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Während des letzten Teils der soeben wiedergegebenen Unterhaltung, hatte Fabius in Gedanken versunken dagesessen; er grübelte noch über den Inhalt seines Gesprächs mit Agnes nach. Wie still sie ihr Geheimnis für sich behalten hatte! Wer aber konnte dieser Begünstigte sein, der bereits ihr Herz gewonnen hatte? Er ließ gar viele im Geiste vorüberziehen, aber dennoch konnte er keine Antwort finden. Es war besonders das reiche Juwelengeschenk, welches ihm Kopfzerbrechen machte. Er kannte keinen jungen edlen Römer, der im Besitz von reichen Edelsteinen gewesen wäre; und da er täglich in den großen Kaufläden umherschlenderte, so würde er unzweifelhaft davon gehört haben, wenn ein so bedeutender Juwelenkauf gemacht worden wäre. Plötzlich durchzuckte der kluge Gedanke sein Hirn, daß Fulvius, welcher täglich neue und kostbare Edelsteine zur Schau trug, der einzige Mensch sein könne, welcher imstande wäre, ihr solche Geschenke zu machen. Überdies hatte er gelegentliche Blicke aufgefangen, welche der schöne Fremde seiner jungen Cousine zuwarf, so daß ihm gar kein Zweifel mehr daran blieb, daß dieser sterblich in sie verliebt sei; und wenn Agnes diese anbetende Bewunderung nicht zu bemerken schien, so lag dies ganz bestimmt in ihrer Absicht. Nachdem diese Überzeugung einmal seiner Herr geworden, beschloß er, die Wünsche der beiden zu begünstigen, und seine Tochter eines Tages durch die Klugheit zu überraschen, welche er bei dieser Gelegenheit an den Tag gelegt hatte.
Wir müssen indessen unsere vornehmen Gäste verlassen und uns bescheideneren Scenen zuwenden. Suchen wir Syra auf von dem Augenblick an, wo sie das Gemach ihrer jungen Herrin verließ. Als sie vor Euphrosine erschien, war die gutmütige Amme erschrocken über den Anblick der grausamen Wunde und stieß einen lauten Jammerruf aus. Als sie aber gleich darauf Fabiolas Werk erkannte, wurde sie die Beute widerstreitender Gefühle. »Armes Ding!« sagte sie indem sie die Wunde erst wusch, dann schloß und verband, »es ist ein furchtbarer Schnitt! Was hast du gethan, um das zu verdienen? Wie weh muß es dir gethan haben, mein armes Kind! Wie böse mußt du aber auch gewesen sein, um das herbeizuführen! Es ist eine schlimme Wunde, aber das beste und lieblichste menschliche Wesen hat sie dir beigebracht! Du mußt ja ohnmächtig sein durch den Blutverlust; nimm dieses Belebungsmittel, es wird dir gut thun, und ohne Zweifel war sie gezwungen, dich zu strafen.«
»Ohne Zweifel,« sagte Syra belustigt, »war es nur meine Schuld. Ich hatte nicht das Recht mit meiner Gebieterin zu streiten!«
» Streiten mit ihr! – streiten! – O ihr gerechten Götter! Hat man schon jemals davon gehört, daß eine Sklavin mit ihrer Herrin, ihrer edlen Herrin streitet, mit ihrer Herrin, die so klug, so gelehrt! Was! Calpurnius selbst würde sich fürchten, mit ihr zu disputieren. Kein Wunder in der That, daß sie so – so – so aufgeregt war und nicht wußte, daß sie dir wehe that. Aber dies muß geheim bleiben. Niemand darf erfahren, daß du ein so großes Unrecht begangen hast. Hast du nicht ein schönes Band, oder einen Schleier, in den wir deinen Arm hüllen könnten, so daß es aussieht als schmücktest du dich damit? All die anderen haben eine Menge solcher Sachen, die man ihnen entweder geschenkt hat, oder die sie gekauft haben. Aber du scheinst gar kein Auge für solche hübschen Dinge zu haben. Laß uns doch einmal nachsehen.«
Sie ging in den Schlafsaal der Sklavinnen, welcher neben ihrem Zimmer lag. Dort öffnete sie Syras Capsa oder Kasten, und nachdem sie seinen ärmlichen Inhalt umsonst durchsucht hatte, fand sie auf dem Boden der Lade ein viereckiges Tuch aus reichem Stoff, der prächtig gestickt und sogar mit Perlen geziert war. Syra errötete tief und bat, sie nicht zu zwingen, dies unpassende Kleidungsstück zu tragen, besonders da es ein Andenken an bessere Tage sei, welches sie schon lange und kummervoll aufbewahre. Aber Euphrosine, welche an nichts weiter dachte, als das Vergehen ihrer Herrin zu verheimlichen, war unerbittlich, und die reiche, prächtige Schärpe wurde anmutig um den verwundeten Arm geschlungen.
Nachdem diese Operation beendet, begab Syra sich in den kleinen Wohnraum, welcher dem Zimmer des Thürhüters gegenüber lag; dort durften die Sklaven höheren Ranges ihre Freunde empfangen. In der Hand trug sie einen Korb, welcher mit einem Tuche bedeckt war. In dem Augenblick, wo sie in die Thür trat, kam ein leichter Schritt ihr durch das Zimmer entgegen. Er gehörte einem Mädchen von sechzehn oder siebzehn Jahren an, welches die ärmlichste Kleidung trug, jedoch rein und ordentlich aussah. Diese schlang ihre Arme mit einem so fröhlichen Gesichtsausdruck und so herzlicher Freude um Syras Nacken, daß der Zuschauer kaum geglaubt haben würde, daß ihre lichtlosen Augen niemals einen Blick in die Außenwelt gethan hatten.
»Setze dich, teure Cäcilia,« sagte Syra im liebevollsten Ton und führte sie zu einem Sitz; »heute habe ich dir einen köstlichen Leckerbissen gebracht; du wirst speisen wie eine Kaiserin!«
»Wie das? Ich meine, das thue ich täglich!«
»Ja. Aber heute hat meine gütige Herrin mir ein köstliches Gericht von ihrer eigenen Tafel herausgeschickt, und ich habe es für dich hierher gebracht.«
»Wie gütig von ihr! Aber wie viel gütiger noch von dir, meine Schwester! Aber weshalb hast du selbst nicht davon gekostet? Es war doch für dich bestimmt und nicht für mich.«
»Nun, um dir die Wahrheit zu gestehen, ist es ein größerer Genuß für mich zu sehen, wenn dir die Speisen schmecken, als sie selbst zu essen.«
»Nein, teure Syra, nein. Das darf nicht sein. Gott hat gewollt, daß ich arm sei, und ich muß versuchen, seinen Willen zu thun. Ich darf ebensowenig daran denken, die Speisen der Reichen zu essen, wie ihre Kleider zu tragen, so lange ich noch das Gewand der Armut erlangen kann. Ich liebe es, deinen pulmentumpulmentum – Brei, die jetzige Polenta. mit dir zu teilen, weil ich weiß, daß er mir aus Erbarmen von einer gereicht wird, die ebenso arm ist wie ich selbst. Ich verschaffe dir das Verdienst, Almosen austeilen zu können; du giebst mir den Trost zu fühlen, daß ich vor Gott nur immer noch das arme, blinde Geschöpf bin. Ich glaube, daß Er mich um so mehr lieben wird, wenn ich mich nicht von köstlichen Leckerbissen ernähre. Ich möchte lieber mit Lazarus am Thor stehen, als an dem Tische des reichen Mannes sitzen.«
»Wie viel besser und klüger du bist als ich, mein gutes Kind! Es soll geschehen, wie du wünschest. Ich will dieses, Gericht meinen Gefährtinnen geben und unterdessen setze ich dir hier deine gewöhnliche bescheidene Kost vor.«
»Dank! Dank! meine Schwester! ich werde deine Rückkehr erwarten!«
Syra ging in das Gemach der Dienerinnen und stellte die silberne Schüssel vor ihre eifersüchtigen und gierigen Gefährtinnen. Da ihre Gebieterin auch ihnen zuweilen diese Güte erwies, so fiel es ihnen nicht weiter auf. Aber die arme Dienerin war schwach genug sich zu schämen, daß sie vor den übrigen Sklavinnen mit der reichen Schärpe um ihren Arm erscheinen sollte. Sie nahm sie deshalb herab, bevor sie eintrat; und als sie wieder herauskam, legte sie sie so gut sie es vermochte, mit der einen Hand wieder an, um der guten, alten Euphrosyne kein Ärgernis zu geben. Sie war unten im Hofe, im Begriff zu ihrer blinden Freundin zurückzukehren, als sie einen der vornehmen Gäste von der Tafel ihrer Gebieterin allein und wie es schien mit ärgerlicher Miene dem Ausgange zuschreiten sah. Sie trat hinter eine Säule, um eine mögliche und durchaus nicht ungewöhnliche Rohheit zu vermeiden. Es war Fulvins; und kaum hatte sie, von ihm ungesehen, einen flüchtigen Blick auf ihn geworfen, als sie wie angewurzelt an der Stelle stehen blieb. Ihr Herz begann heftig zu schlagen; dann erbebte und erzitterte es, als würden alle Pulse ihre Thätigkeit einstellen; ihre Kniee schlugen gegeneinander, ein Schauder erfaßte ihren ganzen Körper und der kalte Angstschweiß trat auf ihre Stirn. Ihre weit geöffneten Augen waren gebannt, wie die eines Vogels vor einer Schlange. Sie legte die Hand auf die Brust, machte das Zeichen des Kreuzes – und der Zauber war gebrochen. Noch immer unbemerkt, floh sie im nächsten Augenblick, und kaum war sie geräuschlos hinter den Vorhang getreten, welcher die Treppe verdeckte, als Fulvius mit zu Boden gesenktem Blick an die Stelle kam, auf welcher sie gestanden. Er fuhr zurück, als habe ihn etwas erschreckt, das vor ihm lag. Er zitterte heftig; aber mit einer plötzlichen Anstrengung wurde er wieder Herr über sich selbst; dann blickte er umher und sah, daß er allein war. Kein Auge ruhte auf ihm – mit Ausnahme des Einen, welches er nicht kannte, das in jener Stunde aber deutlich auf dem Grunde seines verderbten Herzens las. Er blickte wieder auf den Gegenstand hinab und bückte sich um ihn aufzunehmen; doch augenblicklich zog er die Hand zurück. Dies wiederholte er mehr als einmal. Endlich vernahm er Schritte, welche näher kamen; er erkannte den martialischen Gang Sebastians. Hastig riß er die kostbare Schärpe, mit welcher Syras verwundeter Arm umwickelt gewesen, vom Boden empor. Als er sie zusammenlegte, erbebte er, und als er zu seinem Schrecken mehrere Tropfen frischen Bluts darauf fand, welches durch den Verband gedrungen, taumelte er wie ein Betrunkener an die Thür und stürzte nach seiner Wohnung.
Blaß, krank und schwankend ging er in sein Schlafgemach, die Dienstleistungen seiner eifrig bemühten Sklaven zornig zurückweisend. Nur seinem treuen Begleiter machte er ein Zeichen, ihm zu folgen und die Thür dann fest zu verriegeln. Eine Lampe brannte hell auf dem Tische, auf welchen Fulvius schweigend die gestickte Schärpe warf. Dann zeigte er auf die Blutflecke. Der farbige Mann sagte kein Wort; aber aus seinem gebräunten Gesichte wich alle Farbe, während sein Herr bläulich und aschfahl war.
»Es ist dieselbe, ohne Zweifel,« sagte der Untergebene endlich in ihrer fremden Sprache, »aber sie ist bestimmt tot.«
»Bist du dessen ganz gewiß, Eurotas?« fragte der Gebieter und heftete seinen scharfen Falkenblick auf ihn.
»So gewiß, wie ein Mensch dessen sein kann, was er nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Wo hast du dies gefunden, und woher kommt das Blut?«
»Morgen will ich dir alles erzählen; heute Abend bin ich zu krank. Was jene Flecke anbetrifft, welche noch feucht waren, als ich sie fand, so weiß ich nicht, woher sie kamen wenn sie nicht die Vorboten einer Rache – nein, die Rache selbst sind, so fürchterlich wie die Furien sie nur ersinnen, sie nur auf einen Sterblichen herab schleudern können. Das Blut ist nicht jetzt erst vergossen worden.«
»Still, still! Dies ist keine Zeit für Träume oder Phantasien. Hat irgend jemand gesehen, daß du das – das Ding aufnahmst?«
»Niemand, dessen bin ich gewiß.«
»Dann sind wir sicher; es ist besser in unseren Händen aufgehoben als in anderen. Über Nacht wird weiser Rat kommen.«
»Wahr, Eurotas; aber schlaf du heute Nacht bei mir in meinem Gemache.«
Beide warfen sich auf ihre Lager. Fulvius auf ein reiches Bett, Eurotas auf eine niedrige Pritsche, von welcher aus er, auf seinen Arm gestützt, bis tief in die Nacht hinein mit düsteren aber ernsten Blicken den unruhigen Schlaf des Jünglings bewachte, dessen treuer Beschützer und böser Engel er zu gleicher Zeit war. Fulvius warf sich unruhig hin und her und stöhnte im Schlaf, denn er hatte gar schwere und unheimliche Träume. Zuerst sah er eine wunderschöne Stadt in einem fernen Lande vor sich, durch welche ein Fluß von krystallener Klarheit floß. Darauf ein Schiff, welches die Anker lichtete; auf Deck eine Gestalt, welche ihm mit einem gestickten Tuche ein letztes Lebewohl zuwinkte. Die Scene verwandelt sich, das Schiff ist mitten auf der See, es kämpft mit einen: wilden Sturm, während dieselbe Schärpe wie ein Wimpel vom Mittelmast des Schiffes herab weht. Jetzt fährt das Fahrzeug auf einen Felsen auf, und alle versinken mit einem furchtbaren Schrei in die Tiefe. Aber der Topmast erhebt sich mit seiner ruhigen, kostbaren Flagge über die Wellen, bis inmitten des Gekreisches der Seevögel, welche sie umflattern, eine Gestalt mit einer Fackel in der Hand und schwarzen herabhängenden Flügeln daher saust, den Wimpel von: Mast reißt und ihn mit einem Blick düstern Zorns ausbreitet, als sie in ihrem Fluge vor ihm innehält. Mit feurigen Buchstaben sieht er darauf geschrieben – Nemesis.Rache.
Aber es ist Zeit, zu unseren übrigen Bekannten im Hause des Fabius zurückzukehren.
Nachdem Syra vernommen hatte, wie die Thür sich hinter Fulvius schloß, hielt sie inne, um sich wieder zu sammeln, sandte ein stilles Gebet zum Himmel empor und kehrte zu ihrer blinden Freundin zurück. Diese hatte ihr frugales Mahl beendet und harrte in Geduld der Rückkehr der Sklavin. Nun begann Syra ihre täglichen Pflichten der Gastfreundschaft und Güte zu erfüllen. Sie brachte Wasser, wusch ihr Hände und Füße, in Übereinstimmung mit dem christlichen Gebot, kämmte und wusch ihr das Haar, wie wenn das arme Geschöpf ihr eigenes Kind gewesen wäre. In der That, obgleich sie nur um weniges älter, war ihr Blick, als sie sich über ihre arme Freundin beugte, so zärtlich, ihre Sprache war so sanft, ihr ganzes Thun so mütterlich, daß man sie für eine Mutter gehalten haben würde, welche für ihr krankes Kind sorgt, und nicht für eine Sklavin, welche eine Bettlerin bediente. Und auch diese Bettlerin sah so glücklich aus, sprach so fröhlich und sagte so herrliche Dinge, daß Syra ihre Arbeit noch in die Länge zog, um ihr zuzuhören und sie anzublicken.
Es war in diesem Augenblick, daß Agnes zu der verabredeten Besprechung erschien, und Fabiola darauf bestand, sie bis zur Thür zu begleiten. Als Agnes jedoch leise den Vorhang emporhob, und ihr Blick auf das Bild vor ihr fiel, machte sie Fabiola ein Zeichen hineinzusehen, indem sie ihr durch eine Gebärde Ruhe gebot. Das blinde Mädchen befand sich dem Eingang gegenüber, und ihr zur Seite ihre freiwillige, ebenfalls ahnungslose Dienerin. Fabiolas Herz war gerührt; sie hatte niemals geglaubt, daß es eine uneigennützige Liebe zwischen zwei fremden Menschen auf dieser Erde geben könnte. Und was Barmherzigkeit anbelangte, so war dies ein Wort, welches man weder in Rom noch in Griechenland kannte. Leise zog sie sich zurück, Thränen im Auge, und sagte zu Agnes, als sie sich verabschiedete:
»Ich muß mich zurückziehen; du weißt, dieses Mädchen hat nur heute Nachmittag bewiesen, daß eine Sklavin einen Kopf haben kann; jetzt hat sie mir gezeigt, daß sie auch ein Herz besitzen kann. Ich war entrüstet, als du mich vor einigen Stunden fragtest, ob ich denn eine Sklavin lieben könne. Ich glaube jetzt, daß ich Syra lieben könnte. Ich bedaure fast schon, daß ich mich entschlossen habe, mich von ihr zu trennen.«
Als Fabiola über den Hof zurückging, trat Agnes lachend ins Zimmer und sagte:
»So, Cäcilia, jetzt bin ich endlich deinem Geheimnis auf den Grund gekommen. Dies ist also die Freundin, von der du mir erzähltest; deren Speisen so viel besser sind als meine, daß du in meinem Hause niemals etwas essen wolltest. Nun, wenn die Kost vielleicht auch nicht besser ist, so muß ich dir beistimmen, daß du eine bessere Wirtin gefunden hast.«
»O, sprich nicht so, süße Dame Agnes,« antwortete das blinde Mädchen, »es ist in der That die Mahlzeit, welche besser ist. Du hast so viel Gelegenheit, Barmherzigkeit zu üben; aber eine arme Sklavin hat sie nur, wenn sie jemanden findet, der noch ärmer und hilfloser ist als sie. Und das bin ich! Dieser Gedanke macht ihre Speisen mir so süß.«
»Nun, du hast recht,« sagte Agnes, »und ich bedaure es nicht, daß du hier bist, um die frohe Neuigkeit zu hören, welche ich Syra bringe. Es wird auch dich glücklich machen. Fabiola hat mir gestattet, deine Gebieterin zu werden, und dich mit mir zu führen. Morgen wirst du frei und mir eine liebe Schwester sein.«
Cäcilia klatschte vor Freuden in die Hände und indem sie ihre Arme um Syras Nacken schlang, rief sie aus: »O, wie herrlich! Wie glücklich wirst du jetzt sein, teure Syra!« Aber Syra war tief betrübt und entgegnete mit bebender Stimme: »O gute und liebreiche Herrin, du hast zuviel Güte bewiesen, indem du so große Fürsorge für eine Arme wie ich es bin, zeigtest. Aber verzeih mir, wenn ich dich bitte, mich zu lassen, wo ich bin. Ich versichere dir, teure Cäcilia, ich bin hier glücklich.«
»Aber weshalb wünschest du zu bleiben?« fragte Agnes.
»Weil ein jeglicher, worinnen er berufen ist, darinnen bleibe vor Gott,«1 Corinth. Kap. 7, V. 24. entgegnete Syra. »Ich gebe zu, daß dies nicht der Stand ist, in welchem ich geboren bin; andere haben mich in denselben gebracht.«
Hier unterbrach ein Thränenstrom sie für einen Augenblick; dann fuhr sie fort:
»Aber um so viel klarer ist es mir, daß es Gottes Wille ist, ich solle Ihm in dieser Stellung dienen. Wie kann ich denn wünschen, sie zu verlassen?«
»Gut denn,« sagte Agnes noch eifriger, »das können wir leicht ordnen. Ich werde dich nicht frei machen, sondern du kannst auch meine Sklavin sein. Das bleibt doch immer dasselbe.«
»Nein, nein,« sagte Syra lächelnd, »das geht nimmermehr. Die großen Lehren, welche unser Apostel uns gegeben, lauten: »Ihr Knechte, seid unterthan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen.«1 Petri. Kap. 2, V. 18. Ich bin weit entfernt zu sagen, daß meine Gebieterin zu letzteren gehört, aber du, edle Agnes, bist zu gut und milde und sanftmütig für mich. Wo wäre denn mein Kreuz, wenn ich in deiner Nähe lebte? Du weißt nicht, wie stolz und eigensinnig ich von Natur bin; und ich würde für mich selbst fürchten, wenn ich nicht von Zeit zu Zeit Schmerzen und Demütigungen erleiden müßte.«
Agnes war fast übermannt von Rührung! aber mehr denn je trug sie das Verlangen, einen solchen Schatz voll Tugend zu besitzen; deshalb sagte sie: »Ich sehe Syra, daß kein Beweggrund deines eigenen Interesses dich anderen Willens machen wird; ich muß daher mit einer selbstsüchtigen Bitte kommen. Ich möchte dich in meiner Nähe haben, damit ich von deinen Ratschlägen und deinem Beispiel lernen kann. Komm, diese Bitte wirst du doch nicht abschlagen?«
»Selbstsüchtig,« antwortete die Sklavin, »kannst du niemals sein. Und deshalb will ich mich mit meiner Bitte an deine Großmut wenden. Du kennst Fabiola und du liebst sie; du weißt, welch eine edle Seele, welch weisen Verstand sie besitzt! Welche große Eigenschaften und welche hohe Begabung – wenn mir das Licht der Wahrheit sich in ihnen wiederspiegelte! Wie ängstlich und eifersüchtig hütet sie in sich jene Perle der Tugenden, welche nur wir zu schätzen wissen! Welch eine echte, ausgezeichnete Christin könnte sie werden!«
»Fahre fort um Gottes willen, teure Syra,« rief Agnes voller Eifer aus. »Und vermagst du darauf zu hoffen?«
»Es ist mein Gebet bei Tag und bei Nacht. Es ist mein einziger Gedanke, mein einziges Ziel, es ist die Beschäftigung meines Lebens. Ich will versuchen, sie durch Geduld, durch Ausdauer, selbst durch solche ungewöhnlichen Gespräche, wie wir sie heute geführt, zu gewinnen. Und wenn ich alles erschöpft habe, so bleibt mir immer noch eine Hilfsquelle.«
»Und diese ist?« fragten beide zugleich.
»Mein Leben für ihre Bekehrung hinzugeben. Ich weiß, daß einer armen Sklavin wie mir, wenig Gelegenheit geboten wird, das Märtyrertum auf sich zu nehmen. Aber man sagt, daß wir binnen kurzer Zeit eine noch fürchterlichere Christenverfolgung zu erwarten haben, und diese wird auch vielleicht ein so armseliges Opfer wie ich es bin, nicht verschmähen. Aber Gottes Wille geschehe; ich habe mein Leben für ihre Seele in seine Hände gelegt. Und ach, beste, teuerste der Gebieterinnen,« rief sie aus, indem sie auf die Knie fiel und Agnes' Hände mit ihren Thränen benetzte, »stelle dich nicht zwischen mich und meinen Lohn.«
»Du hast gesiegt, Schwester Syra, o, nenne mich niemals wieder Gebieterin,« sagte Agnes. »Bleibe auf deinem Platze. Eine so selbstlose, großmütige Tugend muß triumphieren. Sie ist zu erhaben für eine so bescheidene Sphäre, wie mein Haushalt es ist.«
»Und ich,« fiel hier Cäcilia mit einem Blick voll schelmischen Ernstes ein, »ich muß sagen, daß sie heute Abend etwas böses, eine große Lüge ausgesprochen hat.«
»Was war das, mein Liebling?« fragte Syra lachend.
»Nun, du sagtest, daß ich besser und klüger sei als du, weil ich mich weigerte, irgend eine unbedeutende Delikatesse zu essen, welche meinen Gaumen für wenige Minuten gekitzelt haben würde, auf Kosten einer unerlaubten Gier. Und du hast Freiheit, Glück, die ungehinderte Ausübung deiner Religion aufgegeben, du willst sogar dein Leben zum Opfer bringen, um die Seele eines Wesens zu erlösen, das dein Tyrann, dein Quälgeist! O pfui, wie konntest du mir so etwas sagen!«
Jetzt verkündete der Thürhüter, daß Agnes' Sänfte am Eingange warte. Und jeder, der den liebevollen Abschied dieser drei voneinander – der vornehmen Dame, der Sklavin und der Bettlerin hätte mit ansehen können, würde mit Recht ausgerufen haben, wie so mancher es schon vorher gethan: »O seht doch, wie diese Christen sich untereinander lieben!«