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Die Scenen, welche wir bis jetzt unserem Leser vorgeführt haben, fielen in die Zeit eines jener unsicheren Waffenstillstände, die man nicht Frieden nennen kann und welche die Pause zwischen einer Christenverfolgung und der darauffolgenden ausfüllte. Schon haben Kriegsgerüchte unseren Pfad gekreuzt, und das Brandzeichen ist überall aufgepflanzt, das Gebrüll der Löwen in der Nähe des Amphitheaters, durch welches Sebastianus überrascht, aber nicht erschreckt wurde – die Gerüchte aus dem Osten – die Winke des Fulvius und die Drohungen des Corvinus: alles hat uns dieselbe Nachricht gebracht, daß die Schrecken der Christenverfolgung binnen kurzem wieder erstehen werden, und daß das Blut der Christen fließen muß, fließen in einem volleren und edleren Strom, als er bis jetzt das Paradies des »Neuen Bundes« bespült hat. Die Kirche, immer ruhig und vorsichtig, kann die vielen Zeichen eines drohenden Kampfes nicht nachlässig übersehen und muß Vorbereitungen treffen, ihm zu begegnen. Von dem Augenblick an, wo sie im Ernst beginnt, sich zu rüsten, datieren wir den zweiten Teil unserer Erzählung. Es ist der Anfang des Kampfes.
Es war gegen Ende Oktober, als man einen jungen Mann, welcher uns nicht unbekannt ist, fest in seinen Mantel gewickelt – denn es war sehr rauh und kalt und düster – seinen Weg durch die engen Gassen und Gäßchen in jenem Distrikt suchen sah, welchen man Suburra nannte; eine Gegend, deren genaue Ausdehnung und Lage noch heute ein Gegenstand des Streites ist, welche jedoch in der nächsten Nähe des Forums lag. Da das Laster nur zu oft ein Begleiter der Armut ist, so fanden diese beiden hier ein gemeinsames Asyl. Pancratius schien in diesem Teil der Stadt nicht sehr heimisch; er machte unterschiedliche verkehrte Wendungen, bis er endlich die Straße fand, welche er suchte. Trotzdem war das Haus, welches er suchte – die Häuser trugen keine Nummern an den Thüren – ein ungelöstes Rätsel, wenngleich kein ganz unlösbares. Er blickte umher, um das sauberste Gebäude in der Straße zu finden, und da ihm die Reinlichkeit und das ordentliche Aussehen eines Hauses vor allen anderen auffiel, so trat er an dasselbe heran und klopfte mutig an dessen Thür. Ein alter Mann, Diogenes, dessen in unserer Erzählung bereits Erwähnung gethan wurde, öffnete ihm das Thor. Er war groß und breitschultrig, als sei er daran gewöhnt, große Lasten zu tragen, die ihm jedoch den Rücken vorzeitig gebeugt hatten. Sein Haar war silberweiß und wallte zu den Seiten eines massiven Kopfes herab; sein Antlitz trug scharf markierte, melancholische Züge, und obgleich der Ausdruck desselben ruhig war, so zeigte es doch den Stempel einer unendlichen Traurigkeit. Er sah aus wie einer, der viel unter Toten gelebt hatte und sich in ihrer Gesellschaft am glücklichsten fühlte. Seine beiden Söhne, Majus und Severus, schöne, athletisch gebaute Jünglinge, waren bei ihm. Ersterer war damit beschäftigt, ein kunstloses Epitaph auf eine alte Marmorplatte zu gravieren oder vielmehr zu kratzen, deren Rückseite noch die Spuren einer heidnischen Grabschrift trug, welche der jetzige Besitzer oberflächlich auszulöschen versucht hatte. Pancratius sah die Arbeit an und lächelte. Kaum ein einziges Wort war richtig geschrieben, noch war der kleinste Satz korrekt. Hier führen wir sie an:
DE BIANOBA
POLLECLA QUE ORDEV BENDET DE BIANOBA
De via nova – Pollecla, quae horodeum vendit ds via nova. »Aus der neuen Straße. Pollecla, welche Gerste in der neuen Straße verkauft.« Gefunden auf dem Cömeterium des Callistus.
Der zweite Sohn machte eine ungeschickte Zeichnung, auf welcher man sah, wie Jonas vom Walfisch verschlungen und Lazarus von den Toten auferweckt wurde; beide waren in der herkömmlichen Weise mit schwarzer Kreide auf ein Brett gezeichnet, eine Skizze, die augenscheinlich für ein dauerhafteres Gemälde an einem anderen Orte ausgeführt worden. Außerdem war ersichtlich, daß der alte Diogenes gerade damit beschäftigt gewesen, einen neuen Stiel für eine alte Axt herzurichten, als das Klopfen ihn in seiner Arbeit gestört hatte. Diese verschiedenen Beschäftigungen der Mitglieder einer und derselben Familie würden einen Besucher von heutzutage vielleicht in Erstaunen versetzt haben; unseren jungen Freund überraschten sie durchaus gar nicht; er wußte sehr wohl, daß die Familie zu dem ehrenwerten und frommen Handwerke der Fossorses oder Totengräber auf den christlichen Begräbnisplätzen gehörte. In der That war Diogenes das Haupt und der Vorsteher dieser Brüderschaft. In Übereinstimmung mit der Versicherung eines unbekannten Schriftstellers, eines Zeitgenossen des heiligen Hieronymus, haben einige neuere Altertumsforscher die Fossorses für einen niederen geistlichen Orden der alten Kirche gehalten, gleich den lectores oder Vorlesern. Aber obgleich diese Ansicht unhaltbar, ist es außerordentlich wahrscheinlich, daß die Pflichten dieses Amtes den Händen von Personen anvertraut waren, welche von einer kirchlichen Autorität eingesetzt und anerkannt wurden. Das gleichmäßige System, welches im graben, ordnen und belegen der zahlreichen Begräbnisplätze um Rom befolgt wurde, ein System, welches von allem Anfang an so vollkommen war, daß es im Laufe der Zeit gar keine positiven Zeichen von Veränderung oder Verbesserung hinterlassen hat, giebt uns alle Ursache zu schließen, daß diese bewundernswerten und ehrwürdigen Arbeiten unter einer Leitung und wahrscheinlich unter derjenigen einer Brüderschaft, welche sich zu diesem Zwecke gebildet hatte, ausgeführt wurden. Es war nicht eine Begräbnisplatz- oder Nekropolisgesellschaft, welche eine Spekulation daraus machte, die Toten zu begraben, sondern eine fromme und anerkannte Brüderschaft, welche sich zu diesem Zwecke verbunden hatte.
Eine Reihe von interessanten Inschriften, welche auf dem Cömeterium der heiligen Agnes gefunden wurden, giebt Zeugnis davon, daß das Gewerbe der Fossores in besonderen Familien erblich war, da Großvater, Vater und Söhne es an demselben Orte ausgeführt hatten. Wir können daher die große Geschicklichkeit und Übereinstimmung in der Ausführung der Arbeiten in den Katakomben begreifen. Aber die Fossores hatten augenscheinlich ein höheres Amt oder sogar eine Art von Gerichtsbarkeit in jener unterirdischen Welt. Obgleich die Kirche dafür sorgte, daß jedes ihrer Kinder einen Begräbnisplatz fand, so war es doch natürlich, daß einige für ihre Grabstätte eine Entschädigung zahlen mußten, wenn dieselben einen besonders begehrten Platz, wie es zum Beispiel die Nähe eines Märtyrergrabes war, wählten. Jene Totengräber hatten die Führung solcher Transaktionen, deren man in alten Cömeterien noch häufig Erwähnung gethan findet.
Folgende Inschrift wird auf dem Kapitol bewahrt:
EMPTU LOCUM AB ARTEMISIUM VISOMVM HOC EST
ET PRAETIUM DATUM FOSSORI HILARO IDEST
FOL NOOD PRAESENTIA SEVERI FOSS ET LAVRENTI.
Emptus locus ab Artemiso bisomus hic est, et pretium datum fossori Hilaro, id est follos ... in praesentia Severi Fossoris et Laurentii.
Das heißt:
»Das ist das Grab für zwei Tote, gekauft von Artemisius, und der Preis wurde dem Totengräber Hilarus gezahlt – dieser ist... Beutel –Der Preis ist unglücklicherweise unleserlich. in Gegenwart von Severus, dem Fossor und Laurentius.«
Möglicherweise war der Zuletztgenannte der Zeuge auf des Käufers Seite und Severus auf jener des Verkäufers. Wie dem auch sein mag, so glauben wir, daß wir dem Leser alles, was über die Profession des Diogenes und seiner Söhne bekannt ist, gesagt haben.
Wir verließen den Pancratius im höchsten Grade belustigt über Majus' ungeschickte Versuche in der Steinschneidekunst. Gleich darauf wandte er sich ihm zu und sprach:
»Führst du diese Versuche stets selbst aus?«
»O nein,« entgegnete der Künstler, indem er aufblickte und lächelte, »ich mache sie nur für arme Leute, welche nicht die Mittel haben, einen geschickteren Arbeiter zu bezahlen. Diese hier war eine gute Frau, welche einen kleinen Laden in der Vianova hatte, und Ihr mögt glauben, daß sie nicht reich geworden ist, besonders da sie ehrlich war. Und doch kam mir ein seltsamer Gedanke, als ich ihr Epitaph einschnitt.«
»Laß mich ihn hören, Majus.«
»Nun, ich dachte, daß vielleicht nach vielen tausend Jahren oder noch später, Christen mit Andacht meine armselige Kritzelei an der Wand lesen und von der armen, alten Pollecla und ihrem Gerstenstand mit Interesse hören könnten, während nicht eine einzige prächtige Grabschrift jener Kaiser, welche die Kirche verfolgten, gelesen oder auch nur mehr bekannt sein wird.«
»Nein, ich kann mir doch kaum vorstellen, daß die prächtigen Mausoleen der Herrscher vollständig in Trümmer sinken und der Vergessenheit anheimfallen werden, während das Gedächtnis einer armen Händlerin durch jenen rohen Stein noch nach Jahrtausenden fortleben wird. – Aber sag mir was gab dir jenen Gedanken?«
»Das ist sehr einfach. Ich möchte der Nachwelt lieber das Andenken an die frommen Armen als an die bösen Reichen und Großen erhalten. Und meine einfache Gedenktafel wird vielleicht noch gelesen, wenn alle Triumphbogen unseres Reiches zerstört sind. Sie ist aber schrecklich geschrieben, nicht wahr?«
»Laß dich das nicht kümmern. Ihre Einfachheit ist mehr wert, als die schönste Schrift. Was für eine Platte ist das, die dort an die Wand gelehnt steht?«
»Ach, das ist eine wunderschöne Inschrift, die man uns zum Aufstellen gebracht hat. Ihr werdet sehen, der Schreiber und der Steinschneider waren nicht ein und dieselbe Person. Sie soll nach dem Cömeterium bei der Villa der edlen Agnes gebracht werden, am Wege von Numantia. Ich glaube, sie ist zum Gedächtnis eines süßen Kindes, dessen Tod von seinen tugendhaften Eltern tief empfunden wird.«
Pancratius nahm ein Licht, ging an die Platte und las folgendes:
»Teures, glückliches Kind!« fuhr Pancratius fort, als er die Inschrift gelesen hatte, »schließ auch mich, den Leser, mit dem Schreiber und dem Steinschneider deiner Grabschrift in dein heiliges Gebet ein.«
»Amen!« sagte die fromme Familie.
Ein eigentümlicher heiserer Laut in Diogenes' Stimme ließ Pancratius sich umkehren und jetzt gewahrte er, wie der alte Mann mit Anstrengung versuchte, das Ende eines kleinen Keils, welchen er in das obere Ende des Stiels der Axt getrieben hatte, damit dieser fest am Eisen hafte, abzuschneiden. Aber jeden Augenblick schien irgend etwas die Klarheit seines Blickes zu trüben, und er fuhr sich fortwährend mit dem Rücken seiner rauhen, gebräunten Hand über die Augen.
»Was ist's, mein guter, alter Freund?« fragte der Jüngling freundlich. »Weshalb ergreift dich die Grabschrift des jungen Dionysius so ganz besonders?«
»Sie ergreift mich nicht um ihrer selbst willen, aber sie erinnert mich an so vieles, das vergangen ist und regt so vieles an, was noch geschehen kann, daß ich fast zittre, wenn ich an beides denke.«
»Und welcher Art sind deine trüben Gedanken, Diogenes?«
»Nun, seht Ihr, es ist eine einfache Sache, ein gutes Kind wie Dionysius, das in seine einbalsamierte Leinewand gehüllt ist und nach Weihrauch duftet, in seine Arme zu nehmen und in sein kleines Grab zu legen. Seine Eltern mögen weinen, aber sein Übergang vom Leid zur Freude war leicht und süß. Aber es ist etwas ganz anderes und erfordert ein Herz wie meins, das durch die lange Übung so hart geworden ist (hier, strich er wiederum mit der Hand über die Augen), wenn man in aller Eile das zerrissene Fleisch und die gebrochenen Glieder eines anderen Jünglings zusammenraffen, sie schnell in ihr Leichentuch hüllen, sie dann in ein anderes Tuch voll Kalk, anstatt in ein balsamduftendes Bahrtuch wickeln und dann jäh in ihr Grab werfen muß.In dem Cömeterium der heiligen Agnes hat man in Gräbern Kalkstücke gefunden, in welchen ganze Körperteile abgemodelt erschienen, mit dem Abdruck eines feinen Linnens auf der Innenseite, eines gröberen auf der Außenseite. In Bezug auf Balsam und Spezereien bemerkt Tertullian, daß die Araber und Sabäer wohl wüßten, daß die Christen davon für ihre Toten in einem Jahre mehr gebrauchten, als die ganze heidnische Welt für ihre Götter. O wie ganz anders möchte man die Leiche eines Märtyrers behandeln!«
»Das ist wahr, Diogenes, aber ein tapferer Kämpfer zieht das einfache Soldatengrab auf dem Schlachtfelde dem kostbar gemeißelten Sarkophag auf der Via Appia vor. Aber sind denn solche Dinge, wie du sie soeben beschrieben, in den Zeiten der Verfolgungen häufig?«
»Sie sind durchaus nicht ungewöhnlich, mein guter, junger Gebieter. Ich bin gewiß, daß ein frommer Jüngling wie Ihr, das Grab des Restitutus in dem Cömeterium des Hermes an seinem Todestage besucht hat.«
»In der That habe ich das gethan, und ich muß gestehen, daß ich ihn oft fast um sein frühes Märtyrertum beneidet habe. Hast du ihn begraben?«
»Ja, und seine Eltern ließen ihm ein prächtiges Denkmal errichten, das arcosolium seiner Krypte.Dieser Ausdruck wird später erklärt. Mein Vater und ich machten es aus sechs Marmorplatten, welche wir in aller Eile zusammengetragen hatten, und ich grub die Inschrift, welche jetzt daneben steht. Ich glaube, daß ich ein besserer Steinschneider war als Majus dort,« fügte der alte Mann hinzu, welcher jetzt seine alte Heiterkeit wiedergewonnen hatte.
»Das will nicht viel bedeuten, guter Vater,« entgegnete sein Sohn ebenfalls lächelnd, »aber hier ist die Kopie jener Inschrift, die du gemacht,« fügte er hinzu, indem er ein Pergament aus einem ganzen Haufen Papiere hervorzog.
»Ich erinnere mich ihrer vollkommen,« sagte Pancratius, indem er sie durchflog; dann las er sie laut und verbesserte die Fehler der Orthographie, wenn auch nicht die der Grammatik.
AELIO FABIO RESTVTO FILIO PIISSIMO PARI N TES FECERVNT QVIVI XIT ANNI . S XVIII MENS VII INIRENE. |
»Dem Aelius Fabius Restitutus, ihrem frömmsten Sohne, errichteten seine Eltern dieses Grab. Welcher achtzehn Jahre und sieben Monate lebte. In Frieden.«Aelio Fabio Restituto, filio piissimo, parentes fecerunt. Qui vixit annis XVIII mensibus VII. In irene.
Er fuhr fort: »Welch ein herrlicher Jüngling, daß er sich schon in so jungen Jahren zu Christus bekannt hat!«
»Ohne Zweifel,« erwiderte der alte Mann, »aber ich vermute, daß Ihr stets geglaubt habt, sein Körper ruhe allein in dieser Grabstätte. Der Inschrift nach muß jedermann dies glauben.«
»Gewiß habe ich dies immer vermutet. Verhält es sich denn nicht so?«
»Nein, edler Pancratius, er hat einen Gefährten, der jünger ist als er selbst und mit ihm die letzte Ruhestätte teilt. Als wir das Grab des Restitutus schlossen, brachte man uns die Leiche eines Knaben, der nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen sein mochte. O! ich werde jenen Anblick niemals vergessen! Er hatte auf dem Rost gelegen, und sein Kopf, der Leib, kurz alle Glieder bis zu den Knieen hinab waren fast bis auf die Knochen verbrannt, und so entstellt war er, daß man seine Züge nicht mehr zu erkennen vermochte. Armer, kleiner Bursche! Wie muß er gelitten haben! Aber weshalb sollte ich ihn bemitleiden? Nun, wir hatten also keine Zeit zu verlieren und meinten, daß der achtzehnjährige Jüngling seinem kleinen zwölfjährigen Mitkämpfer die Ruhestätte neben sich wohl gönnen und ihn wie einen jüngeren Bruder betrachten würde. So legten wir ihn zu Füßen des Aelius Fabius nieder. Aber wir hatten kein zweites Blutfläschchen, das wir an der Außenseite hätten anbringen können, damit man das Grab eines zweiten Märtyrers daran erkannt hätte; denn das Feuer der Folter hatte alles Blut in seinen Adern ausgetrocknet.«Am 22. April 1823 wurde dies Grab unverletzt aufgefunden. Als es geöffnet wurde, fand man das Knochengerippe, welches der Größe eines achtzehnjährigen Jünglings entsprach, weiß, rein und glänzend wie poliertes Elfenbein. Zu seinen Häupten stand das Fläschchen mit Blut. Mit dem Kopf zu seinen Füßen lag das Skelett eines Knaben von zwölf oder dreizehn Jahren, dessen Kopf und Körper bis hinab zu den Hüftknochen schwarz und verkohlt war, während es von da bis zu den Füßen nach und nach wieder heller wurde. Die beiden Toten ruhen reich gekleidet nebeneinander unter dem Altar des Jesuitenkollegium zu Loreto.
»Welch ein edler Knabe! Wenn der erstere älter, so war der zweite jünger als ich. Was meinst du Diogenes, hältst du es nicht für möglich, daß du dieselbe Pflicht auch eines Tages an mir vollziehen mußt?«
»O nein, das hoffe ich nicht,« sagte der alte Totengräber, dessen Stimme abermals seltsam heiser wurde. »Ich flehe Euch an, denkt auch nicht im entferntesten an eine solche Möglichkeit. Gewiß wird meine Stunde früher schlagen als die Eure! Wie sollte man denn die alten Bäume schonen und die jungen Pflanzen vernichten!«
»Komm, komm, mein guter Alter, ich will dich nicht betrüben. Fast hätte ich vergessen, dir die Botschaft zu überbringen, um deretwillen ich gekommen bin. Du sollst nämlich morgen um Tagesanbruch nach meiner Mutter Haus kommen, damit wir mit dir über die Anordnung der Cömeterien sprechen, deren wir während des uns bevorstehenden Kampfes bedürfen werden. Unser heiliger Vater wird da sein, mit ihm die Priester der Titel, die Diakone der Regionen, die Notare, deren Anzahl verdoppelt worden, und du, der erste Fossor, damit alle in Übereinstimmung handeln können.«
»Ich werde kommen, Pancratius,« antwortete Diogenes.
»Und jetzt,« fuhr der Jüngling fort, »habe ich dich noch um eine Gunst zu bitten.«
»Eine Gunst von mir?« fragte der alte Mann ganz erstaunt.
»Ja. Wie ich vermute, wirst du unverzüglich mit deiner Arbeit beginnen müssen. Nun, wie oft ich auch zum Zwecke der Andacht unsere heiligen Cömeterien besuchte, so habe ich sie doch niemals genau durchforscht und untersucht; und dies möchte ich nun gern mit dir thun, der du sie so genau kennst.«
»Nichts könnte mir größere Freude gewähren,« antwortete Diogenes, welchem dieses Kompliment gewissermaßen schmeichelte, und dem diese Liebe zu etwas, das er selbst so sehr liebte, von Herzen wohl that. »Wenn ich meine Instruktionen bekommen habe, werde ich mich sofort nach dem Cömeterium des Callistus begeben. Erwartet mich eine halbe Stunde vor Mittag vor der Porta Capena und wir wollen zusammen hinausgehen.«
»Aber ich werde nicht allein kommen,« fuhr Pancratius fort. »Zwei Jünglinge, welche vor kurzem erst getauft sind, wünschen so sehr unsere Cömeterien kennen zu lernen; bis jetzt sind sie ihnen noch fremd! und sie haben mich dringend gebeten, sie hinein zu führen.«
»Eure Freunde werden mir stets willkommen sein. Aber wie heißen sie? Damit wir keinen Irrtum begehen.«
»Einer ist Tiburtius, der Sohn des Chromatius, welcher früher Präfekt dieser Stadt war; der andere ist ein junger Mann Namens Torquatus.«
Severus schrak leicht zusammen und sagte! »Torquatus – seid Ihr seiner ganz sicher, Pancratius?«
Diogenes verwies ihm dies, indem er sagte: »Daß er in Pancratius' Begleitung zu uns kommt, ist Sicherheit genug.«
»Ich gebe zu,« unterbrach sie der Jüngling, »daß ich nicht ganz so viel von ihm weiß wie von Tiburtius, der in Wahrheit ein tapferer edler Jüngling ist. Torquatus ist indessen sehr begierig, all unsere Angelegenheiten und unsere Interessen näher kennen zu lernen und scheint sehr ernst und tief in das Christentum eindringen zu wollen. Was läßt dich fürchten, Severus?«
»Nur eine Kleinigkeit in der That. Indessen als ich heute Morgen in aller Frühe nach den Grabstätten hinaus ging, trat ich in die Bäder des Antonius.«Bekannter unter dem Namen: »Bäder des Caracalla.«
»Was!« unterbrach ihn lachend Pancratius, »suchst du solche modischen Orte auf?«
»Nicht gerade das,« antwortete der ehrliche Künstler, »aber Ihr wißt vielleicht nicht, daß Cucumio, der CapsariusCapsarius, derjenige, welcher die Kleider der Badenden zu verwahren hatte, von capsa = Kasten, Truhe, Schrank. und sein Weib ebenfalls Christen sind?«
»Ist es möglich?«
»Ja, so ist es. Und überdies bereiten sie sich ihr eigenes Grab im Cömeterium des Callistus, und ich hatte ihnen zu dem Zwecke Majus' Inschrift zu zeigen.«
»Hier ist sie,« sagte der Genannte und zeigte das folgende:
CVCVMIO ET VICTORIA
SE VIVOS FECERVNT
CAPSARARIVS DE ANTONINIANAS
»Cucumio und Victoria machten es für sich selbst, während sie lebten. Capsarius von Antonius (Bädern).« – Gefunden in dem Cömeterium des Callistus. Fälschlich schrieb Marchi sie dem Cömeterium des Prätextatus zu.
»Ausgezeichnet!« rief Pancratius aus, auf das höchste durch die Fehler auf dem Epitaph ergötzt, »aber wir vergessen den Torquatus.«
»Als ich also in das Gebäude trat,« sagte Severus, »war ich nicht wenig erstaunt, zu so früher Stunde in einem Winkel Torquatus in vertrautem Gespräch mit dem Sohn des gegenwärtigen Präfekten, Corvinus, dem angeblichen Krüppel zu erblicken, welcher sich in das Haus der edlen Agnes geschlichen hatte, erinnert Ihr Euch dessen?, als ein Unbekannter – Gott segne ihn! – in seiner Barmherzigkeit reiche Almosen für die Armen gestiftet hatte. Für einen Christen keine gute Gesellschaft, dachte ich, und noch obendrein zu solcher Stunde.«
»Du sprichst wahr, Severus,« erwiderte Pancratius tief errötend, »aber er ist noch so jung im Glauben, und wahrscheinlich wissen seine früheren Kameraden nichts von seiner Bekehrung. Wir wollen das Beste hoffen.«
Die beiden jungen Männer erboten sich, Pancratius zu begleiten, welcher sich jetzt erhoben hatte, um Abschied zu nehmen. Sie wollten ihn sicher durch die ärmliche und verwahrloste Gegend führen. Mit Freude nahm er ihr höfliches Anerbieten an und wünschte dem alten Totengräber herzlich gute Nacht.