammen, den ich später in Dresden, wo er k. Hofkapellmeister wurde, näher kennen und hochschätzen lernte. In Rom wohnte er mir gegenüber in Casa Putti, und ich hörte ihn oft mit gewaltiger Stimme seine eben komponierten Lieder für sich absingen. So namentlich sein humoristisches Noahlied.
(Kopisch war in derselben Zeit in Rom. Die hübsche Geschichte aus Freudenbergs Leben, dem er aus großer Not half, sollte als Zeugnis seines guten Herzens mitgeteilt werden.)
Jetzt in meinem 76. Jahre erfreuen und erbauen mich oft seine (Reißigers) schönen Messen in der katholischen Hofkirche. Sie sind der Ausdruck eines tief religiösen Gemütes.
Ich glaube, es war in demselben Jahre (1825), wo der Landschaftsmaler Sparmann (aus Meißen gebürtig) in Rom war, und zwar im Gefolge Napoleons (II.), welcher mit seiner Mutter sich in Rom aufhielt. Sparmann war sein Zeichenlehrer; zwar technisch geschickt, jedoch verhielt er sich sehr teilnahmslos gegen alles, was Kunst oder Natur in und um Rom Herrliches darbieten. Er saß die meiste Zeit in einem Kaffeehaus und spielte Domino, und da ich ihn anregte, sich als Landschafter in dem nahen Albanergebirge umzusehen, und er meinte, er möge nicht allein dahin gehen, so erbot ich mich, mit ihm zu gehen. Das Wandern aber war ihm unbequem, und die malerischen Szenen um Ariccia, Genzano und Nemi erregten wenig seine Aufmerksamkeit. Er fragte nach den Namen dieser Ortschaften, wollte wissen, was diese »auf Deutsch« hießen, und wenn ich am Nemisee zeichnete, legte er sich auf den Rasen und schlief. Gelangweilt von dieser Stumpfheit, ging ich am andern Tag mit ihm nach Rom zurück.
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Zu Civitella S. 274
Wie der Fischer, nachdem er einen Zug gemacht, am Lande sein Netz durchsucht, die großen Fische von den kleinen sortiert, so sieht der Landschafter nach einer Wanderung seine Bücher und Mappen durch und sondert das Wertvolle von dem Unbedeutenderen. Ich fand, daß ich mit ein paar Ausnahmen nur kleines, wenig nutzbares Zeug in meinem Netze hatte, und mußte mir schließlich gestehen, daß überhaupt alle die geschauten Herrlichkeiten den tiefen Eindruck auf mich nicht gemacht hatten, den ich nach all dem Gehörten, Gelesenen und in Zeichnungen Gesehenen. . .
Wie in der Kunst der Stoff nicht die Hauptsache ist, sondern die Auffassung und Verarbeitung desselben, so ist's recht betrachtet – auch im Leben. Es bringt uns gute und böse Tage, bringt Wohl oder auch Wehe im steten Wechsel. Dieser Stoff wird uns von Gott zugeführt, und die Hauptsache ist, was wir daraus machen, wie wir ihn auffassen und verarbeiten. Glücklich, wer darin einige Meisterschaft erlangt hätte, – jeder Tag und jede Stunde gibt Gelegenheit zur Übung. Da heißt es immer: Jetzt ist die angenehme Zeit! (Wie Schwind auf den Perpendikel einer Wanduhr geschrieben hatte.)
Bei Goethe finde ich manchmal eine Ausdrucksweise andern in den Mund gelegt, die, so flüchtig hingeworfen, wie eine recht individuelle Redensart klingen und bei genauerem Betrachten einen großen Sinn, ja eine ganze lange Gedankenreihe enthalten. So das: »Wenn ich dich liebe, was geht's dich an?« – der Philine in Wilhelm Meister.