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Johann Peter Hebel

Zwei Merkwürdigkeiten

 

Der silberne Löffel

In Wien dachte ein Offizier: Ich will doch auch einmal im Roten Ochsen zu Mittag essen, und geht in den Roten Ochsen. Da waren bekannte und unbekannte Menschen, Vornehme und Mittelmäßige, ehrliche Leute und Spitzbuben wie überall. Man aß und trank, der eine viel, der andere wenig. Man sprach und disputierte von dem und jenem, zum Exempel von dem Steinregen bei Stannern in Mähren, von dem Machin in Frankreich, der mit dem großen Wolf gekämpft hatte. Das sind dem geneigten Leser bekannte Sachen, denn er erfährt alles ein Jahr früher als andere Leute. – Als nun das Essen fast vorbei war, einer und der andere trank noch eine halbe Maß Ungarwein zum Zuspitzen, ein anderer drehte Küglein aus weichem Brot, als wenn er ein Apotheker wär und wollte Pillen machen; ein Dritter spielte mit dem Messer oder mit der Gabel, oder mit einem silbernen Löffel: da sah der Offizier von ungefähr zu, wie einer, in einem grünen Rocke, mit dem silbernen Löffel spielte und wie ihm der Löffel auf einmal in den Rockärmel hineinschlüpfte und nicht wieder herauskam.

Ein anderer hätte gedacht: Was geht's mich an? und wäre still dazu gewesen oder hätte großen Lärm angefangen. Der Offizier dachte: Ich weiß nicht, wer der grüne Löffelschütz ist und was es für einen Verdruß geben kann, und war mausstill, bis der Wirt kam und das Geld einzog. Als der Wirt kam und das Geld einzog, nahm der Offizier auch einen silbernen Löffel und steckte ihn zwischen zwei Knopflöcher im Rocke, zu einem hinein und zum andern hinaus, wie es manchmal die Soldaten im Kriege machen, wenn sie den Löffel mitbringen, aber keine Suppe. – Währenddem der Offizier seine Zeche bezahlte und der Wirt schaute ihm auf den Rock, dachte er: »Das ist ein kurioser Verdienstorden, den der Herr da anhängen hat. Der muß sich im Kampf mit einer Krebssuppe hervorgetan haben, daß er zum Ehrenzeichen einen silbernen Löffel bekommen hat, oder ist's gar einer von meinen eigenen?«

Als aber der Offizier dem Wirt die Zeche bezahlt hatte, sagte er mit ernsthafter Miene: »Und der Löffel da geht ja drein. Nicht wahr? Die Zeche ist teuer genug dazu.« Der Wirt sagte: »So etwas ist mir noch nicht vorgekommen. Wenn Ihr keinen Löffel daheim habt, so will ich Euch einen Patenlöffel schenken, aber meinen silbernen laßt mir da.« Da stand der Offizier auf, klopfte dem Wirt auf die Achsel und lächelte. »Wir haben nur Spaß gemacht«, sagte er, »ich und der Herr dort in dem grünen Rocke. Gebt Ihr Euren Löffel wieder aus dem Ärmel heraus, grüner Herr, so will ich meinen auch wieder hergeben.« Als der Löffelschütz merkte, daß er verraten sei und daß ein ehrliches Auge auf seine unehrliche Hand gesehen hatte, dachte er: Lieber Spaß als Ernst, und gab seinen Löffel ebenfalls her. Also kam der Wirt wieder zu seinem Eigentum, und der Löffeldieb lachte auch – aber nicht lange. Denn als die anderen Gäste das sahen, jagten sie den verratenen Dieb mit Schimpf und Schande und ein paar Tritten unter der Tür zum Tempel hinaus, und der Wirt schickte ihm den Hausknecht mit einer Handvoll ungebrannter Asche nach. Den wackeren Offizier aber bewirtete er noch mit einer Bouteille voll Ungarwein auf das Wohlsein aller ehrlichen Leute.

Merke: Man muß keine silbernen Löffel stehlen.

Merke: Das Recht findet seinen Knecht.

 

Heimliche Enthauptung

Hat der Scharfrichter von Landau früh den 17. Juni seinerzeit die sechste Bitte des Vaterunsers mit Andacht gebetet, so weiß ich's nicht. Hat er sie nicht gebetet, so kam ein Brieflein von Nanzig am geschicktesten Tag. In dem Brieflein stand geschrieben: »Nachrichter von Landau! Ihr sollt unverzüglich nach Nanzig kommen und Euer großes Richtschwert mitbringen. Was Ihr zu tun habt, wird man Euch sagen und wohl bezahlen.«

Eine Kutsche zur Reise stand auch schon vor der Haustüre.

Der Scharfrichter dachte: Das ist meines Amts, und setzte sich in die Kutsche. Als er noch eine Stunde herwärts Nanzig war, es war schon Abend, und die Sonne ging in blutroten Wolken unter, und der Kutscher hielt still und sagte: »Wir bekommen morgen wieder schön Wetter«, da standen auf einmal drei starke, bewaffnete Männer an der Straße, die setzten sich auch zu dem Scharfrichter und versprachen ihm, daß ihm kein Leid widerfahren sollte; »aber die Augen müßt Ihr Euch zubinden lassen«; und als sie ihm die Augen zugebunden hatten, sagten sie: »Schwager, fahr zu!« Der Schwager (das ist der Kutscher) fuhr fort, und es war dem Scharfrichter, als wenn er noch gute zwölf Stunden weiter wäre geführt worden, und konnte nicht wissen, wo er war. Er hörte die Nachteulen der Mitternacht; er hörte die Hähne rufen; er hörte die Betglocke läuten. Auf einmal hielt die Kutsche wieder still. Man führte ihn in ein Haus und gab ihm eins zu trinken und einen guten Wurstwecken dazu. Als er sich mit Speise und Trank gestärkt hatte, führte man ihn weiter im nämlichen Haus, Tür ein und aus, Treppe auf und ab, und als man ihm die Binde abnahm, befand er sich in einem großen Saal. Der Saal war zwar ringsum mit schwarzen Tüchern behängt, und auf den Tischen brannten Wachskerzen. Der Künstler aber, der eine Abbildung dazu verfertigt hat, sagte, es sei besser, er lasse das Tageslicht hinein, der Scharfrichter sehe alsdann auch besser zu seinem Geschäft. Denn in der Mitte saß auf einem Stuhl eine Person mit entblößtem Hals und mit einer Larve vor dem Gesicht und muß etwas in dem Mund gehabt haben, denn sie konnte nicht reden, sondern nur schluchzen. Aber an den Wänden standen mehrere Herren in schwarzen Kleidern und mit schwarzem Flor vor den Angesichtern, also daß der Scharfrichter keinen von ihnen gekannt hätte, wenn er ihm in der anderen Stunde wieder begegnet wäre, und einer von ihnen überreichte ihm sein Schwert mit dem Befehl, dieser Person, die auf dem Stühlein saß, den Kopf abzuhauen. Da ward's dem armen Scharfrichter, als wenn er auf einmal im eiskalten Wasser stünde bis übers Herz, und sagte, das soll man ihm nicht übel nehmen; sein Schwert, das dem Dienst der Gerechtigkeit gewidmet sei, könne er mit einer Mordtat nicht entheiligen. Allein einer von den Herren hob ihm aus der Ferne eine Pistole entgegen und sagte: »Entweder oder! Wenn Ihr nicht tut, was man Euch heißt, so seht Ihr den Kirchturm von Landau nimmermehr.«

Da dachte der Scharfrichter an Frau und Kinder daheim, »und wenn's nicht anders sein kann«, sagte er, »und ich vergieße unschuldiges Blut, so komme es auf Euer Haupt«, und schlug mit einem Hieb der armen Person den Kopf vom Leibe weg. Nach der Tat so gab ihm einer von den Herren einen Geldbeutel, worin zweihundert Dublonen waren. Man band ihm die Augen wieder zu und führte ihn in die nämliche Kutsche zurück. Die nämlichen Personen begleiteten ihn wieder, die ihn gebracht hatten. Und als endlich die Kutsche stillhielt und er bekam die Erlaubnis, auszusteigen und die Binde von den Augen abzulösen, stand er wieder, wo die drei Männer zu ihm eingesessen waren, eine Stunde herwärts Nanzig auf der Straße nach Landau, und es war Nacht. Die Kutsche aber fuhr eiligst wieder zurück.

Das ist dem Scharfrichter von Landau begegnet, und es wäre dem Hausfreund leid, wenn er sagen könnte, wer die arme Seele war, die auf einem so blutigen Wege in die Ewigkeit hat gehen müssen. Nein, es hat niemand erfahren, wer sie war und was sie gesündigt hat, und niemand weiß das Grab.


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