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Drittes Kapitel

Von drei Helden auf einem Heuboden

Ich kletterte von meinem Wagen herunter und sah mir die Umgebung an. Besonders musterte ich die Soldaten. Die machten einen sehr friedlichen Eindruck; sie schlenderten in ihren schildlosen Mützen behaglich die Straßen auf und ab und rauchten ihre Pfeifen.

Einige sprachen von den Preußen, und nicht mit Hochachtung. Alles schien heiter und wohlgemut.

Von der engen Straße sah man auf einen Platz hinaus, wo eine alte schwärzliche Kirche mit hohen schmalen Fenstern emporragte. Dort herrschte ein noch bunteres Gewimmel.

Ich ging langsam darauf zu.

Da klopfte mir plötzlich jemand auf die Schulter. Erschrocken sah ich mich um, es war der Lienhard.

Wo ich denn nur herkäme ums Himmels willen?

Ich erzählte.

Lienhards Quartier lag nahe, wir stiegen hinauf. Da erfuhren auch seine Wirtsleute, was ich für ein Abenteurer wäre, und die einen tadelten mich, die andern spendeten mir Lobsprüche.

Bald kam die Rede auf den Krieg, auf die nächste Schlacht, auf die Preußen. Die wären noch weit entfernt, hieß es. Und die Soldaten wußten nicht, ob man ihnen entgegenziehe oder ob man sie hier erwarte. Der Hauswirt stimmte für das letztere. Er war in der Frühe in seinem Weinberg gewesen und war dann der Neugierde halber auf den höchsten Rücken hinaufgestiegen, den man den Kützberg heiße. Da habe man die schweren Geschütze aufgefahren, vier Batterien.

Ich stand am Fenster und sah auf den Platz hinunter. Mit Erstaunen betrachtete ich die immer größere Masse von Kriegern. Das sei aber noch gar nichts. Draußen vor der Stadt, jenseits des Flusses, in den Biwaks, da lägen noch viel mehr.

Während ich mit den Wirtsleuten redete, schrieb Lienhard an einem Briefe, den ich seiner Mutter bringen sollte. Da entstand unten auf dem Platz eine plötzliche Unruhe.

Und im nächsten Augenblick ertönten, von mehreren Seiten zugleich, laute Hornsignale. Lienhard fuhr empor. Es hatte zum Appell geblasen ...

Ich dachte einen Augenblick daran, daß es endlich an der Zeit wäre, mich nach dem Schmitzenjockel umzusehn. Aber aus Neugierde folgte ich dem Lienhard auf den Platz. In langen Zeilen, abteilungsweise, traten die Soldaten ins Glied. Kommandorufe erschollen. Die Gewehre rasselten. Die Offiziere stellten sich in einen Kreis um den ältesten unter ihnen, der eine kleine Ansprache an sie hielt. Dann trennten sie sich wieder und verfügten sich zu ihren Abteilungen. Neue Kommandorufe. Neues Auf- und Niederrasseln der Gewehre. Kurze Worte der Offiziere an die Soldaten. Eine kleine Musterung Reih auf und ab.

Und der Auftritt war vorüber.

Die Soldaten traten auseinander, einzeln und gruppenweise, schwatzend, lachend, ihre Pfeifen anzündend. Sie begaben sich in ihre Quartiere zurück oder zogen in Haufen nach den Vierhäusern, wo es laut und lustig herging. Man sang Spottlieder auf die Preußen – sie klangen nicht immer anständig.

Nachdem Lienhard in seinem Quartier Gewehr und Tornister abgelegt hatte, machten wir uns auf die Suche nach meinem Fuhrmann. Wir fanden ihn aber nicht mehr vor, er war mit den andern nach den Feldlagern vor der Stadt abgeschickt worden. Und wir kehrten zu Lienhards Wirtsleuten zurück, wo ich freundlich zum Mittagessen eingeladen wurde.

Man sprach viel über den Feind und seine Absichten. Einig war man darüber, daß er noch sehr fern sein müsse. Die Vorposten am Morgen hatten keine Spur von ihm entdeckt. Doch die Wirtsleute, eine Bäckerfamilie, waren nicht ohne Besorgnis. Sie versuchten ihre Angst aber zu verbergen, und da es nicht an selbstgebautem Wein fehlte, so herrschte während des Essens die heiterste Laune.

Außer Lienhard lagen noch zwei Kameraden hier im Quartier. Der eine, ein Tuttlinger, schien nur da zu sein, um die Gesellschaft zu belustigen. Er brachte so drollige Sachen vor, daß das Lachen zuletzt gar nicht mehr aufhören wollte.

Nur Lienhard blieb ernst. Er hatte sich, während noch alles bei Tische weilte, bereits wieder an seinen Brief gesetzt, woran er am Vormittag unterbrochen worden war.

Da tat es plötzlich einen Knall. So heftig krachte es, daß das Haus zitterte und jedermann auf seinem Stuhl in die Höhe fuhr. Die Frauen stießen unwillkürlich Schreie aus, die Kinder begannen laut zu weinen.

Dem ersten Geschützdonner folgte rasch ein zweiter, dann ein dritter, und so fort.

Ein Mitbewohner des Hofes stürzte in die Stube. Die Preußen sind da! Ihre Kanonen stehen schon auf dem Imberg. Man sieht sie von der Gasse aus. Sie speien Feuer über unsere Stadt. Wir sind verloren, sie bringen uns alle um. Sie brennen unsere ganze Stadt darnieder.

In den Gassen und auf dem Platze ertönten die Alarmsignale. Es trommelte und trompetete von allen Seiten.

Ich dachte: Gottlob! nun wird's wohl endlich losgehen.

Die drei Soldaten stürzten sich auf ihre Tornister und Gewehre. Lienhard überreichte mir den unvollendeten Brief an seine Mutter. »Grüße sie alle, auch Rotermunds.« Und er eilte hinaus, ehe ich ein Wort hatte erwidern können. Die beiden Kameraden folgten.

Der Tuttlinger, der einen Augenblick verstummt gewesen war, fand doch zuletzt noch ein zynisches Wort auf die Preußen.

Auch mich trieb es aus dem Hause.

Doch nach kaum zwanzig Schritten hielt ich an. Der Geschützdonner auf den Höhen hatte nachgelassen, dafür begann, wie es schien, in nächster Nähe ein Gewehrfeuer.

Ich stand an eine verschlossene Haustür gedrückt und sah mich plötzlich allein auf der weiten Straße.

Ich hörte Kugeln durch die Luft sausen. Ich sah einen fliehenden Soldaten blutend aufs Pflaster hinschlagen. Das Blut floß ihm aus Mund und Nase, es war gräßlich anzusehen.

Zu spät begriff ich, wie sehr ich in die Klemme geraten war.

Ich entschloß mich endlich, vor den pfeifenden Kugeln in einer Seitengasse Schutz zu suchen. Hier sah ich gerade zwei Soldaten in eine offene Scheune flüchten. Ihnen folgte ich.

Wir versteckten uns auf dem dunklen Heuboden.

Als sich die Soldaten von dem ersten Schrecken erholt hatten und wieder laute Worte wagten, erkannte ich in dem einen den lustigen Tuttlinger. Die Lustigkeit war ihm vergangen gewesen, in dem sichern Versteck stellte sie sich langsam wieder ein.

Hier fand er seinen Humor wieder. Und er hatte wahrhaft drollige Einfälle. Ich fand schon seinen Oberländer Dialekt so spaßig. Er kam mir doppelt närrisch vor in dieser Dunkelheit, wo man sich nur hören, aber nicht sehen konnte. Und einmal mußte ich laut herauslachen, so wenig mir auch danach zumute war.

»Hol' mich der Teufel, da ist ja unser Herr Student!« rief plötzlich der andere Soldat, der sich bisher stumm verhalten hatte.

Student hieß man mich in Hinterwinkel wegen meiner lateinischen Stunden beim Pfarrer. Der aber so gesprochen hatte, war der Hannpeter, der Knecht des Blessenvogts.

Und wir freuten uns beide des Wiedersehens, wenigstens des Wiederhörens.

»Aber gelt, hier nützt alles Latein nix,« fiel der gesprächige Tuttlinger ein. »Diese Kaibe von Preiße, die redet deitsch mit eim.«

»Wenn er nur draußen wäre, statt in dem finstern Loch da«, meinte der Hannpeter; er wollte auch ein Wörtlein mit ihnen reden.

Der Tuttlinger nieste.

»Helf Gott, Tuttlinger!« sagte er lachend und schimpfte über den Heustaub, der einem in der Nase kitzle.

Aber man müsse froh sein, wenn einen überhaupt noch etwas kitzle. Wär' ihnen die Scheuer nicht im Weg gestanden, gab's jetzt für sie alle drei kein Helf Gott mehr ...

Ich wagte eine schüchterne Bemerkung. Wo denn die Preußen gesteckt hätten, ich hätte keinen gesehen.

»Hört diesen Schneider«, rief der Hannpeter. »Er hat keinen Preußen gesehen. So groß war seine Angst, daß er jede Pickelhaube für einen Kirchturm ansah.«

Darauf begannen sie zu politisieren. Es sei kein Zusammenhalten in dem Krieg, und darum kein Glück. Die obersten Anführer seien allesamt Prinzen. Die steckten mit Preußen unter einer Decke. Und führten den Krieg nur zum Schein. Es sei auch schon im voraus unter ihnen abgekartet gewesen, daß die Preußen siegen sollten. Am verdächtigsten von allen sei der badische. Der stünde immer beiseite und wollte nie mittun. Heute habe er sich, wie man von den Bauern erfahren, eine Stunde talabwärts postiert. Und wahrscheinlich hätte er die Preußen vorher benachrichtigt, daß sie nicht zu ihm kämen, sondern zu den Württembergern.

Draußen begann das Feuer wieder heftiger zu werden.

»Gebt acht, unsere Leit kommet zurück, die Preiße krieget no ihre Hieb«, flüsterte der Tuttlinger.

Ein gewaltiges Geknatter ließ sich hören.

Auch die Geschütze erhoben von neuem ihre Stimmen: bum – bum – immer lauter, immer rascher hintereinander.

»Dene sakrische Preiße ischt bigott au nit beiz'komme, ma moant, die Kaibe hättet den Deifel im Leib«, klagte der Tuttlinger und zwang sich, einen lustigen Ton anzunehmen. Der großmäulige Hannpeter war ganz stumm geworden.

Auf unserm Dach hörte man von Zeit zu Zeit ein Prasseln, als ob es Feldsteine hagelte.

Der Tuttlinger versuchte einen Witz zu machen, aber das Wort ward ihm vom Munde abgeschnitten. Es geschah plötzlich ein lautes Krachen, und zugleich wurde es taghell um uns.

In die Lehmwand unserer Scheune war ein großes Loch gerissen. Wir sahen einander bleich an.

Doch ließen draußen die Schüsse endlich nach.

Wir faßten uns deshalb ein Herz und näherten uns der zerrissenen Wand, durch deren Klaffung ein unheimlich rötliches Licht eindrang. Zwei brennende Häuser jenseits des Flusses fielen uns auf. Unsere Scheune lag hart am Schauplatz des Gefechts, kaum zehn Schritte vom Flußufer entfernt, keine hundert von der Brücke.

Um die hatte sich der Kampf gedreht.

Wir sahen, soweit das Gesicht reichte, nichts als Pickelhauben.

Im Augenblick fiel kein Schuß mehr.

Aber andere Laute trafen unser Ohr: Mark und Bein erschütterndes Winseln und Wimmern, dumpfes Stöhnen, wilde Schmerzensschreie. Mir stand das Haar zu Berge. Eine Granate hatte zwei preußische Soldaten gräßlich verstümmelt; sie hatte dem einen den Leib aufgerissen und dem andern Arm und Schulterblatt abgeschlagen. Wir sahen sie auf eine Bahre legen und davontragen ...


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