Kardinal Wiseman
Fabiola oder Die Kirche der Katakomben
Kardinal Wiseman

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Sechzehntes Kapitel

Der Wolf in der Herde

Nach den Abenteuern der Nacht blieb unseren Jünglingen nicht viel Zeit zur Ruhe. Lange vor Tagesanbruch mußten die Christen auf sein und sich in ihren verschiedenen Titeln versammeln, um sich vor Sonnenaufgang schon wieder nach allen Seiten hin zerstreuen zu können. Es sollte dort ihre letzte Zusammenkunft sein. Die Oratorien sollten geschlossen werden, und der Gottesdienst von diesem Tage an in den unterirdischen Kirchen der Katakomben abgehalten werden. Man konnte nicht erwarten, daß es allen gelingen würde in Sicherheit, selbst am Sonntage, fast eine Meile weit zum Thore hinaus pilgern zu können.Es gab eine Katakombe, ad sextum Philippi genannt, welche mutmaßlich eine Meile weit außerhalb Rom lag, aber gar viele derselben lagen eine halbe Meile weit vom Herzen der Stadt entfernt. Es war daher den gläubigen Seelen in solchen Zeiten der Unruhe und der Gefahr gestattet, die heilige Eucharistie in ihren eigenen Häusern aufzubewahren und am Morgen sich selbst die heilige Kommunion zu reichen »vor dem Genusse anderer Speise«, wie Tertullius sagt.

Die Gläubigen fühlten sich, nicht wie Lämmer, welche zur Schlachtbank geführt werden, nicht wie Verbrecher, welche sich auf die Hinrichtung vorbereiten, sondern wie Soldaten, die sich für die Schlacht bewaffnen. Ihre Waffen, ihre Nahrung, ihre Kraft, ihren Mut – das alles fanden sie im heiligen Sakramente. Sogar die Lauen und Furchtsamen nahmen frische Kraft aus dem Brot des Lebens. In den Kirchen, wie man es jetzt noch in den Katakomben sieht, wurden Stühle für die Beichtväter aufgestellt, vor denen die Sünder niederknieten, ihre Sünden beichteten und die Absolution erhielten. In Zeiten wie diese wurden die Bußgesetze weniger strenge gehandhabt und die Länge öffentlicher Buße abgekürzt. Die ganze Nacht war von den eifrigen Priestern dazu angewendet, ihre Herde, wenn es sein mußte, für ihre letzte öffentliche Kommunion auf dieser Erde vorzubereiten.

Wir brauchen unseren Leser nicht daran zu erinnern, daß der Gottesdienst, wie er damals abgehalten wurde in der Hauptsache und in vielen Details derselbe war, wie er ihm jetzt noch täglich am katholischen Altar beiwohnt. Nicht allein, daß man grade wie heute die Messe als das Opfer des Leibes und des Blutes unseres Herrn ansah; nicht allein, daß Aufopferung, Wandlung und Kommunion stattfanden wie jetzt, sondern es sind auch noch die meisten Gebete identisch mit den heutigen, so daß der Katholik, welcher sie sprechen hört, und noch vielmehr der Priester, welcher sie in derselben Sprache wie die römische Kirche der Katakomben sie sprach, noch heutigestages spricht, sich in lebender und thätiger Gemeinschaft fühlen mag mit den Märtyrern, welche die heiligen Geheimnisse feierten, und den Märtyrern, welche ihnen in Andacht versunken, beiwohnten.

Als bei der Gelegenheit, welche wir beschreiben, der Augenblick gekommen war, in welchem man den Friedenskuß gab – eine herzliche Umarmung brüderlicher Liebe – hörte man Schluchzen und sah Thränenströme fließen, denn für viele war es der Scheidegruß. Mancher Jüngling hing an dem Halse seines Vaters; wußte er doch kaum, ob dieser Tag sie nicht für immer bis zu jenem Tage trennen würde, an welchem sie wieder mit himmlischen Palmen geschmückt einhergehen würden. Und wie schlossen Mütter ihre Töchter ans Herz, in der Inbrunst jener neuen Liebe, welche die Furcht vor der Trennung entflammte! Dann kam die Kommunion, feierlicher als gewöhnlich. Die tiefste Stille herrschte. »Der Leib unseres Herrn Jesu Christi« sagte der Priester zu jedem, indem er ihm das heilige Brot reichte. »Amen,« antwortete der Empfänger mit innigen Lauten der Treue und des Glaubens. Dann streckte er mit der Hand ein Orarium oder weißes Linnentuch hin, in welches ihm ein Vorrat vom Brote des Lebens gethan wurde, der hinreichend war bis zur nächsten öffentlichen Kommunion. Das Tuch wurde sorgsam und ehrfurchtsvoll zusammengelegt, auf der Brust verborgen und oft noch in eine zweite und kostbarere Hülle gethan, zuweilen sogar in eine goldene Kapsel.Als die vatikanische Katakombe im Jahre 1571 durchforscht wurde, fand man in einigen Gräbern zwei kleine, viereckige, goldene Dosen, auf deren Deckel sich ein goldener Ring befand. Diese sehr alten heiligen Gefäße haben nach Vottari dazu gedient, die heilige Eucharistie um den Hals zu tragen ( Roma Subterranea, tom 1 fig. 11); und Pellicia bestätigt dies durch manche Argumente ( Christianae Eccl. Politia, tom III, pag. 20). Jetzt bedauerte zum erstenmale die arme Syra den Verlust ihres reich gestickten Tuches; sie würde es längst den Armen gegeben haben, wenn sie es nicht stets ängstlich für solch eine Gelegenheit und diesen Gebrauch aufbewahrt hätte. Ihrer Gebieterin war es ebenfalls nicht gelungen, sie dazu zu bewegen, daß sie irgend welche Gegenstände von Wert von ihr annahm, ohne daß Syra sofort die Bedingung gemacht hätte, über sie nach Belieben verfügen zu dürfen, d. h. sie als Almosen für die Armen zu verwenden.

Die verschiedenen Versammlungen hatten sich bereits vor der Entdeckung der That, welche an dem Edikt begangen worden, aufgelöst. Oder vielmehr hatten sie sich nach den Cömeterien begeben. Die häufigen Zusammenkünfte des Torquatus mit seinen beiden heidnischen Verbündeten in den Bädern des Caracalla waren von dem capsarius und seinem Weibe auf das strengste überwacht worden, wie wir bereits mitgeteilt haben; und Victoria hatte die Verschwörung, am Tage nach der Veröffentlichung des Edikts einen Einfall in das Cömeterium des Callistus zu machen, belauscht. Daher hielten die Christen sich am ersten Tage für gesicherter und benutzten diesen Umstand, um durch ein feierliches Hochamt die Kirchen der Katakomben einzuweihen, welche nachdem sie einige Jahre außer Gebrauch gewesen, durch die fossores wieder in gute Ordnung gebracht worden und jetzt mit allen notwendigen Requisiten für den Gottesdienst versehen waren.

Als bei Corvinus der erste Schrecken vorüber war und er so schnell wie möglich eine zweite, wenn auch nicht so pomphafte Abschrift des Edikts hatte anfertigen und aufhängen lassen, begann er die sehr ernstlichen Folgen der Wut seines kaiserlichen Herrn zu erwägen. Der Dacier hatte recht; er würde für den Verlust verantwortlich gemacht werden. Er hielt es für notwendig, noch an demselben Tage irgend etwas zu vollbringen, das die Schande, welche er über sich gebracht hatte, auslöschen sollte, bevor er den Blicken des Kaisers wieder begegnete. So beschloß er denn, den Angriff der Katakombe, welche für den nächsten Morgen festgesetzt war, um einen Tag zu verfrühen.

Deshalb begab er sich, als es noch früh war nach den Bädern, wo Fulvius, welcher den Torquatus stets ängstlich bewachte, diesen in der Erwartung festhielt, daß Corvinus kommen würde, um mit ihm zu beratschlagen. Das ehrenwerte Trio that seine Köpfe zusammen. Corvinus, von dem widerstrebenden Apostaten geführt, sollte an der Spitze einer auserwählten Truppe von Soldaten, die ihm zur Verfügung stand, einen Einfall in das Cömeterium des Callistus machen und von dort die Geistlichkeit und die hervorragendsten Christen heraustreiben oder schleppen; während Fulvius, welcher mit einer zweiten Soldatenabteilung draußen bleiben, sie auffangen und jeden Rückzug abschneiden sollte und die wichtigsten Persönlichkeiten, besonders den Papst und die hohe Geistlichkeit, welche wiederzuerkennen seine Anwesenheit bei der Priesterweihe ihm ermöglichte, in Sicherheit bringen würde. Dies war sein Plan. »Mögen Narren die Rolle des Iltis im Kaninchengarten spielen – ich werde der Jägersmann sein, der draußen seine Beute erjagt,« sagte er vor sich hin.

Inzwischen hatte Victoria genug erlauscht, um sich in dem abgelegenen Zimmer, wo sie beratschlagten, mehr als gewöhnlich mit Bürsten und Reinigen zu schaffen zu machen, ohne sich den Anschein zu geben, als ob sie horchte. Sie teilte dem Concumio alles mit, und dieser, nachdem er sich lange den Kopf gekratzt, kam auf ein bemerkenswertes Mittel, wie man die wichtige Information an den gehörigen Ort gelangen lassen könne.

Sebastianus, welcher dem Morgengottesdienste beigewohnt hatte, wurde durch seine Pflichten im Palaste daran gehindert, mehr zu thun; der fast allgemeinen Sitte gemäß hatte er sich nach den Bädern begeben, teils um seinen Körper durch diese gesunde Erfrischung zu stärken, teils um den Argwohn von sich abzulenken, welchen seine Abwesenheit grade an diesem Morgen erweckt haben würde. Während Sebastianus also auf diese Weise beschäftigt war, schrieb der alte Capsararius, wie er selbst sich in seiner anteposthumen Grabschrift genannt hatte, auf ein Stückchen Pergament alles, was sein Weib von der Absicht eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs und dem Plan, sich der heiligen Person des Papstes zu bemächtigen, erlauscht hatte. Dies heftete er mit einer Nadel an die innere Seite von Sebastianus' Tunika, die ihm zur Aufbewahrung übergeben war, da er in Gegenwart anderer nicht zu ihm sprechen durfte.

Der Offizier ging nach dem Bade in die Halle, wo die Geschehnisse des Morgens besprochen wurden, und wo Fulvius wartete, bis Corvinus kommen würde, um ihm mitzuteilen, daß alles bereit sei. Als er traurig und niedergeschlagen hinausging, fühlte er, wie ihn etwas auf der Brust stach; er untersuchte seine Kleidung und fand das Papier. Er war ungefähr in demselben eleganten Latein geschrieben wie Cucumios Epitaph, aber er verstand genug davon, um es für notwendig zu halten, daß er seine Schritte augenblicklich nach der Via Appia anstatt nach dem Palatin wende, und den in der Katakombe versammelten Christen die wichtige Mitteilung zu machen.

Da er jedoch in dem armen, blinden Mädchen einen sichereren und zuverlässigeren Boten fand, als er selbst war, da sie die allgemeine Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken würde, hielt er sie an, gab ihr den Zettel, dessen Inhalt er noch einige Worte hinzugefügt hatte, und bat sie, denselben so schnell wie möglich an seinen Bestimmungsort zu tragen. Und in der That, kaum hatte er die Bäder verlassen, als Fulvius die Nachricht erhielt, daß Corvinus mit seiner Truppe bereits dem verabredeten Orte zueile, und zwar durch die Felder, um keinen Argwohn zu erwecken. Augenblicklich bestieg er sein Pferd und ritt die große Heerstraße entlang, während der christliche Soldat in einem Nebengäßchen seinen blinden Boten instruierte.

Als wir Diogenes und seine Gesellschaft durch die Katakomben begleiteten, kehrten wir kurz vor der unterirdischen Kirche um, weil Severus diese nicht dem Torquatus verraten lassen wollte. In dieser war die christliche Gemeinde jetzt versammelt und ihr oberster Hirte mit ihr. Sie war nach dem Princip erbaut, welches all solchen Aushöhlungen – denn wir können sie kaum Gebäude nennen – eigen war.

Der Leser muß sich zwei der Cubicula oder Kammern vorstellen, wie wir sie beschrieben haben, von denen jede auf der Seite einer Galerie oder eines Ganges liegt, so daß die Thüren oder eigentlich die großen Eingänge einander gegenüberliegen. Am Ende einer jeden wird man ein arcosolium oder Altargrab finden; und die Vermutung, daß in der einen Abteilung die Männer unter der Obhut der ostiariiThürhüter – ein Amt, welches eine der niederen Stufen der Priesterweihe war. und in der anderen die Frauen unter dem Vorsitz der Diakonissen sich versammelten, hat große Wahrscheinlichkeit für sich. Diese Trennung der Geschlechter während des Gottesdienstes war in den Zeiten des ersten Christentums ein Gegenstand ängstlich aufrecht erhaltener Disciplin.

Oft entbehrten diese unterirdischen Kirchen nicht ganz des architektonischen Schmuckes. Die Wände waren besonders in der Nähe des Altars gemalt und übergipst, und Halbsäulen, welche mit ihren Basen und Kapitälern nicht ohne Schönheit und Anmut aus dem Sandstein herausgeschnitten waren, teilten entweder die verschiedenen Räume oder schmückten den Eingang. In der Hauptbasilika, welche in der Katakombe des Callistus entdeckt ist, fand man eine Kammer ohne Altar, welche mit der Kirche durch eine Art von trichterförmiger Öffnung verbunden war, die die steinerne Mauer, welche hier ungefähr zwölf Fuß dick ist, durchbohrt und in abschüssiger Richtung in die tiefer liegende Kammer in einer Höhe von fünf oder sechs Fuß führt, so daß alles, was in der Kirche gesprochen wurde, gehört werden konnte, ohne daß die in der Kammer Versammelten irgend etwas von dem sehen konnten, was in der Kirche vor sich ging. Man vermutet, und zwar mit Recht, daß dies der Ort gewesen, welcher für jene Klasse öffentlicher Büßer, welche man audientes oder Hörer nannte, und für die Katechumenen, welche noch nicht durch die Taufe geweiht waren, reserviert war.

Plan der unterirdischen Kirche im Cömeterium der heiligen Agnes. A. Chor od. Altarplatz m. bischöf. Stuhl (a) u. Bänke f. d. Geistlichen (b). B. Abteil. f. d. Männer, vom Chor durch zwei Pfeiler getrennt, welche einen Bogen tragen. C. Korridor d. Katakombe, welche d. Eintritt in die Kirche vermittelt. D. Abteil. f. d. Frauen m. einem Grabe darin.

Die Basilika, in welcher die Christen versammelt waren, als Sebastianus seine Botschaft sandte, war jener ähnlich, welche man in dem Cömeterium der heiligen Agnes entdeckt hatte. Jede der beiden Abteilungen war doppelt, das heißt, sie bestand ans zwei großen Kammern, welche durch Halbsäulen in dem, was wir die Kirche der Frauen nennen könnten, und durch flache Pfeiler in jener der Männer, geteilt waren. Der hervorragendste Zug dieser Basilika ist jedoch noch eine weitere Fortführung derselben, um ihr einen Chor oder Presbyterium zu geben. Dieses hat ungefähr die halbe Größe jeder anderen Abteilung, von welcher sie durch zwei Säulen an der Mauer getrennt ist; auch unterscheidet sie sich nach Art der heutigen Presbyterien durch ihre geringere Höhe. Denn während jede der übrigen Abteilungen zuerst ein hochgewölbtes Grab in ihrer Mauer und dann noch vier bis fünf Reihen von Gräbern über diesem hat, ist der Chor nicht viel höher als die arcosolien oder Altargräber. Am Ende des Chors an der Mitte der Mauer ist ein Stuhl, dessen Rücken- und Seitenlehnen aus dem festen Stein gehauen sind, und an jeder Seite desselben zieht sich eine steinerne Bank hin, welche auf diese Weise das Ende und die beiden Seiten des Chors ausfüllt. Da die Platte des gewölbten Grabes hinter dem Stuhl höher ist als die Rückenlehne des Throns, und da dieser unbeweglich ist, scheint es klar, daß die heiligen Geheimnisse an dieser Stelle nicht gefeiert sein konnten. Es muß daher ein tragbarer Altar vor den Thron gestellt worden sein, und zwar freistehend in der Mitte des Chors: und jetzt erzählt uns die Tradition, daß dies der hölzerne Altar des heiligen Petrus gewesen sei.

Auf diese Weise haben wir die genaue Einrichtung, wie man sie in den Kirchen, welche nach den Verfolgungen gebaut worden und wie man sie noch heute in sämtlichen alten Basiliken Roms findet – der bischöfliche Stuhl im Mittelpunkt der Apsis, das Presbyterium oder die Sitze für die Geistlichkeit zu beiden Seiten, und der Altar zwischen dem Thron und dem Volke. So lieferten die ersten Christen in ihren unterirdischen Gotteshäusern die Principien, welche für die Formen der kirchlichen Bauart für alle Zeiten maßgebend wurden.

In solch einer Basilika müssen wir uns also die Gläubigen versammelt denken, als Corvinus und seine Satelliten vor dem Eingange zum Cömeterium anlangten. Dies war der Weg, welcher aus einem halbverfallenen Gebäude, das mit Reisigbündeln vollgepfropft war, über einige Stufen hinunterführte, und welchen Torquatus kannte. Sie fanden die Luft rein und trafen sofort ihre Maßregeln. Fulvius sollte mit einem Trupp von zehn oder zwölf Leuten auflauern, um den Eingang zu bewachen, und jeden ergreifen, der etwa versuchen sollte, heraus zu gelangen oder hinein zu gehen. Corvinus und Torquatus bereiteten sich vor, mit einem kleinen Trupp von acht Mann hinunter zu steigen.

»Diese unterirdische Arbeit gefällt mir nicht,« sagte ein alter, graubärtiger Legionär. »Ich bin ein Soldat und kein Rattenfänger. Stellt mir meinen Mann am helllichten Tage und ich will Faust gegen Faust, Fuß gegen Fuß mit ihm kämpfen; aber ich habe nicht Lust, wie Ungeziefer in einer Gußrinne zu ersticken ober vergiftet zu werden.«

Diese Rede fand ein williges Ohr bei den Soldaten. Einer sagte: »Dort unten könnten ja hunderte von diesen schlauen Christen sein, und wir sind unserer wenig mehr als ein halbes Dutzend.«

»Dies ist nicht die Arbeit, für die wir unsere Löhnung erhalten,« fügte ein anderer hinzu.

»Ihren Zauberkram möchte ich kennen lernen, aber nicht ihre Tapferkeit,« fuhr ein Dritter fort.

Es bedurfte der ganzen Beredsamkeit des Fulvius, um sie nicht in ihrem Beschluß wankend zu machen. Er versicherte sie, daß nichts zu fürchten sei; daß die feigen Christen wie Hasen vor ihnen davonlaufen würden, und daß sie bestimmt mehr Gold und Silber in der Kirche finden würden, als ihre ganze Jahreslöhnung ausmachte. Auf diese Weise ermutigt, tasteten sie sich bis an den Fuß der Treppe hinunter. Sie konnten in gewissen Zwischenräumen Lampen unterscheiden, welche ihren gedämpften Schein in die düstere, vor ihnen liegende Strecke warfen.

»Stille!« sagte einer, »horcht auf jene Stimme!«

Aus weiter Ferne drangen die gedämpften Laute bis zu ihnen; es waren die Töne einer frischen, jugendlichen Stimme, welche die Angst nicht erbeben machte, so klar, daß man sogar die Worte verstehen konnte, als sie die folgenden Strophen intonierte:

»Dominus illuminatio mea et salus mea; quem timebo?
Dominus protector vitae meae; a quo trepidabo?«

»Der Herr ist mein Licht und mein Heil; wen sollte ich fürchten?
Der Herr ist der Beschützer meines Lebens: vor wem sollte ich zittern?«

Dann fiel ein voller Chor von Stimmen ein, welcher sang wie das Brausen vieler Wasser:

»Dum appropriant super me nocentes, ut edant carnes meas; qui tribulant me, inimici mei, ipsi infirmati sunt et ceciderunt«»Wenn Frevler sich mir nahen um mein Fleisch zu verzehren, die mich drängen, meine Feinde, werden selbst ohnmächtig und stürzen.«

Ein Gemisch von Scham und Wut bemächtigte sich der Angreifer, als sie diese Worte des ruhigen Vertrauens und des Widerstandes vernahmen. Wiederum sang die einzelne Stimme, aber wie es schien in leiseren Tönen:

»Si consistant adversum me castra, non timebit cor meum«»Wenn gegen mich sie Lager schlagen, fürchtet nichts mein Herz.« – Ps. 26.

»Ich glaube, ich kenne diese Stimme,« murmelte Corvinus. »Ich sollte sie aus tausenden herauskennen. Sie gehört meinem Verderben an, der Ursache jener verruchten That von gestern Abend und der Mühseligkeiten von heute. Sie gehört dem Pancratius an, der das Edikt heruntergerissen hat. Vorwärts, vorwärts, Leute; jeden Preis für seinen Kopf, ob ihr ihn mir tot oder lebendig bringt!«

»Aber wartet,« sagte einer, »laßt uns unsere Fackeln anzünden.«

»Hört!« sagte ein Zweiter, als sie mit der Befolgung dieses Rates beschäftigt waren, »welch ein seltsames Geräusch! Es ist als wenn in weiter Ferne gehämmert und gekratzt würde! Ich höre es schon seit geraumer Zeit.«

»Und seht nur,« fügte ein Dritter hinzu, »die Lichter, die wir anfangs glimmern sahen, sind verschwunden und die Musik hat aufgehört. Wir sind sicherlich entdeckt.«

»Keine Gefahr,« sagte Torquatus und legte eine Kühnheit und einen Mut an den Tag, welche er durchaus nicht empfand. »Jenes Geräusch rührt nur von jenen alten Maulwürfen, Diogenes und seinen Söhnen her, welche damit beschäftigt sind, Gräber für die Christen, die wir ergreifen werden, herzurichten.«

Torquatus hatte dem Trupp umsonst geraten, keine Fackeln mitzubringen, sondern sich mit solchen Lampen zu versehen, wie Diogenes sich ihrer bei seiner Arbeit bediente, oder Wachskerzen zu nehmen, wie er selbst eine bei sich führte. Aber die Männer fluchten und schworen, daß sie nicht ohne helles Licht hinuntergehen und sich nur eines solchen bedienen würden, welches weder durch Zugluft oder einen Schlag auf den Arm ausgelöscht werden könne.

Bald trat die Folge hiervon zu Tage. Als sie leise und vorsichtig weiter gingen und in der engen, niedrigen Galerie vorwärts drangen, begannen die öligen, harzigen Fackeln mit gewaltigem Funkeln zu zischen und zu prasseln und blendeten und erhitzten die Leute aufs höchste; eine Wolke dicken, pechigen Rauches umgab die Träger mit einer fast undurchdringlichen Atmosphäre, trübte das Licht der Fackeln und erstickte sie beinahe. Torquatus hielt sich als Anführer der Truppe und zählte jede Wendung nach rechts und links, wie er sie sich damals gemerkt hatte. Indessen fand er jedes Zeichen, welches er damals heimlich angebracht hatte, sorgfältig entfernt. Plötzlich hielt er bestürzt und beschämt inne; denn als er kaum die Hälfte der Wendungen gezählt hatte, fand er den Weg vollständig versperrt.

Es waren nämlich schärfere Augen als er vermutete, auf der Wacht gewesen. Severus hatte mit seinen Beobachtungen nicht nachgelassen und war entschlossen, sich nicht überraschen zu lassen. Er war unten nahe am Eingange des Cömeteriums, als die Soldaten sich oben demselben näherten; und sofort lief er der Stelle zu, wo der Sand vorbereitet lag, um den Weg abzuschließen; hier waren sein Bruder und mehrere andere kräftige Arbeiter für den Fall der Gefahr aufgestellt. Mit der Ruhe und Schnelligkeit, an welche sie gewöhnt waren, machten sie sich mutig ans Werk, schaufelten den Sand von beiden Seiten des engen und niedrigen Ganges zusammen, während gut gezielte Schläge mit der Axt große Stücken Sandsteins, welche die Öffnung vollständig schlossen, von der Decke herabsprengten. Und hinter diesem Hemmnis standen sie, kaum imstande, ein Lachen zu unterdrücken, als sie die Äußerungen ihrer Feinde durch die lose Scheidewand vernahmen. Diese Arbeit war es, welche die Legionäre vernommen hatten, die die Lampen verdeckte und den Gesang dämpfte.

Torquatus' Bestürzung wurde nicht gemindert durch die Flut von Beschimpfungen und Flüchen und die Androhungen der furchtbarsten Strafen, weil man ihn für einen Verräter oder einen Narren hielt.

»Wartet einen Augenblick, ich bitte euch,« sagte er. »Es ist möglich, daß ich mich bei meiner Berechnung getäuscht habe. Ich erkenne die richtige Ecke wieder an einem merkwürdigen Grabe, welches sich wenige Schritte unweit derselben befindet; ich will nur in einen oder zwei der letzten Gänge gehen und hineinsehen.«

Mit diesen Worten lief er in die nächste Galerie zur Linken zurück, that ein paar Schritte vorwärts und verschwand dann vollständig.

Obgleich seine Gefährten ihm bis an den Eingang zu dieser Galerie gefolgt waren, konnten sie nicht wahrnehmen, wie dies geschehen war. Es erschien wie Zauberei, an die zu glauben sie augenblicklich bereit waren. Er und seine Wachskerze schienen im gleichen Augenblick verschwunden zu sein.

»Von solchen Arbeiten wollen wir nichts mehr wissen,« sagten sie einstimmig, »entweder ist Torquatus ein Verräter oder er ist durch Zauberkraft verschwunden.«

Ermüdet, erhitzt durch die dumpfige Atmosphäre, welche durch ihre Fackeln fast glühend geworden, berußt, geblendet und beinahe erstickt durch den pechigen Rauch, niedergeschlagen und entmutigt, – so kehrten sie um; und da ihr Weg sie grade auf den Eingang zuführte, schleuderten sie ihre lodernden Fackeln hier und da in die Seitengalerien, um sich ihrer zu entledigen. Als sie zurückblickten, war es fast, als ob eine festliche Beleuchtung die Atmosphäre des düsteren Ganges erhellte. Aus den Mündungen der verschiedenen Wege drang ein feuriges Licht hervor, welches dem matten Sandstein eine glühendrote Färbung verlieh, während die Rauchsäulen, welche sich an die Decke emporgehoben hatten, wie goldige Wolken durch die ganze Galerie zu ziehen schienen. Die geschlossenen Gräber, auf deren gelbe Fliesen oder marmorne Platten dieser ungewöhnliche Widerschein fiel, schienen mit goldenen oder silbernen Tafeln bedeckt zu sein. Es sah aus wie eine Huldigung, welche dem Märtyrertum am ersten Tage der Verfolgung von den Furien des Heidentums dargebracht wurde. Die Fackeln, welche sie angezündet hatten, um mit ihnen das Werk der Zerstörung zu vollbringen, dienten nur dazu, um einen hellen Glanz auf die Denkmäler jener Tugend zu werfen, die noch niemals verfehlt hatte, die Kirche zu retten.

Bevor aber noch diese enttäuschten Bluthunde mit gesenkten Köpfen den Ausgang des Cömeteriums erreicht hatten, schraken sie vor dem Anblick einer seltsamen Erscheinung zurück. Im ersten Augenblick glaubten sie, einen Strahl des Tageslichts erblickt zu haben; bald aber merkten sie, daß es das Flackern einer Lampe war. Diese wurde von einer hochaufgerichteten, unbeweglichen Figur fest und sicher gehalten und warf ihren Schein auf die Gestalt zurück, welche in ein dunkles Gewand gehüllt war, so daß sie einer jener bronzenen Statuen glich, deren Kopf und Extremitäten aus weißem Marmor sind und welche den Beschauer erschrecken, wenn er sie zum erstenmale erblickt, weil sie die größte Ähnlichkeit mit lebenden Wesen haben.

»Wer kann es sein? Was ist es?« flüsterten die Männer einander voll Entsetzen zu.

»Eine Zauberin,« entgegnete einer.

»Der genius lociDer Schutzengel der Stätte. bemerkte ein anderer.

»Ein Geist,« vermutete ein dritter.

Während sie sich ihm vorsichtig näherten, schien dieses Etwas ihre Gegenwart gar nicht zu bemerken; die Augen hatten keinen Glanz, sie blieben furchtlos und unbewegt. Endlich kamen zwei der Legionäre nahe genug, um die beiden Arme der Gestalt packen zu können.

»Wer bist du?« schrie Corvinus wütend.

»Eine Christin,« antwortete Cäcilia mit ihrer gewohnten freundlichen Sanftmut.

»Schleppt sie fort,« befahl er, »sie wenigstens soll für unsere Enttäuschung büßen.«


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