Heinrich Sohnrey
Friedesinchens Lebenslauf
Heinrich Sohnrey

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4.

Grüne Ostern und fröhliche Leute.

Am Kuchensonnabend ist's gewesen, als ich Tannenfeld verließ. Zwei Tage vorher, also gerade am grünen Donnerstage, kriege ich noch einen Brief vom Goltdorfer Lorenz. Nun wollte mich die Freude fast von Sinnen bringen, also daß Frau Dienhardt giftig erklärte, es müsse mit mir im oberen Stockwerk nicht richtig sein.

Da liegt der Brief neben den andern in der Truhe. Die tausend Thränentropfen, die im Laufe der Jahre darauf gefallen sind, haben ihn schier unleserlich gemacht. Höre zu: 300

»Liebes, bestes Friedesinchen!

Mit Freuden ergreife ich die Feder und schreibe Dir noch geschwind die wenigen Zeilen. Nämlich alle Leute sagen es, daß diese Stelle, die meine Eltern Dir in Goltdorf auf dem Grundhofe ausgemacht haben, die allerbeste ist, Du magst hinkommen, wo Du willst; selbst bei den Schusterleuten in Siepolsdorf soll es nicht besser sein. Liebes Friedesinchen, wie wir uns darüber freuen, das kann ich Dir gar nicht sagen. Unser Lorchen und ich haben schon die Stunden gezählt, die wir noch warten müssen, bis Du kommst. Sie ist heute morgen in der Stadt gewesen und hat mir ein neues Paar Strümpfe gebracht. Weißt Du was, Lorenz, sagte sie: wir beide machen uns auf die Beine nach Hilgenthal und holen unser Friedesinchen ab. Juhu! schreie ich und springe mit einem Satze über die Drechselbank – und was sagst Du, ich hätte beinahe den Meister umgesprungen. Er ist aber gar nicht böse geworden, sondern hat nur geschmunzelt und gesagt: »Na, Junge, denkst doch nicht etwa, ich wäre ein Pflaumenbaum?«

Liebes Friedesinchen, nun teile mir doch gleich mit, an welchem Tage Du kommen willst damit wir Dich abholen können.

Es grüßt Dich tausendmal Dein

Lorenz Holzhöfer.« 301

Und nun will ich gleich in den hellen Ostermorgen hineinspringen und sagen, daß die Goltdorfer Geschwister schon gleich nach dem Frühgeläut unter unserem Lindenbaume standen.

Der wonnige Anblick ist mir unvergeßlich. Fast hätte ich Lorenz und Lorchen nicht wieder erkannt, so waren sie gewachsen und so lieblich und fein sahen sie aus in der schmucken Goltdorfer Festtracht. O, ich habe sie noch so genau vor mir, wie sie dastanden, daß ich an Lorenzens hellblauem Kamisol und seiner manchesternen Kniehose noch die blanken Knöpfe zählen und die Blumen in Lorchens Jacke und das Band an ihrem gewirkten Rocke beschreiben könnte. – Ich war so entzückt, daß ich meinte, ganz Hilgenthal müsse jetzt in Aufregung kommen über die wundersame Erscheinung auf dem Lindenberge. – War denn bei den armen Lindenhüttenleuten schon jemals ein so jungschönes Paar aus wildfremdem Dorfe zu Besuch gewesen?

Außer mir vor Freuden führte ich Freund und Freundin in die Lindenhütte, und es dauerte nicht lange, da war alles ein Herz und eine Seele.

Aus dem Angesichte unseres Vaters strahlte eine Heiterkeit, wie wir sie seit dem Tode der Mutter und Schwestern nicht mehr an ihm 302 wahrgenommen hatten. Als wären's zwei liebe eigene Kinder, so hielt er sie an sich und sagte immer: »Ei, nein, wie mich das freut! Meinem alten treuen Kriegskameraden seine Kinder! Ei seht, seht – wer hätte das gedacht – und ihr habt dazumal unser Friedesinchen so liebevoll aufgenommen? O, da hat unser Herrgott gar schöne Blüten aufsprießen lassen an dem alten Baume der Freundschaft. – Na, Kinder, nun wollen wir aber auch recht fröhlich sein miteinander! Große Gastereien können die Leute in der Lindenhütte zwar nicht anrichten – aber das Beste fehlt uns ja nicht: die Liebe, die Freude und – ein gutes Gewissen. Seid ihr damit zufrieden? Nun, nun, das glaub' ich ja, – euer Vater wär's gewiß auch; ei, hättet ihr ihn doch mitgebracht. Wie lange habe ich ihn schon nicht mehr gesehen! Sagt, Kinder, ist der Reif auch schon in seinen Haaren wie in meinen?«

Und so ging's noch lange fort; der heitere Vater ließ den Besuch fast gar nicht von seiner Seite. Mein Gesicht feuerte, als wenn ich Kuchen gebacken hätte – scherzte Hanfrieder, dessen Gesicht aber gerade ebenso strahlte. Als der Nachmittag kam, mußte der Vater eine Weile zurückstehen; da gingen wir mit dem Hilgenthaler Jungvolke in Reih und Glied auf 303 den freien, grünen Osteranger, um die althergebrachten ortsüblichen Osterspiele mitzuspielen.

Die Alten kamen dazumal auch noch auf den Osteranger, spielten auch bei manchen Spielen noch mit. In dem hundertköpfigen Zuschauerringe, der sich um uns bildete, gewahrten wir zu unserer innigsten Freude auch unsern Vater. Unverwandt leuchteten seine Augen zu uns herüber, und er nickte uns ermunternd zu. Da fühlten wir uns erst so recht »am Zeichen«, und in lang anhaltendem Jauchzen hüpften wir über den Rasen. Es stellten sich aber bei etlichen der aufgeführten Spiele gar eigentümliche Fügungen und Verschlingungen heraus. Es mußten nämlich Brautpaare und Eheleute gebildet werden, und dabei fügte es sich immer wieder, daß mein Gegenpart der Goltdorfer Lorenz und Hanfrieders Gegenpart das Goltdorfer Lorchen wurde. Und das fügte sich – weiß Gott – immer völlig ohne unser Zuthun.

Damals haben wir noch nicht gewußt, daß ein Spiel auch ein Vorspuk sein kann.

Als es zu schummern anfing, ging's hinauf nach dem Osterberge, wo nun beim Flackern des »Poschefeuers« und unter dem Absingen uralter Volkslieder die »Poscheier« gegessen wurden. 304 Geschlafen wurde die Nacht nicht viel, obwohl der Vater in der Geschwindigkeit auf der Bodenkammer noch ein hübsches Laublager hergerichtet hatte, auf dem es sich sehr wohlig hätte schlafen lassen.

Am zweiten Ostermorgen nahmen wir Abschied. Der Vater und die kleinen Geschwister gingen mit uns bis vor das Holz, den »Hegebusch«. Hanfrieder begleitete uns bis an die Goltdorfer Feldmarksgrenze, da wollte er eiligst umkehren; doch Lorenz hielt ihn so fest, und wir beiden Mädchen baten ihn so dringend, daß er doch nicht umkehrte, sondern mit uns nach Goltdorf hineinwanderte.

Nun war's aber am Vater Holzhöfer, seine Freude zu bezeigen über den Besuch der Kinder seines alten Kriegskameraden. Er warf seine schöne Sonntagskappe unter den Balken und wußte nicht, was er sonst gleich noch vor lauter Vergnügen beginnen sollte. Erst mußten wir immer bei ihm sitzen und genau so viele Fragen über unsern Vater beantworten, wie Lorchen und Lorenz über ihn beantwortet hatten.

Am Nachmittage haben wir dann mit dem Goltdorfer Jungvolke zusammen ebenfalls wieder die alten Osterspiele aufgeführt, – und auch da hat sich der eigene Vorspuk, von dem ich 305 vorhin sagte, bei manchem Spiele wiederholt. Ich fühlte etwas in meinem Herzen aufleben, das war wundersam wie das Aufspringen der ersten Blüte am Baume – nein, ich kann und mag es nicht beschreiben.

Als die »Poscheier« gegessen waren, nahm Bruder Hanfrieder schleunigst Abschied. Vater Holzhöfer hielt ihn lange fest und wollte ihn gar nicht gehen lassen.

Lorchen, Lorenz, ich und noch etliche Knechte und Mädchen aus dem Goltdorfer Jungvolke gaben ihm eine Strecke Weges das Geleit; wir führten ihn, wie ich besser sage, mit Sang und Klang von dannen.

Als wir endlich auseinandergingen, glaubte ich bemerkt zu haben, daß Hanfrieder der anmutigen Lore die Hand ein wenig länger drückte als den andern, ja selbst als mir. Da stieg die wonnige Ahnung in mir auf, Hanfrieder hätte mit dem Händedruck ein stilles Glück eingeschlossen. –

Am andern Morgen brachte mich Mutter Holzhöfer auf den Grundhof. 306


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