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Gründung der Wurmlinger Kapelle.

Zwischen Tübingen und Rottenburg zieht sich eine bewaldete Anhöhe hin, welche das Neckartal und das Ammertal voneinander trennt. Der westliche Punkt dieses Höhenzuges ist ein Berg, auf dem die Wurmlinger Kapelle steht, welche der Dichter Uhland so schön besungen hat in dem Lied:

Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab ...

Jahrhunderte schon steht die Kapelle auf dem Gipfel dieses Berges, an dessen Abhang die Rebe blüht und an dessen Fuß die klaren Fluten des Neckars dahinrauschen. Freundlich grüßt sie den Wanderer, den das Dampfroß schnelleilend durch das Tal dahinführt. Von dem Dorfe Wurmlingen aus führen die Kreuzesweg-Stationen den Berg hinan, die ihren Abschluß in dem heiligen Grab finden, das in der unterirdischen Abteilung der Kapelle still geborgen ist. Die Kapelle wurde 1685 dem heiligen Remigius zu Ehren eingeweiht und ist heute noch ein vielbesuchter Wallfahrtsort.

Über die Entstehung der Kapelle berichtet eine Sage: Im 10. Jahrhundert lebte Graf Anselm von Calw. Er war weit in der Welt herumgekommen und hatte auch eine Fahrt ins heilige Land gemacht. Als es mit ihm zum Sterben kam, versammelte er die Seinen um sich und sagte zu ihnen: »Ich habe im Leben so weite Reisen gemacht, daß ich fast im Tode noch einmal die Welt durchfahren möchte. Wenn ich daher gestorben bin, dann leget den Sarg, der meine Leiche birgt, auf einen mit zwei ungewöhnten Ochsen bespannten Wagen! Laßt sie hingehen, wohin sie wollen, niemand soll sie leiten,und wo sie von selbst halten werden, dort begrabet meinen Leib und bauet über das Grab eine Kapelle!« Man tat nach seinem Willen. Durch Wald und Feld, über Berg und Tal zogen die Ochsen dahin und blieben endlich am zweiten Tage mit der Leiche auf der Höhe des Wurmlinger Berges stehen. Dort wurde Graf Anselm von treuen Dieners Hand begraben. Bald erhob sich über seinem Grab eine Kapelle, der Ruhestätte des Grafen zum Schutz, der Gegend zur Zierde.

Zum Gedächtnis des Grafen wurde lange Zeit die sogenannte Wurmlinger Mahlzeit gehalten. Die Geistlichen der umliegenden Ortschaften versammelten sich zu diesem Zweck am Dienstag nach Allerseelen mit ihren Mesnern und Freunden auf dem Berge. Nachdem ein feierliches Totenamt gehalten war, begann die Mahlzeit. Zuvor wurde jedoch in einem ausgehöhlten Weißbrot von jedem Gast ein Pfennig für die Sondersiechen eingesammelt. Dann folgten die verschiedenen Gerichte je mit besonderem Wein und Brot, u. a. drei geröstete Schweinsköpfe, ein Beiessen von der Gans, gesottene Hennen und Fische, für je zwei Personen eine gebratene Gans, in der Gans eine Henne und in der Henne eine Wurst, endlich auch Käse, Kuchen, Nüsse, Trauben, Birnen u. dgl. Was übrig blieb, gehörte den Armen. Graf Anselm soll bestimmt haben, daß dieses Testament von seinen Verwandten nur der umstoßen könne, der auf einem Pferde sitzend einen Kieselstein (Goldgulden) über die Turmspitze schnellen könne. Die Mahlzeit findet nicht mehr statt; die berechtigten Geistlichen erhalten dafür sechs Gulden Ersatz.

(Nach Meier, Kohler und Schönhuth. R.)


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