Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Einundzwanzigstes Kapitel

Das Gefängnis

Wenn ein Christ unserer Zeit wirklich wissen will, was seine Vorfahren während jener drei Jahrhunderte der Verfolgung für den Glauben gelitten haben, so raten wir ihm, nicht allein die Katakomben zu besuchen, wie wir es mit ihm gethan haben, und auf diese Art zu erfahren, welch ein Leben sie zu führen gezwungen waren, sondern wir empfehlen ihm jene unvergänglichen Aufzeichnungen zu lesen, die »Akten der Märtyrer«, welche ihn darüber belehren werden, wie sie den Tod erlitten. Wir kennen nichts Geschriebenes, das so rührend, so zart, so tröstend wäre, das uns so viel Kraft zu glauben und zu hoffen einflößt, das uns so nach Gottes Wort leben lehrt, wie jene ehrwürdige Denkschrift. Und wenn unser Leser, so beraten, nicht die Muße hat, viel über diesen Gegenstand zu lesen, so möchten wir ihn gern auf eine Probe beschränken, nämlich auf die authentische Geschichte der heiligen Perpetua und der heiligen Felicitas. Es ist wahr, daß es am besten ist, wenn der Gelehrte sie in ihrem einfachen, afrikanischen Latein liest; aber wir hoffen, daß irgend jemand uns bald eine würdige Übersetzung von diesem und einigen ähnlichen christlichen Dokumenten aus jener Zeit liefern wird. Die, welche wir hier ausgewählt haben, sind dieselben, welche dem heiligen Augustinus bekannt waren, und man kann sie nicht ohne Rührung lesen. Wenn der Leser die krankhafte Empfindsamkeit und die überreizte Erregung, welche ein moderner französischer Schriftsteller in dem imaginären Tagebuch, welches ein zum Tode verurteilter Verbrecher bis zur nahe bevorstehenden Hinrichtung führt, an den Tag legt, mit jenem natürlichen Pathos und der herrlichen Wahrhaftigkeit vergleicht, welche in der Erzählung von Vivia Perpetua, einer zarten Frau von einundzwanzig Jahren, vorherrscht, so wird er nicht zögern zu gestehen, daß die einfachen Erzählungen aus dem Christentum unendlich viel natürlicher und anmutiger sind als die kühnsten Erdichtungen der Romantik. Und wenn unsere Herzen traurig und unsere Seelen müde sind, oder wenn die kleinlichen Verfolgungen unserer Zeit unseren schwachen Geist geneigt machen zu murren, so können wir nichts besseres thun, als uns zu jener wirklich goldenen, weil wahren Legende, oder zu der Geschichte der edlen Märtyrer von Vienne oder Lyon, oder jenen vielen ähnlichen ebenfalls bekannten Dokumenten wenden, um unseren Mut durch die Betrachtung dessen, was Frauen und Kinder, Katechumen und Sklaven ohne zu murren für Christus gelitten haben, neu zu beleben. – Aber wir weichen von unserer Erzählung ab.

Pancratius wurde mit einigen zwanzig anderen gefesselt und zusammengekettet durch die Straßen Roms geführt und in das Gefängnis geschleppt. Während sie so, taumelnd und hilflos stolpernd, vorwärts getrieben wurden, schlugen die Wachen, welche sie führten, unbarmherzig auf sie ein, und jeder Mensch, welcher ihnen hinreichend nahe kam, um sie erreichen zu können, versetzte ihnen ohne Bedenken oder Gewissensbisse Schläge und Stöße. Die weiter Entfernten bewarfen sie mit Steinen oder Unrat, oder sie griffen sie mit den unzüchtigsten Schimpfreden an. Endlich erreichten sie das Gefängnis, wurden hineingeworfen und fanden dort bereits andere Opfer, sowohl Männer wie Frauen, welche ihrer Todesstunde warteten.

Der Jüngling hatte, als ihm Handschellen angelegt wurden, grade noch Zeit gefunden, einen seiner Häscher zu ersuchen, daß er seine Mutter und Sebastianus von dem Geschehenen in Kenntnis setze, und bei dieser Bitte drückte er dem Manne seine wohlgefüllte Börse in die Hand.

Ein Gefängnis im alten Rom war nicht der Ort, in welchen ein armer Mann um Aufnahme gebeten haben würde, weil er vielleicht gehofft hätte, dort bessere Kost und ein behaglicheres Unterkommen zu finden als in seinem eigenen armseligen Heim. Zwei oder drei dieser Löcher – denn sie sind nichts besseres – existieren noch heute, und eine kurze Beschreibung des oben erwähnten wird genügen, um dem Leser einen Begriff von dem zu geben, was ein Bekenner zu leiden hatte, selbst wenn er nicht zum Märtyrer wurde.

Es bestand aus zwei viereckigen unterirdischen Kammern, eine unter der anderen, mit nur einer runden Öffnung in der Mitte jeder Wölbung, durch welche allein das Licht, die Luft, Nahrung, andere Gegenstände und Menschen hineingelangen konnten. Wenn das obere Geschoß angefüllt war, so können wir uns leicht vorstellen, wieviel von den ersteren beiden in das untere gelangen konnte. Es gab keine andere Art und Weise der Ventilation, der Reinhaltung und des Zugangs. In den Wänden, welche aus großen Steinblöcken bestanden oder noch bestehen, sind große, eiserne Ringe befestigt, um die Gefangenen daran zu fesseln. Aber viele der Unglücklichen lagen auch auf der Erde, die Füße an den Klötzen befestigt; und die erfinderische Grausamkeit der Verfolger steigerte die Unbehaglichkeit des feuchten Steinbodens noch, indem sie das einzige Lager, welches die verstümmelten Glieder und die gekrümmten Rücken der gefolterten Christen hatten, mit Glas- und Thonscherben bestreuten. Daher haben wir in Afrika eine Anzahl von Märtyrern, an ihrer Spitze die heiligen Saturninus und Dativus, welche sämtlich ihren Leiden in den Gefängnissen erlagen. Und die Akten der Märtyrer von Lyon erzählen uns, daß viele der neu Ankommenden im Kerker ihren Entbehrungen und Qualen erlagen, bevor ihr Körper noch die Folterqualen erduldet hatte, während wieder andere, welche so grausam gefoltert in dasselbe zurückkehrten, daß ihre Wiederherstellung ganz unmöglich schien, ohne jede ärztliche oder andere Hilfe dort ihre Gesundheit wieder erlangten.

Zugleich aber auch erkauften sich die Christen den Zutritt in diese Wohnungen des körperlichen Leidens – doch nicht des Kummers – und lieferten alles, was unter solchen Umständen die Qualen lindern, und das zeitige wie geistige Wohl dieser hochverehrten und inniggeliebten Mitbrüder fördern konnte.

Die römische Justiz verlangte wenigstens die äußere Form einer Untersuchung, und daher wurden die christlichen Gefangenen aus ihren Kerkerlöchern vor das Tribunal geführt. Hier wurden sie einem Verhör unterworfen, von welchem sehr wertvolle Beispiele in den prokonsularischen Märtyrerakten ganz in derselben Fassung, wie der Sekretär oder Einschreiber des Gerichtshofes sie in die Annalen eintrug, aufbewahrt sind.

Als der Bischof von Lyon, Pothinus, damals in seinem neunzigsten Jahre gefragt wurde: »Wer ist der Gott der Christen?« da entgegnete er mit einfacher Würde: »Wenn du würdig sein wirst, wirst du es erkennen.»Si dignus fueris, cognosces.« Ruinart, S. 145.

Zuweilen auch pflegte der Richter sich auf eine Diskussion mit seinen Gefangenen einzulassen, und natürlich zog er stets den kürzeren dabei, obgleich jener selten weiter ging, als daß er einfach sein christliches Glaubensbekenntnis hersagte. Oft, wie in dem Falle eines Ptolomäus, welchen der heilige Justinus so schön erzählt, oder wie in jenem der heiligen Perpetua, begnügte er sich damit, die einfache Frage zu stellen: »Bist du ein Christ?« Und auf die bejahende Antwort verhängte er die Todesstrafe über den Angeklagten.

Pancratius und seine Gefährten standen vor dem Richter, denn es fehlten nur noch drei Tage bis zum munus oder jenen Spielen, bei welchen sie »mit den wilden Tieren kämpfen sollten.«

»Was bist du?« fragte er den Einen.

»Ich bin ein Christ, durch Gottes Gnade,« lautete die Antwort.

»Und wer bist du?« fragte der Präfekt den Rusticus.

»Ich bin in der That ein Sklave Cäsars,« entgegnete der Gefangene, »aber als ich Christ wurde, hat Christus selbst mich frei gemacht. Und durch seine Gnade und Barmherzigkeit bin ich derselben Gnade teilhaftig geworden wie jene, welche du hier vor dir siehst.«

Dann wandte sich der Richter an den Priester, Lucianus, ehrwürdig durch seine Jahre und seine Tugenden, und sprach folgendermaßen zu ihm:

»Komm, sei den Göttern und dem kaiserlichen Befehl gehorsam.«

»Niemand kann getadelt oder verdammt werden, welcher den Geboten des Herrn Jesus Christus gehorcht,« antwortete der alte, silberweiße Mann.

»Welche Studien und Wissenschaften treibst du?«

»Ich habe mich bemüht, jeder Wissenschaft Herr zu werden und habe es mit jedem Studium versucht. Aber schließlich wandte ich mich den Lehren des Christentums zu, wenn sie auch jenen nicht gefallen mögen, welche auf den Wegen verkehrter und falscher Ansichten einhergehen.«

»Unglücklicher! findest du Gefallen an jenen Lehren?«

»Den größten Gefallen! Denn ich folge der wahren Lehre der Christen.«

»Und welches ist jene Lehre?«

»Die wahre Lehre, welche wir Christen heilig halten, ist, an Einen Gott, den Schöpfer und Erhalter aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge zu glauben; und unsern Herrn und Heiland Jesus Christus, den Sohn Gottes, zu bekennen, welchen die Propheten von alters her verkündet haben, daß Er kommen werde, die Menschheit zu richten; und der da der Herr und Meister der Erlösung ist für jene, so unter ihm lernen wollen. Ich, ein armer, sündiger Mensch, bin in der That zu schwach und unbedeutend, um große Dinge von seiner unendlichen Gottheit sagen zu können. Dieses Amt gebührt nur den Propheten.«»Akten des heiligen Justinus.« Ruinart, S. 129.

»Mich dünkt, du bist ein guter Verbreiter der falschen Lehre für andere und verdienst, schwerer bestraft zu werden als die übrigen. Laßt diesen Lucianus im Stock gehalten werden; seine Füße spannt in das fünfte Loch.Dies wird für die denkbar weiteste Dehnung gehalten.

»Und ihr beiden Weiber dort! Wie ist euer Name und euer Stand?«

»Ich bin eine Christin, und Christus ist mein Bräutigam. Mein Name ist Secunda,« antwortete die eine.

»Und ich bin eine Witwe mit Namen Rufina. Ich habe denselben seligmachenden Glauben,« fuhr die andere fort.

Endlich, nachdem er viele ähnliche Fragen gestellt und ähnliche Antworten von allen anderen erhalten hatte, mit Ausnahme eines unglücklichen Mannes, welcher zum Kummer der anderen schwankte und sich dazu verstand, den Göttern wieder opfern zu wollen, wandte der Präfekt sich zu Pancratius und redete ihn folgendermaßen an:

»Und jetzt, übermütiger Jüngling, der du den Mut hattest, das Edikt der göttlichen Kaiser herabzureißen, selbst du sollst noch Gnade finden, wenn du dich bereit erklärst, den Göttern zu opfern. Zeige so deine Weisheit und deine kindliche Liebe zugleich, denn du bist ja noch ein sehr junger Bursche.«

Pancratius machte das Zeichen des Kreuzes und entgegnete sehr ruhig:

Ich bin der Diener Christi. Ihn bekenne ich mit den Lippen, ihn trage ich in meinem Herzen, ihn bete ich an in Ewigkeit. Die Jugend, welche du in mir verspottest, hat die Weisheit eines grauen Hauptes, wenn sie nur einen Gott verehrt. Aber eure Götter samt denen, welche sie anbeten, sind dem ewigen Verderben geweiht!«

»Schlagt ihn auf den Mund für seine Lästerungen und peitscht ihn mit Ruten!« schrie der erzürnte Richter.

»Ich danke dir,« entgegnete der edle Jüngling sanft, »daß du mich dieselbe Strafe erdulden läßt, welche mein Heiland leiden mußte.«

Dann sprach der Richter das Urteil in der gewöhnlichen Form:

»Wir befehlen, daß Lucianus, Pancratius, Rusticus und andere, und die Frauen Secunda und Rufina, welche sämtlich eingestanden haben, daß sie Christen sind und sich weigern, dem heiligen Kaiser zu gehorchen und die Götter Roms anzubeten, den wilden Tieren im Amphitheater des Flavian preisgegeben werden.«

Der Pöbel heulte vor Freude und Haß und begleitete die mutigen Bekenner ihres Glaubens mit dieser Musik ins Gefängnis zurück; nach und nach aber hielt die Würde ihrer Haltung und die strahlende Ruhe, welche auf ihren Zügen lagerte, den Volkshaufen in Furcht. Einige Männer behaupteten sogar, sie hätten bemerkt, wie eine zarte, duftige Atmosphäre einige der Gefangenen umgeben habe


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