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Der Marquis von Anglade
In der Nähe der Bastille zu Paris wohnten unter Ludwigs des Vierzehnten Regierung in einem ansehnlichen Hause einer belebten Straße zwei Familien als Mieter. Beide waren ihrer Geburt, ihrem Rang und ihrem Vermögen nach von sehr verschiedener Stellung.
Der Graf von Montgomery und seine Familie gehörten zu den ersten und reichsten Geschlechtern des Königreichs. Sein Name und sein Wort waren vollgültig, auch wo er den Reichtum, über den er gebot, nicht walten ließ. Er bewohnte das Erdgeschoß und das erste Stockwerk mit seiner Gattin und seiner Dienerschaft.
Auch der Marquis von Anglade lebte in mancher Beziehung auf großem Fuß mit aller Bequemlichkeit eines Weltmannes. Er war beliebt und galt als rechtschaffener Mann. Das hinderte freilich nicht, daß man sowohl seine Abstammung wie sein Vermögen bezweifelte. Ja, man war ziemlich dahinter gekommen, daß ihn keins von beiden zu der Stellung berechtigte, die er in der großen Welt einnahm. Mit Laurence Guillemot d'Anglades Adel mochte es schwach beschaffen sein. Er wollte nie, auch später vor Gericht, über seine Herkunft klare Auskunft geben. Er behauptete, früh verwaist, von seinem Vater wenig zu wissen. Das Schloß Anglade, von dem er seinen Titel hatte, soll nur eine baufällige Hütte gewesen sein, die ihm keinen Sou Einkünfte verschaffte. Sein Vermögen bestand aus einem jährlichen Einkommen von 1650 Livres, das er aus Bayonne bezog, und aus den Zinsen von 6000 Livres Kapital, das beim Herzog von Grammont stand. Übrigens lieh er auf Pfänder und spielte hoch. Er kehrte stets den vornehmen Mann hervor und erlaubte sich, wenn er auf seine Geburt zu sprechen kam, Aufschneidereien aller Art.
Der von ihm gespielten Rolle entsprachen die glänzende Dienerschaft, die er hielt, der Wagen und die Pferde und das Quartier – er bewohnte das zweite Stockwerk. Früher hatte er noch kostspieliger gewohnt und das ganze Haus gemietet. Seine Gattin galt überall als eine tugendhafte, treue Frau, zärtliche Mutter und gute Wirtin.
Mit dem Grafen Montgomery lebte die Familie Anglade in angenehmen, freundschaftlichen Beziehungen. Ja, der Graf fühlte sich bewogen, als er im Herbst 1687 auf sein Landgut reiste, seinen Hausgenossen und dessen Gattin für ein paar Tage nach dort einzuladen.
Anglade nahm die Einladung an, lehnte sie aber bald darauf unter einem geringfügigen Vorwande wieder ab.
Am Montag, 22. September, reiste der Graf mit seiner Gemahlin ab; er wollte am Donnerstag zurückkommen. Sie nahmen ihren Almosenier Ein armer Geistlicher, der im Haus wohnte und kostenlos unterhalten wurde. und ihren ganzen Hausstand mit. Nur die Kammerjungfer, Formanie, ein Lakai und vier Stickerinnen des Grafen blieben zurück. Die Kammerfrau bekam den Schlüssel zum Haupteingang der Wohnung, und der Almosenier, der Abbé Francisque Gagnard, verschloß die Tür zu seinem Schlafzimmer doppelt und nahm den Schlüssel mit.
Der Graf hatte kurz vorher bedeutende Summen erhalten, darunter einen Sack mit 11 500 Livres in spanischem Gold; dreizehn Säcke, jeder mit 1000 Livres, und einen Sack mit 100 geränderten Louisdors. Diese waren in den Jahren 1686 und in dem gegenwärtigen Jahr 1687 geschlagen und wegen ihres schönen Gepräges besonders ausgeschossen worden. Die fünfzehn Säcke lagen nebst einem Perlenhalsbande in einem Reisekoffer. Der Koffer stand in einem Kabinett der Wohnung, eine Treppe hoch. Anglade und seine Gattin wußten um dieses viele Geld und hatten dem Grafen selbst Vorschläge gemacht, wie er es am vorteilhaftesten unterbringen könne.
Das Erdgeschoß des Hauses bestand aus drei Abteilungen, von denen jede ihren besonderen Eingang auf eine Galerie hatte, die an den Torweg im Hof stieß. In der einen Abteilung hatten der Almosenier, der Page und der Kammerdiener ihr Quartier; die beiden übrigen dienten häuslichem Gebrauch. Auf der linken Seite der Galerie, den drei Eingängen gerade gegenüber, war die Haupttreppe, die zu den Zimmern des Grafen und der Gräfin in der oberen Etage führte. Hier war ein Vorzimmer; darauf folgte ein Wohnzimmer, und aus diesem kam man in das Kabinett, in dem der kostbare Koffer stand. In den beiden Stockwerken über dem Grafen wohnte die Familie Anglade. Auf der anderen Seite des Hofs war noch ein Nebengebäude von einigen Zimmern, welche die Schwester des Herrn von Anglade, die Schwägerin der Gräfin, die Kammerfrau und die genannten Stickerinnen bewohnten.
Als der Graf am Montag verreiste, ließ sich Herr von Anglade den Hausschlüssel aushändigen, weil er jeden Abend außer dem Hause speisen wolle.
Statt am Donnerstag kam der Graf schon am Mittwoch zurück. Unruhe hatte ihn auf seinem Landsitz geplagt. Auf dem Tischtuch und der Serviette hatte er angeblich Blutflecke gefunden; abergläubisch befürchtete er, daß etwas Böses zu Hause geschehen sei. Der Almosenier, der Page und der Kammerdiener ritten der Equipage voraus. Als die drei ins Haus kamen, bemerkte der Almosenier, daß die Tür ihres gemeinschaftlichen Zimmers nur angelehnt und nicht zugeschlossen war, obwohl er sie bei der Abreise selbst doppelt abgeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt hatte.
Der Umstand gab zu keinem weiteren Argwohn Anlaß. Graf und Gräfin nahmen in dem Speisesaal des unteren Stockwerks ihre Abendmahlzeit in gewohnter Ruhe ein.
Während sie noch soupierten, kam um 11 Uhr Herr von Anglade mit zwei Bekannten, den Abbés von Villars und von Fleury, von einer Abendgesellschaft beim Präsidenten Robert zurück. Als er von der Rückkehr der gräflichen Familie hörte, machte er ihr im Speisesaal seine Aufwartung; auch seine Gattin kam herunter, und in harmlosem Gespräch verging der späte Abend. Noch war von nichts Außergewöhnlichem die Rede.
Schon am nächsten Tag änderten sich die Verhältnisse völlig. Beim Gerichtshof des Chatelet übergab der Graf eine Anzeige, daß während seiner dreitägigen Abwesenheit der Koffer erbrochen worden sei und die oben genannten Säcke nebst dem Perlenhalsband im Wert von 4000 Livres fehlten.
Sogleich verfügten sich der Kriminalleutnant Deffita, der königliche Prokurator und ein Polizeikommissar in das Haus. Sie fanden nicht die geringste Spur von einem gewaltsamen Einbruch. Also entstand der dringende Verdacht eines Hausdiebstahls. Der Dieb mußte mittels eines Nachschlüssels zu günstiger Zeit das wohlverschlossene Kabinett geöffnet haben.
Eine Haussuchung ward sofort vorgenommen. Anglade und seine Gattin baten selbst darum. Sie führten die Beamten durch alle Zimmer, öffneten alle Schränke und Türen; Koffer und Betten wurden durchwühlt, doch nicht das geringste entdeckt. Jetzt stieg man auch auf den Boden unter das Dach. Hierher wollte oder konnte Frau von Anglade nicht mehr folgen; sie behauptete, schon zu erschöpft zu sein. Auf dem Boden fand man in einem alten Koffer mit Linnenzeug eine Rolle mit 70 geränderten Louisdors. Sie waren in ein bedrucktes Papier gewickelt, auf dem noch etwas von einem Stammbaume zu sehen war. Der Graf Montgomery erkannte darin seinen eignen Stammbaum. Auch die Louisdors glaubte er zu erkennen; von derselben Beschaffenheit waren die gestohlenen 100 Stück gewesen; sie und die gefundenen trugen die Jahreszahlen 1686 und 1687.
Als Herr von Anglade befragt wurde, von wem er diese Geldstücke bekommen habe, sagte er, er wolle später darüber Rechenschaft ablegen. Der Kriminalleutnant nahm das Geld als einen vermeintlichen Teil des gestohlenen Gutes zu sich. Doch ehe er die Louisdors einsteckte, zählte sie Herr von Anglade nach; er fühlte, daß ihm die Hand zitterte, und sagte selbst: »Ich zittere.«
Die anwesenden Bedienten machten darüber Bemerkungen. Später sagten sie aus: Herr von Anglade sei über die Ankunft des Grafen sehr betroffen gewesen; auch habe seine Gattin bei der ersten Nachricht von der unerwarteten Rückkehr vor Bestürzung kaum sprechen können.
Als man vom Boden herunterkam, sagte Frau von Anglade zum Kriminalleutnant, daß die Tür zur Schlafstube des Almoseniers, des Pagen und des Kammerdieners nur angelehnt, nicht verschlossen gewesen sei; man müsse sich daher an den Kammerdiener wenden, vielleicht könne man da etwas finden, und er könne wohl selbst der Dieb sein.
Hier stutzte der Kriminalleutnant. Noch hatte sich der Graf Montgomery selbst nicht getraut, gegen irgend jemand einen Verdacht zu äußern. Wie kam diese Dame dazu, so übereilt jemand geradezu eines Diebstahls zu bezichtigen und noch dazu jemand, gegen den nicht die geringsten Verdachtsgründe vorlagen? Der Kammerdiener war mit dem Grafen auf dem Land gewesen und war mit ihm zurückgekehrt. Frau von Anglade blieb mit einer merkwürdigen Dringlichkeit bei ihrer Vermutung; sie meinte, der Diener habe ja wohl jemand in seiner Stube verbergen können, durch den nach seiner Abreise der Diebstahl begangen worden sei. Man erwiderte ihr: wie dieser verborgene Dieb die Geldsäcke hätte aus dem Hause schaffen können, da ja der Hausschlüssel in ihren und ihres Gatten Händen gewesen sei. Dieser Umstand diente der Kammerfrau Formanie zur Rechtfertigung; auf ihr ruhte allerdings ein Verdacht, da sie die Schlüssel zum Haupteingang in die obere herrschaftliche Wohnung erhalten hatte.
Die Verdachtsgründe, die sich gegen die Familie Anglade verdichteten, schienen zunächst entkräftet zu werden, als die Beamten das Schlafzimmer des Almoseniers, des Kammerdieners und des Pagen durchsuchten und hier einen glücklichen Fund machten; denn man fand von den dreizehn Säcken mit 1000 Frank in einem Winkel des Zimmers fünf und noch einen sechsten, aus dem schon 219 Livres und 19 Sou genommen waren.
Allein, statt den Eheleuten Anglade zu helfen, stützte dieser Umstand den Verdacht gegen sie nur noch mehr.
Die Anglades hatten nämlich früher das ganze Haus gemietet und eine Zeitlang allein bewohnt. Man erinnerte sich, daß ein Herr Grimaudet, dem sie in dieser Zeit das erste Stockwerk untervermietet hatten, an Silberzeug von bedeutendem Wert bestohlen worden war. Der Täter war nicht ermittelt, und der Diebstahl hätte wohl noch beträchtlicher werden können, wäre man nicht beizeiten gewahr geworden, daß der Dieb einen Schlüssel zur Haupttür des Quartiers mitgenommen hatte. War es nicht möglich, daß sich die Eheleute Anglade während ihres Alleinwohnens Nachschlüssel zu allen Zimmern und Behältnissen angeschafft hatten? Anglade und seine Frau wußten von dem Geld, wußten, wieviel es war, wo es lag; sie hatten sich um die Verwertung des Kapitals, die sie nichts anging, gekümmert. Sie hatten die Einladung, mit dem Grafen aufs Land zu gehen, zuerst angenommen, dann aus einem nichtigen Grunde abgelehnt. Weshalb hatte Herr von Anglade den Hausschlüssel ausdrücklich für sich gefordert, da ja der eine Lakai des Grafen zurückblieb? Wäre es nicht bequemer gewesen, den Schlüssel diesem zu belassen und sich von ihm die Tür öffnen zu lassen? War es doch immer so gewesen, daß, wenn der Graf in der Stadt war, ihm einer von den Leuten aufschließen mußte. Weshalb in diesen drei Tagen eine Änderung? Geschah es vielleicht, um niemand ins Haus zu lassen, der die Eheleute bei ihrem Vorhaben stören konnte? Aber noch ein schärferes Anzeichen: Herr von Anglade läßt sich den Schlüssel geben, weil er täglich des Abends außer dem Hause speise, und gerade an diesem einzigen Abend zwischen dem Montag der Abreise und dem Mittwoch der Ankunft, am Dienstag, wo höchstwahrscheinlich der Diebstahl verübt war, hatte er den ganzen Tag das Haus nicht verlassen. Und gerade an diesem Tag, an dem er mit den Seinen zu Hause war, soll ein fremder Dieb alle Türen auf- und wieder zugeschlossen und sich mit den Geldsäcken aus dem Hause entfernt haben, ohne daß die Anglades oben das geringste Geräusch bemerkten!
Zudem hat Herr von Anglade gerade von der Sorte der gestohlenen Goldstücke, die sehr rar und gesucht war, eine beträchtliche Anzahl in seinem Koffer auf dem Boden unter altem Linnenzeug versteckt und weiß nicht anzugeben, woher er diese seltenen und neuen Münzen hat. Warum weigert sich Frau von Anglade, nachdem sie bereitwillig alle Fächer und Türen ihrer Wohnstuben aufgeschlossen hat, gerade auf diesen Boden mit hinaufzusteigen? Erweckt das alles nicht dringend den Verdacht, daß sie eine Entdeckung fürchtet? Dazu seine Unruhe und ihre Unruhe bei der vorzeitigen Rückkehr der gräflichen Familie. Mußte es nicht so sein, daß Herr von Anglade mit der Entwendung noch nicht fertig war, daß er, in der Annahme, der Graf werde erst am Donnerstag zurückkehren, die Fortschaffung der letzten Geldsäcke auf den Mittwoch verschoben hatte?
Listig benutzte die Dame den Umstand, um den Verdacht auf einen anderen, auf einen Unschuldigen, abzuwälzen.
Welche ganz unschuldige Frau von reinem Charakter würde in dem Augenblick des allgemeinen Schreckens darauf verfallen sein, als Denunziantin gegen eine Person aufzutreten, gegen die nicht das geringste vorlag? Aber der Einfall war zu rasch; sie hatte nicht bedacht, daß er sofort in den Verhältnissen selbst seine Widerlegung fand.
Alle drei Dienstleute, die der Verdacht gemeinschaftlich treffen mußte, waren mit ihrer Herrschaft gereist; sie waren während der drei Tage beständig unter deren Augen geblieben: sie konnten die Tür zu ihrer Schlafstube nicht geöffnet haben. Der Almosenier hatte zudem vor der Abreise die Tür doppelt abgeschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt. Also mußte auch diese Tür mit einem Nachschlüssel geöffnet worden sein. Wer zu der Tür der Dienerstube, hatte auch zur Wohnstube und zum Kabinett der Herrschaft einen Nachschlüssel. Dieselbe Person, die so das Kabinett geöffnet und den Koffer erbrochen, hatte auch die daraus entwendeten Geldsäcke in die Dienerstube getragen. Wer konnte eher Nachschlüssel zum ganzen Hause haben, wer konnte so mit der Lokalität vertraut sein, wer wissen, wann die geeignetsten Augenblicke zur Tat waren, wie die Familie Anglade? Sie hatte tagelang allein im Hause gewohnt, kannte die Räumlichkeiten und konnte auch Nachschlüssel besessen haben. Daß Frau von Anglade so eifrig auf Durchsuchung der Dienerstube gedrungen hatte, sprach nicht für ihre Unschuld; es war vielmehr ein Kunstgriff. Die Rettung der zurückgebliebenen Geldsäcke mußte sie aufgeben; aber wenn man im Quartier der Dienerschaft die deutlichsten Spuren des Diebstahls fand, lenkte sie den Verdacht von sich und dem Gatten ab.
Alle diese Verdachtsgründe wurden bei dem Kriminalleutnant Deffita zur hellen Überzeugung. Er sagte Herrn von Anglade ins Gesicht: »Einer von uns beiden, Sie oder ich, ist der Dieb.« Der königliche Prokurator und der Graf Montgomery stimmten ihm zu. Montgomery versicherte außerdem, für seine Leute stehe er ein. Also ward, indem man es für überflüssig hielt, noch weitere Nachsuchung zu halten, die Verhaftung der Eheleute beschlossen.
Man fand in der Börse des Herrn von Anglade 17 Stück Louisdors und eine Doppelpistole; eine neue erschwerende Tatsache gegen ihn, da ein großer Teil des gestohlenen Geldes aus Pistolen bestand.
Man brachte den Mann in das Chatelet, die Frau in ein anderes Gefängnis. Sie wurden, wie andere Missetäter, in Löcher gesteckt; den Stockmeistern wurde aufs strengste eingeschärft, keine Verständigung der Gefangenen unter sich und mit anderen zuzulassen.
Der peinliche Prozeß wegen Diebstahls mit Einbruch wurde gegen die Eheleute beim Gerichtshofe des Chatelets eingeleitet.
Die Hauptindizien gegen die Angeklagten wurden durch die Aussagen mehrerer Zeugen und die Auslassungen der Inquisiten noch verstärkt.
Zwei Zeugen bekundeten, sie hätten den Herrn von Anglade vor und nach der Ankunft des Grafen nicht weit von der Tür zur Stube, in welcher der Kammerdiener schlief, gesehen. Und doch wollte Anglade glauben machen, daß er die Rückkehr des Grafen erst um 11 Uhr nachts, als er von einem Souper aus der Stadt nach Hause kam, erfahren habe.
Den Angeklagten belastete mancherlei: der Aufwand, den er machte, ohne die Mittel dazu nachweisen zu können. Bei einer Gesamteinnahme von nicht mehr als 1950 Livres lebte er in Paris als Seigneur und hatte doch bei den Kaufleuten und Handwerkern keine Schulden. Zeugen behaupteten, er sei ein Spieler von Profession, ein Trödler (frippier), der auf Pfänder lieh. Andere wollten gar wissen, er habe einmal ein Stück Band gestohlen. Kurz, er erschien, nach allen Ermittlungen, als zu der Klasse der Abenteurer und Glücksritter gehörig, die sich vornehme Namen beilegen und denen es gelingt, die Rolle von Standespersonen auf Kosten Einfältiger und von ihnen Betörter zu spielen; er galt also im Sinne des Gesetzes als eine Person, bei der man sich der Tat versehen kann.
Dazu verwickelten sich die Eheleute in Widersprüche. Gefragt, woher er die siebzig neuen geränderten Louisdors habe, antwortete Anglade, er habe sie gesammelt, wie sie ihm von ungefähr nach und nach in die Hände gekommen seien. Befragt, ob seine Frau darum wisse, antwortete er, er erinnere sich nicht, ihr davon gesagt zu haben. Aber die Frau versicherte, sie hätte wohl von den Goldstücken gewußt; sie und ihr Mann hätten sie mehrmals gezählt, und er habe dabei gesagt: »Sieh, liebe Frau, was das für schönes Geld ist!« Anglade behauptete, er habe die Goldstücke seit drei oder vier Wochen nicht angerührt; die Frau aber sagte, er habe sie erst vor vier Tagen in den Händen gehabt.
Die Tatsache des Verbrechens, der Diebstahl, stand fest. Ein direkter Beweis gegen den Täter fehlte; aber die Anzeichen waren dringend. So gehäufte, genau verkettete Vermutungen sprachen gegen Anglade und seine Frau; ihre früheren Lebensverhältnisse widersprachen dem nicht allein nicht, sondern machten sie noch mehr verdächtig, so daß der Richter überzeugt war, die Eheleute seien die Täter.
Beide Angeschuldigten protestierten gegen das Gericht und das Verfahren des Kriminalleutnants und forderten, vor einen anderen Richter gestellt zu werden. Sie suchten ihr Verlangen dadurch zu begründen, daß sie den Kriminalleutnant Deffita als einen persönlich wider sie eingenommenen Feind, der unmöglich ihr Richter sein könne, darstellten. Zum Beweis dafür wurde angeführt, daß sich dieser Richter, ehe genügende Beweise vorlagen, nicht entblödet habe, Anglade geradezu ins Gesicht zu sagen: »Sie oder ich sind der Dieb!« In dieser voreiligen Überzeugung habe er es unterlassen, in den Stuben und Kammern der übrigen Bedienten nachzusuchen, da doch vernünftigerweise damals auf der Kammerjungfer Formanie ein weit stärkerer Verdacht gelastet habe, weil sie nicht mit über Land gegangen und im Besitz der Hauptschlüssel zu den Zimmern ihrer Herrschaft gewesen sei.
Ganz besonders aber wurde die barbarische Härte angeführt, mit der dieser Richter beide Ehegatten behandle, um sie zum Geständnis zu bringen oder schon im voraus, in der Überzeugung ihrer Schuld, sie büßen zu lassen.
Anglade, von weichlicher Natur und an alle Bequemlichkeiten eines üppigen Lebens gewöhnt, war aus allem Komfort seiner Pariser Wohnung in ein unterirdisches Loch geworfen, in das die frische Luft durch keinen Ritz eindringen konnte und aus dem die faulen Dünste keinen Ausweg fanden. Hier lag er in Feuchtigkeit und Moder auf halb verfaultem Stroh, das erst mit frischem gewechselt wurde, wenn es zu Mist geworden war. Das schwere schwarze Gefangenenbrot, das der verzärtelte Gaumen kaum würgen konnte, beschwerte seinen an die feinsten Speisen gewöhnten Magen, und doch erhielt er auch davon kaum genug, um seinen Hunger zu stillen. Von den Spenden frommer Seelen, die damals oft in den Gefängnissen ausgeteilt wurden und das Schicksal der an den Kerkerqualen Leidenden etwas linderten, erhielt er bei seiner strengen Klausur nichts.
Frau von Anglade war schwanger, als sie verhaftet wurde. Man brachte sie in ein ebenso scheußliches Loch. Schrecken, Angst, Widerwille verursachten eine vorzeitige Niederkunft. Doch hatte man ihre kleine Tochter von fünf Jahren – ob aus Mitleid? – mit ihr eingesperrt. Sie war ihr einziger Trost. Nach fünf schrecklichen Monaten brachte man sie in ein anderes Loch. Hier kam durch ein kleines Fenster ein wenig Luft in den Kerker. Das war die einzige Vergünstigung; allein man glaubte, ihr schon zu viel gewährt zu haben, denn man verstopfte das Fenster, so daß gar keine Öffnung blieb. Mutter und Tochter mußten fürchten, im Kohlendampf zu ersticken.
Am 25. Oktober 1687 ward verfügt, daß das Parlament über diesen Protest gegen den ersten Richter erkennen solle. Obwohl diese über die Eheleute verhängten Grausamkeiten weder zu leugnen noch das Werk der Unterbeamten waren, vielmehr auf alleinigen Befehl des Kriminalleutnants so angeordnet sein konnten, erkannte das Parlament unterm 13. Dezember, der Kriminalleutnant sei unbefugterweise zur Verantwortung gefordert worden. Die Untersuchung wurde wieder in das Chatelet, das heißt an ihn, zurückverwiesen.
Die Angeschuldigten waren also abermals in den Händen ihres Richters und Anklägers, dessen Stimmung wider sie durch die Klage und den Protest nicht günstiger geworden sein konnte. Er hatte auch ihre Dienerschaft inzwischen verhaften lassen, da es ihm unwahrscheinlich vorkam, daß Mann und Frau ohne Beihilfe die Geldsäcke gestohlen und fortgebracht haben sollten. Aber auch so kam nichts heraus.
Es blieb nun nur noch das letzte Mittel übrig: das Chatelet verurteilte am 19. Januar 1688 den Laurence Guillemot d'Anglade zur ordentlichen und außerordentlichen Folter.
Die Folter, erst ein Jahrhundert später durch die königliche Deklaration vom Monat September 1780 in Frankreich abgeschafft, war damals nicht allein ein rechtsgültiges, sondern ein übliches Beweismittel. Es ward darauf erkannt: einmal, wenn der Verbrecher der Tat selbst überwiesen war, aber der Richter auf Beteiligte schließen mußte; im zweiten und ungleich wichtigeren Falle, wenn gegen den ungeständigen Verbrecher starke, doch noch nicht ausreichende Beweise vorlagen. Wo auf die Tortur allein, ohne andere Bestimmungen, erkannt wurde, hing das Schicksal des Gefolterten von seiner Ausdauer ab. Erpreßte ihm die Marter ein Geständnis, so konnte der erkennende Richter der Bekundung im beliebigen Maß Beweiskraft zumessen. Überstand aber der Unglückliche die grausamen Schmerzen, so wurde er freigesprochen.
Auf die Folter mußte, wie auf jede Strafe, von dem Gericht erkannt werden. Dem Verurteilten stand die Appellation frei. Auch Anglade appellierte. Aber das Parlament verwarf nicht allein die Appellation, sondern verschärfte noch das Urteil des Chatelets, indem es noch die Klausel »manentibus indiciis« hinzufügte. Das heißt: die schon vorhandenen Beweise sollten, ohne Rücksicht auf die Wirkung der Tortur, gültig bleiben. In diesem Falle half also dem Unglücklichen die Kraft, mit der er die Qualen überstand, nichts; er wurde nicht freigesprochen, sondern nach den früheren Ermittlungen gerichtet. Nur die Todesstrafe war für diesen Fall ausgeschlossen.
Dieser Fall trat bei Herrn von Anglade ein. Er hielt die grausamsten Folterqualen aus, ohne etwas einzugestehen.
Durch das Endurteil des Parlaments vom 16. Februar 1688 wurde er darauf auf neun Jahre zu den Galeeren verurteilt, seine Frau aber auf ebensolange aus dem Weichbilde der Stadt Paris verwiesen. Außerdem wurde er, wie sich von selbst versteht, zur Schadloshaltung und zum Ersatz aller Einbußen an den Grafen Montgomery, zu einer Geldstrafe an den König und zur Tragung der Kosten verdammt.
Sonst war es üblich, daß man den Gefolterten etwas zur Labung und Erquickung reichte. Diese Erleichterung hielt man hier für unnötig. Unter dem Parlamentsgefängnis (conciergerie du palais) befand sich ein Behälter für die ärgsten Missetäter. In diesem Turm schmachtete einst Ravaillac; später wurde der Königsmörder Damiens hier eingeschlossen. Ravaillac, der Mörder Heinrichs IV., wurde am 28. Mai 1610 hingerichtet, Damiens, der ein erfolgloses Attentat auf Ludwig XV. verübt hatte, am 28. März 1757. Man stieß den in der Marterkammer zerschmetterten und verrenkten Anglade in das finsterste Loch dieses Turmes. Hier mußte er geraume Zeit ohne Hilfe, ohne Trost, ohne einen Menschen zu sehen, aushalten, bis man ihn in das Schloß de la Tournelle schleppte, wo die zu den Galeeren Verurteilten an die lange Kette geschlossen wurden, um ihre Reise anzutreten.
So vielen Leiden schien Anglade zu erliegen. Er wurde gefährlich krank. Man ließ ihm die Sakramente reichen, und bei dieser Handlung erklärte er nochmals, mündlich und schriftlich, er sei unschuldig, allein er verzeihe seinen Feinden von Herzen.
Auch diesmal überwand seine gute Natur die Krankheit. Er blieb, nur von Almosen sein Leben fristend, bis zum 1. Mai in diesem schrecklichen Gewahrsam. Es klingt kaum glaublich, was versichert wird, daß der Graf Montgomery auf die Fortschaffung des Anglade nach den Galeeren gedrungen habe, obgleich er wußte, daß der Mann noch an schwerer Krankheit daniederlag. Ja, er soll ihn auf dem Wege erwartet haben, um seine Rachelust an dem erbärmlichen Zustande des Gerichteten zu weiden.
Anglades Zustand war so, daß er nicht eigentlich an die Kette geschmiedet werden konnte. Auch war es nicht möglich, daß er die weite Reise zu Fuß machte. Alle Glieder des feingebauten Mannes waren dermaßen zugerichtet, daß er keins mehr gebrauchen konnte und bei der mindesten Anstrengung, der geringsten Bewegung unerträgliche Schmerzen empfand. Man mußte ihn daher auf einen Karren legen, und während der ganzen Reise wurde er jeden Abend heruntergehoben und in einer Scheuer oder unter einem Tore auf etwas Stroh gebettet.
In Marseille mußte er in das Hospital der Ruderknechte gebracht werden. Die Erinnerung an die Gattin und die kleine Tochter preßte ihm Tränen aus den Augen und lockte Klagen aus seiner Brust. Endlich wurde er auch darüber ruhiger und schien durch die feste Überzeugung getröstet zu werden, daß der Allmächtige für seine Hinterbliebenen sorgen werde.
Am 4. März 1689 endete der Tod seine Qualen. Von seinen Lippen war keine Verwünschung, kein Bekenntnis gekommen.
Die Geschichte des Herrn von Anglade hatte großes Aufsehen erregt; nicht in Paris allein, auch in den Frankreich benachbarten Ländern war sie der Gegenstand der Gespräche.
Bald nach seinem Tode las man in einer holländischen Zeitung folgende Notiz: »Zu Orleans sind zwei Verbrecher hingerichtet worden, von denen der eine noch unterm Galgen bekannt hat, er sei es gewesen, der den berühmten Diebstahl beim Grafen von Montgomery verübt habe, um dessenwillen der Marquis von Anglade zu den Galeeren verurteilt worden ist.«
Die Notiz wurde stark beachtet. Der Haß gegen Anglade hatte schon dem Mitleid Platz gemacht. Mehrere anonyme Briefe liefen von Hand zu Hand, in denen ein Unbekannter schrieb, er sei im Begriff, in ein Kloster zu gehen; um aber sein Gewissen zu befreien, halte er es für seine Pflicht, vorher anzuzeigen, daß Anglade an dem Diebstahl gänzlich unschuldig sei. Der wirkliche Täter sei Vincent, Belastre genannt, der Sohn eines Lohgerbers, und mit ihm ein Priester namens Gagnard, der beim Grafen Montgomery Almosenier sei. Die und die würden über die Sache noch mehr sagen können.
Einen solchen Brief erhielt auch die Gräfin Montgomery. Sie suchte ihn zu verbergen; dennoch erfuhren ihre Dienstleute davon. Der Almosenier mußte sich nicht ihre Sympathie verschafft haben, wie denn überhaupt die Stellung dieses Geistlichen in dem gräflichen Hause etwas seltsam erscheint, da man ihn mit Kammerdiener und Pagen in derselben Stube schlafen ließ. Von nun an wurde Gagnard mit Sticheleien und lauten Vorwürfen, daß er der Dieb sei, verfolgt. Wie sich seine Dienstherrschaft dabei benommen hat, wird uns nicht mitgeteilt; aber der Almosenier konnte dem vereinten Haß der Kleinen nicht widerstehen, und die Angelegenheit endete damit, daß Abbé Gagnard aus dem Hause gejagt wurde.
Ganz anders als die Gräfin benahm sich der Kriminalleutnant Deffita beim Empfang eines ähnlichen Briefes. Er geriet in die äußerste Bestürzung; sein Herz schlug ihm, daß er doch nicht mit der nötigen Vorsicht gehandelt und einen Unschuldigen verurteilt haben könnte. Eifrig setzte er alle Mittel in Bewegung, Licht über die Sache und vor allem über die Lebensverhältnisse und den Charakter der beiden in dem Briefe angeschuldigten Personen zu erhalten. Zugleich mit ihm bot die Witwe Anglades alles auf, was in ihren Kräften stand, um zu Ermittlungen zu kommen, die wenigstens die Ehre ihres gemordeten Gatten und ihrer Familie herstellen könnten.
Über Vincent, mit dem Beinamen Belastre, wurde bald Klarheit geschaffen. Sohn eines Gerbers zu Mans, war sein ganzer Lebenswandel eine Kette von Gaunerstreichen, Betrügereien, Diebstählen, Straßenraub und Mordtaten. Er war als Soldat desertiert, als Landstreicher von einem Zuchthaus ins andere deportiert und bereits zur Galeere verurteilt worden. In Hausdiebstählen war er wohl erfahren; er trieb sein Wesen zumeist in Paris und Versailles unter beliebigen Namen.
Den Abbé Gagnard konnte man keiner ruchbar gewordenen Verbrechen zeihen; dennoch sprach sehr viel wider ihn. Auch er war aus Mans, der Sohn eines Fischers; in dürftigster Lage war er nach Paris gekommen und hatte weder von dem Messelesen noch von dem, was ihm der Graf von Montgomery zugewandt, Reichtümer anhäufen können. Dennoch hatte er, bald nachdem er von diesem fortgejagt worden war, Geld in Überfluß, ging öffentlich in den prächtigsten geistlichen Kleidern, verschwendete in jeder Art, hielt sich eine Mätresse; ja, er hatte sich durch Geld eine Pfründe verschafft. Höchst verdächtig erschien es, daß ein Geistlicher wie er mit dem Landstreicher Vincent, der in lumpiger Kleidung nach Paris gekommen war, auf dem vertrautesten Fuße lebte. Gagnard hatte sich das restlose Vertrauen des Grafen Montgomery zu erwerben gewußt; alle Geschäfte des Hauses gingen durch seine Hand; er war die ratgebende und tätige Hauptperson im Haushalt, hatte alle Schlüssel in Verwahrung und wußte um die großen Summen, die der Graf erhalten hatte, ebensogut wie Herr von Anglade.
Der Kriminalleutnant hatte den tüchtigsten Mami unter seinen Leuten, den durch die geschickte Gefangennahme der Marquise Brinvillier so berühmt gewordenen Polizeisergeanten Desgrais, zu dieser wichtigen Untersuchung gewählt. Desgrais, der alle Schlupfwinkel der Diebe und ihre Verbindungen kannte, brachte bald in Erfahrung, wie es zur Zeit des Angladeschen Prozesses bei der ganzen löblichen Diebeszunft zu Paris eine bekannte Sache gewesen sei, daß Vincent Belastre und Gagnard die wahren Täter waren. Auf dem Pont Neuf, dem Versammlungsort aller Spitzbuben und Beutelschneider, habe man mit Vergnügen davon gesprochen, daß einmal eine Standesperson für die Streiche eines armen Schelmen büßen müsse. Ja, bis Mans sei die Sache gekommen, wo jedermann davon geredet habe, und wahrscheinlich sei das Gerücht von einigen Spießgesellen der wahren Diebe ausgegangen, die sich für ihre Beihilfe nicht genügend bezahlt gefühlt hätten.
Für die Polizei genügten diese Ermittlungen. Es kam nun darauf an, einen genügenden Grund zur Verhaftung beider Verdächtigen zu finden. Auch dieser fand sich bald. Der Abbé wurde als mitverdächtig einer Mordtat und Belastre wegen betrügerischen Spiels festgenommen.
Das schandvolle Leben des ehemaligen Almoseniers Gagnard, der auch das Geschäft eines Kupplers betrieben hatte, kam bei dieser Gelegenheit ans Tageslicht.
Für unser Rechtsgefühl ist es verletzend zu sehen, daß die Ehrenrettung von zwei Unschuldigen nicht von Gerichts wegen betrieben wurde, sondern daß die Witwe und die Tochter Anglades gezwungen waren, als Kläger gegen die neuermittelten Täter aufzutreten. Noch empörender aber ist es, wenn wir den Grafen Montgomery den Schritten der beiden Frauen alle möglichen Schwierigkeiten in den Weg legen sehen. Denn er mußte befürchten, daß mit der Unschuld der Gerichteten er als ungerechter Verfolger zum Schadenersatz verpflichtet werden könnte.
Die beiden Schurken, die alle Mittel der Schlauheit und der Frechheit aufwandten, sich zu verteidigen, suchten einen besonderen Schutz hinter dem vorigen Parlamentsurteil. Sie führten unter anderem an: Da durch ein rechtskräftiges Erkenntnis der höchsten Gerichtsbehörde nach einer erschöpfenden Untersuchung festgestellt worden sei, daß Anglade den Diebstahl begangen habe, so könnten sie ihn schlechterdings nicht begangen haben, oder man müsse ihnen nachweisen, daß sie die Helfer des schon abgestraften Verbrechers gewesen seien. Nach unsäglicher Mühe der Richter verfingen sich die Bösewichte in ihren eignen Aussagen, bis die Verdachtsgründe gegen sie so stark wurden, daß auf die Folter erkannt wurde.
Belastre hielt sie aus, ohne zu gestehen. Den Abbé Gagnard überwältigten die Schmerzen. Er legte ein vollständiges Bekenntnis ab. Er hatte sich, als er Almosenier des Grafen war, mit seinem alten Bekannten, dem Vagabunden Belastre, verbunden. Dieser hatte Nachschlüssel angefertigt. Die Zeit der Reise des Grafen über Land war der geeignetste Augenblick auch aus dem Grund, um allen Verdacht von dem Abbé abzulenken. Da aber Belastre nicht auf einmal so viele Geldsäcke aus dem Hause schaffen konnte, war beschlossen, daß er sie einstweilen in das Zimmer der drei Diener im Erdgeschoß verstecken solle, von wo er sie nach und nach fortbringen könnte. Damit inzwischen niemand von dem zurückgebliebenen Gesinde dieses Zimmer betrete, verschloß es Gagnard recht auffällig vor den Augen der anderen und steckte den Schlüssel, den er sonst zurückließ, in die Tasche. Der Diebstahl wurde vollführt, so wie er beschlossen war, aber der Dieb in seiner Vorratskammer durch die frühe Rückkehr der Herrschaft überrascht. Zum Glück für ihn trat niemand in das Zimmer. Es gelang ihm, unbemerkt aus dem Haus zu entwischen. Froh darüber, nahm er sich nicht mehr die Zeit, die Tür wieder von außen zu verschließen, sondern ließ sie offen stehen, so wie es später bemerkt wurde.
Überdies versicherte Gagnard aus freien Stücken, er sei bei der Haussuchung und als man das Geld in seiner Stube gefunden hatte, dermaßen bestürzt und verwirrt gewesen, daß er, hätte ihn der Kriminalleutnant damals befragt, auf der Stelle den ganzen Diebstahl eingestanden haben würde. Als über die Sache vor dem Parlament plädiert wurde, habe sich Belastre unter den Zuhörern befunden; er selbst habe in der Heiligengeistkirche auf Veranlassung der Freunde des Herrn von Montgomery zur glücklichen Entdeckung der Diebe Messe lesen müssen.
Belastre und Gagnard wurden zum Strang verurteilt. Vor der Hinrichtung bekannte auch Belastre.
Vor der Welt war die Ehre des unglücklichen Opfers wiederhergestellt. Seine Witwe kam beim Parlament mit der Bitte ein, daß ihre und ihres Gatten Ehre durch einen förmlichen richterlichen Spruch wiederhergestellt werde, und verband damit den Antrag, den Grafen von Montgomery zum Ersatz aller materiellen Schäden zu verurteilen.
Der Graf von Montgomery fand sich nicht geneigt, das Geld zu bezahlen, da er nicht einmal sein eignes zurückerhalten habe. Er berief sich darauf, daß er in keiner bösen Absicht die Eheleute verfolgt habe, daß nicht einmal er der erste gewesen sei, der einen Verdacht auf sie geworfen habe, daß sein Versehen ein verzeihlicher Irrtum gewesen sei, für den er nicht aufzukommen habe, da zwei Richter, darunter das Pariser Parlament, den Irrtum durch ihr Urteil anerkannt hätten.
Das Parlament entschied nach einem langwierigen Prozeß am 17. Juni 1693, daß die Ehre beider Ehegatten vollständig wiederherzustellen sei; es erklärte alle Maßnahmen gegen sie für widerrechtlich und verordnete, daß ihre Namen in den Gefängnisregistern unleserlich gemacht werden sollten und daß die Sequestration aufzuheben und der Graf alle die Summen samt Zinsen der Witwe und deren Tochter zurückzuzahlen habe, die ihm als Schadenersatz für seine Verluste früher zugesprochen waren.
Dagegen wurde die Klägerin mit ihrem Anspruch auf Entschädigung wegen des erlittenen Schimpfes und Schadens abgewiesen.
Für die Tochter Anglades wurde bei Hofe eine Sammlung veranstaltet, die ihr ein Vermögen von 100 000 Livres eingebracht haben soll. Sie heiratete später einen Parlamentsrat des Essarts.