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Theodor Duimchen

Verbrechen ums Öl

Entdecker des natürlichen Petroleums in Amerika ist Oberst Drake, der Wasser suchte und Petroleum fand. Als aus seinem artesischen Brunnen das brennende Naß ausbrach, begann das Ölfieber. Tausende und aber Tausende stürzten sich auf das neue Mittel, reich zu werden. Wo sich irgend Öl zeigte, wuchsen die Bohrtürme aus dem Boden; es entstanden zahlreiche Raffinerien, und es blühte ein großes Geschäft auf, fabelhaft schnell, namentlich deshalb, weil fast jeder das wenige Kapital fand, das er brauchte, um Bohrversuche anzustellen oder eine kleine Raffinerie zu gründen.

Bald darauf begann auch schon die Verbesserung in der Gewinnung, im Reinigen und in der Versendung des Petroleums. Schon Anfang der sechziger Jahre tauchten die ersten Tanks auf. Sie waren zuerst aus Holz; bald traten eiserne an ihre Stelle. Auch kamen damals schon kluge Köpfe auf den Gedanken, Petroleum weder in Fässern noch in Tanks zu befördern, sondern durch Röhrenleitungen dahin zu pumpen, wo man es brauchte. General S. D. Karns schlug das schon 1860 vor. Angelegt wurde die erste Pipeline von Samuel van Syckel im Jahre 1865, und zwar über die vier Meilen lange Strecke von Pithole nach Millers Farm.

Um diese Zeit wurde auch der Mann zufällig auf Petroleum aufmerksam gemacht, in dem damals noch niemand den künftigen König ahnte. Ohne einen »blutigen Cent«, wie man drüben so schön sagt, waren John und William Rockefeller, ein »edles Brüderpaar«, nach dem Öldistrikt gekommen. Sie hatten sich erst in einem ganz kleinen Landstädtchen Ohios, dann in Cleveland am Eriesee niedergelassen und einen kleinen Handel gegründet. »Bill« half nur, »Johnny« war der eigentliche Mann. Er »machte« namentlich in Mehl. Sein Geschäft war gänzlich unbedeutend.

Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, als er die Bekanntschaft eines Mechanic, eines Fabrikarbeiters, machte. Dieser Mann, der ebenfalls in armseligen Verhältnissen lebte, hatte sich irgendeine kleine Verbesserung in der Reinigung des rohen Petroleums ausgedacht. Er wußte seinen Freund, den Krämer Rockefeller, zu überzeugen, daß »Geld in seiner Idee wäre«, und ihn zu veranlassen, seine paar Dreier zur Gründung einer kleinen Quetsche von Raffinerie herzugeben. Zuerst wurden alle Arbeitskräfte auf Anteil gemietet, Buchhalter, Advokaten, Eisenbahnbeamte, Makler usw.

Dieser kleine Kreis von Leuten saß ruhig in dem vom Öldistrikt mehrere hundert Meilen entfernten Cleveland; kein einziger war Eigentümer von Ölquellen oder Ölländereien. Aber mit vielen anderen zusammen Besitzer einer der vielen kleinen Raffinerien zu sein, genügte Johnnys Ehrgeiz nicht. Zu arbeiten, die Methode der Fabrikation zu verbessern, abzuhängen von den Schwankungen des Marktes, die damals sehr groß waren, je nachdem große neue Quellen angebohrt wurden oder ältere versiegten, jahrelang tätig zu sein und dann vielleicht doch das sauer erworbene kleine Vermögen durch solche Eingriffe unberechenbarer Gewalten wieder zu verlieren, das schien ihm kein »Geschäft«. Er war ein »intelligenter« Mann, der Herr Rockefeller, und begriff sehr früh, daß der Witz bei jedem Geschäft doch schließlich das Geld der anderen ist. Wenn dem aber so ist, weshalb sich vor dem kürzesten Wege genieren? Ohne Proudhon zu kennen, übersetzte er dessen »Eigentum ist Diebstahl« in das praktisch besser verwertbare Dogma »Diebstahl wird Eigentum, wenn man nicht zu fassen ist«. Sein sektenhaft fester Bibelglaube – Herr Rockefeller war Baptist – störte ihn dabei keineswegs; vermutlich nahm er den »Heiden« ihr Geld nur mit um so ruhigerem Gewissen ab.

Ich habe da eben den Ausdruck »intelligent« gebraucht. Das Wort erweckt bei dem deutschen Leser vielleicht ein falsches Bild, denn Intelligenz in unserem Sinne hatte Rockefeller nicht; er war ein völlig beschränkter Kopf, ohne jedes geistige Bedürfnis, an sich ein vollkommener Banause, ein ganz trauriger Mensch. Sein Seelenleben war von zweierlei ausgefüllt: von stupidem Gottesdienst und vom Geldmachen. Für das Geldmachen hatte er einen angeborenen rohen Instinkt, der durch keine Regung, durch keine Rücksicht, durch kein Gewissen, durch kein Bedenken jemals gehemmt wurde. Einer meiner früheren Bekannten sagte einmal von ihm: Er ist ein Tiger. Das ist nicht ganz richtig, denn ein Tiger hat Mut. Ein feiger Tiger – das charakterisierte ihn wohl am besten. Feige Verschlagenheit und vollendete Empfindungslosigkeit für Jammer und Elend von Tausenden, satte Seelenruhe, die niemals ein Gedanke an die Unzähligen stört, die er durch Gewalt, Meineid und Betrug zugrunde gerichtet hat, das waren seine hervorragenden Eigenschaften. Die meisten Leute, die über ihn geschrieben haben, darunter ganz kluge Köpfe, denen aber unbewußt die soundso viel hundert Millionen imponieren, pflegen ihn gewöhnlich einen »Mann von hervorragender Charakterstärke« zu nennen. Sehen wir uns diesen »Charakter« etwas näher an!

Das Geld der anderen war sein Ziel. Sich alle diese Tausende von Raffineuren, glücklichen Quellenfindern, Öllandbesitzern. ohne eigene Arbeit tributpflichtig zu machen, das war sein goldener Traum. Wo aber war das Mittel zur Erfüllung?

Rohöl an der Produktionsstelle kostete verhältnismäßig wenig; an dem Preise, den man am Hafenplatze – in Philadelphia, in New York – bezahlte, hatten die Transportkosten einen großen Anteil. Das sah jeder, sah also auch John D. Rockefeller. Er sah aber noch mehr.

Drei Eisenbahnen waren gegen das Ölgebiet vorgerückt: die New-York-Central-, die Pennsylvania- und die Eriebahn. Diese Bahnen waren als öffentlich-rechtlich konzessionierte Transportunternehmen (common carriers) selbstverständlich verpflichtet, keinen Kunden vor dem anderen zu bevorzugen und keinem den Versand seiner Güter zu verweigern. Das wußten alle Leute, und deshalb glaubten alle, nur durch Glück im Auffinden von Öl, durch überlegene Fabrikation oder erfolgreiche Spekulation könne man im Petroleumhandel seinen Weg machen. Rockefeller jedoch sagte sich immer und immer wieder: Die Eisenbahnen muß man in die Hand bekommen, dann kann man alle die Tausende und aber Tausende von »Ölmännern« zinspflichtig machen.

Jedem anderen wäre vielleicht der Gedanke, gegen diese mächtigen, meist von einem Großaktionär und Multimillionär straff geleiteten Eisenbahnen vorzugehen, noch verwegener erschienen als der, einen Angriff auf das Geld der unzähligen Petroleumindustriellen und -händler zu machen. Rockefeller wurde aber von seinem Instinkt ganz richtig dahin belehrt, daß man nicht Tausende, hingegen drei Leute gleichzeitig betrügen könne.

Es ist zweifelhaft, ob Rockefeller wußte, wer Epaminondas war. Doch dessen schräge Schlachtordnung hat er, zeitgemäß vergaunert, in den »wirtschaftlichen Kampf« eingeführt. Seine Gegner sahen immer außer der Kolonne, deren Angriff zunächst zu erwarten stand, noch andere Feindesscharen, mit denen zu rechnen war; ihre Aufmerksamkeit wurde zersplittert, ihre Wachsamkeit von dem Punkte abgelenkt, auf den der Hauptstoß berechnet war.

Zu diesem Zwecke schuf Herr Rockefeller immer neue Firmen, mit denen er sich scheinbar vertrug und scheinbar stritt, die er bald so, bald so ausspielte und hinter denen im letzten Grunde doch immer er selber war. Den Angriff auf die Eisenbahnen maskierte er dadurch, daß er unter dem schönen Namen »South Improvement Company« eine Gesellschaft gründete, die erklärte, sich mit der Spedition von Petroleum im großen Stil befassen zu wollen. »South Improvement Company« klang gut. Das Wort »improvement« hat drüben ungefähr denselben Reiz wie bei uns »Fortschritt«. Unter diesem schönen Namen machte nun Herr Rockefeller der ersten der drei Eisenbahnen einen freundschaftlichen Besuch. Wenn Sie nur wollen, können wir beide zusammen sehr viel Geld machen, sagte er zu ihrem Direktor, Präsident nennt man's drüben. Helfen Sie mir, daß ich die Petroleumspedition in die Hand bekomme, dann tue ich Ihnen wieder einen Gefallen und lasse alles Petroleum über Ihre Linie gehen.

Hm, sagte der kluge Herr Multimillionär. Wie denken Sie sich denn das, lieber Herr Fortschritts-Rockefeller?

Ich muß Petroleum billiger befördern können als alle anderen, sagte der.

Fiele mir ein, lachte der Präsident geringschätzig. Die Sätze sind mir niedrig genug; do you see something green in my eye? Halten Sie mich für grün, sehe ich so dumm aus?

Aber, lieber Herr Präsident, ich brauche ja gar nicht niedrige Frachtsätze überhaupt, sondern nur niedrigere Frachtsätze als die anderen, lächelte Herr Rockefeller. Verdoppeln Sie den jetzigen Satz, stellen Sie mir aber die Hälfte der Mehreinnahmen für unsere gemeinschaftlichen Zwecke zur Verfügung.

Mit Vergnügen, sagte der Präsident sehr kühl, wenn Sie nur die Gefälligkeit haben wollen, dafür zu sorgen, daß die beiden Konkurrenzlinien ihre Frachtsätze auch verdoppeln.

Aber natürlich, dafür würde ich sorgen, sagte, noch verschmitzter lächelnd, Herr Rockefeller; wenn ich nicht gewußt hätte, daß ich das fertigbekommen könnte, würde ich doch gar nicht gewagt haben, Ihnen mit meinem Vorschlage zu kommen.

Richtig, selbstverständlich, nickte der Herr Präsident.

Es wird mich freilich viel Geld kosten, damit der und jener Leiter, der und jener Großaktionär, der Aufsichtsrat, die Direktoren der beiden anderen Bahnen sich so verhalten, daß ein Vertrag ihrer Bahnen mit Ihnen zustande kommt, der den Petroleumtarif verdoppelt und auf Jahre bindet. Daß ein solcher Vertrag für ihre Bahnen gefährlich werden kann, werden sie nur übersehen, wenn sie persönlich sogleich sehr viel mehr verdienen, als sie auf ihre Anteile je dadurch verlieren können. So reiche Leute sind doch nicht mit einer lumpigen Million zu bestechen.

Vermutlich nicht, meinte der Direktor und Multimillionär verständnisvoll und wurde immer aufmerksamer.

Diese – – »Kosten« möchte ich nicht bezahlen, ich erwarte auch nicht, daß Sie sie bezahlen.

Nun, wer soll sie denn bezahlen? fragte gespannt der Herr Direktor.

Nun eben die anderen Petroleumverlader zusammen, Verehrtester. Sie nehmen uns allen die doppelte Fracht ab; die Hälfte aller Frachten aber vergüten Sie mir im geheimen zurück. Wenn Sie mir das schriftlich geben, riskiere ich erst einmal mein Geld; ich werde die Sache schon fertigbekommen, verlassen Sie sich darauf. Sie riskieren gar nichts: die fünfzig Prozent Frachtraffaktie geben Sie erst, wenn Sie die Fracht um fünfzig Prozent erhöht haben, und Sie erhöhen die Fracht erst dann, wenn die beiden anderen Bahnen gebunden sind, es auch zu tun. Sie bekommen für jedes Barrel Öl genauso viel wie bisher und dann noch mit der Zeit den ausschließlichen Transport; Sie und ich machen unfehlbar unsere Konkurrenten tot, und es kostet keinen von uns einen Cent.

Donnerwetter, sagte der Eisenbahndirektor, Donnerwetter! Das ist genial – wenn die anderen nur nicht zu früh dahinterkommen. Wir müssen es schlau anfangen. Zuerst müssen Sie mit ihnen wie mit mir verkehren und nur nach und nach ihnen die Transporte entziehen.

Wirklich, das ist nötig, schmunzelte Herr Rockefeller. Ich freue mich ungemein, daß Sie klug genug sind, das einzusehen. Das war der einzige Punkt, der mir Sorge machte. Ich fürchtete, Sie könnten am Ende zu rasch alles haben wollen, während es doch völlig unmöglich ist, die anderen plötzlich kaltzustellen. Wir verstehen uns aber, wie ich sehe. Ich habe nicht einmal nötig gehabt, Sie auf diesen Umstand aufmerksam zu machen. Wir sind füreinander geschaffen. Ich habe aber noch an einen anderen Punkt gedacht; damit Sie – man kann nie wissen – notfalls der Öffentlichkeit gegenüber einen Grund haben, weshalb Sie mir die Hälfte Ihrer Petroleumfrachten vergüten, will ich mich verpflichten, die besonderen Einrichtungen, die die Verladung von Petroleum nötig macht, an allen Stationen Ihrer Linie, wo Sie Petroleum aufnehmen, für Rechnung meiner Gesellschaft herstellen zu lassen; auch die ja ebenfalls nicht allzu kostspieligen Anlagen, die Sie an Ihren Hafenendstationen unterhalten müssen, werden wir künftig unterhalten und ausgestalten. Ich bringe also Opfer, es wird ein ganz plausibles Geschäft. Selbst den sogenannten Gesetzen und unseren geistvollen Richtern gegenüber sind wir dann gedeckt: die South Improvement Company bezahlt dieselbe Fracht wie jeder andere; nur für die Herstellung und Unterhaltung der für den Petroleumtransport nötigen Einrichtungen, für etwas also, das die anderen Verlader nicht leisten, geben Sie uns eine Vergütung, die sich ganz einleuchtenderweise nach dem Vorteil, d. h. nach den Frachteinnahmen, richtet, die Ihnen aus dem Artikel Petroleum zuwachsen. Und wenn es uns eines Tages aus irgendeinem Grunde paßt, das Petroleum der anderen Spediteure überhaupt nicht zu befördern, so »verweigert« nicht die Bahn »den Versand«, sondern wir, die South Improvement, reklamieren unsere Einrichtungen vor der Öffentlichkeit und erklären, daß wir unser Eigentum nicht mehr von. der Konkurrenz mitbenutzen lassen. Wie wollen sie dann verladen? Ehe sie eigene Anlagen bauen oder sie gezwungen werden können, das zu tun, haben wir doch längst unseren Zweck erreicht, und dann – geben wir nach, bis wir das Manöver wiederholen. Verlassen Sie sich darauf, Herr Präsident, wir beide haben sie alle in der Tasche.

Ausgezeichnet, sagte der Herr Präsident.

Der Gedanke, sich mit einem scheinbaren Interessengegner zusammenzutun, um die ahnungslosen Zeitgenossen gemeinschaftlich auszubeuten, ist jedem amerikanischen Gemüt süß. Der Präsident setzte sich also hin und verpflichtete seine Bahn, erstens den Frachtsatz für Petroleum zu verdoppeln, sobald und solange die beiden Konkurrenzlinien es auch täten, zweitens der South Improvement Company in Anerkennung der Opfer, die sie in gemeinschaftlichem Interesse für das Petroleumgeschäft bringe, bei jedem Quartalsschluß die Hälfte aller Petroleumfrachten zurückzuvergüten, drittens die South Improvement Company auch sonst nach Kräften zu unterstützen. Die South Improvement Company ihrerseits verpflichtete sich, die eben erwähnten Einrichtungen an den einzelnen Zugangsstationen: Pumpmaschinen, Sammeltanks, Krane, kleine besondere Ladebrücken usw., einzurichten und zu unterhalten sowie der Bahn tunlichst große Petroleumladungen zuzuweisen, mit der ausdrücklichen Erklärung, daß sie nicht etwa gebunden sei, den anderen Eisenbahnen nichts zu geben.

Der Eisenbahnpräsident war über das neue Geschäftsverhältnis zuerst sehr glücklich. Der Ärmste hatte ja keine Ahnung, daß Herr Rockefeller mit den beiden anderen Linien den gleichen Vertrag gemacht hatte. Sie waren alle drei gleichmäßig betrogen worden und merkten das nur nach und nach. Als Herr Rockefeller überraschend schnell und sicher eine Einigung darüber erzielte, daß alle drei Linien den Petroleumtarif verdoppelten, öffnete ihnen das die Augen noch nicht; sie wunderten sich nur über die Größe seines Einflusses und dachten bei sich, daß er doch ein erstaunlich tüchtiger Mann sei. Nur sehr allmählich kamen sie dahinter, wie treulos er sie genasführt hatte. Allein, die Verträge waren gut abgefaßt. Es war nichts zu machen, schon weil man die Unterzeichner gelyncht hätte, wenn sie mit der geheimen Absprache herausgekommen wären, und weil sich jeder der drei Direktoren doch scheute, den beiden anderen einzugestehen, daß er Herrn Rockefeller diese großen Vorteile, diese hohe Frachtvergütung für das bißchen Verladeeinrichtung nur eingeräumt hätte, um mit ihm die beiden Konkurrenten, mit denen man das heimtückische Frachtübereinkommen scheinbar ganz freundschaftlich abgeschlossen hatte, um ihren Anteil an diesen großen Transporten zu betrügen. Schließlich verloren die Bahnen ja auch nichts gegen früher, und das Geschäft vereinfachte sich wirklich. Und dann – was für ein Kerl war doch dieser Rockefeller! Mit dem im Bunde würde man die kleinen Linien, die jetzt anfingen, nach dem Ölgebiet vorzurücken, schon unterkriegen!

Die South Improvement Company bezahlte von diesem Tage an nicht nur einen Dollar Fracht für das Barrel Petroleum weniger als jeder andere, sondern verdiente sogar an jedem Barrel Petroleum, das irgendein anderer verlud, den gleichen Dollar Frachtdifferenz. Das Petroleumgeschäft war damals noch klein; die Produktion betrug nur 18000 Faß täglich; sie verdoppelte sich zwar rasch, verdreifachte und vervierfachte sich. Zunächst aber konnte die South Improvement Company für diese doch wirklich geniale Leistung immerhin sechseinhalb Millionen Dollar, sagen wir rund fünfundzwanzig Millionen Mark, jährlich in die Tasche stecken.

Da legte sich ein schwerer Druck auf das Ölgeschäft Pennsylvaniens. Kein Mensch begriff, wie das zuging. Die erhöhte, für alle gleiche Fracht konnte es nicht sein. Die Kursschwankungen waren in ein und derselben Woche häufig viel beträchtlicher, und zu allen Preisen stieg der heimische und der europäische Verbrauch. Alle Welt verlor Geld in dem Geschäft. Nur der Standardbande da drüben in Cleveland schien es zu glücken. Vermutlich enormes Glück in Hausse und Baisse an den Ölbörsen, sonst war es gar nicht denkbar! Merkwürdig: die Leute hatten augenscheinlich immer Glück, und die anderen konnten zehnmal mit einem großen Gewinn heimziehen – langsam, unheimlich sicher schien es ihnen wieder durch die Finger zu rinnen. Die unternehmendsten Leute verloren den Mut. Bankerott, Selbstmord, Irrsinn wurden im Petroleumgeschäft epidemisch.

Nach und nach – es waren Jahre vergangen – begann von den Kontrakten zwischen der Fortschrittsgesellschaft und den Eisenbahnen etwas durchzusickern. Man fing an zu begreifen, weshalb das Petroleumgeschäft schlechterdings nicht mehr lohnte, weshalb einer nach dem anderen seine Raffinerie an die Standard Oil Company zur Hälfte des Anschaffungswertes verkaufte. Die Aufregung in den Ölgegenden wuchs und wurde gefahrdrohend, so sehr, daß sich endlich der Nationalkongreß bemüßigt sah, die Abmachungen mit den Eisenbahnen zu untersuchen. Allein, die Sache rückte nicht von der Stelle. Einer der Hauptzeugen, der Rockefeller hätte gefährlich werden können, weigerte sich plötzlich zu sprechen. Überhaupt, was auch immer gegen Rockefeller und seine Dutzende von Petroleumfirmen unternommen wurde, es geschah nichts Ernstliches gegen sie. Man erzählte sich in Amerika, was der und der Richter oder der und der Gesetzgeber die Standard Oil Company gekostet habe. Das ist nicht Börsen- oder Stadtklatsch. Der Richter David Davis hat sich amtlich so ausgedrückt: Große Körperschaften, fest verbündete Riesenbetriebe besetzen die Wege der Macht … Es ist ein öffentliches Geheimnis, daß sie durch Einsetzung von gesetzgebenden Versammlungen einzelne Staaten beherrschen und die Gerichte korrumpieren, daß sie mächtig im Kongreß und skrupellos in der Anwendung der Mittel sind.

Das hat allerdings viel Geld gekostet. Das Geschäft trug es ja. Ein anständiger Scheck für den oder jenen »Volksvertreter«, ein in der Regel viel kleinerer für den und jenen bedürftigen und intelligenten Richter, für den oder jenen rechtskundigen Anwalt, der die Wege wies, konnte immer »drauf stehen«. So hatte es Johnny immer gemacht: er ließ sich nie lumpen; wenn er das Geld hundertmillionenweise anderen Leuten aus der Tasche nehmen konnte, kam es ihm auf ein paarmal Hunderttausend aus der eigenen für die nie an, die ihm dazu verholfen hatten.

Was sind in Amerika für Untersuchungen, für Prozesse geführt worden! Es ist niemals etwas anderes erreicht worden, als daß man eine Form aufgab, während die Sache genauso blieb wie bisher. Die Bahnen haben das Joch nie abzuschütteln vermocht. Durch das Geld, das sie selbst Rockefeller in die Hand gespielt hatten, war er in wenigen Jahren zu einer Großmacht geworden und setzte ihnen den Fuß auf den Nacken.

Nur die »Pennsylvania« hat einmal nach Jahren unter der Leitung Vanderbilts versucht, sich von der Standard Oil Company wieder zu befreien. Die Bahn gründete eine Scheingesellschaft à la Rockefeller, die Empire Transportation Company, die im großen Umfange Eisenbahntankwagen, Röhrenleitungen und Raffinerien zu bauen und zu kaufen begann. Kaum merkte Rockefeller, was Vanderbilt beabsichtigte, so nahm er den Kampf auf, oder vielmehr, er brachte es dahin, daß die anderen Eisenbahnen den Kampf als gegen sie geführt ansahen und einen erbitterten Tarifkrieg begannen. Nicht nur gegen die New-York-Central- und die Eriebahn, sondern auch die inzwischen hinzugekommenen: die Baltimore- und die Ohio-, die Leigh-Valley-, die Reading-, die Atlantic-, die Great-Western- und die Lake-Shore-Bahn, halfen die Kastanien für ihn aus dem Feuer holen. In der Hauptsache soll er mit Bestechungen gearbeitet haben. Großaktionäre bekamen Millionen, um für den Kampf zu stimmen. Dafür, daß nur die anderen Aktionäre dabei Geld verloren, wurde dadurch gesorgt, daß man riesige Baisse-Engagements in den Aktien der eigenen Gesellschaft vor den den Krieg erklärenden Generalversammlungen unter der Deckadresse zahlungsfähiger Makler an der New Yorker Börse einging. Der Krieg wurde bis aufs Messer geführt. Die Pennsylvaniabahn ging so weit, daß sie, um nur Öl zur Beförderung zu bekommen, es kaufte, im Hafen wieder verkaufte und sich den Preisunterschied als Fracht rechnete. Rockefeller war immer unterrichtet, wann ihre Tanks übervoll waren, wann sie verkaufen mußte: gewaltsam wurde durch riesiges Angebot gerade dann der Markt bis zur Zerrüttung gebracht; die Eisenbahn schloß auf spätere Lieferungen ab, um das zu vermeiden: da explodierten oder brannten große Tanks gerade zum Fälligkeitstermin, und die Bahn mußte erdrückende Differenzen bezahlen. Strange coincidences? murmelte das Volk. Die Bahn beförderte schließlich Petroleum umsonst, ja, sie bezahlte eine Zeitlang noch acht Cent für das Barrel darauf. Rohöl war damals an den Hafenstädten oft billiger als an der Quelle.

Die riesigen Verluste der vereinigten Bahnen aber bezahlten deren nicht eingeweihte Kleinaktionäre in Amerika, in England, in Europa, nicht Rockefeller und seine Helfer, und so wurde die Pennsylvaniabahn bald mürbe: ihr Vizepräsident ging zweimal nach Cleveland, um sich mit Johnny zu vertragen. Die Empire Transportation Company, d. h. die Pennsylvaniabahn, verkaufte ihre sämtlichen Raffinerien und Röhrenleitungen an Rockefeller und verpfändete ihm ihre Tankwagen, ungefähr 60000 Stück. Damit war sie vollständig in seinen Händen.

Als die beiden Herren einig geworden waren, wurde sofort der Betrag ausgerechnet, den die Bahn vom Käufer zu erhalten hatte, und als die Summe feststand, legte John D. Rockefeller seinen Scheck über drei Millionen und soundso viel Dollar auf den Tisch. Herr Vanderbilt ist auch große Zahlen gewöhnt. Aber daß ein Sterblicher eine so große Summe bares Geld vorrätig hatte, darüber hat sogar er sich gewundert. Für Herrn Rockefeller dagegen mußte es etwas Alltägliches sein, denn als drei Jahre später das Gericht wieder einmal so tat, als könnte es etwas ausrichten, und dabei auf diesen Vorgang zu sprechen kam, konnte sich Herr Rockefeller unter seinem Eide nicht entsinnen, daß er je an einer solchen Verhandlung teilgenommen und dabei der Gegenpartei drei Millionen Dollar ausgezahlt habe.

Die mit ihm siegenden Eisenbahnen hatten jetzt ebenso große Furcht vor ihm wie die besiegte. Keine wagte mehr zu mucksen. Nur einmal noch hatten sie eine leise Hoffnung. Zu Vanderbilt kommt eines schönen Tages, vorzüglich empfohlen, ein Mann, der ihm erklärt, daß er in Verbindung mit einigen westlichen Mammutkapitalisten das Öltransport- und Raffineriegeschäft aufnehmen wolle, und zwar mit Mitteln, die ihm mit Leichtigkeit erlauben würden, selbst gegen die Standard Oil Company erfolgreich zu konkurrieren, wenn er nur die Unterstützung einer Hauptbahn fände, am liebsten der Vanderbilts. Wenn die Pennsylvaniabahn der neuen Gesellschaft einen Frachtrabatt von 22½ Cent für das Barrel von den Sätzen einräumen wolle, die die Rockefeller-Gesellschaft bezahle, so würde sie sich einen neuen treuen Kunden gewinnen, der gelegentlich auch gegen die Standard Oil Company ausgespielt werden könnte.

Vanderbilt entschloß sich, dieses Opfer von 22½ Cent zu bringen, in der Hoffnung, der Standard Oil Company einen Gegner zu erziehen. Man kam überein, daß dieses Abkommen streng geheim bleiben sollte, vor allem, daß weder die Standard Oil Company noch die beiden anderen Hauptbahnen etwas davon erfahren dürften.

Selbstverständlich hatten auch diese Bahnen den gleichen Vertrag mit der American Transfer Company gezeichnet, hinter der sich wieder nur Herr John D. Rockefeller versteckt hatte. Man sieht, es war nicht einmal ein neuer Gedanke, sondern, mutatis mutandis, der gleiche Schwindel, mit dem er vor soundso viel Jahren zuerst den Fuß in den Bügel bekommen hatte. Die Ansichten über geistige Leistungen müssen wohl verschieden sein, denn Vanderbilt hat damals bewundernd ausgerufen: What a smart fellow!

Dieses letzte Kümmelblättchen brachte also der Standard Oil Company 22½ Cent auf jedes Barrel. Die American Transfer Company hat nie etwas anderes getan, als diese Rückvergütung einzukassieren, damit die Standard Oil Company nicht als Empfängerin aufzutreten brauchte. Mit ganzen 100 000 Dollar Kapital gegründet, zahlte sie im Jahre darauf (1878) 3 500 000 Dollar Dividende, das heißt fünfunddreißigmal soviel, wie ihr Grundkapital betrug.

Seitdem wagten die Bahnen nichts mehr gegen Rockefeller zu tun. Die Hauptröhrenleitungen hatte er nach und nach entweder mit den Bahnen zugleich, die zum großen Teil Besitzer waren, oder nebenher auf ähnlich geschäftstüchtige Weise in die Hand bekommen. Die Produzenten mußten das Rohöl zu dem Preise verkaufen, den er diktierte; sie mußten in seinen Büros Schlange stehen und froh sein, wenn er es überhaupt nahm. Weigerten sie sich, so verweigerten die Pipelinegesellschaften unter dem Prätext der Überfüllung und die Eisenbahnen unter dem des Wagenmangels die Aufnahme ihres Öls, und sie mußten es ungenutzt über die Felder laufen lassen.

In Pennsylvania fing es an zu gären. Es wurden stürmische Versammlungen abgehalten, und die Bewegung wuchs, obgleich die Zeitungen selbstverständlich von Rockefeller gekauft waren und schwiegen. Endlich kam es zu offenem Aufruhr. Im Mc Kean County wurde Rockefellers Agent des Nachts von einer vermummten Schar überfallen und erschlagen. Man schickte sich an, die Röhrenleitungen und die Eisenbahnen zu zerstören. Da fügten sich diese scheinbar, und es wurden täglich über 50 000 Faß versandt. Indes, das dauerte nicht lange. Bald war Rockefeller wieder der einzige Käufer. Die Standard Oil Company war jetzt die einzige Besitzerin von Petroleumwagen; sie beherrschte die Röhrenleitungen, und da, wie gesagt, sämtliche für Petroleum bestimmten Bahnhofseinrichtungen, auch die Termini facilities, d. h. die Güterschuppen, Kräne, Maschinen und sonstigen Verschiffungseinrichtungen der Endstationen an den Hafenplätzen, die nur scheinbar den Eisenbahnen gehörten, Eigentum der Standard Oil Company waren, hatte sie die Möglichkeit, jedes Faß Petroleum, das versandt wurde, zu beaufsichtigen.

Man stelle sich vor, welche Summe von Wissenschaft über das, was die »Unabhängigen« taten oder vorbereiteten, wohlgesichtet und durchgearbeitet von seinen tausend Angestellten allmorgendlich auf Rockefellers Pult gelegt wurde und welches Übergewicht ihm diese Wissenschaft in dem wilden Treiben der amerikanischen Börsen verschaffen mußte!

Das berühmte Jahr der großen Hausse (1876) ist von ihm in Szene gesetzt worden und fast nur ihm zugute gekommen: das Petroleum stieg damals vom Frühjahr bis zum Spätherbst um etwa 25 Mark für den Zentner; von den bisher erwähnten Summen ganz abgesehen, soll ihm dieses Jahr allein 50 Millionen Dollar, also über 200 Millionen Mark, eingebracht haben. Einen gewissen Anhalt gibt die Tatsache, daß die Standard Oil Company 1875 ein Kapital von 3½ Millionen Dollar, im Jahre 1882, als der Standard Oil Trust ihr Vermögen übernahm, 70 Millionen Dollar besaß. Das sonstige Privateigentum der Teilhaber ist selbstverständlich in beiden Fällen nicht eingeschlossen.

Beiläufig erwähnt, betrug das Vermögen des Trusts, als er zur Standard Oil Corporation gemacht wurde, im Jahre 1893 102½ Millionen Dollar. John D. Rockefellers gesamtes »Eigentum« wurde schon vor Jahren auf mehr als 150 Millionen Dollar geschätzt; heute hat er vermutlich die erste Milliarde Mark längst überschritten.

»Am unteren Ende der größten Hauptstraße in der größten Stadt der neuen Welt«, schreibt Lawson, »steht ein ungeheures Gebäude aus grauem Stein. Fest wie ein Gefängnis, beherrschend wie ein Turm scheint seine kalte und abweisende Front die kopflose Unbedachtsamkeit der Vorübergehenden zu schelten und die Stirn über den Leichtsinn der Sonnenstrahlen zu runzeln, die am Spätnachmittag spielend um seine unbewegten Simse huschen. Die Menschen zeigen auf seine finsteren Tore, werfen einen raschen Blick hinauf nach den Reihen seiner starrblickenden Fenster, stoßen einander leise an und hasten weiter – wie die Spanier zu tun pflegten, wenn sie an dem Offizium der Inquisition vorüber mußten. Das Gebäude ist Broadway Nr. 26. – Broadway Nr. 26 in New York City ist das Heim der Standard Oil.«

Hier laufen alle Fäden zusammen. Hier ist das Ende, die Zentrale eines Nachrichtendienstes, gegen den Fouchés Geheimpolizei, die Kriminalpolizei der Kulturstaaten, die ruchlosesten Detekteien Londons kindliche Einrichtungen sind. Hat einer je die Wege der Standard gekreuzt, so weiß Broadway 26 sehr bald mehr über ihn als er selbst: bis ins dritte und vierte Glied aufwärts wird sein und seiner Vorfahren Privatleben durchstöbert. Keine Bewegung kann er mehr machen, keinen Plan verfolgen, kein Geschäft unbeobachtet betreiben.

»Sein Leben
Liegt angefangen und beschlossen in
Der Santa Casa heiligen Registern«

sagt der Großinquisitor zum König Philipp. Zwar ging Marquis Posa frei herum, aber:

»Das Seil, an dem
Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.«

Marquis Posa war schon jenseits des spanischen Reiches Grenzen; jedoch der Großinquisitor beruhigt seinen König:

»Wo er sein mochte, war ich auch.« –

Das gleiche kann der Chef des Nachrichtendienstes der Standard Oil zu Rockefeller sagen.

(Geschrieben 1898)


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