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Ziegelbrenner Vallet
Joseph Vallet, der Besitzer einer Ziegelhütte in der Landschaft Bresse, stand allgemein in dem Rufe, daß er vorzügliche, feste Ziegel brenne. In der ganzen Gegend kaufte alles Ziegel von ihm. Solange bei ihm noch Vorrat war, wollte niemand von einem anderen Brenner Ziegel kaufen. Dieser Vorzug machte alle Besitzer der benachbarten Ziegelhütten zu seinen Feinden. Man suchte ihn in Prozesse zu verwickeln; man brachte Edelleute wider ihn auf, die ihn auf ihren Gütern Steine hatten brechen lassen. Mit einem Wort, man ließ nichts unversucht, ihn zu stürzen.
Der gefährlichste unter seinen Feinden war der königliche Fiskal Frillet, der selbst ein Gut mit einer Ziegelhütte besaß. Dieser arglistige, unternehmende Mann zeigte seinen Haß gegen Vallet schon in einer früheren Geschichte auf eine furchtbare Art:
Im Jahr 1705, an einem Sonntag, kam Vallet von Priay aus der Vesper. Er war in Gesellschaft von drei Landleuten, Peter und Claudius Blondel und Claudius Moriz. Auf dem Wege begegnete ihnen ein gewisser Anton Duplex; er war so betrunken, daß er kaum noch gehen konnte. Sie sahen seine Nase bluten und schlossen daraus, daß er gefallen sein müsse. Vallet wollte sich seiner annehmen und ihn nach Hause begleiten. Es kamen aber gerade einige Bekannte des Betrunkenen, Malet und Nikolas, hinzu, die ihn nach Hause brachten. Am folgenden Morgen hatte Duplex seinen Rausch glücklich ausgeschlafen. Er arbeitete einige Tage im Weinberge des Pfarrers von Priay in Gesellschaft von Malet, mit dem er am dritten Tage spät abends nach Hause ging. In der Finsternis fiel er in einen mit Schlamm und Wasser angefüllten Graben. Da er vom Gehen erhitzt war, erkältete er sich, worüber er auch vor seinem Gefährten klagte. Zu Hause wurde er kränker; am folgenden Morgen konnte er nicht aufstehen. Es stellte sich ein Stechfieber ein, an dem er nach einigen Tagen starb.
Hierauf machte Frillet dem Kriminalrichter Ravet folgende Anzeige: Duplex sei vor einigen Tagen mit Blondel und Vallet in Streit geraten und von ihnen mißhandelt worden. Vermutlich habe die Mißhandlung weit mehr als die Erkältung zu seinem Tode beigetragen. Er möge Untersuchung darüber anstellen.
Der Richter ließ die Witwe von Duplex rufen und befragte sie. Sie antwortete aber, ihr Mann sei an einem Stechfieber gestorben, das er sich durch eine Erkältung zugezogen habe; von Händeln, die er mit Blondel oder Vallet gehabt haben solle, wisse sie nichts; sie habe nicht die geringste Klage von ihrem Mann gehört, daß er von den beiden geschlagen worden sei.
Diese Erklärung hätte auf einmal allen Verdacht beseitigen sollen, denn niemand konnte über die Krankheit des Gestorbenen besser Auskunft geben und niemand hatte weniger Ursache, die Wahrheit zu verhehlen, als die Witwe. Dessenungeachtet wurde die Untersuchung fortgesetzt. Es wurden mehrere Zeugen verhört; doch keiner sagte etwas zum Nachteil des Angeklagten aus. Vielmehr bezeugte Moriz, der mit Blondel und Vallet an jenem Sonntag nach der Vesper Duplex begegnet war, das Nasenbluten, das sie an Duplex bemerkt hätten, habe keine andre Ursache gehabt, als daß er im Rausch gefallen sei, denn er sei ganz betrunken gewesen. Er wisse es aus dessen eignem Mund, daß er mit niemandem Streit gehabt habe und von niemandem geschlagen worden sei, denn er habe ihn am folgenden Tage darüber befragt. Er habe es auch selbst gesehen, daß Duplex gleich darauf drei Tage bei dem Pfarrer von Priay gearbeitet habe.
Der Richter, der nun weiter keinen Grund fand, die Untersuchung fortzusetzen, sprach die Angeklagten frei, verurteilte sie aber dazu, sämtliche Gerichtskosten zu bezahlen. – Über diesen Entscheid äußerst ungehalten, beschuldigte Frillet öffentlich den Richter Ravet, daß er sich von Vallet habe bestechen lassen, und machte ihm so viel Schwierigkeiten, daß Ravet dadurch bewogen wurde, sein Amt niederzulegen.
Frillet, dem sein abscheulicher Plan gegen Vallet mißlungen war, fand später eine bessere Gelegenheit, seine Rache zu befriedigen. Im Jahre 1724, am 19. Februar, sah man zwei Einwohner von Priay in der Landschaft Bresse, Joseph Sevos und Anton Pin, den ganzen Tag zusammen in den Weinhäusern des Orts, und am folgenden Tag waren beide verschwunden.
Über Anton Pin erfuhr man bald, daß er nach Dombes, unweit Bresse, gegangen sei und sich bei dem Regiment von Sarre habe anwerben lassen.
Von Sevos aber hatte man nicht die geringste Spur. Er hatte sein notdürftiges Auskommen, besaß ein kleines Haus und stand als ein rechtschaffener Mann unter seinen Mitbürgern in Ansehen. Niemand konnte also begreifen, warum er heimlich entwichen sein sollte, und man war geneigt zu glauben, daß er ermordet wurde.
Das Gerücht von diesem »Mord« verbreitete sich in der ganzen Gegend. Allgemein hielt man Anton Pin für den Täter. Man wollte vorher schon Drohungen gegen Sevos von ihm gehört haben. Beide hatten noch zuletzt den ganzen Tag zusammen zugebracht. Pins Reise nach Dombes sah einer Flucht ganz ähnlich, und überdies stand er in dem Ruf eines ausgemachten Bösewichts, dem man jedes Verbrechen zutraute.
Doch alle diese Umstände genügten nicht für eine Anzeige. Denn wenn sich auch Pin nach Dombes begeben hatte, folgte daraus noch lange nicht, daß er Sevos ermordet haben müsse. Vielmehr konnte man das Gegenteil daraus folgern. Wäre er der Mörder gewesen, so würde er einen viel sichren Zufluchtsort gewählt haben. Dombes gehörte zwar damals nicht der Krone Frankreich; aber auf die erste von den französischen Richtern erfolgte Anforderung würde Pin als ein Mörder ausgeliefert worden sein. Pin stand zwar in bösem Ruf; aber konnte man ihn deswegen aller in der Gegend vorgefallenen Verbrechen beschuldigen? Er hatte mit Sevos zuletzt den ganzen Tag in Trinkhäusern zugebracht; war aber daraus wohl zu schließen, daß er ihn ermordet haben müsse? Wo war überdies das Corpus delicti? Wo befand sich der Leichnam des ermordeten Sevos? Mußte er denn ermordet sein? Konnte er sich nicht aus einem Grunde unsichtbar gemacht haben, der bis jetzt noch ein Geheimnis war?
So wurde noch über die Sache hin und her geurteilt, als plötzlich ein neues Gerede aufkam. Es gab Leute, die behaupteten, man habe an dem Tage, da Sevos verschwunden sei, in den Gesichtern der Familie Vallet eine Unruhe und Bestürzung gemerkt, die eine ganz außerordentliche Veranlassung gehabt haben müsse. Andere sagten, sie hätten gehört, die Vallets seien die Mörder. Andere sprachen davon, als wären sie Augenzeugen.
Am 19. August 1724 übergab schließlich der königliche Fiskal Frillet, angeblich durch jenes allgemein verbreitete Gerücht veranlaßt, den Gerichten folgende Anzeige: »Joseph Sevos, der nach dem 19. Februar dieses Jahres plötzlich verschwunden ist, hat noch am Abend zuvor bei Joseph Vallet gesessen. Es wird nun behauptet, er sei in Vallets Ziegelhütte ermordet und beim Ofenloch verscharrt, nachher aber wieder ausgegraben und im Ziegelofen verbrannt worden. Ich trage also amtshalber auf Untersuchung dieses Verbrechens an und bitte um Anhörung der Zeugen, die ich dem Richter stellen werde.«
Auf diese Anzeige hin begann Herr Ravier, der Richter zu Pont d'Ains, mit den Untersuchungen und ließ die Zeugen vernehmen.
Der Hauptzeuge war ein gewisser Vaudan. Seine Aussage lautete: »In der Nacht des 19. Februar ging ich nach Mastalion. Ungefähr drei oder vier Stunden vor Tage kam ich an Vallets Haus vorbei. Ein starkes Getöse erregte meine Aufmerksamkeit. Auf einmal hörte ich jemand schreien: ›Helft, helft, ich will ja alles bekennen, nur diesmal habt Erbarmen mit mir!‹ Zwei- oder dreimal wurde dies mit dem nämlichen Angstgeschrei wiederholt. ›Da ist nichts mehr zu bekennen‹, rief eine andere Stimme, die ich deutlich als die Vallets erkannte, ›du mußt fort!‹ Erschrocken über diese Äußerung, verkroch ich mich hinter einen Busch, um den Verlauf des Auftritts abzuwarten. Ich hörte, daß auf den Schreienden stark eingeschlagen wurde. Kurz darauf wurde es still im Hause, und endlich sah ich, daß Vallet mit Hilfe seiner Frau und Kinder einen toten Körper aus dem Hause brachte. Sie gruben ihn in der Ziegelhütte beim Ofenloch ein und überdeckten das Loch mit Holz. Drei oder vier Tage darauf ging ich unter einem Vorwand zu Vallet in die Ziegelhütte, um zu sehen, ob ich noch eine Spur von seinem Loch wahrnehmen könne. Ich bemerkte aber, daß der Leichnam schon weggebracht sein müsse; später hörte ich, der Erschlagene sei Joseph Sevos gewesen, und Vallet habe den Körper am Karfreitag in seinem Ziegelofen verbrannt.«
Es fanden sich auch wirklich mehrere Zeugen, die an jenem Karfreitag entweder an Vallets Ziegelhütte vorbeigegangen zu sein oder in der Nähe auf ihren Feldern gearbeitet zu haben behaupteten und sämtlich versicherten, daß aus Vallets Ziegelofen ein Gestank gekommen sei, als ob frisches Fleisch verbrannt würde. Man habe diesen Gestank über eine Viertelmeile weit gerochen, er sei unerträglich gewesen; mehrere, die auf dem Felde in der Nähe gewesen seien, hätten ihre Ochsen ausgespannt und sich nach Hause begeben, weil sie den abscheulichen Geruch nicht länger hätten aushalten können.
Auf diese gerichtliche Aussage hin wurde die Verhaftung der ganzen Familie Vallet verfügt.
Durch die Abscheulichkeit des Verbrechens, das durch die Zeugenaussagen beinahe erwiesen war, hielt sich der Richter für berechtigt, so grausamen Mördern die gelinde Behandlung zu versagen, die die Gesetze bei Verhaftung und Unterbringung eines Angeklagten vorschreiben. Der königliche Fiskal Frillet stimmte zu und ließ also die richterliche Verfügung mit der äußersten Härte vollziehen.
Eine Brigade Landreiter brachte die Angeklagten zum Schloß in Pont d'Ains. Der alte Vallet lag an einem heftigen Fieber zu Bett, als er gefangengenommen wurde. Trotzdem ließ ihm Frillet an Händen und Füßen Fesseln anlegen, durch die eine eiserne Stange ging, die fünfunddreißig Pfund wog; er lachte, als das Gewicht der Ketten den schwerkranken Mann zu Boden warf. Er ließ ihn sogar in ein unterirdisches Loch werfen, obwohl die Gesetze ausdrücklich befahlen, kranke Gefangene nicht in Löcher zu werfen, sondern im Gefängnis leidlich unterzubringen und sie durch Ärzte und Wundärzte behandeln zu lassen. Selbst das Wasser wurde ihm versagt, und damit Vorübergehende sein Wehklagen nicht hören sollten, wurde das einzige Luftloch seines Gefängnisses, das auf die Straße ging, dicht verstopft. Seine Verwandten und Freunde, die ihm eine Erquickung bringen wollten, wurden nicht zu ihm gelassen, und sogar ein mitleidiger Geistlicher, der dem Kranken Trost zusprechen wollte, wurde abgewiesen.
Auch Vallets Ehefrau wurde in Handschellen geschlossen, obwohl es ungewöhnlich war, Frauen Fesseln anzulegen.
Philipp Vallet, der älteste Sohn, wurde mit schweren Fesseln belastet, in ein feuchtes Loch gesteckt, wo er an Händen und Füßen gelähmt wurde, und selbst Peter Vallet, einem vierzehnjährigen Knaben, wurden die Hände mit Handeisen so zusammengeschraubt, daß er vor Schmerzen unaufhörlich schrie; man nahm sie ihm erst nach vierzehn Tagen wieder ab.
Frillet erhielt nun von dem Richter die Erlaubnis, noch mehrere Zeugen vernehmen zu lassen. Er brachte deren noch eine große Menge zusammen. Allein, die meisten sprachen nur vom Hörensagen und wußten nichts als das bisherige öffentliche Gerede anzugeben.
Nun brachte Frillet auch jene Geschichte vom Jahr 1705 wegen der angeblichen Ermordung des Anton Duplex wieder in Gang; er führte jetzt den nämlichen Moriz als Zeugen auf, der damals so vorteilhaft für den alten Vallet gezeugt hatte. Moriz erzählte nun folgendes: »Vor achtzehn oder neunzehn Jahren saß ich eines Tages in einer Schenke und trank. Auf einmal entstand, einige Schritte vom Haus, ein Geschrei; man hörte einen Menschen um Hilfe rufen. Ich lief hinaus, und mehrere von den Anwesenden folgten mir. Als ich auf den Platz kam, sah ich, daß Joseph Vallet den Anton Duplex unter sich hatte und mit aller Heftigkeit auf ihn losschlug. Die beiden Brüder Blondel standen dabei. Einer von ihnen rief Vallet zu, er solle ihn nun gehen lassen, er habe ihn genug geschlagen. Allein Vallet fuhr fort zu schlagen und sagte: ›Nein, ich muß ihm den Rest geben.‹ Einige Tage nach diesem Auftritt starb Duplex.« Bei dem zweiten Verhör setzte Moriz noch hinzu: »Joseph Vallet und die beiden Blondel gaben der Witwe von Duplex Geld, damit sie nicht gegen sie klagen sollte, und bestachen Herrn Ravet, den damaligen Richter. Dieser suchte also die Sache zu unterdrücken, und daher kam es, daß die Zeugen nicht gehörig vernommen wurden.«
Während auf Frillets Veranlassung die ganze Untersuchung wegen Sevos' Ermordung gegen Vallet und seine Familie gerichtet wurde, gab es doch Leute genug, die Anton Pin nicht aus den Augen verloren hatten. Man sagte öffentlich, daß dieser der Mörder sei, und die ganze Geschichte dieses Vorfalls gelangte sogar an den Hof. Man suchte nähere Aufschlüsse zu erhalten. Der Minister schrieb an das Regiment, bei dem sich Pin hatte anwerben lassen. Daraufhin wurde Pin ausgeliefert und in das Gefängnis nach Pont d'Ains gebracht.
Bei seinem ersten Verhör erklärte er mit anscheinender Freimütigkeit, er wisse wohl um Sevos' Ermordung und wolle unverhohlen die Wahrheit sagen. »In der Nacht des 19. Februar 1724«, erzählte er, »war ich mit Sevos bei Joseph Vallet. Wir drei hatten da ein kleines Trinkgelage. Zwei Stunden nach Mitternacht saßen wir noch beisammen. Sevos, dem der Wein in den Kopf gestiegen war, machte Vallet den Vorwurf, er habe Anton Duplex ums Leben gebracht. Vallet geriet darüber in Wut, ergriff eine große zinnerne Kanne, die auf dem Tische stand, und gab damit Sevos einen so heftigen Schlag auf den Kopf, daß dieser sogleich niederstürzte. Er schrie: ›Ach, Barmherzigkeit, Barmherzigkeit! Nehmt all mein Geld und schenkt mir nur das Leben!‹ Allein Vallet erwiderte: ›Was Barmherzigkeit!‹, und nun ging das Schlagen erst recht los. Vallets Frau ergriff eine große Feuerschaufel und versetzte damit dem schon verwundeten Sevos noch einige heftige Schläge. Auch Philipp Vallet half noch mit Zuschlagen, bis endlich Sevos unter ihren Händen verschied. Peter Vallet ging vor die Tür, um sich zu vergewissern, ob etwa jemand vorbeiginge. Als Vallet merkte, daß Sevos tot war, wollte er mich nötigen, auch noch mit zuzuschlagen, vermutlich in der Absicht, daß ich nicht wider ihn zeugen sollte. Ich ließ mich aber nicht überreden. Endlich schaffte Vallet mit Hilfe seiner Frau und seiner Kinder den toten Körper in die Ziegelhütte, legte ihn beim Ofenloch nieder und bedeckte ihn mit Holz.«
Durch diese Aussage, die mit Vaudans Zeugnis in der Hauptsache genau übereinstimmte, schien es beinahe außer allem Zweifel zu sein, daß Vallet mit seiner Familie diesen Mord wirklich begangen hatte.
Indes führten die Beschuldigten zu ihrer Verteidigung folgendes an: Erstens habe man gleich nach Sevos' Verschwinden in seinem Bett, am Kopfkissen und am Bettuch, sowie am Boden seiner Kammer Spuren von Blut gefunden. Folglich müsse er in seinem Bett ermordet worden sein, und niemand anders als Anton Pin könne ihn umgebracht haben. Zweitens wurde bewiesen, daß Peter Vallet, der jüngste Sohn, in der Nacht des 19. Februar, in der er während der Ermordung des Sevos vor seines Vaters Haus Schildwache gestanden haben sollte, in einer Pension bei einem Schullehrer zu Poncin zwischen zwei Mitschülern geschlafen hatte.
Die Gerichte übergingen aber diese Behauptung mit Stillschweigen und bestanden darauf, Vallet solle gerichtliche Beweise beibringen, daß Anton Pin Sevos ermordet habe. Auf diese Weise war freilich Vallets Rechtfertigung unmöglich.
Frillet übergab nun als königlicher Fiskal folgendes Gutachten: Joseph Vallet, der durch mörderische Gewalttätigkeit den Tod von Anton Duplex verursacht habe, solle mit dem Strang hingerichtet, seine Frau aber und seine beiden Söhne sowie auch Anton Pin, die alle eines an Joseph Sevos verübten Mordes angeklagt seien, sollten auf die Folter gebracht werden.
Hierauf erteilte das Gericht am 9. Mai 1725 den Auftrag, Joseph Vallet nebst seiner Frau und seinen Söhnen, weil sie bei ihrer Verteidigung das, was sie hätten beweisen sollen, nicht bewiesen hätten, auf die ordentliche und außerordentliche Folter zu bringen, um dadurch ein richtiges Bekenntnis wegen des an Sevos verübten Mordes von ihnen zu erhalten.
Mit diesem Beschluß, der den alten Vallet noch am Leben ließ, war aber Frillet nicht zufrieden. Er appellierte an das Parlament zu Dijon. Die Akten wurden von dem Richter dorthin eingeschickt und Vallet mit seiner Familie ins Parlamentsgefängnis zu Dijon gebracht.
Dieser Gerichtshof fand zwar in den Akten Tatsachen genug, die Vallet und den Seinigen sehr zur Last fielen. Aber die Anzeigen gegen Anton Pim, der üble Ruf, in dem er stand, seine Flucht, mehrere auf seine Sicherheit abzielende Bedingungen, die er gemacht hatte, als er sich unter die Truppen anwerben ließ, mancherlei Widersprüche in seinen Aussagen – alles dies war nicht weniger wichtig. Die Sache schien noch weit mehr der Aufhellung zu bedürfen.
Das Parlament verordnete also durch einen Entscheid vom 18. Juni 1725, daß sowohl Vallet mit seiner Familie als auch Anton Pin, jeder einzeln, nochmals verhört und dann alle gegenübergestellt werden sollten.
Diese neue Untersuchung ergab zwar im ganzen nicht soviel Licht, wie man gehofft hatte. Doch verdichteten sich dadurch die Anzeichen gegen Pin so sehr, daß man berechtigt war, sich vorerst an ihn allein zu halten.
Durch einen neuen Erlaß des Parlaments vom 26. Juni wurde daher befohlen, daß Anton Pin in Gegenwart eines vom Parlament abgeordneten Kommissars gefoltert werden sollte, um ein richtiges Bekenntnis über die Ermordung Sevos' und die Nennung seiner Mitschuldigen von ihm zu erzwingen.
Von diesem Urteil erhielt Pin auf die eine oder andere Art Nachricht. Er sprach darüber mit einem Mitgefangenen, der selbst vor kurzem die Folter ausgestanden hatte, ohne etwas zu gestehen. Dieser stellte Pin an seinem eigenen Beispiel vor, daß er sein Leben retten könne, wenn er nur Mut genug habe. Im Vertrauen auf die Widerstandskraft seines starken Körpers wollte Pin diesen Rat befolgen. Er ließ sich durch die Folter keine Änderung seiner Aussage abzwingen, wies vielmehr noch darauf hin: Vallet habe ihn dazu veranlaßt, an jenem Abend des 19. Februar Sevos zu ihm zu bringen, und habe ihm dafür einen Louisdor gegeben.
Vallet schien mit seiner Familie durch diese Aussage völlig verloren. Eine schmähliche Todesstrafe wartete ihrer.
Aber auch bei einem verhärteten Bösewicht wirkt oft die Stimme des Gewissens mehr als die Schmerzen der Folter. Kaum war Pin von der Folter wieder ins Gefängnis gebracht worden, als sich seiner eine ihm ganz ungewöhnliche Rührung bemächtigte. Er bat flehentlich, daß eine Gerichtsperson zu ihm ins Gefängnis kommen möchte.
Herr von Vormes, der Referent dieses Prozesses, ging also mit einem Schreiber zu ihm, und nun widerrief Pin alle seine vorher gemachten Aussagen und legte folgendes Geständnis ab:
»Am 19. Februar 1724 traf ich Joseph Sevos in Vallets Haus. Ich setzte mich zu ihm, um mit ihm zu trinken. Nach einigen Stunden ging er weg und begab sich zu einer gewissen Flory. Ich folgte ihm bald dahin nach. Bei dieser Frau zechten wir bis abends um neun Uhr. Dann gingen wir noch zu Dumoulin und tranken weiter bis nach Mitternacht. Hier sah ich bei Sevos einen Beutel mit ungefähr vierzig Talern Silbergeld, und dadurch erwachte in mir der Gedanke, ihn zu ermorden. In dieser Absicht begleitete ich ihn zu seinem Haus und machte ihm den Vorschlag, noch etwas miteinander zu essen. Es war kein Brot im Hause; ich ging also noch aus, um Brot zu holen. Zugleich aber nahm ich aus meines Vaters Haus ein kleines Beil mit, das ich unter meinem Kleid verborgen hielt. Sevos hatte bis zu meiner Rückkunft mehr Lust zum Schlafen als zum Essen bekommen und bat mich, die Nacht bei ihm zu bleiben. Ich begleitete ihn zum Bett, und als er eben im Begriff war, hineinzusteigen, gab ich ihm mit dem Beil einen Schlag auf den Kopf. ›Ach, mein Gott!‹ schrie er, ›ich sterbe!‹, stürzte sogleich nieder und rührte sich nicht mehr. Ich nahm darauf sein Geld, trug den Körper in den Stall und deckte ihn mit Mist zu. Das Bett und der Fußboden waren mit Blut befleckt. Ich suchte diese Flecken sorgfältig wegzuwischen und warf Kleie darüber. Beim Weggehen vergaß ich aber meinen Rucksack, der auch mit Blut bespritzt war. – Diesen letzten Umstand«, setzte er hinzu, »erwähne ich deswegen, weil ich erfahren habe, daß der Kastellan von Varembon einige Tage nach dem Mord in das Haus gekommen ist, die Spuren des Blutes gesehen hat und daß sogar einige von seinen Begleitern gesagt haben, der blutige Rucksack gehöre mir.
Im Mai 1722«, fuhr Pin dann fort, »wurde Philipp Vallet von mir auf der Straße seines Geldes und seiner Kleider beraubt. Diesen Straßenraub sah Sevos hinter einem Busch mit an und äußerte dann, er könne Pin aufs Rad bringen, wenn er wolle. Diese Äußerung gab mir den Gedanken ein, einen so gefährlichen Zeugen bei der ersten Gelegenheit aus dem Wege zu schaffen, und der Anblick des Geldes an jenem unglückseligen Tag brachte diesen Entschluß schnell zur Reife. – Übrigens kann ich versichern, daß ich bei der Ermordung von Sevos ganz allein war, daß Vallet mit seiner Familie an dieser Untat völlig unschuldig ist. Ich kann dies so gewiß sagen, wie ich von Gott Vergebung erhoffe, und ich bereue es unaussprechlich, daß ich auf diese unschuldigen Leute mein Verbrechen habe wälzen wollen.«
Herr von Vormes fragte Pin hier, welchen Grund er dazu gehabt habe, diese Familie des Mordes zu beschuldigen. »Ich war entschlossen«, antwortete er darauf, »als man mich nach Pont d'Ains führte, die Wahrheit zu bekennen. Aber der Stockmeister gab sich alle Mühe, mich wider Vallet einzunehmen. Er stellte mir vor, daß Vallet mit seiner Frau und mit seinen Kindern in allen Verhören es darauf angelegt habe, den Verdacht des Mordes auf mich zu lenken, und daß ich also Grund genug hätte, mich an ihnen zu rächen, ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten und sie als die Mörder von Sevos anzugeben. Durch solche Vorstellungen wurde ich wirklich umgestimmt.«
Endlich setzte Pin noch hinzu: »Vaudan, der gegen die Familie Vallet als Zeuge aufgetreten ist, ist ein ausgemachter Bösewicht. Sein ganzes Zeugnis ist falsch, er ist dazu durch eine große Summe gekauft, und wenn man ihn festsetzt, wird man das ganze Komplott aufdecken.«
Nach diesem Bekenntnis, das Pin noch in einigen darauffolgenden Verhören bestätigte, sprach das Parlament am 3. Juli das Urteil über ihn, daß er an Beinen, Schenkeln und Armen gerädert und alsdann noch lebend auf ein Rad gelegt werden solle. Von seinem Vermögen sollten 50 Livres als eine Buße dem Besitzer der Herrschaft Pont d'Ains zufallen, 100 Livres zu Seelenmessen für ihn verwendet und das übrige von der Behörde eingezogen werden.
Vor seiner Hinrichtung bat Pin noch die unglückliche Familie Vallet aufs rührendste um Verzeihung und ging dann standhaft zum Richtplatz.
Gleich am folgenden Tag schickte das Parlament Herrn Flutelot als Kommissar ab, um unverzüglich den Körper des ermordeten Sevos suchen zu lassen. Es wurde im Hause von Sevos alles aufs genaueste untersucht. Aber es fand sich keine Spur von einem ermordeten Körper.
Zugleich befahl das Parlament, Anton Vaudan zu verhaften und die Untersuchung gegen ihn einzuleiten; auch alle bei den Gerichten zu Pont d'Ains und Varembon in dieser Sache vorhandenen Akten, besonders aber das über die erste Nachsuchung in Sevos' Hause geführte Protokoll, dem Herrn Flutelot als dem ernannten Kommissar auszuliefern.
Diesem Befehl gemäß wurde Vaudan sogleich arretiert und noch am gleichen Tage verhört. Er blieb hartnäckig bei seiner ersten Aussage, daß Sevos in Vallets Hause ermordet worden sei; aber er gestand, ohne darüber befragt zu sein, daß er Anton Valentel, bei dem er als Knecht in Diensten gewesen war, ein Fohlen und drei Ochsen gestohlen habe.
In den Untersuchungsakten, die von den Gerichten zu Pont d'Ains ausgeliefert wurden, fand der Kommissar vieles ausradiert, mehrere Abänderungen und Zusätze, die nicht von der Hand des Gerichtsschreibers gemacht waren, ferner wichtige Eintragungen, die nicht unterschrieben waren. Diese Entdeckung ließ den Verdacht aufkommen, daß Frillet wohl auf eine ganz andere Art in die Sache verwickelt war, als es sein Amt erforderte. Flutelot setzte also die Untersuchung um so schärfer fort und fand bald, daß alle gegen Vallet und dessen Familie aufgetretenen Zeugen entweder Betrüger oder Betrogene waren, die man mit List zur Zeugenaussage gebracht hatte. Besonders entdeckte man, daß Frillet absichtlich die ganze Untersuchung lediglich gegen die Familie Vallet gerichtet und alle anderen Anzeigen hinterlistig unterdrückt hatte. So fand Flutelot jetzt, daß nicht nur mehrere Personen nach Sevos' Verschwinden in dessen Hause gewesen waren und die Spuren von Blut im Bett und auf dem Fußboden gesehen hatten, sondern daß der Kastellan und der Pfarrer von Varembon dem Fiskal Frillet selbst eine gerichtliche Anzeige davon gemacht hatten. Ferner erfuhr Flutelot, daß das Mordinstrument noch in Sevos' Hause war. Er ließ es abholen, und man sah noch jetzt Blut daran. – Umstände genug, die Frillets Bosheit so lange unterdrückt hatte!
Nun wurden auch die wegen der vorgegebenen Ermordung von Anton Duplex vorhandenen Akten noch einmal genau durchgesehen. Der Kommissar sah aus der unmittelbar nach Duplex' Tod im Jahre 1705 angestellten Untersuchung ganz deutlich, daß Duplex eines natürlichen Todes gestorben war und auch nicht ein Schatten von Verdacht gegen Vallet bestand. Die Aussage von Claudius Moriz hatte ihn gerechtfertigt. Die widersprechende Aussage eben dieses Claudius Moriz, die in den neuen Akten vom Jahr 1724 war, bewies seine Doppelzüngigkeit.
Moriz wurde also auch in Haft genommen und Vaudan gegenübergestellt. Beide blieben hartnäckig bei ihren Aussagen gegen Vallet und wurden nun ins Parlamentsgefängnis gebracht.
Kaum war aber Vaudan dort angekommen, als er, ebenso wie vorher Pin, von seinem Gewissen gerührt, die Wahrheit freiwillig bekannte. Er widerrief seine Aussage und alles das, was er bei seiner Gegenüberstellung mit Moriz gesagt hatte.
Am 5. Oktober 1725 sprach das Parlament das Urteil über ihn, er solle mit der Aufschrift auf der Brust »falscher Zeuge und Hausdieb« auf den Richtplatz geführt und mit dem Strang hingerichtet werden. Zuvor aber solle man ihn auf die Folter bringen, um seine Mitschuldigen von ihm zu erfahren.
Man erfuhr aber nichts weiter von ihm, als was er schon angegeben hatte.
Das Parlament beeilte sich nun, die Untersuchung zu beenden, und verurteilte am 12. Oktober 1725 auch Claudius Moriz zur Folter, um ihn zum Geständnis seines Verbrechens zu zwingen.
Dieser Befehl wurde noch am gleichen Tage vollzogen. Auf der Folter gestand Moriz, Frillet sei der Urheber dieser ganzen Kabale gegen Vallet und seine Familie. Frillet habe ihn aufgefordert, jetzt das Gegenteil seiner ehemaligen Aussage zu behaupten, und ihm gesagt, man müsse die Sache Duplex wieder aufleben lassen und dreist aussagen, Vallet habe ihn ermordet und den damaligen Kriminalrichter bestochen, um die Untersuchung zu unterdrücken. Anfänglich habe er sich zu einem falschen Zeugnis durchaus nicht verstehen wollen. Doch Frillet habe die listigsten Überredungskünste angewendet, und er habe sich endlich teils aus Furcht vor einer Verfolgung durch Frillet, teils durch die vorgespiegelten Belohnungen verführen lassen, die abscheulichen Pläne zu unterstützen. Auch Anton Thorillon, ein Oheim von Vaudan, und Joseph Malet hätten sich viel Mühe gegeben, Zeugen aufzutreiben und sie über das, was sie aussagen sollten, zu unterrichten.
Auf Grund dieses Bekenntnisses erfolgte gleich am 13. Oktober 1725 das Urteil des Parlaments: Claudius Moriz solle gehängt und von seinem Vermögen der Familie Vallet 500 Livres zur Schadloshaltung bezahlt werden.
Die unglückliche Familie, die durch die schwärzeste Kabale an den Rand des Verderbens geführt worden war und, ohne die geringste Schuld an den Verbrechen zu haben, deren der boshafte Neid habsüchtiger Nachbarn sie angeklagt hatte, so lange unter der Last der empfindlichsten Leiden hatte schmachten müssen, wurde nun endlich von der gegen sie erhobenen Anklage völlig freigesprochen und wieder auf freien Fuß gesetzt.
Am Tage nach Moriz' Hinrichtung gab das Parlament Befehl, Frillet, den bisherigen königlichen Fiskal zu Pont d'Ains, Joseph Malet, Förster in Diensten der Herren von Varembon, und Anton Thorillon, den Bedienten dieser Herren, zu verhaften und in das Parlamentsgefängnis zu bringen. Aber Frillet fand Mittel, zu entwischen, und nahm auch Malet und Thorillon mit. Sie flüchteten nach Savoyen in ein Kloster. –
Einige Jahre darauf war Peter Vallet eines Tages in der Stadt Bourg. Da begegnete ihm ein Mann, dessen Anblick ihn wie die Erscheinung eines Geistes erschreckte. Mit aufgerissenen Augen, wie eingewurzelt in den Boden, stand er da und betrachtete den Mann. Er konnte nicht sprechen und verriet seinen Schrecken und sein Erstaunen nur durch Mienen und Gebärden. Endlich ging der Mann auf Peter Vallet zu und reichte ihm die Hand. »Erschrick nur nicht«, sagte er, »ich bin der leibhafte Sevos; aber ich bitte dich, mache mir keinen Verdruß!« Vallet begriff noch immer nicht, wie ein Mensch noch leben konnte, den Anton Pin ermordet, dessen Ermordung dieser Pin selbst eingestanden und dafür die Todesstrafe erlitten hatte. Der Mann, der da vor ihm stand, war wirklich Sevos.
Vallet nötigte den wiederauferstandenen Sevos, mit ihm vor die Obrigkeit zu gehen, und bat die Gerichte des Ortes, sie beide so lange in Haft zu behalten, bis ein Befehl der Parlamente eingeholt sei. Auf die Nachricht von dieser unerwarteten Erscheinung wendete sich der alte Vallet sofort an das Parlament und erhielt am 4. Januar 1730 einen Befehl an den Kriminalleutnant zu Bourg, Sevos über seine plötzliche Abreise und über die Ursache, warum er sich so lange verborgen gehalten habe, zu vernehmen.
Seine Antworten zeigten aber so viel Zurückhaltung und waren so voller Widersprüche, daß das Parlament mutmaßte, es sei auch hierunter ein Geheimnis der Bosheit verborgen.
Sevos wurde deshalb am 13. März in das Parlamentsgefängnis gebracht, um bei dem Parlament selbst genauer verhört zu werden. Anfangs war er gegenüber dem Kommissär des Parlaments, der ihn verhörte, ebenso zurückhaltend. Da man ihm aber drohte, strengere Mittel zu gebrauchen, war er endlich zur Auskunft bereit.
Seine Erzählung stimmte mit dem Bekenntnis von Anton Pin vollständig überein. Er hatte mit diesem den ganzen Tag in Trinkhäusern zugebracht. Pin war endlich spät in der Nacht mit in sein Haus gegangen und hatte bei ihm schlafen wollen. »In dem Augenblick, als ich mich zu Bett legen wollte«, fuhr Sevos in seiner Erzählung fort, »gab er mir mit einem Beil einen Schlag auf den Kopf. Ich stürzte sofort nieder und schrie: ›Mein Gott, ich sterbe!‹ Da ich mich nicht mehr rührte, glaubte Pin, ich sei wirklich tot. Ohne einen Laut von mir zu geben, ließ ich mich in den Stall tragen. Pin nahm mir die vierzig Taler, die ich bei mir hatte, und machte sich davon. Sobald ich merkte, daß er das Haus verlassen hatte, stand ich auf und verschloß die Tür. Die Wunde am Kopf blutete stark, war aber nicht gefährlich. Ich suchte während der Nacht das Blut zu stillen, und als es Tag wurde, machte ich mir einen Verband, so gut ich konnte. Zwei Tage lang blieb ich in meinem Hause eingeschlossen, denn ich kannte die Verwegenheit von Pin und getraute mich nicht, mich vor ihm sehen zu lassen. Am dritten Tag ging ich ganz früh nach Varembon zu dem königlichen Fiskal Frillet und erzählte diesem Beamten den mörderischen Angriff, den Pin auf mein Leben gemacht hatte, mit allen Begleitumständen. Frillet hörte mich sehr aufmerksam an, schien einige Augenblicke über die Sache nachzudenken und sagte endlich: ›Was kannst du dem Pin anhaben? Er ist ein Bösewicht, der nichts zu verlieren hat und alles wagt. Erfährt er, daß du noch lebst und ihn verfolgst, so stellt er dir heimlich nach und bringt dich um, sobald er dich am rechten Ort findet. Ich rate dir, dich jetzt von keinem Menschen sehen zu lassen und dich fortzumachen, so weit deine Füße dich tragen wollen.‹ Durch Vorstellungen dieser Art setzte mich Frillet so in Furcht, daß ich sogleich mit größter Eile die Gegend verließ. Ich trieb mich lange überall herum, bis ich endlich wieder nach Bourg kam.«
Dies war alles, was man aus Sevos herausbringen konnte. Es blieb aber anzunehmen, daß Frillet Sevos nicht nur diesen Rat, sondern auch, vielleicht im Einverständnis mit Vallets übrigen Feinden, Geld gegeben hatte, um ihn aus dem Lande zu entfernen.
Nun verstand man, warum Frillet auf das Gerücht, daß Sevos verschwunden sei, nicht sofort eine genaue Durchsuchung seines Hauses angeordnet hatte. Er wußte freilich schon zu gut, was sich finden würde, und daß die Untersuchung dann einen ganz anderen Verlauf nehmen müßte, als in seinem Plan lag. Er hatte beschlossen, diesen Vorfall gegen die Familie Vallet zu kehren. Deswegen wartete er so lange mit dem Beginn der Untersuchung, bis sich der gegen Pin entstandene Verdacht gelegt und er durch seine Abgesandten seine Absichten gehörig vorbereitet hatte.
Kaum hatte Frillet erfahren, daß Sevos wiedergekommen sei, als er sich sofort auch wieder einfand. Er übergab dem Ministerium ein weitläufiges Schriftstück, in dem er einesteils das Parlament zu Dijon eines unüberlegten, ungerechten Verfahrens beschuldigte, da es einen Mann als Mörder habe rädern lassen, obwohl der Ermordete noch lebe, andernteils sein eigenes Benehmen bei der Untersuchung gegen Vallet und dessen Familie mit den listigsten Wendungen zu verteidigen suchte.
Das Ministerium forderte hierauf vom Parlament die Akten an. Es fand sich aber darin ebensowenig ein Beweis für Frillets Beschuldigung des Parlaments wie eine Rechtfertigung seines eigenen Verfahrens. Vielmehr wurden daraus seine gewaltsamen Rechtsverdrehungen so offensichtlich, daß das Ministerium sofort durch einen Erlaß vom 30. Mai 1730 befahl, Frillet solle verhaftet, unter ausreichender Bewachung in das Parlamentsgefängnis gebracht und ihm vom Parlament der Prozeß gemacht werden.
Dieser Erlaß kam Frillet sehr unerwartet; er war schon sicher gewesen, die Sache werde nun beigelegt werden. Er wurde verhaftet, aufs schärfste verhört und den gegen ihn vorhandenen Zeugen gegenübergestellt. Man entdeckte noch mehrere Gehilfen seiner Intrigen. Während dieser Untersuchung starb Sevos im Gefängnis, ehe man ihn zu einem vollständigen Geständnis hatte bringen können. Vermutlich hatte er selbst auch Anteil an dem Komplott gehabt, das Frillet gegen die unglückliche Familie Vallet angezettelt hatte.
Es wurde nachgewiesen, daß Frillet die Anklage gegen Vallet wegen eines an Duplex und Sevos verübten Mordes lediglich aus Haß erhoben und bei der Untersuchung wider besseres Wissen gehandelt hatte.
Das Parlament fällte also am 7. August das Urteil, daß er mit dem Strang hingerichtet, sein Vermögen eingezogen und der Familie Vallet davon 8000 Livres bezahlt werden sollten.
Die Richter waren von sieben Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags versammelt, als sie dieses Urteil abfaßten. Ganz Dijon war an diesem Tage in Bewegung; jedermann erwartete mit Begierde die Entwicklung von Frillets Schicksal; jedermann hoffte, daß das Urteil die bürgerliche Gesellschaft von einem solchen Ungeheuer befreien und allen kleinen Tyrannen, die ihre Amtsmacht zum Verderben ihrer Untertanen anwenden, an ihm ein warnendes Beispiel geben werde.
Sobald bekannt wurde, daß Frillet zum Tode verurteilt sei, schien jedermann freier zu atmen. Der Weg vom Gefängnis zum Gerichtsplatz war mit Menschen bedeckt; alle Fenster waren besetzt, und das ganze Publikum schien mit Vergnügen den Augenblick zu erwarten, wo ein Verbrecher seinen Lohn bekommen sollte, der die Gewalt der Gerechtigkeit zur Unterdrückung der Unschuld mißbraucht hatte.
Entgegen allen Vermutungen aber erschien der Generalbevollmächtigte im Parlament und überreichte dem Ersten Präsidenten einen Brief vom Königlichen Kanzler, in dem gesagt wurde, Seine Königliche Majestät habe sich Frillets Sache vortragen lassen und daraufhin befohlen, wenn das Urteil ihm eine Lebensstrafe zuerkennen würde, mit der Vollziehung bis auf weiteren Befehl zu warten. Dieser Brief war weder an das Parlament adressiert noch von einem Staatssekretär gegengezeichnet. Er hatte also in keiner Weise die Form eines unmittelbaren königlichen Befehls. Das Parlament war anfänglich im Zweifel, ob es sich danach richten solle. Doch gingen endlich die meisten Stimmen dahin, man müsse, aus Ehrfurcht gegen die Willensmeinung des Königs, die Form übersehen.
Das Publikum war äußerst enttäuscht und unzufrieden. Jeder glaubte, für seine eigene Person nicht mehr sicher zu sein, wenn ein solcher Justizmörder nicht bestraft würde.
Der König verwandelte Frillets Todesstrafe in eine zehnjährige Landesverweisung. Der Familie Vallet mußte er gleichwohl die zuerkannte Summe bezahlen. In dem Augenblick aber, als Frillet aus dem Gefängnis entlassen werden sollte, um seine Wanderschaft aus dem Lande anzutreten, starb er eines plötzlichen Todes.