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Die Meinungen der Alten sind darüber geteilt, ob einfache oder gemischte Nahrung dem Menschen zuträglicher sei. Die Hippokratiker sind für die Einfachheit, Aristoteles aber verteidigt die Vielfältigkeit. Gegen diese nahm man aus der ungleichen Verdaulichkeit der Nahrungsstoffe den Hauptgrund. Sie träfe indes nur die einzelnen Mahlzeiten und keineswegs den ganzen Jahresumlauf; in Beziehung auf diesen rät selbst Hippokrates, in den Nahrungsstoffen zu wechseln. Es ließe sich übrigens bei einer genaueren Bekanntschaft mit den Eigenschaften der einzelnen Nahrungsmittel, als wir bis jetzt erworben haben, auch eine solche Anordnung der Mahlzeiten denken, welche jedesmal das gleichmäßig Verdauliche vereinigte. Allein, nicht bloß die Eigenschaften der Nahrungsmittel, vielmehr auch die Verdauungsfähigkeit der einzelnen Essenden bedingt die Zuträglichkeit einer Mahlzeit. Es möge daher ein jeder seine Erfahrungen fein im Gedächtnis behalten und nur von solchen Speisen essen, die ihm einzeln oder, in Verbindung mit andern genossen, recht wohl bekommen sind.
Eine Mahlzeit für wenige muß also, nach obiger Erinnerung, aus wenigen, gerade für diese geeigneten Speisen bestehen; ein Gastmahl aber aus vielen, damit ein jeder das Seinige auswählen könne.
Reichlich besetzte, für gesellige Mahlzeiten vorgerichtete Tafeln müssen aber auch aus demselben Grunde teils aus Gerichten bestehen, welche für alle taugen, mithin allen gereicht werden können; teils aus solchen, die man aufsetzt, damit ein jeder nach Gefallen hinzulange. Bei deutschen und überhaupt bei nordischen Schmausen begeht man häufig den Fehler, alle Schüsseln herumzureichen und dergestalt die Kommensalen zu nötigen, aus Langeweile und Überdruß sich den Magen zu überladen. Einige Muster, nach denen jenes Übel vermieden werden kann, behalte ich mir vor, in dem Kapitel von der Anordnung festlicher Mahlzeiten mitzuteilen. Wenn man diese Beispiele befolgt, so wird man nur auf einzelne Kommensalen treffen, welche die Gefräßigkeit haben, von allem essen zu wollen. Diesen wird man eine Wohltat erzeigen, wenn man jeden Gang, so bald als möglich ist, abträgt, und die Zeit also einteilt, daß selbst ein fleißiger Esser nur etwa von zwei Nebenspeisen genießen kann. Auf solche Weise wird die Ehre des Hauses gerettet, der Eindruck des Überflusses und der Ordnung bewirkt, ohne daß die Gesundheit des Unmäßigen leide oder der Verständige das ängstigende Gefühl habe, als solle er gemästet, oder gar erstickt werden.
Es scheint übrigens, um auf die Hauptsache zurückzukommen, daß die Hippokratiker in der Betrachtung der zusammengesetzten Nahrungsmittel jene chemische Verwandlung aus den Augen verloren haben, von welcher die Köche ein unbestimmtes und dunkles Gefühl besitzen. Nahrungsstoffe, welche auf eine schickliche Weise in einer Speise oder in mehreren aufeinander folgenden verbunden werden, können ihre Auflösung gegenseitig befördern und unterstützen, denn Trockenes und Feuchtes, Fettes und Dürres, Kaltes und Hitziges kommen einander gegenseitig zu Hilfe.
Zudem ist die Ernährung im eigentlichen Sinne nicht der alleinige Zweck des Essens; es kann vielmehr auch die Verdünnung oder Reinigung der Säfte, der Reiz oder die Verminderung des Reizes beim Essen beabsichtigt werden. Diese Wirkungen werden von den gesunderen menschlichen Naturen, eben wie von den edleren Tieren, instinktmäßig in den Speisen aufgesucht oder vermieden, weshalb dieselbe Speise in den verschiedenen Lebensaltern, ja selbst in den verschiedenen Gesundheitsumständen derselben Person, bald gefällt, bald widersteht.
Aber die Vervielfältigung der Nahrungsstoffe hat auch eine weltgeschichtliche Wichtigkeit. Völker, die sich von mancherlei ernähren, dürfen ihre Wohnsitze näher zusammendrängen, weil sie der Hungersnot weniger ausgesetzt sind. Verschiedene Körner, Pflanzen und Tiere erfordern auch eine verschiedene Temperatur, einen verschiedenen Boden. Dieselbe Wendung der Jahreszeiten, welche der einen Gattung verderblich wird, kann der anderen förderlich sein. Nicht alle Land- und Himmelsstriche trifft dasselbe Schicksal; glücklich im Notfalle, wenn man auch die Produkte der Fremde zu nutzen weiß.
Eine zu einfache Nahrungsweise hat in China die Bevölkerung in die wasserreichen Reisländer zusammengedrängt. Sie soll dort unermeßlich sein und sich nicht hinreichend ernähren können. Man setze, daß die Vorurteile der Chinesen gestatten, den Anbau des Roggens, der Gerste, des Hafers und der Kartoffel in ihre nördlichen und steinigen Provinzen einzuführen, welche nach den Reisebeschreibern ebenso menschenleer sind, als die großen Flußtäler und Ebenen übervölkert; so wird eine jährliche Kolonisation aus den letzten in die ersten möglich, deren natürliche Grenze sehr weit hinausliegen möchte.
Wir bringen uns nur selten in Erinnerung, was wir, in Beziehung auf die europäische Bildungsfähigkeit, von alten Zeiten her der ackerbauenden und kochkünstlerischen Richtung der Griechen und der Römer Eine vortreffliche Anregung dieses Gegenstandes in Joh. v. Müllers allgemeiner Geschichte. verdanken. Die Möglichkeit, eine zahlreiche Volksmenge auch in wenig fruchtbaren Landstrichen zu ernähren, ist eine Erbschaft aus der alten Welt, welche das Mittelalter eine Zeitlang gleich einer wenig beachteten Seltenheit in seinen Klöstern treulich aufbewahrt hatte, um sie späterhin einem neueren, zwar tätigen, aber höchst undankbaren Geschlechte zu übergeben.
Seefahrt und Naturwissenschaft hat uns Allerneuesten noch um vieles bereichert. Allein es liegt eine so weite Kluft von den Grübeleien der Theoretiker zum praktischen Leben, daß nur einiges, wie die Kartoffel, in allen Richtungen sich verbreitet hat.
Demungeachtet ist die Vermehrung und Vervielfältigung der ernährenden Naturstoffe in den letzten Dezennien reißender vorwärts gegangen als der Verbrauch. Wir bedürfen, daß sich die Bevölkerung allenthalben vermehre, daß bessere Gesetze, bessere Verwaltungen in den Ländern, die das Mittelmeer umgeben, eben wie in den neuen Weltteilen, eine ihrer Ausdehnung angemessene Bevölkerung hervorrufen, welche die Erzeugnisse unseres Fleißes verzehren könne. Oder wir sollten, gleich den Römern und anderen gebildeten Völkern der alten Welt, dahin trachten, eine müßige Bevölkerung, die wir zwar ernähren, aber kaum beschäftigen können, zu großen öffentlichen Werken zu verwenden. Diese werden teils, wie Kanäle und Landstraßen, den öffentlichen Reichtum dauernd vermehren, teils, wie andere Gebäude, den Genuß des Lebens erhöhen. Sollte aber zu solchen Werken das Geld fehlen, wie man behauptet, so fehlt doch das Getreide nicht, um die Arbeiter zu ernähren, und eine Abgabe in dem schwer verkäuflichen Naturstoffe würde gegenwärtig wenig lästig fallen.
Vermöchte man nur, aus einer abstrakten Berechnung nach Summen klingenden oder nur eingebildeten Geldes, sich in die Realität wirklicher Lebensverhältnisse hinüberzudenken, so möchte das überflüssigste aller Übel, das Übel des Überflusses, leicht zu heben sein. Denn es ist in der Tat Reichtum und Überfluß an Kraft zu außerordentlichen Werken, wenn in einem Staate Menschen vorhanden sind, welche durch die Bedürfnisse der Privatpersonen nicht in Anspruch genommen werden, welche aber dennoch ernährt werden können. Nur wo man einen solchen Überfluß wirksamer Menschenkräfte besitzt, kann man Werke anlegen, wie die Wasserleitungen, Brücken und Heerstraßen der Römer, wie das Bewässerungssystem der Lombardei und ähnliches, was seine Entstehung nicht dem Gelde, sondern dem standhaften Willen der Menschen verdankt.