Heinrich Sohnrey
Friedesinchens Lebenslauf
Heinrich Sohnrey

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7.

Urgroßvaters Kirchenhut.

Eines schönen Tages, als wir auf dem »Balken« zu kramen hatten, geriet unsere Stineliese über eine alte eichene Truhe und entdeckte darin unseres Urgroßvaters hohen, schwarzen – Kirchenhut.

Wie der Klang einer alten Sage berührte uns diese Entdeckung. Erst besehen wir den Hut voll heiliger Scheu, dann berühren wir ihn mit kindlichem Entzücken.

Zwei Menschenalter hindurch hatte der Zeuge aus Urgroßvaters Zeit, von aller Welt vergessen, in dem alten Kasten ein stillbeschauliches Leben geführt und Betrachtungen angestellt über die alte Welt, die er von Urgroßvaters Kopf herab hatte ansehen können, und über die neue Welt, aus der nur ab und an mal ein Licht und ein Laut in die stille Verborgenheit gedrungen war.

Wie mochte nun dem altehrwürdigen 57 Urgroßvaterhute wohl zu Mute sein, als er sich jetzt plötzlich von heißer Jugendhand erfaßt und hinausgetragen fühlte in die neue Welt mit dem alten Sonnenglanze und dem alten Lindenrauschen! Er hat es uns mit keiner Miene verraten, aber gewußt haben wir's doch: Lauter Lust und Freude ist er gewesen, daß er wieder unten auf der sonnigen, duftigen Erde bei den fröhlichen Enkeln des Urgroßvaters hat sein können, – daß die Lindenblätter wieder auf ihn gefallen sind, wie ehemals, da er auf dem Kopfe des Urgroßvaters einherstolzierte. »Du lieber, alter Kirchenhut, magst dich freuen und fröhlich sein, jetzt sollst du das Leben genießen, hast's wahrlich um den Urgroßvater verdient!« – So jubeln wir und lassen den Hut im Kreise herum gehen; jeder muß ihn einmal aufprobieren.

Plötzlich ist klein Friedesinchen mit dem Hute verschwunden.

Eine halbe Stunde später werden wir in einem heimlichen Heckenschlupfloch gefunden. Ich habe den Hut tief über den Kopf gestülpt und stelle mich in Reden und Gebärden, als wäre ich der leibhaftige Urgroßvater, als müßte ich jetzt in den Wald und die verzauberte Prinzessin erlösen.

Ich erhob mich aber um ein Bedeutendes über unseren Urgroßvater, denn ich hatte nicht 58 nur eine Frau und viele Kinder, sondern ich schaffte mir auch einen so großartigen Viehstand an, wie ihn der selige Ahn nicht im Traume besessen hatte. Alle Marienkäfer wurden zu Kühen, alle Hirschkäfer zu Ziegen, alle Goldschmiede zu Grobschmieden. Ich verwandelte alle Schnecken in – Schweine, alle Grashüpfer in Pferde und alle Schmetterlinge in Hühner.

Da reichten natürlich unsere paar schmalen Ackerstreifen nicht aus. Aber es war mir ja ein Kleines, sie in große Ackerbreiten zu verwandeln, wie sie selbst der Graf nicht größer und fetter hatte, und viele herrliche Wiesen kaufte ich mir noch dazu.

Da brauchten Frau und Kinder nicht mehr alle Tage ins Holz oder ins Tagelohn, denn wir hatten nun genug für uns zu wirtschaften. Ich wußte vor allen Hantierungen nicht, was zuerst und zuletzt thun.

An einem schönen Sonntagmorgen jener Zeit wachte ich früher auf als meine Geschwister und hörte, wie unsere Mutter am Herde Feuer anmachte und mit wundersamer Innigkeit ein geistliches Lied dabei sang. Das war am Sonntagmorgen so der Brauch bei ihr. – Ein wonniges Gefühl durchrieselte mich; ich sprang aus dem Bette, huschte hinunter und stand wie ein Irrwisch vor der Mutter. 59

Sie sah mich an, lächelte, nickte und sang währenddessen:

»Du willst ein Opfer haben:
Hie bring' ich meine Gaben:
Mein Weihrauch und mein Widder
Sind mein Gebet und Lieder.

Die wirst du nicht verschmähen,
Du kannst ins Herze sehen,
Denn du weißt, daß zur Gabe
Ich ja nichts Bessres habe.«

Ich stand still da in bloßem Hemdchen, aber mit Urgroßvaters Hute auf dem Kopfe, faltete unwillkürlich die Hände und sah voll Andacht zur Mutter auf.

Als sie den Gesang beendet hatte, zog sie mich unter dem Hute hervor und hob mich an ihre Brust.

Da nahm ich die Gelegenheit wahr und fragte, ob ich heute einmal mit in die Kirche dürfe? Ich wäre immer auf den nächsten Sonntag vertröstet – heute hätten wir doch gewiß den nächsten Sonntag. Bornriekens Liese reiche mit ihrem Kopfe noch nicht 'mal an mein linkes Ohr und wäre doch schon dreimal mit ihrer Mutter zur Kirche gegangen.

Die Mutter lachte, und ihre Augen leuchteten. »Die Kirche ist ein heiliger Ort,« sagte sie, und ob ich auch hübsch verständig sein wolle? 60

Nichts fiel mir leichter als dies Versprechen. Wenn's die Mutter verlangte, wollte ich nicht den kleinen Finger rühren, sogar meinen Atem stehen lassen!

Urgroßvaters Kirchenhut ließ ich an diesem Sonntagmorgen vor aller Freude nicht mehr vom Kopfe.

Als es das Viertelschauer läutete, stellte ich mich unter die Linde und wartete auf die Mutter. Ich rückte den Hut so weit nach hinten, daß ich ordentlich darunter weggucken konnte und bemühte mich mit vieler Anstrengung, mein Gesicht in Urgroßvaterfalten zu legen.

Endlich kam die Mutter heraus; still und andächtig sah sie auf ihr Gesangbuch hernieder und ward so meiner Wenigkeit gar nicht ansichtig.

Da trat ich einen Schritt vor und hob an mit verstellter Stimme und verstellten Gebärden: »Ich bin der Urgroßvater aus der Lindenhütte!«

Die Mutter nickte zur Seite und sagte, während in ihrem lieben Antlitze der Ernst mit der Heiterkeit wechselte: »Grüß Euch Gott, teuerster Urgroßvater aus der Lindenhütte! Ich hätte bald nicht an Euch gedacht, Ihr wollt ja mit zur Kirche gehen – nicht wahr?«

Na, natürlich wollte ich das! 61

Müßte der Urgroßvater aber den Hut absetzen, denn der wäre heutzutage keine Mode mehr.

Die Mutter sieht auf einmal sehr ernst aus und geht hinweg. Da fange ich an zu merken, was auf dem Spiele steht, gebe flugs den Hut dem Vater hin und trippele scheu hinter der Mutter her. Der Vater legte ein gutes Wort für mich ein; da blieb sie stehen und bot mir die rechte Hand.

Des Urgroßvaters Kirchenhut ist mir danach völlig verleidet gewesen; ich habe ihn nicht mehr aufsetzen mögen. Der Vater hat ihn wieder hinaufgebracht in den schwarzen Rumpelkasten, auf daß er darin weitere hundert Jahre ruhen und rasten möge. – Und so hat es der liebe alte Kirchenhut aus der Lindenhütte noch erfahren müssen, daß die Gunst der Menschen, der kleinen wie der großen, doch ein sehr unbeständig Ding ist. 62


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