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Graf Ulrich und Wendegard.

Im Anfang des 10. Jahrhunderts war Konrad I König von Deutschland (911-918). Zu dieser Zeit hatte das Reich viel zu leiden unter den Einfällen der Ungarn, die auf ihren struppigen, schnellen Pferden in zahllosen Scharen das Land fast alljährlich überschwemmten, sengten, mordeten, raubten und plünderten. Bis sich endlich ein deutsches Heer gesammelt hatte, waren sie längst wieder verschwunden, hinüber bis ins Elsaß, ja hinauf bis nach Bremen dehnten sie ihre Raubzüge aus und namentlich Bayern und Oberschwaben wurden von den wilden Horden schwer heimgesucht. In Buchhorn, am Ufer des Bodensees, da wo jetzt Friedrichshafen liegt, wohnten zu dieser Zeit Graf Ulrich und seine Gemahlin Wendelgard. Ulrich, ein Nachkomme Karls des Großen, war Herr des Linz- und Argengaues. Da geschah es, daß die Ungarn mit großer Macht heranritten, um die schwäbischen Lande mit Mord und Brand zu erfüllen. Graf Ulrich sammelte, so rasch er konnte, seine Dienstmannen und zog den Feinden entgegen, um seine Heimat zu verteidigen. Aber wie tapfer auch die schwäbischen Ritter fochten, es waren der Feinde zu viele. Von einem Pfeil schwer verwundet wurde Ulrich durch eine Schlinge, die die Ungarn trefflich zu werfen verstanden, vom Pferde gerissen und gefangen weggeführt. Seine Kampfgenossen hatten ihn vom Roß sinken sehen und hielten ihn für tot. So erhielt auch Wendelgard die Kunde, daß ihr Gemahl im Streit umgekommen sei und nicht mehr wiederkehren werde. In tiefem Schmerz über den Tod ihres geliebten Mannes beschloß Wendelgard, sich von der Welt zurückzuziehen, obwohl es der jungen und schönen Witwe an Freiern nicht fehlte. Sie ging nach St. Gallen, ließ sich in das Kloster aufnehmen und diente nun hier ihrem Gott mit Beten und Fasten. Alljährlich aber begab sie sich einmal nach Buchhorn zurück. Dort feierte sie das Gedächtnis ihres verlorenen Gemahls, indem sie an heiliger Stätte für seine Seele betete und die Armen der Umgegend reichlich beschenkte. So waren vier Jahre verflossen, und wieder war Wendelgard von St. Gallen nach Buchhorn gekommen. In großer Zahl drängten sich die Armen heran, um die Spenden aus Wendelgards Händen zu empfangen. Da zwängte sich ein zerlumpter Mann durch die Menge vor. Als ihm nun die Gräfin ein Kleid reichte, da faßte er plötzlich ihre Hand, drückte sie innig, zog Wendelgard zu sich heran, schloß sie, obwohl sie sich heftig sträubte, in seine Arme und küßte sie. Mit Geschrei stürzten sich die Umstehenden auf den frechen Bettler, und viele Fäuste und Stöcke erhoben sich, um ihn zu züchtigen. Der aber richtete sich hoch auf, warf seine langen Haare, die bisher sein Gesicht halb verdeckt hatten, zurück, und rief mit lauter Stimme: »O, laßt mich gehen! Ich habe der Schläge genug in der Gefangenschaft bei den Ungarn erduldet. Schaut her und erkennt den Grafen Ulrich, euren Herrn!« Beim Klang dieser Stimme erwachte Wendelgard wie aus einem Traum, sie erkannte das Angesicht ihres Gemahls und sank dem Totgeglaubten weinend an die Brust. Mit frohem Jauchzen wurden die beiden Gatten zum Gotteshaus begleitet, wo sie Gott für ihre Wiedervereinigung dankten.

Der Bischof Salomo von Konstanz entband Frau Wendelgard ihres Klostergelübdes. »Älter als das Gelübde, das sie als Nonne dem Kloster getan,« so sprach er, »ist das Gelübde, das sie ihrem Manne geschworen. Darum gebe man sie ihrem Manne zurück. Den Schleier aber hebe man im Kloster auf, damit sie ihn, wenn Graf Ulrich vor ihr sterben sollte, als Witwe wieder anlegen möge«. So geschah es. Und Ulrich und Wendelgard hielten zum zweitenmal fröhliche Hochzeit, schenkten dem Kloster St. Gallen aus Dankbarkeit einige Güter im Rheintal und gelobten, wenn Gott ihnen noch einen Sohn schenken werde, so sollte er an der Mutter Statt dem hl. Gallus geweiht sein. Wirklich bekam Wendelgard noch einen Sohn. Seine Geburt kostete der Mutter das Leben. Er wurde Burkhard geheißen, und als er der Pflege der Amme entwachsen war, brachte ihn sein Vater ins Kloster nach St. Gallen, hier wurde er sorgfältig erzogen und erlangte seiner Vorzüge wegen später sogar die Würde eines Abtes.

Nach Crusius.


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