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Die denkwürdige Verschwörung, welche die schwarze Sklavin dem Corvinus verriet, war eine, der wir schon in dem Gespräch zwischen Fulvius und seinem Hüter Erwähnung gethan haben. Die arglosen Eingeständnisse der blinden Märtyrerin hatten ihm die Überzeugung verschafft, daß Agnes Christin sei, und er glaubte jetzt zwei Mittel zugleich in der Hand zu haben. Entweder konnte er sie zu einer Heirat mit sich zwingen, oder er konnte sie vernichten und durch die Konfiskation einen guten Anteil ihres Vermögens für sich erlangen. Die Schmähreden und Anstachelungen des Eurotas hatten ihn für diese zweite Alternative bestimmt; aber da er daran zweifelte, daß er eine zweite Zusammenkunft von ihr erlangen würde, schrieb er ihr einen achtungsvollen aber dringenden Brief, welcher ihr von seiner uneigennützigen Liebe sprach und sie beschwor, seine Werbung anzunehmen. Nur ganz zu Ende ließ er einen leisen Wink einfließen, daß er möglicherweise gezwungen werden könne, ihr gegenüber einen anderen Weg einzuschlagen, wenn demütige Bitten nichts fruchten sollten.
Auf dieses Ansuchen erhielt er eine feine, wohlerzogene aber bestimmte abschlägige Antwort; eine feste endgültige und hoffnungslose Zurückweisung. Aber noch mehr; der Brief sagte in klaren Ausdrücken, daß die Schreiberin bereits dem reinen, fleckenlosen Lamme verlobt sei und von keinem irdischen Wesen die Versicherung irdischer Liebe entgegennehmen dürfe. Diese Abweisung stählte sein Herz gegen das Mitleid; aber er beschloß vorsichtig zu handeln.
Inzwischen faßte Fabiola, welche Sebastianus' Entschluß, nicht zu fliehen, sah, den romantischen Gedanken, ihn gegen seinen eigenen Willen zu retten, indem sie seine Begnadigung vom Kaiser erflehte und erlangte. Sie kannte nicht die Abgründe der Schlechtigkeit in den Herzen der Menschen. Sie glaubte wohl, daß der Herrscher für einige Augenblicke toben würde, aber sie hielt es nicht für möglich, daß er einen Mann, einen mutigen, tapferen Soldaten zweimal zum Tode verdammen könne. Ein wenig Gnade und Erbarmen müsse noch in seinem Herzen wohnen, meinte sie; und diese sollten ihre flehentlichen Bitten und ihre Thränen an die Oberfläche locken, wie die Hitze den Balsam aus hartem Holze zieht. Deshalb schickte sie dem Kaiser ein Gesuch um Audienz, und da sie die Habgier dieses Mannes kannte, bat sie, ihm zugleich ein Zeichen ihrer eigenen und ihres verstorbenen Vaters echter Unterthanentreue überreichen zu dürfen. Dieses bestand in einem Ringe, der mit Edelsteinen von seltener Schönheit und ungeheurem Werte besetzt war. Das Geschenk wurde angenommen; aber man ließ ihr einfach den Bescheid zukommen, zusammen mit anderen Bittstellern ihr Gesuch am zwanzigsten des Monats im Palatin zu überreichen und am Fuße der großen Treppe auf das Erscheinen des Kaisers zu warten, wenn er sich zu den Opfern begebe. Wenig ermutigend wie diese Antwort war, beschloß sie dennoch alles zu wagen und ihr bestes zu thun.
Der bestimmte Tag kam. Fabiola, die sowohl als Bittstellerin wie als um ihren Vater Trauernde, schwarze Gewänder trug, nahm ihren Platz in den Reihen viel unglücklicherer Wesen als sie selbst war, ein; es waren Mütter, Kinder, Schwestern, welche Gnadengesuche für ihre Teuersten überreichen wollten, die jetzt in Kerkern und Bergwerken schmachteten. Sie fühlte die leise Hoffnung, welche sie noch gehegt hatte, bei dem Anblick von so vielem und grenzenlosem Unglück, das zu unermeßlich war, als daß ihm abgeholfen hätte werden können, in sich ersterben. Aber auch der letzte Funke erlosch bei jedem Schritt, welchen der Tyrann auf den marmornen Stufen that, obgleich sie ihren Brillantring an seiner rohen Hand funkeln sah. Denn auf jeder Stufe riß er einem unglücklichen, demütig Bittenden ein Papier aus der Hand, blickte einen Augenblick verächtlich hinein und zerriß es dann oder schleuderte es zu Boden. Nur hier und da gab er eine der Schriften seinem Sekretär, einem Manne, der kaum weniger tyrannisch und herrisch aussah als er selbst.
Jetzt war beinahe schon die Reihe an Fabiola; der Kaiser war nur noch zwei Stufen von ihr entfernt, und ihr Herz pochte heftig, nicht aus Furcht vor Menschen, sondern aus Besorgnis um Sebastianus' Schicksal. Sie würde gebetet haben, wenn sie gewußt hätte wie oder zu wem. Maximian streckte die Hand aus, um ein ihm dargebotenes Bittgesuch zu nehmen, als er zurückfuhr und sich umwandte, denn er hörte, wie jemand sehr gebieterisch seinen Namen rief. Auch Fabiola blickte auf, denn sie kannte die Stimme.
Ihr gegenüber, hoch oben in der weißen Marmorwand hatte sie ein geöffnetes Fenster bemerkt, welches von gelbem Marmor eingerahmt war; es gab einem rückwärtigen Korridor, welcher zu den Gemächern der Irene führte, das Licht. Jetzt blickte sie durch die Stimme geleitet hinauf und in der dunklen Umrahmung des Fensters bot sich ihr ein furchtbares, aber schönes Bild dar. Es war Sebastianus, bleich und mager, welcher dort ruhig und fest mit vergeistigten Zügen, als sei er keiner Leidenschaft oder heftigen Empfindung mehr fähig, vor ihnen stand; aus der leichten Hülle, welche er um sich geworfen hatte, sahen seine zerrissene Brust und seine wunden Arme hervor. Er hatte die bekannten Trompetentöne gehört, welche ihm das Nahen des Kaisers verkündeten, hatte sich langsam von seinem Schmerzenslager erhoben und war bis an das Fenster gekrochen, um ihn zu begrüßen.Siehe die Akten des heiligen Sebastianus.
»Maximian!« rief er mit hohler aber deutlicher Stimme.
»Wer bist du, Bursche, daß du den Namen deines Kaisers so frei auszusprechen wagst?« schrie der Tyrann indem er sich zu ihm wandte.
»Ich komme wie ein von den Toten Auferstandener, um dir zu sagen, daß der Tag des Zorns und der Rache schnell herannaht. Du hast das Blut der Heiligen Gottes auf dem Pflaster dieser Stadt vergossen; du hast ihre heiligen Leiber in den Fluß geworfen oder sie auf die Düngerhaufen vor den Thoren der Stadt schleudern lassen. Du hast die Tempel Gottes verwüstet und Seine Altäre geschändet und das Erbteil Seiner Armen geraubt. Um dieser und deiner anderen schändlichen Verbrechen und deiner Abgötterei, deiner Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen, deiner Habgier und deines Hochmuts willen hat Gott dich gerichtet und Sein Zorn wird dich gar bald treffen. Du sollst den Tod der Gewaltthätigen sterben, und Gott wird Seiner Kirche einen Kaiser nach Seinem Herzen geben. Und dein Andenken wird in der ganzen Welt verflucht sein bis an das Ende aller Zeiten. Bekehre dich und thue Buße so lange es noch Zeit ist, gottloser Mann; flehe den allmächtigen Gott um Verzeihung an, im Namen seines Sohnes des Gekreuzigten, den du bis auf diesen Tag verfolgt hast.«
Tiefes Schweigen herrschte, während diese Worte voll und klar gesprochen wurden. Der Kaiser schien unter dem Eindruck eines lähmenden Schreckens zu stehen; denn Sebastianus alsbald wieder erkennend, war es ihm, als stände er einem Toten gegenüber. Nachdem er aber bald sich und seinen Zorn wiedergefunden hatte, schrie er:
»Ho! ihr Burschen dort! Geht hinauf und bringt ihn her!« (Er hatte nicht den Mut, seinen Namen auszusprechen). »Hyphax, hierher! Wo ist Hyphax? Ich sah ihn doch soeben noch!«
Aber der Mohr hatte Sebastianus längst erkannt und war in sein Quartier geflohen.
»Ha! er ist fort, wie ich sehe! Also du Tölpel dort! Wie heißt du doch?« (sich zu Corvinus wendend, welcher seinen Vater begleitete) »geh fort nach dem Hofe der Numidier und befiehl dem Hyphax, augenblicklich vor mir zu erscheinen!«
Mit schwerem Herzen machte Corvinus sich auf den Weg, um den gegebenen Befehl auszuführen. Hyphax hatte bereits erzählt, was sich zugetragen und seine Leute zur Verteidigung aufgestellt. Nur ein Zugang am Ende des Hofes war offen gelassen, und als der Bote diesen erreicht, hatte er nicht den Mut, weiter hinein zu gehen. Fünfzig Männer standen an jeder Langseite des Raumes entlang mit Hyphax und Jubala an den entgegengesetzten Enden. Ruhig und unbeweglich mit nackter Brust und entblößten Armen, den Bogen gespannt, den Pfeil aufgelegt und nach der Thür gerichtet – so standen sie da und sahen aus wie eine Allee von Basaltstatuen, welche zu einem ägyptischen Tempel führt.
»Hyphax,« sagte Corvinus mit bebender Stimme, »der Kaiser schickt mich, um dich zu holen.« »Sag Seiner kaiserlichen Majestät in aller Untertänigkeit von mir, daß meine Leute geschworen haben, kein Mensch solle über jene Schwelle hinaus- oder hineingehen, ohne in seinen Rücken oder seine Brust oder in sein Herz hundert Pfeile zu bekommen,« antwortete der Afrikaner, »wenn uns der Kaiser nicht zuvor ein Zeichen seiner Vergebung für jedes Vergehen schickt.«
Corvinus eilte mit dieser Meldung zurück, und der Kaiser nahm sie mit lautem Lachen entgegen. Die Scharfschützen waren Leute, mit denen er keinen Streit heraufbeschwören durfte; denn er verließ sich auf sie in der Schlacht und bei jeder Revolte, weil sie geschickt auf die feindlichen Anführer zu zielen verstanden.
»Die schlauen Schurken!« rief er aus. »Hier trage diesen Flitterkram dem schwarzen Weibe des Hyphax hin.«
Und damit gab er ihm Fabiolas kostbaren Ring.
Corvinus lief wiederum zurück, überbrachte die gnädige Botschaft und warf den Ring hinüber. In einem Augenblick erschlaffte jeder Bogen, und jeder Pfeil fiel zur Erde. Jubala sprang entzückt vorwärts und fing den Ring auf. Ein schwerer Schlag von der Faust ihres Gatten streckte sie zu Boden; ein jubelnder Beifall brach los. Der Wilde nahm den Edelstein, und das Weib erhob sich. Jetzt begann die frühere Sklavin zu fürchten, daß sie die eine Knechtschaft nur gegen eine andere und schlimmere eingetauscht habe.
Hyphax verschanzte sich hinter dem kaiserlichen Befehl.
»Wenn du uns gestattet hättest, ihm einen Pfeil durch den Kopf oder das Herz zu senden, so wäre alles gut abgelaufen,« sagte er. »Auf diese Weise aber sind nicht wir verantwortlich.«
»Auf jeden Fall werde ich selbst dieses Mal zugegen sein, um darauf zu sehen, daß meine Befehle ordentlich ausgeführt werden,« sagte Maximian. »Ihr beiden Burschen mit den Keulen, tretet heran!«
Zwei der ihn begleitenden Folterknechte traten aus dem Hintergrunde hervor; auch Sebastianus, welcher kaum aufrecht stehen konnte, war inzwischen herbeigeschleppt worden. Ruhig, milde und furchtlos stand er da.
»Hört mich, ihr Leute,« sagte der Barbar, »ich will kein Blut auf dieser Treppe vergossen sehen: treibt ihm also das Leben mit euren Keulen aus; macht die Sache schnell ab! – Edle Dame, gebt Eure Bittschrift« – sagte er zu Fabiola, welche er erkannt hatte und deshalb achtungsvoller behandelte, indem er die Hand nach ihrem Gnadengesuche ausstreckte.
Sie war entsetzt und verzweifelt; eine Ohnmacht wandelte sie an bei dem Bilde, das sich ihr darbot. Dann sagte sie fast unhörbar:
»Kaiserlicher Herr, ich fürchte, es ist zu spät!«
»Wie! zu spät?« fragte er auf das Papier blickend. Plötzlich flammte sein Auge zornig auf und er sagte: »Was! Elende! du wußtest, daß Sebastianus noch am Leben? Bist du eine Christin?«
»Nein, Herr,« erwiderte sie. Weshalb verdorrte diese Verneinung ihr fast die Kehle? Und wenn es ihr Leben gekostet, so hätte sie nicht vermocht, zu sagen, daß sie etwas anderes sei. O Fabiola, dein Tag ist nicht mehr fern!
»Aber wie du soeben sagtest – ich fürchte, es ist zu spät,« sagte der Kaiser wieder ruhiger geworden, indem er ihr die Bittschrift zurückgab. »Ich glaube, jener Schlag ist der ictus gratiosus gewesen.«Der coup de grace, der Schlag, durch welchen »den Schmerzen der Verbrecher ein Ende gemacht wurde«. Das Zerbrechen der Beine der Gekreuzigten wurde ebenfalls als ictus gratiosus angesehen.
»Ich werde ohnmächtig, kaiserlicher Herr,« sagte sie ehrerbietig, »darf ich mich zurückziehen?«
»Gewiß. Aber ich darf nicht vergessen, dir für den prächtigen Ring zu danken, welchen du mir gesandt hast, und den ich soeben dem Weibe des Hyphax (noch vor kurzem ihre eigene Sklavin!) geschenkt habe. Er wird an einer schwarzen Hand noch besser glänzen als an der meinen! Gehab dich wohl!«
Und mit einem boshaften Lächeln warf er ihr eine Kußhand zu, als läge dort nicht der Körper eines Märtyrers, der Zeugenschaft gegen ihn ablegen würde. Er hatte recht gehabt. Ein schwerer Schlag auf den Kopf war der verhängnisvoll entscheidende gewesen, und Sebastianus war bereits dort, wohin er sich so innig gesehnt hatte. Er nahm eine doppelte Palme mit sich hinauf und erhielt dafür eine zwiefache Krone. Und doch war es ein schimpfliches Ende in den Augen der Welt! Ohne Umstände totgeschlagen, während der Kaiser im Gespräch begriffen war! Aber welch ein Martyrium liegt in diesem Schimpf! Wehe uns, wenn wir wissen, daß unser Leiden uns Ehre einträgt!
Als der Tyrann das Werk vollendet sah, befahl er, daß Sebastianus nicht in die Tiber noch auf einen Düngerhaufen geworfen werden solle.
»Hängt hinreichend Gewichte an seinen Körper,« sagte er, »und werft ihn in die Cloaca,Der große Abzugskanal von Rom. daß er dort verfaule und Würmerfraß werde. Die Christen sollen ihn wenigstens nicht haben.«
Dies geschah, und die Akten der Heiligen berichten uns, daß er in der folgenden Nacht der heiligen Matrone Lucina erschienen sei und ihr mitgeteilt habe, wo seine Überreste zu finden seien. Sie gehorchte seinem Befehl, und er wurde mit allen Ehren dort beigesetzt, wo sich heute seine Basilika erhebt.