Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Dreizehntes Kapitel

Wohlthätigkeit

Da es uns weder gefällt, mit dem Wolf noch mit dem Fuchs in das Haus der edlen Agnes zu treten, so werden wir eine weniger körperliche Art wählen, hinein zu kommen, d. h. wir werden uns ohne weiteres drinnen befinden.

Agnes' Eltern konnten von beiden Seiten eine lange Reihe edler Vorfahren aufweisen, und ihre Familie gehörte nicht zu jenen erst seit kurzer Zeit Bekehrten, sondern hatte sich schon seit mehreren Generationen zum Glauben bekannt. Wie man in heidnischen Familien das Andenken jener Vorfahren ehrte, welche einen Sieg erfochten oder hohe Staatsämter bekleidet hatten, so gedachte man in diesem und in anderen christlichen Häusern mit frommer Ehrfurcht und liebevollem Stolze jener Familienmitglieder, welche während der letzten hundertundfünfzig Jahre die Palme des Märtyrertums getragen oder hohe kirchliche Würden bekleidet hatten. Aber obgleich auf diese Weise geadelt, und von einem niemals versiegenden Blutstrom benetzt, welcher zur Ehre Christi vergossen wurde, war dieser Stamm doch niemals niedergehauen, sondern hatte verschiedene Stürme überlebt. Dies mag wunderbar erscheinen. Wenn wir aber bedenken, wie mancher Soldat einen ganzen Feldzug mit vielen Schlachten und Gefechten durchmacht, ohne auch nur eine einzige Wunde davon zu tragen – oder wie viele Familien unberührt durch Epidemien gehen, so darf es uns nicht in Erstaunen setzen, wenn die weise gütige Vorsehung über der Kirche wacht, indem sie in ihr durch die Succession vieler Familien lange, ununterbrochene Ketten der Tradition erhält und es auf diese Weise den Gläubigen möglich macht zu sagen: Wenn nicht der Herr der Heerscharen uns einen Samen gelassen hätte, wir wären wie Sodoma gewesen und würden Gomorrha gleich geworden sein!«Jesaias, Kap. 1. V. 9.

All diese Ehren und die Hoffnung der Familie vereinigten sich jetzt auf dem einen Haupte, dessen Namen unser Leser bereits kennt, Agnes, das einzige Kind dieses reichen, alten Hauses. Sie wurde ihren Eltern geschenkt, als diese bereits jegliche Hoffnung aufgegeben hatten, daß ihr Geschlecht sich weiter fortpflanzen würde. Schon von frühster Kindheit an war sie von einer solchen Milde des Charakters gewesen, von so unendlichem Liebreiz und so großer Verstäudnisinnigkeit des Gemütes, von so ungewöhnlicher Einfachheit und Unschuld des Herzens, daß sie als der Gegenstand allgemeiner Liebe, ja fast Verehrung, des ganzen Hauses, von den Eltern an bis zu dem niedrigsten Sklaven hinab, aufgewachsen war. Jedoch nichts schien die feste Tugendhaftigkeit ihrer Natur verderben oder erschüttern zu können; ihre guten Eigenschaften wuchsen nur unter guter und edler Anleitung und hatten sich in dem jugendlichen Alter, in welchem wir sie kennen lernen, bereits zu hinreißender Anmut und tiefer Weisheit entwickelt. Sie teilte alle die tugendhaften Gedanken ihrer Eltern und kümmerte sich ebenso wenig um die große Welt wie diese. Sie bewohnte mit ihnen einen kleinen Teil des Hauses, welches mit großer Eleganz, jedoch ohne Luxus eingerichtet war; und ihr Haushalt wurde ihren Bedürfnissen angemessen geführt. Hier empfingen sie die wenigen Freunde, mit welchen sie noch vertraute Verbindungen unterhielten; allerdings war deren Anzahl gering, da Agnes' Eltern weder große Feste gaben noch solche besuchten. Fabiola war eine gelegentliche Besucherin, obgleich Agnes es vorzog, sie in ihrem eigenen Hause aufzusuchen. Diese sprach ihrer jugendlichen Freundin gegenüber oft die Hoffnung aus, daß sie bald eine passende Heirat schließen und alsdann das herrliche alte Haus schmücken und in seiner ganzen Ausdehnung wieder eröffnen möge. Denn trotz des heutzutage gänzlich veralteten Gesetzes des Voconian »wider das Erbrecht der Frauen«,» Ne quis haeredam virginem neque mulierem faceret«, daß niemand eine Jungfrau oder ein Weib zu seiner Erbin machen dürfe. – Cicero in Verrem, I. hatte Agnes von verschiedenen Seitenverwandten große persönliche Vermächtnisse bekommen, durch welche das Familienvermögen bedeutend vergrößert worden.

Im allgemeinen natürlich schlossen die heidnischen Besucher, welche in das Haus kamen, nach dem äußeren Schein auf Geiz und berechneten, welche ungeheuren Ansammlungen von Reichtümern die geizigen Eltern machen müßten. Sie hegten anch die Überzeugung, daß alles, was hinter der festen Mauer lag, die den zweiten Hof abschloß, dem Verfall und der Verwüstung überlassen sei.

Indessen war dies nicht der Fall.

Der innere Teil des Hauses, welcher aus einem großen Hofe und dem Garten mit einer abgeschlossenen Speisehalle oder triclinium bestand, lief in eine Kirche aus, und der obere Teil des Gebäudes, welcher nur von jenen Räumen aus zugänglich, war der Ausübung jener unbegrenzten Wohlthätigkeit gewidmet, welche die Kirche als ein Geschäft ihres Lebens betrachtete. Dies geschah unter der Obhut und Anleitung des Diakon Reparatus und seines Exorcisten Secundus, welche amtlich von dem Papste dazu ausersehen waren, in einer der sieben Regionen, in welche der Papst Cajus ungefähr sieben Jahre zuvor die Stadt zu diesem Zwecke eingeteilt hatte, die Sorge und Aufsicht über die Kranken, Armen und Fremden zu übernehmen. Jede dieser sieben Regionen war einem der sieben Diakone der römischen Kirche zugeteilt.

Besondere Zimmer waren eingerichtet, um die Fremden, welche aus weiter Ferne kamen und von anderen Kirchen empfohlen waren, zu beherbergen. Eine einfache Tafel war stets für diese gedeckt. Im oberen Stockwerk war ein Hospital für die Bettlägerigen, die Altersschwachen und die Kranken eingerichtet; dieses stand unter der Obhut der Krankenpflegerinnen und jener Gläubigen, welche es für ein Glück erachteten, an diesem Werke der Nächstenliebe teil nehmen zu dürfen. Hier war es auch, wo das blinde Mädchen ihre Zelle hatte, obgleich sie sich weigerte, wie wir gesehen haben, auch die Nahrung in jenem Hause zu nehmen.

Das tablinum oder Archivzimmer, welches gewöhnlich vollständig abgeschlossen in der Mitte des Durchgangs zwischen den inneren Höfen lag, diente hier als Schreibstube, wo die Geschäfte dieser Wohlthätigkeitsanstalt geführt und geordnet wurden; hier wurden alle Dokumente, wie die Geschichte der Märtyrer u.s.w. aufbewahrt, welche einer der sieben Notare, der durch Institution vom heiligen Clemens I. jener Region zu diesem Zwecke zuerteilt war, hier zusammengetragen und geordnet hatte.

Eine Verbindungsthür gestattete den Mitgliedern des Haushalts, an diesen Werken der Barmherzigkeit teil zu nehmen; und Agnes war seit den Zeiten ihrer frühesten Kindheit daran gewöhnt, hier viele Male während des Tages aus und ein zu gehen und lange Stunden zuzubringen; stets strahlte sie wie ein Engel des Lichts Trost und Freude über die Leidenden und Betrübten aus. Man konnte dieses Haus mit Recht das Almosenhaus der Region oder des Distrikts, in welchem es lag, die Heimat der Wohlthätigkeit und der Gastfreundschaft nennen; zu diesem Zweck war es den Empfängern durch das posticum oder die Hinterthür zugänglich, welche auf ein vereinsamtes Gäßchen hinausging. Kein Wunder, daß das Vermögen der Bewohner bei einer solchen Allstalt eine leichte Verwendung fand.

Wir haben in einem früheren Kapitel gehört, wie Pancratius den Sebastianus bat, für die Verteilung seines Silbergeschirrs und seiner Juwelen unter die Armen zu sorgen, ohne daß jemand erführe, wessen Eigentum dies sei. Dieser hatte den Auftrag durchaus nicht vergessen und das Haus der edlen Agnes als das geeignetste für den Zweck der Verteilung ausersehen. An dem Morgen, welchen wir soeben beschrieben, sollte diese stattfinden; andere Regionen hatten, von ihrem Diakon begleitet, ihre Armen gleichfalls gesandt; während Sebastianus, Pancratius und andere Personen von höherem Range durch den Haupteingang gekommen waren um der Teilung beizuwohnen. Einige derselben hatte Corvinus eintreten sehen.


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