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Rom hat seine Bewohner in die benachbarten Berge oder an die ganze Seelüfte von Genua bis Paestum geschickt, damit sie sich zu Wasser oder zu Lande belustigen, und so wollen wir die Feiertage benützen, deren die Siebenhügelstadt sich erfreut, und in einfach didaktischer Weise uns bemühen, unserem Leser einige Belehrung zukommen zu lassen, welche auf das, was wir bereits geschrieben haben, ein erklärendes Licht werfen, und auf das, was noch folgt, ihn vorbereiten kann.
Aus der überaus zusammengedrängten Form, in welcher die früheste Geschichte der Kirche gewöhnlich studiert wird, und aus der unchronologischen Reihenfolge der Biographien der Heiligen, wie wir sie meistens lesen, könnten wir leicht zu einem irrtümlichen Schluß über die Lage unserer ersten christlichen Vorfahren gelangen. Dies könnte auf zwei verschiedene Arten geschehen.
Wir könnten nämlich glauben, daß die Kirche während der ersten drei Jahrhunderte unter einer nimmer ruhenden Verfolgung zu leiden gehabt hätte; daß die Gläubigen in Furcht und Zittern fast nur in den Katakomben ihren Gottesdienst hielten und dort lebten; daß alles, was die Religion kannte, nur das nackte Leben war; daß sie keine Gelegenheit zu äußerer Entwickelung oder innerer Organisation fand, daß sie nicht daran denken durfte, irgend welchen Glanz zu entfalten; kurzum, daß es eine Periode des Kampfes und der Qual war, ohne eine Zwischenzeit des Friedens und des Trostes. Andererseits könnten wir jedoch voraussetzen, daß jene drei Jahrhunderte, durch zehn verschiedene Christenverfolgungen in Epochen geteilt waren, von denen einige von kürzerer, andere von längerer Dauer, die aber durch Pausen absoluter Ruhe und tiefen Friedens scharf voneinander getrennt waren.
Jede dieser Annahmen wäre eine irrtümliche, und wir hegen den Wunsch, den wahren Zustand der christlichen Kirche während der verschiedenen Perioden dieses wichtigsten Teils ihrer Geschichte zu schildern.
Seitdem die Christenverfolgung einmal über die Kirche hereingebrochen war, hat sie eigentlich niemals wieder ganz geruht bis zu jener endlichen Friedensstiftung unter Constantinus. Wenn das Edikt einer Verfolgung einmal von einem Kaiser erlassen worden, so wurde es selten zurückgenommen; und wenn die Schärfe seiner Gewalt auch nach und nach durch die Thronbesteigung eines milderen Herrschers nachließ oder gänzlich aufhörte, so wurde es doch niemals gänzlich zum toten Buchstaben, sondern blieb stets eine gefährliche Waffe in den Händen eines grausamen oder bigotten Statthalters einer Stadt oder einer Provinz. Daher finden wir in den Zeiten zwischen den großen allgemeinen Verfolgungen, welche durch einen neuen Erlaß befohlen wurden, sehr viele Märtyrer, welche ihre Krone entweder der Wut des Volkes oder dem Christenhaß lokaler Befehlshaber verdankten. Daher lesen wir auch von hartnäckigen, bitteren Verfolgungen, welche in einem Teil des Reiches vor sich gingen, während die anderen Provinzen sich des tiefsten, ungestörten Friedens erfreuten.
Vielleicht werden einige Beispiele aus den verschiedenen Phasen der Verfolgungen das wirkliche Verhältnis der alten Kirche zum Staate besser kennzeichnen, als bloße Beschreibungen; und der gründlicher unterrichtete Leser muß diese Abweichung überschlagen oder die Geduld haben, das wiederholt zu hören, was ihm so bekannt ist, daß es bereits abgeschmackt klingt.
Trajan war durchaus keiner der grausamen Kaiser; im Gegenteil, er war meistens gerecht und barmherzig. Obgleich er kein neues Edikt gegen die Christen gab, so finden wir doch manche edle Märtyrer, welche unter seiner Regierung den Herrn verherrlichten, so zum Beispiel den heiligen Ignatius, Bischof von Antiochien in Rom, und den heiligen Simeon in Jerusalem. In der That, als Plinius der Jüngere ihn um Verhaltungsmaßregeln den Christen gegenüber bat, welche möglicherweise vor ihn als den Gouverneur von Bythinien geschleppt werden könnten, gab der Kaiser einen Befehl, welcher den niedrigsten Standpunkt der Gerechtigkeit verriet: man solle sie nicht suchen, wenn sie aber angeklagt würden, so sollten sie bestraft werden. Hadrian, welcher keine Christenverfolgung anordnete, gab eine ähnliche Antwort auf eine ähnliche Frage von Serenius Granianus, Prokonsul in Asien. Und doch erlitten unter ihm, ja, sogar auf seinen Befehl, die mutige Symphorosa und ihre sieben Söhne in Tibur oder Tivoli einen grausamen, doch ruhmvollen Märtyrertod. Eine herrliche Inschrift, welche in den Katakomben gefunden wurde, erwähnt des Marius, eines mutigen jungen Offiziers, welcher unter diesem Kaiser sein Blut für Christus vergoß. Und in der That berichtet uns St. Justinus der Märtyrer, der große Apologet des Christentums, daß er seine Bekehrung der Standhaftigkeit verdankt, welche die Märtyrer unter diesem Kaiser an den Tag legten.
Und in gleicher Weise erlitten viele Christen Folterqualen und Tod, bevor noch der Kaiser Septimus Severus seine Verfolgungsedikte erlassen hatte. Zu diesen gehörten die berühmten Märtyrer von Scillita in Afrika und die heilige Perpetua und die heilige Felicitas mit ihren Gefährtinnen. Die Geschichte dieser Märtyrer, welche auch das Tagebuch der ersten der genannten edlen Frauen enthält, die am Vorabende ihres Todes ihr zwanzigstes Jahr vollendete, bildet eines der schönsten und rührendsten Dokumente, welche uns aus der frühesten Zeit der Kirche erhalten geblieben sind.
Aus diesen historischen Fakten geht hervor, daß es doch auch Zeiten teilweisen und lokalen Stillstandes, und zuweilen sogar gänzliche Einstellung der grausamen Verfolgungen gab, während von Zeit zu Zeit wieder eine schärfere, strengere und allgemeinere Verfolgung des christlichen Namens durch das ganze Reich ging. Eine Begebenheit dieser Art, welche uns aufbewahrt worden, giebt uns höchst interessante, auf unseren Gegenstand bezügliche Aufklärungen. Als die Verfolgung unter Septimus Severus in anderen Teilen des Reiches nachgelassen hatte, geschah es, daß Scapula, Prokonsul in Afrika, die Christenhetze in seiner Provinz mit unerbittlicher Grausamkeit fortsetzte. Unter anderen hatte er Mavilus von Adrumetum dazu verurteilt, von wilden Tieren zerrissen zu werden, als er in eine schwere Krankheit verfiel. Tertullian, der älteste lateinische christliche Schriftsteller, sandte ihm einen Brief, in welchem er ihn bat, sich diese Heimsuchung eine Warnung sein zu lassen und seine Sünden und Verbrechen zu bereuen; weiter erinnerte er ihn in diesem Schreiben an die vielen gerechten Strafen Gottes, welche in verschiedenen Teilen der Welt über grausame Richter der Christen gekommen waren. Aber so groß war die Barmherzigkeit dieser heiligen Männer, daß Tertullian hinzufügte, er und seine Gefährten sendeten die inbrünstigsten Gebete um die Wiederherstellung ihres Feindes zu Gott empor!
Dann fährt er fort, ihm vorzuhalten, daß er sehr gut seine Pflichten erfüllen könne, ohne grausam zu sein, indem er handle, wie andere obrigkeitliche Personen gehandelt hätten. So habe zum Beispiel Cincius Severus den Angeklagten die Antworten, welche sie zu geben hatten, um freigesprochen zu werden, in den Mund gelegt. Vespronius Candidus entließ einen Christen aus der Kerkerhaft unter der Angabe, daß seine Verurteilung ernste Tumulte hervorrufen würde. Asper, als er sah, daß ein Gefangener bei Anwendung leichter Folterqualen bereit war, nachzugeben, ließ die Tortur einstellen und drückte sein Bedauern darüber aus, daß man ihm diesen Fall überhaupt vorgetragen habe. Als Pudens eine Anklageschrift durchlas, erklärte er das Dokument für nicht in der gehörigen Form abgefaßt und ungültig, weil es verleumderisch sei, und zerriß es.
Wir können aus solchen Zügen also entnehmen, wieviel von der Laune und vielleicht auch dem Charakter der Statthalter und Richter abhing, wenn sie die kaiserlichen Gebote in Bezug auf die Christenverfolgungen in Kraft treten ließen. Der heilige Ambrosius erzählt uns, daß einige Statthalter sich dessen rühmten, wenn sie ihre Schwerter unbefleckt von Blut ( incruentos enses) aus den Provinzen zurückbrachten.
Wir können auch leicht begreifen, daß zu ganz bestimmten Zeiten wilde Christenverfolgungen in Gallien, Afrika und Asien wüten konnten, während der größere und hauptsächliche Teil der Kirche sich tiefen Friedens erfreute. Rom war jedoch unzweifelhaft der Ort, welcher den häufigen Ausbrüchen der Feindseligkeiten am meisten unterworfen war; so daß man es für ein Privilegium seiner Päpste während der ersten drei Jahrhunderte halten kann, daß sie für den Glauben, welchen sie lehrten, blutiges Zeugnis ablegen durften. Zum Papste gewählt werden, war gleichbedeutend mit dem sterben des Märtyrertodes.
Zur Zeit unserer Erzählung befand sich die Kirche in einer jener längeren Zwischenzeiten verhältnismäßigen Friedens, welche Gelegenheit zu einer großen und tiefbedeutenden Entwickelung gab. Seit dem Tode Valerians im Jahre 268 hatte keine formelle Christenverfolgung stattgefunden, obgleich diese Zeit durch manches edle, hochherzige Märtyrertum ausgezeichnet ist. Während solcher Perioden waren die Christen imstande ihre Religion vollständig und sogar prächtig zur Ausübung zu bringen. Die Stadt war in Distrikte oder Pfarreien geteilt; jede hatte ihre Titel oder Kirche, in welcher Priester, Diakone und niedere Kleriker das Amt verrichteten. Die Armen wurden unterstützt, die Kranken aufgesucht, die Katechumenen unterrichtet; die heiligen Sakramente wurden dargereicht, täglicher Gottesdienst wurde abgehalten, die Bußkanones wurden durch die Geistlichen jedes Titels ausgeführt; Kollekten wurden zur Erfüllung all dieser und anderer Zwecke gemacht, welche mit frommer Wohlthätigkeit zusammenhingen, und die Folge davon war, daß die Kirche Gastfreundschaft im umfassendsten Maße üben konnte. Wir finden verzeichnet, daß sich im Jahre 250 während des Pontificats des Cornelius in Rom sechsundvierzig Priester und einhundertvierundfünfzig niedere Kleriker aufhielten, welche zusammen mit fünfzehnhundert Armen durch die Almosen und milden Gaben der Gläubigen unterstützt wurden.Euseb. hist. eccl. 6, 43. Diese Anzahl von Priestern stimmt fast genau mit jener der Titel überein, welche damals, wie der heilige Optatus uns berichtet, in Rom waren.
Obgleich die Gräber der Märtyrer in den Katakomben noch immer fortfuhren, der Gegenstand der Verehrung während dieser verhältnismäßig friedlichen Zeiten zu sein, und man niemals unterließ, diese Zufluchtsstätten der Verfolgten in sauberster Ordnung zu halten, so dienten sie doch damals nicht allgemein zur Abhaltung des Gottesdienstes. Die Kirchen, welcher wir bereits erwähnt haben, waren häufig öffentlich, groß und sogar prächtig; Heiden pflegten während der Predigten, welche dort gehalten wurden, anwesend zu sein, und ebenfalls hörten sie jenen Teil der Liturgie mit an, welcher für die Katechumenen bestimmt war. Aber gewöhnlich befanden die Kirchen sich in Privathäusern, und waren wahrscheinlich aus den großen Hallen oder triclinia hergestellt, welche die vornehmeren Häuser enthielten. Wenigstens wissen wir, daß der größte Teil der Titel in Rom ursprünglich diesen Charakter trugen. Tertullian erwähnt christlicher Begräbnisstätten unter einem Namen, welcher zeigt, daß sie sich über der Erde befanden, denn er vergleicht sie mit Scheunentennen, welche notwendigerweise unter freiem Himmel waren.
Eine Sitte des alten Rom wird den Einwand beseitigen – der möglicherweise erhoben werden könnte – wie es denn großen Menschenmengen gelungen sei, sich an diesen Orten zu versammeln ohne Aufmerksamkeit zu erregen und folglich Verfolgungen herbeizuführen. Es war gebräuchlich, daß die Reichen an jedem Morgen das abhielten, was man ungefähr eine Levée nennen könnte; dieser Versammlung wohnten die Untergebenen, die Klienten, die Boten der Freunde – entweder Freigelassene oder Sklaven – bei; einige wurden in den inneren Hof und so in die nächste Umgebung des Herrn zugelassen, während andere sich nur vorstellten und sofort wieder entlassen wurden. Auf diese Weise konnten hunderte in einem vornehmen, großen Hause aus- und eingehen, zusammen mit der Menge der Sklaven des Haushalts, den Handelsleuten und anderen, welche dort Zutritt hatten, entweder durch den Haupt- oder den hinteren Eingang, ohne daß irgend jemand diesem Umstand besondere Beachtung geschenkt hätte.
Es giebt noch eine zweite wichtige Erscheinung in dem gesellschaftlichen Leben des früheren Christentums, welches man kaum für möglich halten könnte, wenn nicht die authentische Geschichte der Märtyrer und die Kirchengeschichte das glaubwürdigste Zeugnis dafür ablegten. Das ist das Geheimnis und die Verborgenheit, welche sie zu bewahren wußten. Es ist gar keinem Zweifel unterworfen, daß es Christen gab, welche sich in der höchsten Gesellschaft bewegten, große, weithin sichtbare öffentliche Stellen bekleideten, und sich sogar in der nächsten Nähe der Person des Kaisers befanden. Und doch wurden sie nicht einmal von ihren vertrautesten heidnischen Freunden beargwöhnt. Ja, es gab sogar Fälle, wo sogar die nächsten Verwandten in vollständiger Unwissenheit über diesen Punkt blieben. Es war jedoch nicht erlaubt, das Geheimnis durch irgend eine Verstellung oder eine That, welche mit der christlichen Moral oder der christlichen Wahrheit nicht in Einklang zu bringen war, besonders aber durch keine Lüge zu wahren. Hingegen wurde jede Vorsichtsmaßregel, welche sich mit vollkommener Wahrheit und Offenheit vertrug, getroffen, um das Christentum dem Auge der Öffentlichkeit zu entziehen.Nichts konnte zum Beispiel im häuslichen Verkehr schwerer zu bewerkstelligen sein, als daß eine Frau ihre wahre Religion vor ihrem Gatten verheimlichte. Und doch behauptet Tertullian, daß dieser Fall kein seltener gewesen. Denn indem er von einer verheirateten Frau spricht, welche nach der Sitte jener Zeit der Christenverfolgungen das heilige Sakrament in ihrem Hause nimmt, sagt er: »Laß deinen Gatten nicht wissen, was du täglich im geheimen nimmst, ehe andere Nahrung über deine Lippen kommt, und wenn er von jenem Brote erfahren muß. so laß ihn doch nicht wissen, wie wir es nennen.« Ad uxorem. 1. 2, c. 5. Hingegen spricht er an einer anderen Stelle von einem katholischen Manne und einem Weibe, die einander die Kommunion reichten. monogamia. c. 11.
Wie notwendig dieses vorsichtige Verfahren nun auch sein mochte, um jeder zügellosen Verfolgung vorzubeugen, so fielen seine Folgen doch oft schwer auf jene zurück, welche es beobachteten.
Die heidnische Welt, die Welt der Macht, des Einflusses, des Staates – die Welt, welche Gesetze machte, welche ihr am besten paßten, und ihre Ausübung erzwang – die Welt, welche irdisches Glück liebte und den Glauben haßte und verspottete – diese Welt fühlte sich umgeben, erfüllt, durchsickert von einer geheimnisvollen Macht, welche sich verbreitete – niemand wußte wie – und einen Einfluß gewann – niemand wußte woher. Familien gewahrten entsetzt, daß ein Sohn oder eine Tochter dies neue Gesetz angenommen hatte, ohne daß sie eine Ahnung hatten, wie sie mit demselben in Berührung gekommen waren; dieses Gesetz, welches sie in ihren erhitzten Phantasien vom volkstümlichen Standpunkt aus für dumm, gemein, kriechend und antisocial hielten.
Auf diese Weise war der Haß gegen das Christentum sowohl politisch wie religiös. Die christliche Religion wurde als unrömisch angesehen, als verfolge sie ein Interesse, welches sich der Ausdehnung und der Wohlfahrt des Reiches entgegenstellte, indem es einer unsichtbaren, geistigen Macht gehorchte. Man sagte, die Christen seien irreligiosi in Cesares, » ungetreu den Kaisern« – und das war genug. Von jetzt an hing ihre Sicherheit und ihr Frieden viel von der allgemeinen Stimmung im Volke ab; wenn es irgend einem Demagogen oder Fanatiker gelang, diese zu erregen, so konnte weder ihr Leugnen gegenüber der wider sie erhobenen Anklage, noch ihr friedliches Gebaren, noch die Gesetze des bürgerlichen Lebens sie vor solchen Maßregeln der Verfolgungen schützen, die man ungestraft gegen sie anwenden zu können glaubte. Nach diesen abweichenden Bemerkungen werden wir den unterbrochenen Faden unserer Erzählung wieder aufnehmen.