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Zu der Zeit, als es mit den Hohenstaufen abwärts ging, lebte in der heutigen Rheinpfalz ein Edelherr von viel Land und Leuten. Ein liebliches Töchterlein war sein einziges Kind. Das allzeit freundliche und gar verständige Mägdlein, Brunhilde geheißen, war dem Vater in allen Stücken gehorsam und leitete an Stelle der frühverstorbenen Mutter den Haushalt mit viel Geschick. Der Vater belohnte ihre kindliche Hingabe und Treue mit inniger Liebe, und als sie das Alter zu einer Versorgung erlangt hatte, war es ihm eine Herzensangelegenheit, ihr eine recht glückliche Zukunft zu sichern.
Nun kam gerade damals der junge Ritter von Wunnenstein, Wolfelin (Wölflein) hieß er, Wolfelin ist der erste geschichtlich beglaubigte Wunnensteiner, ein treuer Anhänger des Kaisers Konrad IV, aber auch bereits ein Gegner der Wirtemberger (wir finden ihn schon 1251 in der Kriegsgefangenschaft des Grafen Ulrich I); sein Sohn war Diether von Wunnenstein, der uns in dieser Sage gleichfalls begegnet. Eine Verwechslung mit dem »gleißenden Wolf«, dem letzten seines Geschlechts, welcher 1413 starb, ist ausgeschlossen. oft auf die Burg des »Pfalzgrafen« geritten, wie der Volksmund den Edelherrn kurz bezeichnete; denn seit Mannsgedenken bestanden zwischen beiden Familien die freundschaftlichsten Beziehungen. Dem Jüngling gefiel die schmucke Hilde wohl, und da sie seine Liebe in Ehren erwiderte, so hielt er beim Vater um ihre Hand an. Aber dieser sagte weder ja noch nein, sondern vertröstete ihn auf später. Wolfelin ritt also wieder heim auf seine Burg und wartete hier geduldig und in gutem Glauben, später seinen Antrag erfolgreicher zu wiederholen. Diese Hoffnung erwies sich aber bald als eine eitle. Denn in der Zwischenzeit erschien ein steinreicher, aber rauher und geiziger Ritter aus dem Neckargau auf der Burg des Pfalzgrafen und lernte das holde Edelfräulein kennen. Er war nur wenig Jahre jünger als der Pfalzgraf, hatte aber eine angesehene und mächtige Verwandtschaft, und so beredete der Vater in der besten Absicht seine Tochter, dem Ritter Gehör zu geben und ihr Herz ihm zu schenken. In kindlicher Liebe gehorchte sie, und bald fand die Hochzeit statt, nach welcher sie vom Vater Abschied nahm und mit ihrem Gemahl auf die ferne Neckarburg zog.
Die junge Frau hatte den redlichen Willen, nach und nach eine gewisse Neigung zu dem angetrauten Manne zu bekommen. Aber dieser machte es ihr durch sein mürrisches Wesen gar schwer, ihm mit dem Herzen näher zu kommen; ihre treubeflissene Mühe war vergebens. Endlich wurde er gar eifersüchtig, da ihnen der Kindersegen für die ersten Jahre ihres Ehelebens versagt blieb. In diesen bangen Jahren starb ihr Vater, der Pfalzgraf.
Erst im siebenten Jahr ihrer Ehe gebar sie ein Kind, ein bildschönes Mägdelein, der Mutter ähnlich. In seiner eifersüchtigen Raserei verstieß nun gar der Ritter Mutter und Kind. Ein alter treuer Diener ihres Vaters, der zu ihr gezogen war, wollte freiwillig die Verbannung mit ihr teilen; aber der Wüterich ließ ihn in Fesseln schlagen und in das tiefste Gewölbe seines Schlosses werfen. Hier harrte er monatelang seiner Befreiung entgegen, bis sein Herr, von Gewissenspein geängstigt, ihn endlich wieder los ließ. Der alte Mann ließ es sich nun nicht nehmen auszuziehen, um nach seiner unglücklichen Herrin und ihrem Kinde zu forschen. Aber all sein Mühen blieb ohne Erfolg. Er suchte sich deshalb in der Wildnis ein Plätzlein, um darauf eine Hütte zu bauen und als Einsiedler seine Tage zu beschließen. Denn nach dem vielen Bösen, das er erlebt hatte, war ihm das weltliche Leben und Treiben entleidet. Das stille Winterlauter Tal, unfern des heutigen Backnang, gefiel ihm wohl. Er baute sich dort inmitten des Waldes seine Klause und lebte der Arbeit und der frommen Andacht. Die Leute schätzten ihn seiner Frömmigkeit wegen hoch. Sie nannten ihn den Vater Anton und suchten ihn auf, wenn sie eines Trostes oder eines weisen Rates bedurften.
Wie war es nun dem armen Weib und ihrem Kind in der Wildnis draußen ergangen? Wind und Wetter preisgegeben, hatte die arme Frau nur das stärkende Bewußtsein, sich rein zu wissen von aller Schuld. Eine innere Stimme wies sie nach Süden, von wo in sonnigeren Tagen ein edelherziger Jüngling gekommen war, für dessen Begehr sie ein sittsames Ja in Bereitschaft gehabt hatte. Weit entfernt war sie zwar davon, ihre Gedanken in freventlicher Weise zu der Hoffnung auf eine lichtvollere Zukunft in diesem Leben zu erheben; aber auf dem Fleck Erde, welche den Genossen glückseliger Tage trug, zu leiden und zu sterben, schien ihr eine Art stellvertretender Buße für ihren seligen Vater zu sein, der vom Himmel herab wohl auch ihr Elend jetzt mit ansehen mochte.
Nach langer Wanderung, voll von Entbehrungen und Gefahren, kam sie mit ihrem Säugling endlich ins Winterlauter Tal, ganz erschöpft und dem Tode nahe. Unter äußerster Anstrengung schrieb sie ein Brieflein, in welchem sie alle Christenmenschen bat, sich des verlassenen Kindleins einer unglücklichen Mutter anzunehmen, wenn sie von ihren schweren Leiden erlöst sein würde. Auf das Pergament legte sie einen kostbaren Siegelring, der seit langer Zeit im Besitz des Pfalzgrafen gewesen war, und den sie von ihrem Vater geerbt hatte. Dann starb sie.
In dortiger Gegend lebte in armseliger Hütte der gute Fischer-Märte (Martin). An demselben Tage, an dem die arme Frau ihren letzten Willen mit zitternder Hand niederschrieb, kehrte er in später Abendstunde müde von der Arbeit zurück. Am Abhang eines Rains, da wo Vergißmeinnicht und Ehrenpreis in Menge aus der Erde sproßten, fand er die Tote, an deren Brust das verlassene Kind schlafend lag. Einige Zeit stand er starr vor Schrecken da, bis er sich endlich zu fassen vermochte. Dann nahm er das schwache Kind sanft auf seine Arme, trug es nach Hause und kam bald wieder mit seinem Weibe zurück, um auch die entseelte Mutter dorthin zu tragen. Diese begruben sie andern Tags; das Kind aber nahmen sie in ihr Haus auf. Hildegard gedieh unter der liebevollen Pflege der braven Leute zusehends und vertrug sich auch recht geschwisterlich mit den eigenen Kindern seiner Pflegeltern. Gemeinsam besuchten sie an jedem schönen Tage Wiese und Wald, und manchmal verloren sie sich unter Führung, des kühnen Mädchens soweit vom Hause weg, daß den guten Alten zuweilen fast bange um die lieben Kleinen wurde, wenn sie so lange nicht zurückkehrten.
Einst verirrten die Kinder im Walde, so daß sie nimmer aus und ein wußten und in blindem Eifer immer mehr abwegs rannten. Als sie sich schon dem Gedanken hingaben, im Walde zu übernachten, erspähten sie eine menschliche Gestalt, auf welche die landläufige Beschreibung vom Vater Anton paßte. Vertrauensvoll näherten sie sich dem Greise, welcher sie freundlich anredete und beruhigte. Plötzlich hielt er inne und schaute ganz verwirrt die Kinder an; denn er erblickte unter ihnen eines, dessen Züge ihm so bekannt erschienen, daß er keinen Augenblick über die wahre Herkunft desselben im Zweifel war. Anton fragte das Mädchen, wem es gehöre und wo es wohne, ergriff dann dasselbe rasch bei der Hand und führte die junge Schar auf dem nächsten Weg zur Fischerhütte. Dort angelangt, fragte er das Ehepaar hastig: »Wo ist meine Herrin?« Der Fischer war hierüber nicht wenig erstaunt und zuerst der Meinung, der Alte rede irr. »Seid Ihr nicht der Vater Anton?« sagte er; »nach wem verlangt Ihr und wo soll ich Euch hinführen?« Dieser erwiderte nur: »Wo ist die brave Mutter dieses Mägdleins?« Und jener: »So habt Ihr sie gekannt, die tote Frau?« Diese Nachricht wirkte erschütternd auf den Einsiedler, und er brauchte einige Zeit, bis er sich von seinem Schrecken erholt hatte. Die Kinder flüchteten sich ins Bett, und die Leutchen mußten ihm dann erzählen, wie sie zu dem Kinde gekommen seien, wogegen er ihnen die traurige Geschichte seiner ehemaligen Herrin mitteilte. Schließlich fragte Anton noch nach dem Namen, den sie dem Mägdlein gegeben hätten. »Hildegard haben wir's geheißen.« Mit freudiger
Gebärde rief Anton aus: »Getroffen! Hilde ist Hilde: Die Mutter hieß Brunhilde, die Tochter Mechthilde.« Dieser Name ist urkundlich 1283 (als Gemahlin Diethers, genannt Wolf); die Sage hält an dem Namen Hildegard fest.
Spät legten sie sich zur Ruhe nieder, aber bald erwachte der Einsiedler wieder vom Schlafe. Es mochte ihm viel durch den Kopf gegangen sein; denn er sah nachdenklich aus, als er dem Fischer wieder gegenüber stand: »Hast du kein Andenken mehr von der Frau?« »Nur einen breiten Ring, den meine Hauswirtin aufbewahrt,« antwortete der Gefragte. Anton ließ sich den Ring zeigen und jubelte dann vor Freuden überlaut: »Gott Lob und Dank! es kann noch alles recht werden.«
Er teilte dem Fischer die Bedeutung des Rings für die Zukunft der kleinen Hilde mit und sprach die Hoffnung aus, daß wenigstens das mütterliche Erbe dem Mägdlein zugewendet werden könne. Unter dem gegenseitigen Versprechen, das herzliche Einvernehmen der Kinder durch voreilige Enthüllung des Geheimnisses nicht stören zu wollen, schied Anton mit Sonnenaufgang von der Behausung der guten Fischersleute.
Von jetzt an kam er fast täglich in ihre Hütte; er unterrichtete die Kinder im Glauben, erzählte auch mitunter von den Kriegszügen und Heldentaten der Ritter und wurde bald der Liebling des Hauses. Hilde fühlte sich besonders zu ihm hingezogen und lebte sich durch seine Erzählungen bald in eine neue Welt hinein. Was Winterlauter Tal erschien ihr alsdann wie eine Fremde; aus der Vorstellung von ritterlichem Leben und Treiben schuf sie sich für ihre Gedankenwelt eine neue und eigene Heimat. Ohne auch nur die leiseste Ahnung von ihrer wirklichen Herkunft zu haben, ging mit ihr eine vollständige Wandlung vor. Denn während sie bisher in kindlicher Lust und Freude die freie Natur genossen hatte, übte sie sich nun im Speerwerfen und Armbrustschießen, wozu sie sich die Werkzeuge selbst hergestellt hatte. In männliche Tracht gekleidet ging sie auf die Jagd und wurde nie erkannt. Daneben drang der Ruf ihrer häuslichen Tüchtigkeit in die Weite, und bald warben Söhne guter Häuser um sie in allen Ehren; doch nie konnte sie sich entschließen, von dem ihr liebgewordenen Kreise sich zu trennen.
Da trat ein Ereignis ein, das ihrem Leben eine neue Richtung geben sollte. An einem schönen Herbstabend hatte sie sich im Jagdeifer gar zu weit von der heimatlichen Hütte entfernt: sie drang bis zum Riesenbergle bei Oberstenfeld vor, ohne etwas erlegt zu haben. Ermüdet setzte sie sich auf den Stumpf einer abgehauenen Eiche, rings von schützendem Gesträuch umgeben. Bald schlummerte sie ein und träumte und der zarte Mund verzog sich zu einem glücklichen Lächeln. Ein plötzlicher Angstschrei schreckte sie aus dem Schlafe. Rasch sprang sie auf und sah, wie ein gereizter Eber gerade auf einen Jüngling in Jägertracht losrannte; hart neben ihr lag ein Wurfspeer, den der junge Mann unmittelbar vorher auf das Tier gezielt haben mochte. Schnell griff sie zu; mit ein paar Schritten war sie bei ihm und erlegte das grimme Wild. Noch ehe der Jüngling sich bei ihr bedanken konnte, war sie im Dickicht verschwunden. Der Gerettete war Herr Diether von Wunnenstein, genannt Wolf.
Für die Zukunft der jungen Hilde, die jetzt wohl 17 Jahre zählen mochte, war das heutige Ereignis entscheidend: sie hatte in das Auge eines Jünglings geschaut, der von der Vorsehung für sie bestimmt war. Von nun an hatte sie keine Freude mehr am herumschweifen und Jagen, blieb vielmehr stets zu Hause, ganz in sich gekehrt, so daß die Pflegeltern sich darüber recht verwunderten. Auch Anton machte sich seine Gedanken hierüber: »hat etwa der Fischersmärte durch vorzeitige Einweihung in ihre Vergangenheit sie aus dem Gleichgewicht gebracht und »stolz« gemacht auf ihre wahre Herkunft?«
Als er einst merkte, daß sein prüfender Blick die sinnende Jungfrau in Verlegenheit bringe, faßte er den Entschluß, die Fischerhütte einige Zeit nimmer zu betreten. Zu Hause gefiel es ihm aber doch nicht recht. Am dritten Tage trieb's ihn in den dunklen Tann hinein; er suchte Ruhe in hastiger Bewegung. Stundenlang mochte er dahingegangen sein, als er das Geschrei von Streitenden hörte, in welche sich das Gebell der Hunde mischte. Er hörte deutlich eine heisere Stimme, die ihm bekannt schien, und eine andere, die heftig miteinander zankten. Bittere und leidenschaftliche Worte flogen herüber und hinüber, und auf einmal war das Geklirr von Waffen zu vernehmen.
Mit Riesenschritten näherte sich Anton dem Schauplatz des Kampfes und fand seinen alten Herrn, den Neckargauer, im Kampf mit einem schmucken Jäger, der allem Anschein nach mit Vorbedacht sich auf die Abwehr beschränkte und hiedurch den Gegner nur noch mehr reizte. Anton rief dem Rasenden zu: »haltet ein um Gotteswillen: tut's Eurer seligen Gemahlin zulieb und erbarmt Euch eines armen Mägdleins, Eures Kindes!«
Wie gelähmt ließ der Angeredete die Arme sinken, wankte zurück und fiel zur Erde nieder. Anton und der Jüngling eilten ihm zu Hilfe. »Wer ist der Mann, der mich in Ausübung meines Rechts beharrlich hindern wollte und heute mich meuchlings überfiel?« fragte der Jüngling. Anton beschwichtigte ihn und widmete dem bewußtlosen Manne die möglichste Sorgfalt, so daß dieser endlich wieder zu sich kam. Er erkannte seinen ehemaligen Knecht und erinnerte sich sofort wieder seines letzten Wortes, mit dem er ihm entgegengetreten war. » Sie lebt?« hauchte er. »Ja, Eure Tochter, der Herrin getreues Ebenbild,« erwiderte Anton.
Der Jüngling war, unterdessen betroffen bei Seite gestanden; denn er wußte nicht, wie er sich dies alles zusammenreimen sollte. Anton trat zu ihm hin und sagte: »Wenn mich meine alten Augen nicht täuschen, so seid Ihr der Ritter Wolfelin vom Wunnenstein.« »Wolfelin ist mein Vater,« erwiderte der Jüngling; »ich bin Diether, sein Sohn,« »Gottes Wege sind wunderbar,« sagte Anton; »ich kannte Euren Vater, als er Hausfreund des Pfalzgrafen war, und sah ihn schweren Herzens dessen Burg verlassen; ich erbebte, als die Blindheit siegte in der Pfalz und am Neckar; ich erlebte auch, wie die Reue das Unrecht zu sühnen suchte ... vielleicht darf ich noch das Wort des Friedens verkündigen im Winterlauter Waldgrund.«
Nun wußte Diether genug; denn ihm war jener Mißerfolg seines Vaters nicht unbekannt geblieben. Er kämpfte seinen Unmut nieder und fand endlich für den Neckargauer milde Worte. Diese schnitten dem büßenden Sünder aber nur umso tiefer in die Seele. Die Reue erfaßte sein Herz mit Macht; er warf sich nieder und weinte bitterlich. Anton kniete neben ihm nieder und betete für ihn; auch Diether faltete die Hände in Andacht.
So merkten sie nicht, daß ein rettender Engel sich ihnen nahte. Es war Hilde, die mit leichtem Fuß durch den Wald geschritten kam. Der alte Ritter hob das Auge und: »Hilde, Hilde!« rief er; denn vor ihm stand das leibhaftige Ebenbild seiner verstoßenen Frau Brunhilde. Das Mädchen trat erschrocken zur Seite und redete den Einsiedler mit zitternder Stimme an: »Den halben Tag suche ich Euch, Vater Anton, es trieb mich. Euch zu finden.« Wieder begann der Unglückliche: »Hilde! Hilde! Verzeihung um Gottes willen! Verzeihung dem Büßer!« Das Mägdlein schrak zusammen, ihre Augen suchten Rat und Hilfe bei Anton. »Ach,« sprach sie leise, »er ist gewiß recht unglücklich.« – Damit wandte sie sich ab, um zu gehen, denn sie fürchtete, von dem anwesenden Jüngling als ehemaliger Jäger am Riesenbergle erkannt zu werden. »Hilde!« rief Anton ihr nach, »wir gehen auch mit!« und zum Ritter gewendet sagte er halblaut: »Es ist Eure Tochter, Eure eigene Mechthilde; sie hat mich, ihren geistlichen Vater, gesucht und den leiblichen Vater gefunden.« Die Überraschung auf beiden Seiten war groß. Die natürliche Liebe, welche in Vater und Kind wirkte, verscheuchte jeden Zweifel, sie besiegte alles: die sehnlichen Wünsche eines Vaters waren damit ebenso erfüllt wie die Träume der Tochter. Bald schickten sie sich an, den Ort zu verlassen. Anton lud Diethern ein, auch mitzugehen. Anton und Hildchen mußten unterwegs viel erzählen; zufällig kam man auf das frühere Jägerleben des Mägdleins zu sprechen. Diether fragte, warum sie jetzt nimmer jage. »Heute,« antwortete der alte Anton, »heute ist's ein Jahr, daß sie ohne Beute nach Hause kam; seitdem hat sie das Jagdgebiet nie mehr betreten.« »Sie ist's!« jauchzte Diether vor Freude; und zur Jungfrau gewandt fuhr er fort: »Eure letzte Jagd war nur halb; die Beute soll Euch werden! Habt vor zwölf Monden keinen Hasen, kein Reh erbeutet... willst heute nicht einen Wolf mitnehmen?« Mechthilde errötete; dem alten Ritter wie dem getreuen Anton standen die Freudentränen in den Augen. Der Wunnensteiner vollendete seine Werbung: »Herr Ritter, sie hat mir heute vor einem Jahr das Leben gerettet; gestattet, daß ich ihr zum Dank mein ganzes Leben weihe.« » Was der Mutter versagt war, soll der Tochter werden!« sprach der Neckargauer und legte die Hand der Tochter in die Rechte des Jünglings. »Amen,« ergänzte Anton mit feierlicher Stimme.
Eine Stunde später kamen die vier Leute in der Fischerhütte an. Anton ergriff das Wort: »Marte, von wem hast du die Hilde anvertraut bekommen?« Er antwortete mit der Gegenfrage: »Habe ich meine Pflichten nicht erfüllt, die Gott mir auferlegt hat? Er möge mir Hilde noch lange lassen und einst für sie sorgen,« setzte er hinzu. Anton deutete an, daß Gott den zweiten Wunsch auch recht bald in Erfüllung gehen lassen könnte. Der Fischer schaute wie verklärt drein: »So möge er meinen Traum in der vorigen Nacht in Erfüllung gehen lassen: die tote Frau ist zu mir gekommen, prächtig geschmückt mit Gold und Steinen, herrlich gekleidet in Samt und Seide, und hat nach Hilde gefragt, dann ein kleines Beil von Silber hervorgezogen mit den Worten: Das legt zum Siegelring! Ich habe gefragt, was das bedeute? Sie hat geantwortet: Eine Hochzeit; was der Mutter versagt war, soll der Tochter werden! Ich hörte dann ein helles Glöcklein läuten, und die Frau sagte mit freundlichem Blick: Schon läutet's zum Kirchgang, eilt! Damit erwachte ich, und heute denke ich den ganzen Tag über den seltsamen Traum nach.« Anton sprach: »Der Traum ist erfüllt; Herr Diether von Wunnenstein hat das silberne Beil im Wappen und ein Helles Glöcklein auf dem Turm seiner Michaelskapelle: Hilde wird Herrin vom Wunnenstein.« Der Fischer und seine Frau waren voll Staunens. Sie brachten nun den Siegelring herbei, und der alte Neckargauer erklärte, daß der rechtmäßige Besitz dieses Ringes das Anrecht auf das Muttergut begründe. So stand der Verbindung der beiden Glücklichen nichts hindernd im Wege.
Die Hochzeit ward auf dem Wunnenstein gefeiert; den Fischer rührte besonders der Klang des Glöckchens, der ebenso an sein Ohr drang, wie in jener Nacht. Der alte Wolfelin ehrte in seiner Söhnerin das Ebenbild seiner Jugendliebe, und der greise Neckargauer erfreute sich noch mehrere Jahre des wiedergewonnenen Friedens seines Herzens. Martin und sein Weib brachten den Lebensabend auf dem Wunnenstein zu. Ihre Kinder fanden eine gute Versorgung, und Vater Anton starb noch vor der Hochzeit im Walde.
Hilde wurde wieder die alte leidenschaftliche Jägerin. Mit der Armbrust und dem Speer bewaffnet ging sie mit ihrem Gatten hinaus, wenn er die dunklen Forste des Bottwargaus durchstreifte. Sie war aber auch sein schützender Engel, wenn er auszog in den Krieg, um die Ehre seines Standes und den Bestand seines Hauses zu wahren: sie begleitete ihn dann als verkleideter Knappe mit geschlossenem Visier und suchte ihn vor unredlicher Hantierung zu bewahren.